Altenpflege - Kämpfen statt Kündigen - Andrea Würtz - E-Book

Altenpflege - Kämpfen statt Kündigen E-Book

Andrea Würtz

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Beschreibung

Die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Andrea Würtz deckte 2020 die menschenunwürdigen Verhältnisse in einer Seniorenresidenz in Schliersee auf. Seither ist sie aus den Medien nicht mehr wegzudenken. Sie schreibt in Zeitschriften und Online-Medien, steht in Talkshows Rede und Antwort, filmte gemeinsam mit Günter Wallraff und wurde als „die“ Whistleblowerin in der Altenpflege bezeichnet. Gemeinsam mit Bastian Klamke legt sie nun ihr erstes Buch vor. Die beiden Autoren wollen zeigen, was in der Altenpflege jetzt noch möglich ist, was Pflegekräfte selbst tun können, statt zu jammern und auf die Politik etc. zu warten: Welche Möglichkeiten haben Pflegekräfte, um gegen Missstände vorzugehen? Wo lässt sich Hilfe holen, wenn (fast) gar nichts mehr geht? Wie können Pflegekräfte ihre Verantwortung gegenüber den Bewohnern wirklich wahrnehmen? Würtz & Klamke verschweigen nicht, wie miserabel der aktuelle Zustand der Altenpflege in Deutschland ist. Sie beschönigen nicht, sie wiegeln nicht ab, sie wischen nicht weg. Ihr Weg ist ein anderer: Sie rufen zum Kampf auf. Es gibt kein „Weiter so“ mehr, sondern ab sofort ein „So nicht!“ Der Kampf gegen die Deprofessionalisierung der Pflege muss jetzt begonnen werden. Aber er muss von den Pflegekräften selbst angestoßen werden, mit Mut, Leidenschaft und Stärke. Genau diesen Rückhalt bietet dieses Buch! Es versteht sich ausdrücklich als Aufforderung zum Kampf, statt zur Kündigung. Neben den prägnanten Texten von Andrea Würtz, erhält das Buch sein besonderen Reiz durch pointierte Cartoons von Bastian Klamke.

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Seitenzahl: 230

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Andrea Würtz ist examinierte Kinderkrankenschwester mit Weiterbildung zur Stations- und Pflegedienstleitung und Study Nurse, durch private Erfahrung ist sie auch früh in der Rolle der pflegenden Angehörigen gewesen. Sie verfügt über langjährige Pflegeerfahrung in unterschiedlichen Bereichen der Pflege, u. a. Pädiatrie, OP/Anästhesie, ambulante Intensivpflege, Study Nurse, Hygienebeauftragte, Pflegedienstleitung einer Tagespflege.

Bastian Klamke ist examinierter Krankenpfleger und seit 1999 auf einer interdisziplinären Intensivstation tätig. Von 2001 bis 2005 studierte er Pflege/Pflegemanagement mit dem Abschluss Diplom-Pflegewirt (FH). Während des Studiums und im Anschluss bis 2006 war er Mitarbeiter im Qualitätsmanagement in einer Unternehmensberatung für Gesundheitseinrichtungen. Seit 2003 ist er nebenberuflich als freischaffender Künstler (Comiczeichner, Cartoonist, Illustrator) tätig.

 

 

 

» Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.«

ARISTOTELES (384–322 V. CHR.)

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8426-0903-7 (Print)ISBN 978-3-8426-9204-6 (PDF)ISBN 978-3-8426-9205-3 (EPUB)

Originalauflage

© 2024 Schlütersche Fachmedien GmbH, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover, www.schluetersche.de

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Buch gelegentlich die männliche bzw. weibliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich Personenbezeichnungen gleichermaßen auf Angehörige des männlichen und weiblichen Geschlechts sowie auf Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

Autoren und Verlag haben dieses Buch sorgfältig erstellt und geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Weder Autoren noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus in diesem Buch vorgestellten Erfahrungen, Meinungen, Studien, Therapien, Medikamenten, Methoden und praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Insgesamt bieten alle vorgestellten Inhalte und Anregungen keinen Ersatz für eine medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung.

Etwaige geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass es sich um freie Warennamen handelt. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

Lektorat: Claudia Flöer, Text & Konzept Flöer

Covermotiv: Bastian Klamke

Inhalt

Vorwort

Geleitwort

1Altenpflege in Deutschland geht alle an

1.1Kämpfen – eine notwendige Disziplin der Pflege

1.1.1… weil das System versagt

1.1.2… weil Pflege Veränderungen bewirken kann

1.2Die Altenpflege – »eine ziemlich junge Profession«

1.2.1… die dringend gebraucht wird

1.2.2… und zwar weltweit

1.2.3… mit guter Bezahlung

1.2.4… und vielen engagierten Stimmen

1.3Der Pflegenotstand in stationären Einrichtungen

1.3.1… und die Situation der Pflegekräfte

1.3.2… und das Leid der Bewohner*innen

1.4Der Pflegenotstand auf der Anklagebank

1.4.1… und die bleibenden Fragen

1.5Der Skill Mix und die kniffelige Frage der Personalbemessung

1.5.1Deutschlands Pflege im europäischen Vergleich

1.5.2Pflegekräfte aus dem Ausland integrieren

1.5.3Ein Blick in die Politik

1.6Fazit: Lassen Sie nicht länger andere entscheiden

2Neue Wege, Impulse und Strukturen für eine realitätsnahe gute Pflege

2.1Ihre Kommunikation muss stimmen

2.2Ihre Bewältigungstrategien machen den Unterschied

2.2.1Der Teufelskreis der negativen Bewältigungsstrategien

2.2.2Positive Bewältigungsstrategien

2.3Ihre Dokumentation macht den Unterschied

2.3.1Informationsweitergaben – Ratespiel mit Lücken

2.4Die Übergabe im Pflegeteam

2.5Die SIS®

2.6Kommunizieren mit Pflegebedürftigen

2.6.1Der Pflegefokus

2.7Arbeiten mit dem Skill Mix

2.8Die Personaleinsatzplanung

2.9Teilhabe und Beschäftigung

2.9.1Hogeweyk® in den Niederlanden

2.10Fazit: Durchbrechen Sie alte Strukturen

3Kontrollinstanzen – Fluch oder Segen?

3.1Heimgesetz und Heimaufsicht – die Fakten

3.1.1Heimgesetzgebung – seit 2006 eine Sache der Bundesländer

3.1.2Regel- oder Anlassprüfung

3.1.3Machen Sie Schluss mit dem Vertuschen

3.1.4Prüfen Sie selbst die Prüfkriterien

3.1.5… damit die Realität nicht so bleibt

3.1.6… sondern das Menschenrecht siegt

3.2Fazit: Ändern Sie Ihre Fahrtrichtung

4Die Sache mit der Verantwortung

4.1Überlastungsanzeige oder Gefährdungsanzeige

4.2Die Garantenstellung

4.3Die staatliche Garantenstellung

4.4Wenn niemand die Verantwortung übernimmt …

4.4.1Klara Bauer und ihr Leben im Altenheim

4.4.2Das Tagebuch der Tochter

4.4.3Die Pflegedokumentation von Klara Bauer

4.5Lösungsansätze

4.5.1Verantwortung → Gefährdungsanzeige → professionelle Transparenz

4.5.2Professionelle Transparenz

4.5.3Eine bessere Kommunikation im Team und mit Angehörigen

4.5.4Pflegefokus und optimale Personaleinsatzplanung mit Skill Mix

4.6Das Urteil im Fall Klara Bauer

4.7Fazit: Bestimmen Sie mit über die Zukunft

5Gesundheitswesen neu denken

5.1Fünf wichtige Grundvoraussetzungen

5.2… für eine menschenwürdige und hochwertige Versorgung

5.2.1… gemeinsam getragen von Pflegewissenschaft und Pflegerealität

5.2.2… gegen die Deprofessionalisierung

5.3Die Zukunft der Berufspflege: neues Standing und mehr Verantwortung

5.3.1Fachpflege anerkennen

5.3.2Pflegeausbildung reformieren

5.3.3Schlechte Pflege darf sich nicht länger lohnen

5.3.4Trennung zwischen GKV und PKV auflösen

5.3.5Schluss mit der Ärzt*innenzentrierung in der Gesundheitsversorgung

5.4Das Ausland macht es vor

5.5Teilerfolg in Deutschland: das Pflegestudiumsstärkunggesetz

5.6Ein weiterer Teilerfolg: die interdisziplinäre Zusammenarbeit

5.7Fazit: Der Kampf kann gelingen

5.7.1Was einer allein nicht schafft …

5.7.2»… das schaffen viele zusammen«

5.7.3Seien Sie dabei!

6Gedanken zum Schluss

6.1… von Andrea Würtz

6.2… von Bastian Klamke

Nachwort

Literatur

Register

Vorwort

Liebe Leser*innen, liebe Kolleg*innen – liebe Betroffene …

eigentlich könnten wir die Anredeformeln beliebig fortführen – die Altenpflege betrifft doch »irgendwie« jeden. Nun ist es also so weit: Wenn dieses Buches erscheint, liegt der von mir, Andrea Würtz, persönlich erlebte Skandal um die Seniorenresidenz Schliersee (Kap. 1.1.1) in Oberbayern genau vier Jahre zurück. Eine wegweisende Erfahrung für mich, wenngleich ich auch immer wieder betone, dass das Schicksal der Bewohner*innen in Schliersee alles andere als nur ein »bedauerlicher Einzelfall« ist. Warum das so ist, wissen Sie vermutlich selbst oder werden es, wenn Sie dieses Buch lesen, nachvollziehen können.

Bastian Klamke und ich blicken auf mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung aus den unterschiedlichsten Bereichen der Pflege zurück. Wir sind erschrocken über all die Defizite und Missstände unseres (Pflege)Systems, die wir erleben mussten und müssen. Doch uns verbindet der anhaltende Herzenswunsch, eine Veränderung anzustoßen. Bastian Klamke drückt es mit seiner Illustration (S. 8) treffend aus: Wir haben natürlich kein Patentrezept für die Lösung aller Probleme, aber wir sind der Meinung, dass wir alle etwas verändern können.

Wir möchten Sie, unsere Kolleg*innen, ausdrücklich ermuntern, gemeinsam neue Wege zu gehen. Rütteln Sie mit uns alle am Systemversagen beteiligten Gruppen wach! Wir sind trotz aller Widrigkeiten davon überzeugt, dass es auch anders geht, dass es besser werden kann. Das geht natürlich nicht allein, sondern nur zusammen!

Es geht um nichts weniger als die Zukunft unseres Berufes und die Veränderung unseres Blickwinkels. Deshalb verharren wir hier nicht bei den ständig wiederkehrenden Schuldzuweisungen nach Skandalen. Schließlich haben all die Entrüstungswellen bislang keinen nachhaltigen Erfolg gebracht. Die Not der Betroffenen – der Pflegebedürftigen und der Pflegekräfte – ist groß und bewegt uns zutiefst. In meiner Mailbox, in meinem Briefkasten stapeln sich die Zuschriften, wann immer ich in den Medien ein Interview gebe und mit jeder einzelnen Zuschrift (und glauben Sie mir, es sind viele) wächst auch der Wille zum Widerstand: Die Zeit ist jetzt!

Wir laden Sie ein: Lassen Sie dieses Buch auf sich wirken. Gehen Sie ohne Angst daran und gönnen Sie sich zwischendurch die ein- oder andere Lesepause. Selbstverständlich werden Sie manche Situationen wiedererkennen. Lassen Sie sich Mut machen! Eine professionelle Pflege kann etwas unglaublich Erfüllendes sein – und Veränderung beginnt in jedem von uns und in kleinen Schritten!

»Kämpfen statt kündigen« haben wir dieses Buch für die Altenpflege überschrieben und das meinen wir ernst. Sie sicherlich auch, sonst hätten Sie dieses Buch nicht gekauft. Wir danken Ihnen für Ihre Bereitschaft, sich uns anzuschließen. Sie kämpfen jeden Tag hart. Jetzt ist die Zeit gekommen, um endlich aufzustehen: Nehmen wir uns und unsere Kompetenzen in den Blick. Erinnern wir uns daran, warum wir uns für diesen Beruf entschieden haben. Nehmen wir die Angehörigen ernst, indem wir ihnen zuhören. Wir sind alle in der Pflicht, die Struktur der guten (pflegerischen) Versorgung unserer Senior*innen vollständig neu zu definieren, denn so wie jetzt können und dürfen wir nicht weitermachen. Warum das sogar über die Landesgrenzen hinaus wichtig ist, und uns immer klarer werden muss, dass wir »nicht allein« sind, auch darum geht es in diesem Buch.

Wir hoffen sehr, dass wir weitere kleine Steinchen ins Rollen bringen, kleine Steine, die eine Lawine auslösen und den Weg für eine neue Altenpflege freimachen!

Berlin, Eppenbrunn, im April 2024

Andrea Würtz und Bastian Klamke

Geleitwort

»Kämpfen statt kündigen« – Dieser Titel mag provokant klingen, doch er spiegelt die dringende Realität wider, der sich die Altenpflege in unserer Gesellschaft gegenübersieht. In den letzten Jahren hat sich die Situation in dieser Branche sowohl für die Bewohner*innen als auch für die Pflegekräfte dramatisch zugespitzt, und es ist an der Zeit, darüber zu sprechen. Andrea Würtz nimmt sich dieses Themas an und spricht über unglaubliche Vorkommnisse, die sie selbst erlebt hat.

An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass die Altenpflege ein Bereich darstellt, der von grundlegender Bedeutung für unsere Gesellschaft ist. Hier arbeiten engagierte Menschen rund um die Uhr, um die Bedürfnisse unserer älteren Mitbürger*innen zu erfüllen. Doch die Herausforderungen, vor denen sie stehen, sind immens. Die 50 %-Fachkraftquote, die einst als Maßstab für die Qualität der Pflege galt, wurde aufgegeben. An ihre Stelle tritt ein neuer Personalmix, der Hilfskräfte, einjähriges Personal und dreijährig qualifiziertes Pflegefachpersonal kombiniert.

Die Idee hinter diesem neuen Ansatz ist, sich stärker am individuellen pflegerischen Versorgungsbedarf der Bewohner*innen auszurichten. Doch gleichzeitig drängt sich die brennende Frage auf: Verbessert oder verschlechtert sich die Situation für die Bewohner*innen durch diesen Wandel? Wir alle dürfen nicht vergessen, dass die Pflege in erster Linie den Menschen dient, die auf sie angewiesen sind.

In diesem Buch wirft Andrea Würtz u. a. einen kritischen Blick auf die aktuelle Personalsituation in der Altenpflege. Dabei gibt sie sich nicht mit oberflächlichen Betrachtungen zufrieden, sondern legt den Finger sprichwörtlich in die Wunde und analysiert dabei die tiefgreifenden Auswirkungen auf die Bewohner*innen und Pflegekräfte gleichermaßen.

Dieses Buch soll eine Einladung zum Nachdenken, Diskutieren und Handeln bieten. Es richtet sich an alle, die sich für die Altenpflege interessieren, sei es als Bewohner im Altenpflegeheim, Angehöriger, Pflegekraft, politische Entscheidungsträger oder einfach als engagierter Bürger.

Denn die Herausforderungen in der Altenpflege betreffen uns alle, spätestens dann, wenn wir selbst als Bewohner in eine Altenpflegeeinrichtung einziehen. Mithin ist es höchste Zeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Andrea Würtz möchte dabei denjenigen eine Stimme und den Mut zum Kampf geben, die tagtäglich an vorderster Front arbeiten, um älteren Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen.

Mit diesem Buch ist ein erster Schritt in diese Richtung gemacht. Andrea Würtz schärft unser aller Bewusstsein für die katastrophale Personalsituation und die untragbaren Zustände in der Altenpflege und zeigt den Weg für dringend benötigte Verbesserungen auf. Denn es ist an der Zeit zu kämpfen, anstatt zu kündigen, um sicherzustellen, dass sowohl das Personal als auch die Bewohner*innen die Unterstützung erhalten, die zwingend notwendig ist.

Lassen Sie uns gemeinsam den Weg zu einer besseren Zukunft für die Altenpflege und für die uns anvertrauten Menschen einschlagen.

Prof. Dr. Volker Großkopf

1 Altenpflege in Deutschland geht alle an

Wer sich mit dem Thema »Entwicklung der (Alten-)Pflege in Deutschland« beschäftigt, kennt die Parolen vom »demografischen Wandel«, vom »Pflegenotstand«, von Missständen, vom knappen Angebot und zu hoher Nachfrage. Schlagzeilen titeln klagend »Wohin mit Oma?« oder »Altenheim: Das ist kein Leben dort!«

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Claus Fussek, dass ich 2022 mit ihm führte, bevor er in den »Unruhestand« ging. Seine Arbeit und sein umfangreiches Archiv, inklusive all der Zeitungsberichte über den Pflegenotstand, die großen und kleinen Skandale, die verzweifelten Hilferufe – nicht nur im Bereich der Altenpflege – zeigen eines genau: die vielschichtigen Probleme der Pflege. Seit mehr als 40 Jahren sammelt Claus Fussek, klärt auf und klagt an. Unvergessen bleibt mir sein Ausspruch: »Sei nett zu Deinen Kindern, sie suchen Dir später das Heim aus.«

Warum ist die (Alten-)Pflege gerade in Deutschland in einer so dramatischen Schieflage? Warum müssen wir kämpfen, damit es besser wird? Einfache Antwort: Es war noch nie anders! Es waren immer einzelne Pflegekräfte und wache Bürger*innen, die sich nicht damit abfinden wollten, dass alles so blieb, wie es war.

1.1Kämpfen – eine notwendige Disziplin der Pflege

»Wer soll denn unseren Beruf aufbauen, wenn wir es nicht selbst tun! Wir haben gar kein Recht zu verlangen, dass andere das tun.«1 Das sagte Agnes Karll (1868–1927) zu einer Zeit, als in Deutschland ein Kaiser auf dem Thron saß, Frauen nicht einmal zu politischen Wahlen zugelassen waren und Pflegekräfte eher die Rolle der barmherzigen (Ordens-)schwester einnahmen.

1903 gründete Agnes Karll die »Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands« (BOKD), dessen Nachfolger der DBfK ist. Damals war Agnes Karll 35 Jahre alt, seit 16 Jahren Krankenpflegerin und entsetzt von den Zuständen in der Pflege bzw. der Not des Personal (also der Frauen). Sie klagte den häufig schlechten Gesundheitszustand der Krankenschwestern an, die mangelnde soziale Absicherung außerhalb der kirchlichen Mutterhäuser, die fehlenden Ruhezeiten und die massive Arbeitsüberlastung.

Agnes Karll brachte die Steine ins Rollen. Ihre Berufsorganisation gewann zügig Mitglieder. Sie vernetzte sich international, war eines der Gründungsmitglieder des International Council of Nurses (ICN, gegründet 1904), dessen Präsidentin und später Ehrenpräsidentin. Sie hatte eine klare Vision: Aus der Berufsarbeit der Schwestern der karitativen und religiösen Genossenschaften sollte eine Profession werden, deren Fachkenntnis zählte – als »Maßstab des Könnens«.

Ihre Schwester im Geiste war Florence Nightingale (1820–1910). Sie schrieb bereits 1859 in ihrem Buch »Notes on Nursing«: »Let us never consider ourselves finished nurses, we must be learning all our lives.«2

Agnes Karll und Florence Nightingale stehen für nachhaltige Erfolge in schwierigen Zeiten und für den Kampfgeist unseres Berufsstandes.

Als ich im November 2022 #PflegenachCorona3, den Imagefilm des DBfK, sah, dachte ich direkt weiter, wie es wohl wäre, wenn Florence Nightingale als »Lady with the lamp« gemeinsam mit Agnes Karll und mir eines der Skandalheime betreten hätte. Beide hätten mit Sicherheit ebenso mit aller Überzeugung versucht zu einen und zum Kämpfen ermutigt.

Die Britin Ethel Gordon Fenwick (1857–1947), ebenfalls gelernte Krankenschwester, verfolgte ähnliche Ziele wie Agnes Karll. Sie gründete 1888 die Royal British Nurses Association, die 1904 im ICN aufging. Ihr war es u. a. wichtig, dass sich die Pflegekräfte gemeinsam auf den Weg machen. Sie war der Ansicht, dass die Gründung des ICN nur erreicht werden konnte, weil sich die Pflegekräfte in ihren Forderungen nach der notwendigen Reform zusammengeschlossen hätten, denn nur durch den Zusammenschluss konnte die notwendige Stärke erreicht werden4.

Unser Tipp

Besuchen Sie doch mal den Webauftritt des ICN (https://www.icn.ch/). Er ist eine Quelle der Inspiration und eine willkommene Stärkung, wenn Ihr Kampfgeist nachzulassen droht …

Der Kampf ging und geht weiter. Während der Entstehung dieses Buches stieß ich in einem Video des rbb5 auf Aussagen von Oberschwestern aus den 1960er Jahren und auf ein Video des Schweizer Fernsehens aus den 1970er Jahren6. Auch hier beeindruckte mich wieder Kampfgeist der Fachkräfte und der Auszubildenden, v. a. in Bezug auf den Stellenwert der Pflegeprofession in der damaligen Gesellschaft. Schon damals beklagten die Auszubildenden und Leitungskräfte fehlende gesellschaftliche Anerkennung, eine zu hohe Dokumentations- und Verwaltungslast, Personalmangel und zu wenig Zeit, um dem Nachwuchs eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen.

In ihren Kommentaren wiesen die Moderatorinnen der Sendungen darauf hin, dass die Gesellschaft der Pflege einen »Mythos der Opferbereitschaft« als eine »zu Stein gewordene Anschauung einer modernen Gesellschaft« attestierte. Dabei machte man sich bereits damals schon »Sorgen um die Zukunft des Gesundheitswesens«, wegen des steigenden Bedarfes an Krankenhausbetten und dem bereits bekannten demografischen Wandel.

Den kritischen Aussagen standen aber auch Aussagen zur Seite, die Freude und Neugier am Beruf verrieten und die Anerkennung über Verbesserungen der Bezahlung und einen »Wandel« in der Pflege.

1.1.1… weil das System versagt

Sollten Sie die Geschichte hinter dem Skandal der Seniorenresidenz Schliersee noch nicht kennen, können Sie eine Dokumentation des Bayerischen Rundfunks7 anschauen. Hier nur ein kurzer Abriss: 2020 führte ich als Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes Reihentestungen durch, nachdem es in einer Seniorenresidenz in Schliersee einen Corona-Ausbruch gegeben hatte. Ich konnte also hinter jede Tür blicken und sah Missstände in der Pflege, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte. Doch niemand vom Personal meldete, was sich tagtäglich ereignete, vermutlich aus Angst, Überforderung oder Resignation. Ich beschritt alle Wege, die möglich waren, teilweise mit dem MD und der Heimaufsicht, dokumentierte alles, leitete alle Informationen unter Einhaltung der korrekten Dienstwege weiter. Als nach einer Soforthilfe auch durch den Einsatz der Bundeswehr die notwendigen Konsequenzen ausblieben, und das Heim trotz anhaltender und furchtbarer Missstände nicht geschlossen wurde, meldete ich die Zustände zunächst anonym dem Bayerischen Rundfunk, im Laufe der Recherche entschied ich mich mit Namen und Gesicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Sicher auch, weil ich bis heute davon überzeugt bin, dass es nur mit Transparenz und Ehrlichkeit gelingen kann eine Veränderung anzustoßen. Jedem dieser Menschen in diesem Heim sind wir das schuldig.

Von da an war ich eine »Whistleblowerin« – und für viele eine Nestbeschmutzerin. Viel gibt es über diesen, aber auch andere Skandale zu sagen, v. a. aber, dass es bis jetzt – vier Jahre später – noch immer keine wirkliche Aufarbeitung mit der juristischen Klärung der Verantwortung gibt.

Dabei ist dieser Skandal »nur« ein besonders schlimmes Beispiel eines Systemversagens, aber kein bedauerlicher Einzelfall! Mich bewegt die Frage: »Was lernen wir daraus und wie können wir dafür sorgen, dass so etwas nie wieder möglich ist?« Eine Antwort darauf lautet: Wir müssen uns als Berufsstand anders und stärker vereinen als je zuvor und aktiv werden!

1.1.2… weil Pflege Veränderungen bewirken kann

Die Profession Pflege hat immer wieder Veränderungen bewirkt. Auch heute treffe ich natürlich Kolleg*innen, die gerne und gut und professionell pflegen, die sich engagieren und ihren Beruf mit Stolz ausüben. Ich habe Einrichtungen kennengelernt, in denen ganze Teams bereits erfolgreich einen Wandel bewirken. Einige dieser Ideen werde ich Ihnen später (Kap. 5.4) vorstellen. Es gibt ihn also, den Lichtblick – und es gibt das dazugehörende »Aber«.

Die Profession Pflege hat sich längst vom dienenden Assistenzberuf und barmherziger Opferbereitschaft befreit. In vielen Ländern der Welt arbeiten Pflegekräfte bereits seit einiger Zeit auf Augenhöhe mit der Profession der Ärzte. Das gilt leider nicht unbedingt für Deutschland. Tatsächlich unterscheiden wir uns in der Pflege von vielen anderen Ländern, wenn es darum geht, wie viel pflegefachliches Wissen wir tatsächlich anwenden und beratend weitergeben können. Insbesondere die deutsche Altenpflege funktioniert nach einem ganz eigenen Regelwerk …

Übung

»Denke ich an die Altenpflege …«

Stellen Sie sich doch einmal die folgenden Fragen:

• Wenn Sie an die Altenpflege denken, an Ihre Erfahrungen in Pflegeheimen – was kommt Ihnen in den Sinn?

• Wie lange gibt es die professionelle Altenpflege schon – haben Sie eine Idee?

• Woher kommt eigentlich die gesellschaftliche Überzeugung, dass »jeder« pflegen kann?

• Haben Sie sich schon mal überlegt, wie Sie selbst »alt« werden wollen?

Bezogen auf die alternde Gesellschaft in Deutschland ist es längst nicht mehr »fünf vor zwölf«, sondern eher schon »viertel nach drei«. Es stellen sich drängende Fragen:

• Wenn alle über den demografischen Wandel und die Versorgungslücken in der Altenpflege Bescheid wissen, warum geschieht so wenig, um den Beruf zu stärken und ihn der Krankenpflege gleich zu stellen?

• Wieso gibt es eine generalistische Ausbildung, die die Altenpflege sträflich vernachlässigt?

• Wieso verdienen Altenpflegekräfte immer noch weniger als ihre Kolleg*innen aus der Krankenpflege?

1.2Die Altenpflege – »eine ziemlich junge Profession«

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland faktisch keine professionelle Altenpflege. Wer alt wurde, musste sich darauf verlassen, dass seine Familie sich um ihn kümmerte. War das nicht möglich, so blieben noch wohltätige Stiftungen wie die Heilig-Geist-Stifte. Sie entstanden im Mittelalter, um Pilgern eine Heimat in der Fremde zu geben. Diese Stifte waren aber auch für alte Menschen ohne Angehörige eine Möglichkeit, im Alter zu überleben. Wer Geld hatte, sicherte sich bereits in guten Zeiten einen Platz. Wer das nicht konnte, musste auf die Barmherzigkeit der anderen hoffen.

Aus manchem dieser Stifte wurde im Laufe der Jahrhunderte eine Art Altenheim: mit strengem Regelwerk und der »Verwahrung« der Menschen als Ziel. Viel mehr war nicht möglich und niemand wagte es, überhaupt mehr zu fordern. Die meisten älteren Menschen konnten dann auch bei ihren Familien bleiben, nur wenige lebten allein. Das änderte sich massiv mit dem Zweiten Weltkrieg. Viele ältere Menschen blieben allein zurück, der Wohnraum in den zerstörten Städten war knapp. Heime waren die letzte Lösung. Ob älterer Kriegsflüchtling oder alleinstehende Witwe – Heime konnten hier auffangen und so entstanden Anfang der 1950er Jahre in vielen Städten neue Altenheime. Fachpersonal gab es nicht. Hauptsache, die eingesetzten Kräfte waren weiblich und damit – in der damaligen Meinung – gut geeignet für die Pflege älterer Menschen.

In vielen Heimen arbeiteten Ordensfrauen, doch von diesen gab es nicht genug. Außerdem kamen da noch diese neuen Ideen aus den USA: Altenpflege ist nicht nur Verwahren, sondern auch Beschäftigung, Aktivierung, Anleitung! Amerikanische Ideen nach dem Zweiten Weltkrieg? Was wäre in Deutschland willkommener gewesen!

Es waren u. a. konfessionelle Einrichtungen, die in den 1950er Jahren mit den ersten Schulungen zur Pflege älterer Menschen begannen. Statt ehrenamtliche Kräfte und unausgebildete Helfer*innen einzusetzen, startete eine Professionalisierung der Altenpflege. Von den ersten Schulungen führt der Weg zu richtigen Ausbildungsstätten für Altenpflegekräfte. Es ging nicht mehr nur um »Fürsorge«, sondern um »stationäre Altenhilfe«. Das Heim als totale Institution wurde zunehmend hinterfragt, die Fachkompetenz der Pflegekräfte wuchs.

So begründete Gerhard Schröder (CDU) als damaliger Bundesinnenminister in seiner Lesung zum Gesetzesentwurf des Bundessozialhilfegesetzes die Notwendigkeit des Gesetzes darin, dass »unser Land ein Sozialer Rechtsstaat im Sinne des Grundgesetzes sei, der als solcher an der Not Ihrer Bürger nicht vorbeigehen dürfe. Die Sozialhilfe sollte es den Hilfeempfängern möglich machen, ein Leben zu führen, welches der Würde des Menschen entspricht.«8

Nach der Einführung des Bundessozialhilfegesetzes im Jahr 1961 war die Finanzierungsgrundlage sogar bis in die 1990er Jahre für die Altenpflege in Westdeutschland geschaffen, die das vorherige Fürsorgerecht ablöste.

Die Erkenntnis, ältere Menschen nicht mehr in Heimen buchstäblich zu »verwahren«, sondern Prinzipien der offenen Altenhilfe zu entwickeln, war im Übrigen auch im »Kleinen« schon erkennbar. Während das »Essen auf Rädern« bereits 1943 in England seinen Anfang fand, wurde es in Deutschland erstmalig 1961 in Berlin beschrieben.

Mit der Entstehung der »Sozialstationen« Ende der 1960er Jahre beschäftigte sich die Gesellschaft zunehmend mit dem Prinzip »daheim vor stationär« und ersten Ideen zum Teilhabeprinzip der immer älter werdenden Generationen und den neuen Anforderungen, diesem bisher nicht dagewesenen »Lebensabschnitt« gerecht zu werden. Seit dieser Zeit formieren sich politische Diskussionen zur Finanzierbarkeit von ambulanter und stationärer Altenpflege in die unterschiedlichsten Richtungen.

1968 erschien die erste Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, erste Altenpflegeschulen entstanden. 1974 gründete sich der »Deutsche Berufsverband für Altenpflege (DBVA)«. Zum ersten Mal erhielten damit die Altenpflegekräfte eine Möglichkeit, sich für die Belange ihrer Profession einzusetzen.

Abb. 1: Entwicklung der Profession »examinierte Altenpflegefachkraft«.

Aber Wandel braucht Zeit: Es dauerte fast 30 Jahre, bis das Altenpflegegesetz in Kraft trat. Knapp 17 Jahre existierte das Gesetz, gab es examinierte Altenpflegefachkräfte, dann erfolgte die nächste Reform: Seit dem 1. Januar 2020 wird nun generalistisch ausgebildet. Am Schluss der Ausbildung steht die Berufsbezeichnung Pflegefachfrau/-fachmann. Spezialisierungen wie Altenpflege oder Kinderkrankenpflege müssen nach der gemeinsamen Grundausbildung zusätzlich erworben werden.

Pflegende Angehörige und Pflegekräfte beschweren sich zu Recht leider auch schon über ein Zeitfenster von Jahrzehnten über immer konstante Fragestellungen nach bezahlbarer, guter und würdevoller Pflege im Alter. Dies eben auch unter dem Aspekt, dass das die Möglichkeit der Menschen das »hohe Alter zu erreichen« historisch betrachtet ebenso »neu« ist – und eben durch den Fortschritt unserer Medizin unter dem ethischen Gesichtspunkt teilweise auch durchaus kritisch zu hinterfragen ist.

Die Grafik (Abb. 1) verdeutlicht die Ausrichtung der deutschen Professionalisierung im Bereich der Altenpflege einerseits sowie die kritisch zu hinterfragende Beschränkung im Rahmen der generalistischen Ausbildung nach nur 17 Jahren Bestand der examinierten Altenpflege andererseits.

1.2.1… die dringend gebraucht wird

Es hat 50 Jahre gedauert, bis aus barmherzigen Helfer*innen examinierte Altenpflegefachkräfte wurden. Aus Verwahranstalten wurden Einrichtungen der stationären Altenhilfe, die aktivieren, begleiten, anleiten und das Leben im Alter als eine erlebenswerte Phase umdeuten. Dieser Wandel endet nie. Machen Sie sich den Wert der professionellen und individuellen Altenpflege – Ihrer Profession – wieder bewusst. Sie sind wichtig! Sie werden gebraucht! Werfen wir einen Blick auf ein paar Fakten (Tab. 1):

Tab. 1: Pflegebedürftige in Deutschland

Jahr

2001

2011

2021

Prognose 2035

Prognose 2070

Pflegebedürftige

2,04 Mio

2,5 Mio

5,0 Mio Davon 4,2 Mio zuhause

ca. 5,6 Mio

ca. 6,8 Mio

Verhältnis Zuhause/Stationär

70 %30 %

70 %30 %

84 %16 %

Pflegeheime

9.200

12.400

16.100

Beschäftigte in stationären Pflegeheimen

475.368

661.179

814.042 davon 63 %in Teilzeit

Ambulante Pflegedienste

10.594

12.349

15.376

Beschäftigte in Ambulanten Pflegediensten

442.900 davon 68 %in Teilzeit

* Statstsches Bundesamt 2023

Die Versorgungslücke klafft bereits jetzt. Pflege wird sowohl ambulant, teil- als auch vollstationär immer unbezahlbarer. Tatsächlich werden erhebliche Qualitätsverluste billigend in Kauf genommen. Allzu bereitwillig akzeptieren viele Pflegekräfte die Deprofessionalisierung ihrer Profession auf allen Ebenen.

1.2.2… und zwar weltweit

Die Politik scheint nur eine Lösung zu kennen: die Werbetour durch Drittländer, um Pflegekräfte für die Arbeit in Deutschland zu gewinnen. Mit verheerenden Folgen für die Herkunftsländer.

BeispielAlbanische Realität

Absolut sehenswert ist hier ein Bericht von arte mit dem Titel »Re: Albaniens letzte Pfleger« (https://youtu.be/WCVX6VYiuJs). Deutsche Krankenhäuser bieten dem Pflegenachwuchs in Albanien ein besseres Leben. Die Entlohnung ist besser, Sprachkurse werden bezahlt, lukrative Arbeitsverträge gibt es nach bestandener Prüfung.

Im Arte-Bericht wird ein Pflegefachmann porträtiert, der sich täglich zu Fuß stunden- und kilometerlang über Berg und Tal, Stock und Stein zu seinen Patienten begibt. 460 Euro monatlich beträgt sein Verdienst. Dafür pflegt er so professionell wie nur möglich. Eine bunte Mischung aus Behandlungspflege, Prävention, Beratung, jeder Menge Individualität und vor allem Menschlichkeit, die ihn auszeichnet. Spürbar ist die Dankbarkeit der Angehörigen, bei denen die Pflegebedürftigen leben. Und das verlockende Angebot aus Deutschland? Ausgeschlagen! Ein Verlassen seines Landes kommt für den Pflegefachmann und seine Familie nicht in Frage. Doch andere berichten, dass ihre Kinder das Land verlassen – für ein besseres Leben in Deutschland – obwohl sie so dringend in ihrem eigenen Land benötigt werden.

Wer wird die dann in Albanien zurückgelassenen Eltern bei Pflegebedürftigkeit versorgen? Gegen Ende der Arte-Dokumentation macht sich der Pflegefachmann dann doch noch bereit: Er will sich als Wanderführer etwas dazuzuverdienen – denn, so sagt er, seine Gegend sei ein beliebtes Wanderziel- auch für deutsche Touristen.

Aus meiner Sicht ist die Anwerbung aus Drittländern definitiv nicht der richtige Weg. Ausländische Fachkräfte, die häufig ein mehrjähriges Pflegestudium hinter sich haben, werden mit unserer derzeitigen Pflegesituation konfrontiert. Ihr hohes Fachwissen? In Deutschland nicht gefragt. Durchführung ärztlicher Tätigkeiten? In Deutschland derzeit vergleichbar nicht möglich.

Echte Werbung für den Beruf der Altenpflege kann nur durch einen gemeinsamen Veränderungswillen erfolgen. Sinnvolle Kampagnen können doch nur wir Pflegekräfte selbst richtungsweisend initiieren, um unseren Beruf selbst wieder »attraktiv« und »ehrlich« auszuüben und damit auch trotz aller Widrigkeiten Nachwuchs zu gewinnen. Oder möchten Sie weiterhin von Kampagnen der Bundesregierung wie den »Ehrenpflega« aus dem Familienministerium im Jahr 2020, oder etwa aus 2023 »Pflege kann was«, lesen?

Der demografische Wandel, kombiniert mit dem längst vorhandenen »Pflegekollaps«, indem wir uns gefühlt schon eine Ewigkeit befinden, ist eine »toxische Mischung«. Nicht zu vergessen die Pandemie, die sicher das ein- oder andere transparenter gemacht hat.

Wir alle können es nicht oft genug wiederholen: Die Fakten sind bekannt. Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Geburtenrate sinkt. Immer weniger junge Menschen sollen die stetig steigende Anzahl von Senior*innen mit wenig oder viel Pflegebedarf in unterschiedlichster Ausprägung zuhause, teil- oder vollstationär versorgen. Unter oft als unerträglich beschriebenen Arbeitsbedingungen. Berufsfremde Akteure quer durch alle politischen und wissenschaftlich orientierten Lager haben immer neue Ideen, um die Lücken zu stopfen. Was sie nicht tun: echte und nachhaltige Pflegereformen abseits der lobbyistisch geführten Interessen durchzusetzen.