Always in Love - Emma Winter - E-Book
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Always in Love E-Book

Emma Winter

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Beschreibung

Sie trennen Welten, aber der Liebe ist das egal ... Nach allem, was Ben und Sasha zusammen durchgemacht haben, glaubt Sasha eines ganz sicher zu wissen: Sie sind füreinander bestimmt. Doch können sie je zusammen sein? Denn gerade, als sie gemeinsam ihr Studium in Yale beginnen wollen, passiert das Unvorstellbare: Bens Vater erkrankt schwer. Statt wie erträumt Journalismus zu studieren, muss Ben nun von einem Tag auf den anderen das Familienunternehmen übernehmen. Doch unter dem Druck der neuen Herausforderung verändert er sich zunehmend. Nichts erinnert mehr an den jungen Mann mit den großen Träumen, der die Welt verbessern wollte und dem der ganze Luxus, mit dem er aufwuchs, nichts bedeutete. Und mit einem Mal muss sich Sasha fragen, ob die Welten, aus denen sie beide stammen, nicht doch zu unterschiedlich sind.

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Seitenzahl: 447

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Always in Love

Die Autorin

EMMA WINTER, geboren 1984, wuchs in der Nähe von Köln auf und studierte Germanistik und Englische Literatur, bevor sie in einer PR- und Werbe-Agentur arbeitete. Mittlerweile lebt sie in Berlin und schreibt für ihr Leben gern.

Das Buch

Nach allem, was Ben und Sasha zusammen durchgemacht haben, glaubt Sasha eines ganz sicher zu wissen: Sie sind füreinander bestimmt. Doch eine schwere Lüge lässt Sasha plötzlich zweifeln. Aus Wut begeht sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens. Jetzt will sie vor allem eins, Ben zurückgewinnen, und das um jeden Preis. Aber Ben von ihrer Liebe zu überzeugen, klappt nur, wenn Sasha endlich selbst vollkommen zu ihren Gefühlen steht, und das ist schwerer als gedacht. Und dann drängt sich Bens Familie erneut zwischen sie, und Sasha muss sich fragen, ob die Welten, aus denen sie beide stammen, nicht doch zu unterschiedlich sind. Reicht ihre Liebe, um alle Hindernisse zu überwinden?

Emma Winter

Always in Love

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlagder Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAugust 2020

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-539-5

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Danksagung

Leseprobe: Lovely Mistake

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Playlist

Motto

ALWAYS FOLLOW YOUR HEART

Playlist

Temple Of Utopia – Sad and CalmExcessum – Rage UnrestrainedMilky Chance – Don’t Let Me DownGracie Abrams – StayDekker – This Here IslandPhosphorescent – WolvesSia – UnstoppableVampire Weekend – This Is LifeScouting for Girls – HeartbeatSnow Patrol – Chasing CarsLCD Soundsystem – I Can ChangeAdele – Make You Feel My LoveRakefire – UnstoppableTaylor Swift – LoverPharrell Williams – HappyDavid Bowie – Starman

Kapitel 1

Sasha

Seine Worte lösen Schmerzen aus. Ein Schmerz, der mich innerlich zerreißt. Mein Kopf ist leer, als hätte jemand die Pausetaste gedrückt und jeden Gedanken angehalten, damit er sich ungehindert ausbreiten kann. Wie betäubt blicke ich dem Angestellten der Yale-Verwaltung hinterher. Ein unscheinbarer Mann Mitte vierzig, der gerade das letzte Gute, das es in meinem Leben noch gab, mit einem Satz zunichtegemacht hat. Zerknüllt, zertrampelt, zerstört. »Bis elf müssen Sie den Campus verlassen«, hallt es in mir wider. »Sie haben drei Wochen Zeit, den entstandenen Schaden in Höhe von 10.000 Dollar zu begleichen.« In meinen Ohren beginnt es zu rauschen, als ich auf das Blatt Papier starre, das er mir in die Hand gedrückt hat. Zahlungsaufforderung steht in der rechten oberen Ecke. Zwanzig zerstörerische Buchstaben. Mechanisch drehe ich mich um und schließe die Tür hinter mir. Mein Mund ist trocken und unter das dumpfe Geräusch in meinem Kopf mischt sich ein fieses Stechen. Als mein Blick auf das Bett fällt, erstarre ich. Da liegt jemand. Elliot. Der Typ aus meiner Anatomievorlesung. Und plötzlich werden die Bilder von gestern Nacht vor meinen Augen wieder lebendig. Elliot und ich in einem Pub. Gin, viel Gin. Wir tanzen, eng umschlungen. Wir küssen uns. Auf der Tanzfläche, in der Ecke auf einer Bank, seine Hand unter meinem Top. Irgendwann sind wir auf dem Weg zurück zum Campus. Ein harter Schnitt: ich übergebe mich in die Büsche. Elliot kauft mir ein Wasser, begleitet mich zu meinem Zimmer. Den Arm fest um mich geschlungen, mein Kopf liegt an seiner Schulter. Laut stöhne ich auf und lasse mich auf den Sessel fallen. Was zum Teufel habe ich gemacht? Bin ich wirklich mit Elliot abgestürzt? Wie konnte mir das passieren? Wieder sehe ich Carolin vor mir stehen, schwanger und mit einem siegesgewissen Lächeln, um ihren Hals das Mui-Mui-Tuch, das ich in Bens Wagen gesehen habe. Die Erinnerung trifft mich eiskalt: Ben hat mich betrogen, mit seiner Ex. Und sie erwartet ein Kind von ihm. Alles in mir zieht sich zusammen und mir wird schwarz vor Augen. Ich habe ihn verloren. Von Anfang an war unsere Beziehung eine einzige Lüge. Die Liebe, an die ich geglaubt habe, hat niemals existiert. Genauso wenig wie meine Chance, in Yale zu studieren, die Einladung zu den Vorbereitungskursen war gar nicht echt. Ich bin einfach nicht gut genug. Weder für die Liebe noch für Yale. Oder warum sonst sollte sich mein Leben innerhalb von vierundzwanzig Stunden in einen Horrorfilm in Endlosschleife verwandelt haben?

»Hey, alles in Ordnung?« Elliot ist aufgewacht und schaut mich fragend an. Beiläufig registriere ich, dass er ein T-Shirt trägt. Na immerhin, denke ich und wühle in meinem Gehirn nach Details. Dann fällt mein Blick auf die am Boden verstreuten Kondome. Ich schnappe panisch nach Luft, wir haben doch nicht etwa miteinander geschlafen? Allein beim Gedanken daran wird mir schwindelig. Wie kann ich das nicht wissen? Für mich ist Sex immer etwas Besonderes gewesen, etwas, das Gefühle voraussetzt und Vertrauen. Die Sasha, die ich kenne, wäre nie einfach so mit einem Quasifremden abgestürzt. Und auf einmal fühle ich mich ganz allein, nicht nur Ben, sondern auch ich bin mir gestern Nacht verloren gegangen. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und ich schüttele mich.

»Geht es dir immer noch nicht besser?«, fragt Elliot und setzt sich auf. Er trägt Boxershorts, aber was heißt das schon?

»Nein.« Meine Stimme klingt hohl, als hätte ich sie jahrelang nicht benutzt.

Im Gegenteil, heute fühlt sich alles noch viel schlimmer an. Das dumpfe, wattige Gefühl des Schocks ist weg, und jetzt ist da nur noch klare, kalte Realität. Ich hab keine Ahnung, wie ich mit dem Schmerz umgehen soll, der wie wild in mir tobt und mein Herz immer wieder von Neuem in kleine Stücke reißt, oder diesem Gefühl von Scham, das mich immer wieder zusammenzucken lässt.

»Du warst gestern ziemlich sauer auf deinen Freund«, unterbricht Elliot das Chaos in mir.

Sauer ist der falsche Ausdruck. Es gibt einfach kein Wort für das, was ich fühle. Er hat alles, woran ich bisher geglaubt habe, zerstört. Das Vertrauen darauf, dass ich spüre, ob jemand ehrlich zu mir ist. Den Mut, mich zu öffnen und auf Gefühle einzulassen, meinen Glauben an die Liebe. Ben hat mich zerstört. Ich habe die Kontrolle über mich verloren und tue Dinge, die ich früher niemals getan hätte. Und ich verachte mich selbst dafür, weil ich nie so sein wollte.

»Wenn du nicht reden möchtest …«, höre ich Elliots Stimme wie aus unendlicher Ferne.

Ich nehme all meinen Mut zusammen, schaue ihn an und mache eine vage Bewegung Richtung Bett. Ich fühle mich so unendlich elend. Wie erbärmlich ist es, ihn fragen zu müssen, ob wir Sex hatten?

Elliot lächelt mich an, nichts deutet darauf hin, dass er mich peinlich findet. »Nachdem ich dir unter die Dusche geholfen habe, keine Angst, ich hab die Augen zugemacht, habe ich dich ins Bett gebracht. Du warst so blass, dass ich Angst hatte, dich alleine zu lassen, nicht, dass du das Bewusstsein verlierst. Und dann …«

Die Hitze steigt mir in die Wangen. Ganz langsam kommen die Erinnerungen wieder. Elliot, der neben mir sitzt, mir ein Mars und ein Glas Wasser hinhält. Als ich ins Mars beiße, fange ich an zu weinen. Elliot nimmt mich in den Arm und tröstet mich. »Eigentlich sollte jetzt mein Freund hier sein«, heule ich an seiner Schulter. Ohne hochzuschauen, öffne ich die Schublade meines Nachttischs und taste nach Taschentüchern. Doch stattdessen habe ich die Kondome in der Hand. Gekauft für Ben und mich, gekauft in der Erwartung auf zwei wunderschöne Wochen, in denen wir alle Zeit der Welt haben, zusammen zu sein, uns zu entdecken und uns zu lieben. Gekauft im Glauben an eine große Lüge. Blind vor Wut zerre ich die Packung raus, reiße sie auf und werfe die einzelnen Tütchen wütend im Zimmer rum. Verdammt, Ben. Wer bist du überhaupt? Habe ich dich je wirklich gekannt? Wie kannst du mir alle diese lieben Worte sagen, wie kannst du mich so küssen, berühren, lieben, wenn du gleichzeitig eine andere hast? Eine Frau, die du dein Leben lang kennst. Was war dann ich für dich? Eine nette Ablenkung, weil ich so anders bin?

Als ich jetzt auf die im Zimmer verstreuten Kondome blicke, spüre ich wieder diese wahnsinnige Wut, die gestern durch meinen Körper pulsiert ist. Elliot hat nichts gesagt, sondern hat mich einfach nur in den Arm genommen. Irgendwann hat sich meine Wut in Tränen verwandelt und ich habe geweint. Geweint, bis ich nicht mehr konnte, geweint bis zur Erschöpfung. Danach muss ich eingeschlafen sein.

Offensichtlich hatten wir also keinen Sex. Ich kicke die leere Kondompackung zur Seite, der ganze Frust von gestern ist immer noch da. »Fuck.« Dann verberge ich mein Gesicht in den Händen und murmele: »Mein Freund war wohl zu blöd, um zu verhüten, als er mich betrogen hat. Sie ist … ich weiß es seit gestern, ich …« Ich kann nicht mehr weitersprechen. Erneut fluten Tränen meine Stimme und meine Gedanken.

Ich spüre Elliots Hand auf meiner Schulter. Ein hilfloses Klopfen. »Dein Freund hat eine andere geschwängert?«

»Ja.« Ich klinge so schrill, dass es mir in den Ohren schmerzt. Mein Blick fällt auf die Uhr an meinem Bett. 10:40 und ich zucke zusammen. Ich habe noch zwanzig Minuten Zeit, den Campus zu verlassen. Ich muss mich jetzt zusammenreißen, wer weiß, was noch passiert, wenn ich mich verspäte. Es kostet mich unglaubliche Kraft, mich zu erheben. Ich versuche den Schmerz wegzuschieben, alle Gedanken und Gefühle auszuschalten, wie damals in den ersten Tagen nach Dads Tod, wo ich einfach weitermachen musste, um mich nicht in der Trauer zu verlieren. »Du musst jetzt funktionieren«, hämmert es in meinem Kopf. Vor allem aber muss ich allein sein, unbeobachtet, ein weiteres nettes Wort von Elliot und ich breche zusammen. So wird es mir niemals gelingen, hier rauszukommen.

»Elliot, es tut mir leid, aber ich brauche jetzt Zeit. Danke, dass du bei mir warst und dass du … die Situation nicht ausgenutzt hast.«

Er lächelt mich an. »Auch wenn du gestern ziemlich schräg drauf warst, ich mochte unsere Gespräche. Du bist echt cool, Sasha. Und dein … Ex ist der größte Vollidiot, den ich mir vorstellen kann.«

Er angelt nach seiner Jeans. Dann geht er zu meinem Schreibtisch und kritzelt etwas auf einen Zettel. »Hier. Ich weiß nicht, wie es bei dir jetzt weitergeht, aber ich würde mich freuen, wenn du dich bei mir meldest. Egal wann.«

Als die Tür hinter ihm zufällt, schließe ich für einen Moment die Augen. Sofort sind da wieder die Bilder von gestern Nacht. Seine Lippen auf meiner Haut. »Jetzt bist du nicht der Einzige, der betrogen hat, Ben«, murmele ich und fühle mich im selben Moment schrecklich. Was für billige Rachegedanken. Auch wenn Ben es mehr als verdient hat, so will ich nicht sein. Niemals! Als ich die Augen wieder öffne, bin ich unendlich enttäuscht von mir.

Wie ferngesteuert packe ich meine Sachen zusammen. Mein Rucksack hängt mir schwer auf der Schulter, als ich mich eine Viertelstunde später die Treppe hinunterquäle. Achtundvierzig Stunden Yale. Eine erbärmliche Karriere. Auch das hat Ben mir genommen. Wer sonst sollte hinter dem gefälschten Einladungsschreiben stecken? Aber warum? Welches Scheißspiel hat er sich dabei ausgedacht?

Als ich endlich in der großen Eingangshalle des Wohnheims ankomme, bin ich schweißgebadet. Meine Locken stehen wild vom Kopf ab, ich muss fürchterlich aussehen. Aber das ist jetzt auch egal. Kurz schließe ich die Augen und hole tief Luft. Bloß nicht nachdenken. Bloß nicht zurückgucken. Und gerade als ich die schwere Eingangstür aus dunklem Eichenholz öffnen will, wird sie von außen aufgedrückt. Das helle Tageslicht sticht mir in die Augen und ich muss blinzeln. Dann sehe ich ihn: Ben. Er steht einfach so vor mir, als wäre die Welt um uns nicht in tausend Teile zersprungen. Ich erstarre. Was zum Teufel macht er hier? Sein Anblick gibt mir den Rest, es ist, als hätte das Universum zu schreien begonnen. In mir breitet sich ein metallischer, schriller Ton aus. Lichtreflexe flirren vor meinen Augen und mir wird schwindelig. Meine Knie geben nach, sofort legt Ben seinen Arm um meine Schultern.

»Ich habe dich überall gesucht«, sagt er atemlos. »Ich habe mir voll Sorgen gemacht. Was ist denn los? Wir waren doch verabredet, warum bist du nicht ans Telefon gegangen?«

Ich starre ihn an, kann es wirklich sein, dass er noch nicht weiß, dass ich Carolin getroffen habe? Unmöglich! Sie wird ihm doch sofort freudestrahlend berichtet haben, dass sie mich aus dem Feld geräumt hat. Bei dem Gedanken daran, wie die beiden über mich reden, überkommt mich ein Gefühl des Ekels, ich kann keine Sekunde länger seine Nähe ertragen. Mit letzter Kraft schüttele ich seinen Arm ab und gehe einfach weiter.

»Sasha, sag mir jetzt bitte, was los ist!«

Verdammt, glaubt er wirklich, ich sei so naiv, ihm seine Besorgnis und Ahnungslosigkeit abzunehmen? Denkt er allen Ernstes, ich falle auf seine Samtstimme und diesen Blick noch einmal herein?

»Willst du mich verarschen? Du hast Carolin geschwängert und fragst mich, was los ist?«

Ben starrt mich an, dann prustet er los. Lacht, lacht so laut, dass er sich verschluckt. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht damit. Seine Augen blitzen, das Grün funkelt mich lustig an, warm und vertraut. Liebevoll. Und für einen kurzen Moment mischt sich unter das schrille Surren in meinem Kopf sein Lachen. Ein schöner Ton, weich und tröstend. Ich darf mich nicht von diesem Lachen einlullen lassen. Von den Erinnerungen an uns, wie wir zusammen rumalbern, über den Strand spazieren, uns unsere Vergangenheit erzählen, und Ben, der über meine Beschreibung der vierjährigen Sasha, die all ihre Stofftiere verarztet, lacht … Heiße Tränen steigen mir in die Augen. Er hat Carolin geschwängert, brüllt es in mir. Er hat dich betrogen und glaubt, es mit einem Lachen wegwischen zu können!

»Hör verdammt noch mal auf zu lachen!«, schreie ich ihn an. »Du hast mich belogen. Von Anfang an!« Meine Stimme überschlägt sich und ich schluchze auf.

Ben starrt mich fassungslos an. »Du meinst das doch jetzt nicht wirklich ernst …«

Seine Worte hängen in der Luft und nehmen mir den Atem. In meinem Kopf tost es, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Kapitel 2

Ben

Neben der riesigen Eichentür wirkt Sasha unfassbar zerbrechlich. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich den Impuls, sie in den Arm zu nehmen, sie zu beschwören, dass alles gut ist, dann kommen die Informationen bei mir an und explodieren mit voller Wucht in meinem Kopf. Ein stechender Schmerz durchfährt mich, und ich zucke zurück, als hätte ich einen Stromschlag bekommen. Sie glaubt es wirklich. Sie denkt ernsthaft, ich hätte sie betrogen und meine Ex geschwängert! Sasha steht gerade wirklich vor mir und stellt unsere Beziehung infrage, meine Liebe zu ihr. Nach allem, was zwischen uns passiert ist. Nach den ganzen Problemen, die wir gemeinsam überwunden haben, wirft sie mir so etwas Absurdes vor. Das kann doch nicht wahr sein. Ich starre sie eine gefühlte Ewigkeit fassungslos an. Nach und nach mischt sich ein bitteres Gefühl unter die Gedanken, die sich in meinem Kopf eben noch überschlagen haben: Enttäuschung, abgrundtiefe Enttäuschung. Alles an ihr ist mir vertraut, ihre Augen, der volle Mund, die wilden Locken. Doch jetzt glaube ich, einer Fremden gegenüberzustehen. Nur, dass eine Fremde mich niemals derart verletzen könnte. Ich habe mich ihr geöffnet, ich habe sie so nah an mich herangelassen wie zuvor noch keinen Menschen. Und sie glaubt einer billigen Lüge? Ohne es zu hinterfragen, ohne mit mir zu reden?

»Bist du eigentlich völlig irre?«, brülle ich. Sasha zuckt so heftig zurück, dass ihr beinah der Rucksack von der Schulter gefallen wäre. Hinter ihr taucht ein Mädchen in grauem Yale-Kapuzenpulli auf und guckt uns mit einer Mischung aus Müdigkeit und Neugier an.

»Los, komm«, zische ich. »Das müssen wir ja nicht vor allen Leuten klären.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, nehme ich Sashas Koffer und hieve ihn die Treppenstufen auf den Kiesweg hinunter. Warum zum Teufel hat sie den dabei? Sie will doch nicht wirklich …?

»Gib mir sofort meinen Koffer wieder, ich muss weg.«

Ich stelle mich ihr in den Weg. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du jetzt einfach so abhauen kannst!«, knurre ich. »Du schuldest mir eine Erklärung.«

Aus blitzenden Augen sieht sie mich an, sie ist weiß vor Zorn und bebt am ganzen Körper. Ihre Haare sind lockiger als sonst und zu einem hastigen Knoten zusammengefasst. Sie hat tiefe Augenringe und sieht aus, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.

»Einfach abhauen?«, fragt sie und lacht höhnisch auf. »Sehr witzig. Ich bin rausgeflogen. Weil die Einladung ungültig ist. Reicht es nicht, dass mir Carolin ihren Babybauch präsentiert? Musstest du mir auch noch Yale versauen?«

Es dauert einen Moment, bis ich begreife, was sie da sagt. Carolins Babybauch? Fuck. Was hat ihr meine Ex erzählt, dass sie so austickt? Carolin ist einfach megadurchgeknallt, ihr ist echt alles zuzutrauen.

»Gib dir keine Mühe, Ben«, unterbricht Sasha die Panik in meinem Kopf. »Du musst mir nichts erklären. Für mich existierst du nicht mehr. Ich wünschte, wir hätten uns nie getroffen. Ich wünschte, ich hätte dich nie geliebt, ich wünschte, ich hätte nie etwas von deinem erbärmlichen Leben mitbekommen und wäre nie Teil dieser Welt aus Lügen und Intrigen geworden. Alles, was ich über Enttäuschung weiß, habe ich von dir gelernt. Mit dir kann ich nur eins: verlieren.«

Ich bin so gelähmt von dem Zorn und dem Hass, die aus ihren Worten sprechen, dass es ihr gelingt, mir den Koffer aus der Hand zu reißen. Aber eine Sekunde später bin ich wieder neben ihr und halte sie fest.

Sasha fährt herum. »Lass mich sofort los, oder ich schreie. Ich schreie den ganzen Campus zusammen. Mir ist alles egal.«

Blinde Wut flackert in ihren Augen, und ich lockere meinen Griff. »Sasha, bitte hör mir zu. Egal, was Carolin dir erzählt hat, es ist gelogen. Ich liebe dich über alles und würde dich niemals betrügen. Bitte, du musst mir glauben!« Beschwörend schaue ich sie an.

»Lass mich los. Ich hasse dich.« Ihre Worte treffen mich mitten ins Herz. Für einen Augenblick bleibt die Welt stehen, mein Atem, alles. Das ist ein einziger Albtraum. Wie sind wir in diese Situation geraten? Es ist, als würde zwischen uns keine Verbindung mehr bestehen, als wären meine Worte für sie unverständlich. Als würde ich eine andere Sprache sprechen.

»Wieso glaubst du ihr und nicht mir?«, presse ich hervor.

Sasha schüttelt so heftig den Kopf, dass sich eine weitere Strähne aus ihrem Zopf löst und sich über ihr Gesicht legt. »Weil ich weiß, dass du mich die ganze Zeit mit ihr betrogen hast. Wie konnte ich nur so blöd sein, dir damals nach der Weihnachtsfeier zu glauben, dass da nichts war zwischen euch? Verdammt, sie kam aus deinem Bad. Nackt!« Sashas Gesicht verzerrt sich zu einer Grimasse. »Aber jetzt weiß ich es. Sie trägt das Tuch, Ben. Das Tuch, das ich in deinem Auto gefunden habe. Und du hast mir einfach knallhart ins Gesicht gelogen und behauptet, es würde deiner Tante gehören.« Auf einmal fängt ihr Körper an zu zittern, kurz steht Panik in ihrem Blick, dann sackt sie zusammen.

Sofort bin ich über ihr, nehme sie auf den Arm, rufe um Hilfe. Zwei Typen kommen auf uns zu und weisen mir den Weg zur Krankenstation, der eine von ihnen zieht Sashas Koffer.

Als ich auf ihr blasses Gesicht runtergucke, ist mit einem Mal alle Wut verflogen. Sie tut mir einfach nur leid, ihr Ausdruck ist schmerzverzerrt, tiefe Ringe liegen unter ihren Augen, sie muss eine furchtbare Nacht hinter sich haben. Wer weiß, mit welchen Gedanken und Bildern sie sich rumgeschlagen hat. Ich kenne meine Ex, sie kann eiskalt sein, brutal und rücksichtslos. Und offensichtlich war sie sehr überzeugend. Obwohl ich mir immer noch nicht vorstellen kann, was sie Sasha erzählt hat, damit sie ihr glaubt. Aber das ist jetzt nebensächlich, erst muss es ihr wieder gut gehen.

»Ich liebe dich, Sasha«, murmele ich, beschleunige meinen Schritt und eile auf das niedrige Backsteingebäude mit den hohen Sprossenfenstern zu. »Ich liebe dich und ich weiß, dass wir das alles wieder hinbekommen. Es ist nur wieder eine von Carolins hinterhältigen Intrigen.«

Als wir eintreten, eilt uns eine Krankenschwester entgegen.

»Na, was haben wir denn da? Gestern ein bisschen viel gefeiert?«

Ärgerlich schaue ich sie an. »Meine Freundin hat einen Schwächeanfall, aber ganz sicher nicht vom Feiern.«

»Aha.« Die Schwester schaut mich mit gerunzelter Stirn an. Tess steht auf ihrem Namensschild. Ein viel zu harmloser Name für solch einen Drachen. »Wenn Sie das sagen.«

Als ich Sasha auf eine der Liegen helfe, schlägt sie die Augen auf. »Wo bin ich? Ich will dich nie wieder sehen!«

Schwester Tess lacht auf. »Na, manchmal braucht man gar keine Muntermacher, manchmal hilft allein der Anblick des Freundes.«

»Er ist nicht mehr mein Freund«, faucht Sasha und richtet sich auf.

Langsam steigt ihr wieder Farbe ins Gesicht. Sie hat mir einen riesigen Schreck eingejagt.

»Nun, junge Dame, nicht ganz so krawallig«, sagt Tess lächelnd und greift nach dem Blutdruckmessgerät. »Was haben Sie denn gestern alles getrunken? Das sieht mir ziemlich nach Dehydrierung aus.«

»Ich sagte doch, dass meine Freundin keinen Alkohol –«

»Bestimmt fünf doppelte Gin«, unterbricht mich Sasha. »Und vielleicht drei Bier? Ich kann mich nicht mehr so erinnern …« Sie schaut zur Seite.

»Und heute Morgen?«

Sasha schüttelt den Kopf. »Nichts.«

»Gestern kein Wasser mehr?«

Hilflos zuckt Sasha mit den Schultern. »Doch, nachdem ich mich übergeben habe, aber mir ist sofort wieder schlecht geworden.«

Ich starre sie an. Sie hat sich gestern betrunken?

»Mädchen, Mädchen, Mädchen, der typische Fehler. Ich spritze Ihnen was gegen die Dehydration und Übelkeit, danach sollten Sie ein paar Stunden schlafen. Am besten passt Ihr … Freund auf, dass Sie nicht wieder umkippen!«

»Ich kann nicht, ich bin vom Campus verwiesen worden, ich …«

»Blödsinn, aus meiner Krankenstation verweise nur ich. Sie bleiben hier. Und dieser Mann ebenfalls. Wenn etwas ist, rufen Sie. Ich bin nebenan.« Nachdem sie Sasha eine Spritze gegeben und ein Ginger Ale auf den Nachttisch gestellt hat, rauscht sie aus dem Zimmer.

Ich schaue Sasha an, sie dreht sich zur Seite. Schweigend setze ich mich auf den Stuhl neben der Liege. Nach einer Viertelstunde breite ich die Decke, die am Fußende liegt, über ihr aus. Sie zuckt zusammen, aber lässt die Decke liegen. Meine Gedanken rasen, in meinem Kopf toben die Fragen, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, sie zu stellen. Sie ist wie ein aufgescheuchtes Reh, und ich muss erst einmal versuchen sie zu beruhigen. Eine halbe Stunde später lege ich meine Hand auf ihren Rücken. Auch das lässt sie zu. Vielleicht ist ja jetzt die Gelegenheit, um mit ihr zu sprechen, um sie davon zu überzeugen, dass alles ein grausames Missverständnis ist. Langsam beginne ich zu reden. »Nate hat mir gestern geschrieben, dass Carolin in Yale ist. Er hat schon vermutet, dass sie Ärger machen will. Nach dem Ball hat sie sich noch ein paarmal bei mir gemeldet, aber ich bin nie rangegangen. Ich glaube, sie will es mir so richtig heimzahlen. Seit ich mit ihr Schluss gemacht habe, hasst sie mich. Sie kann es nicht ertragen, dass etwas nicht nach ihrem Willen geht.«

Sasha reagiert nicht, aber immerhin stößt sie auch meine Hand nicht weg. Also spreche ich einfach weiter.

»Ich war ziemlich scheiße zu ihr damals. Ich wusste schon früher, dass ich mich trennen will, habe aber gewartet, bis sie in Australien war. Ich wollte einfach kein Drama. Und ja, das war ein Fehler und feige und jetzt bereue ich es total.«

Meine Finger wandern über Sashas Rücken und greifen nach ihrer Hand.

»Wirklich, ich habe nicht mit ihr geschlafen! Ich bin doch nicht wahnsinnig. Diese Frau ist Gift, die personifizierte Hölle. Selbst wenn ich dich nicht kennengelernt hätte, würde ich nie wieder was mit ihr anfangen.«

Ich hole tief Luft. Bilde ich mir das ein, oder hat Sasha sich gerade leicht bewegt?

»Ich weiß ja nicht, was genau passiert ist, Sasha. Aber Carolin traue ich alles zu, um mich zu verletzen. Offensichtlich wollte sie einen Keil zwischen uns treiben. Und das hat ja auch super geklappt. Aber nichts von dem, was sie sagt, ist wahr.«

Ich hole tief Luft, ich fühle mich so verdammt hilflos. Wie kann ich Sasha nur klarmachen, dass das alles nicht stimmt? Dann fällt mir das Foto ein, das ich gestern gesehen habe. Ich war übertrieben erleichtert, weil es zeigte, dass Carolin nicht in Yale war. Nicht mehr, wie ich jetzt weiß.

Hastig ziehe ich mein Handy raus und öffne Instagram. »Hier: ganz offensichtlich nicht schwanger.« Ich halte Sasha das Foto hin, das Carolins Bruder gestern gepostet hat. Carolin in knallengem Schlauchkleid, mit flachem Bauch und einer Flasche Champagner am Mund im Arm von einem extrem attraktiven Mittzwanziger vor der Skyline Manhattans auf irgendeiner Dachterrasse.

Jetzt erkenne ich auch das Tuch, von dem Sasha gesprochen hat. Das Tuch, das meine Tante lachend mit nach Cape Cod genommen hat. »Wetten, dass es die halbe Familie trägt«, hat sie zu mir gesagt, »das kommt davon, wenn Miu Miu kurz vorm Valentinstag ein Limited-Edition-Tuch rausbringt. Bestimmt hat es halb Boston.« Einfach ein dummer Zufall. Hat das wirklich gereicht, um Sasha an mir zweifeln zu lassen?

Ich weiß, wie brutal Carolins Attacken sein können. Aber trotzdem, dass sie mir so etwas zutraut, tut verdammt weh. Es tut so sehr weh, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. Und da ist sie wieder, diese bodenlose Enttäuschung. Niemals hätte ich geglaubt, dass Sasha mir das zutraut. Ich muss hart schlucken, mein Mund ist ganz trocken. In den letzten Monaten habe ich mich so sehr bemüht, mich zu öffnen, ihr alle Sicherheit zu geben, die sie verdient. Ich habe ihr gezeigt, wer ich wirklich bin, habe alle Schutzmauern runtergerissen. Oft war es leicht, weil ich mich bei ihr so geborgen gefühlt habe, aber manchmal musste ich mich überwinden, weil ich Angst hatte und bedingungsloses Vertrauen nicht gewohnt war. Aber ich habe mich überwunden, jedes Mal. Und wofür? Dafür, dass sie mich bei dem kleinsten Zweifel aufgibt?

»Weißt du eigentlich, wie sehr es mich verletzt, dass du mir so sehr misstraust?«, stoße ich hervor. Sicher nicht supergeschickt, ihr jetzt Vorwürfe zu machen, aber ich halte es nicht mehr aus.

Langsam dreht Sasha sich um. Sie schaut mich aus leeren Augen an. »Mir ist alles egal. So egal, dass ich gestern mit einem Typen abgestürzt bin.«

Ihre Stimme ist nicht viel mehr als ein Flüstern, und doch ist es so, als würde das ganze Universum mit einem lauten Knall über mir zusammenbrechen.

Kapitel 3

Sasha

Die weiße Farbe an der Wand hinter Ben ist porös und rissig.

Je länger ich darauf starre, desto mehr schadhafte Stellen erkenne ich. Genauso wie bei unserer Beziehung. Wie konnte es nur so weit kommen, dass ich mich ihm gegenüber so verhalte? Obwohl ich unendlich müde bin, tanzen die Gedanken in meinem Kopf herum, als wären sie auf Speed. Das bin doch nicht ich, die das eben gesagt hat. Natürlich hasse ich Ben gerade. Und ich weiß weder, ob ich ihm glauben kann, noch, ob ich ihm glauben will. Klar, das Foto spricht für ihn, aber in meinem Kopf ist einfach zu viel Chaos, um das einordnen zu können. Auf keinen Fall will ich wieder eine überstürzte Entscheidung treffen.

Unsere gemeinsame Zeit war wunderschön, die schönste in meinem Leben, aber das Drama, das sie mitbringt, ist die Hölle. Und hat aus mir offensichtlich eine Person gemacht, die untreu ist, mit den Gefühlen von Menschen spielt und andere verletzen will. Egal, wie scheiße mich Ben behandelt hat, egal, ob er mich hintergangen hat, betrogen und belogen, ich will deswegen nicht zu einem genauso großen Arschloch mutieren.

Ich löse meinen Blick von der Wand und schaue ihn an. In sein Gesicht stehen der Schmerz und das Entsetzen geschrieben, das meine Worte offensichtlich ausgelöst haben. Das kann man nicht vorspielen. Das ist echt. Mich beschleicht eine fürchterliche Ahnung. Hat er tatsächlich recht? Ist das Foto echt? Bin ich wirklich auf Carolins miese Tricks reingefallen?

Bevor sich mein völlig ausgebremstes Hirn noch weiter mit diesen Fragen beschäftigen kann, wird es von einem Geräusch unterbrochen. Ben vergräbt seinen Kopf in den Händen und stöhnt auf. Nein, es ist kein Aufstöhnen, sondern ein Aufschluchzen. Ben weint. Irgendwann hebt er seinen Kopf und schaut mich unter Tränen an. »Warum?«, fragt er heiser. »Warum hast du das getan?«

Wieder ist da dieses hoffnungsvolle Flüstern in meinem Kopf, die Stimme meines Herzens, das immer noch nicht wahrhaben will, was gestern passiert ist. Und wenn er doch die Wahrheit sagt? Warum sonst verletzt es ihn so sehr, dass ich gesagt habe, ich sei mit Elliot abgestürzt? Dann würden seine ganzen Anrufe gestern Sinn ergeben, genauso wie seine Enttäuschung darüber, dass ich ihm eine Affäre zutraue. Dann hätte ich ihm wahnsinniges Unrecht getan. Und ihn betrogen. Dann hätte ich in den letzten zehn Stunden unsere Beziehung gekillt und alles zerstört, was so wunderschön war in meinem Leben. Panik, fünf Buchstaben, die mich aufstöhnen lassen.

Eine Welle der Übelkeit übermannt mich, ich beginne zu würgen. O nein, bitte nicht. Sofort ist Ben bei mir. »Alles okay? Geht es dir wieder schlechter?«

Mit dem Fuß zieht Ben den Mülleimer heran, nimmt mich in den Arm und hält mich fest, während ich die Reste des Mars in den Eimer würge. Beruhigend streichelt er mir über den Rücken. Ich lasse mich auf die Liege zurücksinken. Im nächsten Moment wird die Tür aufgerissen, und die Schwester steht im Raum. Mit einem strengen Blick mustert sie Ben. »Ich habe das Gefühl, dass Sie die Patientin nur noch mehr aufregen.« Bevor sie weitersprechen kann, ist Ben aufgesprungen und verlässt fluchtartig den Raum.

Und mit jeder Sekunde, die ich länger darüber nachdenke, setzt sich bei mir das Gefühl fest, dass ich den größten Fehler meines Lebens begangen habe. Sobald ich wieder allein bin, lasse ich meinen Tränen freien Lauf. Ich weine, weil Ben meine große Liebe ist und ich ihn dennoch so unendlich verletzt habe. Dadurch, dass ich ihm diesen Verrat zugetraut habe, aber auch eben ganz bewusst, indem ich ihm das mit Elliot an den Kopf geworfen hab. Ich weine, weil ich mich selbst nicht mehr wiedererkenne in meinen Handlungen der letzten vierundzwanzig Stunden. Weil ich mir selbst fremd bin und mein Verhalten verachte. Und ich weine, weil ich nicht selbstbewusst genug war, um Carolins Anschuldigungen mit einem Lachen wegzuwischen. Warum habe ich nicht an unsere Liebe geglaubt? Warum fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass ich es wert bin, geliebt zu werden? Dass ich Ben genug bin? Warum lasse ich mich von so einer intriganten Kuh einschüchtern? »Lucy oder June wäre das nie passiert«, murmele ich. Wieso kann ich nicht das Selbstvertrauen meiner Freundinnen haben?

Langsam beginnt das Medikament, das mir Schwester Tess gegeben hat, zu wirken, und ich gleite in einen traumlosen Schlaf.

Kapitel 4

Ben

Nachdem ich die Krankenstation verlassen habe, laufe ich ziellos über den Campus. Ich wäre irgendwann sicher durchgedreht, wenn ich noch länger bei ihr geblieben wäre. Ihre letzten Worte hämmern in meinem Kopf. Ich bin gestern mit einem Typen abgestürzt. Bilder schießen durch meinen Kopf, Sasha nackt und die Hände eines Fremden auf ihrem Körper, Sasha und ein anderer in einem innigen Kuss versunken. Ihr Lachen, ihr Stöhnen … Mein Herz beginnt zu rasen, blinde Eifersucht packt mich, und ich muss mich mit aller Kraft davon abhalten, nicht irgendetwas kaputtzutreten. Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte sie in einen solchen Strudel aus Misstrauen geraten, dass sie sich betrinkt und mit dem nächstbesten Kerl ins Bett geht? Das ist doch nicht die Sasha, die ich kenne. Für jemanden, der so eine verfluchte Angst hat, verletzt zu werden, ist sie selbst darin verdammt gut. Und das Beschissene ist, dass ihre Aktion nur zeigt, wie sehr sie mich liebt. Sonst wäre sie nicht so durchgedreht.

Ich lache höhnisch auf. Auf diese Art von Liebe kann ich echt verzichten. Eine Liebe, die mehr zerstört, als sie zusammenhält, und bei der man sich nie sicher sein kann, sich nie wirklich fallen lassen kann. Das ist mir einfach zu krass. Mein ganzes Leben ist bestimmt von Unsicherheit. In welcher Stimmung ist Dad heute? Wie sehr hat sich Mom unter Kontrolle, oder eben auch nicht. An keinem Morgen ist klar, ob er entspannt verlaufen wird oder wieder ein Streit aufzieht, zwischen mir und Dad, zwischen meinen Eltern, zwischen mir und Mom. Und jeder Streit hat immer das Gefühl nach sich gezogen, verloren zu sein, hilflos dem anderen ausgeliefert, als würde man sich permanent vor Schlägen in Acht nehmen und wegducken. Aber ich will mich nicht wegducken. Ich sehne mich danach, irgendwo anzukommen, bei jemandem anzukommen. Als ich Sasha traf, habe ich gedacht, dass sie dieser Jemand sei. Aber in Wirklichkeit ist sie genauso kaputt wie ich. Mindestens. Ich hätte ihr irgendwie verzeihen können, wenn sie auf Carolin reinfällt und eifersüchtig ist. Aber dass sie, statt mit mir zu reden, mich einfach hintergeht und aus Rache mit irgendeinem Typen rumvögelt, das ist zu viel.

Ohne es bemerkt zu haben, bin ich vor der Beinecke Library angekommen. Ein großer Kubus aus Glas und Beton, in dem seltene Bücher aus der ganzen Welt untergebracht sind. Sasha und ich hatten geplant, in den kommenden Tagen eine Führung mitzumachen. Es gibt eine Extraabteilung für naturwissenschaftliche Grafiken, manche stammen aus dem 17. Jahrhundert, das wollten wir beide unbedingt sehen. »Vielleicht finden wir da noch weitere Walzeichnungen«, hatte Sasha mit einem Lächeln gesagt. Schnell drehe ich mich um und laufe die Straße entlang in Richtung des kleinen Parks, Hauptsache weg von der Bibliothek und weg von den Erinnerungen an all das, was hätte sein können. Das war das Besondere an unserer Beziehung, wir hatten aufregenden Sex und echt viele gemeinsame Interessen. Verdammt, Sasha, und du hast alles kaputt gemacht. In mir pulsiert das Blut, ich habe das Gefühl, gleich zu explodieren. Ich kann heute unmöglich zu meinen Kursen gehen. Vielleicht gehe ich laufen? Boxen wäre gut, auf einen Sandsack eindreschen, alle Enttäuschung, alle Wut, allen Schmerz loswerden … Mein Handy klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken. Hannas Name erscheint auf dem Display.

»Hey, ich wollte nur fragen, wie Sasha reagiert hat. Christopher ist megageschockt, er hat seinen Anwalt eingeschaltet. Ich hätte nie gedacht, dass er so weit gehen würde. Du hattest recht, er ist eiskalt!« Hannas Stimme bebt vor Zorn.

Ich verstehe kein Wort.

»Wovon redest du?«, frage ich und bleibe mitten auf dem Bürgersteig stehen.

»Davon, dass unser Erzeuger es wagt, meine Beziehung zu Christopher zu instrumentalisieren, um dessen Ruf zu zerstören und ihn aus der Firma zu hetzen. Dad steckt hinter Sashas Rauswurf!«

»Hanna, ganz langsam, was genau meinst du?«

»Du weißt schon, dass deine Freundin von Yale suspendiert wurde?«

»Ja, aber es geht ihr so schlecht, ich, äh … konnte nicht klären, was genau passiert ist. Ich glaube, sie weiß es selbst nicht. Nur, dass das Einladungsschreiben irgendwie ungültig ist und …« In meinem Kopf herrscht Sturm, was zum Teufel ist passiert?

»Unser Vater hat Christopher vor dem versammelten Aufsichtsrat in den Dreck gezogen«, erzählt Hanna. »Er ist so verdammt clever und versucht, ihm anzuhängen, dass Christopher seine Stellung als Professor missbraucht hat, um sich an mich ranzumachen. Und angeblich hat er mit Sasha dasselbe getan, als Gegenleistung für die Einladung! Kannst du dir das vorstellen? Seit MeToo sind da natürlich alle sofort alarmiert. In der Firma schieben sie echt Panik. Völlig egal, ob es stimmt oder nicht, Christopher ist erst mal unten durch.« Ich höre sie nach Luft schnappen, sie hat sich völlig in Rage geredet. »Der Direktor von Yale hat heute Morgen bei ihm angerufen und ihm mitgeteilt, dass nicht nur er suspendiert und mit sofortiger Wirkung seiner Ämter enthoben sei, sondern auch, dass Sasha des Campus verwiesen wurde.«

Ich stehe immer noch wie festgewachsen auf dem Bürgersteig, das Murren der vorbeigehenden Studenten nehme ich nur aus der Ferne wahr. Ich kann einfach nicht fassen, was Hanna mir gerade erzählt hat. Ist mein Dad wirklich so abgebrüht? Aber klar, je länger ich darüber nachdenke, desto mehr passt es zu ihm. Er will nicht, dass ich mit Sasha zusammen bin, was er dafür umso mehr will, ist Christopher aus seiner Firma rauszubekommen. Also schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe, er schwärzt Christopher an. Verwendet sein zugegebenermaßen außergewöhnliches Empfehlungsschreiben an Sasha als Beweis für einen Missbrauch Abhängiger. Christopher verliert seine Reputation, Dad schließt ihn daraufhin aus der Firma aus. Dass Sasha Yale damit vergessen kann, ist ihm völlig egal. Ihm muss klar gewesen sein, dass der Makel immer an ihr haften bleiben wird, denn danach, ob sie für die vermeintlich gefälschte Einladung etwas kann, fragt letztendlich keiner.

»Fuck. Er ist wieder so ein skrupelloses Scheißarschloch.« Langsam setze ich mich in Bewegung.

Hanna lacht bitter auf. »Aber er wird nicht bekommen, was er will. Christopher ahnte schon die ganze Zeit, dass Dad was gegen ihn vorhat. Sein Anwalt stand schon in den Startlöchern. Und hat erfolgreich alles abgeblockt. Außerdem hat Dad nicht damit gerechnet, dass seine Tochter es wagt, sich öffentlich gegen ihn zu stellen.«

»Du hast was?«

»Ich habe dem Direktor nur die Wahrheit gesagt. Dass ich Christopher nicht an der Uni kennengelernt habe, sondern durch die Vermittlung meines Vaters. Dass es in Harvard zwischen uns gar keine Verbindungen gab, ich studiere Jura, er unterrichtet Medizin. Christopher hat ausgesagt, dass er auf Hinweis eines Bekannten, Professor Hall vom Dana Faber Institute, auf die Leistungen von Natasha Anderson aufmerksam wurde und sie als eine Bereicherung für das Studienprogramm in Yale empfunden hat. Wusstest du, dass ihr Vater echt eine Nummer war? In Yale und später in Stanford?«

Ich ignoriere Hannas Frage. »Du weißt, dass Dad nie wieder ein Wort mit dir reden wird?«

»Überraschung, ich wohne jetzt auch bei Tante Mia«, sagt sie betont fröhlich, aber ich höre die Angst in ihrem Tonfall. »Arme Mom. Ich habe einfach meine Koffer gepackt und bin weg. Keiner hat was mitbekommen.«

»Scheiße, Hanna, wird das eigentlich alles immer nur noch schlimmer?«, frage ich. »Aus was für einer abgefuckten Familie kommen wir eigentlich?«

Ich höre, wie sie am anderen Ende der Leitung schluckt. Dann bleibt es still.

»Hanna?«

»Ich …« Hanna schluchzt auf. »Ich finde das alles so furchtbar. Am liebsten würde ich einfach abhauen. Weit weg. Verdammt weit weg.«

»Und wenn wir im Sommer nach Europa fahren?«

»Das würdest du mit mir machen?«

»Klar, warum nicht?« Mich hält hier nichts, füge ich in Gedanken hinzu.

»Müssen wir halt vorher eine Bank ausrauben, ich wette, Dad dreht mir jetzt auch das Geld ab.«

»Vielleicht brauchen wir auch einen Anwalt. Er ist immerhin unterhaltspflichtig.«

»Das würdest du tun? Ihn verklagen?«

»Vielleicht.« Mein Puls rast, im Moment traue ich mir alles zu. Am liebsten würde ich …

»Mach nichts Unüberlegtes, Ben«, höre ich Hanna sagen. Kann sie Gedanken lesen? »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Entscheidungen zu treffen.«

Ich knurre etwas Unverständliches.

»Grüß Sasha von mir. Es tut mir so leid, dass sie mal wieder in unseren Familienwahnsinn reingezogen wurde.«

»Mach ich«, sage ich leise. Ich packe es einfach nicht, ihr zu erzählen, was zwischen Sasha und mir vorgefallen ist.

Nachdem wir aufgelegt haben, hallen Hannas Worte in mir nach. Ich lasse mich auf eine Bank fallen. Wieder sehe ich diese hässlichen Szenen vor mir. Mein Dad, der sich an Thanksgiving vor Sasha aufbaut und sie im Haus ihrer Großmutter demütigt, sehe Carolin, die nackt in meinem Schlafzimmer vor ihr steht. Oder mit Babybauch, woher auch immer sie den hat. Ich wünschte, ich wäre nie Teil deiner Welt aus Lügen und Intrigen geworden, höre ich Sasha sagen. Auf einmal kann ich sie verstehen: Ich habe sie mit einer Welt in Berührung gebracht, die kalt ist, berechnend und zerstörerisch. Vielleicht war sie dem einfach nicht gewachsen? Fuck, trotzdem kein Grund, alles infrage zu stellen, was wir hatten. Oder schlimmer noch, alles kaputt zu machen, mutwillig zu zerstören, mit Füßen zu treten, als wäre es nichts wert. Als wäre unsere Liebe Dreck, den man einfach so wegschmeißen kann. Als wäre ich ihr komplett egal. Sie hat mir noch nicht einmal den Bruchteil einer Chance gegeben. Sondern hat einfach angenommen, dass ich so etwas Mieses gemacht habe. Dass sie mir das überhaupt zutraut. Als wäre ich wie mein Vater.

Und plötzlich weiß ich, was ich tun muss. Ich ziehe aus meiner Umhängetasche meinen Block und beginne zu schreiben. Mit jedem Wort sehe ich klarer.

Kapitel 5

Sasha

Von Türklappern wache ich auf, für einen Moment bin ich verwirrt. Dann erinnere ich mich, sofort flattert Angst in mir, wie tausend aufgeregte Vögel. Habe ich Ben wirklich verloren? Habe ich durch mein unüberlegtes Verhalten unsere Liebe zerstört? Was soll ich jetzt bloß machen? Als ich mich aufrichte, fällt mein Blick auf den Stuhl neben mir, auf dem vorhin noch Ben gesessen hat. Da liegt ein Zettel, sorgfältig zusammengefaltet. Mein Herz fängt nervös an zu stolpern.

Ich öffne ihn und beginne zu lesen. Schon nach den ersten Zeilen steigen mir die Tränen in die Augen.

Jedes Wort ist ein weiterer Stich in mein Herz, der unendliche Schmerzen auslöst.

Sasha –ich kann das mit uns nicht mehr. Weil ich unendlich enttäuscht bin von dir. Weil mich die Vorstellung von dir und einem anderen wahnsinnig macht. Und weil du mir misstraust. Das zerstört alles für mich: Das, was ist und was war, und das, was hätte kommen können. Ich weiß einfach nicht, was ich anders machen soll. Ich habe dich so sehr an mich rangelassen wie keinen anderen Menschen zuvor. Mehr kann ich dir nicht geben. Und offensichtlich ist das nicht genug. Aber ich werde weder meine Vergangenheit noch die Welt, aus der ich komme, ändern können.Was Yale betrifft: Du kannst bleiben. Mein Vater hat versucht, Christopher etwas anzuhängen, aber sein Anwalt konnte das schnell klären. Jemand von der Verwaltung kommt heute noch einmal zu dir, es wird auch noch eine offizielle Entschuldigung geben.Ich lasse dich frei, bitte tu du das auch.Ben

Ich lasse den Zettel sinken, die Schrift verschwimmt unter meinen Tränen. Scheiß auf Yale. Ich habe alles kaputt gemacht. Ich habe Ben verloren. Für immer. Und er hat alles Recht, mich zu hassen. Statt an ihn zu glauben, bin ich auf das intrigante Spiel seiner Ex-Freundin reingefallen. Warum brauchte ich ein verdammtes Instagram-Foto als Beweis seiner Treue? Verzweifelt heule ich auf. Was ist kaputt an mir, dass ich ihr sofort geglaubt habe, dass ich kein Vertrauen in ihn habe? Seit Dad vor drei Jahren gestorben ist, versuche ich mich, so gut es geht, zu schützen. Es hat einfach so verdammt lange gebraucht damals, mein Herz Stück für Stück wieder zusammenzusetzen, wieder an die Farbe und das Glück im Leben zu glauben und daran, dass nicht alles immer nur schwer und bitter und traurig ist. Aber wie konnte es so weit kommen, dass ich aus lauter Angst, erneut jemanden zu verlieren, den ich liebe, völlig blind für die Realität werde? Wie konnte ich Ben das antun? Ihn so sehr verletzen, obwohl ich doch weiß, dass es auch ihm schwerfällt, sich zu öffnen? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, in einem so wenig liebevollen Elternhaus aufzuwachsen. Und dann all das zu ertragen, was ihm in den letzten Monaten passiert ist. Das Riesenzerwürfnis mit seinem Vater und Hannas Unfall. Ich fühle mich schrecklich. Mein Kopf schmerzt vor lauter Weinen. Aber viel schlimmer ist, dass ich mich unendlich schäme, weil ich so egoistisch war. Hatte ich nicht versprochen, dass ich auf sein Herz auch achtgebe? Aber offensichtlich war ich dafür nicht stark genug, sondern habe mich einschüchtern lassen und blind dem kleinsten Zweifel geglaubt, als wollte ich mir selbst beweisen, dass unsere Liebe zu schön ist, um wahr zu sein. Um mir zu passieren. Ein leises Klopfen reißt mich aus meinen schwarzen Gedanken. Für einen kurzen Moment spüre ich eine absurde Hoffnung, dann realisiere ich, dass es auf keinen Fall Ben sein kann, der da klopft.

Als ich Elliots blonde Strubbelhaare sehe, muss ich mich zusammenreißen, um nicht laut zu schreien. Aber ich beherrsche mich, ich habe heute genug Leute verletzt. Und wenn Elliot etwas von meiner Enttäuschung mitbekommen hat, lässt er es sich nicht anmerken.

»Hey, ich hab gehört, was passiert ist, und wollte fragen, wie es dir geht.«

O nein, spricht jetzt der ganze Campus über dieses Mädchen von der Westküste, das nach achtundvierzig Stunden in Yale rausgeflogen ist? Mir wird heiß und kalt und meine Kehle ist wie zugeschnürt.

»Woher …?«, stottere ich.

»Keine Angst, es weiß nicht jeder Bescheid, war nur reiner Zufall. Der Typ, der dich mit deinem äh … Freund in die Krankenstation gebracht hat, ist ein Kumpel von mir.«

Ich nicke, aber wirklich erleichtert bin ich nicht. Wieder merke ich, wie unendlich peinlich mir das alles ist. Um Zeit zu gewinnen, nehme ich einen großen Schluck von dem Ginger Ale, das mir die Krankenschwester hingestellt hat. Dann schaue ich auf meine Uhr, mittlerweile ist es halb vier. Um fünf soll ich mich in der Verwaltung melden, hat man mir ausrichten lassen, da folgt wohl die Wiederaufnahme. Aus den Augenwinkeln beobachte ich Elliot. Er wirkt ernsthaft besorgt. Es ist nett, dass er sich nach alldem überhaupt noch um mich kümmert. Immerhin bin ich nicht an so einen Aufreißertypen geraten, der … so ist wie Ben?, fragt eine kleine fiese Stimme in meinem Kopf. Mein Herz zieht sich zusammen. Allein der Gedanke an ihn, auch an seine schlechten Seiten, macht mich traurig. Schnell schlucke ich die Tränen runter.

»Ich brauche dringend etwas zu essen, hast du Lust, mich zu begleiten?«, frage ich Elliot. »Ich, mir … mir ist das alles super unangenehm, ich würde mich gerne entschuldigen und dir erklären, also …«

Elliot scheint von meinem Vorschlag überrascht zu sein, vor allem aber freut er sich ganz offensichtlich. »Gerne, dann lass uns dich hier mal auschecken. Und: Dir muss gar nichts peinlich sein, ich habe mich gestern schließlich auch ziemlich betrunken.«

»Ich mach das aber normalerweise nicht, und …«

»Komm, erst ein Burger, danach alles andere, okay?«

Ich nicke erleichtert und greife nach meiner Jacke. Im nächsten Moment steht Schwester Tess im Zimmer. »Miss Anderson, die Verwaltung hat noch mal angerufen, sie schicken jemanden, der Ihre Sachen wieder ins Wohnheim bringt, wenn Sie einverstanden sind? Es gab wohl eine sehr dumme Verwechslung, jedenfalls habe ich Mrs Miller noch nie so kleinlaut gehört. Sie armes Ding. Muss ja ein ziemlicher Schreck gewesen sein. Kein Wunder, dass da mal der Kreislauf versagt! Wenn Sie vorne bei mir vorbeikommen, brauche ich allerdings noch eine Unterschrift von Ihnen«, sagt sie und zwinkert mir zu.

Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie so diskret ist. Auf dem Weg nach draußen bitte ich Elliot schon einmal vorzugehen, während ich am Tresen stehen bleibe.

»Mrs, äh, Tess, ich … also, vielen Dank.«

Sie schaut auf, ihr strenges Gesicht wird ganz weich. »Ach, Honey, du bist bei Weitem nicht die Erste, die so bei mir landet. Ihr steht alle unter einem solchen Druck hier hinzukommen, das ist nicht gesund. Versprich mir, dass du gut auf dich aufpasst!«

Ich nicke, wieder steigen mir Tränen in die Augen. »Trotzdem, mir ist das wirklich sehr unangenehm …«, murmele ich.

»Ach was, kein Grund, sich zu schämen. Das gehört wohl immer auch dazu. Ohne …«

»Wolken kein Sonnenschein«, ergänze ich zeitgleich zu ihr den Satz.

Sie lacht laut auf, ein dröhnendes, warmes Lachen. »Na, das Wichtigste im Leben weißt du also schon.«

»Meine Mom ist die Königin der Sprüche für alle Lebenslagen.«

»Da bin ich froh, dass du so eine Mom hast!«

Zehn Minuten später sitze ich mit Elliot in einer Nische in einem kleinen Diner. Die roten Plastikbezüge der Bänke quietschen bei jeder Bewegung, das Messing an den abgerundeten Ecken des Tisches ist vom vielen Putzen ganz stumpf und die Tischplatte zerkratzt. Alles ist blitzblank sauber und macht durch die kleinen Tischlampen einen gemütlichen Eindruck. Ich bin froh, dass Elliot kein Café auf dem Campus vorgeschlagen hat, jetzt mit ihm Ben über den Weg zu laufen, wäre die Definition von Hölle! Natürlich besteht immer noch das Risiko, ihm hier zu begegnen, aber mein Hunger ist größer, und außerdem habe ich das dringende Bedürfnis, Elliot mein Verhalten noch einmal richtig zu erklären. Immerhin werden wir uns jeden Tag bei den Kursen begegnen und außerdem mag ich ihn echt gerne.

Allerdings weiß ich nicht, wie ich anfangen soll. In meinem Kopf ist immer noch viel zu viel Watte, um einen klaren Gedanken zu fassen.

Verzweifelt starre ich die Tapete an, lindgrüner Untergrund mit blassgrau-blauen Vögelchen und Rosen, die irgendwie gar nicht in diesen Laden zu passen scheint.

»Okay, Sasha«, feuere ich mich selbst innerlich an, »Augen zu und durch. Es gibt hier keinen richtigen oder falschen Einstieg.«

Ich räuspere mich. »Also, erst einmal danke, dass du dich um mich gekümmert hast gestern. Und es tut mir wahnsinnig leid, dass ich dich einfach so geküsst habe. Ich stand irgendwie voll neben mir. Quatsch, falsch. Ich war betrunken. Und ich bin sonst nie betrunken. Ich glaube, ich hasse es, betrunken zu sein.«

Ich nehme eine der Papierservietten aus dem Ständer und zupfe daran herum. Produziere Papierschnee, Schnee, mein erster Schnee, Ben. Mit Ben am Meer, unser erstes Mal – etwas kreischt laut in mir: »Stopp!« Ich hole tief Luft. Schiebe den Gedanken weg. Fokussiere mich auf das Hier und Jetzt und Elliot. »Na ja, jedenfalls, ich hätte dich nicht küssen dürfen, obwohl es Spaß gemacht hat. Ich …«

Innerlich verdrehe ich die Augen. Was für ein Gestotter. Überhaupt, was sag ich da. »Obwohl es Spaß gemacht hat«. So ein Quatsch. Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich wieder in der Bar, tanze, losgelöst, frei, mutig, selbstbewusst. Und vor allem: spontan. So verhalte ich mich sonst nicht. Spontan, das ist Lucy. Ich bin die Überlegte, die mit den Listen und dem Herz, eingepackt in Luftpolsterfolie. Aber hat nicht genau das wirklich Spaß gemacht? So grauenvoll der Tag auch war, es stimmt. Das Spontane war toll. Weil es aufregend war, etwas auszuprobieren, und weil ich für einen Moment auch einmal alles hinter mir lassen konnte. Die ganze Lernerei der letzten Tage, den Konflikt mit Onkel James, die Eifersucht, die sich wie ein kalter Nebel über alles legt. Die Nächte, die ich an meinem Bewerbungsessay gesessen habe, von dem ich dachte, dass er schon längst steht. Die Zweifel, dass meine guten Noten und das Praktikum im Dana-Faber-Center nicht ausreichend sind. Und die Angst, Ben zu verlieren, die immer und trotz allem da ist. »Vielleicht hättest du mal wie Lucy sein können, als Carolin vor dir stand. Dann säßest du jetzt hier mit Ben und nicht mit Elliot«, meldet sich eine gemeine kleine Stimme in meinem Kopf. Innerlich zucke ich zusammen. Da sind sie wieder, diese Unsicherheit, diese Selbstvorwürfe.

Die Kellnerin stellt unser Essen auf den Tisch, ich greife nach einer Pommes und tunke sie in die Barbecue-Soße. Ich muss an meinen letzten Videochat mit Lucy denken. »Am liebsten würde ich Schluss machen, so schön ist es gerade«, habe ich zu ihr gesagt. »Egal, wie glücklich wir in den letzten Wochen waren, habe ich manchmal sogar das Gefühl, dass die Angst, ihn zu verlieren, größer wird, je glücklicher wir werden.« Zuerst hat sie lachend ihre Locken geschüttelt. Als sie aber merkte, wie ernst es mir damit war, hat sie sofort aufgehört und mich mit großen, traurigen Augen angeschaut. »Sugar, du musst lernen, dass das Leben dir nicht immer alles, was dir wichtig ist, wegnimmt. Das mit deinem Vater war eine Megakatastrophe – vor allem aber nicht die Regel.«

Ich blinzele eine Träne weg. Wieso habe ich nicht auf Lucy gehört, sondern stattdessen sofort Carolin geglaubt? Weil sie das bestätigt hat, was ich annehmen wollte? Dass das alles zu schön ist, um wahr zu sein?

Ich lasse die Pommes fallen. Scheiße. Ich habe selber meine verdammt gute, verdammt glückliche, verdammt einzigartige Beziehung sabotiert. Wie bekloppt kann man sein?