Wenn ein Lied mehr als nur ein Song ist - Emma Winter - E-Book
SONDERANGEBOT

Wenn ein Lied mehr als nur ein Song ist E-Book

Emma Winter

0,0
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kann ein Kuss alles verändern? Der Kuss eines Fremden? Hailey ist ein normales sechzehnjähriges Mädchen, vielleicht ein bisschen zu ehrgeizig und vielleicht auch ein bisschen zu brav. Aber ihr Leben ist perfekt, alles verläuft nach Plan, Familie, Schule, Freunde. Nur ihre Beziehung zu Paul, ihrem Freund, bereitet ihr zunehmend Bauchschmerzen. Die Geburtstagsparty ihrer besten Freundin ist der Beginn verwirrender Ereignisse, die Haileys bisher geordnetes Leben völlig durcheinander bringen. Zum einen trifft sie auf Joe, ein gutaussehender, durchtrainierter Typ in Lederhose, den sie auf unerklärliche Weise anziehend findet. Zum anderen wird Hailey Teil eines Spiels, eine Art Blind Kiss, bei dem ihr jemand den besten Kuss aller Zeiten gibt. Zu allem Überfluss flirtet auch noch ihr neuer Nachhilfelehrer mit ihr, den sie bisher nur aus dem Chat ihres Handy kennt. Ein ganz schönes Chaos, welches die Probleme mit Paul nicht löst, sondern Hailey eher immer weiter von ihm wegtreibt. Die zufälligen Begegnungen mit Joe häufen sich. Die Erinnerung an einen Kuss wird durch einen bestimmten Song immer wieder neu zum Leben erweckt. Dieser Song, dieses Lied verbindet alles, schwebt über allem bis Hailey beschließt, noch einmal Teil dieses Spiels zu werden …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wenn ein Lied mehr als nur ein Song ist

Emma Winter

Impressum

Kerstin Walther

Lengberg 4, 98529 Suhl

[email protected]

Cover © EmmaWinter2021

Alle Rechte vorbehalten

 

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Playlist

Weitere Buchtitel von Emma Winter, die bald erscheinen werden

 

Kapitel 1

Joe

Das Bier schmeckt ein wenig bitter, weshalb ich den Mund verziehe. Ich mag es lieber etwas süßer. Langsam lecke ich über meine Lippen, lehne an einer Wand aus Backsteinen, die so typisch für dieses alte Fabrikgebäude ist. Seit etwa einem Jahr finden hier Partys statt und seit genau dieser Zeit hänge ich fast jeden Samstagabend hier ab. Mein Blick gleitet durch die volle Halle, checkt wie gewöhnlich die Leute. Wo bleibt Henry? Es läuft Techno-Musik, die vielen Diskokugeln machen meine Augen ganz irre, weshalb ich sie für einen Moment schließe und anschließend mein Handy checke.

„Hi.“

Ich blinzele nach rechts, erkenne ein Mädchen in einem artigen Kleid und einer braven Frisur. Ihre Hände hält sie verschlungen vor ihrem Körper, scheint sich daran festzuhalten. Amüsiert über ihre Unsicherheit neige ich den Kopf zur Seite und frage mich, was so eine wohl von mir wollen könnte.

„Also es ist so. Meine Freundin hat heute Geburtstag und wir spielen Wahrheit oder Pflicht. Nun ja, ich habe Pflicht gewählt und soll mit dir tanzen.“

Die Bierflasche wandert während ihres kleinen Vortrages an meinen Mund, verharrt dort kurz, war das eine Aufforderung? Ich nehme einen Schluck und blinzele sie an.

„Wie war gleich die Frage?“

Was bin ich für ein Fiesling. Belustigt beobachte ich ihre Reaktion. Ein leicht empörter Ausdruck macht sich auf ihrem Gesicht breiter und ihr Mund schnappt leicht auf, weshalb mein Blick auf ihre vollen, schön geschwungenen Lippen gelenkt wird. Es sind tolle Lippen, toll zum Küssen.

„Ob du mit mir tanzt…also würdest du mit mir tanzen?“, seufzt sie fast etwas ängstlich.

Meine Lippen werden breit, verziehen sich zu einem ausgeprägten Grinsen. Ich soll mit einem Schulmädchen tanzen? Wegen eines Spiels? Das ist abgefuckt. Sekundenlang checken meine Augen ihre Erscheinung. Sie ist hübsch, mittelbraune Haare, die zu einem straffen Knoten im Nacken zusammengebunden sind. Ein paar Strähnen haben sich daraus gelöst, was dem Ganzen etwas an Strenge nimmt. Ihr Kleid ist einfach geschnitten, weder eng noch weit, wodurch man nicht wirklich etwas von ihrer Figur erkennen kann. Alles in allem nicht mein Typ, aber recht hübsch. Nachdem ich noch einen Schluck aus meiner Flasche getrunken habe, lasse ich mein angewinkeltes Bein von der Wand herabgleiten und stelle mein Bier auf den Boden. Als ich wieder aufblicke, treffen sich unsere Augen das erste Mal richtig. Ihr Blick durchdringt mich, ist neugierig, voller Angst und… Abscheu, was mich in meiner Bewegung innehalten lässt. Sie knabbert an ihrer Lippe, wirkt plötzlich ungehalten, als könne sie es nicht erwarten, es hinter sich zu bringen.

„Und wenn ich keinen Bock habe?“

Meine Stimme klingt kalt und rau, wer soll hier wem einen Gefallen tun? Ich sehe über sie hinweg und suche nach den weiteren Mitspielern. Ganz links erkenne ich ein paar Mädchen, die wie irre winken. Zwei Typen stehen auch dabei, einer von ihnen hat die Hände in den Hosentaschen und wirkt gefrustet.

„Ist das dein Freund?“

Ich spüre ihren Blick und wie sie sich umdreht. Anschließend atmet sie hörbar aus.

„Ja, Paul. Er ist etwas angeknabbert, weil ich mit einem anderen Typen tanze. Sorry, das geht wirklich nicht gegen dich. Aber wenn ich das hier verbocke, muss ich Sophie einen Monat lang das Frühstück machen. Das willst du mir nicht wirklich antun.“

Nun ruhen ihre Augen wieder auf meinem Gesicht und ich blicke zu ihr hinunter. Sie ist vielleicht einen Kopf kleiner, hat ein schmales, ovales Gesicht, welches mich geradezu anfleht. Ihre Augen blicken erwartungsvoll, das Blau darin fasziniert mich. Es scheint sich zu bewegen, geht das?

„Und was habe ich davon?“

Keine Ahnung, warum ich das frage. Es hackt mich einfach. Tanzen ist auch nicht so mein Ding, ich sehe lieber nur zu. Wozu soll das also gut sein? Um ihr einen Gefallen zu tun?

„Ein Tanz mit mir?“

Unsere Augen hängen aufeinander, ihre Antwort ist simple, überrascht mich wahrscheinlich gerade deshalb und entlockt mir ein spontanes Lachen. Mein Blick wandert wieder zu der Gruppe. Dieser Paul scheint mich gerade abzuschießen. Das ist es doch wert oder?

„Also schön. Bringen wir es hinter uns und ersparen wir dir ein paar Sandwiches.“

Hailey

Nur zögerlich nähere ich mich. Warum musste Sophie ausgerechnet diesen Typen aussuchen? Er wirkt so dominant und gefährlich, trägt eine schwarze Lederhose. Alleine das sagt schon einiges über ihn aus. Das weiße T-Shirt klebt nahezu an seinem Körper, wodurch sich seine athletische Figur abzeichnet. Es hängt auch nicht wie bei Paul heraus, sondern steckt ordentlich im Hosenbund, was seine breiten Schultern und seine schmalen Hüften noch mehr betont. Oh Mann! Dieser Kerl ist wohl gerade aus Hollywood entsprungen. Meine Spuke wird vor Aufregung sekündlich weniger und meine Knie erinnern mich immer mehr an Wackelpudding. Das kann nicht gut gehen. Ich beobachte ihn, sehe ihn die Bierflasche an seinen Mund führen. Es scheint ihm nicht zu schmecken, denn gerade verzieht er leicht die Lippen. Das entlockt mir schon ein Grinsen, denn welcher heiße Typ mag denn bitte kein Bier? Konzentration! Nur noch ein paar Meter bleiben mir, meine Augen nehmen jedes weitere Detail von ihm auf. Sein rechtes Bein hat er an der Wand abgestellt. Alleine diese Geste wirkt absolut cool, seine ganze Ausstrahlung ist cool. Schwarz-weiße Sneaker runden sein Outfit ab, was ich total stylisch finde. Seine Haare scheint er wochenlang nicht gekämmt zu haben, sind ziemlich lang, wodurch von seinem Gesicht nicht viel zu sehen ist. Das ist echt ein toller Typ, nicht meine Kragenweite und auch niemand, den ich mir selber aussuchen würde, aber ein echt heißer Typ. Gerade trinkt er noch einen Schluck Bier, grinst über irgendetwas und rückt seine Lederjacke zurecht, die über seinem weißen T-Shirt auf der linken Schulter hängt. Mein Kopf dreht sich zurück zu Sophie, die mich Hände wedelnd vorwärts schickt. Ja doch! Gerade hasse ich sie wirklich. Ich habe noch nie einen fremden Typen angesprochen und so einen schon gar nicht. Mein Herzschlag bringt mich eh gleich um, dann brauche ich gar nichts mehr zu machen. Kurz kichere ich über mein Kopfkino, aber dann bleibe ich etwas links von ihm stehen und sammele meinen gesamten Mut für dieses eine winzige Wort.

„Hi.“

Sein Kopf neigt sich in meine Richtung, ohne dass sich an seiner Körperhaltung etwas verändert. Ich komme mir wie eine lästige Fliege an der Wand vor, weshalb sich meine Aufregung noch einmal verdoppelt und eine neue Höchstmarke setzt. Ich höre meinen eigenen Herzschlag dermaßen laut, dass ich nahe dran bin einfach schreiend wegzurennen. Das wäre doch mal was, Hailey in Aktion. Warum ich es nicht tue? Weil ich meinen ganzen Stolz und Mut zusammenkratze, um das hier durchzuziehen. Also verdränge ich meine Notfallpläne mit der beschissenen Nervosität zumindest für ein paar Sekunden und ringe um Fassung. Alleine meine Hände bringe ich nicht unter Kontrolle, sie spielen gerade Wrestling mit sich selbst. Darin haben sie schon Übung. Es ist dunkel, verdammt dunkel, wodurch ich in seinem Gesicht absolut nicht lesen kann. Aber selbst, wenn ich einen Blick erhaschen könnte, würde es mir sowieso nichts nützen, weil sowohl Sophie als auch ich genau wissen, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht weit her ist. Ich schließe meine Augen, fokussiere die Aufgabe, dann hole ich tief Luft und öffne sie wieder.

„Also es ist so. Meine Freundin hat heute Geburtstag und wir spielen Wahrheit oder Pflicht. Nun ja, ich habe Pflicht gewählt und soll mit dir tanzen.“

Bereits während ich mit ihm rede, hebt er seine Bierflasche, lässt sie kurz an seinem Mund verharren und trinkt anschließend. Er wirkt absolut gelangweilt, als käme ich komplett ungelegen.

„Wie war gleich die Frage?“

Was? Irritiert schnappt mein Mund auf. Hört er überhaupt zu? Doch als ich darüber nachdenke, bemerke ich, dass ich tatsächlich keine Frage formuliert habe. Ist mein Anliegen nicht auch so klar? Paul würde nie so reagieren. Er kann meine Gedanken lesen, bevor ich sie überhaupt gedacht habe. Durcheinander erhasche ich einen kurzen Blick in seine dunklen Augen, was mir einen eigenartigen Stoß in meiner Magengrube versetzt. Hektisch ordne ich meine Gedanken und verfluche Sophie. Ich hasse diese Art Spiele.

„Ob du mit mir tanzt… also würdest du mit mir tanzen?“

Boa, was stammele ich hier herum? Ich habe einen Durchschnitt von 1,0 und bekomme es nicht auf die Reihe, einen Typen in Lederklamotten um einen Tanz zu bitten. Shit! Ich sehe ein überdimensionales Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitet und ihn ganz anders aussehen lässt. Weicher, charmanter. Er bewegt sich und ich freue mich, weil ich diese blöde Aufgabe gleich hinter mir haben werde. Paul war sowieso absolut sauer und ich werde wieder mein Bestes geben müssen, damit er sich runterfährt. Das wird ein langer Abend.

„Und wenn ich keinen Bock habe?“

Ich zucke zusammen, sehe kurz zu ihm, weil seine Stimme voller Ablehnung war. Seine Augen suchen nach etwas und scheinen es auch gefunden zu haben.

„Ist das dein Freund?“

Ich wende meinen Blick, schaue zu meiner Gruppe. Paul sieht angepisst aus, noch mehr als vorhin. Shit, shit, shit! Meine Lippe hat wieder einiges auszuhalten. Diese verflixte Eifersucht. Wäre die nicht, könnte alles wunderschön sein. Aber Paul macht damit vieles kaputt. Auch jetzt hatte ich eigentlich Spaß, nur durch ihn gleicht diese Aufgabe eher einem Horrortrip.

„Ja, Paul. Er ist etwas angeknabbert, weil ich mit einem anderen Typen tanze. Sorry, das geht wirklich nicht gegen dich. Aber wenn ich das hier verbocke, muss ich Sophie einen Monat lang das Frühstück machen. Das willst du mir nicht wirklich antun.“

Ich seufze, wende meinen Blick wieder seinem Gesicht zu, dass ziemlich markant aussieht. Harte Züge liegen darin. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen, als würde er angestrengt überlegen. Können wir es nicht einfach hinter uns bringen? Warum zögert er so lange? Bin ich ihm nicht gut genug? Langsam piept es mich an, wäre da nicht diese blöde Frühstücksgeschichte… Jetzt blickt er mich direkt an. Wow, sie sind richtig schwarz, schwarze Augen, Augen des Teufels.

„Und was habe ich davon?“

Unsere Augen batteln miteinander, mein Mund steht aufgrund seiner Frage sprachlos offen. Oh Mann ist das ein cooler Kerl. Er ist wunderschön.

„Einen Tanz mit mir?“

Es rutscht mir einfach über die Lippen, einfach so. In seinen Augen ist so vieles, jetzt möchte ich es sogar. Möchte mit diesem heißen Kerl tanzen, möchte mehr von ihm wissen. Es ist eigenartig, dieser ganze Typ ist eigenartig. Auf einmal lacht er, nicht nur ein bisschen und nickt.

„Also schön. Bringen wir es hinter uns und ersparen wir dir ein paar Sandwiches.“

Echt jetzt? Ich kann es plötzlich nicht glauben, hat er ja gesagt? Doch er schiebt mich tatsächlich vor sich in die Menge, woraufhin ich die Mitte der Tanzfläche ansteuere. Meine Augen suchen wieder Sophie und die anderen, sie winkt ausgiebig und macht zwei Daumen nach oben. Paul sieht das natürlich anders, dreht sich abrupt weg und verschwindet. Ich kann nur noch hoffen, dass er den Unterschied zwischen einer Aufgabe und einer echten Damenwahl kennt. In meine Gedanken hinein berührt mich jemand an meiner Taille, weshalb ich mich umdrehe. Der Typ ist stehengeblieben, weil wir längst inmitten hüpfender Menschen angekommen sind. Die Musik wechselt ausgerechnet jetzt in eine langsame Phase. Auch das noch. Und nun? Hilflos will ich zu Sophie schauen, aber der Typ bemächtigt sich einfach meiner Hände und positioniert sie auf seinen Schultern, die sich muskulös und sehnig anfühlen. Ich atme mit offenem Mund, weil ich komplett überfordert bin. Meine Augen tackern sich auf seinem weißen T-Shirt fest. Die Melodie kenne ich, ein Song von Lewis Capaldi, „Someone you loved“. Echt schön. Wir bewegen uns eigentlich gar nicht, treten nur auf der Stelle. Kann man das Tanzen nennen? Meine Augen wandern vorsichtig nach oben, sehen sein Kinn und seine Wangenknochen. Dann noch ein Stückchen, ich erkenne seine geschlossenen Lider, was doch etwas unerwartet kommt. Auf einmal öffnen sich seine Augen, treffen meinen Blick, halten ihn für ein paar Sekunden fest, in denen ich vergesse zu atmen, bis er mich plötzlich fest an sich zieht und mich eng umschlungen hält. Zuerst bin ich zu erschrocken, seine plötzliche, intensive Nähe hauen mich aus der Bahn. So nah war mir bis jetzt nur Paul. Dann will ich ihn wegschieben, aber er ignoriert meinen Druck gegen seine Brust.

„Du wolltest tanzen, also tanze…“, flüstert er an meinem Ohr und verpasst mir damit eine derartige Gänsehaut, dass ich meinen Atem in einem einzigen, keuchenden Laut ausstoße.

Ich denke an Flucht, daran ihn von mir zu stoßen und ihn anzuschreien. Warum ich es nicht tue? Sekundenlang weiß ich gar nichts mehr, höre nur dieses Lied, dass perfekt harmoniert, spüre seine Hände an meiner Taille und seine Gegenwart, seinen Duft. Meine Stirn liegt in Höhe seiner Wange, fängt seinen Atem ein, der warm und sanft über mich hinwegstreicht. Vorsichtig wandern meine Augen wieder nach oben, erkennen seinen Kehlkopf, sein Kinn und seine schön geschwungenen Lippen. Für einen winzigen Augenblick verweilen meine Augen, fragen sich, wie sie sich wohl anfühlen. Und dann kenne ich die Antwort. Weil dieser Typ all das ist, wonach ich nie suchen würde. Weil er nach Ärger und Problemen aussieht, gefährlich wirkt und in eine Kategorie Mann zählt, die ich für meine Zukunft nicht vorgesehen habe. Genau deshalb bin ich just durcheinander, verwirrt, ohne Sinn und Verstand. Seine Nähe, sein Geruch stellen irgendetwas mit mir an. Meine Wut ist genauso schnell verschwunden wie sie gekommen ist. Neugier und Aufregung erfassen mich. Ich rieche ihn, rieche seinen Atem, der inzwischen ein Kribbeln durch mich hindurch schickt und wie eine warme Brise mein Ohr kitzelt. Für einen Moment hebt er den Kopf, sieht mich einfach nur an. Seine Augen verlieren sich kurz an meinem Mund, bevor er seine Wange wieder an meine drückt. Wow! Eigentlich hasse ich Bier, kann diesen Geruch einfach nicht ab. Aber sein Atem riecht fantastisch, ist warm und betörend. Mein ganzes Sein fokussiert sich auf diesen Augenblick, saugt jede winzige Sekunde wie eine Droge auf. Mein Kopf fällt nun gänzlich gegen sein T-Shirt, aus dem noch mehr dieses rauchigen Parfüms dringt. Sein Herzschlag ist schnell, aber gleichmäßig. Ich lausche darauf, lausche auch der Musik. Beide Rhythmen vereinen sich irgendwie, harmonieren wie eine Einheit. Ich fühle mich geborgen und gleichzeitig so neben der Spur, es passt überhaupt nicht zusammen. Wahrscheinlich ist es gerade deshalb so genial. Meine Atmung erreicht eine neue Frequenz, als sich seine Hand ein Stück weiter meinen Rücken entlangschiebt. Das eigenartige Kribbeln in meinem Innern nimmt zu, breitet sich in meinem Bauch aus, infiziert mich mit etwas ganz Neuem. Einem neuen Virus, den ich gefährlich und verlockend zu gleich finde. Ich erinnere mich, dass es mit Paul auch aufregend war, aber längst nicht so. Ich schlucke, weil ich dieses Gefühl vermisst habe, was mir jetzt erst bewusst wird. Es will sich die letzten Wochen einfach nicht mehr einstellen. Wieso hockt es bei ihm? Er braucht es nicht! Just in diesem Augenblick endet der Song und just in diesem Moment lässt er mich los. Ich falle wie aus allen Wolken, sehe ihm hinterher, weil er sich bereits umgedreht hat und zwischen den Leuten verschwindet. Wie eine Statue starre ich ihm hinterher bis sich Sophies Gesicht nur eine Millisekunde später in mein Blickfeld schiebt und an meinen Gedanken und Gefühlen rüttelt. Ich will sie wegschieben, will dem Typen weiter hinterher sehen, ihm am liebten nachlaufen und noch einmal so tanzen, doch Paul erscheint völlig unerwartet neben ihr, weshalb ich augenblicklich mein allerschönstes Lächeln aufsetze.

„Yay, Aufgabe erfüllt“, lache ich und reiße die Arme in die Luft.

Mein Herz ist beklommen und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass mir jemand mein Theater abkauft. Aber anderseits haben sie die ganzen letzten Wochen auch nichts bemerkt. Nicht einmal Paul. Sollten beste Freunde nicht feinfühliger sein? Sollte man nicht erkennen, wenn es jemandem Scheiße geht? Ich kann nicht sagen, ob ich es besser könnte. Wahrscheinlich spiele ich einfach gut, die perfekte Schauspielerin, die perfekte Hailey. Ich lache immer noch, obwohl ich mich schrecklich fühle. Vor diesem Spiel war alles gut, jetzt hat dieser Typ meine Seele davongetragen. Wir laufen an unseren Tisch, der voller leerer Gläser und Bierflaschen steht, lassen uns in die Sitzkissen fallen, ich neben Sophie und Klara. Sie lachen, unterhalten sich über diesen Typen. Ich sitze benebelt zwischen ihnen und starre vor mich hin.

„Weißt du, an wen er mich erinnert?“

Sophies Flüstern gilt mir, weckt mich, meine Augen begegnen ihren, sehen das amüsierte Lächeln und wie sie in Richtung dieses Typen deuten. Automatisch sehe ich zu Paul, der nach meiner Tanzaktion bei René hockt und keine Miene verzieht.

„An diesen Schauspieler aus der Vampirserie. Nicht die Twighlight-Reihe. Dieser böse Bruder, der sich auch in Elena verliebt.“

Ihr theatralischer Seufzer ist filmreif. Ich weiß, wen sie meint. Ich habe die Serie schon dreimal gesehen, Staffel vier Folge sieben sogar noch öfter. Nur wegen dieses Kerls, der so etwas von mein Typ wäre und natürlich wegen dieses Kusses, den er am Ende Elena gibt. Dieser Kuss sieht so wahnsinnig intensiv, leidenschaftlich und inniglich zugleich aus, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als einmal im Leben so geküsst zu werden. Meine Augen kehren zu dieser Imitation von Ian Somerhalder zurück. Ein bisschen sieht er tatsächlich so aus. Ich fokussiere ihn, nehme wahr, wie er sich angestrengt über den Nacken reibt und seine Hand anschließend in dem Gewühl seiner Haare liegenbleibt. Er hockt auf der unteren Stange des Geländers, hat sich nach vorne übergebeugt. Gerade sieht er auf, weil ein großer, schlaksiger Kerl neben ihm auftaucht. Sein ganzes Gesicht verändert sich, nimmt schlagartig einen fröhlichen Ausdruck an. Per Handschlag begrüßen sie sich und der Neuankömmling beugt sich ebenfalls über dieses Handy. Was schauen sie sich wohl an?

„Ist das hier ´ne Geburtstagsparty oder eine Trauerfeier?", schreit René zu uns herüber.

Abrupt wende ich meinen Kopf, sehe in Pauls mürrische Augen. Warum ich rot anlaufe, weiß ich nicht, oder obwohl, vielleicht weiß ich es doch.

„Spielen wir nochmal? Dann wähle ich Pflicht und tanze auch mit diesem geheimnisvollen Typen mit dem smartesten Lächeln, dass die Welt je gesehen hat“, kichert Sophie.

Was? Mein Kopf schnellt zu ihr.

„Bist du verrückt? Lass den Idioten in Ruhe, was soll er denn von uns denken?“

„Bist du eifersüchtig?“

Sophie ist manchmal zum Kotzen, eine richtige Kuh. Aus den Augenwinkeln kann ich Pauls Reaktion erkennen, die natürlich nicht auf sich warten lässt. Er springt nahezu auf und stößt dabei seine Bierflasche um. Keine Sekunde später sehe ich auf seinen starren Rücken und verliere ihn in der Menge. Das Bier ergießt sich auf dem gesamten Tisch und tropft anschließend auf der gegenüberliegenden Seite hinunter, weshalb Thomas nur grinsend seine Beine auseinander schiebt.

„Danke, das kannst du großartig“, herrsche ich Sophie an, doch sie hebt nur die Augenbrauen und lächelt mich charmant an.

„Gern geschehen. Paul ist so ein Langweiler. Entweder er schmollt oder er hat schlechte Laune. Am besten du lässt ihn das nächste Mal zu Hause.“

Meine Augen wandern von einem Gesicht zum anderen. Haben sie vergessen, dass es auch mal anders war? Bevor sein Vater verunglückt ist? Damals war er für jeden Spaß zu haben und jeder konnte sich auf ihn verlassen. René zuckt nur mit den Schultern.

„Wir wissen, dass er es nicht absichtlich tut. Aber ab und zu könnte er sich auch mal zusammenreißen. Es ist über ein Jahr her ...“

René ist sein bester Freund, sie kennen sich eigentlich schon immer. Auch jetzt sind sie fast jeden Tag zusammen und ich bin mir sicher, ohne René hätte es Paul nicht geschafft. Ich presse die Lippen aufeinander. Es ist für alle schwer, unser Auffangnetz bekommt langsam Löcher, weil es zu anstrengend und zu nervig wird. Mir geht es nicht anders, aber mein schlechtes Gewissen setzt mir zu. Wahrscheinlich ist es bei René ähnlich, für die anderen kann ich nicht sprechen.

„Lasst uns einfach tanzen“, sage ich und bewege mich ohne zu warten in die hüpfenden Menschen.

Vielleicht sollte Paul mal ohne uns auskommen. Vielleicht würde er dann erkennen, dass sein Leben immer noch fantastisch und lebenswert ist. Irgendwie scheint er es nicht wahrzunehmen und hängt in der Vergangenheit fest.

„Secrets“ von OneRepublic dröhnt durch die große Halle. Meine Arme wandern in die Luft, ich erkenne Sophie und Klara, auch René und Thomas schließen auf. Zum Schluss schieben sich auch Ole und Karina zu uns. Wir lächeln miteinander, fangen nacheinander an, laut mitzusingen. Die trübe Stimmung fällt von mir ab, René dreht mich im Kreis. Wir lachen, schreien uns den Text ins Gesicht. Es ist befreiend, in seinen Augen erkenne ich die gleiche Begeisterung. „Dance Monkey“ folgt, bei dem wir völlig ausrasten. Meine Haare kleben an meiner Stirn und ich wische mir den Schweiß von meiner Oberlippe.

„Echt geil. Kannst du noch?“, fragt er mich eine Ewigkeit später.

Mein Kopf nickt in einem Fort und ich grinse überschwänglich. Tanzen war schon immer das beste Mittel, mein Herz freizubekommen. Heute ist es nicht anders. Als ich das nächste Mal die Augen öffne, sehe ich Paul neben René. Er tanzt ebenso ausgelassen, lacht gerade mit René bevor sich unsere Augen treffen. Wir hängen länger aneinander fest, ich erkenne zum ersten Mal seit langem so etwas wie Bedauern, wodurch sich mein Herzschlag beschleunigt. Dieser Blick erinnert mich an früher, als er mich umworben hat. Als er der coole Paul aus dem Jahrgang über mir war. Wird jetzt alles besser? Unsere Hände berühren sich, verlieren sich, nur um sich aufs Neue zu finden. Es ist wunderschön. Als die Musik diesmal langsamer wird und dieser coole Song von Dean Lewis „Be Alright“ durch den Raum schwebt, liege ich in Pauls Armen. Es fühlt sich richtig an, obwohl er mich nicht wie der Fremde bestimmend an sich drückt. Pauls Hände sind zart, verlieren sich auf meinem Rücken, während ich mit seinem kurzen Nackenhaar spiele. Meine Augen sind geschlossen, ich lächele vor mich hin. Auch Pauls Herzschlag ist gleichmäßig und bringt diesmal ein ähnlich kribbelndes Gefühl hervor. Ich spüre seine Lippen, die sich von meiner Schläfe langsam nach unten arbeiten. Als wir uns endlich küssen, bin ich unendlich glücklich.

Joe

Warum ich ausgerechnet in diesem Augenblick genau zu ihr schaue, keine Ahnung. Sie tanzt, mit ihrem Lover, sie sehen wie eine Einheit aus. Idiotischer Weise habe ich mich mit ihr auch so gefühlt. Wäre es nicht irgendwie strange, wäre es mir egal. Aber diese fuck Erregung hatte ich lange nicht. Nicht seit mich Emely so erbarmungslos betrogen hat. Das ist jetzt fast ein halbes Jahr her. Meine Augen beobachten sie, wie sie sich küssen, wie seine Hände über ihren Rücken streichen.

„Wann ist diese Prüfung eigentlich?“

Ich sehe zu Henry, der auf mein Handy zeigt. Ach das.

„Anfang Mai, mitten zwischen den Abi-Prüfungen. Nicht gerade ideal. Hast du dich nicht angemeldet?“

Ich rede mit ihm, aber mein Blick liegt auf diesem Mädchen mit dem schlichten Kleid. Sie ist echt klein und zierlich, wiegt bestimmt nicht mal fünfzig Kilo. Vielleicht sieht sie deshalb so anmutig und grazil aus. Ihre Freundinnen neben ihr wirken dagegen wie Wuchtbrummen. Hören sie eigentlich mal wieder auf? Sie küssen sich immer noch, weshalb ich nun doch wegschaue.

„...probiere es so“, höre ich gerade noch.

„Aber die Unis legen doch mittlerweile viel Wert auf den Test. Denkst du, es wird reichen?“

Henry zuckt mit den Schultern und trinkt Bier. Er ist wahrscheinlich mal wieder tiefenentspannt. Davon hätte ich die letzten Tage auch gerne was ab. Dieser ganze Vorbereitungsmarathon auf das Abi und zusätzlich den Medizinertest killen mich. Dabei bin ich eigentlich ganz gut stresstauglich. Ich trinke ebenfalls, aber meine Flasche spendet nur noch ein paar Tropfen.

„Willst du noch eins?“

Henry nickt, weshalb ich mich in Richtung Bar aufmache, an der Schlange anstelle und auf meinem Handy die nächste Übung heraussuche. Eigentlich wollte ich heute Abend echt was schaffen, aber Henry hat mich überredet. Wer hockt in meinem Alter Samstagabend zu Hause? Trotzdem will ich wohl mein schlechtes Gewissen beruhigen, weshalb ich ein paar Aufgaben löse, was im Prinzip völlig idiotisch ist, weil bei dieser Lautstärke der Lerneffekt gen Null tendiert. Eine neue Seite mit Schlauchfiguren tut sich auf, hier bin ich schon ganz gut. Nur diese blöden Muster hassen mich. Ich finde die Unterschiede nicht. Nicht einen Treffer bis jetzt.

„Ihr saht wie früher aus. Ich gönne es dir echt, aber ich bin ziemlich skeptisch.“

„Mh, aber er hat sich entschuldigt. Ich meine, vielleicht meint er es diesmal ernst. Ich weiß doch auch nicht.“

Ausatmend konzentriere ich mich auf die nächste Möglichkeit zu punkten.

„Wurde auch langsam Zeit, dass er mal merkt, dass er das Problem ist. Ein Jahr, du warst echt zu bedauern. Ich hätte längst das Handtuch geworfen.“

„Aber ich liebe ihn, wir sind jetzt schon so lange zusammen. Wenn du später mal heiratest, heißt es ja auch in guten wie in schlechten Zeiten ...“

Echt jetzt? Diese zwei Stimmen killen mich. Was für ein Kack, das klingt echt vorsintflutlich. Mein Kopf schüttelt hin und her und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Wieder sammele ich mein ganzes Hirn, kreuze die vermeintlich richtigen Antworten.

„Jetzt mach mal ´nen Punkt. Du bist nicht mal siebzehn und keine dreißig!“

Danke! Die Welt ist noch in Ordnung.

„Aber man kann doch nicht nur jemanden lieben, wenn alles gut läuft. Ich wäre auch froh, wenn jemand zu mir hält, wenn…“

„Ich bitte dich! Wir halten doch alle zu ihm, aber alles kennt seine Grenzen und was Paul die ganze Zeit abzieht, ist unterste Gürtellinie.“

Paul? Meine Augen fokussieren einen imaginären Punkt an der Bar. Ich warte auf eine Antwort, aber plötzlich höre ich nur noch leises Getuschel.

„Lass es jetzt gut sein, ich entscheide für mich selbst!“

Ich muss es einfach wissen, deshalb drehe ich mich um.

„Du!“, geht mich meine Damenwahl an.

Ich lache. Was ist das denn?

„Ja ich, könntet ihr euren Disput etwas runterfahren, ich versuche mich hier gerade auf wichtigere Dinge zu konzentrieren. Es sei denn ihr braucht einen fachmännischen Rat in Sachen Beziehungen.“

Ich muss zugeben, die Kleine hat etwas. Ihre Augen sind weit aufgerissen, die Pupillen riesengroß. Sie sind blau, richtig intensiv blau. Eine kleine, zarte Nase und ein echt süßer Kussmund. Dass sie gut küssen kann, konnte ich sehen. Ihre Begleitung ignoriere ich mit Absicht, lege meinen Kopf schief und grinse sie frech an.

„Spielt ihr noch?“

„Nein“, haucht sie nahezu.

Ihre Unsicherheit spiegelt sich an ihrem ganzen Körper wider. Unsere Augen hängen aneinander, sie ist mit Sicherheit noch Jungfrau. Verklemmt und nervös steht sie vor mir, ruft mit ihrer Art Beschützerinstinkte in mir wach. Wie bescheuert ist das denn bitte? Daher reise ich mich los und drehe mich um.

„Was machst du dauernd mit deinem Handy?“

Ich sehe zurück, schmunzele, weil sie mich offensichtlich beobachtet hat. Ohne unseren Augenkontakt zu unterbrechen, nimmt sie es mir einfach aus der Hand. Gegen meine Gewohnheit lasse ich sie.

„Das sind die Aufgaben zum Medizinertest, nicht?"

Das Aufblitzen in ihren Augen macht mich irgendwie stolz, ich werde just ein paar Zentimeter größer.

„Jo, der ist im Mai und ich nutze unnütze Zeit zum Vorbereiten."

Ihre kleine Hand reicht mir das Smartphone entgegen, ihr Blick ist forschend und neugierig.

„Viel Glück.“

Grinsend nicke ich, beuge mich ihr entgegen und flüstere:

„Danke...“

Natürlich nutze ich die Gelegenheit, streife mit meiner Wange ihre und berühre ganz wenig mit meinen Lippen ihr Ohrläppchen. Ihre Reaktion ist eindeutig, ich höre wie sie scharf Luft holt und vor mir ausweicht. Mit einem weiteren, intensiven Blick drehe ich mich abermals um und rücke nach vorne. Hinter mir herrscht absolute Ruhe, was mich diesmal mehr verstört, als das Geplapper davor. Natürlich drehe ich mich nicht noch einmal um, wer bin ich denn. Doch als ich meine zwei Bier in Empfang nehme und noch einmal in dieses hübsche Gesicht sehen will, sind sie verschwunden.

„Das hat aber lange gedauert“, empfängt mich Henry mit einem Grinsen.

„Erzähl keinen Mist, du Schwachkopf!“, lache ich ihn an und stoße an seine Bierflasche.

„Hast du die dort schon gesehen?“

Ich verfolge seinen Blick, lande auf braunen, langen Haaren in einer Röhrenjeans. Emely! Ihre Augen treffen meine, sie hebt ihr Bier und grinst frech. Ich trinke nur, den Teufel werde ich tun. Die kann mich mal! Ein Typ schiebt sich hinter sie, fasst sie überall an. Sie lacht, legt ihren Kopf nach hinten und küsst ihn. Bitch!

„Lass uns hier verschwinden. Das ist meine Ex und wie du siehst, spielt sie gerne Spielchen.“

Das trifft es nicht ansatzweise. Wir durchqueren den Raum, kommen an der anderen Spielgruppe vorbei. Doch ich verzichte, denn Emelys Grinsen begleitet mich. Das habe selbst ich nicht verdient, irgendwann sollte sie es lassen. Seit wir uns geext haben, nutzt sie jede Gelegenheit, um mich zu demütigen oder mir zu demonstrieren, wie wenig ich ihr bedeute oder jemals bedeutet habe.

„Ist das die, von der Patrick erzählt hat? Die es gleich mit zwei Männern ...“

„Schnauze oder ich verpasse dir sonst eine!“

Meine Hand sitzt an Henrys Kragen, ich stiere ihn wutentbrannt an. Er soll das Thema einfach lassen!

„Was ist denn hier los? Killt Joe dich gerade? Dann musst du ihn ordentlich provoziert haben. Komm Joe, lass den armen Kerl los. Wenn du ehrlich bist, kannst du eh keiner Fliege was zu leide tun. Es ist wie mit den kleinen Löwenjungen, die brüllen auch gerne, aber am Ende wollen sie nur schmusen."

Ich schließe die Augen und lache vor mich hin. Meine Hand habe ich längst von Henrys Kragen entfernt, ich spüre ihn von mir weichen. Tom! Eine Hand drückt meine Schulter, weshalb ich meinen Kopf halb drehe und in frech, grinsende Augen blicke.

„Na Muschi, wieder im Lande?“

Wir fallen uns in die Arme, klopfen uns auf den Rücken. Das tut echt gut.

„Wie du siehst gerade rechtzeitig, wir wollen doch nicht, dass deine schönen Hände blaue Flecken bekommen. Worum ging es? Doch etwa nicht um die Eine, die keiner haben will?"

Wir rücken auseinander, sehen uns grinsend und gleichzeitig abschätzend an.

„Leider doch. Henry soll trotzdem seine Klappe halten, ich will über die Bitch nie wieder reden.“

„Meinst du Emely?“

Fuck! Der hat mir gerade noch gefehlt. Heiko Scheppe, mein Erzfeind, mein Rivale. Wieso hängt er mit Tom ab? Meine Augen wandern fragend zu Tom, der eine besänftigende Geste macht.

„Fahr dich runter, er ist in Ordnung. Wir waren drei Monate gemeinsam in San Franzisko, rein zufällig. Trinken wir jetzt was oder wie?“

Unsere Bierflaschen wandern aneinander, meine nur zögerlich. Heiko hat immer noch wie früher diesen arroganten Zug um den Mund liegen. Außerdem habe ich nicht vergessen, dass mit ihm der ganze Ärger anfing.

„Du schuldest mir was", füge ich an, während ich noch einmal an seine Flasche stoße.

„Du meinst wegen dieser Nutte?"

Es ist nicht schwer zu spüren, wie alle um uns vergessen zu atmen. Nutte. Ein Wort, dass wir stets vermieden haben. Bitch ist okay, Schlampe auch. Aber das? Es sagt so vieles mehr über ein Mädchen aus. Sollten wir uns anmaßen, so etwas von jemandem zu behaupten? Heiko deutet mit den Augen über meine Schulter, weshalb ich mich langsam umdrehe. Dort steht sie, umschwärmt von drei Halbstarken. Der eine fasst an ihren Arsch, ein anderer schiebt ihr seine Zunge in den Mund. Es ist erbärmlich. Langsam sehe ich zurück, sehe in seine forschenden Augen.

„Lassen wir diesen Scheiß einfach dort, wo er hingehört, in der Vergangenheit", sage ich tonlos, weil mir das eben gesehene immer noch zusetzt.

„Du brauchst ihr nicht nachtrauern. Sei froh, dass du sie los bist. Mich hat sie genauso verarscht, ich war auch nur eine willkommene Abwechselung. Sie ist echt wunderschön, aber das ist auch wirklich alles. Selbst ihre Schwester will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Du erinnerst dich an Susanne?“

Ich höre die anderen reden, die Spannung löst sich, Tom hat eine Hand auf meiner Schulter liegen.

„Klar, die kleine Göre mit den roten Haaren. Sie war erst zwölf oder so.“

Heiko lacht, ich habe keine Ahnung worüber.

„Nein, das war die Nachbarsgöre. Ihre Schwester ist fünfzehn und hat schwarze Haare.“

Ahnungslos hebe ich die Schultern. Wir waren eigentlich nie bei ihr zu Hause, dabei waren es fast acht Monate.

„Okay ... du hast keinen Schimmer. Egal, lassen wir das Thema. Geht heute noch was? Ich bin, halt, wir sind gestern zurückgekommen und wollen so richtig einen drauf machen. Ist heute noch irgendwo eine Party?“

Ist das hier keine Party? Ich kann den Kerl einfach nicht ab.

„Bei Krassi. Aber das endet sicher eklig. Letztes Mal hatte ich fremde Kotze auf meiner Hose, als ich früh auf der Couch aufgewacht bin.“

Henry hat sich von hinten an uns gehängt. Wir lachen alle, weil er das Gesicht so verzieht.

„Sind dort auch Mädchen?“

„Logo, aber die Bitch hinter uns geht dort auch immer hin, falls das eine Rolle spielt.“

Ich trinke automatisch Bier, ich habe sowieso nicht vor, noch auf irgendeine Party zu gehen. Was die anderen machen, kann mir egal sein.

„Das sollte kein Problem sein, solange sie nicht die einzige Braut ist. Also?“

Tom stößt längst mit Heiko an, sind die jetzt echt best friends? Das kackt mich zusätzlich an.

„Wie war es denn in Frisco?“

Toms Blick ist eigenartig, als wäre es kein Thema für eine Party.

„Cool, wirklich. Aber das besprechen wir ein anderes Mal. Kommst du mit?“

Geil, abgewürgt. Das liebe ich doch. Da geht es mir gleich viel besser. Auch nur ein Arsch!

„Sorry, aber ich muss sowieso gleich los.“

Ich schaue über ihn hinweg, trinke mein Bier aus. Keine Sekunde später herrscht Aufbruchstimmung.

„Komm mit. Wir machen einen drauf. Ich zeige dir ein paar echt geile Bilder. Morgen kommst du bei mir vorbei oder ich bei dir, dann holen wir die letzten drei Monate auf, okay?“

Tom rüttelt an meiner Schulter. Wir sehen uns an, sein Grinsen ist magisch, ich hab den Kerl echt vermisst, weshalb ich wider aller Vernunft nicke. Scheiß Mathe kann ich auch noch morgen Nachmittag machen. Meine Mutter wird mir zwar auf die Nerven gehen, aber das macht sie eh immer.

Hailey

Vorsichtig schiebe ich mich durch die Tür, folge René und Paul, der fest meine Hand in seiner hält. Meine Augen brauchen einen Moment, ehe sie sich an die Dunkelheit gewöhnen. Ich wollte hier nicht hin, aber seit langem ist Paul endlich mal wieder Paul. Deshalb habe ich mich überreden lassen, deshalb sind wir nun hier. Die Wohnung ist voller Leute, die ich noch nie gesehen habe. Die Musik dröhnt in einer abartigen Lautstärke. Wir schlängeln uns den Flur entlang, kommen an etwas vorbei, dass wie eine Küche aussieht.

„Ich besorge was zu trinken“, schreit uns René zu und ist just verschwunden.

Wir gehen noch ein paar Meter, als die Musik plötzlich wegbricht, Gemurmel und Gelächter hängen in der Luft. Es ist eigenartig, eine musiklose Party ist eigenartig. Wir schieben uns durch einen Türrahmen, ich erkenne so gut wie gar nichts.

„Hier ist noch eine!“

Ein blondes, fremdes Mädchen greift meinen Arm, lächelt mich mit einem Kopfnicken an.

„Toll, du kommst gerade richtig.“

Verwirrt sehe ich zu Paul, der mich nur genauso hilflos anschaut. Ohne Schimmer, was vor sich geht, werde ich von ihm weggezogen. Seine Reaktion hätte ja auch einmal anders sein können, manchmal wünsche ich mir wirklich, er wäre eine Spur energischer. Sollte ich mich weigern? Keine Ahnung wozu ich offensichtlich dringend gebraucht werde. Meine Augen schweifen umher, während die Blonde mich zwischen tanzenden Leuten hindurch manövriert. Ich erkenne kein einziges Gesicht, dafür geht es auch viel zu schnell und es ist viel zu dunkel. Meine Augen heften sich an die Rückseite des Mädchens, dass etwas größer ist als ich. Gerade zieht sie mich durch eine Tür in ein angrenzendes, kleines Zimmer und lächelt mich anschließend an. Und nun? Aufgeregt ist gar kein Ausdruck dafür, wie ich mich fühle. Dies scheint eine Ankleide zu sein, denn außer einem Sessel und Schränken gibt es hier nichts.

„Hier.“

Eine überdimensional große Jacke schwebt vor mir, in der anderen Hand hält sie eine rote Weihnachtsmütze.

„Nun mach schon, schlüpfe hinein! Wir sind heute viel zu wenig Mädchen. Ich bin echt froh, dass du gerade hereingeschneit bist.“

Bisher starre ich das hübsche Mädchen mit den blondgefärbten Haaren nur an. Sie scheint einen Plan zu haben, allerdings hat sie wohl vergessen, mich darüber aufzuklären. Als ich keine Anstalten mache, seufzt sie theatralisch und leiert mit den Augen.

„Also …pass auf, die anderen warten dort draußen. Es wäre deshalb großartig, wenn du das hier jetzt anziehst und mitspielst. Okay?"

Inzwischen wirkt sie etwas ungehalten, aber ich hänge mich an diesem einen Wort auf.

„Was meinst du mit mitspielen?“

Obwohl ich keine Antwort bekomme, füge ich mich und lasse mir von ihr in diesen riesigen Mantel helfen. Anschließend wandert die Mütze auf meinen Kopf. Meine Augen verfolgen dieses Zeremoniell, heften sich allerdings intensiv auf ihr Gesicht, weil sie dabei keinen Ton herausbringt. Ihre Augen sind konzentriert auf ihre Aufgabe gerichtet, ihre Schneidezähne beißen dabei auf ihre Unterlippe herum. Ich komme mir wie ihr ganz eigenes Projekt vor, was mich von Sekunde zu Sekunde ungehaltener werden lässt. Als sie abschließend den Reißverschluss von ganz unten nach oben zieht, muss ich kurioser Weise kichern. Das Teil hängt mir fast bis auf die Füße.

„So, fertig. Das ist genial. Ich bin Susi und du?“, lacht mich das blonde Mädchen strahlend an.

Sie scheint jedenfalls sehr zufrieden zu sein, im Gegensatz zu mir.

„Hailey. Was soll das Ganze?“

Jetzt knabbert sie erneut auf ihren Lippen herum, seufzt leise, wodurch sich mein Herzschlag automatisch beschleunigt.

„Also...“, fängt sie noch einmal an.

„Draußen sind drei Jungs und drei Mädchen. Euch werden die Augen verbunden und dann sollt ihr euch küssen.“

„Nein!“

Mein Mund spricht meinen ersten Gedanken sofort aus.

„Jetzt warte doch mal, ich habe es dir doch noch gar nicht richtig erklärt. Zuerst sollt ihr aneinander riechen. Es gibt diese Show, dort heiraten Leute nur nach dem Geruch der anderen Person. Wenn du den Geruch unangenehm findest, trittst du einen Schritt zurück. Wenn nicht, bleibst du stehen. Wenn du also niemanden küssen willst, gehst du einfach dreimal rückwärts. Alles easy. Gib dir einen Ruck, es macht mega Spaß!“

Fassungslos starre ich diese Susi an. Nein! Auf keinen Fall!

„Warum spielst du nicht mit?“

„Weil ich schon dran war. Ich habe nur einmal geküsst. Es war total schön und ich gäbe meinen linken Arm her, wenn ich nur wüsste, wer es ist. Dadurch, dass man nichts sieht, ist alles so aufregend. Man konzentriert sich ganz anders, spürt die Dinge viel intensiver. Es ist wirklich eine tolle Erfahrung, vertrau mir.“

Wo bin ich hier nur hingeraten? Das ist ein Scherz! Natürlich weiß ich, dass auf solchen Partys gerne irgendwelche Spiele gespielt werden. Aber ich hatte niemals vor, Teil eines solchen zu werden. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht hier her. Nur René war nicht zu bremsen, also sind wir mit. Paul ist echt gut drauf, das kann ich nicht riskieren.

„Mein Freund ist dort draußen, er wird ausrasten!“

Toll wie ich ihn als Ausrede benutze. Ich bin so ein Feigling!

„Aber er kann dich gar nicht erkennen. Schau in den Spiegel.“

Susi schiebt mich hinter die Tür, wo sich ein riesengroßer Wandspiegel befindet. Bis auf mein Gesicht bin ich komplett versteckt. Vorhin war es überall stockdunkel, niemand wird mich erkennen. Ich atme mehrfach Sauerstoff, bin hin und her gerissen. Diese Spiele sind nichts für mich.

„Komm, die anderen warten sicher schon. Sei kein Frosch, es macht wirklich Spaß.“

Und dann verbindet sie mir einfach die Augen, zieht mich kurz darauf mit sich. Ich könnte mich weigern, ich könnte ihr meinen Arm entziehen. Doch alles geht viel zu schnell und etwas in mir ist neugierig, will auch einmal keine Spaßbremse sein. Meine Eltern finden mich sowieso viel zu ernst. Mein Herzschlag bringt mich um, während Susi mich vorsichtig voranführt. Das Gemurmel und Gekicher verstummt immer mehr.

„Du darfst deine Hände nicht benutzen. Nur deine Sinne und dein Gesicht. Wenn ich „jetzt“ sage, gehst du auf den Typen zu. Danach hast du eine Minute Zeit, um stehen zu bleiben oder zurückzutreten. Wie gesagt, du musst nicht küssen.“

Benommen höre ich Susis Belehrungen, versuche irgendetwas auszumachen. Nichts, nur eine schwarze, dunkle Masse. Keinen Wimpernschlag später ist sie verschwunden. Ich höre mich atmen, kollabiere gleich. Mein Kopf dreht sich dauernd leicht hin und her, versucht doch etwas zu erkennen. Doch dieses Tuch ist echt ein fieses Teil, man kann absolut gar nichts sehen.

„Jetzt!“

Ich zucke leicht zusammen, kann mich nicht entscheiden diesen einen kleinen Schritt zu machen.

„Du musst schon mitspielen, Schnecke!“, schreit jemand.

Schnecke? Wie ich dieses Wort hasse! Ich schlucke, trete nach vorne, stoße automatisch gegen jemanden. Eine Entschuldigung liegt mir auf den Lippen, die ich jedoch für mich behalte. Er scheint größer zu sein, deutlich größer. Alles an ihm riecht nach Zigarette und Alkohol, weshalb ich nicht nachdenke, sondern instinktiv sofort einen Schritt zurückgehe. Die Menge buht kurz, doch das bekomme ich nur am Rande mit, weil ich zu viel Sauerstoff atme und mein Kreislauf am Abkacken ist.

„Ihr habt jetzt eine Minute zum Küssen. Die zwei Pärchen, die nicht küssen, bleiben einfach stehen.“

Okay, okay, beruhige dich! Musik setzt ein, irgendein Schmusesong. Das Raunen der Leute ist absolut affig. Ich will dieses Spiel so schnell wie möglich hinter mich bringen. Allerdings ist diese eine Minute endlos. Ich fange an zu schwitzen, weil an mir dieser riesige Sack hängt und viel zu warm ist. Gerade, als ich denke, dass ich es nicht mehr aushalte, erschrickt mich eine fremde Stimme.

„So komm, zweite Chance.“

Wie eine Ausstellpuppe werde ich ein paar Meter weiter weitergeschoben und komme wackelig zum Stehen. Mit offenem Mund versuche ich meine Panik wegzuatmen, doch mein Herzschlag arbeitet dagegen und droht mich nun restlos zu killen. Was habe ich mir nur dabei gedacht?

„So Ihr Lieben, auf ein Neues. Jetzt!“

Beim letzten Wort halte ich die Luft an, atme sie anschließend keuchend aus. Meine Gedanken überschlagen sich, ich hadere mit mir, warte noch ein paar Sekunden, bevor ich völlig gegen meinen eigentlichen Willen mutig und aufgeregt diesen einen vorsichtigen Schritt ins Dunkle wage. Ich kann eine Person vor mir spüren, sein Atem streift über mein Gesicht, ist warm und intim. Obwohl ich ihn noch nicht berühre, schnappen meine Lippen vor Aufregung auf. Mein Herz vergaloppiert sich, während mich eine unbändige Erregung erfasst. Ohne mich zu rühren, warte ich auf das Unvermeidliche. Eigentlich ist es nicht möglich, aber ich spüre jeden Zentimeter, den er sich näher schiebt. Das alles scheint in Zeitlupe zu passieren. Sein Geruch dringt in mein Bewusstsein, betört mich, obwohl dieser typische Biergeruch vermischt mit Schnaps an ihm hängt. Aber da ist noch so viel mehr. Etwas sehr Männliches, ein intensiver, rauer Duft, den ich unglaublich anziehend finde. Ich atme mit offenem Mund, falle in einen Taumel seiner Nähe. Als seine Wange meine berührt, durchzuckt mich ein eigenartiges Vibrieren in meiner Körpermitte. Wie in Trance stehe ich nur still, spüre seine kleinen Bartstoppeln, seinen Atem, der mir in einem Fort Gänsehaut beschert. Kurzatmig lausche ich der Spur, die er auf meiner Haut hinterlässt. Ich erahne seine Lippen an meiner Schläfe, ersehne den Moment seiner Berührung. Mein ganzer Bauch explodiert, erweckt ein kribbelndes Gefühl in meinem Magen, dass sich wie ein Schwarm Schmetterlinge ausbreitet. Das alles ähnelt in Gänze einem Vorspiel, bringt mich dazu, dass ich vergesse, wo ich mich befinde und dass dieser Mensch vor mir, absolut fremd ist.

„Cool. Jetzt haben wir drei Kusspärchen. Hier kommt eure Minute.“

Bevor ich die Worte wirklich realisiere, liegen seine Lippen bereits auf meinen. Zart und forschend zugleich streichen sie sanft darüber, heben mich empor, lassen mich schweben. Die Musik ist einzigartig, verstärkt meinen tranceartigen Zustand. „Lose you to love me“ schwebt durch den Raum. Ich kenne jede einzelne Zeile, jedes einzelne Wort. Meine Haut vibriert, mein Magen steht Kopf. Wir küssen vorsichtig, langsam, ohne Zunge. Das ist wohl das Geilste daran. Unsere Lippen spielen miteinander, öffnen sich für den anderen. Nur ganz selten begegnen sich unsere Zungenspitzen. Ich möchte meine Hände benutzen, sie in seinen Haaren vergraben, sein Gesicht umarmen. Es fällt mir unendlich schwer, es nicht zu tun, weshalb ich mich am Stoff des Mantels festkralle. Der Moment erregt mich über die Maßen, es ist unvergleichlich. Dieses Gefühl, welches in mir ausbricht, ist unvergleichlich.

„Die Minute ist um. Rückt bitte weiter.“

Wir hören nicht auf, es darf noch nicht vorbei sein. Ich spüre seine Hände, die sich um mein Gesicht legen.

„Hey! Regelverstoß. Kommt seid artig!“

Entgegen meinem Willen werden wir voneinander weggezogen, entzweit, weshalb mir ein verzweifelter Laut entschlüpft.

„Wow, das war echt heiß. Der hat es dir wohl angetan. Ich sagte ja, dass es Spaß macht.“

Susis kichernde Stimme dringt in mein Bewusstsein, begleitet mich zum nächsten Mitspieler. Ich bin benommen, stehe wie in Trance und höre nur das Gemurmel. Es klingt wie ein einziger Klumpen aus Stimmen. Nur mühsam kehre ich zurück, begreife, dass dieses verrückte Spiel noch nicht zu Ende ist. Doch ich bin raus, erfülle nur noch als Randfigur die Show. Als es soweit ist, trete ich einen Schritt nach vorne, aber ebenso schnell wieder zurück. Ohne zu riechen, ohne zu denken. Alles ist falsch, irgendwie verkehrt. Das Chaos in mir lässt mich keuchend atmen, dass ich nichts sehen kann, macht mich just wahnsinnig. Ich bin komplett durcheinander, habe so etwas noch nie erlebt. Mit den Fingern berühre ich meine Lippen, erinnere mich. Es war wie eins sein, ein Verschmelzen mit dem anderen. Eine Gefühlsexplosion, obwohl ich nicht weiß, ob es dieses Wort überhaupt gibt. In mir vibriert alles, lässt mich kichern. Oh mein Gott! Dieses kleine Wort „Jetzt“ lässt mich aufhorchen. Ich harre die Kussminute aus, bekomme mit, dass diesmal nur ein Pärchen küsst. Ob er es ist? Ob er gerade ein anderes Mädchen küsst? Der Gedanke versetzt mir einen Stich, was völlig absurd ist. Ich kenne weder sein Gesicht noch habe ich einen Namen. Ich werde nie herausbekommen, wer es gewesen ist, werde ihn nie kennenlernen. Umgekehrt auch. Dann ist es vorbei, Tumult bricht um mich herum aus. Stimmen schreien durcheinander.

---ENDE DER LESEPROBE---