Alzheimer und andere Demenzformen - Hans Förstl - E-Book

Alzheimer und andere Demenzformen E-Book

Hans Förstl

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  • Herausgeber: TRIAS
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2008
Beschreibung

Rund eine Million sind in Deutschland an Alzheimer oder anderen Demenzformen erkrankt. Für sie und ihre Familien bringt die Krankheit einen schwerwiegenden Wandel mit sich. Diese Neuauflage ist auf dem aktuellsten Stand und informiert umfassend über Ursachen, Krankheitsverlauf und die neuesten Behandlungsmethoden. Durch den klaren Aufbau des Buches im bewährten Frage-und-Antwort-Stil finden Leser schnell und gezielt die gewünschten Informationen.

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Seitenzahl: 287

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Zu diesem Buch

Frage nicht, welche Krankheit ein Mensch hat, sondern frage, welcher Mensch die Krankheit hat!

William Osler

Sachliche und für Laien verständliche Informationen über die Alzheimer-Demenz und andere Demenzen sind nach wie vor gefragt. Deshalb legen wir eine erneut aktualisierte und vollständig überarbeitete Auflage dieses Buches vor. Neben einer Berücksichtigung zwischenzeitlicher Forschungsergebnisse machen wir schon im Titel des Buches deutlich, dass nicht nur die Alzheimer-Demenz, sondern auch die wichtigsten anderen Demenzen besprochen werden.

Ein langsamer, stetig zunehmender und kaum beeinflussbarer Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit als Hauptmerkmal einer Demenz ist sowohl für die Betroffenen als auch – und oft insbesondere – für ihre Angehörigen sehr belastend. Umfragen haben ergeben, dass sich die meisten Menschen vor einer Störung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit mehr fürchten als vor einer schweren körperlichen Krankheit. Weil Demenzen ganz überwiegend ältere Menschen betreffen, wird die Problematik in der öffentlichen Diskussion manchmal als nicht so schwerwiegend eingeschätzt oder gar verharmlost. Einige Betroffene stehen bei Krankheitsbeginn aber noch im Berufsleben oder sind gerade erst in den wohlverdienten Ruhestand getreten. Ohnehin ist eine Bewertung des Stellenwertes einer Krankheit in Abhängigkeit vom Lebensalter nicht sinnvoll. Unabhängig von einer Erwerbstätigkeit sind viele 70- oder 80-Jährige sowohl körperlich als auch geistig noch sehr aktiv, wollen arbeiten, reisen oder ihre Hobbys pflegen. Ihre Lebensqualität wird durch eine Alzheimer-Demenz oder andere Demenzen ebenso beeinträchtigt wie diejenige von 20- oder 30-Jährigen mit vergleichbaren Beschwerden durch andere Krankheiten.

Die erste Auflage dieses Buches hat der Erstautor Ende der 80er-Jahre als Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik in Mainz verfasst. Anstoß war damals vor allem die Erfahrung, dass die verschiedenen Demenzerkrankungen auch bei Fachärzten wenig bekannt waren und viele Patienten daher eine falsche Diagnose erhielten. Von der Alzheimer-Demenz sprachen lange Zeit allenfalls einige wenige Spezialisten, während sie sowohl von den meisten Ärzten als auch in der Öffentlichkeit weitgehend als Tabu behandelt wurde. Es ist sehr erfreulich, dass sich diese Situation in der Zwischenzeit deutlich verbessert hat. Heute ist die Alzheimer-Demenz zum Beispiel ein gängiges Thema von Fernsehsendungen oder Artikeln in Zeitungen und Illustrierten. Zumindest in internationalen neurologischen Fachzeitschriften sind fast in jedem Heft einige Beiträge der Alzheimer-Demenz und anderen Demenzen gewidmet. Die deutsch-amerikanische Schauspielerin Sandra Bullock erzählte in dem erfolgreichen Hollywood-Spielfilm »Das Netz« ganz selbstverständlich von der Alzheimer-Demenz ihrer (Film-) Mutter, und der 21. September wurde zum Welt-Alzheimer-Tag erkoren, an dem in vielen Ländern jedes Jahr zahlreiche öffentliche Veranstaltungen stattfinden. Auch bei uns ist die Alzheimer-Demenz in aller Munde, und manchmal besteht sogar die Gefahr, dass allzu schnell von ihr gesprochen wird.

Weil die Alzheimer-Demenz und andere Demenzformen fast ausschließlich im höheren Lebensalter auftreten, nimmt ihre Häufigkeit mit dem ansteigenden Durchschnittsalter der Bevölkerung in den westlichen Industrieländern und jetzt auch in den Ländern der sogenannten 2. und 3. Welt seit Jahren immer mehr zu. Gelegentlich wurde deshalb auch von einer stillen Epidemie oder sogar von der Krankheit des Jahrhunderts gesprochen. Es handelt sich zwar nicht um eine ansteckende Krankheit und damit auch nicht um eine Epidemie, eine Bezeichnung als Krankheit des Jahrhunderts ist aber dennoch nicht übertrieben. Auch wenn die meisten Politiker dies gerne herunterspielen, sind die finanziellen Probleme der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungen bekannt. Die ständig zunehmende durchschnittliche Lebenserwartung bei gleichzeitig sinkender Zahl der Erwerbstätigen ist eine große Belastung für die Renten- und Krankenversicherung, und bereits heute entsteht ein Großteil der Aufwendungen der Pflegeversicherung durch die Kosten der Betreuung von Demenzkranken.

Das Ziel dieses Buches besteht darin, sachlich über den derzeitigen Wissensstand zur Alzheimer-Demenz und den anderen Demenzen zu informieren. Bis vor wenigen Jahren wurde meist einfach von Verkalkung oder Altersschwachsinn gesprochen, und solange über die Ursachen wenig bekannt war und keine Behandlungsmöglichkeiten bestanden, wurde eine genaue Zuordnung oft auch als mehr oder weniger überflüssig eingeschätzt. Nachdem in den letzten Jahren aber immer mehr zu den Ursachen bekannt geworden ist und erste medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist es angebracht, sich mit der Alzheimer-Demenz und anderen Demenzen genauso unvoreingenommen auseinanderzusetzen wie mit anderen Krankheiten auch.

Das Buch ist hauptsächlich für Familienangehörige und sonstige Bezugspersonen von Patienten mit Demenz gedacht, daneben auch für Pflegekräfte, Sozialpädagogen und alle anderen Menschen, die sich für diese Krankheit interessieren. Auf Fachausdrücke wurde so weit wie möglich verzichtet oder sie werden erläutert. Für Angehörige und andere Betreuer von Patienten mit Alzheimer-Demenz stehen von TRIAS beziehungsweise vom Thieme-Verlag weitere Bücher zur Verfügung. In »Patienten mit Alzheimer-Demenz betreuen« werden die zahlreichen alltäglichen Probleme besprochen und praktische Tipps zu ihrer Bewältigung gegeben.

Dieses Buch hätte nicht ohne die Mithilfe vieler Menschen entstehen können. Insbesondere danken wir einer Reihe von Angehörigen von Patienten mit Demenz für ihre wertvollen Hinweise und Verbesserungsvorschläge sowohl zu vorläufigen Fassungen des Manuskriptes als auch zu den früheren Auflagen. Herrn Dr. Jürgen Bohl, Abteilung für Neuropathologie des Pathologischen Institutes des Klinikums der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, und Herrn Professor Dr. Alexander Kurz, Psychiatrische Klinik der Technischen Universität München, dankt der Erstautor für die kritische Durchsicht von frühen Fassungen des Manuskriptes der ersten Auflage und ihre wichtigen Anmerkungen. Von Herrn Dr. Bohl stammen auch die Abbildungen 20 und 21. Herrn Dr. Dominik Huber von der Klinik Hirslanden in Zürich verdanken wir die → Abb. 37, und Herrn Professor Dr. Alfred Buck von der Nuklearmedizin des Universitätsspitals Zürich die Abb. 38. Dr. Bickel, Epidemiologe an der Psychiatrischen Klinik der TU München hat lange Passagen des Textes kritisch durchgesehen.

Unseren Sekretärinnen (Léonie Müller in Zürich und Christine Klindt-Schuster in München) danken wir für die gewohnt souveräne Unterstützung.

Zürich und München, im Februar 2008 Günter Krämer und Hans Förstl

Benennung und Einordnung

Was ist eine Demenz?

Der Begriff Demenz geht auf das lateinische Wort »mens« für »Verstand« oder »Geist« zurück und bedeutet »ohne Verstand« oder »ohne Geist« sein. Demenz steht nicht für eine bestimmte Krankheit, sondern ist eine Bezeichnung für eine Kombination von Beschwerden, die bei vielen Krankheiten vorkommen können. Bis vor wenigen Jahren lauteten weit verbreitete Ersatzbezeichnungen zum Beispiel »Verkalkung«, »Altersschwachsinn«, »Zerebralsklerose« oder »Senilität« (siehe auch → S. 16). Meist wird der Begriff Demenz nur für stärker ausgeprägte Störungen der Leistungsfähigkeit des Gehirns benutzt.

Demenz ist ein Zeichen vieler Krankheiten, bei denen es im Verlauf des Lebens zu einem Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit kommt. Dieser Verlust ist so stark, dass es zu Beeinträchtigungen im täglichen Leben (zum Beispiel bei einer Berufstätigkeit, beim Versorgen des Haushalts oder beim Kontakt zu Mitmenschen) kommt. Eine Demenz zu haben bedeutet nicht, dass das ursächliche Leiden chronisch und nicht rückbildungsfähig ist, wie dies eine Zeit lang gefordert wurde. Je nach Alter der Betroffenen und zugrunde liegender Krankheit können Demenzen sich völlig oder teilweise zurückbilden oder zum Beispiel auch »wellenförmig« mit abwechselnden Verschlechterungen und Verbesserungen verlaufen.

Kennzeichen einer Demenz ist die Kombination von Störungen in unterschiedlichen Bereichen der geistigen Leistungsfähigkeit:

Gedächtnis (siehe → 

S. 96

),

Denk- und Urteilsvermögen (siehe → 

S. 108

),

Orientierung (siehe → 

S. 109

),

Wortfindung (Anomie, siehe → 

S. 111

),

andere Aspekte der Sprache (Aphasien, siehe → 

S. 112

),

Erkennen (Agnosien, siehe → 

S. 114

),

Bewegen und Handeln (Apraxien, siehe → 

S. 115

),

Lesen, Schreiben und Rechnen (Alexie, Agraphie, Akalkulie; siehe → 

S. 116

),

Antrieb und Aufmerksamkeit (siehe → 

S. 117

),

Alltagsverhalten (siehe → 

S. 117

),

Schlaf (siehe → 

S. 119

),

Persönlichkeit (siehe → 

S. 120

),

Affekt (siehe → 

S. 122

),

Wahrnehmung und Verarbeitung (siehe → 

S. 123

),

Vegetative und andere körperliche Funktionen (siehe → 

S. 127

).

Die Internationale Klassifikation von Krankheiten (englisch: International Classification of Diseases oder kurz ICD; siehe auch → Tab. 22, Seite 95) setzt für die Feststellung einer Demenz sowohl eine entscheidende Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit mit einer Abnahme des Gedächtnisses und des Denkvermögens, als auch eine Beeinträchtigung in den persönlichen Aktivitäten des alltäglichen Lebens voraus. Das ebenfalls weit verbreitete Diagnostische und Statistische Manual (DSM) psychischer Störungen fordert ganz ähnlich neben einer Störung des Neu- und Altgedächtnisses (siehe → S. 96) sowie einer Störung des abstrakten Denkvermögens oder einer anderen neuropsychologischen Teilleistung auch eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit oder sozialer Alltagsaktivitäten. Immer wird ein schleichender Beginn und ein langsames Fortschreiten der Krankheitszeichen vorausgesetzt. Die häufigsten Formen einer Demenz sind in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1: Einteilung der Demenzen.

Was ist die Alzheimer-Demenz?

Die Alzheimer-Demenz ist die häufigste Demenzform und führt zu einem langsamen Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Die Abnahme der Fähigkeiten sich zu erinnern, etwas Neues zu lernen, Entscheidungen zu treffen oder anderer geistiger Leistungen führt dazu, dass sich die Betroffenen nicht mehr richtig um sich selbst und andere kümmern und ihr eigenes Handeln nicht mehr sinnvoll steuern können.

Die Alzheimer-Demenz kann ebenso wie andere Demenzen vereinfachend auch als zunehmendes Hirnversagen bezeichnet werden. Das »Hirnversagen« betrifft aber nicht die für Atmung oder Kreislauf unmittelbar lebensnotwendigen Teile des Gehirns, sondern die »höheren« geistigen Funktionen, die in ihrer Gesamtheit das Denken ausmachen. Die Folge sind immer stärker werdende Defizite von Gedächtnis, Orientierung, Erkennen und anderem mehr, und dies wird ab einem gewissen Ausmaß in der medizinischen Fachsprache als Demenz bezeichnet.

Bis vor einigen Jahrzehnten wurde die Alzheimer-Demenz auf Erkrankungen mit einem Beginn der Beschwerden vor dem 65. Lebensjahr begrenzt und als relativ seltene »präsenile«, das heißt vor dem höheren Lebensalter auftretende Demenz von der weitaus häufigeren »senilen«, das heißt im höheren Lebensalter auftretenden Demenz unterschieden. Als Oberbegriff für die präsenile Demenz vom Alzheimer-Typ und die senile Demenz vom Alzheimer-Typ wurde die Bezeichnung Demenz vom Alzheimer-Typ eingeführt. Statt dieses etwas komplizierten Ausdrucks wird meist und auch in diesem Buch von der Alzheimer-Demenz gesprochen (siehe → Abb. 1). Damit ist also nicht nur die verhältnismäßig seltene Verlaufsform mit Beginn vor dem 65. Lebensjahr gemeint, sondern die mit Abstand häufigste Demenzform im höheren Lebensalter.

Ob eine Alzheimer-Demenz vorliegt oder nicht, hängt also nicht vom Lebensalter der Betroffenen ab. Das heißt nicht unbedingt, dass es sich bei der Alzheimer-Demenz um ein einheitliches Krankheitsbild mit übereinstimmendem Beschwerdebild und Verlauf handelt. Im Gegenteil gibt es Hinweise dafür, dass es verschiedene Ursachen geben könnte und die Alzheimer-Demenz möglicherweise nur eine mehr oder weniger einheitliche Ausdrucksform verschiedener Grundkrankheiten ist, die sich dahinter verbergen. Zusätzlich wurden in den letzten Jahren auch immer mehr andere Demenz-Krankheiten wie die Demenz mit Lewy-Körperchen (siehe → S. 40) oder die frontotemporale Demenz (siehe → S. 42) abgegrenzt, die sich in späten Krankheitsstadien allein aufgrund der Beschwerden kaum von der Alzheimer-Demenz unterscheiden lassen.

Wieso heißt sie Alzheimer-Demenz?

Über die Zeichen der Krankheit bei einer mit 55 Jahren verstorbenen Frau wurde erstmals 1906 von dem deutschen Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer (1864–1915) berichtet, nach dem sie 1910 auf Anregung seines schon damals sehr bekannten zeitweiligen Chefs und Direktors der Münchener Psychiatrischen Universitätsklinik, Emil Kraepelin, auch benannt wurde. In der Medizin ist es auch heute noch durchaus üblich, neu entdeckte Krankheiten mit dem Namen ihres Erstbeschreibers zu verbinden.

Alzheimer hatte seine erste Patientin (Frau Auguste Deter; Abb. 3) im November 1901 als Oberarzt der Städtischen Irrenanstalt in Frankfurt am Main ausführlich untersucht. Erst vor wenigen Jahren wurde die Krankengeschichte im Archivkeller der heutigen Psychiatrischen Universitätsklinik in Frankfurt wieder entdeckt und in wesentlichen Auszügen veröffentlicht. Die Krankheitserscheinungen hatten nach Alzheimers eigenhändigem Eintrag in der Krankengeschichte ein halbes Jahr zuvor begonnen, während der einweisende Arzt von einer seit längerer Zeit bestehenden »Gedächtnisschwäche, von Verfolgungswahn-Ideen, Schlaflosigkeit und Unruhe« berichtete. Auch nach seinem Wechsel gemeinsam mit seinem späteren Chef Kraepelin über die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg an die Psychiatrische Universitätsklinik München hatte sich Alzheimer immer wieder in Frankfurt nach Auguste Deter erkundigt. Anfang April 1906 erfuhr er telefonisch, dass sie nach etwa 4½-jährigem Aufenthalt in der Klinik verstorben war, und bat daraufhin den Direktor der Frankfurter Klinik, ihm neben der Krankenakte auch das Gehirn der Patientin zur Verfügung zu stellen, um es genauer untersuchen zu können.

Im Mikroskop entdeckte Alzheimer dann bereits die wesentlichen Veränderungen wie die neurofibrillären Bündel und senilen Plaques (siehe auch → S. 82), die ebenso wie die Krankheit später ebenfalls mit seinem Namen verbunden wurden (= Alzheimer-Neurofibrillen beziehungsweise Alzheimer-Plaques). Nach einem – von seinen Fachkollegen allerdings kaum beachteten – Vortrag mit Darstellung der wichtigsten Befunde auf einem Kongress in Tübingen im November 1906 erschienen 1906 und 1907 aufgrund seiner Beobachtungen bei der Frankfurter Patientin die nach wie vor lesenswerte erste Veröffentlichung Alzheimers, die am Ende dieses Buches auf den → Seiten 191–193 abgedruckt ist. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass Alzheimer bereits aufgefallen war, dass die Veränderungen im Gehirn bei den präsenilen und senilen Krankheitsformen im Prinzip gleichartig waren.

Abb. 2: Auguste Deter

Was sind andere Bezeichnungen für die Alzheimer-Demenz?

Es gibt viele andere Krankheitsbezeichnungen, die sowohl von Laien als auch von Ärzten für die Alzheimer-Demenz verwendet werden (siehe → Tab. 1). Obwohl praktisch alle diese Bezeichnungen eigentlich überholt sind, werden sie manchmal auch heute selbst von Fachleuten immer noch benutzt. Dabei kann eine vermeintlich wohlmeinende Haltung eine Rolle spielen, wonach weder die Kranken noch ihre Angehörigen durch die »schlimme« Alzheimer-Demenz verängstigt oder entmutigt werden sollen.

Es gibt jedoch viele Gründe, die Alzheimer-Demenz auch als solche zu bezeichnen und nicht um den »heißen Brei« herumzureden:

Eine einmal mit ausreichender Sicherheit erkannte Krankheit sollte klar benannt und nicht verheimlicht oder verharmlost werden. Dies gilt besonders dann, wenn sie sich nicht wie etwa eine Erkältung oder Magenverstimmung innerhalb von Tagen oder allenfalls Wochen von selbst erledigt, sondern zu erwarten ist, dass auf Dauer beziehungsweise bis zum Lebensende sowohl für betroffene Kranke als auch und sogar insbesondere für ihre Angehörigen zunehmende Probleme auftreten werden.

Gerade für die Familienangehörigen der Betroffenen ist eine sachliche Information über die Krankheit und ihren voraussichtlichen weiteren Verlauf wichtig, um sich darauf einstellen zu können. Oft werden die Betreuer mit den vielfältigen Problemen immer noch mehr oder weniger allein gelassen. Manche gehen dann von der falschen Annahme aus, dass es sich um ein vorübergehendes Problem handelt, und viele werden von den immer stärker werdenden Störungen und Belastungen fast überwältigt.

Es handelt sich nicht um ein mehr oder weniger harmloses und nicht zu beeinflussendes »Altersproblem«, sondern um eine eigenständige Krankheit. Der Alzheimer-Demenz sollte ebenso viel öffentliche Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt werden wie dem Herzinfarkt oder Krebserkrankungen; es ist jedenfalls etwa gleich wahrscheinlich, die Alzheimer-Demenz zu bekommen.

Auch wenn es zurzeit noch keine Heilungsmöglichkeit gibt, sind wirksame Behandlungsansätze ein weiterer Grund für eine genaue Einordnung und Benennung. Nur so ist es zum Beispiel möglich, verlässliche Erfahrungen über den Stellenwert von Untersuchungstechniken oder die Wirksamkeit neuer Medikamente zu sammeln.

Nicht zuletzt ist es für alle Beteiligten gut zu wissen, dass zeitweise sehr eigenartige und nur schwer zu ertragende Verhaltensweisen keine persönlichen Eigenarten oder gar Bosheiten, sondern Krankheitszeichen sind. Dies gilt zum Beispiel für falsche Anschuldigungen und Beschimpfungen durch die Kranken wie etwa, man habe sie bestohlen oder anderweitig betrogen.

Die links in der → Tabelle 1 aufgeführten Namen und Begriffe sind austauschbare, andere Namen für die Alzheimer-Demenz, während die rechts genannten Bezeichnungen eine Sammlung von Oberbegriffen für alle möglichen Krankheiten sind, die zwar häufig mit einer Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit einhergehen, aber nicht notwendigerweise mit einer Demenz.

Tab. 1: Andere Namen und Oberbegriffe beziehungsweise fälschlicherweise benutzte Begriffe für die Alzheimer-Demenz

Andere Namen

Oberbegriffe/fälschlicherweise benutzte Begriffe

Altersdemenz

Durchblutungsstörungen des Gehirns

Altersschwachsinn

Enzephalopathie

Altersstarrsinn

Hirnleistungsstörungen

Altersverwirrtheit

Hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS)

Chronisches Hirnversagen

Sklerose

Dementia (senilis)

Verkalkung

Präsenile Demenz

Zerebrale Insuffizienz

Progressive Demenz

Zerebralsklerose

Senile Demenz Senilität

Zerebrovaskuläre Insuffizienz

Wie häufig ist die Alzheimer-Demenz?

Die Alzheimer-Demenz ist eine der häufigsten, zu einer dauerhaften Behinderung führenden Krankheiten des Nervensystems im höheren Lebensalter. Bei einem Anteil der über 65-Jährigen in Deutschland und vielen anderen westlichen Industrieländern von schon jetzt fast 20 % sowie einem in den nächsten Jahrzehnten weiter steigenden Durchschnittsalter mit einer noch viel stärkeren Zunahme der sehr alten Menschen wird die Alzheimer-Demenz voraussichtlich noch häufiger werden, als sie heute schon ist. Nach Hochrechnungen wird sich die Zahl der über 65-Jährigen weltweit in den nächsten 30 Jahren etwa verdoppeln, und in Ländern der Dritten Welt wie Mexiko oder Indien mit einer bislang niedrigen Lebenserwartung wird diese Zunahme sogar noch dramatischer sein (→ Abb. 3a und b). Für Deutschland und andere europäische Länder lässt sich berechnen, dass demnächst in jeder dritten Familie ein älterer Angehöriger die Alzheimer-Demenz haben wird.

Abb. 3a und b: Verschiebung der Altersstruktur der Weltbevölkerung im Vergleich von 1990 (Abb. 3a) und 2025 (Prognose, Abb. 3b) mit einer starken Zunahme des Anteils der über 65-Jährigen.

Abb. 3b

Für die Angaben zur Häufigkeit einer Krankheit gibt es verschiedene Möglichkeiten und Begriffe:

Die Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer Krankheit leidenden Menschen wird als Prävalenz bezeichnet. Sie wird sowohl durch die Krankheitsdauer bestimmt, als auch durch die Zahl an Neuerkrankungen. Die Prävalenz der Alzheimer-Demenz wird zurzeit in Deutschland auf rund 700 000 geschätzt, in Österreich auf fast 70 000 und in der Schweiz auf knapp 60 000. Das heißt, dass rund ein Prozent der Bevölkerung oder jeder hundertste Einwohner betroffen ist.

Die Zahl neuer Krankheitsfälle in einem bestimmten Zeitraum (meist innerhalb eines Jahres) wird als Inzidenz bezeichnet. Die Inzidenz der Alzheimer-Demenz wird in Deutschland auf über 120 000 pro Jahr geschätzt, in Österreich auf etwa 13 000 und in der Schweiz auf rund 11 000. In den nächsten Jahren wird es zu einer weiteren Zunahme kommen. Bei jeweils hunderttausend 40- bis 60-Jährigen muss mit ca. 4 Prozent Neuerkrankungen im Jahr gerechnet werden, bei den über 60-Jährigen sind es ca. 0,8–1 Prozent und bei den über 80-Jährigen etwa 3–4 Prozent, d. h. 3000 – 4000 Neuerkrankungen pro Jahr bei 100 000 Personen dieser Altersgruppe. Bei den über 75-Jährigen ist die Inzidenz der Alzheimer-Demenz höher als diejenige von Schlaganfällen.

Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Mensch überhaupt oder in einem bestimmten Lebensabschnitt eine Krankheit bekommt, wird als Morbiditätsrisiko (Erkrankungsrisiko) bezeichnet. Nach dem 65. Lebensjahr verdoppelt es sich für die Alzheimer-Demenz rund alle fünf Jahre. Nach einer Schätzung sind knapp ein Prozent der 65- bis 69-Jährigen, zwei Prozent der 70- bis 74-Jährigen, vier Prozent der 75- bis 79-Jährigen, acht Prozent der 80- bis 84-Jährigen und rund ein Viertel der über 85-Jährigen betroffen. Nach einer anderen Berechnung beträgt das Risiko, eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln, für jeden Menschen zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr noch unter ein Prozent pro Jahr. Zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr steigt das Erkrankungsrisiko dann auf anderthalb Prozent pro Jahr und jenseits des 80. Lebensjahres auf über zwei Prozent pro Jahr an.

Bei solchen statistischen Durchschnittszahlen ist aber zusätzlich zu berücksichtigen, wie es mit der geistigen Leistungsfähigkeit eines Menschen in einem bestimmten Alter aussieht. In einer amerikanischen Studie entwickelten beispielsweise nur insgesamt zwei Prozent von 80-Jährigen mit noch immer gutem Gedächtnis bei einer weiteren Langzeitbeobachtung eine Alzheimer-Demenz, während dies bei fast 30 Prozent der 70-Jährigen mit bereits bestehenden leichten Gedächtnisstörungen der Fall war.

Wann tritt die Alzheimer-Demenz auf?

Wie schon erwähnt, handelt es sich bei der Alzheimer-Demenz ebenso wie bei den anderen Demenzen um eine typische Alterskrankheit. Über 95 Prozent der Erkrankungen beginnen nach dem 65. Lebensjahr, und mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit immer stärker zu. Wenn es auch zweifellos erfreulich ist, dass immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen, so geht damit zwangsläufig auch eine Zunahme an Krankheiten einher, die im höheren Lebensalter vermehrt auftreten. Die immer deutlichere Umbildung der ursprünglichen Bevölkerungspyramide zu einem »Bevölkerungspilz« mit einem hohen Anteil älterer Menschen spielt dabei eine große Rolle (siehe → Abb. 4 für die Entwicklung in Deutschland seit 1910).

Abb. 4: Einwohnerzahl und Altersverteilung der Bevölkerung 1910 im Deutschen Reich, 1988 in der Bundesrepublik Deutschland und der früheren DDR sowie 2040 in Deutschland (Prognose).

Abb. 5: Schematische Darstellung der zunehmenden Häufigkeit der Alzheimer-Demenz und sonstiger Demenzen mit steigendem Lebensalter.

Die mit dem Alter immer stärker ansteigende Erkrankungshäufigkeit (siehe → Abb. 5) spricht gegen die lange Zeit vertretene Ansicht, die präsenile und senile Demenz seien zwei unterschiedliche Krankheiten (siehe → S. 14). Dann wäre nämlich am ehesten sowohl ein früher Häufigkeitsgipfel – zum Beispiel um das 60. Lebensjahr herum – als auch ein später Häufigkeitsgipfel – zum Beispiel um das 80. Lebensjahr herum – zu erwarten.

Die immer stärkere Zunahme bis ins sehr hohe Lebensalter belegt, dass das Auftreten der Alzheimer-Demenz durch ein hohes Lebensalter begünstigt wird. Dies bedeutet aber nicht, dass von der Gesamtheit aller Patienten mit Alzheimer-Demenz die meisten 90 Jahre alt oder älter wären. Gleichzeitig muss nämlich berücksichtigt werden, dass der weit überwiegende Teil aller Menschen – ob ohne oder mit der Alzheimer-Demenz – noch nicht so alt wird. Durch die erhöhte Sterblichkeit alter und sehr alter Menschen an Leiden wie Krebs oder Herzinfarkt ergibt sich zurzeit für die Alzheimer-Demenz ein Häufigkeitsgipfel um das 80. Lebensjahr herum. Dieser Altersgipfel verschiebt sich aber mit dem Ansteigen des durchschnittlich erreichten Lebensalters und der Zunahme sehr alter Menschen in der Bevölkerung in den nächsten Jahren immer weiter nach oben. In England ist es beispielsweise zwischen den Jahren 1980 und 2000 nur zu einer leichten Zunahme der über 65-Jährigen in der Bevölkerung gekommen, aber nahezu zu einer Verdopplung der über 85-Jährigen.

Es gibt auch vereinzelte Hinweise, wonach die Erkrankungshäufigkeit bei sehr alten Menschen jenseits des 90. Lebensjahres nicht weiter zunimmt. Das könnte mit Befunden zusammenhängen, wonach diese sehr langlebigen Menschen meist zu einer kleineren Gruppe von 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung zählen, die im Verlauf ihres Lebens im Gegensatz zu den meisten Menschen aufgrund erblicher Faktoren weniger Alzheimer-Veränderungen in ihrem Gehirn ablagern (siehe auch → S. 80). Da es aber nur vergleichsweise wenige solcher sehr alter Menschen gibt, ist es schwer, derartige Hinweise genauer zu untersuchen. Einige Forscher vermuten dabei einen Zusammenhang mit der individuellen Apolipoproteinausstattung (siehe → S. 56), indem das Vorhandensein von zwei Allelen oder »genetischen Dosen« ApoE4 (= Genotyp 4/4) in der Regel zu einem Krankheitsbeginn vor dem 70. Lebensjahr führt, der Genotyp 2/2 die beste Prognose aufweist und die Prognosen für die anderen Formen irgendwo dazwischen liegen.

Wieso haben mehr Frauen als Männer die Alzheimer-Demenz?

Frauen erreichen im Durchschnitt ein um einige Jahre höheres Lebensalter als Männer. Deshalb gibt es mehr ältere Frauen als Männer und unter den älteren Patienten mit Alzheimer-Demenz absolut gesehen mehr Frauen als Männer. Zusätzlich haben Frauen im Mittel einen etwas längeren Krankheitsverlauf. Insgesamt sind sich aber auch Fachleute noch nicht ganz einig, ob die Alzheimer-Demenz unter Berücksichtigung dieser Tatsachen bei Frauen generell häufiger ist als bei Männern oder nicht.

In einer schwedischen Untersuchung wurden fast 1 500 mindestens 75-jährige, noch nicht an einer Demenz leidende Einwohner eines bestimmten Bezirks über Jahre daraufhin untersucht, bei wie vielen sich eine Alzheimer-Demenz oder sonstige Demenz entwickelt. Im Vergleich zu gleich alten Männern wurde bei Frauen sowohl häufiger allgemein eine Demenz als auch speziell eine Alzheimer-Demenz gefunden. Bei Frauen war auch bis über das 90. Lebensjahr hinaus für die Alzheimer-Demenz eine mit dem Alter immer weiter ansteigende Häufigkeit zu beobachten, was bei den Männern nicht der Fall war.

Eine französische Untersuchung beobachtete fast 3 000 über 65-Jährige eines bestimmten Wohnbezirks über fünf Jahre unter dem Gesichtspunkt des Auftretens einer Alzheimer-Demenz oder anderen Demenz. Insgesamt kam es bei 190 Menschen zu einer Demenz, und 140 davon hatten die Alzheimer-Demenz. Beim Vergleich der Geschlechter ergab sich bis zum 80. Lebensjahr ein häufigeres Auftreten bei Männern, danach jedoch eine eindeutige Bevorzugung der Frauen mit einer nahezu doppelt so hohen Häufigkeit. Dieser Geschlechtsunterschied konnte inzwischen in anderen Untersuchungen mehrfach bestätigt werden.

Es hängt also offenbar in erster Linie vom Erkrankungsalter ab, ob Frauen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben oder nicht. Für diese Beobachtung spricht u. a. auch, dass bei familiären Fällen (siehe → S. 51) mit Auftreten der Alzheimer-Demenz zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr kein Geschlechtsunterschied besteht. Hier ist auch noch zu erwähnen, dass ein Östrogenmangel bei älteren Frauen nach der Menopause ein Risikofaktor für das Auftreten einer Alzheimer-Demenz sein könnte (siehe → S. 68).

Wer kann die Alzheimer-Demenz bekommen, und gibt es Möglichkeiten der Früherkennung?

Jeder Mensch, der ein höheres Lebensalter erreicht, kann im Prinzip die Alzheimer-Demenz bekommen. Es ist zwar bekannt, dass Erbeinflüsse und andere Faktoren (siehe → S. 62) eine Rolle spielen können, insgesamt erlaubt deren Kenntnis aber im Einzelfall keine verlässliche Vorhersage, ob jemand erkranken wird oder nicht.

Es ist bei der Alzheimer-Demenz so wie bei vielen anderen Krankheiten, bei denen man heute auch noch nicht weiß, worin im Einzelnen die Ursachen bestehen und weshalb manche Menschen sie zu einem bestimmten Zeitpunkt bekommen und andere nicht, obwohl sie beispielsweise aus derselben Familie stammen und mit denselben Ernährungsgewohnheiten und sonstigen Umwelteinflüssen aufgewachsen sind. Bei Krankheiten des Nervensystems gilt diese Feststellung zum Beispiel auch für die meisten Epilepsien, Hirntumoren, die Multiple Sklerose (MS) oder die Parkinson-Krankheit.

Für die meisten Menschen gibt es nach wie vor keine verlässlichen Methoden einer Früherkennung der Alzheimer-Demenz. In den letzten Jahren wurde zwar unter anderem herausgefunden, dass Menschen in Abhängigkeit von ihrer erblich bestimmten Ausstattung mit gewissen Transportsubstanzen für Blutfette (sogenannte Lipoproteine, speziell das Apolipoprotein; siehe auch → S. 56) rechnerisch ein sehr stark erhöhtes Erkrankungsrisiko haben, und diese genetischen Merkmale können auch schon bei Kindern und Jugendlichen durch eine Blutuntersuchung nachgewiesen werden. Selbst von den theoretisch am meisten gefährdeten Menschen erkrankt aber nur ein Teil, sodass zurzeit eine Bestimmung dieser Merkmale in jungen Jahren eher verunsichert als hilfreich ist. Selbst wenn diese Untersuchung etwa erst im 65. Lebensjahr durchgeführt wird, ist ihre Vorhersagekraft für den Einzelfall sehr begrenzt.

Eine mögliche Ausnahme von dieser allgemeinen Einschätzung besteht bei den seltenen Formen einer früh, das heißt vor dem 60. Lebensjahr beginnenden familiären Alzheimer-Demenz mit eindeutig genetischer Ursache (siehe auch → S. 68). Hier kann eine genetische Untersuchung der Präsenilin- und Amyloidvorläuferprotein-Gene genau vorhersagen, ob es zu einer Alzheimer-Demenz kommen wird. Von diesen genetischen Mutationen sind aber nur wenige Familien weltweit betroffen. Unter anderem lässt sich dann auch eine Veränderung des krankhaften veränderten Amyloid-Beta-Proteins im Liquor (Nervenwasser) nachweisen (siehe auch → S. 150). Auch bei der früh beginnenden familiären Form ist eine Vorhersage der Erkrankung für noch Gesunde zumindest derzeit aber eher eine Belastung als eine Hilfe.

Eine Früherkennung der Alzheimer-Demenz wäre nur dann wirklich nützlich, wenn sie erstens höchst zuverlässig wäre und zweitens Maßnahmen ermöglichen würde, welche die Entwicklung der Demenz verzögern oder die Symptome nachhaltig verringern. Beides ist jetzt und auf absehbare Zeit aber noch nicht der Fall. Insofern ist es eigentlich keinem Menschen wirklich zu wünschen, dass er im Voraus weiß, ob und gegebenenfalls in welchem Alter er die Alzheimer-Demenz bekommen wird.

Welche bekannten Menschen hatten die Alzheimer-Demenz?

Nachdem die Alzheimer-Demenz wegen der im Vordergrund stehenden Zeichen eines geistigen Abbaus und Kontrollverlustes nach wie vor noch nicht zu den Krankheiten gehört, über die in der Öffentlichkeit gerne und ohne Vorurteile gesprochen wird, verwundert es nicht, dass auch nur selten bekannt wird, wenn Politiker, Schauspieler oder sonstige im öffentlichen Leben stehende bekannte Menschen betroffen sind.

Abb. 6: Rita Hayworth

Abb. 7: Helmut Schön

Abb. 8: Ronald Reagan

Immanuel Kant litt in seinen letzten Lebensjahren unter Symptomen, die typisch für eine Alzheimer-Demenz sind. Die in den 40er- und 50er-Jahren berühmt gewordene amerikanische Filmschauspielerin Rita Hayworth (1918–1987; → Abb. 6) war eine der ersten bekannten Personen, bei der eine Alzheimer-Demenz vermutet wurde. Allerdings wurde die eindeutige Diagnose erst recht spät gestellt, nachdem man ihren geistigen und körperlichen Abbau längere Zeit mit Alkohol und der Einnahme von Tabletten in Zusammenhang gebracht hatte.

Heute ist auch bekannt, dass Herbert Wehner (1906–1990), einer der bekanntesten deutschen Politiker der 60er- und 70er-Jahre und langjähriger Vorsitzender der SPDBundestagsfraktion, die Alzheimer-Demenz hatte. Gleiches gilt für Helmut Schön (1915–1996, → Abb. 7), den Bundestrainer der Deutschen Fußballnationalmannschaft von 1964 bis 1978. Auch der bekannte Geiger Helmut Zacharias (1920–2002) litt an der Alzheimer-Demenz.

Der frühere amerikanische Präsident Ronald Reagan (1911–2004; → Abb. 8) ist die erste bekannte Persönlichkeit, die sich selbst öffentlich zu einer Alzheimer-Demenz bekannte. Nachdem seine Ärzte bei ihm diese Diagnose gestellt hatten, veröffentlichte er im November 1994 den folgenden Brief:

Liebe Landsleute

Vor Kurzem habe ich erfahren, dass ich, wie Millionen anderer Amerikaner, an der Alzheimer-Demenz leide. (Meine Frau) Nancy und ich mussten uns entscheiden, ob wir diese Tatsache als private Angelegenheit betrachten oder sie in der Öffentlichkeit bekannt machen sollten.

Als Nancy vor einigen Jahren an Brustkrebs litt und ich mich einer Krebsoperation unterziehen musste, hat dank unserer offenen Bekanntgabe in der Bevölkerung eine Bewusstseinsbildung stattgefunden. Die Zahl der Krebs-Vorsorgeuntersuchungen ist beträchtlich angestiegen. Viele Menschen konnten in einem Frühstadium behandelt werden und anschließend ein normales, gesundes Leben führen.

Aufgrund dieser Erfahrung verspüren wir auch heute das Bedürfnis, Ihnen die Nachricht meiner Erkrankung mitzuteilen. Wir hoffen, dass dadurch die Alzheimer-Demenz bekannter wird und das Verständnis für die Betroffenen und ihre Familien wächst. Im Moment fühle ich mich sehr gut. Ich beabsichtige, die Jahre, die mir Gott auf dieser Erde noch schenkt, so zu gestalten wie bisher. Ich werde weiterhin mit meiner geliebten Nancy und meiner Familie zusammenleben, viel Zeit in der freien Natur verbringen und den Kontakt zu meinen Freunden und Anhängern aufrechterhalten.

Je weiter die Alzheimer-Demenz fortschreitet, desto schwerer wird die Bürde für die Familie der Patienten. Ich wünschte mir nur, ich könnte Nancy diese schmerzliche Erfahrung ersparen. Mit Ihrer Unterstützung wird sie ihr Schicksal jedoch voller Mut und Vertrauen tragen.

Liebe Landsleute, ich danke Ihnen für die große Ehre, die mir zuteil wurde, Ihnen als Präsident dienen zu dürfen. Wenn der Tag kommt, an dem Gott mich zu sich ruft, gehe ich mit inniger Liebe zu diesem Land und einem unerschütterlichen Glauben an seine Zukunft.

Ich beginne nun die Reise, die mich zum Sonnenuntergang meines Lebens führt, in der Gewissheit, dass über Amerika immer wieder ein strahlender Morgen heraufdämmern wird.

Dank, meine Freunde, Gott segne Sie!

Ronald Reagan

Es wäre sicher sehr gut für das öffentliche Bewusstsein und die Einstellung gegenüber Patienten mit Alzheimer-Demenz und ihren Angehörigen, wenn sich auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr bekannte Persönlichkeiten derart offen zu ihrer Erkrankung bekennen.

Abgrenzung von anderen Störungen und Krankheiten

Was sind Hirnleistungsstörungen, und was ist ein hirnorganisches Psychosyndrom?

Beide bereits früher als Oberbegriffe erwähnten Ausdrücke (siehe → Tab. 1, S. 17) sind ungenaue Sammelbegriffe für Störungen und Krankheiten des Gehirns, hinter denen sich sowohl die Alzheimer-Demenz als auch andere Krankheiten verbergen können. Solche überholten und weitgehend nichtssagenden Bezeichnungen werden leider nach wie vor häufig mit der Diagnose einer bestimmten Krankheit verwechselt. Auch griffige Abkürzungen wie HOPS für hirnorganisches Psychosyndrom oder POS für psychoorganisches Syndrom tragen nicht zu einer Klärung bei.

Als Hirnleistungsstörungen werden üblicherweise alle Schweregrade von Einschränkungen oder Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit zusammengefasst. Leichte und mittelschwere Störungen bezeichnen dabei oft Vorstufen einer Demenz. Allerdings sind die Grenzen sehr unscharf, und diese Unterteilung ist auch nicht allgemein anerkannt. Ausdrücke wie hirnorganisches Psychosyndrom oder psychoorganisches Syndrom besagen nur, dass psychische und andere Störungen aufgrund einer internistischen oder Gehirnerkrankung vorliegen.

Vor allem sind die Bezeichnungen Hirnleistungsstörung, hirnorganisches Psychosyndrom oder psychoorganisches Syndrom viel zu allgemein. Außerdem legen sie nahe, die verschiedenen möglichen Störungen bildeten ein mehr oder weniger einheitliches Syndrom, also eine Verbindung von zusammengehörenden Krankheitszeichen, und müssten nicht weiter voneinander abgegrenzt werden. Bei der Alzheimer-Demenz handelt es sich zwar um eine solche Kombination von Hirnveränderungen und Leistungsstörungen, dennoch wird diese oberflächliche Einordnung alleine der Krankheit nicht gerecht.

Die Begriffe Hirnleistungsstörungen, hirnorganisches Psychosyndrom oder psychoorganisches Syndrom umschreiben lediglich die wichtigsten Beschwerden verschiedener Krankheiten, ohne dass Aussagen über die zugrunde liegenden Ursachen oder den zu erwartenden Krankheitsverlauf gemacht werden. Sie sind ebenso ungenau und entbehrlich wie Krankheitsbezeichnungen in Art von Schulter-Arm-Syndrom oder Leberfunktionsstörung. Auch dabei handelt es sich um keine Krankheiten im eigentlichen Sinn, und es wird nichts darüber ausgesagt, ob ein Schulter-Arm-Schmerz auf einem Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule oder einem Sturz auf die Schulter beruht, beziehungsweise ob eine Leberfunktionsstörung beispielsweise auf eine abgelaufene Entzündung der Leber oder einen Alkoholmissbrauch zurückzuführen ist. Nur wenn dies bekannt ist, ist aber eine angemessene Beurteilung des weiteren Beschwerdeverlaufs und gegebenenfalls auch eine Behandlung möglich.

Was ist eine Bewusstseinsstörung?

Obwohl jeder von uns häufig davon spricht, es sei ihm etwas bewusst gewesen oder auch nicht, ist es gar nicht so einfach, das Bewusstsein genau zu definieren. Bewusstsein hat etwas mit Wachheit und klarem Wahrnehmungsvermögen zu tun, und unter Bewusstlosigkeit wird meist ein krankhafter Zustand wie nach einer schwereren Kopfverletzung verstanden. Genau genommen tragen zu unserem Bewusstsein aber viele unterschiedliche Faktoren bei, so zum Beispiel die bereits erwähnte Wachheit. Im Schlaf sind wir alle ohne klares Bewusstsein, dennoch handelt es sich um einen normalen Zustand, der von alleine vorübergeht und aus dem wir auch erweckbar sind.

Es hat sich bewährt, bei der Beurteilung des Bewusstseins mehrere Merkmale oder Zustandsformen getrennt voneinander zu bewerten. Neben der Wachheit oder Erweckbarkeit spielen dabei das Bewusstseinsniveau und die Bewusstseinsinhalte eine Rolle. Das Bewusstseinsniveau reicht von der völligen Bewusstlosigkeit (dem Koma) über verschiedene Schweregrade einer Benommenheit und Verlangsamung bis zum »klaren« Bewusstsein. Unter normalen Bewusstseinsinhalten wird die Übereinstimmung von Erleben, Gedächtnis, Gefühlen und der Orientierung (siehe → S. 109) zur Person, zum Ort und zur Zeit verstanden.

Bei der Alzheimer-Demenz sind die beiden ersten Bereiche des Bewusstseins, also die »Erweckbarkeit« und das Bewusstseinsniveau, zumindest anfänglich nicht beeinträchtigt, während die Bewusstseinsinhalte sehr früh gestört sind. Immer dann, wenn gleichzeitig eine Bewusstseinsstörung mit Störung der Erweckbarkeit oder des Bewusstseinsniveaus vorliegt, kann eine bestehende Demenz allenfalls vermutet werden. Auf der anderen Seite kommt es schon früh zu einer Störung der Bewusstseinsinhalte in der Weise, dass Erleben, Gedächtnis, Gefühle und die Orientierung nur noch teilweise miteinander übereinstimmen. Gerade Erlebtes wird nicht mehr mit den dazu passenden Erinnerungen in Verbindung gebracht, Verwechslungen führen zu unpassenden Gefühlsreaktionen, und die Kranken haben zunehmend Schwierigkeiten, zuvor absolut problemlose Situationen zu bewältigen.

Was ist ein Verwirrtheitszustand?

Als Verwirrtheitszustand (= Delir) werden verschiedene Formen einer Bewusstseinsstörung zusammengefasst, die nur vorübergehend oder auch länger dauernd vorhanden sein können (→ Tab. 2). Verwirrtheitszustände können auch bei einer Demenz vorkommen, sind jedoch nicht damit gleichzusetzen und treten auch unabhängig davon, zum Beispiel bei fieberhaften Infekten, sehr hohen oder sehr niedrigen Blutzuckerwerten oder Herzrhythmusstörungen mit einer dadurch verursachten Mangeldurchblutung des Gehirns vor. Nicht jeder Verwirrte ist dement, und nicht jeder Kranke mit einer beginnenden Demenz ist verwirrt.

Bei Verwirrtheitszuständen ist in erster Linie die Orientierung (siehe → S. 109) gestört. Daneben bestehen typischerweise auch Störungen der Aufmerksamkeit, der Auffassung, des zusammenhängenden Denkens und des Gedächtnisses. Die Betroffenen wirken rat- und hilflos oder auch unruhig und überempfindlich. Sie können sowohl völlig passiv als auch übermäßig aktiv sein, gelegentlich kommt es auch zu aggressiven Ausbrüchen. Bei vorübergehenden Verwirrtheitszuständen sind die Betroffenen nur für Stunden bis Tage durcheinander und können Sinneseindrücke nicht mehr richtig zuordnen. Nach Abklingen des Verwirrtheitszustands haben sie dafür meist eine Erinnerungslücke. Chronische, dauerhafte Verwirrtheitszustände sind häufig Ausdruck einer demenziellen Grunderkrankung.