Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne - Corinne Luca - E-Book

Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne E-Book

Corinne Luca

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Beschreibung

Jede Frau ist schön – sie soll es nur nicht wissen
Ob in der Stadt, in Zeitschriften oder auf Instagram: Überall begegnen uns Fotos von trügerisch perfekten Frauenkörpern, die für schöne Achseln, Diäten und weißere Zähne werben. Bilder, die uns Unsicherheiten einreden, um uns die Lösungen gleich mitzuverkaufen. Man kann daran verzweifeln – oder man kann sich vom Optimierungswahn befreien, am besten mit Humor! Corinne Luca erzählt in ihrem Buch ehrlich und mit einem Augenzwinkern, was es heutzutage heißt, eine Frau zu sein. Und kommt zu dem Schluss: Wir müssen uns nicht täglich eine neue Problemzone einreden lassen!

»Ein wunderbares Buch mit Humor und Wortwitz. Man will es gar nicht mehr aus der Hand legen.« Paula Lambert

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Seitenzahl: 275

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Ob in der Stadt, in Zeitschriften oder auf Instagram: Überall begegnen uns Fotos von trügerisch perfekten Frauenkörpern, die für schöne Achseln, Diäten und weißere Zähne werben. Bilder, die uns Unsicherheiten einreden, um uns die Lösungen gleich mitzuverkaufen. Man kann daran verzweifeln – oder man kann sich vom Optimierungswahn befreien, am besten mit Humor! Corinne Luca erzählt in ihrem Buch ehrlich und mit einem Augenzwinkern, was es heutzutage heißt, eine Frau zu sein. Und kommt zu dem Schluss: Wir müssen uns nicht täglich eine neue Problemzone einreden lassen!

Corinne Luca ist Bloggerin und schreibt für Edition F und bento. 2016 gewann sie für ihr Blogmagazin makellosmag den renommierten Grimme Online Award. Ihre Parodie auf Ronja von Rönne nannte Ijoma Mangold (Die ZEIT) »brillant«. Corinne Luca lebt mit Mann und zwei Töchtern in Berlin.

CORINNE LUCA

Am liebstensind mir die PROBLEMZONEN, die ich noch gar nicht kenne

Schönheitswahn-Detox für die Frau von 0 bis 99

Mit Illustrationenvon Karin Lubenau

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Copyright © 2017 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Umschlaggestaltung und Illustration: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling ISBN: 978-3-641-21226-1 V002
www.heyne.de

Inhalt

Schokolade, Babys und Fragezeichen

Wie ich anfing, Frauenzeitschriften zu lesen und bemerkte, dass etwas nicht stimmte

Schöne Achseln oder: Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne

Vierzig Hände für ein Foto, aber kichern über Tampons: die neue Natürlichkeit

Warum Taylor Swift mit 26 dringend einen Mann braucht, während George Clooney noch mit 45 ein Schwein reichte

Mode hat keinen Humor, Mode meint es ernst

Liebe deinen Körper, auch wenn alle anderen einen besseren haben

Warum dieses Buch gern ohne Männer auskommen würde, es aber doch nicht geht

Keine kurzen Röcke oberhalb der gläsernen Decke: reinhängen für die richtig erfolgreichen Frauen

Bye, bye giftige Gedanken

Anmerkungen

Schokolade, Babys und Fragezeichen

Da stand es in der Zeitung: »Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen.« Entschlossen schob ich meine Familienpackung Schokoladeneis zur Seite und wischte mir eine Träne aus dem Auge. Kurz zuvor hatte ich ein süßes Katzenvideo gesehen. Ich zupfte meine sexy Unterwäsche zurecht – Sie müssen wissen, für mein eigenes Wohlbefinden trage ich ausschließlich Dessous und nichts darüber, wann immer ich kann – und beschloss: »Gut, dann muss ich das wohl machen.« Kaum hatte ich das Internet geöffnet, um herauszufinden, wo ich mich bewerben konnte, da erschien eine Windelwerbung. Gedanklich machte ich einen Vermerk, mir von meinem süßen Nachbarn endlich dieses Anti-Werbung-Dingens installieren zu lassen. Denn ich kenne mich mit Technik nicht aus. Ich hätte es gern notiert, aber meine tränenverhangenen Augen hinderten mich daran. Die liebende Mutter in der Werbung hatte mich wieder zum Weinen gebracht. Ich habe kein eigenes Baby, müssen Sie wissen. Obwohl die unerbittliche Drei auf meiner Geburtstagstorte stand. Ganz vorn. In Gesellschaft einer anderen Zahl. Nach diesem Gedanken war meine Laune nicht mehr die beste. Die Bewerbung würde noch ein wenig warten müssen, ich musste mich erst einmal aufmuntern. Also trank ich das geschmolzene Eis, stellte mein Lieblingslied an (»I Will Survive« von Gloria Gaynor) und machte mich an mein Bauch-Beine-Po-Workout. Danach würden mich die Glückshormone nur so überschwemmen.

Kennen Sie diese Frau? Ich auch nicht. Im wirklichen Leben ist sie mir noch nie begegnet. Und trotzdem kommt mir einiges an ihr bekannt vor, und Ihnen sicher auch. Das liegt daran, dass wir Versionen dieser Frau ziemlich gut kennen. Sie bevölkern unsere Serien, Filme, Werbeplakate und Zeitschriften. Wenn wir Glück haben, bringen sie uns zum Lachen. Meistens machen sie uns aber ein kleines schlechtes Gewissen.

Trägerinnen von zwei X-Chromosomen, also uns, eröffnet sich bekanntlich in beinahe jedem Lebensalter noch ein wenig Potenzial zur Verbesserung. Insbesondere die Lifestylemagazine, Promijournale, Fitnessblätter und Frauenzeitschriften kümmern sich gern um uns. Angefangen habe ich mit Mädchen (»Worauf Jungs wirklich stehen!«) und Bravo Girl (»Schön im Schlaf: Dieser Kissenbezug zaubert dir glänzendes Haar«). Dann bin ich zu Grazia (»So schminkst du dich fürs Fitnessstudio – ohne geschminkt auszusehen«), InStyle (»Nie wieder Schwabbelarme: Die 5 effektivsten Übungen«) und Cosmopolitan (»8 Sex-Tipps, mit denen du zur Göttin wirst. Nr. 4: Die Krabbe«) übergegangen, um mich anschließend auf den baldigen Doppelspaß aus Figurratschlägen (»Achtung, zum Kinobesuch gehören auch viele sündige Snacks«) und Rezepten (»Probieren Sie doch einmal wieder Tiramisu – den Klassiker der italienischen Küche!«) in Bild der Frau und tina zu freuen. Dabei, so bemerkte ich zwischen meinen eigenen Diätversuchen, Hintern-aus-Stahl-Eskapaden und Modeunternehmungen, wurden mir scheinbar eine Menge Fragen beantwortet, die ich eigentlich nie gestellt hatte: »Was ziehe ich an, wenn ich nichts zum Anziehen habe? Wie habe ich sofort mehr Spaß? Wann sehe ich nackt endlich super aus?« Die Zeitschriften blieben mir ihre Antworten nicht lange schuldig. Anziehen konnte ich die drei Must-have-Basics des Monats, für 260 Euro. Mehr Spaß würde ganz schnell eine Typveränderung bringen, wenn ich Lust darauf hätte, ginge das sogar ganz ohne Beziehungskrise! Und nach den Powerübungen für sexy Bauch und Wow-Po würde es auch endlich wieder mit dem Nacktsein und dem Nachbarn klappen.

Das Beste aber war, es ging den Zeitschriften nicht nur um schmalere Oberschenkel oder meinen perfekten Teint. Nicht wenige der Artikel erklärten mir auch, diese Äußerlichkeiten seien zwar sehr wichtig, aber eigentlich nur Nebenprodukte auf dem Weg zu mir selbst. Wenn ich sie erreichen würde, wartete am Ende des Weges mein eigentliches Ziel: meine Zufriedenheit, mein Glück. Ich machte mich also mit der Lektüre auf zu einer besseren Version von mir. Und musste nur noch überlegen, ob ich lieber ganz cool auf »Glam as you are« (Glamour) setzen wollte, gerne »First in Fashion« (Grazia) wäre oder doch lieber »Fun. Fearless. Female« (Cosmopolitan). Wer sagt da noch, dass Frauen nicht alles haben können?

Von der perfekten Frau schreibt heute kaum noch jemand, zumindest benutzt man das Wort nicht mehr. »Perfekt« ist nämlich out. Das würde auch zu sehr nach den 60er-Jahren klingen. Für die moderne Frau dreht sich alles um ihr eigenes Wohlbefinden. Nur kleine Schubser in die richtige Richtung sind das, wenn für uns überlegt wird, wie wir uns richtig entspannen, was das neueste Superfood ist oder wie man trainiert, ohne unschöne Muskeln zu bekommen, die uns die schmale Silhouette versauen. Die Zeiten, als die Frage unser Leben bestimmte, ob dem heimgekehrten Gatten unser Schweinebraten schmecken wird, sind schließlich vorbei. Bei der Erfüllung unserer neuen Träume helfen uns Cremes, die passende Kleidung je nach Körperform, Fitnessgeräte und selbstverständlich unsere Selbstzweifel.

Die ersten Frauenzeitschriften im Wirtschaftswunderland hatten noch die Hausfrau mit Familie im Blick. Heute sind wir selbstbestimmt, unabhängig und erfolgreich. Erfolgreich heißt kaufkräftig, das hören sowohl die Magazine als auch ihre Anzeigenkunden gern. Superwoman ist gelandet und hat die Hausfrau endlich an die Seite gestellt. Aber war das wirklich ein guter Tausch? Jeden Monat flüstert man uns nun in unseren Zeitschriften und auf den dazugehörigen Webseiten eine Menge Dinge zu. Es ist unser ganz eigenes Absurdistan, in das wir uns beim Blättern begeben. Ein Land, in dem faltige Knie Problemzonen sind und man sich mit Contouring-Stiften die Beine schlanker schminkt. Auch in diesem Buch wird es um Cellulite, Winkefett und Modesünden gehen und doch wird es ganz anders. Wir wissen natürlich, unsere Beziehung können wir nicht mit der einen Knaller-Sexstellung retten und Bauchmuskeln mögen vieles definieren, aber sicher nicht unser Lebensglück. Nur, das tägliche Summen und Brummen der Abnehmdrinks- und Anti-Spliss-Fraktion abzustellen, ist gar nicht so einfach. »Sind Sie müde und schlapp und irgendwie tut alles weh?«, fragt eine Frauenzeitschrift. »Dann ist es Zeit für Detox.« Und so haben wir zum Schluss doch noch eine Antwort gefunden, die endlich Sinn macht. Denn es ist wirklich höchste Zeit für eine Entgiftung, für Schönheitswahn-Detox. Dieses Mal dürfen Weizen und Zucker bleiben. Statt Säften und warmem Wasser mit Cayennepfeffer nehmen wir ein paar Lacher zu uns. Wir zählen keine Kalorien, sondern alles auf, was uns ein schlechtes Gewissen macht: bei unserem Blick hinter die Kulissen der Schönheitsbranche. Dort, wo man uns nur allzu gern mit Fragezeichen bewirft, um dann Antworten anzubieten, die eigentlich keine sind. Auf Fragen, die wir nie gestellt haben. Wir brauchen niemand, der uns unsere Problemzonen erklärt. Am liebsten sind uns sowieso die, die wir noch gar nicht kennen.

Wie ich anfing, Frauenzeitschriften zu lesen und bemerkte, dass etwas nicht stimmte

Meine früheste Erinnerung an eine Frauenzeitschrift sind die Überlegungen meiner Eltern, ob die Zeitschrift Mädchen mit der Bravo zu vergleichen war. Ich muss ungefähr zwölf Jahre alt gewesen sein und die Bravo konnte ich nur bei Freundinnen durchblättern. Auch hier war sie manchmal von den Erziehungsberechtigten durch das Herausreißen kritischer Teile bereinigt worden.

Meine Eltern waren nicht prüde. Sie hatten nur beschlossen, die Aufklärung ihrer Tochter selbst in die Hand zu nehmen. Das Tempo bestimmte mehr ich als sie, und auch in diesem Fall hatten sie, wie bei vielen anderen Dingen, einen guten Riecher. Denn auch wenn ich hier und da versuchte, mir die ersten Hinweise auf das Mysterium Sex zusammenzupuzzeln – an der Mädchen interessierten mich andere Dinge. In den Tälern der Frühpubertät suchte ich nach Bestätigung. Bestätigung dafür, dass mein sich entwickelnder Körper nicht im ersten Stadium einer grausamen Krankheit steckte. Was andere natürlich fanden, war in meiner Wahrnehmung eher eine aufbrechende Masse, ein bisschen wie im Film Alien.

Die Mädchen auf den Titelseiten der Zeitschriften hatten reine Haut und perfekte Haare, und auch sonst scheinbar alles im Griff. Mehr noch, sie lächelten mir aufmunternd zu. Nicht so, wie die Frauen auf den Fernsehzeitschriften oder dem Playboy lächelten, auffordernd und verführerisch, den Blick von unten auf den Käufer gerichtet. Den Frauen auf den Titelbildern meiner Zeitschriften schaute ich direkt ins Gesicht, in ihre Augen. Es waren potenzielle Freundinnen, die sich mir anboten, und diese Freundinnen versprachen mir eine neue Welt. Eine Welt mit ein paar Dingen, die mir noch fremd waren. Aber doch eine Welt, die ich sonst nur selten so konsequent in einer Zeitung fand. Zwischen ihren Überschriften zu IT-Pieces, Dekorationsideen und der neuesten Coloration gegen Spliss las ich auch ganz deutlich ihr Versprechen: Das hier ist Frauenterritorium.

Mit zwölf Jahren wollte ich wissen, was mich erwartete. Wie es ist, eine Frau zu sein. Was ich tun musste, um eine zu werden und warum alles so verwirrend schien. Meine erste Mädchen bot mir das, was ich auch heute noch an Frauenzeitschriften spannend finde: andere Frauen und ihre Geschichten. Kathrin probierte zum ersten Mal lila Lidschatten, um sich zu schminken wie T-Seven von Mr. President, Franziska war auf der Suche nach der perfekten Jeans, die sie zur Levis 501 führte und Katharina hatte sich im Fotoroman unsterblich in Sebastian verliebt. Der aufmerksamen Leserin wird nicht entgangen sein, dass wir uns mitten in den 90er-Jahren befinden.

Damals fiel mir noch nicht auf, dass die Mädchen mich nicht fragte, wie ich sein wollte. Sie erklärte mir auch viel zu selten, wie ich sein könnte. Sie sagte mir stattdessen, wie ich sein sollte. Und ihre Variationsmöglichkeiten beim Thema Mädchen und Frau waren eher beschränkt. Ich bemerkte es noch nicht, denn zunächst wollte ich mich nur nicht allein fühlen und ein Stück von dem Wissen, was es heißt, eine Frau zu sein.

Zugegeben, mit meinen Erwartungen hatte ich dem bunten Heft eine ziemliche Hypothek mitgegeben. Die Frage, was eine Frau ist, ist schwer zu beantworten. Was macht Frauen aus: Brüste, Eierstöcke, eine Gebärmutter? Sagen wir, ich verliere etwas davon. Dann wäre ich noch eine Frau. Wenn ich morgen ohne Brüste aufwachen würde, sich aber sonst nichts geändert hätte, wäre ich trotzdem eine Frau. Vielleicht würden es ein paar Menschen anders sehen, aber ich würde eine Frau bleiben, weil ich mich fühle wie eine. Die Frage, ob ich mich verhalte wie eine Frau, aussehe wie eine, eine bin, kann eigentlich nur eine einzige Person beantworten: ich selbst.

Da wir aber nicht nur mit uns selbst leben (erfreulicherweise), gibt es natürlich trotzdem eine Idee in unseren Köpfen. Eine Idee davon, wie eine Frau so ist, wie sie aussieht und was sie tut oder nicht tut. In diesem Buch wird es viel um »die Frauen« gehen. Wenn wir von »den Frauen« lesen, sind wir es gewohnt, den Gegensatz dazu zu denken. Das wären dann »die Männer«. Frauen und Männer scheinen als Gegensatzpaar zusammenzugehören. Aber warum ist das eigentlich so? Man kann sagen: »Männer und Frauen sind eben unterschiedlich«, und das würde sogar irgendwie stimmen. Und trotzdem gibt es meistens mehr Unterschiede innerhalb einer Gruppe von Frauen bzw. Männern als zwischen den beiden. Nehmen wir zum Beispiel die Körpergröße. »Männer sind größer als Frauen«, das kann man so sagen. Und doch gibt es eine Menge Frauen auf der Welt, die größer sind als Männer. Auch der Größenabstand zwischen dem größten und dem kleinsten Mann der Welt ist viel größer als der Abstand zwischen dem Durchschnitt aller Männer und dem Durchschnitt aller Frauen. Der Satz »Männer sind größer als Frauen«, so offensichtlich er klingen mag, trifft nicht auf alle zu. Wir könnten noch viele andere Dinge auswerten: Einparkfähigkeiten, Anzahl der Tränen bei romantischen Filmen, Backkenntnisse oder die Schnelligkeit beim Holzhacken. Wenn wir dann nach unserer Untersuchung die Kurven mit den Messwerten von sehr vielen Männern und sehr vielen Frauen übereinanderlegen würden, würde es in der Mitte einen großen Bereich geben, in dem sie überlappen. In dem sich Männer und Frauen gleichen. Das heißt gleich gut einparken, Kuchen backen oder Holz hacken können. Die Ausschläge an den Enden der Kurven sind oft das, was wir als »typisch Mann« oder »typisch Frau« bezeichnen. Man kann sagen, es unterscheidet die beiden Gruppen. Aber es trifft nicht zwangsläufig auf alle zu.

Unsere Schubladen machen aber trotzdem Sinn. Denn wir ordnen damit unsere Welt. Wenn wir Erlebnisse oder Eindrücke nicht einordnen könnten, würde irgendwann unser Kopf explodieren angesichts der Flut an Informationen, die wir jeden Tag gefüttert bekommen. Wir können also gern versuchen, unsere Kopfkommode zum Sperrmüll zu stellen, es wird uns aber vermutlich nicht gelingen. Was wir allerdings tun können, ist, uns an die Schubladen zu erinnern, sie immer mal gut durchzulüften und die Dinge in ihnen ab und zu umzuorganisieren. Denn nicht nur die Welt ist manchmal verworren. Auch Frauen sind komplexe Persönlichkeiten, die von mehr bestimmt werden als nur davon, dass sie Frauen sind. Und für Männer gilt das Gleiche.

Die Kommode der Frauenzeitschriften hat nur eine Schublade, mit Vorhängeschloss. Sie wird sehr selten geöffnet und die meisten Dinge in ihr haben längst Spinnweben angesetzt. Trotzdem schaffen es die bunten Hefte jeden Monat wieder, den gleichen Inhalt neu zu beschreiben. Das ist eine ziemliche Aufgabe – die Ausgaben, die hier vor mir liegen, haben schließlich alle um die 300 Seiten. Aber wenn man unseren Lieblingsmagazinen glaubt, ist es eben auch nach dem zwölften Lebensjahr immer noch keine leichte Sache, eine Frau zu sein. Um die Aufgabe zur Zufriedenheit aller zu erledigen, brauchen wir etwas Unterstützung. Genau an dieser Stelle tut man uns den ersten Gefallen, um den wir nicht gebeten haben. Die Zeitschriften vereinfachen einfach alles ein bisschen. Aus den verschiedensten Frauen, Körpern, Hautfarben, Haaren und Interessen, die wir in der wirklichen Welt finden, wird bei ihnen – zauber, zauber – eine einzige Sorte Frau. Nun gut, vielleicht manchmal auch anderthalb. Es ist die Sorte Frau, die in die Schublade passt. Die Sorte Frau, die jeden Morgen zuverlässig mit zauberhaftem Lächeln und perfektem Make-up ihrem Bett entsteigt. Um hängende Brüste und unschöne Kissenfalten zu vermeiden, schlief sie sitzend im BH. Ganz still saß sie dort, acht Stunden lang und träumte von ihrer eigenen Hochzeit. Gut ausgeruht startet sie nun wahlweise mit einem Eiweißshake oder Quinoa-Power-Müsli in den Tag. Das macht sie so glücklich, dass sie gerade schon wieder lacht und ihre Haare zurückwirft.

Selbstverständlich wissen wir, dass diese Frau nicht existiert. Und ziemlich kompliziert klingt das auch, so zu sein. »Und genau deshalb sind wir für euch da!«, rufen die Frauenzeitschriften nun prompt. »Eigentlich ist auch alles ganz easy und macht total Fun. Ihr könnt ja nichts dafür, dass Frauen so komplizierte Wesen sind.« Oder dazu gemacht werden. Denn wir lieben Süßes, aber wollen nicht dick werden. Wir wollen den Mann fürs Leben (alle, ausnahmslos), aber trotzdem unabhängig sein. Wir lieben Handtaschen und Schuhe abgöttisch, aber uns gefallen immer nur die teuersten Exemplare. Kein Wunder, dass wir so oft Kopfschmerzen haben und unsere schwierigen Tage mit Chips beschließen. Man kann es nicht anders sagen, es scheint kompliziert zu sein, so ein Frauenleben. Wie schön, dass uns auch bei der Strukturierung geholfen wird.

Dank eines verlässlichen Jahresrhythmus der Themen können wir nämlich sicher sein, unsere Energie immer auf die richtigen Dinge zu konzentrieren. Seit ich Frauenzeitschriften lese, brauche ich keinen Kalender mehr. Um festzustellen, wo wir uns gerade im Jahr befinden, reicht mir ein Blick ins Zeitschriftenregal. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat gerade das neue Jahr begonnen, wenn wir unsere Weihnachtspfunde loswerden wollen. Dann verbringen wir, irgendwo zwischen Flirttipps im Frühling und den Vorbereitungen auf den Sommer-Bikini-Body, die schönsten Monate des Jahres mit den wirklich wichtigen Dingen, um uns im Oktober ins sexy Halloweenkostüm zu zwängen. Ab da dekorieren wir eigentlich nur noch durch bis Dezember und basteln mit unseren festlichen Fingernägeln tolle Sachen. Im Mega-Glitzeroutfit mit Mörder-High-Heels blicken wir dann an Silvester auf ein ganz fantastisches Jahr zurück. Wenn da nur nicht die drei Kilo zu viel von den Feiertagen wären …

Jetzt sitzen Sie hoffentlich mit diesem Buch an einem gemütlichen Ort und denken sich vielleicht: »Ich lese Frauenzeitschriften eigentlich immer in der Arztpraxis, auf langen Zugfahrten oder im Urlaub auf der Sonnenliege. Wenn ich mich mit den existenziellen Fragen meines Daseins beschäftigen will, greife ich zu Richard David Precht.« Dass mir hier keine sehr gut Bücher verkaufende und gern in Talkshows sitzende Philosophin in weiblich einfiel, ist übrigens bereits Teil des Problems. Deshalb gibt es nur eine Erwiderung auf diesen kleinen Einwand: »Eben! Genau das flüstern uns die parfümierten Seiten ja ständig zu.« – »Schh, sei still …«, sagen sie, »wir wollen dich nur ein wenig unterhalten. Und auf dem Weg dorthin bekommst du noch eine neue Frisurenidee und den letzten Outfitausrutscher deiner Lieblingsberühmtheit oben drauf. Total praktisch, oder? Und total belanglos. Tut niemandem weh und macht sogar Spaß.«

Und zack, sitzen wir in der Falle. Zumindest kam es mir so vor. Denn je mehr ich mich durch Frauenzeitschriften blätterte, desto weniger fühlte sich das Ganze nach einer harmlosen kleinen Realitätsflucht an. Dass sich gelegentlich sehr offensichtlicher Quatsch auf den Hochglanzseiten findet, wurde mir schnell klar. Aber es gibt auch Dinge, die mir nicht sofort ins Auge sprangen. Mit der Zeit bemerkte ich: Beim Zuklappen eines dieser Magazine fühlte ich mich immer ein bisschen schlechter als vorher. Ich schaute ein wenig kritischer in den Spiegel und wunderte mich, welche Produkte beim Einkauf im Wagen landeten. Mich überkam ein schlechtes Gewissen, beim nächsten Schokoriegel oder in den fünf Minuten, die ich mit Nichtstun verbrachte, anstatt sie in meine Bauchmuskeln zu investieren. »Moment mal«, dachte ich, »so haben wir nicht gewettet, das sollte mich doch alles nur ein bisschen unterhalten.«

Wenn Sie jetzt immer noch innerlich sagen: »Ich glaube, so geht es mir noch nicht«, mag es daran liegen, dass wir nicht ein und dieselbe Person sind. Wir haben verschiedene Geschichten, vermutlich nicht die gleiche Lebenssituation, die gleiche Hautfarbe oder Schuhgröße. (Ich könnte zum Beispiel Comicturnschuhe in der Kinderabteilung kaufen, wenn ich denn wollte.) Wir müssen nicht bei allem, was ich in diesem Buch schreibe, einer Meinung sein. Und trotzdem bin ich davon überzeugt, dass wir sie alle kennen, diese giftigen kleinen Gedanken, die sich bei unseren Selbstgesprächen von Zeit zu Zeit nach vorn drängen: »Bin ich eigentlich hübsch, dünn, klug (aber nicht einschüchternd klug) und locker genug (und nicht nervig und anstrengend), um gemocht zu werden?« Viele Dinge, denen wir Tag für Tag begegnen, tun leider nichts dafür, dass diese Fragen leiser werden. Achten Sie mal darauf, woran Sie beim nächsten Eis denken, wenn Sie kurz vorher von der Super-Sommer-Blitz-Diät gelesen haben.

In meiner ersten Frauenzeitschrift suchte ich nach Gemeinschaft. Und die Gemeinschaft von Frauen ist super. Wir alle haben Mütter, Töchter oder Freundinnen, die unser Bestes wollen, denen wir vertrauen und die uns oft genug auch sehr gut unterhalten. Aber noch keine dieser Frauen ist je auf uns zugelaufen, hat an unserem T-Shirt gezupft und uns in die Hüfte gekniffen, um dann laut auszurufen: »Mensch Mädel, das geht aber besser.« Wenn Ihnen das doch passiert ist, kann ich Ihnen nur raten, diese Person aus Ihrem Leben zu streichen. Was ich damit sagen will: Diese Zeitschriften sind nicht unsere Freundinnen. Egal, wie nett sie uns vom Regal aus anlächeln.

Gut, unsere Beziehung zu Frauenzeitschriften ist heute vermutlich weniger emotional aufgeladen als bei meinem zwölfjährigen Ich und der Mädchen. Aber treue Leserinnen sind wir trotzdem. Es gibt knapp hundert Frauenzeitschriften, die wir jeden Monat kaufen können. Und es kommen noch immer neue Titel hinzu, auch wenn auf dem schrumpfenden Markt für Gedrucktes alle um jede Leserin kämpfen müssen. Die alten Hasen wie InStyle,Glamour oder Cosmopolitan verkauften im ersten Quartal 2016 jeweils zwischen 250 000 und 330 000 Stück.1 Das ist weniger als noch vor einigen Jahren. Dafür finden wir ihre Themen heute auch auf vielen Webseiten und in den »Vermischtes«-Abteilungen anderer Onlineableger, die sich gern in Abgrenzung zu den bunten Heften Qualitätsmedien nennen.

Denn noch etwas hat sich geändert seit meiner ersten Mädchen-Erfahrung. Die Anzahl der Produkte, die sich an Frauen richten, hat sich erhöht. Wir können Frauenzeitschriften und Promimagazine mittlerweile online und in Apps lesen. Und während wir in Lifestyle- und Modeblogs nach Rezepten oder neuen Outfits suchen, geben wir unseren Kalorienverbrauch und unsere Fitnesserfolge oder Schwangerschaftssymptome ins Smartphone ein. Produkte, die angeblich unserer Unterhaltung dienen, werden gern als ein wenig belanglos wahrgenommen. Und gleichzeitig als kommerzielle Goldminen gepriesen. Nicht alle Frauen mögen diese Zeitschriften, Blogs oder Apps nutzen. Aber in einer Welt, die Käuferinnen gern in Gruppen für den Massenmarkt einteilt, bestimmen sie für uns alle mit, was Frausein bedeutet. Frauenzeitschriften sind unter diesen Medien eine besondere Gattung. Denn nicht selten finden wir hier in konzentrierter Form die Klischees, die uns auch anderswo begegnen. Deshalb lohnt sich ein besonders genauer Blick. Damit wir uns in Zukunft überall besser von den Inhalten fernhalten können, die uns das Gefühl geben, nicht gut genug zu sein.

Denken wir, bevor wir so richtig loslegen, noch einmal kurz über das Wort »Frauenzeitschriften« nach. Wer einmal in einem Zeitschriftenladen stand, weiß, Männerzeitschriften existieren gar nicht als eigene Rubrik. Men’s Health (Bauchmuskeln), kicker (Fußball) oder Beef (Fleisch) findet man in den Regalen unter den Überschriften »Sport«, »Genuss« oder »Freizeit und Hobby«. Sich Männer und ihre Interessen als einheitliche Gruppe vorzustellen, scheint schwerer zu funktionieren als bei Frauen. Apropos Männer. Zu denen muss ich auch noch ein paar einleitende Worte verlieren.

2015 lief vor der Tagesschau ein neuer Werbespot für ein Abnehmpulver. Statt der mit Mopshund joggenden Frau erzählte nun Schauspieler Christian Ulmen von seinen Diäterfolgen. Bereits einige Jahre zuvor hatte Fußballnationaltrainer Jogi Löw einen grauhaarigen Mann gecoacht. Der stand im Werbespot mit Blumenstrauß vor der Tür seiner Angebeteten, und Jogi empfahl wenig charmant: »Du bist zwar deutlich in der zweiten Halbzeit, aber jetzt solltest du deine ganze Erfahrung ausspielen. Keine Angst, da geht noch was!« Geworben wurde für eine Anti-Aging-Pflegeserie speziell für den Mann.2 Auch männliche Bäuche ohne Bauchmuskeln und mit Haaren sieht man in der Werbewelt immer seltener.

Als ich begann, auf meinem Blog über langweilige Frauenthemen und den Schönheitsirrsinn zu schreiben, dauerte es nicht lange, bis jemand kommentierte, dass es Männern doch genauso gehe. Ich könne also aufhören, mich zu beschweren. Mit Blick auf die oben genannten Beispiele stimmt das sogar, auch Männer sind immer mehr einem Schönheitsideal unterworfen. Und doch ist es nicht ganz das Gleiche. Ein Beispiel: Wenn David Beckham mit gut gefüllter Unterhose meterhoch auf Plakatwänden hängt und über den Inhalt dieser Unterhose und dessen Echtheit (etwa ausgestopft, Socken, Penisprothese?) ein paar Tage lang diskutiert wird, dann ist David trotzdem halb nackig auf der Friedrichstraße zu sehen, weil er genau diese Unterwäsche verkaufen will. Die, die er trägt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Produkt und der sexy Präsentation. Frauen in knappen Bikinis hängen aber auch auf Plakatwänden, um Baumärkten, Autowerkstätten oder Rentenversicherungen neue Kunden zu verschaffen. Nicht nur deshalb verwirrte mich in dem Kommentar zu meinem Blog damals genauso wie heute das Argument, dass es bei Männern doch genauso sei. Denn selbst wenn man dem zustimmen würde, verstehe ich den Einwand nicht. Macht es den Schönheitswahnsinn denn besser oder erträglicher, wenn er auch Männer betrifft? Diese Erkenntnis müsste doch eher bedeuten, dass wir uns sogar noch mehr darüber ärgern sollten, nur eben am besten gemeinsam, oder?

Wenn ich schreibe, es sei immer noch keine leichte Sache eine Frau zu sein, dann kann ich natürlich dazuschreiben: »Männern geht es vermutlich ähnlich.« Jedes Mal. »Achtung: Das kann auch für Männer gelten.« – »Kurze Anmerkung: Diese Gefühle können auch bei Männern auftreten.« Das wäre allerdings nicht nur ziemlich ermüdend für Sie als Leserin und für mich, das wäre auch nicht mein Buch. Wenn ich etwas schreibe, habe ich immer ein Bild im Kopf von dem- oder derjenigen, für die ich schreibe. Bei diesem Buch habe ich mir eine Freundin vorgestellt, mit der ich mich unterhalte. Wir amüsieren uns über die absurden Schlagzeilen der Frauenzeitschriften, ich erzähle ein paar Geschichten und wir ärgern uns ein bisschen. Am Ende hat sie gelacht, ein paar bisher unbekannte Fakten erfahren und geht mit einem guten Gefühl nach Hause. Vielleicht hat sie sogar ein bisschen konstruktive Wut im Bauch.

Und jetzt kommt, und dann ist diese kleine Vorrede vorbei, das Tollste. Trotz der Leserin, die ich mir vorgestellt habe, ist dies nicht ausschließlich ein Buch für Frauen. Tatsächlich lesen Frauen jeden Tag eine Menge Dinge, die Autoren mit einem männlichen Publikum im Kopf geschrieben haben. Also können Männer das auch ganz gefahrlos mit diesem Buch tun. Ich habe das Gefühl, mich jetzt ganz gut eingegroovt zu haben und glaube, es wird ziemlich witzig und interessant. Bleiben Sie also einfach noch ein wenig dabei, egal ob Sie finden, Sie sind eine Frau oder ein Mann oder irgendetwas dazwischen. Egal ob Sie diese Zeitschriften ärgern, gut unterhalten oder Ihnen kaum etwas egaler sein könnte. Als Nächstes erfahren wir nämlich, wer die Cellulite erfunden hat und warum Problemzonen es gern gesellig mögen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Sie mit diesen Antworten einmal ganz groß bei »Wer wird Millionär« abräumen.

Schöne Achseln oder: Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne

Schlagen wir eine beliebige Frauenzeitschrift auf und bilden uns ein wenig. Es gibt feines, plattes oder stumpfes Haar. Zusätzlich zu kraftlos-geschwächtem Haar, welches nach sofortiger Rettung verlangt. Ich sehe es bildlich vor mir: mein Haar, geschwächt am Boden. Es atmet nur noch ganz flach. Ich habe es mit dem falschen Shampoo in seinen sicheren Untergang getrieben. Den kann ich nur noch mit einem »revitalisierenden Spray« aufhalten, das »unmittelbare Griffigkeit« verleiht. Nun bin ich der Meinung, Griffigkeit ist seit Rapunzels Zeiten bei Haaren nicht mehr unbedingt vonnöten. Weil der Traumprinz auch einfach klingeln kann. Aber für fünfzehn Euro darf das Spray von mir aus natürlich gern einen Zusatznutzen aufweisen. Und um nie wieder so viel Geld ausgeben zu müssen, kehre ich, wenn wieder alles tippitoppi ist mit meinen Haaren, selbstverständlich nicht zu meinem alten Shampoo zurück, sondern benutze von nun an ausschließlich die Pflegeserie »für repariertes Haar«.

Ich nenne es liebevoll das Problemzonencasting. Die Schönheitsbranche ist einer der konkurrenzreichsten und profitabelsten Wirtschaftszweige weltweit. Der Herstellungspreis ihrer Produkte macht oft nur einen Bruchteil des Verkaufspreises aus. Die zusätzlichen Euro zahlen wir für zwei Versprechen: Wir kaufen nicht nur Haarpflege, Mascara oder Parfüm. Wir kaufen auch Luxus und Einzigartigkeit. Eine Idee, die übrigens in Deutschland getestet wurde. Als sich L’Oréal in den 60er-Jahren als erste Kosmetikfirma entschied, ihr neues Haarspray einfach zum doppelten Preis wie das Konkurrenzprodukt zu verkaufen. Einfach so, in der Hoffnung, dass es ihm Exklusivität verleihen würde. Eine damals sehr ungewöhnliche Taktik im Beautybereich, die kritisch beäugt wurde und komplett aufging.3 Noch heute kaufen wir bei Schönheitsprodukten das Versprechen auf etwas Besonderes mit.

Und wir kaufen die Lösung eines Problems. Aber in einer Branche, in der sich ständig neue Produkte behaupten müssen, ist es klug, sich auch ein wenig den eigenen Bedarf zu schaffen und nicht nur die Probleme zu lösen, die es bereits gibt. Genau hier kommt das Problemzonencasting ins Spiel. Das geht so: Bei der Produktentwicklung und den anschließenden Marketingsitzungen dreht und wendet man eine handelsübliche Frau und schaut prüfend nach, was man schlechtreden könnte. Um es dann, mithilfe des neuen Produktes, wieder ein bisschen zu verbessern. Denn in vielen Fällen ist der Frau ihr Problem noch gar nicht bewusst, wenn die neue Ware den Markt erreicht. Deshalb muss man ihr den frisch entdeckten Makel zunächst genau erklären. Dabei helfen unsere Magazine und Zeitschriften gern mit. Sie leben nämlich nicht nur vom Verkaufspreis, sondern auch von ihren Werbeeinnahmen. Dieses Geschäftsmodell ist so einfach wie genial. Man befeuert die Unsicherheiten von Frauen, um ihnen die Lösung für das eingeredete Defizit gleich mitzuverkaufen. Babys kommen nicht auf die Welt und suchen argwöhnisch ihre Oberschenkel nach Dellen ab. Und genau mit diesen Dellen, auch bekannt als Cellulite, fing alles an.

Die Erfindung der Cellulite

Die Cellulite ist das Urpferdchen bei der Erfindung von Problemzonen. Was wir Cellulite nennen, ist eine normale Reaktion der weiblichen Haut. Sie beruht auf dem Zusammenspiel der Hormone Östrogen und Progesteron. Die Bezeichnung existiert seit den 20er-Jahren, und sie beschreibt etwas Charakteristisches am weiblichen Körper, wie Brüste oder die Menstruation. Je nach Studie haben zwischen 85 und 98 Prozent aller Frauen Cellulite. Diese hohen Zahlen zitieren auch Frauenzeitschriften gern. Aber nicht, um Normalität zu unterstreichen, sondern um uns zu sagen: »Du bist nicht allein mit deinem Problem.«

98 Prozent. Das ist ungefähr die gleiche Anzahl an Frauen, die voll entwickelte Brüste haben. Wir könnten uns also genauso gut dafür entscheiden, gegen unser Brustwachstum zu cremen. Es hätte den gleichen Effekt (so gut wie keinen) und die gleiche Gewinnspanne für die Unternehmen (eine ziemlich große).

Wer genau den Startschuss zum Vormarsch der Cellulite in die besorgten Köpfe von Frauen gab, ist nicht ganz klar. Aber 1968 veröffentlichte die Vogue einen großen Artikel, der Cellulite erstmals als kosmetisches Problem beschrieb.4 Die Vogue hatte gemeinsam mit anderen Modemagazinen bereits seit den frühen 60er-Jahren begonnen, sich etwas mehr um den Körper in der Kleidung zu kümmern. Man könnte überlegen, ob diese Entwicklung etwas mit den zeitgleich ansteigenden Werbebudgets für Beautyprodukte zu tun hatte. Also mit viel verfügbarem Geld für die Bewerbung genau der Produkte, die dann zum perfekten Vogue-Körper verhelfen sollten. Aber das wäre vermutlich eine gemeine Unterstellung. Sicher wollte man bei der Vogue nur noch besser auf die Bedürfnisse der Leserinnen eingehen und sie einfach umfassend über ihre ganzen Defizite informieren. Nach der Vogue folgten auf jeden Fall noch viele, viele andere mit ihren Texten dem Pfad der Orangenhaut. Einige Jahre schrieben Autoren und Autorinnen in dermatologischen Fachzeitschriften noch gegen die »erfundene Krankheit« an und beschrieben fleißig die »anatomische Basis und hormonelle Verfasstheit dieses bei Frauen normalen Hautbildes«.5 Übersetzt also: »Das ist doch völlig normal bei Frauen!« Aber der Siegeszug der Cellulite und ihrer Gegenmittel war nicht aufzuhalten.

Fast fünfzig Jahre später verkündet die Frauenzeitschrift meines Vertrauens munter weiter: »Da wabbelt nichts! Bis zu 98 Prozent aller Frauen über 20 Jahre haben die lästigen Dellen an Oberschenkel und Po. Gut, dass man etwas dagegen tun kann.« Wer die eigene Cellulite nicht auf den ersten Blick erkennt, der wird geraten, »die Haut zwischen den Oberschenkeln zusammenzuschieben, bis die Dellen sichtbar werden«. Und schon heißt es: »Willkommen im Club!« Die Tipps gegen Cellulite sind vielfältig. Man kann sich in Zellophanfolie einpacken, die Fettzellen mit Stromstößen erschrecken oder Kaffeesatz einmassieren. Nichts hilft natürlich so gut wie die neue Creme, die im Artikel empfohlen wird. Und über das Heft verteilt finden sich, wer hätte das gedacht, drei weitere Werbeanzeigen zum Thema. Nun habe ich als Leserin die Qual der Wahl. Für zwanzig bis vierzig Euro kann ich mich mit 200-ml-Cremes eindecken, die mich entschlacken, meine Konturen verbessern und mir helfen, den Teufelskreis der Cellulite zu durchbrechen. Da läuft es mir schon kalt den Rücken runter. Gut, dass Rettung nicht weit ist. Geheime Pflanzenextrakte und vier (!) Patentanmeldungen auf nur eine Creme können nicht irren. Was Dermatologen noch vor einigen Jahrzehnten als unwissenschaftlich oder zumindest unnütz brandmarken wollten, wird also nun mit Pseudowissenschaft beworben. Mein persönlicher Lieblingstipp stammt aber nicht aus dem Artikel, sondern von einer Webseite. Hier wird mir geraten, »mich einfach nicht stressen zu lassen. Dann bleiben die Hormone in Balance.«6 Ähm, ja.