Amore alla romana - Rita Linhart - E-Book
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Amore alla romana E-Book

Rita Linhart

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Beschreibung

Lust und Leid in der Ewigen Stadt! »Die erste große Liebe ist etwas ganz Besonderes«, sagte Romina, als sie mit dem leeren Korb zurückkam. Sie strich ihrer Enkeltochter übers Haar. »Man sollte alles versuchen, um sie auszuleben, und manchmal muss man dafür eben zu ein paar Tricks greifen.« Sonnenschein, Eiscafé mit der besten Freundin: Es könnte so schön sein, das Dolce Vita. Doch Studentin Lina hat Liebeskummer. Dieser begleitet sie in ihre Wahlheimat Rom. Immer an ihrer Seite ist Oma Romina, gebürtige Sizilianerin. Die Reize der beiden Damen bleiben den Römern nicht lange verborgen. Doch obwohl die Stadt am Tiber alle Register zieht, befällt Lina, wenn sie abends auf ihrer Dachterrasse steht, eine fast unerträgliche Wehmut nach ihrer großen Liebe… Amore alla romana: Ein frecher, sexy Roman nicht nur für Italienliebhaber und heißblütige Studentinnen. Begeisterte Leserstimmen: "Sehr empfehlenswert für alle die sich entführen lassen möchten in eine Reise in einer der wunderbarsten Städte der Welt [...]" "Ein spritziger Sommer-Roman, nicht nur für junge Frauen." »Amore alla romana« ist ein eBook von feelings –emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Rita Linhart

Amore alla romana

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Lust und Leid in der Ewigen Stadt!

Sonnenschein, Eiscafé mit der besten Freundin: Es könnte so schön sein, das Dolce Vita. Doch Studentin Lina hat Liebeskummer. Dieser begleitet sie in ihre Wahlheimat Rom. Immer an ihrer Seite ist Oma Romina, gebürtige Sizilianerin. Die Reize der beiden Damen bleiben den Römern nicht lange verborgen. Doch obwohl die Stadt am Tiber alle Register zieht, befällt Lina, wenn sie abends auf ihrer Dachterrasse steht, eine fast unerträgliche Wehmut nach ihrer großen Liebe …

Inhaltsübersicht

WidmungZitat1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. KapitelLESETIPP: »Die Achse meiner Welt«Vorbemerkung1. Kapitel
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für meine Oma und Heiko

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… Nichts von alledem ist zu sehen für jene, die sich zu Fuß oder auf Rädern über das Pflaster der Straßen bewegen. Dafür hat man umgekehrt von hier oben den Eindruck, dies sei die wahre Kruste der Erde, uneben, aber kompakt, wenn auch zerfurcht von Spalten, deren Tiefe man nicht erkennt, von Rissen und Gräben und Kratern, deren Ränder im perspektivischen Blick zusammengerückt erscheinen wie Schuppen an einem Tannenzapfen, und es kommt einem nicht einmal mehr die Frage, was sie auf ihrem Grunde verbergen, da schon die Ansicht der Oberfläche so unendlich reich und vielfältig ist, dass sie vollauf genügt, den Geist mit Informationen und Bedeutungen anzufüllen.

Italo Calvino

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1. Kapitel

Sommer 1979

Lina, hast du Lust, mit mir eine Runde auf dem Motorrad zu fahren?«, sagte Lina und drückte ihr Kinn an den Hals, um aus ihrer Kehle möglichst tiefe Töne zu pressen. »Und hinterher könnten wir zum Jugoslawen gehen und Ćevapčići essen«, fügte sie im Bass hinzu. Dann musste sie lachen, ihre Stirnfalten glätteten sich, und ihre Stimme nahm wieder normale Tonhöhe an. »Genau das hat er gesagt.«

»Und dann frisst er wieder eine Platte für zwei Personen, weil du keinen Bissen runterkriegst, und merkt es noch nicht einmal«, kommentierte ihre Freundin Renata und gab ihr Feuer.

Lina nahm einen tiefen Zug und stieß den Rauch geräuschvoll aus.

»Hei, ich bin heilfroh, dass ich das Lateinabi geschafft habe. Bauer hat in den letzten Wochen ja nur noch von diesem Passionsspiel geschwafelt«, stöhnte Renata.

»Ja, er ist halt mit Leib und Seele Oberammergauer. Möglicherweise kann er nächstes Jahr sogar den Jesus spielen.« Lina merkte, wie Stolz in ihr aufstieg.

»Wie immer?«, unterbrach Pippo ihr Gespräch.

»Nein, heute nicht, ich brauche einen Fernet«, sagte Lina.

»Für mich auch«, fügte Renata hinzu, »on the rocks, bitte!«

Die Eisdiele Venezia war bis auf den letzten Tisch besetzt. Sie saßen drinnen, weil sie draußen keinen Platz bekommen hatten. Über ihnen brummte ein Ventilator, der die verrauchte Luft träge umwälzte.

»Ich sag’s dir, Süße, heute bist du fällig. Zuerst will er dir ein bisschen Angst einjagen auf seiner dicken BMW und dann runter mit der Lederkluft und ab ins Kornfeld.«

»Oh mein Gott, Renata, ich bin ja so aufgeregt. Ich bin jetzt keine Schülerin mehr und er nicht mehr mein Lehrer.«

 

»Genau, dein Pauker kann dich jetzt schnicken, ohne vom Schuldienst suspendiert zu werden … Aber stell dir mal diese Schlagzeile vor: Der Oberammergau: Jesusdarsteller nagelt ehemalige Schülerin, das klingt auch nicht gerade kirchenkonform.«

Lina brach in schallendes Gelächter aus.

»Oder Herrgottschnitzer schneidet sich ins eigene Fleisch.«

»Hör auf«, brüllte Lina, »ich muss sonst lachen, wenn ich mit ihm schlafe.«

Pippo stellte ihnen zwei tulpenförmige, bis zum Rand gefüllte Likörgläser hin.

»Wie geht es Signora Romina?«, fragte er leise. Trotz der Hitze trug er ein schwarzes Jackett. Aber er schwitzte gewaltig, und seine dünnen schwarzen Haare klebten wie Bindfäden auf der Kopfhaut.

»Meiner Oma geht’s gut«, sagte Lina, »ich soll Ihnen auch einen schönen Gruß ausrichten.«

Pippos angestrengter Gesichtsausdruck lockerte sich auf der Stelle und verwandelte sich in ein seliges Lächeln. Dann wurde er an den Nebentisch gerufen.

»Auf die Götter!« Renata hob vorsichtig ihr Glas.

»Auf den Olymp!« Lina nahm einen großen Schluck der dunklen scharfen Flüssigkeit. Sie brauchte jetzt etwas, das ihren Magen beruhigte. Sie war so aufgeregt, dass sie jetzt noch nicht mal ein Eis runterbekommen würde.

»Treffen wir uns hinterher?«, fragte Renata.

»Klar, ich ruf dich an, sobald es geht«, versprach ihr Lina und trank ihr Glas aus. Mit einem tiefen Seufzer lehnte sie sich nach hinten, hielt sich die Haare hoch, um sich etwas Abkühlung im Nacken zu verschaffen.

»Du kannst Tag und Nacht anrufen.« Renatas Blick wanderte über die Tische. »Kein einziger gescheiter Kerl hier. Ich muss nachher mal hoch zu Alberto, der schläft bestimmt noch. Kannst du mir mal sagen, warum Italiener ständig pennen? Wenn diese Italos nur nicht so verdammt gut aussehen würden!«

Lina sah auf die Uhr. Zehn vor zwei. Um zwei wollten sie sich vor seiner Garage treffen.

»Immer mit der Ruhe, Süße, lass ihn ein bisschen schmoren!«

»Und wenn er ohne mich fährt?« Lina hob das leere Glas noch mal an ihre Lippen und trank das geschmolzene Eis.

»Dann ist ihm nicht mehr zu helfen. Du bleibst jetzt noch zwanzig Minuten hier sitzen, ich spendiere uns noch einen. Pippo! Noch zwei Fernet!«, rief Renata nach draußen, wo er gerade zwei ältere Damen abkassierte.

»Und seine Freundin? Diese … Mechthild? Meinst du, er verlässt sie, wenn er mit mir geschlafen hat?«

»Vergiss Schmechthild! Allerdings kommt es schon darauf an, wie du dich anstellst«, sagte Renata und zog im schnellen Abstand mehrfach die Brauen hoch.

»Vielleicht findet er meinen Busen zu klein?«

»Dann findest du eben auch etwas zu klein an ihm.«

»Das wäre der Hammer!« Lina lachte. »Aber vielleicht ist er ja enttäuscht, dass ich keine Jungfrau mehr bin.«

»Lieber Himmel, in diesem Käsenest leben sie aber wirklich noch hinter dem Mond. Eindeutig zu viel Maria und Josef! Pass nur auf, dass Bauer demnächst nicht noch über die Donau geht.«

»… besser als über den Jordan«, giggelte Lina.

Pippo stellte ihnen die Getränke hin, und Renata wartete einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: »Okay, dann musst du halt einfach lernen, dich wie eine Jungfrau aufzuführen. Das wirst du wohl noch hinkriegen!« Renata schloss die Augen und stöhnte: »Oh, nein, nicht, aua, aua, oh, oh, oh, guuut, meeehr!«

Ein paar Gäste drehten die Köpfe. Renata rollte mit den Augen und zog eine Grimasse.

»Auf die Liebe!«

»Auf den Sex!«

Beide nahmen einen kräftigen Schluck.

»Und das Blut?«, fragte Lina.

»Sag mal, wir sind doch nicht in Sizilien, wo sie die Laken wie Trophäen raushängen! Oder kannst du dir vorstellen, dass er morgen früh das blutverschmierte Betttuch wie die Nationalflagge auf dem Marktplatz hisst?«

Lina kicherte. Sie bückte sich, um zu seinem Fenster hochzusehen. Viel konnte sie nicht erkennen, die Markise vor der Eisdiele versperrte ihr die Sicht.

»Er hat immer so stolz erzählt, dass Schmechthild noch Jungfrau sei. Bestimmt ist es wichtig für ihn. Meine Oma hat erzählt, dass es in Sizilien viele Mädchen gab, die mit Tomatensoße getrickst hätten.« Lina zog die Schultern hoch und klemmte die Hände zwischen die Oberschenkel. Ihre Füße wippten unentwegt.

»Deine Tage hast du nicht zufällig?«

»Nein, eben nicht, bin gerade fertig damit, deshalb kann heute auch nichts passieren.«

»Okay«, sagte Renata und kratzte sich am Kopf. »Dann muss ich jetzt eben noch zu Gubi.«

»Gubi?«

»In den Supermarkt! Eine Tube Tomatenmark kaufen.«

»Oh mein Gott, nein! Renata!«

»Hör zu, Süße, nach der Nummer kleckst du einfach ein wenig davon aufs Laken.«

»Und wenn er was merkt?«

»Männer schlafen nach dem Sex eh immer ein, mach dir also keinen Kopf.« Renata schaute auf die Uhr und stand auf. »Ich bin gleich wieder da.«

Lina packte sie am Arm und versuchte, sie festzuhalten.

»Ist das dein Ernst?«

»Klar, Süße, für dich tue ich doch alles. Unter einer Bedingung: dass du mir erzählst, wie es war, und vor allem, wie er war. Ich brauche das für meine Studien.«

»Versprochen!«

»Bis gleich! Trink noch einen, du hast ja eiskalte Hände!«

Renata schlängelte sich durch die Reihen und ging nach draußen. Lina nahm noch eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Pippo kam an ihren Tisch.

»Noch was zu trinken, Signorina Lina?«

»Lieber nicht.« Ihr war schon leicht schwindelig.

Lina bückte sich noch etwas tiefer und blickte über den Marktplatz. Ihr ehemaliger Lehrer wohnte in dem Apartmenthaus direkt gegenüber. Er war zum Greifen nahe. Heute würde es geschehen, das wusste sie. Sie atmete tief durch. Bestimmt war er schon an der Garage und wartete dort auf sie. Es war bereits kurz vor zwei Uhr. Was sollte sie nur machen, wenn er gleich mit dem Motorrad hier vorbeirasen würde? Dann wäre alles umsonst gewesen. So eine Chance bekam man nur einmal im Leben.

 

Lina kramte ein kleines Notizheft aus dem Rucksack und blätterte darin.

Der Abiball! Dahinter waren fünf Herzen gemalt.

Zuerst hatte sie mit ein paar Jungs aus ihrer Klasse getanzt: Steckrüben-Rudi hatte bei Nights in White Satin seine Rübe an ihr rechtes Bein gedrückt, dasselbe bei Child in Time mit Schraubenzieher-Willi. Es gab immer eine langsame und eine schnelle Runde. Ausgerechnet diese beiden Samenstaububis hatten sich eine Engtanzrunde mit ihr ausgesucht. Danach wurde sie von Alberto aufgefordert, und sie hatte zu den fetzigen Rhythmen der Stones ihre langen Haare dermaßen durch die Luft gewirbelt, dass sie danach reif für eine Pause an der Bar gewesen war.

Dann war ER gekommen, Herr Bauer. Sie hatte ihn sofort erspäht, wie er sich seinen Weg durch die schwarze, zuckende Menge gebahnt und mit ein paar Leuten gesprochen hatte. Es hatte bei den Theaterproben schon mächtig geknistert, wie würde das erst sein, wenn sie gleich mit ihm tanzen würde? Flugs hatte sie sich vom Barhocker geschwungen und war in Richtung Toilette gegangen.

»Ah, Herr Bauer, hallo«, hatte sie gegen Deep Purple angebrüllt.

»Lina!«, hatte er sie begrüßt, und ein Lächeln hatte seine angestrengten Gesichtszüge entspannt.

Es hatte noch eine halbe Stunde gedauert, bis sie sich zu den Klängen von Fleetwood Macs Albatross im Takt bewegten. Es war unheimlich schwer gewesen, Abstand zu halten. Wie zwei Magnete hatten sich ihre Körper angezogen und wollten aneinanderklatschen, aber eine gewisse Scheu hielt Lina zurück. Bis sie von hinten geschubst wurde. Renata, eng an Alberto geschmiegt, hatte wohl kurz das Gleichgewicht verloren und den Rempler verursacht. Lina war an ihren Lehrer gedrückt worden und dann einfach so verblieben. Die Arme um seinen Hals geschlungen, ihren Busen an seiner Brust, mit nur zwei dünnen Stofflagen dazwischen. Dann hatte sie ihre Hand in seinen Nacken gelegt, unbeweglich vorerst, dann ganz vorsichtig, vielleicht nicht wahrnehmbar, hatte sich ihr kleiner Finger millimeterweise auf und ab bewegt. Dabei hatte sie seine Hände gespürt, große warme Hände, eine auf ihrem Rücken, die andere auf ihrer Hüfte. Wie in einen Kokon gebettet hatten sie sich bewegt. Auch die Geräusche waren in weite Ferne gerückt, und sie hatten sich mit geschlossenen Augen schwerelos in ihrer versponnenen Welt umarmt. Es war eine Ewigkeit und doch nur ein kleiner Augenblick gewesen. Beim Liedwechsel waren sie so stehen geblieben und hatten auf das nächste langsame Stück gewartet. When I walked on a July morning and I was looking for love, I was looking for love in the strangest places …

»Ich hätte unheimlich Lust, mal mit dir Motorrad zu fahren«, hatte er ihr ins Ohr geraunt. Dabei hatten seine Lippen ihr Ohrläppchen berührt. Das Sirren an dieser winzig kleinen Stelle hatte sich wie ein Sternenregen über ihren ganzen Körper verteilt. Und dann? Als wäre sie aus dem Paradies vertrieben worden, hatte es sich angefühlt, als sie durch die Tanzpause getrennt worden waren.

Einige aufdringliche Schüler hatten sich um ihn geschart und etwas von ihm wissen wollen. Lina hatte nach ihrer Oma Ausschau gehalten. Zusammen mit Pippo hatte diese am Tisch gesessen, trotz der Entfernung hatten sich ihre Augen kurz getroffen, und Lina meinte, ein diebisches Funkeln in ihnen bemerkt zu haben. Ihre Eltern hingegen hatten mit dem Rücken zur Tanzfläche gesessen. Vor allem ihrem Vater hätte es bestimmt nicht gefallen, sie so eng mit einem Lehrer tanzen zu sehen. Dann war Lina mit Renata zur Toilette gegangen.

»Danke für den Schubser!«

»Schon okay. Aber hallo, dein Herrgottschnitzer, der ist schon ganz rallig nach dir«, hatte Renata durch die dünne Trennwand geraunt.

»Wieso Herrgottschnitzel?«

»Nicht Schnitzel, Schnitzer! Na, weil diese Verrückten aus Oberammergau unermüdlich Kreuze schnibbeln, wenn sie nicht gerade auf der Bühne stehen.«

 

»Ach so, ja. Und seine Freundin?«, hatte Lina zögernd gefragt.

»Freundinnen sind dazu da, dass man ihnen den Kerl ausspannt«, ertönte Renatas Stimme aus der Nachbarkabine, dann wurde die Spülung betätigt.

 

Man darf einem Mann nicht nachlaufen, hatten ihr Renata und Romina dann immer wieder eingebläut. Einen Monat lang war Lina kaum vom Telefon gewichen, war immer in Hörweite gewesen, hatte in der Sonne gelegen, gelesen, gemalt und vor allem gewartet.

Abends hatte sie ihren Eltern in der Pizzeria geholfen, die ganz in der Nähe seiner Wohnung lag. Jedes Mal, wenn jemand hereingekommen war, hatte ihr Herz einen Satz gemacht, aber nie war ihr Lehrer im Türrahmen erschienen. Bauer war da, das wusste sie. Aber er hatte sich nicht blicken lassen, ganze vier Wochen nicht. Heute Morgen war es dann endlich so weit. Lina war gerade aufgestanden, als das Telefon klingelte. Sie hatte fast keinen Ton rausgekriegt. Wenn sie jetzt zu spät käme, musste sie vielleicht wieder wochenlang auf ein Lebenszeichen von ihm warten.

 

Lina drückte gerade die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, als sie sah, wie Renata im Laufschritt die Straße überquerte. Ihre blonden Locken hüpften im Takt mit ihrem Busen auf und ab.

»Puh, ist das heiß heute«, stöhnte Renata, als sie sich in den orangefarbenen Plastikstuhl fallen ließ. »Er wird sich ganz schön den Arsch verbrennen, wenn ihr es draußen treibt. Hier, steck es ein!« Sie blies sich Luft in den Ausschnitt und wedelte mit dem Stoff.

Lina nahm zögernd die Tube und steckte sie in ihren Rucksack.

»Noch fünf Minuten, dann gehe ich.«

»Was machst du eigentlich, wenn das mit Italien klappt?«

»Oma hat gesagt, wenn er mich wirklich liebt, dann wartet er auf mich. Außerdem kann er mich dort besuchen.« Lina merkte selbst, dass das nicht sehr überzeugend klang.

»Ihr Wort in Gottes Ohr! Zum Schluss spendiere ich dir jetzt noch ein Lied, was möchtest du hören?«

»F1.«

Renata stand auf und ging zur Musikbox. Kurz darauf ertönten die Klänge von Uriah Heep durch die Eisdiele: When I walked on a July morning, and I was looking for love …

»Ich fühle mich wie vor der Hinrichtung. Mir dreht sich alles. Ich glaube, ich muss noch mal wohin.«

»Okay, Süße, genieße es, und vergiss nicht, erst wimmern und dann laut stöhnen. Wenn dein Herrgottschnitzer erst mal Blut geleckt hat, wirst du ihn nicht mehr los.«

 

Eine Wolke aus Sprit, Zigarettenrauch und purer Männlichkeit hing über dem Parkplatz. Bauer war gerade dabei, Benzin in den Tank seines Motorrads zu schütten, als sie kam.

»Grüß dich, Lina«, brummte er, während in seinem Mundwinkel eine brennende Zigarette hing, deren Qualm er mit einem geschlossenen Auge und der Schrägstellung des Kopfes auswich, »du kannst dein Fahrrad in die Garage stellen.«

Aus den hochgekrempelten Hemdsärmeln ragten zwei braun gebrannte, behaarte Arme. Linas Blick blieb an den kräftigen, breiten Händen hängen.

»Hallo, Herr Bauer«, sagte sie, schob das Rad in die Garage und setzte sich auf den Betonsockel des Zaunes.

Es war heiß, und ihr war ein wenig schwindlig. Sie blies sich aus dem Mundwinkel Luft nach oben zu, streifte die Turnschuhe von den Füßen und lehnte sich nach hinten an den Gartenzaun, um das bisschen Schatten, das die fast senkrecht stehende Hochsommersonne übrig gelassen hatte, zu ergattern.

Lina kniff die Augen etwas zusammen und beobachtete ihren ehemaligen Lehrer. Durch den hellen Baumwollstoff konnte sie seine Brusthaare erahnen, die dem Hemd vorne eine dunklere Tönung verliehen. Bauer wirkte wie ein einer Fabel entsprungenes wildes Tier, das sich Kleidung übergezogen hatte, um kleine Mädchen zu verführen und dann aufzufressen.

Wenn er das nur endlich mal tun würde!

Schon während der Theaterproben war sich Lina vorgekommen wie Rotkäppchen, das einem gefährlichen, riesengroßen Wolf mit im Nacken hoch aufgerichtetem Fell, scharfen Fangzähnen und gefährlich funkelnden Augen begegnet war, und der sie nun partout nicht fressen wollte. Der aussah wie ein Wolf, roch wie ein Wolf, tönte wie ein Wolf, der über sämtliche wolfstypischen Attribute verfügte, aber einfach nicht zupackte und zubiss.

Sie merkte, wie ihre Augenlider immer schwerer wurden. Auf einmal bewegte sich ein dunkler Schatten über ihr und verharrte dort. Sie sah ihn durch die geschlossenen Lider, und der würzige Geruch nach Tabak und Rasierwasser kam so nahe, dass ihr Körper die Gefahr der Überwältigung wahrnahm und alarmbereit alle anderen Sinne ausschaltete. Sie roch nur noch, sie war jetzt Nase. Und sie sog ihn, den ganzen Kerl, durch die Nase in sich ein, als Konzentrat, hoch dosiert, nicht mehr rezeptfrei, schon gar nicht für kleine Mädchen.

Sein männlicher Duft bahnte sich ohne Umwege seinen Weg vorbei an ihrem Verstand in Untiefen und Auen, die bisher unentdeckt und friedlich im Verborgenen gelegen hatten. Lina erhob sich wie in Trance, stellte sich vor ihn hin, packte das rechte Brustteil seines Hemdes mit der linken und das linke mit der rechten Hand und riss mit einer beherzten Geste den Stoff mit einem einzigen Ruck auf. Ein befreiendes Ratschen entlud ein wenig die aufgestaute Luft, die Knöpfe sprangen ab und landeten meterweit entfernt und lautlos auf dem Kiesweg. Lina drückte ihren Kopf an seine schweißnasse Brust und rieb sich, wie ein Hund in seiner Beute, Kopf und Nacken mit seiner Duftmarke ein.

Wie ein Spürhund beim Zoll schnüffelte sie unentwegt in kleinen Stößen an jedem Quadratzentimeter seiner Haut, und ihre Hände fuhren über das unerwartet zu erschließende Neuland. Schnuppernd und krabbelnd tasteten sich Nase und Finger durch unbekanntes Gelände, erlebten Wälder, tiefes, dunkles, struppiges Unterholz, Felder mit rauen Schollen und Furchen und glatte, wunderbar zarte Wiesen, Weizenfelder, deren Ähren sich alle nach einer Richtung neigten, sanft geschwungene Hügel und Ebenen, Dornen, Schilf und kleine, gurgelnde Bäche.

Ihr nasses Gesicht näherte sich seinem Hals, ihre Lippen streiften über Baumstümpfe, durch Brombeerhecken, über Gräben mit dünnen Rinnsalen und landeten an einem Brunnen, dessen Rand ganz glatt und an seinem äußersten Wulst mit Moos bewachsen war. Nur sehr verzögert hörte sie Geräusche als Echo aus dem schwarzen Schlund heraufsteigen.

»Lina, träumst du?«, sagte die tiefe Brunnenstimme.

Sie fühlte seine Hand auf ihrem Oberschenkel, als würde man ihr ein Bügeleisen auf die Stelle halten. Nur langsam öffnete sie die Augen und blinzelte in das grelle Licht. Sie musste eingenickt sein.

Bauer saß neben ihr. Das Motorrad stand jetzt zur Ausfahrt vor der Garage bereit. Sie atmete tief durch und versuchte, so schnell wie möglich den Untiefen ihrer Träume und des Brunnens zu entsteigen. Lina streckte sich, um ein wenig Zeit zu gewinnen und wach und vor allem wieder klar zu werden.

Die Hand auf dem Oberschenkel hatte sich verflüchtigt, und sosehr sie sich auch räkelte und dehnte und ihm alles so jung, schön und frisch unter die Nase rieb, er vergrub das ganze Aufwallen seiner Lust und die schwere Süße dieses verdammt heißen Augusttages in seinen dicken Kummerfalten im Gesicht, in dem Hmhm seiner Kehle, in seinem Handschweiß, den er nun in seine schwarzen Haare rieb.

»Hm, hm«, sagte er immer wieder.

Der Wolf war jetzt an der Stelle angelangt, an der er Rotkäppchen eigentlich fressen sollte. Doch statt seine Lefzen hochzuziehen, seine Reißzähne auszufahren, seine gelben Augen zu Schlitzen zu verengen und knurrend die komplette Reihe an scharf geschliffenen Raubtierzähnen zu blecken, brummte er hm, hm, als hätte er seinen Text vergessen. Als hätte er vergessen, dass er ein Wolf war. Als hätte er vergessen, dass er ein wildes, hungriges Tier war und kein Schaf. Es war auch kein gierig lustvolles, lang gezogenes, melodisches Hmmm, sondern ein abgehacktes, stumpfes, verzweifeltes, lustloses Hm, Hm, Hm.

Es war so, als würde er sagen: »Halt, bevor ich dich fresse … Ich habe da zu Hause noch ein paar alte Reste vergraben, die auch wegmüssen. Ich hab da vor ein paar Jahren alte Knochen verscharrt, für schlechte Zeiten, die sind hier irgendwo, und bevor ich mich jetzt an das Frischfleisch mache, muss ich erst mal nachschauen, ob die noch gut sind.«

»Komm, wir drehen eine Runde auf dem Motorrad«, sagte der Wolf zu ihr.

»Toll!«, rief Lina. Der Fahrtwind um die Ohren würde ihr guttun und ihre Fantasien verscheuchen. Schnell zog sie die Turnschuhe wieder an.

 

Lina liebte es, Motorrad zu fahren, besonders wenn die Maschine so schräg in der Kurve lag, dass die Pedale Funken sprühten und ihre langen Haare so heftig im Wind schlugen, dass sie sich auf ihren Wangen wie Peitschenhiebe anfühlten.

Bauer setzte sich auf die Maschine, die unter seinem Gewicht etwas nachgab, und Lina schwang sich schwerelos und leichtfüßig wie eine Elfe hintendrauf und hielt sich an ihm fest. Sie hatte lange Arme, die sie vor seinem Bauch verknoten konnte. Die Fahrt war rasant. Bauer fuhr sehr schnell, ungefähr doppelt so schnell, wie man auf einer Landstraße fahren durfte. Aber die Straßen in dieser Gegend waren lang und gerade, da konnte man schon mal aufdrehen. Lina war zwar ein wenig mulmig zumute, aber das gehörte dazu. Je schneller, desto besser! Jetzt war aus dem appetitlosen Wolf wieder ein echter Kerl geworden. Jetzt war Bauer der King of the Road und hielt dem Fahrtwind stand.

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2. Kapitel

Lina hatte es geschafft. Seit drei Tagen wohnte sie bei ihrem ehemaligen Lehrer. Das Motorrad hatte ein wenig nachgeholfen und sich in einer Rechtskurve mit dem Rollsplitt auf der Fahrbahn verbündet. Es hatte sich ganz sachte fallen lassen, um ihr nicht allzu sehr wehzutun, sie aber schon so weit zu lädieren, dass sie ein Anrecht auf Entschädigung hatte. Ihr Fußgelenk hatte dabei ein paar üble Schrammen abgekriegt.

Bauer war ganz schön geknickt gewesen, als sie das Krankenhaus verlassen hatten, Lina auf zwei Krücken gestützt mit einem dicken, weißen Verband um den rechten Fuß und er mit einem Pflaster am Ellbogen. In dem Moment, als sie kurz angehalten hatte, um sich die Nase zu putzen, hatte Lina ihm gesagt, dass sie nun nicht wisse, wohin sie gehen solle, weil ihre Eltern im Urlaub seien. Dann war ihr noch eine Krücke aus der Hand gerutscht, sodass sie sich nur noch im letzten Augenblick an ihrem Lehrer festhalten konnte.

»Du kannst ein paar Tage bei mir wohnen, bis es dir besser geht«, hatte Bauer großherzig vorgeschlagen und sie samt Krücken zum Auto getragen. Es stimmte schon, dass ihre Eltern im Urlaub waren. Ihre Oma jedoch hatte sie ihm unterschlagen.

»Oma! Oma! Ich bin’s, Lina! Hör zu, ich bin bei ihm, bitte tu so, als wärst du nicht zu Hause, ich bleibe nur ein paar Tage, mach dir keine Sorgen, hier ist alles super. Ich ruf wieder an«, hatte sie aufgeregt in den großen, schweren Hörer seines Telefons geflüstert, als sie in seiner Wohnung angekommen waren und er noch einmal zum Auto runtergegangen war, um die Krücken zu holen.

»Lina, Lina, Lina«, hatte sie am anderen Ende der Leitung gehört, wobei das dritte Lina schon weit weg geklungen hatte. Dann hatte sie aufgelegt.

Sie hatte ihrer Oma keine Zeit gelassen, Fragen zu stellen, denn sie wollte vorerst nicht, dass sie von dem Unfall erfuhr. Sie würde sich sonst nur Sorgen machen, schließlich machte sie sich sowieso ständig Sorgen.

Aber Oma Romina war auch eine wunderbare Verbündete, vor allem nachdem sie ihn bei der Theaterpremiere und beim Abiball gesehen hatte, den berühmten Herrn Bauer, Linas Geschichts- und Lateinlehrer. Da war es auch um Romina geschehen, und sie beteten ihn nunmehr gemeinsam an wie einen Gott.

Romina hatte daraufhin begonnen, ihn zu beschatten. In Sizilien, wo sie aufgewachsen war, machte man das so, wenn man sich für jemanden interessierte. Romina fuhr jeden Tag mit dem Rad zum Einkaufen in die Stadt und beobachtete auf dem Hin- und Rückweg das Haus, in dem sich Bauers Apartment und Garage befanden. Dann übergab sie Lina mündlich das Beschattungsprotokoll:

Habe ihn gesehen, gegrüßt, mit ihm gesprochen (was sehr selten war).

Licht brennt in Zimmer eins, zwei oder drei.

Vorhänge in Zimmer eins, zwei oder drei sind geschlossen, halb geschlossen oder geöffnet.

Garage ist geschlossen, geöffnet.

Auto steht in der Garage, auf dem Parkplatz, ist weg.

Motorrad steht in der Garage, auf dem Parkplatz, ist weg.

Und das Schlimmste überhaupt: Blaues Auto mit Münchner Kennzeichen steht vor seiner Garage.

Das war das Gefährt von Mechthild, Literaturdozentin an der Universität. Bauer hatte ihr einige Male von ihr erzählt, aber so richtig schlau war sie aus den paar Brocken nicht geworden.

»Weißt du, wenn die Mechthild und ich über Bücher und Schriftsteller sprechen, dann entsteht so ein gewisses Spannungsfeld zwischen uns. Sie hat in Frankreich studiert und weiß einfach alles über Literatur. Für mich war das damals eine tolle Gelegenheit, sie dort besuchen zu können und Paris kennenzulernen. Seit dieser Zeit genießen wir unsere platonische Liebe und enthalten uns, weil sie bei den Festspielen nächstes Jahr die Maria spielen möchte. Für die Rolle Jesu bin ich im Gespräch.«

Romina hatte neulich in der Zeitung gelesen, dass es in seinem Geburtsort viele Frauen gab, die für die Rolle der Maria bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag auf Ehe und Kinder verzichteten und ihre Jungfernschaft wie einen Schatz hüteten. Wenn eine der Bewerberinnen die Rolle bekam, musste sie sich sogar eine ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen. Und obwohl sie die Mutter Jesu spielte, durfte sie nicht älter als dreißig sein. Diejenigen Frauen, die bei der Rollenvergabe leer ausgingen, wurden oft merkwürdig. Einen Mann bekamen sie dann natürlich nicht mehr.

Und um in Zukunft ebenso geistreiche Gespräche mit Bauer führen und ihm ein ähnlich interessantes Besuchsziel bieten zu können, hatte sich Lina kurzerhand bei einigen Universitäten in Italien an der Fakultät für Literatur beworben. Wenn Herr Bauer mit Schmechthild über französische Schriftsteller schwadronieren konnte, dann würde er demnächst mit ihr, Lina, über italienische Autoren parlieren können. Zudem hatte sie italienische Wurzeln, die zusehends danach drängten, sich in italienischen Gefilden ausbreiten zu können. Und auch Oma Romina hatte sie darin bestärkt, ins Ausland zu gehen, um ihr dann eventuell einen Besuch abstatten zu können. Ihr Erdkundelehrer Herr Feininger, der aus Südtirol stammte und den alle nur Gelatti nannten, hatte ihr die erforderlichen Unterlagen übersetzt, beglaubigt und ein Empfehlungsschreiben hinzugefügt.

 

Bauer lag gerade in der Badewanne, als das Telefon klingelte.

»Soll ich drangehen?«, rief Lina von der Galerie herab.

Sie lag gerne oben auf dem Boden der Empore, hielt ihren pochenden Fuß hoch und betrachtete das Geschehen in dem Raum unter sich: Wie er schrieb und las, sich in seinem Schreibtischstuhl ächzend zurücklehnte, die Beine auf den Tisch legte, sich am Kopf kratzte, am Füller kaute, aus dem Fenster schaute, stöhnte, unentwegt rauchte und oft vergaß, die Asche abzustreifen, die dann auf den Boden oder sein Hemd fiel, wie er Tee kochte, Platten auflegte, zu französischen Liedern mitsummte, telefonierte und dabei wild gestikulierte und unruhig wie ein Tiger auf und ab lief.

»Ich geh schon!«, rief er. Es hatte bestimmt schon zwanzig Mal geklingelt, als er tropfnass und splitterfasernackt den Anruf unten am Schreibtisch entgegennahm. Lina kannte ihn ja jetzt schon ein bisschen besser, seit sie mit ihm zusammenwohnte, aber leider war immer noch nichts passiert. Ganz nackt hatte sie ihn bisher auch noch nicht gesehen.

Es war schon dämmerig im Raum, die große Scheibe, durch die man tagsüber das Treiben auf dem Marktplatz beobachten konnte, war dunkel und wirkte wie ein Spiegel. Trotzdem konnte man noch nach draußen sehen. Die Straßenlaternen waren bereits an, und außer einem einsamen Radfahrer war niemand unterwegs. Im Raum unten brannte eine Kerze auf der Holztruhe. Es war nicht Mechthild, es war jemand aus Frankreich.

Tropfend und nackt saß er, ihr den Rücken zugewandt, auf dem Schreibtischstuhl. In der Scheibe konnte sie seine Vorderfront sehen. Sein rechtes Fußgelenk ruhte auf dem linken Knie. Auf seiner behaarten Brust waren noch Schaumreste.

Er sprach Französisch. Es klang wunderschön. Es war, als würden Milch und Honig aus seinem Mund fließen, als wäre seine Zunge auf Zuckerwatte gebettet, und als würde er bei jedem Wort, das er aussprach, kleine Wattebällchen ausspucken.

Lina lag auf dem Bauch und gab keinen Laut von sich. Sie schaute gebannt durch die Stäbe der Balustrade auf die Szene. In der Scheibe konnte sie sein Gesicht sehen, wie er mit geschlossenen Augen jedes Wort, das er aussprach, mit Wollust artikulierte, mit viel Gefühl die weichen Laute zischte und säuselte und die ungewohnt flauschigen Töne mal mit gespitzten, mal mit wie zu einem Kuss gekräuselten Lippen ausformte. Er schien alles um sich herum vergessen zu haben und saß, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, noch lange in dem Drehstuhl und schaute aus dem Fenster.

Nach einer geraumen Zeit richtete sich Lina auf, packte ihren Fuß mit dem Verband, hielt ihn nach hinten hoch und hüpfte die Treppe hinunter. Sie stellte sich ganz vorsichtig hinter ihn. Zögerlich legte sie ihre Hand auf seine Schulter. Er ergriff sie sofort und zog sie an seine nasse Brust.

»Komm, lies mir was vor«, sagte er und erhob sich. Sie hüpfte hinter ihm her und beobachtete, wie sich die Backen seines Hinterns bei jedem Schritt nach oben und unten schoben und bei der Anspannung Grübchen bekamen. Und seine Waden sahen aus, als hätten sie schon mehrere Achttausender bestiegen. Er legte sich wieder in die Wanne und streckte sich genüsslich stöhnend aus. Mit dem Fuß öffnete er den Hahn und ließ heißes Wasser nachlaufen. Lina drückte aus einer großen, grünen Flasche Badezusatz unter den laufenden Strahl und schäumte das Wasser auf. Ein intensiver Duft nach Rosmarin und Tannennadeln breitete sich aus. Auf dem Klodeckel sitzend, nahm Lina das danebenliegende Buch und begann, ihm daraus vorzulesen. Doch der nackte Mann mit den geschlossenen Augen konnte sich nicht konzentrieren.

»Mein Nacken, Lina, magst du ihn ein bisschen massieren?«

Und ob! Sie zog ihre Jeans aus, schwang sich hinter ihn auf den Wannenrand und schob die verklebten Pflegeprodukte zur Seite.

Ein wunderbar warmes, zärtliches Gefühl durchflutete sie, als sie mit ihrem linken Fuß seinen Arm in dem warmen Wasser berührte. Seine Härchen kitzelten ihr Bein wie Wasserpflanzen. Der Fuß mit dem weißen Verband ruhte auf einem Hocker vor der Wanne. Sie machte es sich so bequem wie möglich und setzte ihre zehn Finger auf seine Schultern, als würde sie gleich anfangen wollen, Klavier zu spielen.

Sie sah seinen dunklen, von der Sonne gebräunten, kräftigen Nacken, die schwarzen, leicht gewellten Haare, die er extra für das Bühnenspiel lang wachsen ließ, seine breiten, glatten Schultern, die sanfte Tönung seiner Haut und seinen behaarten, leicht gewölbten Bauch, der halb aus dem Wasser ragte.

»Hm, hm«, vernahm sie und wagte einen Blick. Doch der Schaum verhüllte das, was sich unterhalb des Wasserspiegels befand.

Obwohl sie noch nie jemanden massiert hatte, legte sie nun ihre ganze Kraft in die Kuppen ihrer zehn Finger und begann, ihn durchzukneten.

Schon als kleines Mädchen hatte Lina ihrer Oma geholfen, Pastateig herzustellen und daraus die verschiedensten Nudelsorten zu formen. Ihre Finger waren geübt und kräftig, ihre Handballen das Walken von schweren Teigmassen gewohnt. Und diese Muskelpakete auf seinen Schultern und dem oberen Rückenbereich, das war nichts anderes als schwerer Ölteig, den es mit besonderer Hingabe zu kneten bedurfte.

Lina hob ihren Po in der geblümten Unterhose in die günstigste Position und begann ihr Werk. Sie walkte mit der Kraft ihrer zehn Finger und der Handballen seine Haut und das darunterliegende feste Fleisch, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Es war wie alltägliche Arbeit für sie. Er stöhnte tief und streckte ihr durch eine leicht nach vorne gebückte Haltung noch mehr Haut und Rücken entgegen.

Sie knetete ihn aus Leibeskräften, hob dicke Falten hoch und bearbeitete sie, bis sie weich und glatt waren wie Pastateig. Mit den Daumen massierte sie parallel dazu seinen Nacken. Sie krümmte sie so geschickt, dass sie in Unterschichten eindrangen, die so hart waren, dass sie sie lange darin rotieren lassen musste, bis sie seinen genüsslichen Stöhnlauten entnahm, dass sie die Stelle gefunden hatte, die es zu entkrampfen galt.

Lina arbeitete so schwer und mit so viel Hingabe, dass sie ihn mit ihren Schenkeln fest in die Zange nehmen musste, damit er ihr nicht entwischen konnte.

Bauers Laute echoten in dem gekachelten Bad und feuerten sie an. Winzige Schweißperlen hatten sich auf Linas Oberlippe gesammelt, sie leckte die salzigen Tropfen ab. Ihr T-Shirt war nass.

»Ahhh«, stöhnte er brünstig, »meine kleine Zauberin Circe weiß, wie man gestrandete Männer verführt.« Als ihre kleinen, kräftigen Daumen in die Verspannungen eindrangen, wand sich sein Körper im Wasser und krümmte sich wie ein Buckelwal.

»Ohhh, das Zauberkraut gegen die Liebeskünste der Circe beginnt, seine Wirkung zu verlieren«, brummte er genussvoll, als sie eine dicke Hautfalte hochzog und rieb. Dabei gebärdete er sich wie ein dicker Fisch an der Angel, und das Wasser schwappte über den mit Kleidungsstücken ausgelegten Fußboden.

Lina drehte sich ein wenig nach rechts, drückte seinen Kopf nach vorne und bearbeitete nun seinen Nacken.

»Uhhh«, tönte es aus tiefer Kehle, und Lina spürte unter ihren kleinen, unermüdlichen Fingerkuppen, wie sich die verspannten Stränge lösten und unter ihrem Einfluss nachgaben.

Immer gefügiger wurde sein Körper während der Massage, er lehnte sich zurück, und Lina schien es, als würde er nichts mehr um sich herum wahrnehmen. Die Wanne war halb leer, so sehr hatte er gewütet.

Das seichte Wasser, das nun kein Schaum mehr bedeckte, gab nun seine geballte Männlichkeit frei. Lina hielt einen Moment inne, fuhr dann aber wie hypnotisiert mit ihrer Massage fort.

»Mamma mia«, entfuhr es ihr. Ihre Stimme klang merkwürdig fremd, tief und kehlig.

Jetzt pochte die Lust auch in ihr, und sie krallte ihre zehn Finger in seine Kopfhaut und massierte seinen Skalp. Sein Kopf mit den nassen Haaren lag nun in ihrem Schoß, und die Feuchte seiner Haare vermischte sich mit der Flut ihrer Lust. Vor Erschöpfung zitternd und entkräftet, ließ sie sich hinter ihn in die Wanne gleiten, den rechten Fuß immer noch über dem Rand hängend.

Lange lagen sie so da. Sie streichelte seinen Bauch und die Haare darauf, die wie Algen am Schiffsrumpf im Wasser hin- und herschwappten, seine Brust, seinen Hals, seine Wangen, seine Lippen, seine Stirn, ganz zart, ganz vorsichtig, fast nicht wahrnehmbar. Er schwebte in ihrer Grätsche und hielt die Augen geschlossen.

 

Lina lag ermattet auf dem Sofa, ihr weißer Fuß ruhte auf der Holztruhe. Sein kariertes Hemd, das sie trug, hatte sie in der Mitte mit einem Gürtel zusammengerafft, und es sah nun aus wie ein Kleid. Seit der Massage war eine Stunde vergangen, und er war wie ausgewechselt. Hatte er sie in den vergangenen Tagen eher wie ein Haustier behandelt und ihr hin und wieder einen Keks oder ein Stück Wurst in den Mund geschoben, so stand er jetzt in der Küche und kochte ein richtiges Essen. Sie hatte es ihm nicht übel genommen, bewegte sie sich doch hauptsächlich auf allen vieren oder wie ein Rabe auf einem Bein hüpfend durch die Wohnung. Die meiste Zeit hatte sie unter seinem schwarzen Flügel verbracht, dem einzigen Platz auf der Empore, der nicht mit Büchern übersät war, oder unter seinem Schreibtisch, je nachdem, wo er gerade gearbeitet hatte. Dann hatte sie unten sein Gekritzel und Geraschel gehört, seine nackten Beine und Füße gesehen und den ganzen Tag Beine und Füße gezeichnet.

Er schien sich nicht großartig dafür zu interessieren, was unter seinem Schreibtisch und Flügel vor sich ging. Wenn er Lina mit dem Fuß berührt hatte, hatte er ihr den Kopf getätschelt, wie einem Welpen, der gerade dabei war, eine Zeitung in Fetzen zu reißen. Das war ihr auch ganz recht gewesen, denn sie wollte, dass er sich so natürlich wie möglich gab und nicht etwa anfing zu posieren, krampfhaft stillzuhalten oder an Pediküre zu denken. Sie wollte seine Füße so, wie sie waren, und sie waren ungefähr so wie die von Reinhold Messner nach der Barfußbesteigung des K2.

Es war wunderbar gewesen. Bauer hatte oben gekritzelt, sie unten. Stundenlang hatten sie zusammen gekritzelt, ohne dass ein Wort den Frieden gestört hätte. Und Edith Piaf hatte all das gesungen, was es dazu zu sagen gab.

Ab und zu war sein Kopf wie ein Ballon erschienen, der in die verkehrte Richtung schwebte. Dann hatte er ihr seine Teetasse hingehalten, und sie hatte einen tiefen, geistesabwesenden Schluck daraus genommen.

Heute Abend jedoch war sie die Zauberin Circe und thronte in Kissen gebettet auf dem Sofa und schaute aus dem Dunkeln durch die halb offene Tür in die hell erleuchtete Küche. Sie hörte, wie er schnitt, raspelte, hobelte, schleuderte und anbriet. Es zischte und bollerte, gurgelte und klapperte, und einmal glaubte sie sogar, einen Flammenwerfer zu hören. Mal erschien seine Silhouette im Türrahmen, dann wieder sah sie nur seinen Schatten. Es roch schon sehr gut, und sie merkte, dass sie Hunger hatte. Das erste Mal, seit sie hier wohnte, hatte er den Tisch gedeckt, mit Servietten und langstieligen Gläsern.

Er kam mit zwei Drinks aus der Küche und setzte sich ihr gegenüber in den Schwingsessel. Schnell erhob er sich noch einmal und drehte die Schallplatte von Edith Piaf um.

Das Getränk schmeckte bitter und stark, sodass Lina tief Luft holen musste, da sie einen unbedacht großen Schluck genommen hatte. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich weit nach hinten im Sessel zurück.

»Lina«, hob er an, »heute gibt’s Lamm mit Salat und Kartoffelpüree.«

»Herr Bauer, Sie haben sich so eine Arbeit gemacht wegen mir«, dankte ihm Lina, »und es riecht so lecker.«

Sie war keine große Esserin, aber jetzt merkte sie, dass sie einen Bärenhunger hatte.

»Du bist ja schon ganz schwach gewesen«, sagte er mitfühlend und legte sein Gesicht in dicke Falten.

Na ja, dachte Lina, ich weiß nicht, ob das nur mit dem wenigen Essen zusammenhing, dass ich so kraftlos in der Badewanne lag. Da gab es bestimmt noch den ein oder anderen Grund, der mir das Blut aus dem Kopf hatte weichen lassen.

»Lina, willst du mich nicht duzen?«, sagte er auf einmal und stieß den eben tief inhalierten Rauch lautstark aus. »Ich bin der Oskar«, fuhr er fort, und sie hatte Angst, er würde ihr jetzt die Hand reichen.

»Oskar.« Linas Stimme klang belegt und trocken. Sie schluckte. So konnte sie ihn nicht nennen. Das war unmöglich. Sie konnte doch ihren Lehrer, oder besser gesagt ihren ehemaligen Lehrer nicht einfach Oskar nennen. Außerdem: Dieser Name! Schrecklich, er gefiel ihr überhaupt nicht. Ausgeschlossen!

»Orlando«, sagte sie nach einer Weile und strahlte. Ja, das wäre möglich. Ihre Oma hatte die Angewohnheit, sämtliche Namen ihrer Freundinnen zu italienisieren, und ihr war das auch schon in Fleisch und Blut übergegangen.

»Orlando«, sagte sie und beugte sich mit ihrem Glas weit zu ihm hinüber.

»Ist recht«, sagte er und beugte sich ebenfalls nach vorne, und es machte kling!

Orlando, Orlando, Orlando! Das klang so schön! Lina war im siebten Himmel. Wenn er doch nur mal kurz rausginge, sie würde so gerne ihre Oma und ihre Freundin Renata anrufen.

»Was trinken wir zum Lamm?«, fragte Lina, denn sie hatte in seiner Garage einige Kisten französischen Landwein gesehen.

»Rotwein«, sagte er.

»Französischen?«

Bauer sprang auf, schnappte sich den Schlüssel. Die Tür war noch nicht im Schloss, da hatte sich Lina bereits auf den Schreibtisch geschwungen und hielt den Hörer des Telefons in der Hand. Ihre Oma nahm sofort ab, sie saß wahrscheinlich Tag und Nacht vor dem Apparat.

»Oma, Oma! Hallo! Hier ist Lina!« Mit heller aufgeregter Stimme wisperte sie in den Hörer. »Er hat mir das Du angeboten. Er heißt jetzt Orlando! Ist das nicht toll?«

»Lina, Lina, Lina.«

»Und wir haben zusammen gebadet, und er hat … Es ist aber noch nichts passiert, aber wir sind kurz davor.«

»Madonna mia!«, stöhnte ihre Großmutter laut auf. »Lina, pass bloß auf, dass du nicht schwanger wirst, sonst kannst du nicht studieren.« Das war immer ihre größte Sorge.

Klar, sie musste aufpassen. Wenn es so weit war. Wenn es nur endlich so weit wäre!

»Oma, ich muss aufhören. Bussi!«

Sie freute sich schon unendlich auf die nächste Sitzung mit ihrer Großmutter. Es gab so viel zu erzählen! Romina würde staunen, und ihre Augen würden groß werden, so groß wie Espressotassen. Vor allem, wenn sie ihr von der Massage erzählen würde. Dabei würde sie kein Blatt vor den Mund nehmen, und Oma würde kichern wie ein Schulmädchen.

Noch einmal steckte Lina den Finger in die runden Aussparungen der Drehscheibe und wählte Renatas Nummer. Es klingelte zweimal, dann hörte sie die Stimme von Renatas Mutter.

»Ja, Zöschinger?«

»Ja, grüß Gott, Frau Zöschinger, hier ist Lina, kann ich Renata sprechen?« Lina sprach, so schnell sie konnte, und fühlte sich wie Dieter Thomas Heck bei der Hitparade.

»Moment, ich hol sie dir … Renaaata!«, hörte sie Lina rufen.