An einem Tisch - Bryan Washington - E-Book

An einem Tisch E-Book

Bryan Washington

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Beschreibung

Was kittet alte, zerbrochene Freundschaften mehr als gemeinsames Kochen und Essen? Cam und TJ, einst beste Jugendfreunde, treffen als Erwachsene erneut aufeinander, als es Cam zurück in seine Heimatstadt Houston, Texas führt. 

Nach dem tragischen Verlust der Liebe seines Lebens hadert Cam mit allem, fühlt sich gestrandet und weiß nicht, wohin mit sich – und schottet sich gegen jegliche Hilfe, jegliche Zuneigung ab. Als er in Houston seinem alten Jugendfreund TJ über den Weg läuft, erfährt er, dass dieser immer noch im kleinen Restaurant seiner Eltern arbeitet, als Koch. Und nach und nach gelingt es dem warmherzigen und hartnäckigen TJ, Cam wieder ins Leben zurückzuholen, indem er ihn ins Familiengeschäft einbindet, ihn wieder zum Kochen bringt und ihm einen Weg zeigt, sich mit seiner Vergangenheit zu versöhnen. Wie sagt man so schön: Liebe geht durch den Magen.

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Seitenzahl: 336

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Inhalt

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ÜBER DEN AUTOR

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen bisher u.a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie »5 Under 35« und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt Dinge, an die wir nicht glauben ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. An einem Tisch ist sein zweiter Roman. Bryan Washington lebt in Houston, Texas.

Über das Buch

Als Cam die Liebe seines Lebens verliert, bricht seine Welt zusammen, und es verschlägt ihn zurück in seine Heimatstadt Houston, Texas. Dort angekommen, holt ihn die Vergangenheit, die er hinter sich gelassen zu haben meinte, wieder ein. Doch nach und nach muss Cam sich fragen: War die Vergangenheit denn so schlimm? Eigentlich nicht. Denn sein bester Jugendfreund TJ und dessen Eltern waren Cams Familie, und auch jetzt sind sie wieder für ihn da. Er muss es nur zulassen. Schritt für Schritt schafft es Cam allmählich, sich wieder zu öffnen und sich seinen Ängsten zu stellen.

Ein betörender Roman darüber, wie das Leben trotz aller Härte ein aus zarten Fäden gewebter Stoff ist.

Bryan Washington

An einem Tisch

Roman

Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence

Dies ist ein Roman, der Themen wie selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen und Sucht mit anspricht. Wenn Sie unter psychischen Problemen oder einer körperdysmorphen Störung leiden, könnte dieses Buch schwierig für Sie sein. Also seien Sie bitte nachsichtig mit sich. Gehen Sie Ihr eigenes Tempo. Es gibt keine falsche Seinsweise, und die einzig richtige ist Ihre für Sie. Fürsorge und ausreichend Zeit sind zwei Geschenke, die wir verdienen, unermessliche Reservoire, die wir uns und denen, die wir schätzen und lieben, anbieten können.

Danke fürs Lesen. Wirklich.

Für T, A, P und L

Dann ist dies eine leichte Erzählung, die gewichtig wird.

Alejandro Zambra, Bonsai

Here’s a diazepam

We can each take half of

Or we can roll one up

However the night flows

Utada Hikaru, Bad Mode

Blumen kehren mit den Jahreszeiten zurück.

Wenn wir das nur auch könnten.

Lucky Chan-sil

Cam

Die meisten Typen um mich herum fangen an, paarweise zu verschwinden, aber TJ sitzt einfach da und nippt an seinem Wasser. Alle anderen schleichen zu zweit, zu dritt von der Theke weg. Sie sind dicht und wackeln die Fairview runter, in die Wohnung des besten Freundes von irgendeinem Ex-Boyfriend. Oder ins Badehaus in Midtown. Oder auch nur auf die Veranda der Bar, unter die Markise, wo die Mücken bis sechs Uhr morgens ins Laternenlicht rammen. Aber heute Abend, selbst noch, nachdem wir die Musik runtergedreht, das Licht wieder angemacht und die Theke gewischt haben, rührt TJ sich nicht. Es ist, als würde mich der Wichser nicht mal erkennen.

Einen Moment lang ist er eine leere Leinwand.

Ein Gesicht ganz ohne unsere Geschichte.

Aber da ist dieses Grinsen, das ich bei ihm noch nie so gesehen habe. Sein Haar sprießt unter der Kappe hervor und streift ihm über den Nacken. Er war schon immer kleiner als ich, aber seine Wangen sind weicher geworden, immer noch voller Babyspeck, der sich nie ganz verabschiedet hat.

Ich bin ein Idiot, aber ich weiß, das ist echt selten: jemanden zu sehen, den du genauestens kennst, ohne dass er dich wahrnimmt.

Das schafft unendliche Möglichkeiten.

Aber dann blinzelt er und sieht mich direkt an.

Fuck, sagt er.

Fick dich selbst, sage ich.

Fuck, sagt TJ. Fuck.

Das hast du bereits gesagt, sage ich. Willst du was Stärkeres trinken?

TJ fasst sich unten ans Gesicht. Tut mit seinem Haar herum. Sieht in sein Glas.

Er sagt: Ich wusste nicht mal, dass du wieder in Houston bist.

Ach, sage ich.

Hast du nicht dran gedacht, es mir zu sagen?

Ist doch keine große Sache.

Verstehe, sagt TJ. Klar.

Die Lautsprecher über uns blasen einen verschwommenen Strom Popakkorde heraus, bis zur Unverständlichkeit remixed. Dolly und Jennifer und Whitney. Der Hinweis für alle, den Laden zu verlassen. Aber die Jungs lehnen noch an der Theke, in verschiedenen Stadien der Auflösung – die Wochenendbesetzung einer Schwulenbar variiert krass und stündlich, von mexikanischen Ottern in Leder über weiße, offbeat klatschende Schwule und asiatische Bären in Gucci bis zu schwarzen Twinks, die am Pooltisch zum Bass mit den Köpfen nicken.

Als es dann doch endlich weniger werden, nimmt TJ die Kappe ab und fährt sich durchs Haar. Er stöhnt.

Geh ruhig tanzen, sage ich.

Du weißt, das ist nicht mein Ding, sagt TJ.

Dann hast du dich wirklich nicht verändert. Aber ich bin in einer Minute fertig, sage ich. Wenn du so lange warten willst.

Okay, sagt TJ.

Gut, sage ich und mache mich wieder an die Arbeit, schließe die Kasse, fülle Bacardi auf und kehre ihm erneut den Rücken zu.

Ich habe seit Jahren nicht von TJ gehört.

Gesehen haben wir uns schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr.

Als wir klein waren, stand sein Haus neben meinem. Meine Eltern waren kaum da, also hatte TJ ein Auge auf mich. Ich habe neben Jin und Mae mit an seinem Esstisch gesessen. Mir seine Pullover ausgeborgt. Bei ihm im Bett geschlafen und seinen Atem auf meinem Gesicht gespürt. Als meine Eltern umkamen – bei einem Verkehrsunfall, von einem Betrunkenen gerammt, der auf die I-45 einfädelte, ich war gerade fünfzehn geworden, große Emotionen –, haben mich seine Eltern in ihr Leben aufgenommen, mir Zeit und Raum und ein Zuhause geschenkt, und wann immer ich später das Wort Zuhause gehört habe, ploppten ihre Gesichter wie verdammte Hologramme vor mir auf.

Nicht, dass das jetzt eine Rolle spielt. Es hat am Ende einen Scheiß für mich geändert.

Als ich den Boden wischen will, winken Minh und Fern ab. Ich frage, was sie haben, und Fern sagt, man lässt Freier nicht warten.

Er scheint ziemlich spitz auf dich zu sein, sagt Minh.

Ist er nicht, sage ich.

Der Typ schlägt aus der Art, sagt Fern. Ich hab noch nie gesehen, dass du auf Cubs stehst.

Ich entwickle mich ständig weiter, sage ich, aber wir vögeln nicht.

Redest wie eine echte Hure, sagt Minh.

Fern gehört die Bar. Minh ist sein einziger anderer Angestellter. Ich zeig ihnen den Finger, gehe raus, und es fängt an zu nieseln. TJ steht noch an der Straße, zieht an seinem Vaper, tippt auf seinem Handy herum und bläst eine Wolke Gras in die Luft, als er mich sieht. Der Regen sticht Löcher durch den Dampf.

Du hast ein paar Kilos weniger, sagt TJ.

Und du mehr, sage ich.

Nice.

Kein Einwand. Endlich siehst du wie ein Bäcker aus.

Aber es ist anders. Du –

Darüber willst du reden?

War nur so eine Beobachtung, sagt TJ. Ich habe Augen.

Parkst du in der Nähe, frage ich.

Nee.

Dann bringe ich dich wie ein Gentleman hin.

Ha, sagt TJ, und wir treiben den Gehweg hinunter, tauchen unter herabhängenden Baumwedeln ins Viertel ein.

Die Mitte von Montrose besteht aus kaputtem Beton, ungeheurem Grün und Reihenhausgruppen. Hier und da perlt Lachen die sich dahinschlängelnden Straßen entlang, selbst noch so spät in der Nacht. Flaschen zerschellen, Motoren fauchen. Aber TJ geht ruhig, und so werde auch ich langsamer. Manchmal sieht er in meine Richtung, doch sein Mund bleibt verschlossen.

Ungeheuer anregende Unterhaltung, sage ich.

Ich glaube nicht, dass du so mit mir reden musst, sagt TJ.

Echt? Nach all den Jahren?

Ich hatte nicht vor, dich heute Abend zu treffen, sagt TJ. Das ist kein Date.

Du datest jetzt also, sage ich, statt Heterojungs zu ficken?

Halt’s Maul, sagt TJ. Wie lange bist du schon in Houston. Und lüg jetzt nicht.

Entspann dich, sage ich. Erst ein paar Monate.

Was heißt, ein paar?

Die paar, seit Kai gestorben ist.

Oh, sagt TJ.

Er bleibt mitten vor einer Einfahrt stehen. Eine Schar aufgedonnerter Schwuchteln auf der Suche nach ihrem Lyft schwirrt um uns herum und pfeift ziellos nach irgendwas.

Scheiße, sagt TJ. Sorry.

Muss dir nicht leidtun, sage ich.

Nein, sagt TJ. Nicht deswegen. Oder nicht ganz. Aber ich hab’s nach dem Ganzen nicht mehr geschafft, mit dir zu sprechen.

Nach dem Ganzen, sage ich.

Nach dem Ganzen, sagt TJ. Du weißt schon.

Er hält den Blick auf den Beton gerichtet. Er ballt eine Hand zur Faust.

Die Reaktion ist total menschlich. Aber mir reicht es noch nicht.

Ich trete näher an TJ heran.

Du hast ihn nicht umgebracht, sage ich.

Ich weiß, aber –

Kein aber. Mach dich jetzt verdammt noch mal nicht runter.

TJ sagt darauf nichts. Er zieht wieder an seinem Vaper. Und hält ihn mir hin, lässt ihn runterbaumeln, und ich nehme ihn und pumpe mir was von seinem Gras rein.

Wir gehen ein paar Straßen weiter, hopsen die Gehwege der Hopkins runter, Richtung Whitney und Morgan, und die Schwulen hupen in Mini Coopers hinter uns. Wir kommen an einem Vietnamesen-Paar vorbei, das sich an den Schultern hält, komplett hinüber nach einer durchgemachten Nacht. Sie versuchen, auf keinen Riss zu treten. Ein wirrer Haufen betrunkener Bros hält an der Ecke vor einer Taquería Hof, wedelt mit den Handys herum und lacht viel zu laut. Als einer von ihnen fragt, ob wir Party machen wollen, spüre ich, wie sich TJ versteift, und ich sage, alles bestens, vielleicht das nächste Mal, und lege dabei etwas Extra-Bass in meine Stimme. Aber die Typen winken nur ab. TJ und ich ducken uns unter weiteren Ästen durch, und dann sind wir allein auf der Straße, wieder, außerhalb des Einzugsbereichs der Schwulenkneipen, wo es still ist wie in jedem anderen Spießervorort in Texas.

Hey, sage ich. Dass du in die Bar gekommen bist, heißt das, du bist out?

War ich immer, sagt TJ.

Klar, sage ich, aber bist du –

Da steht mein Auto, sagt TJ und nickt zu einem winzigen Hyundai hin, der an der Kreuzung parkt.

Er lehnt sich gegen die Tür, während ich in meinen Taschen herumtue. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, dass ich so nervös bin. Aber als TJ fragt, ob er mich bei mir absetzen soll, schüttele ich den Kopf und zeige aufs Viertel.

Ich wohne hier, sage ich.

Natürlich tust du das, sagt TJ.

Bei einem Freund. Einem anderen Freund.

Einem, der wusste, dass du in dieser verfickten Stadt bist.

TJ klingt nüchtern, als redete er übers Wetter.

Was zum Teufel hättest du getan, wenn ich es dir gesagt hätte, sage ich.

Ich nehme an, das werden wir nie erfahren, sagt TJ.

Er zieht eine Grimasse. Noch eine, die ich noch nie gesehen habe. So was wie ein Grinsen.

Ich überlege, was ich darauf sagen soll, mache den Mund auf, um es auszusprechen … und entscheide mich dagegen.

Weil TJ zumindest so viel verdient hat.

Stattdessen greife ich nach seinem Vaper und ziehe noch mal daran. Ich blase ihm den Dampf ins Gesicht. Als TJ ihn wegwedelt, mach ich’s noch einmal.

Hör zu, sagt er. Ernsthaft jetzt. Ist wirklich alles okay?

Sind nur ein paar Schritte, sage ich.

Nein. Ich meine, ist mit dir alles okay?

Ich drehe TJs Vaper zwischen den Fingern. Er sieht tatsächlich so aus, als meinte er es ernst.

Komm wieder in die Bar und besuche mich, sage ich. Ich werde da sein.

TJ sieht mich lange an und schiebt die Lippen vor. Dann langt er in sein Auto, greift nach etwas und drückt es mir gegen die Brust.

Es ist eine Papiertüte voller Gebäck. Teigtaschen mit Huhn. Sie blättern in meinen Händen, sind warm, ihr Geruch stellt mir die Haare im Nacken auf – viel zu vertraut.

Bist du ein verdammter Dealer, sage ich.

Probier sie, sagt TJ.

Wie soll ich wissen, dass sie sauber sind?

Weil ich dich schon vor Jahren vergiftet hätte.

Also beiße ich ein Stück ab.

Sie sind genauso köstlich wie in meiner Erinnerung.

Und als TJ mein Gesicht sieht, nickt er.

Dann setzt er sich ohne einen weiteren Blick zu mir in sein Auto, und ich sehe ihm hinterher. Ich warte auf ein Winken, irgendein Friedenszeichen oder was auch sonst, verfickt noch mal. Aber nichts. TJ biegt um die Ecke und ist weg.

Ich beiße noch ein Stück ab, spüre dem Geschmack nach und bewege den Bissen im Mund herum.

Dann spucke ich ihn aus.

Schon an der nächsten Ecke finde ich einen Mülleimer und werfe den Rest hinein.

Ein paar Straßen weiter pingt eine der Apps auf meinem Handy. Jemand schickt seinen Standort. Der Park ist ganz in der Nähe. Aber der Typ schickt kein Foto seines Gesichts mit, nur von seinem Schwanz, und ich bin nicht sicher, nach wem ich da suchen soll.

Auf die Weise zu cruisen, ist ein Alptraum. Es besteht immer das Risiko, an einen Schwulenhasser zu geraten. Oder einen gelangweilten Verbindungstypen, der mit einem Baseballschläger Dampf ablassen will. Oder an einen besoffenen Familienwichser mit zwölf Kindern und einer reizenden, ahnungslosen Frau. Aber am Ende fällt mir ein Typ auf der Bank bei einem Spielplatz auf, und ich erkenne ihn sofort: Er war einer von den Bros, an denen wir bei der Taquería vorbeigekommen sind.

Er wirkt verschreckt, als er mich sieht. Ende dreißig, Anfang vierzig. Als ich nahe genug bin, hält er mir die Hand hin, und als ich ihm sage, er soll sich verdammt noch mal beruhigen, entschuldigt er sich und wird rot.

Ich frage mich, wie betrunken er ist.

Oder was es ihn gekostet hat, an diesen Punkt zu kommen.

Aber ich lass ihn trotzdem ran.

Er fickt mich auf der Bank. Unsere Bewegungen fühlen sich gewohnt an, wie eine Muskelerinnerung – und ich muss an etwas denken, was Kai immer gesagt hat: dass die Schritte die gleichen sein mögen, wir aber alle unseren eigenen Rhythmus haben, was eine weitere seiner blödsinnigen Erklärungen war, die ich dennoch nicht vergessen habe. Und genau das kommt in mir hoch, als mir dieser Fremde eine Hand unter das Hemd schiebt, während er mit der anderen an meinem Arsch herumfingert und nach einem Zugang sucht.

Es dauert nicht lange, und wir sind so weit.

Ich greife nach seinem Schwanz und führe ihn, er hält meine Hand fest.

Warte, sagt er. Hast du ein Kondom?

Nein, sage ich. Alles gut.

Wirklich?

Mach schon.

Bist du sicher?

Bist du ein verdammter Arzt?

Und ich denke schon, der Typ fragt noch ein Dutzend Mal, aber nein. Er dringt langsam in mich ein. Fängt versuchsweise an zu pumpen. Wird dann schneller. Ich halte mich am Holz der Bank fest, knicke aufgrund der Wucht kurz weg und denke, dass ich danach wahrscheinlich noch einen zum Ficken finde, bis ich plötzlich Kais Stimme höre, klar und deutlich, und ich schiebe sein Gesicht zur Seite, während der Typ hinter mir leise ächzt. Als er kommt, rucken unsere Körper, und fast lache ich los, weil es so irrsinnig komisch ist und absolut erstaunlich, dass ich gedacht hatte, die Welt würde je anders sein, als sie ist, oder ich mich je wirklich von ihren Launen freimachen könnte.

Es ist eine Weile her, dass mich Kai nach TJ fragte. Wir wohnten in L. A. Ich hatte noch meinen Bank-Job. Kai arbeitete als Übersetzer und sah mich immer noch so verwundert an, als könnte er unser Glück nicht fassen und als wäre die Tatsache, dass wir uns gefunden hatten, ein verdammtes Wunder. Er hing gerne im Park ein paar Straßen von seiner Wohnung in Silver Lake ab, trotz der Zelte, der Betrunkenen und der Sugarbabys, die zwischen den Rosen Fotos schossen, und das hatte sich auch ein paar Jahre nach unserem Zusammenfinden nicht geändert.

Also fing ich an, mich ihm anzuschließen.

Nicht immer, aber gelegentlich.

Auf dem Hinweg holte Kai sich Limonade aus diesem winzigen japanischen Mini-Markt. Die Besitzer kannten ihn beim Namen. Sie redeten über Kansai, wohin Kai alle paar Monate wegen der Arbeit flog, das Essen, die Kirschblüte und was auch immer noch, und der Anblick verwirrte alle anderen in der Schlange: dieser klobige schwarze Kerl, der sich mit diesen hundert Jahre alten Asiaten über die Art und Weise unterhielt, wie der Schnee auf der anderen Seite der Welt fiel. Ich hab’s auch nicht geschnallt.

Aber dann ließen wir den Laden hinter uns, breiteten uns auf dem Gras des Parks aus und verschlossen Augen und Ohren vor Kindern und vorbeirauschendem Verkehr. Kai sagte gerne, dass man so was in Louisiana, wo er aufgewachsen war, niemals finden würde, als wüsste ich das nicht längst.

Houston ist nicht anders, sagte ich. Da hast du deine Drogen, dein H, und das war’s.

Du übertreibst, sagte Kai.

Sonst würde ich keine Unsumme zahlen, um hier zu wohnen.

Was ist mit dem einen Freund zu Hause?

Wem?

Den einzigen, den du je erwähnt hast, sagte Kai.

Er griff in die Plastiktüte zwischen uns und warf mir eine Kirschtomate zu. Ich fing sie mit dem Mund auf. Ein paar schwarze Frauen mit Sonnenbrillen bildeten einen Jogakreis neben uns und brachten ihre Körper in die Lotus-Position. Alle paar Minuten brachen sie in Lachen aus, das durch den Park schallte.

Da gibt’s nicht zu erzählen, sagte ich. TJ und ich sind zusammen aufgewachsen. Seine Eltern hatten eine Bäckerei. Da habe ich bis zum College gearbeitet, bin dann weg, und TJ wurde komisch. Ein paar Jahre später ist sein Dad gestorben. Aber das weißt du doch schon.

Trotzdem, du könntest mehr erzählen, sagte Kai.

Vielleicht, sagte ich. Aber so ist das Leben. Ich meine, ich bin auch mit seinem Alten aufgewachsen. Ohne auszurasten, als er gestorben ist.

Kais Lider flatterten. Die Frauen neben uns hoben die Arme und gingen hoch in die Krieger-Position.

Danke, sagte ich.

Wofür?, sagte Kai.

Dass du nicht sagst, er war nicht wirklich Familie.

Werd nicht albern, sagte Kai. Was macht TJ heute?

Steckt in der Bäckerei fest. Datet heimliche Schwule.

Hey, sagt Kai und setzte sich auf. Ein Coming-out geht immer. Es gibt nicht die eine Art, queer zu sein.

Genau. Aber das ist was anderes.

Wieso?

Kai biss ein weiteres Mal von seinem Sandwich ab. Die Frauen neben uns verließen ihre Position, ließen Luft ab und sanken zurück auf ihre Matten. Und ich dachte über Kais Frage nach, kam aber auf keine Antwort.

Oder sagen wir, was immer mir als Antwort zu TJs Situation einfiel, schien mir eine zu lange Erklärung zu verlangen.

Kai warf mir eine weitere Tomate zu. Sie traf mein Auge.

Scheißer, sagte ich.

Du weichst aus, sagte Kai.

Ich denke nach.

Wie süß. Habt ihr, du und TJ, je rumgemacht?

Bitte.

Das wäre doch nur natürlich gewesen! Ihr wart Teenager!

Während Kai lachte, fuhr ich mit einem Finger in den Bund seiner Boxershorts. Er drückte mir mit der Hand gegen die Brust. Es reichte, dass ein paar unserer Nachbarn zu uns hersahen und blinzelten, bevor sie sich wieder ihrer Gruppe zuwandten.

Egal, sagte ich. Wir haben den Kontakt verloren. Ende.

Aber du hast ihn geliebt, sagte Kai.

Habe ich das gesagt?

Es steht dir ins Gesicht geschrieben, sagte Kai.

Tut es das?

Yeah, Babe. Das ist Liebe.

Und dann verdrehte Kai die Augen, streckte die Zunge raus und schüttelte den Kopf.

Ich wollte ihn fragen, was er in mir gesehen hatte.

Wie Liebe für ihn aussah.

Es war eine verdammt blöde Frage, und ich bin nie dazu gekommen, sie ihm zu stellen.

Und dann, klar, ist er gestorben.

Aber manchmal rede ich noch mit ihm.

Weiß immer noch nicht, wie das geht.

Oder warum.

Manchmal gibt es eine Vorwarnung.

Wie, dass sich mir plötzlich die Haare im Nacken aufstellen.

Aber meist taucht Kai einfach so auf.

Ich stehe unter der Dusche, pinkle gerade oder nicke ein, und puff, da ist er. Sitzt im Schneidersitz direkt vor meinen verdammten Augen.

Das letzte Mal, dass es passierte, war vor ein paar Wochen. Ich lag im Bett, allein, und tippte auf meinem Handy herum. Suchte nach einem Schwanz. Und dann, aus dem verfickten Nichts heraus, fühlte ich Kai auf der Matratze neben mir.

Schweigend lagen wir da. Ich atmete das Zimmer leer, während er tot und reglos war.

Und dann hat er gerülpst.

Ich sagte: Scheiße.

Das ist ja nett, sagte Kai. Ist eine Weile her.

Ich habe ihn nicht gefragt, wo er gewesen war.

Oder was zum Teufel er da gerade machte.

Weil er da war. So deutlich wie ich.

Aber er war auch weg.

Und war weg gewesen.

Du hast viel zu tun, sagte Kai.

Ich bin umgezogen, sagte ich. Habe mein Leben neu organisiert.

Du lässt es so einfach klingen.

Alles geht langsamer in Texas. Du magst langsame Dinge.

Mochte, sagte Kai.

Yeah, sagte ich. Sorry.

Entschuldige dich nicht, sagte Kai. Fang wegen mir nicht an, anständig zu werden.

Es ist nicht so, als hättest du versucht, mich zu ändern.

Warum sollte ich? Romantik mit Qualifikation ist nicht mehr als ein Crush.

Aber für die Art Ärger gibt es hier weniger Raum, sagte ich.

Wo zum Teufel ist hier?

Wo immer du nicht bist, sagte ich.

Du weißt, das ist Quatsch, sagte Kai. Ärger findet sich immer, wenn du weißt, wo du suchen sollst.

Du hast nicht nach mir gesucht, sagte ich, und Ärger gefunden.

Der Mensch irrt sich, sagte Kai.

Hast du es dann bereut, dachte ich, sagte es aber nicht, und Kai nieste so laut, dass ich zusammenzuckte.

Er sagte: Jetzt läuft alles anders. Ich bin der Einzige, der jetzt noch Fragen stellt, okay?

Und dann war er wieder weg.

Einfach so.

Wie eine kleine Schlampe.

Unsere Bar heißt Harry’s, und Minh schreibt sie mit einem i. Fern hat sie geerbt. Er sagt, sie wurde nach einem innovativen Weißen benannt, der das Viertel angeblich gegen unwesentlich rassistischere weiße Männer vereinigt hat, aber wann immer Fern die Geschichte erzählt, fängt er mittendrin an zu lachen, und ich kann nicht sagen, ob er Scheiß redet oder was auch immer.

Das Haus steht an einem buschigen Straßenrand von Montrose, versteckt unter zu vielen Kiefernzapfen. In Houston spürst du die Jahreszeiten kaum, weshalb das Viertel das ganze Jahr über unerklärlich grün bleibt. Der Block selbst besteht aus einem Sammelsurium von Grundstücken. Neben einer Reihe halb errichteter Condos, und immergrünen Pflanzen, gibt es hier und da eine Ansammlung kuratierter Blumenbeete von Hausbesitzern der oberen Mittelklasse, die das Land geschluckt haben, bevor das Wohnungsbau-Schlupfloch geschlossen wurde. Es ist Schwachsinn in Schön.

Aber die Bar ist immer in Gefahr, geschlossen zu werden. Fern lamentiert jeden Tag darüber. Nicht, dass er es müsste – der schwule Buchladen, der schwule Lebensmittelladen, der schwule Sexshop, die lesbischen Schneiderinnen und queeren Coffeeshops in der Nähe sind alle schon weg. Die Häuser sind plattgemacht worden. Ihre Besitzer wurden aus dem Markt gedrängt. Und überall stehen jetzt Bauzäune mit Schildern, die Hochhäuser und Boutique-Malls ankündigen, die nach noch mehr weißen Männern benannt sind, deren Urgroßväter wahrscheinlich Sklavenhalter waren.

Manchmal sind die Zäune voll mit Graffiti, aber es dauert nur einen Tag, und sie sind wieder sauber und frisch gestrichen.

Fern hat mir den Job in der Bar verschafft. Er kannte Kai noch aus L. A., sie hatten sich auf irgendeiner Nerd-Tagung kennengelernt, weil Ferns Mann dieses Buch mochte, das Kai übersetzt hatte, und sie haben den Kontakt gehalten. Was ein weiterer Teil von Kais Leben war, von dem ich nichts wusste – doch dann rief mich Fern ein paar Wochen nach der Beerdigung in Louisiana an.

Bei der ich nicht gewesen war.

Aber ich war nicht eingeladen.

Der Job ist nichts Besonderes, sagte Fern, und die Bezahlung ziemlich mies. Aber du wirst von Leuten umgeben sein, denen du nichts erklären musst.

Ich hatte den Anruf auf unserem Balkon angenommen. Ich ging nicht wirklich aus dem Haus. Zog mich nicht wirklich an. Morgens sah ich zu, wie das Tageslicht die Straße vor unserem Schlafzimmer erreichte, abends sah ich die Sonne durchs Küchenfenster untergehen. Manchmal schlich ich mich um Mitternacht raus, um mir Tacos in der Melrose zu holen, oder ich gab ein Vermögen für Dim-Sum aus, das ich aus der Innenstadt bringen ließ, mit genug gebratenen Nudeln und BBQ-Buns für sechs.

Manchmal aß ich alles.

Meist allerdings nicht.

Ich weiß nicht, sagte ich zu Fern. Houston ist weit weg. Und ich mag Texas nicht.

Bist du nicht hier in der Gegend aufgewachsen, fragte Fern.

Woher weißt du das, sagte ich und lauschte Ferns Atem, weil ich sehen wollte, ob er sich traute, Kais Namen auszusprechen, aber er tat es nicht.

Hör zu, sagte Fern. Ich dränge dich nicht. Es ist deine Entscheidung. Aber ein Ortswechsel könnte dir guttun. Selbst, wenn es nur für kurze Zeit ist.

Ich glaube nicht, dass du mich gut genug kennst, um das sagen zu können.

Ich weiß, dass du jemanden verloren hast. Ich weiß, du trauerst um ihn. Und ich weiß, Los Angeles ist wahrscheinlich der letzte Ort, an dem du im Moment sein möchtest. Angesichts von allem –

Das ändert alles nichts, sagte ich. Ich hätte nicht mal einen Ort, wo ich schlafen könnte.

Du kannst bei mir wohnen.

Was? Warum zum Teufel tust du das?

Mach dir deshalb keine Gedanken, sagte Fern.

Und dann fügte er noch hinzu: Wir haben Kai auch geliebt, und er hat die ganze Zeit von dir geredet.

Ich wollte sagen: Er hat dich nie erwähnt – doch dann habe ich es gelassen.

Meine Zehen gruben sich stattdessen in die Fliesen.

TJ rief auch an.

Woche um Woche. Mehrmals pro Tag.

Ich habe seine Anrufe vom AB beantworten lassen, bis er schließlich voll war. Ich hatte nie das Bedürfnis, mir seine Nachrichten anzuhören.

Aber als TJs Mutter anrief, da bin ich rangegangen.

Wir haben geschwiegen, bis Mae meinen Namen sagte. Sie wollte wissen, wie es mir ging, ob ich regelmäßig aß und wie es mit dem Geld stand. Sie erwähnte Kai nicht ein einziges Mal, aber ich konnte mich nicht dazu bringen, sie deswegen zu hassen.

Wenn du etwas brauchst, sagte Mae, du weißt, wo du uns findest.

Danke, Mae.

Unser Zuhause ist auch immer noch dein Zuhause.

Danke, Mae.

Wann immer du kommst, sagte Mae, hier ist ein Bett für dich.

Ich glaube nicht, dass ich das kann, sagte ich.

Es gab eine Pause. Ich konnte die Worte hören, bevor Mae sie aussprach.

Das ist okay, sagte Mae, solange du weißt, dass du deine Meinung ändern kannst.

Am nächsten Morgen rief ich Fern zurück.

Am Abend habe ich dann den Flug gebucht.

One way.

Ein paar Tage später ist TJ wieder in der Bar. Er fingert an seinem Handy herum, im selben schwarzen Hoodie versteckt. Und falls er mich sieht, lässt er es sich nicht anmerken.

Er hat die Bar fast für sich. Der Betrieb in der Woche hält uns nicht wirklich am Leben. Ein schwarzer Typ mit Baseballkappe sitzt an einem Ende der Theke und rührt in seinem Cocktail. Ein schwules Filipino-Pärchen kichert unter dem Fernseher, aber das Kichern wird von Janet Jackson übertönt. Und ein Venezolaner guckt düster auf sein Handy und checkt ständig den Eingang der Bar, bis ich ihn frage, ob er jemanden erwartet, und er sagt, sie werden jeden Moment hier sein.

Irgendwann ruft mich Minh von der Kasse aus. Er macht mit Fern Inventur bei den Schnäpsen und gibt alles in ein Tablet ein. Es ist so wenig zu tun, dass er ein Gebärdensprachen-Lehrbuch unter der Theke liegen hat. Minh studiert Logopädie, mit Unterbrechungen, schwört aber, dass er dieses Jahr seinen Abschluss macht.

Dein Schöner ist wieder da, sagt er.

Du projizierst da was, sage ich.

Vielleicht, sagt er. Ist er gemischt?

Sein Vater ist Koreaner, sage ich. Die Mutter ist schwarz.

Ich glaube, er ist wirklich nur ein Freund, sagt Fern.

Dich hat niemand gefragt, sagt Minh.

Ich habe ein Auge für so was, sagt Fern. Und Baby Boy hätte uns doch erzählt, wenn er einen Geliebten hätte, oder?

Auf keinen Fall, sage ich. Kannst du mal kurz die Theke übernehmen?

Wenn es ein Gefallen ist, sagt Minh.

Wenn es bedeutet, dass du es tust.

Dann mit Vergnügen, sagt Minh und hebt feierlich die Hände.

Das lässt Fern grummeln. Aber er kann nichts daran ändern. Und es ist nicht so, als müssten wir alle an der Kasse herumstehen. Wie alle anderen Schwulenbars, die überlebt haben, hängen wir vom Samstag ab. Von Themenabenden, Spieleabenden und Feiertagen – da verdienen wir unser Geld, und weil Fern keine Circuit-Partys geben will, sind wir kaum mal die erste Wahl eines Event-Veranstalters.

Fern versichert, die Miete ist kein Problem. Schwört, er nimmt eine weitere Hypothek auf sein Haus auf, bevor er uns nicht weiter bezahlt. Aber Minh sagt, er hat die Vermieterin in letzter Zeit öfter hier gesehen, auch wenn ich sie selbst nie zu Gesicht bekomme.

Als ich Fern vor ein paar Wochen danach gefragt habe, hat er die Brauen zusammengezogen.

Jetzt willst du also die Bücher sehen, sagte er.

Ich will einfach nicht auf der Straße landen, sagte ich.

Wirst du nicht, sagte Fern. Ich kümmere mich drum.

So grob war er mir gegenüber noch nie.

Als ich mich jetzt neben TJ setze, ist die Anzahl unserer Gäste kaum beruhigend. Fast alle sitzen zu zweit oder in kleinen Grüppchen zusammen. Als sich die Tür hinter uns öffnet, fährt der Venezolaner hoch, eine kieselharte Stimme ruft: Sorry, Schatz, und die Tür knallt wieder zu.

Und, sage ich.

Du dachtest, ich würde nicht wieder herkommen, sagt TJ.

Als ich gesagt habe, du solltest wieder herkommen, meinte ich nicht, in der Mittagspause.

Pech gehabt, sagt TJ. Ich hab eine Nachricht von Mae.

Wie geht es ihr?

Frag sie selbst. Es ist Jahre her.

Wir haben vor ein paar Monaten miteinander gesprochen, sage ich, was TJ endlich den Blick heben lässt.

Er trinkt wieder nur verdammtes Wasser und räuspert sich.

Okay, Viola Davis, sage ich. Werde jetzt nicht dramatisch.

Du mich auch, sagt TJ.

Das hättest du gerne. Und wir haben nicht über dich geredet. Sie wollte nur wissen, wie’s ging.

Ist mir egal.

Du weißt, dass wir immer schon ein enges Verhältnis hatten, sage ich. Du und Jin, ihr wart irgendwo unterwegs, und sie blieb bei mir.

Aber offenbar nicht eng genug, dass du sie besucht hättest, als du in die Stadt gekommen bist, sagt TJ. Sie möchte dich sehen. Sie konnte es nicht glauben, als ich ihr erzählt habe, dass du wieder hier bist.

Hast du ihr gesagt, dass du mich zufällig in einer Schwulenbar getroffen hast?

TJ wischt sich über die Nase.

Die Babys unter dem Fernseher kreischen. Als wir in ihre Richtung blicken, verstecken sie ihr Gelächter hinter vorgehaltenen Händen, stoßen gegen ihren Tisch und verschütten Bier auf die Fliesen. Minh geht mit einem Lappen hin, schüttelt den Kopf, und sie entschuldigen sich zwischen ihren Kicheranfällen.

Wie läuft es in der Bäckerei, sage ich.

Es gibt uns noch, sagt TJ.

Das ist gut.

Du hättest nicht gehen müssen.

Das ist heute nicht das Thema, sage ich.

Ich wollte nur, dass du es von mir hörst, sagt TJ. Für den Fall, dass du es vergessen hast.

Das ist nicht deine Sache.

Ich sage es nur.

Dann hör auf, sage ich. Was zum Teufel machst du hier überhaupt?

Du hast gesagt, ich soll wieder herkommen, sagt TJ.

Das hat gereicht?

Ich bin nicht der, der gegangen ist.

Mir wird plötzlich bewusst, dass wir uns anschreien. Fern und Minh glotzen zu uns herüber, und alle anderen starren mit ihnen zu uns her.

Die Musik taucht in einen glatten City Pop. Anris Stimme deckt die ganze Bar ein. Und TJ verschränkt die Arme und lehnt sich gegen die Theke.

Lassen wir das, sagt er. Ich bin nicht quer durch die Stadt gefahren, um zu streiten.

Du bist also nur hier, um an einem Mittwochnachmittag was zum Ficken zu finden?

Ich dachte, ich wäre ein Freund.

Das machst du großartig, sage ich. Kriegst eine Eins plus.

TJ nimmt sein Wasser und trinkt den Rest aus. Als er aufsteht, fällt sein Hocker um, und ich habe ihn bei den Schultern, bevor er wegrutscht.

Worauf wir uns gegenseitig halten.

Und komplett daneben wirken.

Weißt du was, sagt TJ. Fick dich.

Und schon ist er aus der Tür und knallt sie hinter sich zu.

Fern und Minh fangen an zu klatschen. Die Jungs unter dem Fernseher schütteln die Köpfe und flirten weiter. Und der in seinem Wodka Soda verlorene Schwarze hebt sein Glas in meine Richtung, aber ich sage ihm, er kann mich mal.

Ferns Haus liegt ein paar Straßen von der Bar entfernt. Es ist ein Vier-Zimmer-Bungalow, zwischen einem Waschsalon und einer Bäckerei. Der Bäcker ist aus Guadalajara. Fern lebt mit Jake zusammen, seinem Mann, und in der Woche kommt manchmal sein Sohn, es sei denn, Diego bleibt bei seiner Mom in Midtown.

Jake arbeitet morgens als Pfleger in einem Notfallkrankenhaus, Fern abends in der Bar. In den ersten Monaten habe ich versucht, sie dazu zu bringen, mich einen weiteren Job suchen oder doch zumindest die Nebenkosten übernehmen zu lassen, aber davon wollten sie nichts wissen.

Fern lehnt alles von mir ab, bis auf einen Teil, einen Drittel der Nebenkosten. Was im Vergleich zu L. A. so gut wie nichts ist. Den beiden gehört das verdammte Haus. Also habe ich Fern gesagt, das sei nicht fair – ich habe immer noch Ersparnisse von meiner Zeit in der Bank –, aber Fern meinte, das Leben sei nun mal nicht fair, und das war der Streit, den wir jeden Abend neu austrugen, aber irgendwann ging Jake dazwischen und sagte, er habe gehört, ich hätte in einer Bäckerei gearbeitet, vielleicht wolle ich für uns drei kochen?

Auf gar keinen Fall, sagte ich.

Absolut verständlich, sagte Jake.

Moment mal, sagte Fern. Das ist echt keine so schlechte Idee.

Ich sagte, ich will euch was zahlen.

Dann betrachte es einfach als eine andere Form der Bezahlung, sagte Fern.

Ich koche verdammt noch mal nicht mehr, sagte ich. Das ist scheißlange her.

Wir sind nicht wählerisch, sagte Jake, und ich wollte schon wieder protestieren, aber Fern meinte, ich solle drüber nachdenken, schließlich hätte ich mit dem Ganzen ja überhaupt erst angefangen.

Ich gebe Fern einen Teller mit in Cholula getränkten Rühreiern und einem Streifen Speck. Wir sind gerade aus der Bar zurück. Er öffnet die Dotter mit der Gabel und schlingt das Zeug in sich rein.

Himmel, sage ich. Pass auf, oder du erstickst.

Würdest du Tränen um mich vergießen, sagt Fern.

Tagelang. Denkst du wirklich, dass wir uns keine Sorgen um Harry’s machen müssen?

Es gibt immer was, worum man sich Sorgen machen kann, sagt er. Aber wir sind auf der sicheren Seite. Versprochen.

Ich will noch etwas sagen, halte mich aber zurück.

Fern verschränkt die Arme und stützt die Ellbogen auf die Küchentheke. Er lässt sich keinen richtigen Schnauzbart wachsen, nur ein dünner Ansatz kriecht ihm über die Oberlippe.

Ich setze dich schon nicht auf die Straße, sagt Fern. Du sorgst dich zu sehr.

Ich sorge mich genau angemessen.

Und sieh, wohin es dich gebracht hat, sagt Fern.

Aber er sagt es ganz ohne Häme, isst auch den Rest seiner Eier und trägt den Teller zur Spüle. Dann winkt er und geht den Flur hinunter zurück ins Bett, während Diego mit seinem Rucksack die Treppe heruntergesprungen kommt, in der einen Hand einen Geigenkasten, in der anderen eine Jacke.

Die Mittelschule ist nur ein paar Straßen entfernt, aber Fern besteht darauf, dass Diego gebracht wird. Und ich verstehe, warum. Wir, die wir in Montrose arbeiten, wissen, was alles auf diesen Straßen möglich ist, so sehr sich das Viertel auch ändert. Seit einiger Zeit reihen sich hier Eiscafés an Pop-up-Boutiquen, und in den überwucherten Höfen gibt es Zwölf-Dollar-Kaffees. Dabei hättest du vor ein paar Jahren noch selbst am helllichten Tag keinen weißen Boomer auf der Fairview, der Dunlavy oder Hazard gesehen.

Trotzdem – man weiß nie.

Und Diego hat Asthma.

Das heißt, auch das gehört zu meinem Tag: allen Frühstück zu machen und den Jungen zur Schule zu bringen.

Aber Diego schmollt trotzdem, erzählt, wer sich in wen verknallt hat, welche YouTuber er nicht mehr erträgt, er verknüpft einen K-Pop-Refrain mit einem anderen und redet vor sich hin, bis er mich ansieht und eine Antwort erwartet.

Du könntest wenigstens so tun, als würde es dich interessieren, sagt er.

Ich bin der Premierminister des Interessiertseins, sage ich.

Ich soll also einen Coup wagen.

Gute Idee. Die Leute würden es dir danken.

Nee, sagt Diego. Du bist ein zu großer Schwächling. Es wäre zu einfach.

Diego ist ein kleiner Kerl. Er entstammt Ferns erster Ehe. Jake schneidet ihm die Haare, und das allgemein auch ganz gut, trotzdem sehen sie am Ende immer aus, als wäre der Junge gerade mit dem Fallschirm aus einem Kampfjet gesprungen.

Unser Weg ist keine große Sache: Das Viertel erholt sich noch von der letzten Nacht. Eine Handvoll weiße Moms sitzt dekorativ auf Coffeeshop-Bänken, Friseure und Angestellte schließen ihre Läden entlang der Westheimer auf, und als wir am Schultor ankommen, holt Diego einmal tief Luft.

Heute Nachmittag musst du nicht auf mich warten, sagt er.

Du weißt, dass das nicht geht, sage ich.

Ich weiß. Nur heute nicht.

Gibt es was Besonderes?

Nein.

Hast du ein süßes Date?

Nein.

Wie heißt they? Was sind their Pronomen?

Hör auf, sagt Diego. Das ist es nicht. Ich denke nur, wir sollten ein paar Sachen ändern.

Hmm, sage ich. Lass mich deine Dads fragen, was sie davon halten.

Habe ich schon.

Klar. Aber lass mich selbst fragen.

Diego kneift die Augen zusammen. Er hebt eine Faust in meine Richtung, und ich stoße dagegen, bevor er sie wieder öffnet, herumwirbelt und zur Treppe hinüberrennt. An der Tür sieht er sich noch einmal um und zeigt mir den Mittelfinger. Aber er lächelt dabei, und dann ist er weg.

Ich checke mein Handy kaum acht Sekunden später, und der nächste Typ, der online ist, ist nur ein paar Meter entfernt. Aber ich hatte ihn schon, und er kam nach zwei Minuten. Ich wische also weiter, und die Entfernungen vervielfachen sich, von zehn Metern zu hundert zu fast anderthalb Kilometern.

Dann kommt ein Foto von einem anonymen Profil.

Es ist ein Typ, der lächelt und dabei reichlich Zähne zeigt.

Cute, schreibe ich.

Danke, schreibt er. Auf der Suche?

kommt drauf an

?

bist du aktiv?

Kann beides

das sagt jeder, schreibe ich.

Wirklich, schreibt der Typ. Ich will einfach nur Party machen.

Interessant, schreibe ich. Bei dir?

So laufen meine Tage: Während Fern schläft und Jake arbeitet, und bevor ich zur Bar gehe, streife ich durchs Viertel, und das gespickt mit Sex. Seit ich zurück in Houston bin, habe ich es mit Paketboten gemacht, mit Anwälten, Typen in Trockenreinigungen, Architekten und Ingenieuren, mit College-Kids, Kindergärtnern, Grafikdesignern, Maklern, Verkäufern, Hausmännern und Professoren. Manche kommen gerade von einem Job aus Pearland nach Hause, sind mit dem Gym in Memorial durch, joggen durch den Hermann Park, haben sich krankgemeldet, ihre Kinder in die Schule geschickt oder was auch immer. Wobei die meisten Treffen einem gewohnten Ablauf folgen: ein kurzes Kennenlernen, bevor gefickt wird, bis einer kommt. Dann beeilt sich der andere, ebenfalls fertig zu werden, wir nicken uns zu und gehen. Namen werden nicht ausgetauscht, und wahrscheinlich sehen wir uns nie wieder, oder tauchen ein paar Tage später neu in einer der Apps auf.

Kai hat das die Schwuchtelsteuer genannt: die ständige Nähe. Er schwor, dass wir am Ende immer online landen, in einem permanenten digitalen Netz verstreute, miteinander verbundene Atome. Ich weiß nicht, wie ich mich darin verstrickt habe, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß, weil ich natürlich auch vor Kai herumgevögelt und hier und da was aufgerissen habe, aber nach seinem Tod wurde aus dem hier und da ein überall, ständig, und eine Sache zu benennen, schützt dich nicht davor, ihr zu erliegen, und als ich an die Tür von diesem Typ klopfe, hinter einem Wohnkomplex ohne Fahrstuhl, drei Straßen von der Schule entfernt, macht mir ein dicker Latinx auf.

Hey, sage ich.

Howdy, sagt er.

Er fragt, ob ich Wasser will. Ich sage, cool, wenn es aus der Flasche kommt. Als er es holen geht, sehe ich mich in seiner Bleibe um – die pastellfarbenen Wände hängen voller Familienfotos. Auf einer Handvoll scheint er mit drauf zu sein. Auf einem grinst er neben einer Lady in die Kamera, die seine Großmutter sein könnte. Auf einem anderen steht er Arm in Arm mit drei Männern, die sich über einem Chihuahua zusammendrängen. Und auf wirklich allen Fotos strahlen die Leute, und ich frage mich, ob sie wissen, dass er Schwänze lutscht.

Ist das deine Wohnung, frage ich.