Lot - Bryan Washington - E-Book

Lot E-Book

Bryan Washington

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Beschreibung

Ein junger Mann sucht seinen Platz in der Welt: Der Sohn einer schwarzen Mutter und eines Latino-Vaters wird in Houston erwachsen. Er arbeitet im Restaurant seiner Familie, trotzt den Schlägen seines Bruders, muss zusehen, wie sein Vater langsam verschwindet. Und er entdeckt, dass er Jungs mag. Seine Geschichte wird verwoben mit Erzählungen über das Leben anderer Menschen der Stadt: Eine Affäre zwischen einer verheirateten Frau und einem Weißen eskaliert im Einwandererviertel; der Besuch einer Cousine aus dem krisengebeutelten Jamaika stellt alles auf den Kopf; ein lokaler Drogendealer nimmt sich orientierungsloser Teenager an, und zwei junge Männer meinen, einen unglaublichen Fund am Straßenrand gemacht zu haben. Mit einfühlsamem Blick auf das, was eine Gemeinschaft ausmacht, geht Bryan Washington dem Leben in all seinen schonungslosen und unbeständigen Formen nach.

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Seitenzahl: 260

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INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, BuzzFeed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für Lot erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie »5 Under 35« und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt Dinge, an die wir nicht glauben wurde in den USA zum Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. Er lebt in Houston, Texas.

ÜBER DAS BUCH

In einem Streifzug durch Houston erzählt Bryan Washington von den unterschiedlichsten Lebensgeschichten, von Familie und Heimat, ersten und letzten Liebesversuchen, Aussichtslosigkeit und Hoffnung. Dabei entzieht er seinen Figuren Schutzschicht um Schutzschicht - bis nur noch der schönste, verletzlichste und wahrste Kern übrig bleibt. Es sind Geschichten, wie sie jeder kennt und doch noch nie erlebt hat.

 

Für Arlena und Gary

 

Und wie kam ich

Zurück? Wie kam irgendwer von uns

Zurück, als wir nach

Schönheit suchten?

Gary Soto

und wäre es nicht schön / wenn die dinge passten / wie sie sollten / wäre das nicht etwas / wofür sich zu sterben lohnte.

Paul Asta

LOCKWOOD

1.

Roberto war braun, und seine Leute wohnten nebenan, also bin ich natürlich am Wochenende immer rüber. Sie waren hundertprozentige Mexikaner. Was uns zu was Besserem machte. Mein Vater nutzte jede Gelegenheit, das zu sagen, wenn auch nicht ihnen ins Gesicht. Also übernahm Ma es, sie zu besuchen, fast jeden Abend. Sie hatte noch nicht viele Freundinnen in der Straße – für die Blancos waren wir zu dunkel, für die Schwarzen zu sehr Latino.

Aber Robertos Mutter mochte ihre Gesellschaft. Sie bat uns herein. Ihr Mann arbeitete im Straßenbau, den Grand Parkway betonieren, sie hatten keine Papiere, du weißt, was das heißt. Keiner stellte sie ein, und sie wollte kein Risiko eingehen. Also verbrachte sie ihre Tage damit, sich um Roberto zu kümmern.

Sie wohnten in diesem Shotgun-Haus mit undichten Rohren. Wer die Straße heraufkam und es sah, schüttelte den Kopf. Ma brachte ihnen Yuca mit Bohnen aus dem Restaurant, aber als mein Vater es mitkriegte, fragte er, wer das verfickt noch mal bezahlt hatte. Javi, Jan und ich sahen zu, wie die beiden um den Küchentisch kreisten, bis sich mein Vater eine Schüssel Reis schnappte und auf den Boden schmetterte. Er sagte, so fühlt es sich an zuzusehen, wie dein Geld aus dem Fenster geschmissen wird. Vielleicht dachte Ma ja mal nach, bevor sie auf ihre Familia schiss. Aber natürlich hielt sie das nicht auf – wenn überhaupt, ging sie jetzt noch öfter. Allerdings ließ sie das Essen zu Hause. Stattdessen nahm sie mich mit, etwas Kaffee und Kekse.

Roberto hatte eine platte Nase und Pickel überall dort, wo sie nicht sein sollten. Er trug seine Haare wie ein Whiteboy, und als ich ihn fragte, warum, sagte er, so wärs eine Sorge weniger. Seine Fam konnte sich keine normalen Haarschnitte leisten, weswegen der Friseur immer alles komplett abrasierte, wenn sie hingingen. Ich sagte, er sähe aus wie eine Ratte, wie die Blanquitos mit ihren Motorrädern überall in der Stadt, und Roberto sagte, das sei schon okay und ich ein fetter schwarzer Gorilla.

Er war fünfzehn, ein paar Jahre älter als ich, und er erzählte mir von dem Bus, den er direkt von Monterrey genommen hatte. Sein Vater war erst allein nach Houston gekommen, bevor er auch den Rest der Familie hatte nachholen können, und als ich Roberto nach Mexiko fragte, sagte er, alles in Texas schmecke nach Sand.

Roberto ging nicht zur Schule. Er verbrachte den ganzen Tag damit, leise mit dem schrottigen Fernseher seiner Mutter Englisch zu sprechen. Es war das Jahr meiner endlosen Grippe, in dem ich für Javi nicht mehr existierte – er hatte sich einer der Gangs in der Gegend angeschlossen – was bedeutete, dass ich eine scheiß Ewigkeit nebenan verbrachte. Sie hatten einen Tisch und Kerzen und eine Matratze im Wohnzimmer. Wenn Robertos Vater sich nicht gerade irgendwo draußen abrackerte, lag er für gewöhnlich darauf und schlief.

Seine Mutter war immer völlig fertig. Heulte meiner Ma was vor. Sagte, dieses Land sei so viel rauer – alles sei so schwammig.

Ma riet ihr, abzuwarten. So kam einem Amerika erst mal vor. Sie würden sich dran gewöhnen, den Code knacken, aber sie müsste daran glauben.

Währenddessen gingen Roberto und ich an den Rand von Lockwood, wo das East End aufhört und die Lagerhallen anfangen. Wir warfen Steine auf die Autos auf der Woodvale. Machten uns über die Betrunkenen auf ihren Verandas an der Sherman lustig und beobachteten die Gangs beim Kush-Rauchen auf der Congress. Ich sah Javi bei ihnen, aber er kuckte nicht mal rüber. Nachts dann rüttelte er mich in unserem Etagenbett wach und zischte, er würde mich umbringen, wenn ich was sagte. Er roch säuerlich und verbrannt, wie was Totes von der Straße. Ich dachte daran, Roberto zu warnen, besser den Mund zu halten, bis mir klar wurde, dass er keinen hatte, dem er was verraten konnte.

Einmal fragte ich Roberto, ob es ihm in Texas gefiel. Er sah mich eine Ewigkeit an. Sagte, es sei ein Ort wie jeder andere.

Könnte schlimmer sein, sagte ich. Du könntest wieder zu Hause sein.

Zu Hause ist immer da, wo du gerade bist, sagte Roberto.

Das ist Gerede. Das heißt gar nichts.

Würde es, sagte er, wenn du wüsstest, dass du keins hast.

Das erste Mal, als wir uns gegenseitig einen runterholten, schlief sein Vater neben uns. Sie hatten die Ausfahrt von der 610 fertig betoniert, und er stand ohne Job da. Es war still, bis auf die Fliegen über uns und Ma draußen auf der Veranda mit seiner Mutter, wie sie ihr versprach, sie würden eine Lösung finden.

Als Roberto endlich loskeuchte, hielt ich ihm mit meiner freien Hand den Mund zu. Wir horchten an der Fliegentür, aber draußen war alles wie vorher. Nur unsere schluchzenden Mütter und das Schnarchen, das sie übertönte, und Cumbia aus den Chevys vom Grundstück gegenüber.

Er hatte alles auf die Jeans gekriegt, und wir konnten uns kaum halten vor Lachen – es war die einzige Hose, die er hatte. Da gabs keine andere.

An dem Abend erzählte meine Mutter meinem Vater, in was für einer Lage sie waren. Sie sagte, wir sollten ihnen helfen. Schließlich waren wir hier auch mal neu gewesen. Aber klar, sagte mein Vater, wir können ihnen was leihen, und dann können sie auch gleich ein paar Teller aus unserem Schrank haben. Wir borgen ihnen ein paar Stühle. Und das Schlafzimmer. Jan lachte aus ihrer Ecke, und Ma sagte, das sei nicht witzig, und wir wussten genau, was sie meinte – wir verdrehten ihre Worte.

Nach und nach verschwanden die Sachen aus Robertos Haus. Ich weiß es, weil ich da war und sah, wie sie aus der Tür spazierten. Seine Familie hatte immer noch keine Kohle für regelmäßiges Essen. Roberto fing an, Frühstück und Mittagessen auszulassen, und das ist der Punkt, an dem ich sagen sollte, dass meine Familie ihnen unsere Speisekammer öffnete, doch wir taten nichts in der Richtung.

Wovon wir uns nicht aufhalten ließen. Wir machten es im Park an der Rusk. Bei den Müllcontainern an der Lamar. Neben der Apotheke an der Woodleigh und auf den Bänken dahinter. Einmal machten wir es auf der Matratze seiner Eltern, als seine Mutter zum Heulen rausgegangen war, und wir waren gerade fertig, da hörten wir ihren Schlüssel in der Tür.

Irgendwann fragte ich Roberto, ob wir vielleicht was Schlimmes taten und seine Leute für unsere Sünden bestraft würden, und er fragte mich, ob ich ein Brujo, ein Wahrsager oder sonst ein Scheiß sei.

Ich sagte: Halt die verdammte Fresse.

Aber du bist doch der, der hier von Verdammung redet, sagte Roberto.

Ich weiß nicht, sagte ich. Nur so, es könnte an uns liegen.

Roberto meinte, er würde sich da nicht auskennen. Er sei noch nie in der Kirche gewesen.

2.

Sie verschwanden schließlich über Nacht und ohne Vorwarnung. Ich ahnte nur, was los war, weil Ma mich nicht wie jeden Morgen geweckt hatte.

Ich drückte ihre Tür auf, die Matratze lag auf dem Boden, aber ihre Lampen, ihr Tisch und ihre Einkaufstüten waren weg. Sie hatten sogar die Schrauben von den Türklinken mitgenommen. Und die Glühbirnen. Ich fand nur ein paar Socken im Badezimmerschrank.

Mein Vater sagte, wir seien alle Zeugen eines Gleichnisses geworden: Wer nicht bleibt, wo er hingehört, fliegt wieder raus.

Ma seufzte. Jan nickte. Javi grinste übers ganze Gesicht. Er hatte gerade seine erste Messerstecherei überstanden, mit Schnitten an den Ellbogen, die es bewiesen, und wenn es nach ihm ging, könnte Robertos Familie ruhig auf den Mond ziehen.

Am Morgen davor hatte mir Roberto eine Falte in meiner Handfläche gezeigt. Wenn man die Hand auf eine bestimmte Art zusammendrückte, sah sie aus wie ein Stern. Eine Lady im Bus von San Antonio hatte es ihm vorgemacht. Loca hatte er sie genannt, aber jetzt dachte er, dass er womöglich nicht kapiert hatte, was sie meinte.

Seine Eltern waren nicht da gewesen, und wir hatten uns in seinen Schrank gequetscht. Seine Shorts lagen oben auf meinen, es waren die letzten im Haus. Er sagte mir nicht, dass er weggehen würde. Er befühlte nur mein Kinn. Rieb meine Hände. Formte dann seine zu einer Schale und fragte, ob ich in meinen das Milagro sehen könnte.

Ich sah überhaupt nichts, nur den Rand seines Schattens, aber wir drückten unsere Handflächen aneinander, und ich nannte es unglaublich.

ALIEF

 

Kurz bevor sie zum letzten Mal miteinander schliefen und James, Ajas Geliebter, von ihrem Mann, unserem Nachbarschafts-Diplomaten, auf den Bordstein vor ihrem Wohnkomplex geworfen wurde, bevor er, vom selben Mann, vor einem Publikum aus Laternen, dem Eckladen, Joaquin, LaNeesh, Isabella, Big A und den haitianischen Nachbarn mit bloßen Händen gewürgt wurde, hatte er Aja gebeten, ihm eine Geschichte zu erzählen. Sie musste nicht wahr sein.

Noch vor all dem hatten wir beobachtet, wie sich Aja und James erst auf dem Markt begegneten, später dann, wo immer sie sich über den Weg laufen konnten. Die beiden hatten noch kein einziges Mal miteinander geredet. Keine Silbe gewechselt. Aber wir sahen sie zusammen im Waschsalon, sahen sie auf dem Bürgersteig, eine Viertelmeile vom Dollar Tree. Beim Müllrausbringen am MLK Boulevard berührten sie sich mit Blicken. Aja sah von ihrem Fenster aus zu, wie er seinen Wagen parkte – und stellte sich vor, dass ihr Whiteboy zu ihr hochsah. Dass er sie, unser Mädchen, nach unten rief, seinen blauen scheiß Honda erst auf Neutral schaltete und ihn dann direkt die I-10 runterschickte, oder rauf, Hauptsache weit weg von ihrer Fensterbank, auf der sie seit Jahren lehnte.

Wir sahen, wie sie aufblühten, es war eine Oper, eine Telenovela, ein Sonnenaufgang.

Als sie endlich den Berg des Schweigens bezwungen hatten (nachdem James dreimal an ihre Tür geklopft und nach etwas Zucker und Sahne gefragt hatte), verabredeten sie sich jeden Tag und sprachen miteinander.

Manchmal blieb das so einfach wie:

Habt ihr heute Morgen warmes Wasser?

Hat hier nie einer.

Oder:

Deine Nachbarin, Juana, steckt die ihre Jungs je ins Bett?

Nein. Deshalb hat ihr Mann sie verlassen, vor Jahren – für eine Puerto Ricanerin.

Und sogar:

Weißt du, es ist komisch, aber seit ich in Houston bin, habe ich keine Sterne mehr gesehen.

Und ganz gleich, wie lange du bleibst, du wirst auch nie welche zu Gesicht kriegen.

So ging es über Monate. Vielleicht auch Wochen.

Wir sind nie dahintergekommen, wie lange.

James war groß. Blass und unförmig. Wie eine Schneekugel oder ein Bäckerssohn. Ehrlich gesagt war er kaum gut aussehend, jungenhaft vielleicht, wenn wir nicht so genau hinsahen. Und dass er bei uns lebte, sagte grob etwas darüber aus, wie flüssig er war – da oben auf der North Side, am äußeren Rand von Alief, diesem Viertel, das mit illegalen Einwanderern vollgestopft war. Er war einer von vielen, ganz und gar keine Seltenheit. Mit unseren Thais, unseren Mexikanern und Vietnamesen. Einigen Guatemalteken. Den Kubanern.

Und doch.

Wir alle wussten genau wie Aja, er hatte was. In Larvenform vielleicht. In ihn eingesponnen.

Etwas in der Art, wie sie es auch mal bei ihrem Mann gesehen hatte, vor Jahren. Bevor sie Jamaika, die Insel, verlassen hatten. Ajas Gemeinde hatte eine Stunde von seiner entfernt gelegen, und sie war die Strecke jeden Tag gegangen, nur um ihn zu sehen. Seine Eltern waren Kleinbauern, wie der Rest der Einheimischen, aber das war ihr egal, es interessierte sie nicht die Spur.

Sie war schön gewesen. Von der Art Schönheit, die dich zweimal hinsehen lässt. Die Küste rauf und runter kannten die Männer ihren Namen, auch ohne sie je gesehen zu haben. Alle hatten von ihr gehört. Und ein Seitenblick von ihr auf einer der sandigen Straßen der Stadt konnte ausreichen, um einen jungen Kerl wie eine Rakete nach Hause schießen zu lassen und seinen Vater lechzend zu seiner Frau oder Geliebten, um Druck abzulassen.

Aja empfand jetzt das Gleiche für den Whiteboy. Versuchte, es sich auszutreiben, aber wir alle wussten, dass die Scheiße nicht funktioniert.

Und sie fand sich auf seiner Fußmatte wieder und klopfte bei ihm an.

Er sah durch seinen Spion, aufgeregt, und rief: Komm rein, komm rein.

Und wir wussten auch, dass der Junge Fragen hatte.

Der Whiteboy wollte wissen, was sie nach Texas gebracht und wie sich der Sand zu Hause an ihren Zehen angefühlt hatte. Ob sie das Gefühl noch vermisste, seit sie ihren Platz in der Stadt gefunden hatte. Er wollte wissen, ob die Luft hier anders schmeckte. Wie sich Houstons Smog in ihrem Hals anfühlte. Er wollte wissen, wie die Sonne morgens in ihrem Teil der Welt aufgegangen war. Von ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Tanten und Onkeln sollte sie erzählen. Er wollte wissen, warum sie ihren Mann geheiratet hatte (wir stellen uns vor, dass er sie das im Bett fragt, nachdem alles besiegelt war, fischäugig und verschwitzt), und da muss Aja ihm erzählt haben, wie sie hergekommen ist: die Geschichte unserer Überfahrt, die wir alle gemeinsam haben.

Sie hatte Paul zu Hause auf dem Markt kennengelernt, so wie sich Menschen überall kennenlernen. Aja wog Tomaten ab und linste zu den Hühnern in ihren Käfigen rüber. Nutzte die Zeit, um Pläne zu machen, wie sie ihren Hintern von der Insel runterbringen könnte. Wusste, das Ding mit der Karibik war, dass alle da sein wollten, bis sie am Ende kapierten, dass sie nie von dort wegkommen würden. Unser Mädchen kannte dieses Gefühl so gut wie die Schwielen an seinen Fußsohlen. Also wollte Aja ihr Englisch verbessern (und nicht einfach irgendeins, sondern englisches Englisch, die Sprache des Geldes, wie wir sie aus den Banken kennen), um einen Job als Bibliothekarin, Sekretärin oder auch Hostess oben im Norden zu kriegen, wobei, ernsthaft, sie hätte auch bei Burger King Kotze vom Klo gewischt. Im Fernsehen hatte sie gesehen, wie ruhig es auf unseren öffentlichen Plätzen zuging, und Ruhe war zu der Zeit auf ihrer Insel ein wertvolles Gut.

Und da passierte es: Sie stellte sich gerade das Geräusch von Ruhe vor, als Paul einen Versuch startete.

Ihr erster Gedanke, als sie ihn sah, war nicht: Das ist der Mann, den ich heiraten werde.

Sie dachte nicht: Der ist meine Fahrkarte weg von hier.

Sie sagte: Hey, Paul.

Weil sie den Wichser schon so lange kannte, wie sie zurückdenken konnte. Sie wusste so gut, wer er war, wie wir wissen, wo der Bürgersteig vor unserem Haus Löcher hat, oder wissen, dass uns die Kids von der Sunny Side die Wohnung ausräumen, wenn wir nicht alles abschließen.

Paul war mit zwölf von der anderen Seite der Insel in die Stadt gekommen, nachdem seine Mutter seinen Vater vergiftet hatte. Sie hatte die Nase endgültig voll von seiner Fremdgeherei gehabt. Sicher, alle Männer auf Jamaika hatten zu der Zeit eine Geliebte, doch das hielt Pauls Mom nicht davon ab, seinem Dad eines Abends, als er wieder mal aus dem Bett seiner anderen Frau kam, sein Lieblingsessen vorzusetzen, Ochsenschwanzeintopf. Er kam ins Haus geschlüpft, küsste seine Frau auf die Wange und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Pauls Mutter sagte ihrem Sohn, dass er heute nichts von dem Eintopf abbekomme, heute nicht.

Der Vorfall hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Plötzlich wollte Paul Arzt werden. Er hatte nicht verstanden, warum sein Vater mit einem Mal anfing zu krächzen und seine Mutter eine volle Minute zusah, bevor sie Anstalten machte, ihm zu helfen. Oder warum sie bei der Trauerfeier endlos den Sarg ankuckten bis sie ihrem Mann schließlich auf die Stirn spuckte, Paul beim Handgelenk packte und ging. Was er jedoch wusste, oder zu wissen glaubte, war, dass wenn es einen Arzt auf der Insel gegeben hätte, einen ausgebildeten Doktor, der wusste, was er tat, dass sein Vater dann womöglich hätte gerettet werden können.

Paul hätte ihn retten können.

Vielleicht.

So ein Typ war er.

Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte er Pläne: Auch er fing an, seine Flucht vorzubereiten. Abends lernte er, morgens arbeitete er auf dem Markt. Was er tagsüber verdiente, sparte er für die Abendschule. Dachte eine Weile nicht an Frauen – oder versuchte es wenigstens –, sah aber zu Aja hinüber, wie wir alle zu Aja hinübersehen, und als sie kam und Akees wollte, waren seine die frischsten im Angebot.

In seiner Lebensplanung war eigentlich keine temperamentvolle Frau vorgesehen. Nicht wirklich. Eher eine treue, aufmerksame, mit einer guten Haltung. All das ging Paul durch den Kopf, als er Aja eines Tages schüchtern, fast bedauernd fragte, ob sie nach dem Einkaufen noch zu tun hätte. Ob er sie nach Hause bringen könne.

Natürlich erfuhren wir das alles erst hinterher. Charlie hatte es von Adriana und erzählte es Jacob. Adriana wusste es von Rogelio, der irgendwas mit Juana hatte, und den beiden hatte es Nikki von ein Stück weiter unten erzählt. Die Einzelheiten sind heikel, nichts ist ganz sicher, aber wir wussten genug von der Geschichte, um uns Folgendes vorzustellen: Aja auf der Matratze mit James, zwei Fremde an der Schwelle zum Liebespaar.

Wahnsinn, sagte er und wird ihr mit dem Finger um die linke Brust gefahren sein, das Kinn auf ihrer Schulter.

Dein Leben ist wie ein Märchen, sagte er. Wie ein Roman.

Du hast keinen blassen Schimmer, wovon du redest, sagte Aja.

Die Apartments standen eins auf dem anderen, ein Riesenstapel. Wenn James aus Ajas kam, ging er rechts zur Treppe und kam dabei an vier Türen, drei Fenstern und den Kids vorbei, Karl, Dante und Nigel, die sich ihren Fútbol zukickten, und ihren Müttern, die ihnen dabei zusahen. Dann kamen die Guadalajarer, die auf dem Geländer lehnten, ihr hochprozentiges Bier süffelten und in Jugenderinnerungen schwelgten, alles Lügen, hauptsächlich. Es folgten die Schulschwänzer, die rauchten und zu Joy Division und Ice Cube, manchmal auch zu Selena, mit den Köpfen nickten. Dann ging es rein, die Treppe rauf, und wieder raus, nach links und in die Einheit neben Benitos, unserem Haus-Schwulen. Wenn Aja von ihm kam, nahm sie die Route in entgegengesetzter Richtung. Was nicht so oft der Fall war, weil meistens er sie besuchte. Aber Aja blieb unterwegs bei den Cabrones sitzen, wippte zum Takt von Como la Flor mit dem Fuß, kickte den Ball quer über den Balkon und unterhielt sich mit den Frauen, die sich draußen auf der Veranda drängten. Sie zerrissen sich die Mäuler über was auch immer sich an Tratsch gerade zusammenbraute, und wenn es Abend wurde, verschwand Aja wieder in ihrer eigenen Wohnung, duschte, fegte, heulte und kochte was für Paul.

Auf die Weise war Ajas supergeheime Affäre mit dem Whiteboy von oben absolut nicht geheim. Und nicht mal besonders skandalös. Wir reden hier über den Stadtteil, der Alief heißt, nördlich von den 25000 Quadratmeter großen Anwesen, und der trotz uns das übelste Viertel ist. Das übelste. In den Jahren, die wir hier wohnen, haben wir Kokain-Kriege miterlebt, diverse Neuanordnungen der Territorien und die gewohnten Revierkämpfe zwischen den Schulen, Schießereien – und damals, in den Neunzigern, wie das weiße Arschloch die Schwarzen im Jack in the Box umlegte. Einige von uns erinnern sich noch, wie die Leute danach rumgelaufen sind, als hätten sie einen Stock im Arsch und als lauerte der Typ, der ihn da reingerammt hatte, hinter der nächsten Ecke. Mr Po könnte dir von den Cops erzählen, die vor den Toren herumgekurvt sind. Esmerelda Rivera hat Fotos von Ratten, so fett wie Bäume.

Aber das Viertel hat sich verändert. Mit unseren Illegalen, die keine Zeit für Gewalt haben und deren einziger Grund, hierher zu wechseln, der war, dass sie von der Gewalt wegwollten, sind wir milder geworden und haben unseren Rhythmus gefunden. Den Druck rausgenommen. Bei uns kannst du Kids großziehen. Einen Garten oder sonst welchen Scheiß anlegen. Wir bilden eine hässliche Familie, größtenteils braun, schielend und verkrüppelt. Renaldos Sohn spielt mit Jameelahs Tochter von fünf Türen tiefer Flaschendrehen, und Bridgette bruncht zweimal im Monat, dienstags, mit Lao. Die Heirat von Kim Sus Nichte ist geplatzt, als sich herausstellte, dass sie eigentlich ein Kerl war, und der Sohn von Peter George, das gebrannte Kind, sitzt im Knast, weil er mit einer Knarre rumgelaufen ist. Alle Rodriguez-Töchter sind schwanger, die von den Williams geht aufs College, und der kleine Hugo legt sich mächtig ins Zeug für ein Praktikum bei der NASA.

Im Prinzip können wir kein Geheimnis für uns behalten. Gerüchte winden sich wie Ranken durch den Komplex. Aber der Einzige, der über James und Aja hätte Bescheid wissen sollen, der Einzige, den ihr Opus wirklich was angegangen wäre, der tats nicht. Oder wollte es nicht. Zumindest für eine Weile.

Als Paul es dann tatsächlich herausfand, lag das nicht an ihr. So schlimm war sie nicht. Es mag nicht richtig sein zu sagen, dass Aja ihn liebte. Das konnte nicht stimmen, bedenkt man die Umstände. Aber wir wussten, dass sie Paul mochte, oder sich ihm verpflichtet fühlte, ihn womöglich schützen wollte.

Was besser sein mag als Liebe. Leichter zu zügeln.

Jedenfalls traf sie Vorsichtsmaßnahmen. Wechselte die Unterhose, bevor er nach Hause kam, duschte. Schaltete den Herd ein, kühlte den Raum herunter. Ließ sich von ihm auf die Wange küssen. Fragte ihn, wie sein Tag gewesen war. Massierte dem Mistkerl die Schultern, wenn sie dachte, er könnte es mögen. Ging mit ihm ins Bett, obwohl sie wahrscheinlich schon Stunden vorher gekommen war. Nur, dass es mit Paul anders war, es war immer anders.

So war es nun mal.

Und jeden Abend, jeden Abend, waren die letzten Worte, die er sagte: Aja, bist du glücklich?

Und Aja sagte ihm immer, immer, ja, das sei sie.

Also taten wir es. Wir sagten es ihm.

Wir waren es, die den Mund aufmachten.

Aber nicht alle zusammen. Da hatten wir eine bessere Idee.

Denise flüsterte es vom Parkplatz herauf. Harold murmelte es auf dem Gang. Gonzalo rülpste es, Neesha sang es, und Marilyn betete für eine Eingebung.

Wir alle, der ganze Komplex, sah vom Geländer aus zu, rauchend, während Paul in seinem Kittel die Treppe hochturnte. Erschöpft.

Und, die Sache ist, wir mochten Paul.

Wir mochten Paul.

Wir mochten Paul.

Aber wir sagten es einstimmig. Ein einzelner Ruf, und dann noch einer. LaToya und Rodrigo und Caramella und Tyrell. In der Waschküche, vom Parkplatz. Von beiden Enden der Treppe.

Deine Frau schläft mit dem Whiteboy über euch, sagten wir. Tagsüber, während du dich in der Stadt abrackerst.

Geraderaus. Auf den Punkt.

Als Paul nicht gleich reagierte, sagten wir es noch mal, langsam, und zeigten auf das Apartment.

Gerard knackte mit den Fingerknöcheln. LaToya blieb stehen.

Direkt über euch, sagten wir. Während du bei der Arbeit bist.

Es war nicht unser erstes Gespräch. Er kannte uns alle beim Namen. Wobei es übertrieben wäre, uns seine Freunde zu nennen. Wir waren nichts anderes als das, was wir waren – Nachbarn.

Je besser wir Paul kennenlernten, desto mehr schleimten wir uns bei ihm ein.

Beruhigten ihn. Machten es ihm recht. Dem gerade erst angekommenen, aber liebenswürdigen Paul. Wir kannten Leute wie ihn, hatten zugesehen, wie dieses Land sie mit Haut und Haaren verschlang.

Aber dann drängten wir uns doch vor seiner Tür, um zu sehen, was passierte. Ob er ins Schlafzimmer stürmte. Sie an den Haaren nach draußen zerrte. Oder vielleicht würde er den Schmerz auch in sich hineinfressen, sich vom Balkon stürzen, sich in Brand setzen oder die Augen herausreißen.

Was er tat: Er ging nach Hause. Verschloss die Tür. Setzte sich, um mit Aja zu essen.

Als sie ihn fragte, wie sein Tag gewesen sei, antwortete er, er habe etwas sehr Seltsames gehört.

Wir haben Aja nie gesagt, dass wir es waren, und sie hat uns nie gefragt.

Wir sind nicht die, auf die es hier ankommt – nur auf Aja kommt es an, nur auf sie.

Aber Aja hatte ein schlechtes Gewissen wegen dieser verdammten Geschichte. Wenigstens sagte sie das. Von den Ladys an der Ecke, mit denen sie sich jede Woche traf, bekam sie einen Anschiss, nachdem sie die Einzelheiten erfahren hatten. Wer da was wo reingesteckt hatte.

Es ging ihr an die Nieren. Dieses Gefühl. Das sie nur aus Filmen und aus dem Radio kannte: die weichen Knie, die Hand an Stirn, ay, Papi, was habe ich getan.

Aja ließ wieder mal eine ihrer Marathon-Tiraden los, in denen sie ihrer Kindheit die Schuld gab, ihrer Familie, den Leuten zu Hause, als wir endlich genug hatten – und sie fragten, ernsthaft, warum sie Paul nicht einfach selbst alles erzählte.

Wir sagten, das wäre doch sicher am besten.

Wir wussten, dass es das wahrscheinlich nicht war.

Wir sahen zu, was die Nachbarschaft unten auf dem Hof machte. Nigel trickste Dante mit dem Fútbol aus. Mr Po trug Geranien vom Parkplatz herüber. Als der Ball vor seinen Füßen landete, trat er ihn so weit weg, dass Dante nach den Blumen schlug, ihn wüst beschimpfte und zurück nach Taiwan wünschte.

Aja steckte sich noch eine Zigarette an. Auch sie sah auf die Straße hinunter.

Vielleicht, sagte sie, und da bereuten wir es schon.

Keiner weiß genau, wie es ablief, aber wir werden unser Bestes tun:

Aja, war alles, was er sagte, als er sie erwischte. Gleich nachdem sie es gemacht hatten, war er hereingekommen. Sie würde uns nie sagen, wie es genau war, aber Skandale gehen über Sprachen, Kulturen und Generationen hinaus.

Da war der Schrecken in ihren Gesichtern, als sie überrascht wurden. Der Schrecken in seinem Gesicht. Verwirrung. Fassungslosigkeit.

Und dann alles andere.

Alles, was wir sicher wissen, ist, wie er ihren Namen sagte.

Total heiser, als wäre es sein letztes Wort.

Die Ermittlung des Falls war keine große Sache, oder besser gesagt: Es gab nicht wirklich eine. Klar kamen dieselben Cops, die wir hier immer zu Gesicht kriegen. Officer Ramirez, Officer Brown, Officer Erst-einen-Monat-dabei. Begrüßten alle, winkten den Komplex rauf und runter und pfiffen ausgiebig, als sie schließlich bei der Leiche ankamen.

Ramirez klopfte an Türen, während Benito und Kim auf Paul aufpassten, der weder seinen Scheiß zusammengepackt noch den Bus genommen hatte und schon längst über alle Berge war. (Selbst mit Mörderhänden war er kein Verbrecher. Wir hätten ihn keinen Verbrecher nennen können.)

Bist du okay, fragten wir, und Paul nickte nur.

Ramirez klapperte sämtliche Apartments ab. Aber natürlich gab es keine Zeugen. Und natürlich hatte keiner was geahnt, aber das wollte er schriftlich.

Den Fall genau dokumentieren, sagte er. So machen wir das in diesem Land.

Ein übler Witz. Aber wir lachten trotzdem. Ha! Haha! Ha.

Am Ende kamen sie zu Aja. Sagten ihr, sie müsse jetzt nichts sagen, aber irgendwann würde sie ins Präsidium geholt.

Sie sagte, das sei schon okay, aber bis dahin könnten sie sich verpissen.

Sanitäter kamen und packten James auf eine Bahre.

Das Ganze dauerte etwa eine Stunde, vielleicht auch zwei.

Etwas später kamen wieder alle von uns draußen zusammen, die eben noch nichts zu sagen gehabt hatten. Schrien durcheinander. Die ganze Leier: Einer konnte es nicht glauben, dass die Cops gekommen waren, eine andere hatte keine Ahnung, wo überhaupt ihre Papiere waren, und noch wieder ein anderer wusste, dass es einen Haftbefehl für ihn selbst gab, und war glücklich, dass sie nicht wegen ihm gekommen waren.

Wir bedauerten Paul. Wir schimpften mit Aja. Schüttelten die Köpfe wegen der ganzen verdammten Geschichte.

Ein Whiteboy hier bei uns, was konnte man da erwarten.

Es war bereits dunkel, als alle wieder zu sich gingen. Rufend, lachend füllten sie die Leere.

Sie zog bald danach aus. Am helllichten Tag. Wir erwischten sie nur, weil sie gerade den Müll rausgebracht hatte.

Da war unser Mädchen, kam die Treppe hoch, in Trainingshose und Pullover. Das Make-up über die Backen verschmiert. Das Haar wild in alle Richtungen.

Aber immer noch schön.

Wir fragten, wohin sie wolle. Sie sagte, sie wisse es nicht.

Nach Hause, sagten wir, und sie schüttelte den Kopf.

Einfach nur woanders hin.

Und so war Aja nicht bei James’ Beerdigung. Eine Woche bevor sie den Fall zu den Akten legten, lange nachdem sie Paul eingesperrt hatten.

Es gab keine Verwandten, die seine Leiche holten. Keine heulende Mutter bei Gericht. Keine verschreckten Tanten, die unser Getto schlechtmachten. Keine Proteste, keine Reporter, nicht mal ein paar Freunde.

James’ Abschied verlief ruhig, oder wäre sicher ruhig verlaufen. Weil sein Verlangen unverdorben gewesen war. Echt. Ungezügelt.

Er war, trotz allem, immer noch einer von uns.

Also steckten wir die Köpfe zusammen.

Beschafften Kleingeld, aus dem Nichts.

Wir schwatzten Big A die Vierteldollar-Münzen unter seinem Bett ab, baten Mr Po um etwas von seinem Blumengeld. Gonzalo und Erica hauten wir um ein paar Dollar von ihrem Lohn an. Nervten Juana, uns etwas von ihrem Unterhalt zu geben, Rogelio von seinem Überstundengeld und die drei Ramirez-Töchter von ihren Babyshower-Einnahmen. Wir schnorrten Charlie um die internationalen Schecks an, Adriana um ihr Taschengeld, Neesha um ihre staatliche Beihilfe und Dante um sein Essensgeld. Nigel und Karl um die Pennys, die sie klauten. LaToya hatte ihre Nebenjobs, Benito sein Hazelwood-Stipendium und Hugo die Gehaltsschecks, die er auf der West Side einlöste.

Wir hängten Luftschlangen an die Geländer. Grillten Chicken Wings, stöpselten Lautsprecher ein, stellten Torpfosten auf, tranken Schnaps, rissen die Arme hoch.

Und ob Vieja oder Junior, Filipino oder Schwarzer, wir tanzten, tanzten, tanzten zur Melodie dieser Geschichte, ihrer Geschichte, seiner Geschichte, unserer Geschichte, weil sie uns geschenkt worden war, wir sie geboren und aus der Asche geholt hatten. Aja war Aja, und Paul war Paul, und James war James, und James war Paul, und Aja war James, und sie waren wir, und wir erzählten die Geschichte, remixten sie, tanzten auf der Treppe dazu, hängten sie an die Leine und schüttelten sie vom ersten Stock herunter aus, bis uns die Worte ausgingen, bis uns die Musik ausging und die Cops die Party für beendet erklärten, weil es zu laut war.

610 NORTH, 610 WEST

1.

Eine Weile hatte unser Vater eine andere Frau in den Heights. Mit ein wenig Glück kriegten wir ihn vielleicht mal abends zu Gesicht, wenn er sich seine Schlüssel von der Küchentheke schnappte, uns einmal kurz zunickte und irgendwas darüber ausspuckte, dass er zu tun habe. Natürlich sagte er uns nie, was, aber wir dachten es uns und richteten uns darauf ein.