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Dieses Buch zur Lehrrede von der Achtsamkeit auf die Ein- und Ausatmung (Anapanasati) ist ein Lehr-, Lern- und Übungsbuch für die in einem Stück aus Buddhas Zeit überlieferte Methodik. Neu aus dem Pali übersetzt und in den Ausführungen kompakt auf den zur Übung nötigen Kerngehalt beschränkt, ohne ergänzende Erzählungen oder untermalende Geschichten wird versucht die von Buddha dargelegte Übungsreihe aktuell und zeitgemäß darzustellen. Die Beschreibung der 16 Schritte der Anapanasati und ihrer konkreten Übung sowie der ebenfalls in dieser Lehrrede angeführten sieben Erleuchtungsglieder zeigt eine Herangehensweise auf, welche Anapanasati zu einer kontinuierlichen Übung machen können. So geübt ist Anapanasati nicht nur für Retreats und intensivere Übungszeiten gut geeignet sondern kann durch einen Kalyanamitta (edlen Freund) unterstützt eine täglich anwendbare Meditationsmethode werden.
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Seitenzahl: 205
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Einleitung
Historische, konzeptionelle und praktische Grundlagen
Die Bedeutung von Anapanasati
Der Rahmen der Übungsmethode
Abgrenzung zu anderen Meditationsformen
Wie verhält sich diese Methode zum Satipattana Sutta?
Praktische Übung(en) und Aufgaben
Das Vertrauen
Die Ethik (Silas)
Sinnesachtsamkeit
Sammlung
Zufriedenheit
Die Kernübung der Anapanasati-Methode
Stufe 1 & 2: Langer und kurzer Atem
Stufe 3: Alle Körper empfinden
Stufe 4: Das Beruhigen der körperlichen Prozesse
Stufe 5: Verzückung (Piti) empfinden
Stufe 6: Tiefes Glück (Sukha) empfinden
Stufe 7: Die Geistesformationen empfinden
Stufe 8: Beruhigen der geistigen Prozesse
Stufe 9: Das Bewusstsein empfinden
Stufe 10: Das Bewusstsein zufrieden-stellen
Stufe 11: Das Bewusstsein sammeln
Stufe 12: Das Bewusstsein befreien (oder – das Loslassen)
Stufe 13: Kontemplation der Vergänglichkeit (Anicca)
Stufe 14: Gierfreiheit oder die Sinnlosigkeit der Gier
Stufe 15: Das Ende des Leids
Stufe 16: Aufgeben oder Fahrenlassen
Wie wirkt diese Methode?
Achtsamkeit (Sati)
Untersuchen & Wahrheitsergründung (dhammavicaya)
Energie (viriya)
Verzückung (piti)
Ruhe, Gestilltheit (passaddhi)
Konzentration/Sammlung (samadhi)
Gleichmut (upekha)
Die Lehrrede im Originaltext
Ānāpānassatisuttam
Lehrrede von der Achtsamkeit auf die Ein- und Ausatmung
Dieses Buch stellt den ersten Teil eines geplanten dreibändigen Werkes dar, welches die drei bedeutendsten Aspekte der buddhistisch-spirituellen Schulungsund Lehrphilosophie der Theravada-Richtung beziehungsweise der ursprünglichen Lehrdarlegung Buddhas widerspiegelt.
Dabei handelt es sich um:
Die Übung des
Klarblicks
(Vipassana) in Form der Anapanasati-Methode, welche Sie in diesem Werk finden.
Die Entwicklung der
geistigen Ruhe
und
Vertiefung
(Samadhi) in Form der Jhana-Meditation.
Die Entwicklung der eigenen
Liebesfähigkeit
und eines gütigen Gemütes durch die Übung der sogenannten Brahmaviharas (göttlichen Verweilungszustände).
Um den Klarblick, um den es in diesem Werk geht, zu erreichen, gibt es nicht nur einen einzigen Ansatz, sondern eine ganze Reihe von Methoden und Übungsreihen, welche zum Teil auf den Buddha selbst zurückgehen oder von einem der vielen Schüler und Meister in der Lehrnachfolge des Buddha bis zum heutigen Tag entwickelt wurden. Vom Buddha selbst wurden im Lauf seiner langen Lehrjahre eine Reihe unterschiedlicher Methoden und Ansätze zu Vipassana vorgestellt, welche uns im umfangreichen Korb der Lehrreden (Sutren) überliefert sind. Dieses Werk befasst sich mit der von mir präferierten Methode zur Entwicklung von Weisheit und Klarblick, welche in der Anapanasati-Sutta beschrieben wurde. Diese Lehrrede ist in der mittleren Sammlung (Majjhima Nikaya) unter der Nummer 118 zu finden.
Ich durfte diese Methode ursprünglich auf zwei einander ergänzenden Wegen kennenlernen. Einerseits stolperte ich über das gleichnamige Buch von AJAHN BUDDHADASA, welches mich von der konzeptionell-theoretischen Seite an das Thema von Anapanasati heranführte und mich durch die klare Struktur und den systematischen Aufbau der Methode fesselte. Als intellektuell orientierter Mensch sprach mich dieses Werk besonders an, da es nicht um Glaube oder um ein blindes Vertrauen und eine Art göttlicher Gnade ging, sondern die einzelnen Schritte als klare, erwartbare und logische Abfolge eines spirituellen Lernprozesses dargestellt wurden.
Andererseits lernte ich in einer Reihe von Retreats bei meiner verehrten Lehrerin URSULA LYON diese Methode in der konkreten und praktischen Anwendung kennen. Nach den ersten Schritten von Anapanasati im Rahmen kürzerer Retreats war ich in der dankbaren Situation, im Rahmen zweier Intensivseminare die gesamte Methode in allen 16 Schritten kennenlernen und durchgängig üben zu dürfen. Auf diese Weise lernte ich das große Potential dieser Methode nicht nur vom intellektuell-analytischen Standpunkt her kennen, sondern konnte auch die in den Texten gemachten Angaben selbst erleben und so die Beschreibung mit den eigenen Erfahrungen vergleichen.
Sowohl die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser umfassenden Methode als auch die selbst gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse haben mich dazu bewogen, diese Methode konkreter zu analysieren und ihr stärker auf den Grund zu gehen. Neben der intensiven eigenen Übung der Methode las ich in der Folge alles, was mir zum Thema Anapanasati unter die Finger kam – und bald ergaben sich in meinem Verständnis dieser Methode doch deutliche Diskrepanzen. Einige Autoren widersprachen einander und manche Aussagen und Deutungen der Lehrrede zeigten in eine Richtung, die sich nicht mit meinen gemachten Erfahrungen vereinbaren ließ.
Da ich also mit den Auslegungen einiger Autoren und Lehrer zu der Methode nicht übereinstimmte beziehungsweise ihren Ansichten nicht folgen konnte, ging ich in der Folge auf die vorliegende Anweisung Buddhas, die Anapanasati-Sutta selbst zurück. Aber auch hier erkannte ich nochmals eine Hürde, da die vorliegenden Übersetzungen der Lehrrede und damit die resultierende inhaltliche Ausrichtung und Deutung stark variierten.
Also übersetzte ich diese Lehrrede aus dem vorliegenden Originaltext in Pali neu und auf der Basis von Buddhas Worten. Ohne die Beeinflussung von Kommentaren versuchte ich meine persönliche Sichtweise der Anapanasati-Übung als einen kontinuierlichen meditativen Übungsweg aufzubauen. (Dieser Weg unterscheidet sich naturgemäß von den Varianten, welche auf Retreats gelehrt werden, um diese Methode in ihrem ganzen Umfang kennenzulernen.)
An dieser Stelle möchte ich all den großartigen Autoren und Autorinnen, welche bereits Werke zu Anapanasati verfasst oder Vorträge dazu gehalten haben, sehr herzlich danken. Auch wenn ich mit manchen Aussagen nicht oder nur bedingt übereinstimme, ist es doch so, dass mich genau die Auseinandersetzung mit deren Gedankengängen und Begründungen in der Hinterfragung meiner eigenen Sicht der Methode unterstützt und gefördert haben.
Gerade jene Aussagen, welchen ich am wenigsten zustimmen konnte, hatten das größte Potential für meine eigene Reflexion. Diese waren es, welche mich dazu brachten, Begriffsdeutungen nachzulesen, Parallelstellen anderer Lehrreden zu vergleichen, die Worte meditativ zu betrachten, zu vergleichen, ob sich hinter verschiedenen sprachlichen Formulierungen doch eine gemeinsame Aussage verbergen kann, und auszuprobieren, in welcher Weise die eine oder andere Anweisung und Übungsanleitung bei mir ihre Wirkung zeigt und so ihren Teil dazu beigetragen haben, dass sich mein eigenes Bild dieser Methode abrundete, festigte und konsolidierte.
Abschließend ist es mir noch wichtig, ein Wort dazu zu sagen, dass ich die Aussagen anderer Autoren verwerfe. Es ist nicht so aufzufassen, dass ich meine, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben und dass all die großen Lehrer und Lehrerinnen nur Stümper seien und dass die Welt nur auf meine Darstellung gewartet hätte. Ganz im Gegenteil – jede der vorliegenden Auslegungen und Deutungen der Anapanasati-Methode ist sehr wertvoll und in ihrem Sinne wahr beziehungsweise korrekt.
Aber wir müssen bedenken, dass hier ein sehr kompakter Text1 vorliegt, der viele unterschiedliche Deutungen erlaubt – auf der einen Seite, und auf der anderen Seite unterschiedliche Typen von Menschen unterschiedliche Anweisungen benötigen (skilful efforts), um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Und so sehe ich meine Sichtweise als ein weiteres Angebot an die Menschen, welche Anapanasati üben wollen.
So hoffe ich, dass Sie diese Darstellung der Methode anspricht, und wünsche Ihnen viel Freude und Inspiration beim Lesen dieses Buches.
Wien, im Oktober 2014
1 Die Lehrrede beschreibt eine sehr professionelle Methode in zusammengefasster und sehr kompakter Form, welche von den fortgeschrittenen Schülern Buddhas gelehrt wurde. Nur die Zusammenfassung wurde niedergeschrieben überliefert und ist im Kapitel Die Lehrrede im Originaltext nachzulesen.
Bevor ich in der Folge auf die Details und die konkrete Praxis der Anapanasati-Methode eingehe, möchte ich in diesem Kapitel kurz beschreiben, warum diese Methode so bedeutend ist, in welcher Weise sie zu Buddhas Zeit gelehrt, gelernt und geübt wurde und in welchem Rahmen sie heute übermittelt wird.
In einem letzten diskursiven Unterkapitel versuche ich eine Abgrenzung zur Samadhi-Meditation (Jhana) aus meiner Sicht zu geben, da das Thema der Vertiefungen im Rahmen dieser Methode von verschiedenen Lehrern und Autoren sehr unterschiedlich gesehen und diskutiert wird.
Bei Anapanasati handelt es sich um ein sehr umfangreiches und weitreichendes, stufig aufgebautes Meditationssystem, welches aus der Lehr- und Lebenszeit Buddhas komplett in einem zusammenhängenden Text überliefert ist.
Laut einer Lehrrede in der gruppierten Sammlung (Samyutta Nikaya Nr. 54,8) war es genau diese Methode, durch deren Übung der Buddha selbst die Erleuchtung erlangte. Die Referenz auf Erleuchtung und Nirwana wird in der Lehrrede selbst ebenfalls geführt, da dieser Text nicht nur die konkreten Anweisungen und einzelnen Schritte der Meditation, sondern bereits einleitend die Auswirkungen und erreichbaren Früchte der Methode beschreibt. Bevor noch auf die einzelnen Übungsschritte der Meditation eingegangen wird, beschreibt die Lehrrede, welche hoch verwirklichten Anhänger Buddhas zugegen waren, als die Lehrrede gehalten wurde, und wie sie durch die Anwendung dieser Methode besondere spirituelle Erfahrungen und Fortschritte erlebt haben.
Nach der Erklärung dieser Rahmenbedingungen werden in der weiteren Textfolge 16 Meditationsschritte angeführt, welche in vier Tetraden2 die (bekannten) vier Pfeiler der Achtsamkeit (Körper, Gefühle3, Bewusstsein4 und Dhamma5) widerspiegeln.
Die konsequente Übung dieser vier Pfeiler oder Bereiche der Achtsamkeit führt nach und nach zur Entwicklung und Vervollkommnung der 7 Erleuchtungsglieder. Auch das Wesen und die Charakteristik dieser Erleuchtungsglieder werden in dieser umfangreichen Lehrrede nach der Erläuterung der 16 Übungsschritte klar dargestellt und dienen oftmals einem klareren Verständnis der zuvor angeführten einzelnen Schritte der Übung. Diese Erleuchtungsglieder führen, wie der Name sagt, früher oder später zur Erleuchtung der/des Übenden – dem Endziel jeder Meditationsmethode.
Bei einer Reihe von anderen Methoden der Meditation wird in den überlieferten Lehrreden oft beschrieben, wie diese einen Übenden beziehungsweise eine Übende vom unbedarften Laien bis zur letztlichen Frucht der Übung führen. Diese Sequenz fehlt in der vorliegenden Lehrrede. Daraus, und auch aus der Beschreibung der Situation, in der die Lehrrede gehalten wurde, schließe ich, dass diese Methode nicht ad hoc durchführbar ist, sondern eine gewisse Zeit der Vorbereitung, der Übung nötig ist, bevor man diese Methode mit Erfolg durchführen kann.
Ein Wort zur Vorsicht möchte ich an dieser Stelle schreiben: Diese Methode ist eine „Profimethode“. Das zeigt sich einerseits darin, dass (wie in Kapitel Praktische Übung(en) und Aufgaben ersichtlich) einige Vorübungen und erlebte Erfahrungen nötig sind, um mit dieser Methode tatsächlich beginnen und in dieser auch fortschreiten zu können. Ebenso berühren einige der vorgesehenen Schritte unser Innerstes zutiefst, weshalb es nötig ist, bereits geistig gesichert und stabil zu sein, wenn man diese Methode beginnt. Wenn Sie noch Probleme dabei haben, eine geistige Sicherheit und Stabilität zu erlangen, beispielsweise noch mit Traumata, extrem starken Gefühlen oder anderen schwerwiegenden Hindernissen zu kämpfen haben, so empfehle ich Ihnen, diese Methode noch aufzuschieben und sich vorerst einmal mit spezialisierten Übungen und Hilfestellungen für die momentane Situation zu beschäftigen.
Diese Frage abzuklären ist meines Erachtens eine der wichtigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben eines spirituellen Freundes, welcher Sie in einer Anapanasati-Übung betreut. Ein guter Lehrer beziehungsweise eine gute Lehrerin wird Ihnen klar sagen, wann Sie noch nicht für diese Methode bereit sind beziehungsweise bis zu welchem Schritt der Methode Sie ohne Risiko gehen können.
Auch wenn es Sie im Moment vielleicht enttäuscht, dient es doch Ihrem eigenen Schutz. Aber da auch dieses Hindernis der Vergänglichkeit unterliegt, ist das keine ewige Entscheidung – indem Sie die Vorübungen, welche in den nächsten Kapiteln dargestellt werden, ausführen, verändern und entwickeln Sie sich kontinuierlich, und die Voraussetzungen für weitere Schritte können erfüllt sein.
Weiters handelt es sich bei Anapanasati um eine Methode, welche für intensivere Übungsperioden vorgesehen war. In Buddhas Zeit wurde sie in der Regenzeit, in der die Mönche mehrere Monate an einem Platz verblieben, dauerhaft geübt. Ihre Funktion und Wirkung zeigt die Methode nur bei intensiver Übung (z. B. in einem Retreat) – es ist keine
Darstellung des Buddha beim Halten einer Lehrrede. So könnte auch die Anapanasati-Sutta gehalten worden sein.
Methode, die für das Erlernen im Alltag geeignet ist. Diese Praxis einmal pro Woche durchzuführen, ist zum Erlernen nicht ausreichend, erst mit der Stabilität einiger Retreats ist eine fruchtbare und sich weiterentwickelnde wöchentliche Übung möglich und zielführend.
Wenn erst einmal der Grundstock gelegt ist und die Methode und Übungsart verinnerlicht sind, so kann Anapanasati auch als ein dauerhafter Übungsweg durchgeführt werden, so wie ich es in diesem Buch beschreibe.
Die Art und Weise, wie dieses Meditationssystem geübt und gelehrt wird, habe ich bereits im vorherigen Kapitel gestreift. An dieser Stelle möchte ich nun konkreter auf einzelne Aspekte eingehen, die beschreiben, in welcher Art und Weise man die Anapanasati-Meditation erlernen und üben kann und soll.
Wie wir aus der Lehrrede, welche neben der Methode auch die Situation beschreibt, in der diese gegeben wurde, wissen, hat der Buddha diese Meditation in der dreimonatigen Regenzeit gelehrt. Und da er nach diesem Zeitraum einen guten Fortschritt und Erfolg und Fortschritt seiner Mönche festzustellen konnte, hat er beschlossen, noch einen zusätzlichen Monat zu lehren und in dieser Zeit diese Methodik in der Weise zu konsolidieren und weiterzugeben, wie wir sie heute kennen.
Nun ja, in unserer Zeit besteht für Menschen, welche nicht Mönch oder Nonne sind, praktisch keine Möglichkeit mehr, sich nach dem Vorbild der ersten Schüler Buddhas drei oder gar vier Monate in eine Klausur zu begeben. Das ist in diesem großen Umfang aber nicht unbedingt erforderlich, um diese Methode zu erlernen und zu üben. Wir stellen nicht den Anspruch, die Methode in einem durch bis zur Vollendung zu erlernen und zu praktizieren (wie in der Lehrrede beschrieben). Wenn Sie sich damit zufriedengeben, die Methode initial zu erlernen und nach und nach zu stabilisieren und zu erweitern, so können Sie mit regelmäßigen Retreats und einer dauerhaften Übung einen sehr guten Erfolg erzielen.
Als ein guter und praktikabler Zeitraum haben sich 10 Tage der intensiven Übung (sogenanntes Retreat) herausgestellt, darüber sind sich praktisch alle aktuellen Lehrer einig. Das ist ein ausreichend langer Zeitraum, um einerseits geistig so weit wie nötig zur Ruhe zu kommen und auch noch die Möglichkeit zu haben, die eine oder andere „höhere“ Stufe erleben und ausprobieren zu können.
Wenn Sie die Lehrrede (siehe Kapitel Die Lehrrede im Originaltext) lesen, so ersehen Sie, dass zwar der Buddha selbst diese Methode gelehrt, konzeptioniert und dargestellt hat, sich aber persönlich nicht um alle Mönche und Schüler kümmern konnte. Oder anders gesagt – selbst der Vortrag und die Existenz eines Buddhas reichten auch damals nicht aus, die Schüler in dieser Methode mussten intensiv persönlich betreut werden.
Es ist derart beschrieben, dass zum Zeitpunkt, den die Lehrrede beschreibt, bereits ein etabliertes Betreuungssystem existierte. Eine solche intensive Betreuungsgruppe umfasste je nach den Fähigkeiten des betreuenden, älteren Mönchs zwischen 10 und 40 Schüler. Die Gruppen- beziehungsweise Betreuungsgröße in der heutigen Zeit wird, vor allem mit Anfängern in dieser Methode, eher bei 10 Schülern oder Schülerinnen angesetzt, da jene Mönche, welche zu Buddhas Zeiten 40 Schüler betreuten, ihrerseits bereits Arahants waren und eine größere geistige Kapazität aufwiesen, mit welcher Sie die Betreuung durchführen konnten.
Der Buddha hält seine erste Lehrrede an eine kleine Gruppe von Mönchen. In dieser Form der sehr persönlichen Betreuung wurde zu Buddhas Zeiten in allen spirituellen Schulen gelehrt.
Was die Lehrrede nicht angibt, ist, ob es sich dabei um homogene Gruppen handelte, in denen die Übenden auf einer gleichen Stufe waren (und daher beim Erreichen einer neuen Stufe die Gruppe wechseln mussten), oder ob es sich um heterogene Gruppen handelte, welche Übende unterschiedlichster Erfahrungsstufe beinhaltete. Mein Verständnis spricht verstärkt für die zweite Variante. Ich bin der Meinung, eine solche Gruppenzusammensetzung ableiten zu können, da es aus praktischen Gründen (Lehrer-Schüler-Beziehung, Ordensstruktur) und auch aus Gründen des spirituellen Lernens und der Motivation die beste Lösung darstellt. Insbesondere da sich die Übungsfolge immer wieder vom Schritt eins an aufbaut, beginnen alle Übenden wieder an derselben Stelle. Die fortgeschrittenen Übenden werden so immer wieder an die bedeutende Basis erinnert; die weniger fortgeschrittenen Übenden hingegen haben Vorbilder, welche zeigen, dass die höheren Schritte der Übung erreichbar sind. So leite ich ab, dass eine heterogene Gruppe wertvoll ist und auch heute in dieser Art und Weise geübt werden soll.
Diese Betreuung umfasste aber nicht nur die Belehrung und Anweisung (in Form von Vorträgen oder Anleitungen), sondern enthielt auch ganz deutlich die Evaluierung und Überprüfung des Fortschrittes der Übenden auf diesem Pfad. So gesehen ist ein System des Lehrgespräches, wie es im Zen (in der Form des Dokusan) praktiziert wird, auch heute im Sinne von Buddhas Anweisungen angebracht und für jene, welche sich in der Methode üben möchten, von großem Wert. Überdies ist eine solche intensive Evaluierung nicht nur eine formelle Prüfung des Meditationserfolges, sondern stellt ein gutes Sicherheitsnetz dar. Wenn der spirituelle Freund Tendenzen bemerkt, welche eine Gefahr für den/die Übende/n darstellt, so kann bereits früh korrigierend eingegriffen werden und durch geeignete Übungen oder Meditationsobjekte eine riskante Situation vermieden werden. Es kann sogar so weit gehen, dass dieser spirituelle Freund dazu raten kann und soll, die Anapansati-Methode zu pausieren und andere Techniken anzuwenden, da beispielsweise ein Thema oder eine Herausforderung aufgetreten ist, welche einer Bearbeitung bedarf, bevor Anapanasati weiter geübt werden kann.
Ich propagiere daher Anapanasati als eine Methode intensiver Übung, welche durch eine kleine Gruppengröße und eine laufende Evaluierung der erlebten Erfahrungen durch einen spirituellen Freund gekennzeichnet ist.
Aus der vorliegenden Lehrrede ist ersichtlich, dass die Methode zu dem beschriebenen Zeitpunkt vom Buddha an Mönche gelehrt wurde. Das ist klar und nachvollziehbar, denn in Buddhas Zeit waren die Mönche und Nonnen die einzigen Menschen, welche sich tatsächlich längere Zeit einer solch anspruchsvollen Methode widmen konnten. Eine Reihe an Laien wies zwar genügend spirituelle Kapazität auf (es gab auch unter ihnen Nichtwiederkehrer), aber aufgrund der weltlichen Ansprüche war es diesen Menschen nicht möglich, so lange kontinuierlich zu üben, da sie einer Beschäftigung nachgingen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Daraus aber zu schließen, dass die Methode heute nichts für Laien ist und daher ausschließlich Ordinierten vorbehalten sein sollte, ist meines Erachtens nicht korrekt. Zwar werden die Adressaten der Lehrrede immer als Mönch übersetzt, aber diese Übersetzung des Palibegriffes Bikkhu ist nicht ganz zutreffend. Tatsächlich wird unter diesem Begriff nicht ausschließlich ein (buddhistisch ordinierter) Mönch verstanden, sondern in der ursprünglichen Bedeutung jeder ernsthaft übende Mensch.
Wenn Sie also diese Methode ernsthaft üben, so weisen Sie die nötige geistige Ausrichtung auf, um zu Recht als Adressat dieser Lehrrede zu gelten.
Über die Stellung, Einordnung und Bedeutung der Anapanasati-Methode herrscht unter Lehrern und Autoren eine bereits lange andauernde und zeitweise sehr rege Diskussion. An dieser Stelle möchte ich mir nicht anmaßen, es besser zu wissen als all die großen Gelehrten und die eine oder andere Seite der Diskussion für wahr und richtig erklären. Das stünde schließlich auch völlig im Gegensatz zu den Anweisungen Buddhas, welcher den Glauben an den Besitz der Wahrheit zu Recht als Verblendung und Anhaftung angesehen hat. Tatsächlich ist es so, dass beide Seiten der Diskussion ihre Berechtigung haben und eine eindeutige Aussage mit der vorliegenden Lehrrede nicht möglich ist.
Im Folgenden möchte ich die Anapanasati-Methode so darstellen, wie ich sie subjektiv aus den Sutren, Kommentaren, Büchern und vor allem der eigenen Praxis verstehe und sehe. Diese Sichtweise repräsentiert meinen momentanen Blick auf diese Lehrrede, welcher sich noch immer verändern und weiterentwickeln kann und es vermutlich auch wird.
Auf diesem Verständnis basiert meine in diesem Buch dargelegte Lehr- und Übungsmethode von Anapanasati.
Ich bin mir bewusst, dass ich diese Aussagen mit meinem eigenen, nach wie vor verblendeten Geist treffe und diese Ansicht daher auch klarerweise dem Missverständnis und der Verblendung unterliegt. So bin ich für alle Hinweise, Ergänzungen und auch Einwürfe dankbar, welche mir helfen, das Thema von immer neuen Blickwinkeln zu betrachten.
Zusammengefasst bin ich der Meinung, dass es sich bei Anapanasati um keine Jhanapraxis handelt. Die ersten Schritte der Methode beginnen zwar ähnlich6 wie bekannte Sammlungsmethoden, aber bei der Methode ist es nicht erwünscht, in eine Versenkung zu gehen, sondern sich auf der Stufe der sogenannten angrenzenden beziehungsweise momentanen Sammlung7 durch die Übungsschritte zu bewegen.
In der Lehrrede kommt im überlieferten Palitext weder das Wort Jhana noch die sonst in anderen Lehrreden oftmals angeführte, stereotype Beschreibung der vier Jhanas vor. Während in anderen Lehrreden, welche die Methoden der Ruhemeditation beschreiben, immer wieder in ähnlichen Bildern und Begrifflichkeiten die Beschreibung der Jhanas enthalten ist, sind Vertiefungen in der Anapanasati Sutta nicht einmal ansatzweise erwähnt. Es handelt sich meiner Ansicht nach schließlich um eine reine Vipassana-Methode, welche es von den Übenden erfordert, in den einzelnen Schritten mehr oder weniger aktiv zu werden, also bewusst einzelne Aspekte anzusehen, zu empfinden oder zu erwägen und dabei Erkenntnis zu erlangen. Das wäre meines Erachtens in einer Vertiefung, wie ich sie weithin verstehe, nur kaum möglich.
Der Atem dient in dieser Methode nicht als ein Objekt, in dem man aufgeht, mit dem man verschmilzt und sich darin versenkt, sondern als der Anker und die durchgängige Basis, an dem die 16 Schritte aufgehängt werden. Alle Betrachtungen sind in der Lehrrede so angelegt, dass es immer heißt: Einatmend empfindet er … Ausatmend empfindet er …
Der spirituelle Übungsweg ist so wie diese Buddhastatue – anfangs ist nur ein Teil erkennbar, noch nicht das Gesamte.
Das heißt aber keinesfalls, dass ich eine ausschließliche Übung in Anapanasati empfehle und Sie die Konzentrations- und Sammlungsmethoden oder auch die Übung und Entwicklung der Brahmaviharas meiden sollten. Durch die Übung von Konzentrationsmethoden entwickelt sich ein stabiler und empfänglicher Geisteszustand, der die Übung der Einsichtsmeditation erleichtert. Darum empfehle ich die Übung beider Techniken, ergänzt durch die Brahmavihara; auf der Basis dieser drei Stützen ergibt sich eine gegenseitige Förderung der unterschiedlichen Techniken und eine stabile spirituelle Weiterentwicklung.
Die Satipattana Sutta ist in seiner Struktur auf die gleiche spirituelle Logik ausgerichtet wie die Anapanasati-Sutta. Es ist nicht verwunderlich, dass auch diese Lehrrede die gleichen vier Pfeiler beziehungsweise Bereiche aufweist, in welchen geübt wird – schließlich handelt es sich um den Basiszyklus, nach welchem der Buddha in seiner gesamten Lehrzeit seine Methode dargelegt hat. Der Methodenschatz in dieser Lehrrede ist breiter und umfangreicher und unterscheidet sich in seiner Art deutlich von Anapanasati. Während es sich bei Anapanasati um eine kompakte und durchgängige Methode mit einem limitierten Methodenset handelt, beschreibt Satipattana eher das Angebot eines umfangreichen und vielfältigen Methodensets für jede Stufe der meditativen Schulung, aus welchem der/die Meditierende oder sein Lehrer einzelne Übungen auswählen kann.
Die möglichen Meditationsmethoden, welche der Buddha gelehrt hat, sind so vielgestaltig wie die hier gesammelten Buddhafiguren. Und doch sind sie bei allen äußeren Unterschieden im Kern gleich.
Anapanasati ist ein System, in dem anhand des Ankerobjekts Atem in einem logischen Zug, in einer zusammenhängenden Methode verschiedene Betrachtungen und Aspekte geübt werden. Satipattana bietet im Gegensatz dazu eine Reihe an einzelnen und abgegrenzten Betrachtungen und meditativen Methoden je Stufe an. (Körper: von der Atmung über die Körperhaltungen, körperlichen Aktivitäten über die anatomischen Bestandteile zu den vier Elementen bis zur Leichenbetrachtung; Gefühle: Betrachtung der affektiven Qualität und der ethischen Qualität; Geist: Betrachtung der gewöhnlichen und höheren Geisteszustände; Dhammas: von der Betrachtung der Hindernisse, der Daseinsgruppen, der Sinnesbereiche, der Erwachungsfaktoren bis zum Verstehen der vier edlen Wahrheiten.)
Während die Anapanasati Sutta eine durchgängige Methode darstellt, welche in der Lehrrede von einem Zeitpunkt berichtet wurde, stellt die Satipattana Sutta eine umfangreiche Sammlung an Methoden dar, welche vermutlich über eine längere Zeit hinweg erhoben wurde.
Die Satipattana Sutta ist auch für jene, welche sich mit Anapanasati beschäftigen wollen, auf zwei Arten sehr wertvoll. Einerseits hilft die Lehrrede, indem sie es einerseits erlaubt, unklare Begriffe8 konkreter einzuordnen und besser übersetzen zu können, wenn der Begriff nicht eindeutig übertragbar ist. Andererseits gibt diese Lehrrede aus dem Munde Buddhas eine große Liste an Methoden und Übungen vor, welche die einzelnen Schritte sehr gut unterstützen und fördern können, und stellt so ein großes Reservoir an Übungen für verschiedenste Situationen, Herausforderungen und Aufgaben dar.
Auf einen bedeutenden Unterschied ist jedoch hinzuweisen: Während in Anapanasati jeweils ein einzelner Schritt nach dem anderen geübt wird, legen in der Satipattana Sutta einige Meditationslehrer großen Wert darauf, dass alle vier Bereiche zugleich geübt werden, um sich spirituell weiterzuentwickeln.
2 Unter einer Tetrade versteht man eine logische, in sich geschlossene Gruppe zu je vier Übungen beziehungsweise Betrachtungsthemen.
3 Unter dem Begriff Vedana werden im Buddhismus die sogenannten Grundgefühle (angenehm, unangenehm und neutral) verstanden. Mehr zu diesem Begriff findet sich in diesem Buch in der Beschreibung der Schritte der zweiten Tetrade.
4 Die Form des Bewusstseins, welche in der Methode angesprochen wird, ist unter dem Namen Citta angeführt.
5 Der Begriff ist schwer übersetzbar, am treffendsten ist in diesem Zusammenhang wohl der Begriff Wahrheit oder Naturgesetz anzuführen.
6 Wenn auch mit einem geringfügig anderen Fokus, wie sich bei der Erklärung der jeweiligen Übungsschritte zeigen wird.
7 Mahasi Sayadaw beschreibt das Ziel dieser Art der Einsichtsmeditation als reine Einsicht. Die Einsicht wird seiner Beschreibung nach erreicht, ohne ein Jhana erleben zu müssen.
8 Einige Begriffe der Anapanasati Sutta können in sehr verschiedener Weise übersetzt werden. Durch das Vorliegen der Satipattana Sutta, welche denselben Themenkreis aus einem anderen Blickwinkel abdeckt und beschreibt, ist es besser möglich, die ursprüngliche Bedeutung der Begrifflichkeiten zu erarbeiten.