Andromeda - Michael Crichton - E-Book

Andromeda E-Book

Michael Crichton

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Beschreibung

Eine unbemannte Raumsonde des US-Militärs entdeckt einen außerirdischen Organismus in der oberen Atmosphäre und nimmt eine Probe. Doch bei der Rückkehr zur Erde geschieht das Unfassbare: Die Sonde stürzt in der Nähe der Stadt Piedmont in Arizona ab. Kurze Zeit später sind alle Bewohner der Kleinstadt tot. Die Regierung aktiviert das Project Wildfire und ruft die vier besten Biophysiker in einem unterirdischen Labor zusammen. Sie haben nur wenig Zeit, ein Mittel gegen den extraterrestrischen Organismus zu finden, denn der hermetisch abgeriegelte Bunker wird sich selbst zerstören, wenn die Wissenschaftler versagen ...

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DAS BUCH

Eine unbemannte Raumsonde des US-Militärs entdeckt einen außerirdischen Organismus in der oberen Atmosphäre und nimmt eine Probe. Doch bei der Rückkehr zur Erde geschieht das Unfassbare: Die Sonde stürzt in der Nähe der Stadt Piedmont in Arizona ab. Kurze Zeit später sind alle Bewohner der Kleinstadt tot. Die Regierung aktiviert das Project Wildfire und ruft die vier besten Biophysiker in einem unterirdischen Labor zusammen. Sie haben nur wenig Zeit, ein Mittel gegen den extraterrestrischen Organismus zu finden, denn der hermetisch abgeriegelte Bunker wird sich selbst zerstören, wenn die Wissenschaftler versagen …

»Mit ›Andromeda‹ hat Michael Crichton ein neues Genre erfunden – den Wissenschaftsthriller.« San Francisco Chronicle

DIE ANDROMEDA-SAGA

Michael Crichton: Andromeda

Michael Crichton, Daniel H. Wilson: Andromeda – Die Evolution

DER AUTOR

Michael Crichton wurde 1942 in Chicago geboren und studierte in Harvard Medizin; seine Romane, übersetzt in mehr als 36 Sprachen, verkauften sich über 200 Millionen Mal, dreizehn davon wurden verfilmt. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen »Next«, »Timeline« und »Jurassic Park«. Crichton ist bis heute der einzige Künstler, der es schaffte, mit Film, Fernsehserie und Roman gleichzeitig die ersten Plätze der Charts zu belegen. Im November 2008 starb Michael Crichton im Alter von 66 Jahren.

MICHAEL CRICHTON

ANDROMEDA

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Die Originalausgabe ist 1969 unter dem Titel THE ANDROMEDA STRAIN erschienen. Deutsche Übersetzung von Norbert Wölfl.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Paperback-Ausgabe 4/2021

Redaktion: Kristof Kurz

Copyright © 1969 by CrichtonSun, LLC

Copyright © 2021 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Geviert Gbr,

nach einem Entwurf von HarperCollins

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-26512-0V001

diezukunft.de

Inhalt

Vorwort

Tag eins KONTAKT

1. Land der verlorenen Grenzen

2. Vandenberg

3. Krise

4. Alarm

Tag zwei PIEDMONT

5. Am frühen Morgen

6. Piedmont

7. »Ein ungewöhnlicher Vorgang«

8. Direktive 7–12

9. Flatrock

10. Stufe I

11. Desinfektion

Tag drei WILDFIRE

12. Die Besprechung

13. Stockwerk V

14. Verschiedenes

15. Hauptkontrollraum

16. Autopsie

17. Genesung

18. Die Mittagsbesprechung

19. Absturz

20. Routine

21. Die Mitternachtsbesprechung

Tag vier AUSBREITUNG

22. Die Analyse

23. Topeka

24. Auswertung

25. Willis

26. Die Dichtung

27. Todesangst

28. Der Test

29. Drei Minuten

Tag fünf AUFLÖSUNG

30. Der letzte Tag

Nachwort

Bibliografie

Für

Dr. med. A. C. D.,

der das Problem

als Erster gesehen hat

Der Wert der menschlichen Intelligenz für das Überleben ist noch nie zufriedenstellend bewiesen worden.

JEREMY STONE

Je mehr man erkennt, desto mehr kostet es.

R. A. JANEK

ANDROMEDA

STRENG GEHEIM!

Die Einsichtnahme ist ausschließlich autorisierten Personen gestattet. Eine Zuwiderhandlung stellt eine Straftat dar und wird mit einer Geldbuße von bis zu 20 000 $ und einer Freiheitsstrafe von bis zu 20 Jahren geahndet.

NEHMEN SIE DIESE AKTE NUR MIT UNGEBROCHENEM SIEGEL VOM KURIER AN!

Kuriere sind gesetzlich verpflichtet, sich den Ausweis 7592 vorlegen zu lassen. Es ist ihnen nicht gestattet, dieses Dokument an Personen ohne diesen Nachweis auszuhändigen.

FÜR DIE MASCHINELLE DATENVERARBEITUNG:

Vorwort

Dieses Buch berichtet über eine bedrohliche, fünf Tage andauernde Krise.

Wie bei den meisten Krisen vermischten sich bei den Vorgängen um den Andromeda-Stamm Weitblick und Dummheit, Harmlosigkeit und Unwissenheit. Fast alle Beteiligten demonstrierten hervorragenden Scharfsinn ebenso wie unerklärliche Verbohrtheit. Es ist deshalb unmöglich, die Vorgänge zu beschreiben, ohne einige von ihnen zu kränken.

Dennoch halte ich es für wichtig, dass diese Geschichte erzählt wird. Amerika unterhält die gewaltigsten wissenschaftlichen Einrichtungen, die es je in der Geschichte der Menschheit gegeben hat. Laufend werden neue Entdeckungen gemacht; viele dieser Entdeckungen haben bedeutsame politische oder soziale Auswirkungen. In naher Zukunft ist mit weiteren derartigen Krisen zu rechnen. Deshalb erscheint es mir als richtig, die Öffentlichkeit damit vertraut zu machen, wie Wissenschaftskrisen entstehen und wie in einem solchen Falle verfahren wird.

Bei den Vorarbeiten zu dem Bericht über Andromeda und bei seiner Niederschrift ist mir die großzügige Unterstützung vieler Menschen zuteilgeworden, die ebenso wie ich der Meinung waren, dass diese Geschichte genau und bis ins Detail erzählt werden sollte, und mich dazu ermutigten.

Mein besonderer Dank gilt Generalmajor Willis A. Haverford, United States Army; Lieutenant Everett J. Sloane (i. R.), United States Navy; Captain L. S. Waterhouse, United States Air Force (Abteilung für Sonderprojekte, Vandenberg); Colonel Henley Jackson und Colonel Stanley Friedrich von der Wright-Patterson Air Force Base; Murray Charles von der Presseabteilung des Pentagon.

Für Unterstützung bei der Aufhellung der Hintergründe des Projekts Wildfire gilt mein Dank Roger White, NASA (Houston); John Roble, NASA (Kennedy Complex 13); Peter J. Mason, NASA-Nachrichtendienst (Arlington Hall); Dr. Francis Martin, University of California (Berkeley), Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Präsidenten; Dr. Max Byrd, USIA (US-Informationsdienst); Kenneth Vorhees, Pressecorps des Weißen Hauses; Prof. Jonathan Percy, Institut für Vererbungsforschung der University of Chicago.

Für die Durchsicht einzelner Kapitel des Manuskripts und für technische Berichtigungen und Anregungen danke ich Christian P. Lewis, Goddard Space Flight Center; Herbert Stanch, Avco Inc.; James P. Baker, Jet Propulsion Laboratory; Carlos N. Sandos, California Institute of Technology; Dr. Brian Stack, University of Michigan; Edgar Blalock, Hudson Institute; Prof. Linus Kjelling, RAND Corporation; Dr. Eldredge Benson, Nationales Gesundheitsinstitut.

Schließlich danke ich allen, die am Wildfire-Projekt und an den Untersuchungen des sogenannten Andromeda-Stamms teilhatten. Alle gaben mir bereitwillig Auskunft; in manchen Fällen erstreckten sich die Besprechungen über einen Zeitraum von mehreren Tagen. Darüber hinaus wurde mir gestattet, die Niederschrift des Abschlussberichts einzusehen, der in Arlington Hall, Unterabteilung 7, aufbewahrt wird und mehr als fünfzehntausend maschinengeschriebene Seiten umfasst. Diese zwanzigbändige Akte enthält eine lückenlose Darstellung der Vorgänge in Flatrock im Bundesstaat Nevada nach den Berichten aller Beteiligten. Ich konnte für meinen zusammenfassenden Bericht die unterschiedlichen Standpunkte auswerten.

Es handelt sich hier um einen weitgehend technischen Bericht über komplexe wissenschaftliche Fragen. Soweit es möglich war, habe ich alle wissenschaftlichen Fragen, Probleme und Verfahren erläutert. Ich habe der Versuchung widerstanden, die Fragen und die Antworten zu vereinfachen; deshalb bitte ich den Leser im Voraus um Nachsicht, wenn er sich stellenweise mit einer trockenen Darstellung wissenschaftlich-technischer Einzelheiten abmühen muss.

Ich war außerdem darauf bedacht, die Aufregung und Spannung dieser fünf Tage einzufangen, denn im Bericht über Andromeda ist viel an innerer Dramatik enthalten. Er ist eine Chronik tödlicher dummer Fehler und Irrtümer, aber auch eine Chronik von Heldentum und Klugheit.

M. C.

Cambridge, Massachusetts

Januar 1969

Tag eins KONTAKT

1. Land der verlorenen Grenzen

Ein Mann stand mit seinem Feldstecher am Straßenrand, auf einem Hügel über einem kleinen Ort in Arizona. So begann alles – an einem kalten Winterabend.

Lieutenant Roger Shawn hatte sicher Schwierigkeiten mit seinem Feldstecher. Das Metall muss kalt gewesen sein, und sein pelzgefütterter Anorak und die dicken Handschuhe behinderten ihn zusätzlich. Außerdem beschlugen die Linsen von seinem Atem, der im Mondschein dampfte. Er war gezwungen, das Glas immer wieder mit einem Handschuhfinger abzuwischen.

Er kann nicht gewusst haben, wie sinnlos sein Tun war. Kein Feldstecher der Welt konnte in diesen kleinen Ort hineinsehen und seine Geheimnisse lüften. Lieutenant Shawn wäre verblüfft gewesen zu hören, dass die Männer, denen das schließlich gelang, dazu Instrumente benutzten, die millionenfach stärker waren als ein Feldstecher.

Wenn man sich vorstellt, wie Shawn seine Arme auf einen Felsblock stützte und das Glas an die Augen presste, dann geht von diesem Bild etwas Trauriges aus, etwas Lächerliches, Menschlich-Allzumenschliches. Der Umgang mit dem Feldstecher war zwar schwierig, doch fühlte der Lieutenant ihn in seinen Händen wohl als etwas Beruhigendes und Vertrautes. Es sollte eine seiner letzten vertrauten Empfindungen vor dem Tode sein.

Wir können nur raten und versuchen zu rekonstruieren, was von diesem Augenblick an geschah.

Lieutenant Shawn suchte den Ort langsam und gründlich ab. Er sah, dass er nicht groß war und nur aus einem halben Dutzend hölzerner Gebäude bestand, aufgereiht an der einzigen Straße. Alles war sehr ruhig – kein Licht, keine Bewegung; auch der schwache Wind trug keinen Laut an sein Ohr.

Seine Aufmerksamkeit verlagerte sich von dem Ort auf die Hügel ringsum. Sie waren niedrig, staubbedeckt und kahl. Da und dort wuchsen ein paar karge Büsche, hin und wieder ragte eine einzelne, welke, schneeverkrustete Yuccapalme auf. Dahinter lagen weitere Hügel, dann kam die endlose Weite der flachen, wegelosen Mojave-Wüste. Die Indianer nannten die Wüste das Land der verlorenen Grenzen.

Lieutenant Shawn fröstelte im kalten Wind. Der Februar ist hier der kälteste Monat, und es war schon nach zehn Uhr abends. Er ging die Straße entlang, zurück zu dem Ford Econovan mit der großen rotierenden Antenne auf dem Dach. Das leise Brummen des Motors im Leerlauf war das einzige Geräusch, das er hörte. Shawn öffnete die Tür an der Rückseite des Wagens, kletterte hinein und schloss sie wieder hinter sich.

Er wurde in das tiefrote Licht der Nachtbeleuchtung getaucht, die dafür sorgen sollte, dass er nicht geblendet wurde, wenn er ins Freie trat. Die Reihen der Instrumente und elektronischen Geräte schimmerten grünlich.

Der Soldat Lewis Crane, sein Elektroniktechniker, saß, ebenfalls in einen Anorak gehüllt, über eine Landkarte gebeugt. Er stellte Berechnungen an und las dabei gelegentlich die Skalen der Geräte vor ihm ab.

Shawn fragte Crane, ob er auch ganz sicher sei, dass sie den richtigen Ort vor sich hätten. Crane nickte. Die beiden Männer waren müde. Sie hatten auf ihrer Suche nach dem neuesten Scoop-Satelliten eine lange Fahrt von Vandenberg hierher hinter sich und waren den ganzen Tag unterwegs gewesen. Über die Scoop-Satelliten wussten sie beide nicht viel, nur dass es sich um geheime Raumsonden handelte, die zur Erforschung der obersten Schichten der Atmosphäre dienten und dann zur Erde zurückkehren sollten. Shawn und Crane hatten die Aufgabe, die Kapseln nach ihrer Landung zu bergen.

Zur Erleichterung der Bergung waren die Raumkapseln mit elektronisch gesteuerten Funkgeräten ausgerüstet, die automatisch Signale sendeten, sobald eine Höhe von acht Kilometern unterschritten wurde.

Das war auch der Grund, weshalb der Wagen mit den neuesten Funkortungsgeräten ausgerüstet und imstande war, eigene trigonometrische Messungen auszuführen. Im Jargon der Armee nannte man das »Einfahrzeug-Triangulation«. Dieses Verfahren war sehr zuverlässig, wenn auch zeitraubend, und im Grunde genommen ganz einfach: Der Wagen hielt an, bestimmte seinen Standort und verzeichnete Stärke sowie Richtung des vom Satelliten ausgestrahlten Funksignals. War das erledigt, fuhr man zwanzig Meilen weit in die Richtung, aus der das Signal kam. Dann hielt man abermals an, und die neuen Koordinaten wurden bestimmt. Auf diese Weise konnte auf der Karte eine ganze Serie trigonometrischer Messungen eingetragen werden: Das Fahrzeug näherte sich in Zwanzig-Meilen-Schritten im Zickzack dem gelandeten Satelliten, wobei jedes Mal Fehler in der Richtungsbestimmung korrigiert werden konnten. Das erforderte zwar mehr Zeit als der Einsatz zweier Spezialfahrzeuge, war aber gleichzeitig weniger auffällig: Nach Ansicht der Army konnten zwei Militärfahrzeuge in derselben Gegend leicht Neugier erregen.

Seit sechs Stunden schob sich der Wagen auf diese Weise an den Satelliten heran. Jetzt hatten sie ihn beinahe erreicht.

Crane stieß nervös die Bleistiftspitze auf einen bestimmten Punkt der Karte und nannte den Namen des Ortes am Fuß des Hügels: Piedmont in Arizona. Einwohnerzahl: achtundvierzig. Darüber mussten sie beide lachen, obgleich sie sich insgeheim Sorgen machten. Nach Angaben des Versuchsgeländes Vandenberg lag der voraussichtliche Landepunkt des Satelliten zwölf Meilen nördlich von Piedmont. Diesen Punkt hatte Vandenberg anhand von Radarbeobachtungen und 1410 Bahnkurvenprojektionen der Computer errechnet; solche Berechnungen konnten normalerweise Abweichungen von höchstens ein paar Hundert Meter enthalten.

Doch die Angaben der Funkortung waren über jeden Zweifel erhaben. Danach lag der Ausgangspunkt des Richtsignals genau mitten im Ort. Shawn konnte sich das nur so erklären, dass jemand aus dem Ort das Niedergehen des Satelliten – der vor Reibungshitze geglüht haben musste – beobachtet, ihn geborgen und nach Piedmont gebracht hatte.

Das war die logische Erklärung; nur etwas daran stimmte nicht: Wenn ein Einwohner von Piedmont einen amerikanischen Satelliten gefunden hatte, der frisch aus dem Weltraum kam, so hätte er das bestimmt gemeldet: der Presse, der Polizei, der NASA, der Armee – irgendjemandem.

Aber sie hatten nichts davon erfahren.

Shawn kletterte wieder aus dem Wagen. Crane folgte ihm. Beide zitterten vor Kälte. Gemeinsam blickten die beiden Männer hinüber zu der Siedlung.

Sie lag friedlich, aber vollkommen dunkel da. Shawn bemerkte, dass sowohl die Tankstelle als auch das Hotel alle Lichter gelöscht hatten. Viele Meilen im Umkreis gab es keine andere Tankstelle und kein anderes Hotel.

Und dann fielen Shawn die Vögel auf.

Im Schein des Vollmonds sah er sie ganz deutlich: große Vögel, die sich langsam in weiten Kreisen auf die Häuser senkten und wie schwarze Schatten am Mond vorbeistrichen. Er fragte sich, warum er sie nicht gleich bemerkt hatte.

Auf seine Frage erwiderte Crane, er könne sich das auch nicht erklären. Halb im Scherz fügte er hinzu: »Vielleicht sind es Geier.«

»Genauso sehen sie auch aus«, sagte Shawn.

Crane lachte nervös. Sein Atem stand als weiße Wolke in der kalten Nacht. »Aber was hätten Geier hier zu suchen? Die kommen doch nur dahin, wo sie Aas finden.«

Shawn zündete sich eine Zigarette an. Dabei schirmte er die Flamme des Feuerzeugs mit beiden Händen gegen den Wind ab. Er sagte nichts, sondern betrachtete nur stumm die Häuser, die Umrisse des kleinen Ortes. Dann suchte er Piedmont noch einmal mit dem Feldstecher ab, sah aber keinerlei Anzeichen von Leben oder Bewegung.

Schließlich ließ er das Glas sinken und warf den Zigarettenstummel in den Schnee. Leise verlosch die Glut.

Er drehte sich zu Crane um und sagte: »Dann fahren wir mal hin und sehen uns die Sache aus der Nähe an.«

2. Vandenberg

Dreihundert Meilen entfernt saß Lieutenant Edgar Comroe in dem großen, quadratischen, fensterlosen Raum, der als Kontrollzentrum für Projekt Scoop diente. Er hatte die Füße auf die Tischkante gelegt und vor sich einen Stapel Artikel von wissenschaftlichen Fachzeitschriften liegen. Comroe war in dieser Nacht Offizier vom Dienst, eine Aufgabe, die ihm einmal monatlich zufiel und die darin bestand, die Arbeit des zwölfköpfigen Stammpersonals zu leiten. In dieser Nacht verfolgten die Männer den Weg und die Meldungen des Fahrzeugs, das den Decknamen »Caper 1« trug und irgendwo durch die Wüste von Arizona gondelte.

Comroe mochte diese Aufgabe nicht. Der Raum war grau gestrichen und von Leuchtstoffröhren erhellt. Eine karge, nützlichkeitsbetonte Anmutung, die Comroe nicht gefiel. Sonst kam er nur bei einem Start ins Kontrollzentrum. Dann war die Atmosphäre hier ganz anders: der Raum voll besetzt mit geschäftigen Technikern, von denen jeder eine einzige komplexe Aufgabe zu leisten hatte, jeder erfüllt von der eigenartigen Anspannung, die dem Start eines Raumfahrzeugs stets vorangeht.

Die Nächte hingegen waren langweilig. Nachts ereignete sich nie etwas. Comroe nutzte den Leerlauf dazu, die nötige Lektüre nachzuholen. Von Beruf war er Herzgefäßspezialist und Fachmann für die bei hohen Beschleunigungen auftretenden Belastungen.

An diesem Abend studierte Comroe gerade einen Aufsatz mit der Überschrift »Stöchiometrie der Kapazität der Sauerstoffzufuhr und des Diffusionsgefälles bei gesteigertem arteriellem Gasdruck«. Der Artikel war schwer lesbar und nur mäßig interessant. Er ließ sich deshalb gern stören, als sich der Lautsprecher meldete, über den die Stimmen von Shawn und Crane im Bergungswagen übertragen wurden.

Shawn meldete sich: »Hier Caper 1 für Vandal Deca. Caper 1 für Vandal Deca. Bitte melden. Ende.«

Leicht belustigt versicherte Comroe, dass er vorhanden sei.

»Wir sind gerade im Begriff, zur Bergung des Satelliten den Ort Piedmont zu betreten.«

»In Ordnung, Caper 1. Lassen Sie Ihr Gerät eingeschaltet.«

»Verstanden. Ende.«

Das entsprach den Anweisungen für den Ablauf der Bergung, wie sie in der Dienstvorschrift für das Projekt Scoop niedergelegt waren. Dieses dicke, in graue Pappe gebundene Buch stand stets griffbereit auf Comroes Schreibtisch. Comroe wusste, dass der Sprechverkehr zwischen Caper 1 und der Zentrale auf Band aufgenommen und später dem laufenden Protokoll des Projekts einverleibt wurde. Warum das geschah, hatte er allerdings nie so recht verstanden. In seinen Augen war die Bergung eine ganz simple Angelegenheit: Der Wagen wurde losgeschickt, holte die Raumkapsel und fuhr dann zurück nach Hause.

Achselzuckend wandte er sich wieder dem Artikel über den arteriellen Gasdruck zu. Nur mit halbem Ohr hörte er Shawns Stimme: »Wir befinden uns jetzt in Piedmont. Sind soeben an der Tankstelle und am Hotel vorbeigefahren. Hier ist alles ruhig. Keinerlei Lebenszeichen. Die Signale des Satelliten werden lauter. Vor uns steht eine Kirche. Nirgendwo Licht, nichts rührt sich.«

Comroe legte den Aufsatz beiseite. Dass Shawns Stimme gepresst klang, war nicht zu überhören. Normalerweise hätte Comroe der Gedanke amüsiert, dass zwei erwachsene Männer es mit der Angst zu tun bekamen, nur weil sie einen kleinen, verschlafenen Ort mitten in der Wüste betreten mussten. Aber er kannte Shawn persönlich und wusste, dass diesem bei allen Qualitäten, die er vielleicht aufzuweisen hatte, eine Gabe völlig abging: Er hatte keinen Funken Vorstellungskraft. Shawn brachte es fertig, bei einem Horrorfilm einzuschlafen. Das war nun einmal seine Veranlagung.

Comroe war nun ganz Ohr.

Durch das Knistern atmosphärischer Störungen hörte er das Brummen des Fahrzeugmotors und die ruhigen Stimmen der beiden Männer im Führerhaus.

Shawn: »Ziemlich still hier.«

Crane: »Ja, Sir.«

Pause.

Crane: »Sir?«

Shawn: »Ja?«

Crane: »Haben Sie das gesehen?«

Shawn: »Was denn?«

Crane: »Da hinten auf dem Bürgersteig. Sah ganz wie ein Toter aus.«

Shawn: »Sie leiden ja unter Wahnvorstellungen.«

Wieder eine Pause. Comroe hörte, wie die Bremsen quietschten.

Der Wagen hatte angehalten.

Shawn: »Großer Gott!«

Crane: »Schon wieder einer, Sir.«

Shawn: »Scheint wirklich tot zu sein.«

Crane: »Soll ich …«

Shawn: »Nein. Bleiben Sie im Wagen!«

Seine Stimme wurde lauter und deutlicher, als er seine Meldung durchgab: »Caper 1 für Vandal Deca. Bitte melden.«

Comroe griff nach dem Mikrofon. »Ich höre. Was ist denn passiert?«

Shawn sagte mit gepresst klingender Stimme: »Sir, wir sehen lauter Leichen. Eine größere Anzahl. Es scheint sich tatsächlich um Tote zu handeln.«

»Sind Sie ganz sicher, Caper 1?«

»Herr im Himmel, natürlich sind wir sicher!«, explodierte Shawn.

Comroe sagte ruhig: »Fahren Sie zum Standort der Kapsel, Caper 1.«

Er sah sich im Raum um. Die zwölf anderen Männer vom Nachtdienst starrten ihn blicklos an, als sähen sie ihn gar nicht. Sie hörten angespannt der Übertragung zu.

Der Motor des Bergungswagens wurde lauter.

Comroe nahm die Beine vom Tisch und drückte einen roten Knopf an seinem Schaltpult. Jetzt war der Kontrollraum automatisch von der Außenwelt abgeschnitten. Ohne Comroes Genehmigung konnte ihn niemand mehr verlassen oder betreten.

Dann griff er nach dem Telefon und sagte: »Verbinden Sie mich mit Major Manchek. M-A-N-C-H-E-K. Dringendes Dienstgespräch. Ich bleibe am Apparat.«

Manchek war zurzeit der leitende Offizier für das Scoop-Projekt, der Mann, der den ganzen Februar für alles, was mit dem Satelliten zusammenhing, verantwortlich war.

Während er wartete, klemmte er sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und zündete sich eine Zigarette an.

Aus dem Lautsprecher an der Decke kam Shawns Stimme: »Crane, haben Sie auch den Eindruck, dass sie tot sind?«

Crane: »Ja, Sir. Sie sehen friedlich aus, aber tot sind sie.«

Shawn: »Irgendwie sehen sie nicht richtig tot aus. Es fehlt etwas. Komisch … Aber sie liegen überall herum. Müssen Dutzende sein.«

Crane: »Als ob sie tot umgefallen wären. Mitten im Schritt gestolpert und tot umgefallen.«

Shawn: »Überall auf der Straße, auf den Bürgersteigen …«

Wieder eine Pause, dann Crane: »Sir!«

Shawn: »Großer Gott!«

Crane: »Sehen Sie ihn? Den Mann im langen weißen Hemd, der die Straße …«

Shawn: »Klar sehe ich ihn.«

Crane: »Er steigt über sie hinweg wie …«

Shawn: »Er kommt genau auf uns zu.«

Crane: »Hören Sie, Sir, ich glaube, wir sollten von hier verschwinden. Verzeihen Sie meine …«

Dann folgten ein hoher, schriller Schrei und ein dumpfes Scharren. Damit endete der Funkkontakt. Dem Kontrollzentrum in Vandenberg gelang es nicht, die Verbindung mit den beiden Männern wieder aufzunehmen.

3. Krise

Der britische Premierminister Gladstone soll, als er von Gordons Tod in Ägypten erfuhr, verärgert gemurrt haben: Der General hätte sich auch einen passenderen Zeitpunkt zum Sterben aussuchen können. Gordons Tod stürzte die Regierung Gladstone in eine Krise. Ein Mann aus Gladstones Umgebung bemerkte, die Umstände des Sterbens seien immer einmalig und unvorhersehbar; darauf antwortete Gladstone mürrisch: »Alle Krisen sind gleich!«

Er meinte natürlich politische Krisen. 1885 und in den darauffolgenden knapp vierzig Jahren gab es noch keine wissenschaftlichen Krisen. Seitdem hat es acht solcher Krisen von großer Tragweite gegeben; zwei davon sind einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Es ist interessant, dass diese beiden – die Atomenergie und die Weltraumforschung – die Chemie und Physik betrafen, nicht aber die Biologie.

Das stand zu erwarten. Die Physik passte sich als erste unter den Naturwissenschaften in vollem Umfang der modernen Zeit an und stützte sich fortan so gut wie ausschließlich auf die Mathematik – eine exakte Wissenschaft. Ihr folgte bald darauf die Chemie. Die Biologie hingegen blieb als Spätentwicklerin weit zurück. Selbst zur Zeit eines Galilei oder Newton wussten die Menschen mehr über den Mond und andere Himmelskörper als über ihren eigenen Körper.

Dieser Zustand änderte sich erst gegen Ende der Vierzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Nachkriegszeit brachte, angeregt durch die Entdeckung der Antibiotika, eine neue Ära der Biologie mit sich. Plötzlich waren sowohl Begeisterung als auch Geld für die Biologie da, und es folgte ein wahrer Strom von Entdeckungen: psychotrope Medikamente, Steroidhormone, die Immunologie, der genetische Code. 1953 wurde die erste Nierenverpflanzung vorgenommen, 1958 waren die Tests der ersten Pillen zur Geburtenkontrolle abgeschlossen. Es dauerte nicht lange, bis die Biologie zu der am raschesten sich entfaltenden Disziplin unter allen Wissenschaften geworden war; ihr Wissensbestand verdoppelte sich alle zehn Jahre. Forscher mit Weitblick sprachen bereits allen Ernstes von Eingriffen ins Erbgut, von einer Kontrolle der Evolution und von der Regulierung der Psyche. Solche Ideen hätte man noch zehn Jahre zuvor als wilde Spekulationen belächelt.

Und doch kam es nie zu einer Krise der Biologie. Der Andromeda-Zwischenfall war die erste.

Nach der Definition von Lewis Bornheim ist eine Krise eine Situation, in der ein zuvor tragbares Gefüge von Gegebenheiten durch das Hinzutreten eines neuen Faktors plötzlich untragbar wird. Es spielt kaum eine Rolle, ob dieser neue Faktor ein politischer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher ist; der Tod eines Nationalhelden, instabile Preise oder eine technologische Erfindung können die Ereignisse gleichermaßen auslösen. In diesem Sinne hatte Gladstone recht: Alle Krisen sind gleich.

Der bekannte Gelehrte Alfred Pockran hat in seiner Studie über die Krisen (Culture, Crisis and Change) einige interessante Punkte hervorgehoben. Zunächst stellte er fest, dass der Beginn einer jeden Krise weit vor ihrem eigentlichen Ausbruch zu suchen ist. Einstein veröffentlichte seine Relativitätstheorie in den Jahren 1905 bis 1915, aber erst vierzig Jahre später erreichte sein Werk einen Kulminationspunkt – mit dem Ende eines Krieges, dem Beginn eines neuen Zeitalters und den Anfängen einer Krise.

Ein anderes Beispiel: Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts interessierten sich amerikanische, deutsche und russische Wissenschaftler für die Raumfahrt, aber nur die Deutschen erkannten die militärischen Möglichkeiten des Einsatzes von Raketen. Und als nach dem Kriege die deutsche Raketenversuchsanlage in Peenemünde von den Sowjets und Amerikanern demontiert wurde, waren es nur die Russen, die sich sofort und energisch um die Weiterentwicklung der Raumfahrttechnik bemühten. Die Amerikaner gaben sich damit zufrieden, ein wenig mit den Raketen herumzuspielen. Das führte zehn Jahre später zum Sputnikschock, der Raketenlücke und einer Krise der Wissenschaft in Amerika.

Pockran bemerkt weiterhin, dass bei einer Krise Individuen und Persönlichkeiten eine Rolle spielen, die in ihrer Art einmalig sind:

So wenig man sich Alexander am Rubikon oder Eisenhower bei Waterloo vorstellen kann, so undenkbar ist es, dass Darwin an Roosevelt einen Brief über die Möglichkeit einer Atombombe schreibt. Eine Krise wird von Menschen ausgelöst, die mit ihren eigenen Vorurteilen, Neigungen und Veranlagungen in diese Krise eintreten. Eine Krise ist die Summe von Intuition und Verblendung, eine Mischung aus erkannten und übersehenen Fakten.

Und doch liegt der Einmaligkeit einer jeden Krise eine beunruhigende Gleichartigkeit zugrunde. Ein Merkmal der meisten Krisen ist – rückblickend – ihre Vorhersehbarkeit. Ihnen scheint etwas Unausweichliches anzuhaften, als seien sie vorbestimmt. Das gilt nicht für alle Krisen, aber doch immerhin für so viele, dass auch der hartgesottenste Historiker zynisch und menschenfeindlich werden könnte.

Es ist interessant, im Licht von Pockrans Ausführungen die Hintergründe des Andromeda-Zwischenfalls und die darin verwickelten Persönlichkeiten zu betrachten. Zum Zeitpunkt des Zwischenfalls hatte es in der Biologie noch niemals eine Krise gegeben, und die ersten Amerikaner, die damit konfrontiert wurden, waren in ihrem Denken nicht darauf eingestellt. Shawn und Crane waren zwar tüchtige, aber nicht sonderlich geistesstarke Männer; Edgar Comroe, der diensttuende Offizier in Vandenberg, war zwar Wissenschaftler, aber nicht darauf vorbereitet, zunächst an etwas anderes zu denken als die ärgerliche Störung eines ruhigen Abends durch ein unerklärliches Problem.

Gemäß der Dienstvorschrift rief Comroe seinen Vorgesetzten, Major Arthur Manchek, an. Von diesem Punkt an bekommt die Geschichte eine neue Wendung. Manchek war nämlich auf die Möglichkeit einer Krise allergrößten Ausmaßes sowohl vorbereitet als auch eingestellt.

Er war nur nicht bereit, sich diese Möglichkeit einzugestehen.

Major Manchek saß, immer noch verschlafen, auf der Kante von Comroes Schreibtisch und hörte sich die Bandaufnahme des Funksprechverkehrs mit dem Bergungswagen an.

Als das Band endete, sagte er: »Verdammt nochmal, das ist die sonderbarste Sache, die ich je gehört habe«, und spielte es noch einmal ab. Dabei stopfte er bedächtig seine Pfeife, zündete sie an und drückte mit dem Daumen die Glut nieder.

Arthur Manchek war Techniker, ein ruhiger, stämmiger Mann mit zu hohem Blutdruck, der seine weitere militärische Karriere zu beenden drohte. Man hatte ihm schon vielfach geraten abzunehmen, aber es gelang ihm einfach nicht. Er erwog deshalb, ob er nicht seinen Abschied nehmen und als Wissenschaftler in der Privatwirtschaft arbeiten sollte, wo sich niemand um das Körpergewicht oder den Blutdruck der Mitarbeiter kümmerte.

Nach Vandenberg war Manchek von Wright-Patterson in Ohio gekommen, wo er die Versuche für Landemethoden von Raumfahrzeugen geleitet hatte. Seine Aufgabe war es gewesen, für die Raumkapsel eine Form zu entwickeln, die eine gleichermaßen sichere Landung auf dem Land wie im Wasser zuließ. Manchek hatte drei neue, Erfolg versprechende Modelle ausgearbeitet. Sein Erfolg hatte ihm eine Beförderung und die Versetzung nach Vandenberg eingebracht.

Hier leistete er Verwaltungsarbeit, die er hasste. Menschen langweilten Manchek; die Grundsätze der Menschenführung reizten ihn ebenso wenig wie die Launen von Untergebenen. Oft wünschte er sich wieder zurück an die Windkanäle von Wright-Patterson.

Besonders ausgeprägt war dieser Wunsch nachts, wenn er wegen irgendeines albernen Problems aus dem Bett geholt wurde.

In dieser Nacht war er gereizt. Er spürte den Stress. Seine Reaktion darauf war typisch für ihn: Er wurde langsam. Er bewegte sich langsam, er dachte langsam, er ging mit bewusst sturer und schwerfälliger Gründlichkeit vor. Darin lag das Geheimnis seines Erfolgs. Wenn alle Leute ringsum immer aufgeregter wurden, schien Mancheks Interesse immer mehr abzunehmen, bis er beinahe einschlief. Mit diesem Trick brachte er es fertig, völlig objektiv zu bleiben und einen klaren Kopf zu behalten.

Seufzend paffte er an seiner Pfeife, als das Band ein zweites Mal ablief.

»Keine Störung in der Verbindung, nehme ich an?«

Comroe schüttelte den Kopf. »Wir haben von hier aus alle Schaltungen überprüft und überwachen die Frequenz immer noch.« Er schaltete den Empfänger ein. Zischende statische Geräusche erfüllten den Raum. »Sie kennen den Audiofilter?«

»Flüchtig«, antwortete Manchek und unterdrückte ein Gähnen. Der Audiofilter war ein Gerät, das er selbst vor drei Jahren entwickelt hatte. Es handelte sich dabei, ganz einfach ausgedrückt, um eine Methode, mithilfe von Computern eine Nadel in einem Heuhaufen zu finden; das Gerät nahm scheinbar wirre, zufällige Geräusche auf und filterte gewisse Unregelmäßigkeiten heraus. So konnte man beispielsweise das Stimmengewirr bei einer Cocktailparty auf Band aufnehmen und dieses Band dem Computer eingeben; der filterte dann eine bestimmte Stimme heraus und trennte sie von den übrigen. Das Gerät wurde vom Geheimdienst zu verschiedenen Zwecken verwendet.

Comroe berichtete: »Nachdem die Sendung abgebrochen war, empfingen wir nichts mehr als die statischen Geräusche, die Sie hier hören. Wir fütterten den Audiofilter damit, um festzustellen, ob der Computer etwas damit anfangen konnte. Wir haben sie auch durch das Oszilloskop dort in der Ecke gejagt.«

Der grünliche Schirm des Oszilloskops auf der anderen Seite des Raums zeigte eine zuckende weiße Linie – die Darstellung der atmosphärischen Störungen.

»Dann haben wir den Computer zwischengeschaltet«, fuhr Comroe fort. »Hier!«

Er drückte einen Knopf auf seinem Schaltpult. Abrupt veränderte sich die Linie auf dem Bildschirm. Sie wurde ruhiger, regelmäßiger und zeigte rhythmische, gleichsam pochende Impulse.

»Ich verstehe«, sagte Manchek. Er hatte die Gesetzmäßigkeit der Impulse bereits entdeckt und ihre Bedeutung erkannt. Seine Gedanken wanderten und beschäftigten sich mit anderen Möglichkeiten, größeren Zusammenhängen.

»Jetzt der Audiofilter«, sagte Comroe und drückte auf einen anderen Knopf. Das gefilterte Signal ertönte. Es war ein gleichmäßiges mechanisches Mahlen, unterbrochen von einem rhythmisch wiederkehrenden metallischen Klacken.

Manchek nickte. »Ein Motor. Er klopft.«

»Ja, Sir. Unserer Meinung nach ist der Sender immer noch eingeschaltet, und der Motor läuft noch. Das hört man ganz deutlich, wenn die atmosphärischen Störungen weggefiltert sind.«

»Na gut«, sagte Manchek.

Seine Pfeife ging ihm aus. Er zog ein paarmal, zündete sie wieder an, nahm sie aus dem Mund und zupfte sich einen Krümel Tabak von der Zunge.

»Wir brauchen Beweise«, sagte er, fast wie zu sich selbst. Er dachte bereits über die möglichen Beweisarten nach, über mögliche Ergebnisse, Folgerungen …

»Beweise wofür?«, fragte Comroe.

Manchek überhörte die Frage. »Haben wir eine Scavenger hier?«

»Ich bin nicht sicher, Sir. Wenn nicht, können wir aus Edwards eine bekommen.«

»Veranlassen Sie das.« Manchek stand auf. Er hatte seine Entscheidung getroffen und war jetzt wieder müde. Eine Nacht mit vielen Telefongesprächen stand ihm bevor, mit gereizten Damen von der Vermittlung und schlechten Verbindungen und verständnislos klingenden Stimmen am anderen Ende der Leitung.

»Wir werden den Ort überfliegen müssen«, sagte er. »Eine vollständige Überprüfung. Alle nur möglichen Aufnahmen. Verständigen Sie die Labors.«

Er befahl Comroe außerdem, die Techniker zu holen, insbesondere Jaggers. Manchek mochte den verweichlichten, prätentiösen Jaggers nicht. Aber Manchek wusste auch, dass Jaggers tüchtig auf seinem Gebiet war. Und heute Nacht brauchte er einen tüchtigen Mann.

Um 23.07 Uhr flog Samuel »Gunner« Wilson mit 1032 Stundenkilometern über die Mojave-Wüste. Voraus im Mondlicht sah er die beiden Leit-Düsenjäger; ihre Nachbrenner glühten bösartig am Nachthimmel. Die Maschinen wirkten schwer und bedrohlich – unter ihrem Rumpf und den Tragflächen hingen Phosphorbomben.

Wilsons Maschine war ganz anders: schlank, lang und schwarz. Sie war eine von nur sieben Scavengers auf der Welt.

Die Scavenger war die taktische Version der X-18. Es handelte sich dabei um einen düsengetriebenen Mittelstrecken-Aufklärer mit kompletter Ausrüstung für Tag- und Nachterkundung. Er war mit zwei seitlich befestigten 16-mm-Kameras ausgestattet, eine für das sichtbare Spektrum, die andere für Niederfrequenzstrahlung. Unter dem Rumpf waren zusätzlich eine Homans-Infrarot-Mehrbereichskamera sowie die üblichen Geräte zur elektronischen und Funkortung angebracht. Alle Filme und Platten wurden automatisch schon in der Luft entwickelt und waren so bei der Rückkehr der Maschine zum Stützpunkt fertig zur Auswertung.

Diese ganze technische Einrichtung machte die Scavenger zu einem geradezu unglaublich empfindlichen Instrument. Sie konnte Aufnahmen völlig verdunkelter Städte machen und einzelne Lastwagen oder Personenwagen aus einer Höhe von dreitausend Metern verfolgen. Sie konnte ein U-Boot noch in einer Tauchtiefe von sechshundert Metern entdecken. Sie war in der Lage, Seeminen anhand der Störungen des Wellenmusters auszumachen und allein mithilfe der Wärmestrahlung präzise Aufnahmen von einer seit vier Stunden ruhenden Fabrik anzufertigen.

Die Scavenger war damit das ideale Instrument für die nächtliche Luftaufklärung über Piedmont in Arizona.

Wilson überprüfte sorgfältig sämtliche Geräte. Seine Finger glitten über Knöpfe und Hebel. Dabei beobachtete er aufmerksam die blinkenden grünen Lämpchen, die ihm anzeigten, dass alle Systeme einwandfrei funktionierten.

In seinen Kopfhörern knackte es. Der Pilot des Führungsjägers sagte lässig: »Nähern uns dem Ort, Gunner. Schon in Sicht?«

Wilson beugte sich in der engen Kanzel vor. Er flog in geringer Höhe, nur ein paar Hundert Meter über dem Boden. Im ersten Augenblick sah er nichts weiter als die verschwommenen Umrisse von Sand, Schnee und Yuccapalmen. Dann tauchten vor ihm mondbeschienene Häuser auf.

»In Ordnung, ist in Sicht.«

»Gut, Gunner. Halten Sie Abstand.«

Er ließ sich zurückfallen, bis zwischen ihm und den beiden anderen Maschinen eine halbe Meile lag. Sie nahmen die P-Quadrat-Formation zur direkten Sichtbeobachtung des Ziels mithilfe von Leuchtbomben ein. Die Scavenger kam ohne direkte Sicht aus. Aber Vandenberg hatte dringend um eine komplette Aufklärung über der Ansiedlung ersucht.

Die beiden Führungsjets schwenkten ab, bis sie parallel zur einzigen Straße des Ortes flogen.

»Gunner? Alles klar?«

Wilson legte die Finger leicht über die Knöpfe der Kameras. Vier Finger – wie beim Klavierspielen.

»Fertig.«

»Wir gehen tiefer.«

Die beiden Maschinen gingen in den Sinkflug und näherten sich in eleganter Kurve den Häusern. Als sie die Bomben auslösten, sah es aus, als ob sie sich nur noch ein paar Zentimeter über dem Boden befänden. In dem Augenblick, in dem eine Bombe den Boden berührte, leuchtete eine grellweiße Flammenkugel auf, die den Ort in ein gespenstisches, gleißendes Licht tauchte und von den metallenen Leibern der Maschinen reflektiert wurde.

Damit hatten die Düsenjäger ihre Aufgabe erfüllt. Sie zogen hoch. Gunner sah sie nicht mehr. Er konzentrierte sich jetzt mit jeder Faser seines Körpers, mit jedem Nerv auf den kleinen Ort. »Sie sind dran, Gunner.«

Wilson gab keine Antwort. Er drückte die Nase seiner Maschine nach unten und fuhr die Klappen aus. Ein Beben ging durch das Flugzeug, als es wie ein Stein dem Boden entgegenfiel. Unter ihm waren der Ort und das Gebiet darum herum in einem Umkreis von mehreren Hundert Metern hell erleuchtet. Er drückte auf die Knöpfe. Das Vibrieren der laufenden Kameras konnte er zwar nicht hören, aber er glaubte es zu spüren.

Der Sturzflug schien endlos zu dauern. Dann zog er den Steuerknüppel heran. Die Maschine schien sich zu fangen, gehorchte wieder dem Steuer und ging in den Steigflug über. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf die Hauptstraße. Dort sah er Leichen liegen – überall nur Leichen; mit gespreizten Armen und Beinen lagen sie mitten auf der Straße, auf den Bürgersteigen, quer über Autos …

»Herrgott!«, stieß er hervor.

Dann war er darüber hinweg, zog die Maschine in weitem Bogen hoch, bereitete sich auf den zweiten Anflug vor und versuchte, das Gesehene aus seinem Gedächtnis zu streichen. Eine der obersten Regeln für Aufklärungsflüge lautete: »Nicht auf die Gegend achten!« Analyse und Auswertung waren nicht Aufgabe des Piloten. Das blieb den dafür Zuständigen überlassen – wenn sich der Pilot zu sehr für das interessierte, was er zu fotografieren hatte, kam er leicht in Schwierigkeiten: So etwas endete für gewöhnlich mit einem Absturz.

Als sich die Maschine im Tiefflug zum zweiten Mal dem Ziel näherte, bemühte er sich, nicht nach unten zu blicken. Er tat es aber unwillkürlich doch und sah wieder die Leichen. Das Phosphor der Leuchtbomben war fast verbraucht und die Beleuchtung nun schwächer, unheimlicher, gedämpfter. Aber die Leichen waren noch da: Er hatte sie sich nicht bloß eingebildet.

»Herrgott!«, sagte er noch einmal. »Großer Gott!«

An der Tür stand zu lesen: DATENVERARBEITUNG EPSILON, und darunter, in roten Buchstaben: ZUTRITT NUR MIT SONDERAUSWEIS. Dahinter lag ein bequemer Besprechungsraum mit einer weißen Leinwand an der Stirnseite, einem Projektor an der anderen und Stahlrohrstühlen dazwischen.

Als Manchek und Comroe den Raum betraten, wartete Jaggers bereits vorn an der Projektionswand. Jaggers war ein kleiner Mann mit elastischem Schritt und eifriger, recht optimistischer Miene. Er war keineswegs beliebt im Stützpunkt, doch als Meister der Bildauswertung uneingeschränkt anerkannt. Gerade die kleinen, rätselhaften Details machten ihm Spaß. Wegen dieser Begabung eignete er sich hervorragend für diese Aufgabe.

Jaggers rieb sich erwartungsvoll die Hände, während Manchek und Comroe Platz nahmen. »Nun gut!«, sagte er. »Dann kommen wir am besten gleich zur Sache. Ich denke, heute Abend haben wir etwas sehr Interessantes für Sie.« Er nickte dem Vorführer im Hintergrund zu. »Erstes Bild, bitte!«

Im Raum wurde es dunkel. Der Projektor ließ ein metallisches Klicken hören, dann erschien auf dem Schirm die Luftaufnahme eines kleinen Ortes mitten in der Wüste.

»Das ist eine ungewöhnliche Aufnahme aus dem Archiv«, erklärte Jaggers. »Aufgenommen vor zwei Monaten von unserem Beobachtungssatelliten Janos 12. Seine Umlaufbahn liegt, wie Sie wissen, in einer Höhe von rund dreihundert Kilometern. Die technische Qualität ist recht gut. Die Autonummern kann man zwar noch nicht lesen, aber daran arbeiten wir gerade. Vielleicht nächstes Jahr.«

Manchek rutschte auf seinem Stuhl hin und her, sagte aber nichts.

»Das hier ist Piedmont in Arizona«, fuhr Jaggers fort. »Achtundvierzig Einwohner und nicht viel zu sehen, nicht einmal aus dreihundert Kilometer Höhe. Hier liegt das einzige Geschäft, da die Tankstelle – beachten Sie bitte, wie deutlich man den Markennamen ›Gulf‹ lesen kann – und dahinter die Postfiliale, hier das Motel. Sonst nur Wohnhäuser. Da drüben die Kirche. Schön – das nächste Bild.«

Wieder ein Klicken. Die Aufnahme war dunkel und rötlich getönt. Es handelte sich um eine Gesamtansicht des Ortes in Weiß und Dunkelrot. Die Umrisse der Gebäude waren tiefschwarz.

»Wir beginnen nun mit den Infrarotaufnahmen unserer Scavenger. Sie wissen, dass auf den Infrarotplatten das Bild nicht durch die Einwirkung von Licht, sondern von Wärme entsteht. Alles, was Wärme ausstrahlt, erscheint weiß, was kalt ist, schwarz. Also schön. Sie sehen, dass die Häuser schwarz erscheinen. Sie sind kälter als der Boden. Mit Einbruch der Nacht strahlen die Häuser die aufgespeicherte Wärme rascher ab.«

»Was bedeuten diese weißen Flecken?«, fragte Comroe. Auf dem Bild waren vierzig bis fünfzig weiße Stellen zu erkennen.

»Das sind Leichen«, antwortete Jaggers. »Einige in den Häusern, andere auf der Straße. In manchen Fällen, wie zum Beispiel bei dieser hier, können Sie die Umrisse der vier Gliedmaßen und des Kopfes deutlich erkennen. Dieser Tote liegt ausgestreckt auf der Straße.«

Er zündete sich eine Zigarette an und deutete auf ein helles Viereck. »Soweit sich feststellen lässt, ist das hier ein Kraftfahrzeug. Sie sehen auf der einen Seite einen sehr hellen Fleck. Das heißt, der Motor läuft noch und erzeugt Wärme.«

»Der Bergungswagen«, sagte Comroe. Manchek nickte.

Jaggers erklärte weiter: »Nun erhebt sich die Frage: Sind diese Leute alle tot? Das können wir nicht mit Sicherheit beantworten. Die Körper weisen offenbar Temperaturunterschiede auf. Siebenundvierzig sind ziemlich abgekühlt, was auf den Eintritt des Todes vor einiger Zeit hindeutet. Drei sind noch wärmer. Zwei von diesen befinden sich hier im Fahrzeug.«

»Das sind unsere Männer«, sagte Comroe. »Und der dritte?«

»Dieser dritte gibt uns einige Rätsel auf. Sie sehen ihn hier – offenbar steht er mitten auf der Straße, oder er hat sich geduckt. Wie Sie sehen, erscheint er noch ziemlich hell – er ist somit noch verhältnismäßig warm. Nach unserer Temperaturtabelle beträgt die ausgestrahlte Wärme rund fünfunddreißig Grad Celsius. Ein bisschen wenig. Aber die geringe Unterkühlung ist vermutlich auf äußere Gefäßverengungen in der kalten Wüstennacht zurückzuführen. Dadurch sinkt die Hauttemperatur. – Nächstes Dia.«

Das dritte Bild erschien auf dem Schirm.

Manchek betrachtete stirnrunzelnd den hellen Fleck. »Er hat sich bewegt.«

»Genau. Diese Aufnahme entstand beim zweiten Anflug. Der helle Punkt hat sich um rund zwanzig Meter weiterbewegt. Das nächste Bild.«

Es klickte wieder.

»Er hat sich noch einmal bewegt!«

»Ja. Wieder um fünf bis zehn Meter.«

»In Piedmont ist also noch ein Mensch am Leben?«

»Das dürfte die mutmaßliche Schlussfolgerung sein.«

Manchek räusperte sich. »Wollen Sie damit sagen, das ist Ihre Ansicht?«

»Ja, Sir. Das ist unsere Ansicht.«

»Da unten gibt’s also einen Menschen, der zwischen den Leichen umherwandert?«

Jaggers deutete achselzuckend auf den Bildschirm. »Es ist schwierig, die vorhandenen Daten auf andere Weise zu deuten und …«

In diesem Augenblick trat ein Soldat mit drei kreisrunden Metallbehältern unter dem Arm ein.

»Sir, hier haben wir die Filmaufnahmen vom direkten Sichtanflug in P-Quadrat-Formation.«

»Lassen Sie sie laufen!«, sagte Manchek.

Der Film wurde in einen Projektor eingelegt. Einen Augenblick später führte man Lieutenant Wilson herein. »Ich habe diese Filme noch nicht gesehen«, sagte Jaggers. »Vielleicht sollte der Pilot selbst …«

Manchek nickte und sah Wilson an. Der ging nach vorn zum Bildschirm und wischte sich dabei nervös die Handflächen an seiner Hose ab. Er stellte sich neben den Projektionsschirm, das Gesicht seinen Zuhörern zugewandt, und begann mit monotoner Stimme: »Sir, meine Anflüge erfolgten heute Abend zwischen 23.08 und 23.13 Uhr. Ich habe den Ort zweimal überflogen, einmal von Osten nach Westen und das zweite Mal in umgekehrter Richtung, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von dreihundertdreiundvierzig Stundenkilometern bei einer mittleren Höhe von zweihundertfünfzig Metern …«

»Einen Augenblick, junger Mann«, unterbrach ihn Manchek mit erhobener Hand. »Das ist hier kein Verhör. Sprechen Sie doch einfach ganz normal.«

Wilson nickte und schluckte. Der Raum wurde abgedunkelt, der Projektor begann zu surren. Auf dem Schirm erschien das Bild der Ortschaft beim Anflug der Maschine, in grellweißes Licht gebadet.

»Das ist mein erster Zielanflug«, sagte Wilson. »Von Ost nach West, um 23.08 Uhr. Wir sehen die Aufnahme der linken Flügelkamera, die mit sechsundneunzig Bildern pro Sekunde läuft. Wie Sie erkennen können, nimmt meine Flughöhe sehr schnell ab. Genau vor uns haben wir die einzige Straße des Zielortes …«

Er brach ab. Die Leichen waren deutlich zu erkennen. Auch der Bergungswagen – er stand auf der Straße; die Dachantenne rotierte immer noch langsam. Als sich die Maschine dem Wagen näherte, konnte man auch den Fahrer erkennen, der über dem Steuerrad zusammengebrochen war.

»Hervorragende Bildschärfe«, sagte Jaggers. »Der Feinkornfilm hat wirklich eine ausgezeichnete Auflösung, wenn man …«

»Wilson wollte uns von seinem Anflug berichten«, unterbrach ihn Manchek.

»Ja, Sir«, sagte Wilson rau und räusperte sich. Er starrte auf den Schirm. »In diesem Augenblick befinde ich mich genau über dem Zielort und beobachte die Toten, die Sie hier sehen. Meine Schätzung, Sir, belief sich zu diesem Zeitpunkt auf etwa fünfundsiebzig.«

Er sprach leise und gepresst. Im Film gab es eine Unterbrechung. Es erschienen einige Zahlen, dann wieder das Bild des Wüstenortes.

»Nun befinde ich mich auf meinem zweiten Anflug«, sagte Wilson. »Die Leuchtbomben brennen nur noch schwach, aber Sie können trotzdem sehen …«

»Stopp!«, rief Manchek.

Der Vorführer hielt den Projektor an. Die Einzelaufnahme zeigte die lange, gerade Straße und die Leichen.

»Zurückspulen.«

Der Film lief rückwärts. Die Scavenger schien sich im Rückwärtsgang von dem Ort zu entfernen.

»Da! Anhalten!«

Das Bild erstarrte. Manchek stand auf und trat dicht vor den Bildschirm. Er betrachtete aus der Nähe eine Stelle am seitlichen Bildrand.

»Sehen Sie sich das hier an.« Er deutete auf eine Gestalt. Es war ein Mann in einem knielangen weißen Gewand, der aufrecht dastand und zu dem Flugzeug hinaufschaute – ein alter Mann mit faltigem Gesicht. Er hatte die Augen weit aufgerissen.

»Was halten Sie hiervon?«, wandte sich Manchek an Jaggers.

Jaggers trat näher. Er runzelte die Stirn. »Bitte ein Stück vorwärts.«

Der Film lief ein Stück weiter. Es war deutlich zu erkennen, wie der Mann den Kopf drehte und mit den Augen rollte. Er verfolgte die Maschine, die ihn überflog.

»Und jetzt wieder zurück«, sagte Jaggers.

Der Film lief rückwärts. Jaggers lächelte matt. »Auf mich wirkt dieser Mann lebendig, Sir.«

»Ja, den Eindruck könnte man haben«, sagte Manchek barsch.

Damit verließ er den Vorführungsraum. An der Tür blieb er stehen und erklärte, dass der Stützpunkt hiermit in Alarmbereitschaft versetzt sei; jeder Anwesende habe sich bis auf Weiteres an Ort und Stelle zur Verfügung zu halten; sämtliche Telefongespräche und sonstige Verbindungen nach draußen seien verboten; alles, was sie in diesem Raum gesehen hätten, sei streng geheim. Dann trat er auf den Flur hinaus und ging, gefolgt von Comroe, zum Kontrollzentrum.

»Sie rufen jetzt bitte General Wheeler an«, sagte Manchek. »Sagen Sie ihm, ich hätte ohne die entsprechende Vollmacht Alarm ausgelöst, und bitten Sie ihn, sich sofort hierherzubemühen.« Nach den Vorschriften hatte niemand außer dem Kommandanten selbst die Berechtigung, Alarm zu geben.

»Wollen Sie ihm das nicht lieber selbst mitteilen?«, fragte Comroe.

»Ich habe jetzt anderes zu tun«, antwortete Manchek.

4. Alarm

Als Arthur Manchek die kleine, schalldichte Zelle betrat und sich ans Telefon setzte, wusste er genau, was er zu tun hatte. Nur warum er es tat, das wusste er nicht.