Angel (Band 3): Dein Weg zurück - C. M. Spoerri - E-Book
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Angel (Band 3): Dein Weg zurück E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Hannes sieht sein Leben in tausend Scherben vor sich liegen. Eben noch schien es, als ob alles gut werden könnte. Dass Angel und er eine reale Chance hätten, in New York zusammen glücklich zu werden. Aber dann zerbricht sein Traum in unzählige Splitter, die tiefe, schmerzhafte Wunden in Hannes' Seele hinterlassen. Der Mann, der ihm die Welt bedeutet, ist nun so weit von ihm entfernt, dass er womöglich nie mehr zu ihm zurückfindet. Falls doch … wäre es wirklich wieder so wie früher? Und wenn ja … für wie lange?

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Angel – Deutsch Deutsch – Angel

Kapitel 1 - ¿Nos conocemos?

Kapitel 2 - Dornröschen

Kapitel 3 - Magische Hände

Kapitel 4 - Wie man sein eigenes WhatsApp stalkt

Kapitel 5 - Keine Lügen mehr

Kapitel 6 - Kein Spanisch mehr

Kapitel 7 - Du bist nicht allein

Kapitel 8 - Guter Rat von einem Freund

Kapitel 9 - Unerwartete Hilfe

Kapitel 10 - Es gibt da ein Problem …

Kapitel 11 - Wie gut kennen wir Angel? Eben!

Kapitel 12 - Geburtstage, Kinderwagen und emotionale Tiefpunkte

Kapitel 13 - Chillax

Kapitel 14 - Mach jetzt keine Dummheit

Kapitel 15 - Ritter in schillernder Rüstung

Kapitel 16 - Professionelle Verarztung

Kapitel 17 - Ein Abend unter neuen Freunden

Kapitel 18 - Willkommen zu Hause

Kapitel 19 - Schluckauf

Kapitel 20 - El diablo … nicht nur die Pizza

Kapitel 21 - Verspätetes Geburtstagsgeschenk

Kapitel 22 - Frühstück im Bett

Kapitel 23 - Ohne Hintergedanken …

Kapitel 24 - Kreuzfahrt im Schnelldurchlauf

Kapitel 25 - Ein (nicht) ganz normaler Samstagnachmittag

Kapitel 26 - Enten und knallrote Gummiboote

Kapitel 27 - Hacksaw Ridge

Kapitel 28 - Die Achterbahnfahrt geht in die nächste Runde

Kapitel 29 - Kurzbesuch

Kapitel 30 - Griff nach einem Strohhalm

Kapitel 31 - Kleine Lügen, große Pläne

Kapitel 32 - Ein längst überfälliges Gespräch

Kapitel 33 - Sumsi mit Po

Kapitel 34 - Oh, Angel …

Kapitel 35 - San Lorenzo

Kapitel 36 - ›Welcome back‹-Party

Kapitel 37 - Funkenflug

Kapitel 38 - Begleichung von Mietschulden

Kapitel 39 - Aus heiterem Himmel …

Kapitel 40 - Wie fängt man einen Affen?

Kapitel 41 - Märchenprinzen-Kodex

Kapitel 42 - Neuer Mitbewohner

Kapitel 43 - Fließender Sarkasmus mit ironischem Akzent

Kapitel 44 - Mandy, die Amazone

Kapitel 45 - ¡Eres el idiota más estúpido de todos!

Kapitel 46 - Zurück zu dir

Kapitel 47 - Ja, Angel, du darfst alles tun, was du willst

Kapitel 48 - Lagerfeuerromantik

Kapitel 49 - Der letzte Einsatz

Kapitel 50 - Wenn die Sprache keine Rolle mehr spielt

Kapitel 51 - Blindes Vertrauen

Kapitel 52 - Zurück

Epilog

Nachwort & Dankefein der Autorin

Dreingabe (und drauf auch ;-) )

 

C. M. Spoerri

 

 

Angel

Band 3: Dein Weg zurück

 

 

Gay Romance

 

 

 

Angel (Band 3): Dein Weg zurück

Hannes sieht sein Leben in tausend Scherben vor sich liegen. Eben noch schien es, als ob alles gut werden könnte. Dass Angel und er eine reale Chance hätten, in New York zusammen glücklich zu werden. Aber dann zerbricht sein Traum in unzählige Splitter, die tiefe, schmerzhafte Wunden in Hannes’ Seele hinterlassen. Der Mann, der ihm die Welt bedeutet, ist nun so weit von ihm entfernt, dass er womöglich nie mehr zu ihm zurückfindet. Falls doch … wäre es wirklich wieder so wie früher? Und wenn ja … für wie lange?

 

Hinweis zu sensiblen Inhalten:

In diesem Buch wird die psychische Erkrankung PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) thematisiert, insbesondere Flashbacks und Traumabewältigung. Zudem spielen die Themen Krebsdiagnose und Tod eine Rolle.

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, März 2023

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2023

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat & Sensitivity Reading: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-265-6

ISBN (epub): 978-3-03896-273-1

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Was du liebst, lass frei.

Kommt es zurück, gehört es dir – für immer.

Konfuzius

 

Angel – Deutsch Deutsch – Angel

 

Tja, der gute Angel kann einfach nicht anders, als mit spanischen Flüchen (aber auch einigen lieben Sachen) um sich zu schmeißen. XD

Daher … bitte sehr:

 

 

Kapitel 1 - ¿Nos conocemos?

Hannes

 

»Du … erinnerst dich nicht mehr an mich?«, hauchte ich mit brüchiger Stimme und starrte den Mann an, den ich so sehr liebte. Der gerade mit dicken Bandagen um den Kopf, einem gebrochenen Arm und angeknacksten Rippen auf dem Krankenbett lag und mich mit schmalen Augen anschaute, als wäre ich ihm komplett fremd.

»¿Nos conocemos?«, fragte er stirnrunzelnd auf Spanisch. Seine Stimme war noch ein wenig heiser und dadurch so tief und sexy, dass sie mir eine Gänsehaut verpasste.

»Er fragt, ob ihr euch kennt«, übersetzte seine Tochter Charly leise, die mit ihrer Mutter Lara und deren Mann Tom ebenfalls neben dem Bett stand.

Die drei sahen von Angel zu mir und wieder zurück. In ihren Mienen konnte ich tiefe Bestürzung lesen.

Ich hatte keine Chance, Angel zu antworten, da sich alles in mir vor Schmerz zusammenzog. Meine Beine wurden weich wie Pudding und ich stützte mich schwankend am Bettrahmen ab.

»Dad«, sagte Charly behutsam und beugte sich über ihren Vater, sodass ihr die Locken ins Gesicht wippten. »Das … das ist Hannes. Hannes Schmidt. Ihr seid zusammen. Erinnerst du dich nicht?«

Angel blickte verwirrt zu seiner sechzehnjährigen Tochter, die mit ihm bis auf die dunklen Augen und die schwarzen Haare wenig äußerliche Gemeinsamkeiten aufwies. »Was redest du da? Ich habe keinen Freund, ich bin single«, brummte er. »Hab nach John definitiv genug von beschissenen Beziehungen.«

Single.

Der Stich, der durch meine Brust fuhr, ließ mich unwillkürlich keuchen.

»Die Kreuzfahrt im Mittelmeer«, flüsterte ich. »Unser Kennenlernen …«

»¿Maldición, de qué demonios estás hablando?«, knurrte er unwirsch. »Ich kann mich weder an eine Kreuzfahrt noch an einen Typen wie dich erinnern!«

Ich registrierte, wie das Piepgerät einen schnelleren Herzschlag anzeigte.

»Das genügt, er soll sich nicht aufregen«, sagte eine männliche Stimme und ich bemerkte den Arzt, der wohl gerufen worden war. »Treten Sie bitte zur Seite, ich muss ihn untersuchen.«

Charly und Tom, die am nächsten beim Bett standen, machten dem Arzt Platz. Dieser hob Angels Augenlider an, leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe hinein, zog seine unteren Lider herab und blickte dann auf den Bildschirm des Geräts.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er im unverbindlichen Tonfall, ehe er nach einer Krankenakte und einem Stift griff, die ihm die Krankenschwester reichte, welche ebenfalls dazugekommen war.

»Was ist das für eine beschissene Frage?!«, grollte Angel in alter Panther-Manier. »Ich bin in einem verdammten Krankenhaus, das wird seine Gründe haben!«

»Haben Sie Schmerzen?«, fuhr der Arzt fort, ohne sich von seinem Knurren beeindruckt zu zeigen.

Angel verneinte mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln »No«, schickte er hinterher, als der Arzt ihn mit erhobenen Augenbrauen ansah. »Das Zeug, das ihr mir gegeben habt, könnte wahrscheinlich einen scheiß Elefanten lahmlegen.«

»Sehr gut.« Der Arzt nickte. »Welcher Tag ist heute?«

»Kein leichter.« Angels Lippen formten sich zu einem Zähnefletschen.

Unvermittelt musste ich an den Leitspruch der SEALs denken, den er mir einmal verraten hatte. ›Der einzig leichte Tag war gestern‹. Das bedeutete einerseits, dass er auch diesen Tag heute irgendwie hinter sich bringen würde – und andererseits, dass er morgen den heutigen Tag als Spaziergang betrachtete.

Der Arzt machte sich ein paar Notizen in der Akte. »Datum?«

»Keine Ahnung.« Angel zuckte mit den Schultern und verzog unwillkürlich das Gesicht, da er wohl doch nicht ganz so schmerzfrei war, wie er gerade behauptet hatte.

»Erhöhen Sie das Metamizol«, wandte sich der Arzt an die Krankenschwester neben sich. Diese nickte und hantierte an der Infusion, während er fortfuhr. »Wie heißen Sie?«

»Angel de Flores«, stieß Angel mit zusammengepressten Zähnen hervor. »Hören Sie, ich bin nicht blöd. Ich weiß sehr wohl, wie ich heiße und wer die Menschen sind, die hier stehen.«

»Bis auf Hannes«, ergänzte Charly mit trauriger Miene.

Der Arzt hob eine Augenbraue (er konnte das mindestens so gut wie Angel). »Sie erinnern sich nicht an Ihren Lebensgefährten?«

»Lebensgefährten?« Angel stieß schnaubend die Luft aus. »Na, daran würde ich mich erinnern, wenn ich mit so einem …«

»Dad«, unterbrach ihn Charly mahnend.

»No«, schickte Angel hinterher.

Ich blinzelte, da mich seine Worte mit aller Härte trafen. Sie zeigten, wie wenig wir (zumindest rein optisch) zusammenpassten.

Aber nicht nur das … alles, was wir uns gemeinsam aufgebaut hatten, war innerhalb eines Lidschlags verpufft, als wäre es niemals da gewesen.

»Kopf hoch«, hörte ich zu meiner Überraschung Lara neben mir sagen und spürte, wie sie ihre Hand auf meine legte, die das Bettgestell am Fußende umklammert hielt.

Bisher hatte sie mir gegenüber diese kühle Distanziertheit an den Tag gelegt, daher verblüffte mich nun die plötzliche Weichheit, mit der Charlys Mutter mich gerade betrachtete.

»Die Erinnerungslücken sind bestimmt nur vorübergehend, oder?«, fragte sie den Arzt.

Dieser runzelte die Stirn. »Wir müssen noch ein paar Untersuchungen und Tests durchführen. Ich gehe im Moment von einer retrograden Amnesie aus. Wann haben Sie und Mister de Flores sich kennengelernt?«, wandte er sich an mich.

Ich riss meinen Blick von Angel los, der mich gedankenversunken betrachtet hatte. »Vergangenen August«, hauchte ich.

»Das wäre also mindestens ein Dreivierteljahr, das ihm fehlt«, murmelte der Arzt und machte sich ein paar weitere Notizen. »Wir untersuchen ihn morgen. Jetzt muss er sich erst einmal ausruhen. Darf ich Sie bitten, sich von ihm zu verabschieden?« Er richtete sich an Angel. »Wir werden Ihnen nun ein leichtes Schlafmittel verabreichen, damit Ihr Körper sich erholen kann.«

Angel nickte geistesabwesend. Seine Aufmerksamkeit ruhte weiterhin auf mir und ich konnte in seinen dunklen Augen sehen, dass er vergebens versuchte, mich in sein Leben einzuordnen.

Mit einem Seufzen senkte ich die Lider und unterbrach damit den Blickkontakt.

Lara, Tom und Charly verabschiedeten sich herzlich von ihm und als ich neben seinem Bett stand, war ich mir nicht sicher, was ich sagen sollte.

»Du bist also mein … Lebensgefährte«, meinte Angel und sah mich an, als hätte ihm jemand einen Streich gespielt oder als würde im nächsten Moment irgendwo eine versteckte Kamera auftauchen.

»Verlobter«, flüsterte ich. »Wir … haben uns vor etwas mehr als drei Wochen auf einer Kreuzfahrt in Florida verlobt.«

Angel grunzte »Mierda. Mittelmeer, Florida … ich scheine Kreuzfahrten wohl neuerdings zu mögen.« Er schloss die Augen und eine Falte erschien zwischen seinen Brauen, die mir nur allzu vertraut war. »Lo siento. Das … keine Ahnung.«

»Bitte lassen Sie ihn sich jetzt ausruhen«, hörte ich die Stimme des Arztes. »Sie werden noch genügend Zeit haben, sich mit ihm zu unterhalten.«

Ich nickte und wandte mich zum Gehen.

Draußen empfingen mich Lara, Tom und Charly mit erschütterter Miene.

»Er … wird sich bestimmt bald an alles erinnern«, versuchte Angels Tochter mich aufzumuntern und sah mich voller Zuneigung an. »Ich habe so was mal in einem Film gesehen, das wird alles wieder gut.«

»Filme sind nicht die Realität«, entgegnete Lara sanft. »Aber ich stimme ihr dennoch zu, Hannes. Es wird alles wieder gut.«

»Danke«, murmelte ich und seufzte leise. »Ich … geh dann mal nach Hause.«

Ohne mich von den dreien richtig zu verabschieden, verließ ich das Krankenhaus und rief mir draußen ein Taxi.

Die Fahrt nach Hause nahm ich gar nicht richtig wahr. Erst, als ich im großen Loft auf dem Sofa saß, das Angel für uns gekauft hatte, und auf den schwarzen Bildschirm unseres Fernsehers starrte, spürte ich, wie einsam ich mich fühlte. Wie unendlich allein.

Ich schaffte es allerdings nicht, jemanden anzurufen, um die Stille um mich herum zu durchbrechen. Ich hätte es nicht ausgehalten, jetzt die ganze Geschichte zu erzählen. Nicht einmal meiner Mutter.

Was sollte ich auch sagen?

Hey, Mama, ich hab Krebs im Endstadium. Ja, so zwei, bis drei Jahre bleiben mir noch, falls ich gleich mit der Chemo starte. Doch das ist eh egal, ich wüsste nicht, wofür ich überhaupt noch leben sollte. Denn Angel hat uns vergessen. Wieso? Ach, er hatte einen schlimmen Unfall, wurde von einem Bus angefahren und wär fast gestorben. Aber es geht ihm jetzt gut, er erinnert sich nicht daran, dass ich so tat, als würde ich ihn mit meinem Ex Kay betrügen, damit Angel mich in den Wind schießt. Nochmals Glück gehabt, oder?

Nein. Das … ging nicht.

Tränen rannen mir über die Wangen und meine Nase war vollkommen verstopft, da ich immer noch leichte Erkältungssymptome hatte. Zwar war mein Fieber endlich weg, doch der Schnupfen blieb hartnäckig und das viele Weinen in den vergangenen zwei Tagen, seit ich von der Krebsdiagnose wusste, hatte es auch nicht besser werden lassen.

Die Vorwürfe, die ich mir machte, verschlangen mich innerlich wie Schimmel, der sich in eine Wand fraß.

Warum hatte ich diesen blöden Plan geschmiedet, um Angel von mir wegzustoßen? Ohne mich hätte er den Unfall nicht gehabt. Ohne mich könnte er sich noch an alles erinnern.

Ich hätte ihm alles von Anfang an sagen sollen. Ihn nicht aus meinem Leben ausschließen dürfen.

Jetzt … jetzt bekam ich die Quittung dafür. Und die zerriss mich gerade in tausend Fetzen.

Was für ein Vollidiot ich war! Wie unendlich bescheuert!

Natürlich, ich stand unter Schock, als ich diese dämliche Eingebung mit Kay hatte. Dennoch … ich hätte es doch besser wissen müssen! Hätte mit Angel reden müssen!

Stattdessen hatte ich über seinen Kopf hinweg entschieden, dass er besser dran war ohne mich.

Wie unendlich egoistisch und naiv von mir …

Irgendwann erhob ich mich, kochte mir einen Erkältungstee und spürte einen Stich dabei, als ich mich daran erinnerte, wie liebevoll sich Angel um mich noch vor ein paar Tagen gesorgt hatte. Die Medikamente, die er für mich eingekauft hatte, standen alle säuberlich aufgereiht in der Küche beim Wasserkocher.

Hach, Angel …

Ich putzte mir die Nase und schniefte, ehe ich mich mit dem Tee wieder aufs Sofa begab.

Draußen wurde es dämmerig und die Lichter gingen im nächtlichen New York an.

Nur in unserer Wohnung nicht. Ich saß im Dunkeln, das bloß vom Schein des Aquariums hinter mir durchbrochen wurde, starrte geradeaus, ließ den Tee in meinen Händen kalt werden und betrachtete das Leuchten der Stadt.

Taub. In mir war alles taub.

Angel wusste nichts mehr von unserer Kreuzfahrt im Mittelmeer, nichts von unserer Beziehung, geschweige denn von mir oder unserem gemeinsamen Leben.

Es war einfach alles … ausgelöscht.

Weg, als hätte es uns nie gegeben.

Keine Ahnung, wie ich die Kraft aufbrachte, mich in Angels Zimmer zu schleppen. Ich kauerte mich auf seinem Bett zusammen, wickelte seine Decke um mich und sog seinen Duft ein, den ich so liebte.

Alles hier roch noch nach ihm.

Und nun … weinte ich endlich. So lange, bis ich keine Tränen mehr hatte und nur noch heiser schluchzen konnte. Bis mein Hals schmerzte und ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

Angel … ich wollte dich nicht verlieren. Nicht … so.

Kapitel 2 - Dornröschen

Hannes

 

Als ich am Samstagmorgen aus dem Schlaf fuhr, galt mein erster Gedanke Angel. Zunächst glaubte ich, aus einem Albtraum erwacht zu sein, da alles um mich herum nach ihm roch. Ich erwartete fast, ihn in der Dusche nebenan zu hören, doch dann brachen die Tatsachen in voller Brutalität auf mich herein.

Der Unfall. Angels Amnesie.

Ich musste zu ihm!

Vielleicht war es heute besser, vielleicht hatte er die Erinnerungen inzwischen wiedererlangt.

Auf meinem Handy blinkte mir eine Nachricht von Charly entgegen.

 

Charly❤️:

Ich hoffe, es geht dir gut.

Mom und ich fahren zu Dad,

kommst du auch?

 

Die Nachricht war vor einer Stunde verschickt worden, sie waren also schon da.

So schnell ich konnte, rasierte und duschte ich mich, griff nach irgendwelchen Jeans und einem Shirt. Kurz zögerte ich, dann ging ich nochmals ins Bad und überdeckte meine Augenringe mit Concealer. Ein bisschen Make-Up konnte ebenfalls nicht schaden, ich sah nach all dem Weinen der vergangenen Tage ziemlich fertig aus und wollte nicht derart angeschlagen vor Angel treten.

Anschließend rief ich mir ein Taxi und ließ mich ins Krankenhaus bringen.

Angel war mittlerweile in ein normales Zimmer verlegt worden, in dem er allein lag. Als ich eintrat, fiel mein Blick zuerst auf Charly und Lara, die auf zwei Stühlen neben seinem Bett saßen, das sich in der linken Raumhälfte befand.

Dann glitten meine Augen zu Angel, dessen Schulter samt Arm noch immer in einem dicken Verband steckten. Da die Decke etwas nach unten geschoben war, konnte ich die restlichen Bandagen an seinem Oberkörper erkennen, die beinahe all seine Muskeln verbargen. Seine Soldatenerkennungsmarke fehlte – es war das erste Mal überhaupt, dass ich ihn ohne sie sah. Sonst hatte er sie stets getragen, aber wahrscheinlich hatten die Ärzte sie ihm für die Operation abgenommen und irgendwo in seinem Nachttisch verstaut.

Angel sah bleich aus und Stoppeln zierten seine Wangen. Normalerweise pflegte er seinen schwarzen Bart penibel, aber anscheinend fehlte ihm ein Rasierer. Auf der linken Gesichtshälfte war ein Bluterguss zu erkennen, der sich inzwischen dunkel verfärbt hatte. Sein Kopf war ebenfalls verbunden und das Haar stand ihm über den Bandagen wirr auf alle Seiten. Dennoch war er immer noch so schön, dass mir fast die Luft wegblieb.

Doch die Emotionslosigkeit, mit der er mich betrachtete, ließ mein Herz stolpern. Ich musste ihn nicht erst fragen, um es zu erkennen: Er wusste immer noch nicht, wer ich war.

Charly sprang von ihrem Stuhl hoch und lief mir entgegen, um mich zur Begrüßung zu umarmen, während ihre Mutter mir mit einem leichten Lächeln zunickte. Angels Tochter trug heute eine schwarze Jeans, die ihre schlanke Figur betonte, dazu den roten Pullover, den sie so mochte.

Lara hingegen hatte ein enges türkisfarbenes Etuikleid gewählt, das ihr hervorragend stand und sie wie eine Businessfrau wirken ließ. Womöglich hatte sie später noch einen Termin mit einem Kunden – sie war Immobilienmaklerin. Anders als sonst, trug sie kaum Make-up und ihre schwarzen Locken, die sie Charly ebenso wie die dunkle Haut vererbt hatte, waren lose hochgesteckt. Dadurch erschien sie jünger als die knapp dreiunddreißig Jahre, die sie eigentlich war. Fast sahen die beiden Frauen wie Schwestern aus, da ihre Tochter sie bezüglich der Größe inzwischen aufholte.

Charly nahm mir die Blumen ab, die ich mitgebracht hatte. Es handelte sich um den Strauß Rosen, den ich ihm vorgestern zu Hause auf den Tisch gestellt hatte. Mit dem ich Angel auf die Fährte locken wollte, ich hätte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn angeblich betrog.

Tief in meinem Inneren hatte ich gehofft, dass die Rosen vielleicht etwas bei Angel triggern könnten, aber so nüchtern, wie er mich gerade musterte, war das anscheinend nicht der Fall.

»Ich hol eine Vase dafür«, meinte Charly und verschwand mit den Blumen aus dem Zimmer.

Mir fiel auf, dass bereits ein großer Strauß auf dem Tisch stand, der sich an der rechten Wand gegenüber dem Bett befand. Wahrscheinlich stammte er von Lara und Charly.

»Hey«, sagte ich vorsichtig und trat näher.

Angels Augen, die seiner Tochter hinterhergesehen hatten, glitten abermals zu mir und wieder erschien diese Falte zwischen seinen Brauen. »Hans?«

»Hannes.« Ich versuchte mich an einem Lächeln, das gründlich in die Hosen ging.

Dass er sich nicht mal an meinen Namen erinnerte, fühlte sich wie eine Ohrfeige für meine Seele an.

Er nickte knapp und deutete mit der rechten Hand, die nicht in einem Verband lag, zu Charlys nun freiem Stuhl. »Setz dich.«

»Wie … geht es dir?«, fragte ich, nachdem ich seiner Aufforderung nachgekommen war.

»Ist die Frage ernst gemeint?«, brummte er. »Ich wurde von einem verdammten Bus gerammt.«

»Ich weiß, ich …«

»So ein schöner Strauß!«, rief Charly, die soeben mit der Vase zurückkam, in der nun meine Blumen standen. »Schau mal, Dad, die Rosen.«

»Hm. Super«, erwiderte er, doch es klang eher wie ›hm, Scheiße‹. Seine Augen wanderten zu Lara. »Lasst ihr uns bitte kurz allein?«

»Ich werde mit Charly in die Cafeteria gehen.« Lara erhob sich, legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter und schaute mich an. In ihren dunklen Iriden sah ich Mitgefühl aufflimmern. »Gib euch Zeit.«

Ich nickte und blinzelte gegen die Tränen an, die sich schon wieder in meinen Augen sammeln wollten. »Danke.«

Als wir allein waren, wandte sich Angel mir zu. »Ich habe an dich gedacht in den vergangenen Stunden«, sagte er mit rauer Stimme.

»Und?«, fragte ich hoffnungsvoll.

»Nichts.« Er schüttelte den Kopf und verzog gleich wieder sein Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, wer du bist oder warum ich die Idee gehabt haben sollte, mit dir zusammen zu sein.«

Ich atmete leise durch. »Kannst du bitte aufhören, so zu reden, als sei es vollkommen abwegig, dass wir ein Paar sind?«

»Ist es aber.«

»Ist es nicht«, hielt ich dagegen. »Du und ich … wir … wir lieben uns.«

»Du liebst mich, das ist ein Unterschied.«

»Genau so fing es an zwischen uns.«

»Du hast mich demnach gestalkt?« Er hob eine Braue.

»Nein … ich … also.«

»Ja oder nein?« Sein Gesichtsausdruck wurde energisch.

Ich knetete nervös mit den Fingern an seiner Bettdecke herum. »Nein. Ich war nur ziemlich … überzeugend.«

Sein Blick glitt über meinen Körper, als versuchte er, zu ergründen, was genau er an mir toll gefunden hatte. »Du hattest also überzeugende Argumente?«

»Ja, hm … eigentlich hattest du die«, erklärte ich und kaute auf meiner Unterlippe herum.

»Jetzt sprichst du noch mehr in Rätseln …« Er seufzte und verdrehte die Augen.

Mir kam eine Idee.

»Vielleicht …« Ich erhob mich und trat dicht zu ihm ans Bett. »Vielleicht hilft es, wenn ich dich küsse?«

Sein Blick wanderte zu meinen Lippen und verweilte dort. Ihm so nahe zu sein, obwohl er so weit von mir entfernt war, brachte mich schier um den Verstand.

»¿En serio? Du willst mich … küssen?«, fragte er verdutzt. »Verflucht, seh ich etwa aus wie Cinderella?! Ist das deine Vorstellung davon, wie du mich von dir überzeugen willst?«

»Dornröschen«, korrigierte ich ihn.

»¿Qué?« Er schob die Brauen zusammen, sodass sie sich oberhalb seiner Nase beinahe berührten.

»Nicht Cinderella. Es war Dornröschen, der ein Kuss half. Oder aber der Froschkönig, der verwandelte sich durch einen Kuss in einen Prinzen, doch du bist kein Frosch, also …« Ich unterbrach mich, da Angels Miene sich noch stärker verfinsterte. »Nun ja. Vielleicht erinnerst du dich durch den Kuss daran, wie du mich zum ersten Mal geküsst hast, als wir an der Reling standen«, meinte ich. »Das war … bei unserem ersten Date.«

»Du willst mir weismachen, dass der erste Kuss von mir ausging?« Ungläubigkeit zeichnete sein Gesicht.

Ich nickte. »Wir waren vergangenen August auf dem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer. Du … hast auf der Akropolis einem Date mit mir zugestimmt und danach waren wir abends noch auf einem Sonnendeck des Schiffs. Du hast mich geküsst und dann …« Ich wandte den Blick ab, da meine Wangen heiß wurden.

»Was dann?« Sein Ausdruck war voller Misstrauen, als ich ihn wieder anschaute.

Ich nahm all meinen Mut zusammen. »Dann … hast du mir … einen runtergeholt.«

Angel starrte mich an, als hätte ich ihm die schrägste Geschichte aller Zeiten aufgetischt.

Für ein paar Sekunden schwieg er, anschließend hob er mit zynischer Miene einen Mundwinkel und sein Blick wurde eisig. »Ach ja, hab ich das? Und wann genau habe ich dir auch noch einen Heiratsantrag gemacht? Gleich nachdem ich deinen Schwanz gelutscht hatte?«

»Du hast meinen Schwanz nicht gelutscht«, entgegnete ich mit bemüht fester Stimme und versuchte, seiner Musterung standzuhalten, ohne darunter zu verglühen. »Es war ein Handjob. Dafür habe ich mich aber am nächsten Tag in deiner Kabine mit einem Blowjob revanchiert und danach haben wir …«

»Alto. Stopp.« Angel hob die Hand. »Spätestens jetzt weiß ich, dass du komplette Scheiße laberst! Das kann definitiv nicht geschehen sein.«

»Weil du noch denkst, du kriegst seit deiner Entlassung aus dem Dienst keinen mehr hoch«, erklärte ich wissend.

Angels Mienenspiel wandelte sich von peinlich berührt, zu entgeistert, zu verärgert. »¡Por todos los demonios! Das soll ich dir erzählt haben?!«

»Hast du«, bestätigte ich. »Ich weiß, dass du das selbst deinem Psychiater lange verschwiegen hast und es der Grund für das endgültige Aus mit deinem Ex-Freund John war. Du … du liegst aber falsch, du hast keine Erektionsstörung mehr. Du hast mir gesagt, dass du meinetwegen wieder einen Ständer bekämst.«

»¡Maldita mierda!« Er lehnte sich zurück und starrte an die Decke, während er ein sarkastisches Lachen ausstieß, das ihn zum Zusammenzucken brachte, da seine Rippen wohl dagegen protestierten. »Ich bin also dank dir geheilt und raste vor Geilheit aus, weil du eine magische Zunge und verzauberte Hände hast?!« Er schaute mich wieder an und seine Iriden versprühten förmlich Funken. »Zur Hölle! Hörst du dir eigentlich gerade selbst zu?!«

Ich sah auf ihn hinunter, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wir … unsere Geschichte ist kompliziert.«

Er nickte und schnaubte leise. »Bueno.«

»Bueno, was?« Ich hob fragend die Brauen.

»Bueno, küss mich.«

»Wirklich? Jetzt?«

Seine Augen wurden schmal. »War schließlich dein verdammter Vorschlag. Wir waren zusammen, oder? Somit sollte das für dich viel weniger schräg sein als für mich. Ich kann mich nicht richtig bewegen, also beug dich verflucht noch mal zu mir herunter!«

»Na ja, ich … hm …«

Sein Blick begann zu lodern. »Fuck, hör auf rumzustottern und küss mich verdammt, dann haben wir das hinter uns!«

»Das … fühlt sich aber gerade nicht richtig an.«

»Jodidamente. Heul nicht rum! Es gibt Schlimmeres, als mich zu küssen, glaub mir! Willst du, dass ich mich an dich erinnere oder nicht?!«

»Ich … ja. Natürlich.«

Stimmte das? Wollte ich das wirklich?

Das hier wäre der ideale Ausweg aus allem. Angel wusste nichts mehr von unserer Beziehung, daher wäre er auch nicht traurig, wenn ich sterben würde. Im Gegenteil, vielleicht wäre er sogar froh, mich endlich los zu sein. So, wie er gerade mit mir umsprang, erinnerte er mich mit jedem Wort an den wütenden Panther, den ich damals auf dem Kreuzfahrtschiff getroffen hatte und der sich und die Welt hasste.

Es wäre so einfach.

Aber … ich konnte es nicht. Konnte ihm das nicht antun.

Ich hatte schon einen richtig schlimmen Fehler begangen, als ich über seinen Kopf hinweg entschieden hatte, was gut für ihn war. Das durfte ich nicht noch mal machen.

Ich liebte ihn.

Und er hätte an meiner Stelle alles darangesetzt, dass ich mich wieder an uns erinnerte, das war mir bewusst.

Ich sah ihm in die dunklen Augen, in denen dieses Feuer loderte, das ich so an ihm liebte. In denen ich mich verlieren konnte.

Für ihn wäre es, als würden wir uns zum ersten Mal küssen. So wie damals, als wir an der Reling gestanden hatten, wo er es gewesen war, der sich über mich gebeugt hatte. Weil er ergründen wollte, was das zwischen uns war. Weil er … weil er sich zu mir hingezogen fühlte.

Vielleicht würde dieser eine Kuss genügen und alles wäre wieder da? Seine Liebe zu mir, seine Zuneigung.

Jetzt, da ich sie nicht mehr hatte, vermisste ich sie umso mehr.

Obwohl ich gleichzeitig wusste, dass ich seine Liebe nicht mehr lange genießen dürfte. Weil ich krank war. Todkrank.

Womöglich war ich egoistisch, aber … ich wollte ihn trotz allem zurück. Den Angel, der mich liebevoll ansah, der mich zärtlich streichelte, der mit mir lachte und bei dem ich mich geborgen fühlen konnte.

Vielleicht würden wir noch eine Chance bekommen. Und wenn’s nur noch für ein paar Jahre war.

Daher … setzte ich mich auf den Bettrand und schloss kurz die Lider, atmete leise durch.

Dann beugte ich mich zu ihm hinunter und legte ihm eine Hand an die nicht verletzte Wange.

»Willst du mich jetzt küssen, oder erst noch deine Finger an meinem Gesicht abwischen?«, knurrte er.

»Ich liebe dich«, hauchte ich, ehe ich meine Lippen auf seine legte und erneut die Augen schloss.

Umgehend spürte ich wieder diese Schmetterlinge in meinem Bauch, das Verlangen nach ihm. Nach meinem düsteren Panther, meinem finsteren Engel.

Ich hörte, wie er leise die Luft durch die Nase einsog, registrierte, wie seine Lippen warm gegen meine drücken, als er den Kuss zögernd erwiderte. Ich fühlte seinen Bart, der so weich war, dass er an meinem Kinn kitzelte. War umgeben von seinem Geruch, der nicht von Parfüm oder Aftershave überdeckt wurde, wie ich trotz meiner immer noch leicht verstopften Nase feststellte.

Er.

Es war nur er.

Angel.

Mein Engel …

Ohne zu überlegen, öffnete ich den Mund etwas, strich ihm mit der Zungenspitze zärtlich über die Unterlippe und stellte zu meiner Freude fest, wie er mir Einlass gewährte.

Zaghaft drang ich in seinen Mund ein und ein leises Stöhnen entfuhr mir, als meine Zunge auf seine traf.

Ich öffnete die Lippen ein wenig weiter, um den Kuss zu vertiefen, um noch mehr von ihm zu kosten.

Doch da legte er die Hand an meine Schulter und schob mich von sich weg.

»Das genügt«, brummte er.

»Und?« Ich sah ihn hoffnungsvoll an. Mein Gesicht schwebte noch immer über seinem und ich merkte, wie meine Nase zu jucken begann.

Sein Blick glitt zwischen meinen Augen hin und her, dann schüttelte er leicht den Kopf. »Du küsst gut, aber da ist nichts. Keine Erinnerung.«

»Aber ich küsse gut«, wiederholte ich leise.

»Fuck. Willst du jetzt, dass ich dir einen verdammten Orden verleihe?!« Seine Miene verfinsterte sich wieder.

Ich richtete mich auf und zog ein Taschentuch aus der Hose, da das Jucken meiner Nase kaum mehr auszuhalten war.

Er fuhr sich mit dem Finger über die Lippen. »Bist du erkältet?«

»Ein bisschen.« Ich wandte mich ab, um mich zu schnäuzen.

»Warum verflucht küsst du mich dann?!«

Ich stopfte das Taschentuch zurück in die Hosentasche und sah ihn perplex an. »Ich dachte … du warst es doch, der den Kuss wollte.«

»Fuck – und du denkst nicht eine beschissene Sekunde daran, dass du mich anstecken könntest?! Übrigens war es dein verdammter Vorschlag!«

»Ich …«

»¿Maldito, qué tan estúpido fui? Falls wir wirklich zusammen waren, muss ich ziemlich viel Sonne auf dem Mittelmeer abbekommen haben, mir einen solchen Kasper wie dich anzulachen!«

»Kasper?«

»Meinetwegen Hannes, wenn dir das lieber ist.«

»Ist es.«

»Dios mío.« Er gestikulierte mit der gesunden Hand herum. »Wer zur Hölle nennt sich überhaupt so?! Das kann ja kein normaler Mensch aussprechen!«

»Ich. Ich tue das.« Gekränkt erhob ich mich vom Bettrand. »Ich glaube, es ist besser, ich gehe jetzt. Du kannst echt verletzend sein.«

Sein Gesicht verfinsterte sich noch stärker. »Ach, und das war dir nicht bewusst, als du damals ein Date mit mir gewollt hast?«

»Doch. Aber …«

»¡Santo cielo! Dann beschwer dich gefälligst nicht.« Er sah mich missmutig an.

»Angel«, seufzte ich. »Du … du hast dich verändert. Sehr sogar.«

»Sí. Das haben Amnesien nun mal so an sich«, grollte er.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich meine: als wir zusammen waren. Du hast an dir gearbeitet, bist in die Therapie gegangen und …«

»Fuck. Hör zu … Hannes.« Er betonte meinen Namen extra stark und es klang umso mehr wie eine Beleidigung. »Den Mann, den du da gerade beschreibst, gibt es hier in diesem Zimmer nicht. Okay? Und er wird ziemlich sicher nicht mehr wiederkehren, weil ich meine Erinnerungen an die vergangenen Monate für immer verloren haben könnte. Also ist es besser für dich, wenn du aufhörst, mich mit diesen Herzchenaugen anzusehen und stattdessen nach vorne blickst. Nimm dir einen anderen Kerl, dem du deine Viren in den Hals schmieren kannst. Ich bin definitiv nicht der Richtige für dich!«

»Doch, das bist du«, flüsterte ich und fuhr mir mit der Hand über die Augenpartie, ehe ich ihn wieder ansah. »Du verhältst dich genau so, wie zu Beginn unserer Beziehung und ich weiß auch warum.« Meine Stimme wurde fester. »Sobald du tiefere Emotionen entwickelst, stößt du einen von dir weg, fluchst herum und bist so unausstehlich, dass jeder vor dir fliehen würde. Jeder. Bis auf mich.« Ich sah ihn unbeirrt an. »Der Kuss. Er ist nicht spurlos an dir vorbeigegangen und das passt dir nicht. Mir aber schon. Denn es zeigt, dass du immer noch Gefühle für mich hast. Sonst würdest du mich nicht in einer Tour beleidigen und anknurren.«

Kapitel 3 - Magische Hände

Angel

 

¡Maldito, santa mierda!

Ich hatte keine Ahnung, wer der Kerl war, doch er schien mich zu durchschauen, als bestände meine Haut aus Zellophan.

Ich brummte eine spanische Verwünschung und funkelte ihn an. »Wer bist du, dass du solche dämlichen Floskeln von dir gibst? Sag bloß, ich ficke meinen neuen Psychiater.«

»Ich bin Kunsthändler«, erwiderte er und reckte das Kinn nach vorne.

»¿En serio? Kunsthändler?«

»Jap.« Er streckte nun auch noch den Rücken durch. »Ich lass dich jetzt etwas ausruhen. Soll ich dir von zuhause etwas mitbringen?«

Zuhause … es war so schräg, dass ich anscheinend mit dem Typen zusammenwohnte, aber überhaupt nichts darüber wusste. Von Lara hatte ich erfahren, dass wir vor drei Monaten in ein gemeinsames Loft in Manhattan gezogen waren, unweit von meinem alten Wohnort entfernt. Charly hatte mir Bilder davon gezeigt.

Aber sie hätte mir genauso gut irgendeine andere Wohnung zeigen können. Hätte nicht mein Mahagonitisch darin gestanden, hätte ich niemals geglaubt, dass das stimmte.

»Klamotten? Handyladegerät? Zahnbürste?«, zählte Hannes auf, als ich nicht antwortete und betrachtete mein Gesicht. »Rasierapparat?«

Unvermittelt fuhr ich mir über die stopplige Wange und nickte. »Alles davon.«

»Okay.« Er wandte sich zum Gehen.

Warum verspürte ich diesen Stich in meiner Brust? Dieses schlechte Gewissen, das in mir aufflammte?

Der Blondschopf war nerviger als eine ausgehungerte Stechmücke und ich sollte froh sein, wenn ich ihn los war. Dennoch drängte etwas in mir, ihn davon abzuhalten, das Zimmer derart niedergeschlagen zu verlassen.

»Hannes«, sagte ich, ehe er bei der Tür angekommen war. Er hielt mitten im Schritt inne, ohne sich zu mir umzudrehen. »Lo siento. Es … tut mir leid.«

Nun wandte er sich doch nochmals zu mir und sah mich fragend an. »Was genau?«

»Alles davon«, wiederholte ich meine Worte von vorhin und seufzte. »Du … hattest recht. Da war etwas, als du mich geküsst hast.«

Schon allein die Erinnerung, wie sich seine Lippen auf meinen angefühlt hatten, bescherten mir einen Schauer, den ich nicht richtig verstand. Als Hannes sich über mich gebeugt und mit diesen dunklen Knopfaugen gemustert hatte, hatte ich sie mit einem Mal gespürt. Diese Anziehung, die von ihm ausging.

Sein Duft nach Seife und einem leichten Rasierwasser war unaufdringlich, fast schon angenehm. Und seine Lippen … seine Zunge. Etwas in mir hatte sich augenblicklich danach verzehrt, hatte mehr von ihm kosten, mehr von ihm haben wollen.

Es war mir nur mit Mühe gelungen, ihn von mir zu stoßen.

Santa mierda …

Was war das, das sich in mir regte?

War es genauso gewesen, als ich ihn angeblich auf diesem Kreuzfahrtschiff zum ersten Mal geküsst hatte? Hatte ich damals dasselbe gefühlt? War das der Grund gewesen, warum ich ihn in mein kaputtes Leben ließ, das ihn offenbar nicht abschreckte?

Keine Ahnung. Und genau das machte mich gerade wahnsinnig.

Wenn es stimmte, was man mir erzählt hatte, hatte ich ihn tatsächlich geliebt. Und ihn sogar heiraten wollen.

Ich und heiraten. Viel schräger ging es ja wohl kaum.

Ah doch, ging es: Ich hatte Hannes heiraten wollen. Einen Mann, der so überhaupt nicht in mein Beuteschema passte. Er war viel zu klein und schlank – und wirkte so unschuldig und unverdorben, dass er und ich einen krassen Gegensatz zueinander darstellten. Und dennoch … dennoch spürte ich, wie etwas in mir nach ihm verlangte.

Er erschien mir wie ein braver Engel, wie jemand, den ich nie und nimmer haben könnte. Trotzdem hatte er mich gerade geküsst. Hatte mir gesagt, dass er mich liebte.

Wie konnte er solche Worte überhaupt in den Mund nehmen?

Niemand liebte mich. Weil ich nicht liebenswert war. Weil ich … weil ich wertlos war.

Aber … war ich das wirklich?

Hannes’ Blicke, Berührungen, Worte … Sie rüttelten an dieser Überzeugung.

Und exakt das verwirrte mich mehr, als ich zugeben wollte.

Warum? Warum hatte ich den Eindruck, dass ich ihm glauben könnte? Dass ich nur genauer hinsehen müsste, um es zu verstehen? Um zu erkennen, was er angeblich in mir sah?

Verfickte Scheiße!

Ich hasste es, nicht zu wissen, was zwischen uns geschehen war.

»Möchtest du darüber reden?« Er machte wieder einen Schritt auf mich zu. »Über das, was du während des Kusses gefühlt hast?«

Kurz zögerte ich, dann schloss ich die Lider. »Ich weiß nicht, ob es etwas bringt, darüber zu reden.«

»Nun ja, vögeln kann ich dich gerade nicht, also haben wir nicht viele Alternativen.«

Dass so ein Satz von diesem unschuldigen Blondschopf kam, ließ mich umgehend die Augen aufreißen und ihn entgeistert anstarren. »Was hast du da eben gesagt?«

Er kam zurück zu mir und sah auf mich herunter. »Sex«, murmelte er, ohne die Miene zu verziehen. »Anfangs wähltest du Sex, statt über Gefühle zu sprechen.«

»Tat ich das?« Dass meine Stimme mit einem Mal noch eine Spur heiserer wurde, konnte ich nicht verhindern.

Okay, das klang wirklich nach mir – vorausgesetzt, ich war tatsächlich wieder imstande, eine Erektion zu bekommen.

»Ja.« Er ließ wie zufällig seinen Blick zu meiner Leistengegend wandern. »Aber das wäre jetzt eine selten schräge Option.«

»Es wäre keine Option«, murmelte ich und sah ebenfalls an mir herunter.

»Gar keine?«

Ohne zu zögern, legte er seine Hand auf meinen Schritt. Auf meine linke Seite (verflucht, er wusste sogar, dass ich Linksträger war …). Und dann … spürte ich es. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit begann sich Blut dort unten zu sammeln. Nicht viel, aber genug, um meinen Schwanz ein wenig zucken zu lassen.

Hannes musste es ebenfalls bemerken, denn auf seinen ebenmäßigen Zügen breitete sich ein vielsagendes Lächeln aus, bevor er mich losließ und sich abermals über mich beugte. Seine dunklen Augen, in denen ich nun feine goldene Sprenkel registrierte, begannen zu leuchten und etwas an diesem Leuchten faszinierte mich auf der Stelle.

Eine Erinnerung wollte in mir hochsteigen, ehe ich sie allerdings zu fassen kriegte, war sie wieder verschwunden und mein Kopf wie leergefegt.

»Wusste ich’s doch«, flüsterte er und einer seiner Mundwinkel hob sich an, was ein kleines Grübchen auf seiner Wange erzeugte, das meinen Blick wie magisch anzog. »Da ist noch was zwischen uns.« Er richtete sich auf und trat einen Schritt vom Bett weg. »Ich komme heute Abend mit deinen Sachen.«

Unfähig, etwas zu antworten, starrte ich ihm hinterher, starrte noch die Tür an, als sie sich bereits hinter ihm geschlossen hatte.

Fuck … ich …

Der Kerl hatte wirklich magische Hände.

 

Charly und Lara kehrten nach einer Weile zurück, doch ich hatte keinen Nerv mehr dafür, mich mit ihnen abzugeben.

Nicht einmal mit Charly, die ich ansonsten äußerst gern um mich hatte. Aber meine Gedanken wanderten immer wieder zu diesem blonden Kerl, der mich mehr verwirrte, als gut für mich war. Zumal mein Kopf ohnehin von Schmerzen geplagt wurde, welche auf mein Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen waren.

Fortwährend befielen mich Schwindel und Übelkeit, was zusätzlich dafür sorgte, dass meine Nerven mehr als angespannt waren.

»Ich glaube, wir lassen deinen Dad jetzt etwas ausruhen«, meinte Lara, die offenbar bemerkt hatte, dass ich mich nicht wirklich auf irgendwelche Gespräche konzentrieren konnte.

Charly musterte mich mit ihren klugen dunklen Augen und mit einem Mal eroberte ein Lächeln ihr Gesicht. »Dad, ich habe eine Idee!«, rief sie und sprang von ihrem Stuhl auf.

Sie zog die Schublade des Nachttischchens hervor, in der die Krankenschwester meine Wertsachen verstaut hatte, und griff nach meinem Handy, das dort drin lag und das ich bisher nicht angerührt hatte.

Auffordernd streckte sie es mir entgegen. »Lies eure Chats.« Sie drückte mir das Telefon in die Hand, die nicht durch den Gips meines Armes eingeschränkt war. »Die von Hannes und dir. Vielleicht hilft dir das auf die Sprünge? Es kann doch nicht sein, dass du ihn komplett vergessen hast – er war … ist die Liebe deines Lebens!«

Liebe meines Lebens … Ich hätte laut gelacht, hätten meine angeknacksten Rippen das denn zugelassen. Meine Ex-Freunde waren allesamt durchtrainierte Bodybuilder oder zumindest sportliche Typen wie John gewesen (da hatten Lara und ich definitiv was gemeinsam, ehe sie den bodenständigen Tom getroffen und geheiratet hatte). Nie hatte ich mich zu kleinen Blondchen wie diesem Hannes hingezogen gefühlt.

Nie!

Dass er es dennoch mit nur einer Berührung vermochte, meine Libido zu wecken, störte mich daher zugegebenermaßen beinahe mehr als die Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, wie zum Teufel ich überhaupt wieder im Stande war, eine Erektion zu bekommen.

Allein die Gegenwart von Goldlöckchen konnte es wohl nicht sein, oder? Oder doch?

»Dad?«, riss mich Charly aus den Gedanken, die schon wieder nur um diesen Kasper gekreist waren.

»Hm?«, brummte ich.

»Liest du sie? Die Nachrichten?«

»Hm.« Ich hob das Telefon auf Augenhöhe und betrachtete es. Augenblicklich erkannte die Face-ID mein Gesicht (trotz Bandagen – Apple leistete echt hervorragende Arbeit) und entsperrte den Bildschirm. Der Akku zeigte noch dreißig Prozent, würde also eine Weile halten, bis Hannes mit dem Ladegerät kam.

»Wir lassen dich mal allein«, meinte Lara und erhob sich ebenfalls. »Setz dich nicht unter Druck, Angel. Mach besser ein paar Meditationsübungen, das wird helfen, hat der Arzt gemeint.«

»Meditationsübungen.« Ich grunzte und zuckte gleich wieder zusammen, da meine Rippen mir deutlich zu verstehen gaben, wie blöd sie diese Regung fanden.

Lara beugte sich zu mir und drückte einen Kuss auf meine gesunde Wange. »Wenn du was brauchst, melde dich, okay?«

»Bueno.« Ich sah sie an und dann zu Charly. »Gracias.«

»Tschüss, Dad.« Meine Tochter küsste mich ebenfalls und ich legte mein Telefon hin, um ihr die Hand in den Nacken zu legen. Dabei versanken meine Finger in ihren dichten Locken.

»Hasta luego, chiquitita«, murmelte ich, ehe ich ihren Kopf nochmals zu mir zog und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte.

Sie sah mich liebevoll an, nachdem ich sie losgelassen hatte, dann wandte sie sich ab und verließ mit ihrer Mutter zusammen das Zimmer.

Nun war ich wieder allein – mit meinen Gedanken und dem Handy, das verfickte Erinnerungen enthielt, an die ich mich nicht erinnerte.

Bevor ich mich dazu entschließen konnte, es abermals zu entsperren, klopfte es erneut (das war ja ein Kommen und Gehen hier wie auf einem Flughafen!) und eine Krankenschwester trat ein, um einige Gedächtnis-Tests mit mir durchzuführen. Diese dauerten eine geschlagene Stunde und als sie mich endlich verließ, war ich komplett müde. Sie hatte sich die ganze Zeit irgendwelche Notizen gemacht, die wohl meiner Diagnose dienten.

Um mich ein wenig zu erholen, schloss ich die Augen – und schlief direkt ein.

Die Medikamente, die Operation, der einsetzende Heilungsprozess … das alles zehrte an meinen Kräften.

Kapitel 4 - Wie man sein eigenes WhatsApp stalkt

Angel

 

Ich wachte erst auf, als die Uhr an der Wand bereits 4 pm anzeigte. Wenigstens pochte mein Kopf nicht mehr so stark und auch die Übelkeit hielt sich in Grenzen. Der Arzt hatte es als leichte Gehirnerschütterung bezeichnet, die in ein paar Tagen hoffentlich von selbst abklingen würde.

Mierda, ich hatte echt Glück gehabt … der Unfall hätte mich auch zum Krüppel machen können.

Mit einem Seufzen trank ich einen Schluck kalten Tee, den jemand in der Zwischenzeit hingestellt hatte, und suchte nach dem Telefon. Ich fand es wieder in der Schublade, wo es wohl dieselbe Person verstaut hatte, die mir den Tee gebracht hatte. Mein Blick fiel dabei auf meine Soldatenerkennungsmarke und einen silbernen Ring, die sich ebenfalls darin befanden.

Stirnrunzelnd nahm ich den Ring aus dem Nachttisch und betrachtete ihn. Er besaß eine Gravur mit einem Datum von vergangenem Sommer, aber die Zahlen sagten mir nichts.

War das der Verlobungsring, den mir Hannes vor drei Wochen angeblich geschenkt hatte?

Ich wandte ihn hin und her und zog ihn schließlich über den Ringfinger. Er passte perfekt und es fühlte sich beinahe an, als würde meine Hand sich daran erinnern, ihn getragen zu haben.

Schräg … Nein, gruselig.

Eilig streifte ich ihn wieder ab und legte ihn zurück in die Schublade neben meine Hundemarke.

Anschließend widmete ich mich dem Handy, um Charlys Vorschlag nachzugehen und nach den vergangenen Chats mit Hannes zu suchen.

Vielleicht half es meinem Gedächtnis ja tatsächlich auf die Sprünge. Zumindest war ich neugierig darauf, was genau ich so toll an dem Kerl fand, dass ich mich anscheinend in ihn verliebt hatte.

Es war komisch, neue Kontakte in der WhatsApp-Liste zu sehen, an deren Namen ich mich teilweise gar nicht erinnern konnte. Aber meine Suche galt einem einzigen Namen: Hannes Schmidt.

Tatsächlich fand ich ihn ziemlich weit oben, da ich augenscheinlich oft mit ihm geschrieben hatte.

»Echt jetzt? Ein Herzchen?«, brummte ich, als ich neben seinem Namen das rote Herz entdeckte.

Okay, das konnte definitiv nicht von mir stammen – nie würde ich einen Kontakt mit Herz abspeichern. Charly hatte bei ihrem Namen das Emoticon selbst angebracht. Hannes auch?

Ich kramte vergebens in meinen Erinnerungen, daher ließ ich es bleiben.

Mein Daumen zitterte ein wenig (ja, verflucht, ich war nun mal nervös, na und?!), ehe ich auf den Chat klickte und mir unser letzter Nachrichtenverlauf angezeigt wurde.

Das war vergangenen Mittwochabend gewesen. Vor gerade mal drei Tagen.

 

Angel:

Bist du am Wochenende wieder zu Hause?

 

Hannes❤️:

Ich hoffe. <3 Warum, hast du was geplant? (-:

 

Angel:

No.

 

Hannes❤️:

Ah, du vermisst mich, stimmt’s? :-D <3

 

Angel:

Werd einfach wieder gesund – oder Nicole. Ist mir einerlei.

 

Hannes❤️:

Lieb dich auch, mein Schatz. <3 ;-)

 

Ich hatte ihm daraufhin ein GIF geschickt, das einen Cartoon-Charakter darstellte, der sich die Kugel gab (okay, das passte definitiv zu mir). Er hatte mit vielen Lachsmileys geantwortet (und das passte zu ihm …). Danach gab es keine Nachrichten mehr zwischen uns.

Nicole.

Wer verdammt war das?

Mein Schädel begann stärker zu pochen, während ich durch meine Kontaktliste scrollte und endlich eine Nicole Schmidt fand.

Hannes’ Schwester? Oder Mutter? Eine Freundin, die denselben Nachnamen besaß? Oder …

Mierda, wie ich dieses Blackout hasste!

Ich wechselte wieder in den Chat mit Hannes und scrollte nach oben, zu den älteren Nachrichten. Er hatte mir viele Memes weitergeleitet – sein Humor war immerhin mit meinem auf einer Wellenlänge.

Eine Weile versank ich in den witzigen Bildern und schmunzelte, bevor ich weiterscrollte.

Da der Bildschirm irgendwann vor meinen Augen zu flimmern begann, musste ich das Handy kurz zur Seite legen, ehe ich weitermachen konnte.

Scheiß Gehirnerschütterung …!

Ich schloss die Lider und machte nun doch eine kurze Achtsamkeitsübung, um runterzufahren. Leider glitten meine Gedanken ständig weg, sodass ich es nach einigen Minuten aufgab.

Mit einem Seufzen nahm ich meine Nachforschung über Hannes und mich wieder auf.

Es würde mir keine Ruhe lassen, ehe ich nicht endlich mehr über ihn und unsere angebliche Beziehung erfuhr.

Keine Ahnung, wann ich zuletzt mit einem Mann so viele Nachrichten ausgetauscht hatte – und das, obwohl ich mit ihm zusammenwohnte, wir uns also ohnehin täglich über den Weg gelaufen waren! Ich erinnerte mich auf jeden Fall daran, dass John und ich uns nie viel geschrieben hatten.

Aber bei Hannes … da fand sich fast an jedem Tag irgendetwas und sei’s nur der Livestandort, den ich ihm offenbar ziemlich oft schickte.

Warum auch immer …

War er ein Kontrollfreak?

Ich klickte auf sein Profil und ging zu ›Medien, Links und Doks‹, da mir davon über hundert Stück angezeigt wurden.

Dann scrollte ich durch die Fotos. Viele davon stellten die Memes dar, die ich bereits vorhin betrachtet hatte. Einige Bilder von Wolken, Straßen, Gegenständen, Goldfischen und anderem Zeug waren auch dabei. Vor allem aber von irgendwelchen Sandstränden und Schiffen, da er wohl viele Fotos auf der letzten Kreuzfahrt geschossen und mir geschickt hatte. Ein paar davon zeigten Aufnahmen von uns beiden und mir wurde wieder schwindliger.

Schräg, dass ich mit ihm auf einer – zwei! – Kreuzfahrten gewesen sein sollte. Das passte so gar nicht zu mir.

Ab und an zeigten die Fotos Menschen, die ich nicht kannte. Eine Frau mit blaugrünen Haaren war öfter abgebildet (was war das denn für ein komischer Paradiesvogel?).

Ich stutzte, als mein Blick mit einem Mal auf ein Dickpic fiel, das definitiv nicht meinen erregten Schwanz zeigte, sondern den eines anderen Mannes. Da ich in unserem gemeinsamen Chatverlauf war, nahm ich an, dass es sich um Hannes’ Penis handelte – außer er hatte einen Kink und schickte mir Schniedel von anderen Typen.

Hm, nein, so schätzte ich ihn nicht ein.

Für einen Herzschlag zögerte ich, da es sich anfühlte, als würde ich dem Voyeurismus frönen. Aber Hannes und ich hatten in dem Leben, an das ich mich nicht mehr erinnerte, anscheinend schon mehrmals Sex gehabt und er kannte daher meinen Körper. Da war es nur rechtens, wenn ich auch wusste, womit ich es zu tun hatte, oder? (Und ja, verdammt, ich war neugierig!)

Also klickte ich auf das Dickpic und war erstaunt, wie scharf dieser Penis war.

Auffallend hell und ohne Vorhaut, die Dicke passte perfekt und die Länge ebenso. Interessanterweise konnte ich keinerlei Behaarung drum herum erkennen, auch wenn diese vielleicht im dämmerigen Licht in dem das Foto geschossen wurde, nicht sichtbar war.

Seine Hoden waren fest und klein, sodass ich tatsächlich ein Ziehen in meiner Lendengegend verspürte – und das Verlangen, sie zu berühren.

Ich könnte sie in eine Hand nehmen, sie sanft kneten, sie …

»Oh, du hast dein Handy gefunden?«, ertönte eine Stimme von der Tür her und ich fuhr zusammen, als hätte ich etwas Verbotenes getan.

Hatte ich auch … irgendwie. Keine Ahnung.

War es verboten, den Schwanz des Mannes zu betrachten, mit dem man angeblich verlobt war?

Als ich den Blick hob, war ich nicht erstaunt, Hannes in der Tür stehen zu sehen. Seine Stimme war unverkennbar, sie besaß diesen warmen Klang, der in meinem Kopf nachhallte, als würde ein lauer Wind durch mich hindurch fegen.

»Was schaust du dir an?«, fragte er und schloss die Tür hinter sich.

»Ich kann mich nicht daran erinnern, ›herein‹ gesagt zu haben«, knurrte ich und sperrte das Handy, bevor ich es verkehrt herum auf meinen Schoss legte (das fehlte noch, dass er mich dabei ertappte, wie ich ein Penis-Bild von ihm betrachtete).

Mein Schädel pochte nun wieder stärker, aber ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als Schwäche vor ihm zu zeigen.

»Ich hab zwei Mal geklopft und als du nicht geantwortet hast, nahm ich an, du schläfst«, meinte er, ehe er sich auf den Stuhl setzte, der immer noch neben meinem Bett stand.

»Ach, und dann dachtest du, du kommst einfach mal herein und siehst mir beim Schlafen zu?«, brummte ich.

Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich direkt wieder auf Krawall gebürstet war. Ich hasste es, wenn ich nicht die Kontrolle behielt – so viel hatte ich von meinen Sitzungen mit Dr. Turner, dem Psychiater, den ich nach meiner Entlassung aus der Navy besuchen musste, zumindest mitgenommen.

Und dieser Typ da vor mir war das Sinnbild des Kontrollverlustes!

Mein Körper erinnerte sich an Dinge, die mein Gedächtnis nicht mehr wusste. Reagierte auf Gesten und Worte von ihm, wie schon lange nicht mehr (wenn überhaupt) bei einem Mann.

Warum verdammt bloß? Warum?!

Kapitel 5 - Keine Lügen mehr

Hannes

 

Ich betrachtete Angel, der erholter aussah. Wahrscheinlich hatte er am Nachmittag ein wenig geschlafen. Etwas, das ich ebenfalls getan hatte, da mich die Müdigkeit zu Hause übermannt hatte. Die Nacht war äußerst kurz gewesen. Unter anderem, weil ich nicht nur an Angel, sondern auch an meine Diagnose gedacht hatte. Noch immer hatte ich meiner Mutter nichts davon erzählt, ich wusste einfach nicht, wie ich das Gespräch starten sollte.

Und irgendwie … wenn ich es aussprach, war es so endgültig. Dann war es wirklich wahr. Es kam mir vor, als würde ich damit die Lawine, in die ich in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren geraten würde, erst so richtig lostreten.

Noch kannte niemand meine Diagnose. Noch war ich für alle gesund.

Sobald ich es aussprach … wäre ich der Krebspatient.

Dennoch war mir klar, dass ich es tun müsste. Es führte kein Weg daran vorbei, die Menschen einzuweihen, die mir nahestanden. Ich würde morgen bei meiner Mutter vorbeifahren und mich am Montag dann beim Onkologen melden, um die nächsten Schritte zu besprechen.

Doch erst wollte ich mich um Angel kümmern.

Ein Schritt nach dem anderen …

Angel zog die Augenbrauen zusammen, als ich auf seine flapsige Bemerkung nicht einging. »Warum bist du schon hier?«

»Weil ich dachte, ich komme noch vor dem Abendessen«, meinte ich schulterzuckend. »Hier.« Ich hob seinen Seesack auf den Schoß, den er auf Reisen stets mitnahm. »Ich habe dir deine Sachen mitgebracht.«

Die Falte zwischen seinen Brauen wurde tiefer, während er das Gepäckstück betrachtete, das er ziemlich sicher erkannte. Anschließend nickte er. »Gracias. Stell es neben den Nachttisch.«

»Willst du nicht wissen, was drin ist?«, fragte ich.

Schließlich hatte ich eine Weile gebraucht, alles zusammenzusuchen. Sogar den Laptop hatte ich ihm eingepackt, sowie frische Unterwäsche und Trägershirts (in die kam er hoffentlich leichter mit seinem Verband rein), einen Bademantel – oh, und seinen Jogginganzug, sollte er fit genug sein, das Bett verlassen zu können.

Er warf mir einen seiner finsteren Blicke zu. »Por qué? Bist du der scheiß Weihnachtsmann und hast Geschenke eingepackt?«

»Nein.« Ich sah ihn an und seufzte. »Deine Laune ist noch nicht wirklich besser.«

»Weil es mir noch nicht besser geht«, knurrte er und ließ seine dunklen Iriden blitzen.

»Du erinnerst dich immer noch nicht an uns?«

»No.« Er schloss die Augen.

»Dann …« Ich deutete auf den Seesack, was er natürlich nicht mitbekam. »Das Passwort deines Laptops ist das Datum, das in deinem Verlobungsring eingraviert ist.«

»Hm.«

»Wo ist er?«

»Der Ring? Im Nachttisch.« Er schob die Brauen zusammen, ohne die Augen zu öffnen.

»Hast du …« Ich betrachtete sein Handy, das er bei meinem Eintreten wie ertappt auf den Schoß gelegt hatte. »Hast du unsere Nachrichten gecheckt?«

Er sah mich unter halb geschlossenen Lidern an und nickte stumm.

»Oh.« Ich rückte etwas näher. »Und?«

»Nichts.«

»Nichts?«

Er schüttelte kaum merklich den Kopf und wich meinem Blick aus. »Nichts, das … Erinnerungen wachrufen würde.«

Ich nahm mein eigenes Handy hervor, um zu schauen, was wir als Letztes miteinander geschrieben hatten, und spürte einen Stich in der Brust. Das war gewesen, ehe ich von meiner Diagnose erfahren hatte und aus allen Wolken fiel.

»Wer ist Nicole?«, fragte Angel in dem Moment.

Ich hob den Kopf und sah ihn an. »Meine Mutter.«

Er nickte verstehend. »Geht es ihr nicht gut?«

Jetzt war es an mir, seinem Blick auszuweichen.

Ich wollte ihn nicht anlügen, da ihn das womöglich noch mehr durcheinandergebracht hätte als ohnehin schon.

Aber … konnte ich ihm die Wahrheit sagen?

Gestern war ich der Überzeugung gewesen, dass ich das nicht konnte. Dass alles für Angel besser wäre, als zu wissen, dass ich bald starb.

Das war allerdings unendlich dumm von mir gewesen, das sah ich inzwischen ein. Eine Kurzschlussreaktion, die ich unter Schock getroffen hatte. Ein klassischer Hannes-baut-Mist-Durchfall. Nur dieses Mal so viel größer, dass es mir den Boden unter den Füßen weggerissen hatte – und Angel meinetwegen beinahe gestorben wäre.

»Was hat sie?«, fragte Angel, der mein Schweigen anscheinend falsch gedeutet hatte.

»Sie … sie ist gesund«, antwortete ich unvermittelt und kaute auf meiner Unterlippe herum.

»Was ist es dann?«, hakte Angel nach, der wohl merkte, dass ich ihm etwas verschwieg.

Ich sah ihm erneut in die Augen und atmete tief durch. »Ich«, sagte ich leise. »Ich bin es, dem es nicht so gut geht.«

»Das sagtest du schon. Du hast eine Erkältung«, brummte er und seine Miene wurde wieder finsterer, da er offenbar an unseren Kuss zurückdachte.

»Nein, das ist es nicht«, murmelte ich. »Ich … ich habe Krebs.«

Angel schaute mich erst ungläubig an, bevor er die Augen verengte. »Verarschst du mich?«

»Über Krebs macht man ebenso keine Witze wie über Queen Beyoncé«, entgegnete ich und hörte selbst, dass meine Stimme zitterte. »Natürlich verarsche ich dich nicht.«

Ein paar Lidschläge lang betrachtete Angel mich einfach nur, dann nickte er. »Tut mir leid.«

So emotionslos. Der Angel von gestern Morgen hätte nie so emotionslos auf diese Nachricht reagiert …

Ich spürte, wie wieder Tränen in meine Augen schossen und senkte den Kopf. »Mir auch«, flüsterte ich.

Wir schwiegen ein paar Sekunden, bevor Angel leise Luft holte.

»Mierda … ist es … schlimm?« Seine Stimme wurde nun doch noch so einfühlsam, wie ich sie kannte, beinahe sanft.

Mein Herz zog sich zusammen.

Nein, da waren Emotionen bei ihm. Es ließ ihn nicht gänzlich kalt.

Hätte er genauso reagiert, wenn ich es ihm vorgestern Abend gesagt hätte? Hätte er mich in den Arm genommen, mir ins Ohr geraunt, dass alles gut werden würde? Dass er für mich da wäre. Dass … er mich liebte?

Ich würde es nie erfahren.

»Ziemlich schlimm«, antwortete ich. »Ich …« Meine Finger nestelten an meiner Jeans herum. »Ich werde … Mir bleibt nicht mehr allzu viel Zeit.«

Als Angel nichts erwiderte, hob ich den Blick. Seine Augen ruhten betroffen auf mir und ich konnte einen inneren Kampf darin lesen.

Da war diese Wärme, die kurz aufflackerte. Diese … Zuneigung?

Nein, ich musste mich getäuscht haben.

»Wusste …« Er klang heiser und räusperte sich. »Wusste ich davon?«