Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - E-Book

Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Hätte Greifenreiterin Damaris ihrer Schwester nicht versprochen, drei Jahre lang im Magierzirkel von Chakas ihre Wassermagie beherrschen zu lernen, wäre sie wohl bereits am ersten Tag zurück ins Talmerengebirge geflogen. So aber versucht sie, sich der neuen Situation anzupassen. Dass Cilian, der Leiter des Greifenordens, eine starke Anziehungskraft auf sie ausübt, ist dabei ebenso wenig hilfreich wie die Hänseleien der Mitschüler. Und da wäre noch der mürrische Greifenreiter Adrién, der mehr über Magier und deren Intrigen zu wissen scheint, als er preisgibt. Doch Damaris wäre nicht Damaris, wenn sie nicht ihre ganz eigene Art fände, mit den Widerständen zurechtzukommen. Nicht ahnend, dass sie sich dabei auf ein gefährliches Terrain begibt …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte Altra

Karte Stadt Chakas

Vorwort

Kapitel 1 - Cilian

Kapitel 2 - Damaris

Kapitel 3 - Damaris

Kapitel 4 - Cilian

Kapitel 5 - Damaris

Kapitel 6 - Damaris

Kapitel 7 - Cilian

Kapitel 8 - Damaris

Kapitel 9 - Cilian

Kapitel - Damaris

Kapitel 11 - Cilian

Kapitel 12 - Damaris

Kapitel 13 - Cilian

Kapitel 14 - Damaris

Kapitel 15 - Damaris

Kapitel 16 - Damaris

Kapitel 17 - Damaris

Kapitel 18 - Damaris

Kapitel 19 - Damaris

Kapitel 20 - Damaris

Kapitel 21 - Cilian

Kapitel 22 - Damaris

Kapitel 23 - Cilian

Kapitel 24 - Cilian

Kapitel 25 - Damaris

Kapitel 26 - Damaris

Kapitel 27 - Damaris

Kapitel 28 - Cilian

Kapitel 29 - Damaris

Kapitel 30 - Damaris

Kapitel 31 - Damaris

Kapitel 32 - Adrién

Kapitel 33 - Damaris

Kapitel 34 - Adrién

Kapitel 35 - Cilian

Kapitel 36 - Damaris

Kapitel 37 - Cilian

Kapitel 38 - Damaris

Kapitel 39 - Damaris

Kapitel 40 - Damaris

Kapitel 41 - Damaris

Kapitel 42 - Cilian

Kapitel 43 - Cilian

Kapitel 44 - Damaris

Kapitel 45 - Damaris

Kapitel 46 - Cilian

Nachwort der Autorin

Glossar

 

C. M. SPOERRI

 

 

Damaris

Band 1: Der Greifenorden von Chakas

 

 

Fantasy

 

Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas

Hätte Greifenreiterin Damaris ihrer Schwester nicht versprochen, drei Jahre lang im Magierzirkel von Chakas ihre Wassermagie beherrschen zu lernen, wäre sie wohl bereits am ersten Tag zurück ins Talmerengebirge geflogen. So aber versucht sie, sich der neuen Situation anzupassen. Dass Cilian, der Leiter des Greifenordens, eine starke Anziehungskraft auf sie ausübt, ist dabei ebenso wenig hilfreich wie die Hänseleien der Mitschüler. Und da wäre noch der mürrische Greifenreiter Adrién, der mehr über Magier und deren Intrigen zu wissen scheint, als er preisgibt. Doch Damaris wäre nicht Damaris, wenn sie nicht ihre ganz eigene Art fände, mit den Widerständen zurechtzukommen. Nicht ahnend, dass sie sich dabei auf ein gefährliches Terrain begibt …

 

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Juli 2020

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-148-2

ISBN (epub): 978-3-03896-149-9

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Liebe will nicht gesucht, sondern gefunden werden.

C

Altra

Stadt Chakas

Vorwort

 

Diese Geschichte spielt in der ersten Epoche unserer Zeit. Damals lebten noch Wesen und Kreaturen auf unserem Planeten, die wir heute bloß noch aus Märchen und Sagen kennen.

Aber es gab sie – damals.

Die Legenden besagen, dass in der Zeit der ersten Epoche ein Land existierte, welches Altra hieß. In diesem Land gab es fünf große Völker: Menschen, Elfen, Zwerge, Gorkas und Drachen. Alle lebten sie friedlich nebeneinander, bis zu dem Tag, an dem die Menschen von den Göttern wertvolle Geschenke erhielten: die Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde – und Magie. Fortan bestimmten die Elemente ihren Alltag und ihre Fähigkeiten.

Im Jahr 11 248 gab es einen Machtwechsel im Lande Altra, der die magischen Zirkel, in welchen die Magier ihre Kräfte beherrschen lernten, nachhaltig veränderte. Zum Guten. Denn durch die neuen Strukturen erhielten die Magier weniger Macht.

Dennoch schwebt ein neuer Krieg wie ein Damoklesschwert über den Bewohnern Altras. Viele Magier sind mit den neuen Strukturen nicht zufrieden und verlangen die alten zurück. Eine Tatsache, die auch den Zirkel in Chakas betrifft, in welchem diese Geschichte spielt. Die Geschichte von Cilian und Damaris.

 

Wir schreiben das Jahr 11 256 der ersten Epoche und Cilian, der Leiter des Greifenordens von Chakas, hat alle Hände voll damit zu tun, seine Greifenreiter soweit zu trainieren, damit er sie in ganz Altra zum Schutz der Menschen einsetzen kann.

Einige von euch kennen Cilian bereits aus der Alia-Reihe oder der Greifen-Saga. Jetzt ist es an der Zeit, dass seine Geschichte erzählt wird. Eine Geschichte, so ruhig wie die See an einem schönen Sommertag. Doch der Schein trügt, denn unter der Wasseroberfläche lauern Gefahren und Intrigen, die nicht nur Cilians Schicksal für immer verändern, sondern auch das der Greifenreiterin Damaris.

 

Viel Vergnügen mit einem weiteren Abenteuer in Altra und auf eurer Reise zu einem Ort, der auch ›Stadt der Sonne‹ genannt wird. Aber wie heißt es so schön? Wo immer die Sonne scheint, herrscht Dürre – es braucht auch Regen, damit etwas gedeihen kann.

 

Eure Corinne

 

Kapitel 1 - Cilian

 

Die Macht, die durch meine Adern fließt, zerreißt mich beinahe. Ich presse die Augen zusammen, mahle mit den Kiefern und balle die Hände zu Fäusten, während ich versuche, möglichst gleichmäßig zu atmen.

Mein Körper verändert sich, es fühlt sich an, als würde jede Muskelfaser bersten und sich neu formen. Was ungefähr dem entspricht, was mit mir gerade geschieht – ich bin dabei, mich zu verjüngen. Nicht viel, nur ein paar Jahre, die mein Äußeres wieder aussehen lassen, als wäre ich erst dreiundzwanzig. Dabei ist meine Seele schon so lange auf dieser Welt … viel zu lange.

Ich habe eine Weile gebraucht, um mich zu diesem Schritt durchzuringen, da ich im Grunde einfach gerne in Würde sterben möchte. Aber die Verjüngung war notwendig, denn je älter ich äußerlich werde, desto weniger hält mich in diesem Leben. Desto weniger Sinn sehe ich darin, weiterhin meinen Posten als einer der fünf Räte des Zirkels von Chakas zu bekleiden. Eine Aufgabe, die ich gleichermaßen liebe, wie ich sie hasse. Ich liebe sie, da sie mir einen Sinn im Leben gibt. Und hasse sie, weil sie alles von mir abverlangt, mich regelrecht aufsaugt.

Die Magie zerrt an meinem Innersten und ich spüre, dass es Zeit ist, loszulassen. Langsam bringe ich meine Kräfte zum Versiegen, schicke sie zurück in die Nähe meines Herzens, wo ich jederzeit wieder darauf zugreifen kann.

Ein leises Krächzen erklingt neben mir und ich muss meine Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass es mein Königsgreif Mondsichel ist, denn sein Geist stößt meinen an, wärmt ihn, hält ihn in einer liebevollen Umarmung umschlungen.

Doch. Es gibt noch etwas, das mich in diesem Leben hält: der Greifenorden von Chakas, dessen Oberhaupt ich seit vielen Jahren bin. Ich habe ihn zu dem gemacht, was er nun ist, habe jeden einzelnen Greifenreiter, der sich hier im magischen Zirkel aufhält, ausgesucht und ausgebildet. Inzwischen zählt der Orden fast vier Dutzend Mitglieder, worauf ich stolz bin. Aber es sollen noch viel mehr werden und irgendwann werde ich es schaffen, die Greifenreiter in alle Regionen von Altra zu entsenden, damit sie über die Menschen wachen und sie beschützen. Das ist mein Ziel und auch der Grund, wieso ich nun vor dem Spiegel in meinen Gemächern stehe und langsam den Kopf hebe.

Es benötigt einiges an Überwindung, die Augen zu öffnen und meinem jüngeren Ich ins Gesicht zu blicken. Ich blinzle, sehe den Spiegel im Schein der Kerzen, die ich um mich herum entzündet habe, und … meine Reflexion darauf. Die braunblonden Locken, die stets unbändig in mein Gesicht fallen, den Dreitagebart, den ich mir seit Kurzem wachsen lasse, die azurblauen Augen, die mich jeden verdammten Tag meines Lebens an meinen toten Vater erinnern.

Rasch wende ich den Blick von meinem Gesicht ab und lasse ihn stattdessen über den Körper wandern. Da ich allen gesagt habe, dass ich heute Abend nicht gestört werden will, habe ich mich bis auf den Lendenschurz ausgezogen und kann nun problemlos die Veränderungen an mir sehen, welche ich dem Verjüngungsritual zu verdanken habe. Meine Muskeln sind definiert und so straff, dass sie sich zusammenziehen, als ich mich ein wenig bewege. Ich bin nicht allzu breitschultrig oder muskelbepackt, war immer schon schlank und groß gewachsen. Im Grunde bin ich zufrieden mit meinem Körper. Und mich in der alten Form zu sehen, ringt mir nun doch noch ein Lächeln ab. Es fühlt sich fast an, als wäre eine schwere Last von meinen Schultern genommen worden.

Im Selbstbetrug war ich schon immer gut …

»Willkommen zurück, Cilian«, murmle ich mir zu und greife dann zu einem leichten Burnus aus hellem Leinen und meinen Stiefeln, die ich anziehe.

Ein Blick zum Balkon, der an mein Schlafzimmer angrenzt, zeigt mir, dass sich mein Greif inzwischen hingelegt hat. Er ist ein beeindruckendes Geschöpf und sein Löwenkörper pechschwarz. Die Federn, welche den Adlerkopf bedecken, sind ebenfalls schwarz, doch die Flügel und der Schnabel glänzen im Mondlicht silbern – bei Tageslicht besitzen sie die Farbe von Anthrazit. Ein weißer Federkranz an seiner Kehle hat ihm den Namen ›Mondsichel‹ eingebracht.

»Danke für deine Magie, mein Junge«, sage ich zu ihm.

Er lässt ein Gurren hören, das eher zu einer Taube als zu einem Adler passt, und blinzelt mich müde an. Auch ihn hat das Magiewirken angestrengt, was mir ein schlechtes Gewissen beschert. Natürlich hätte ich die Verjüngung auch ohne seine Hilfe geschafft – ich bin ein genügend mächtiger Magier, und nur ein paar Jahre zu verändern, kostet mich nicht allzu viel Körperwärme, die für den Zauber notwendig ist. Doch mit den Kräften des Greifs geht es schneller und ist weniger auslaugend. Wie jeder Greifenreiter habe ich mich mit meinem tierischen Gefährten verbunden und wir können in Gedanken kommunizieren. Nicht mit Worten, sondern eher mit Bildern, die wir uns gegenseitig im Geist schicken.

So wie jetzt – Mondsichel lässt vor meinem inneren Auge einen Berg Fleisch erscheinen und ich lache leise auf.

»Du bekommst morgen eine Extraportion, wie versprochen.« Ich schmunzle und will gerade zu ihm gehen, um ihn zwischen den katzenartigen Ohren auf seinem Adlerkopf zu kraulen, da lässt mich ein Klopfen an meiner Tür innehalten. »Ich habe doch gesagt, ich will heute Abend nicht mehr gestört werden«, murmle ich leise, durchquere aber das Zimmer und öffne die Tür.

Vor mir steht eine junge Frau, die den Unmut, der sich in mir bilden wollte, augenblicklich wegwischt. Ein Blick in ihr Gesicht – und meine Lippen verziehen sich automatisch zu einem Lächeln.

»Mica«, höre ich mich sagen und würde mir am liebsten auf die Zunge beißen, weil ich den Namen viel zu sanft ausgesprochen habe.

Mica ist eine meiner besten Greifenreiterinnen. Während ich Wassermagie beherrsche, kann sie über das Feuer gebieten und bildet inzwischen selbst Rekruten aus.

»Cilian«, erwidert sie und ihr Blick gleitet erstaunt über mein verjüngtes Gesicht. »Du … siehst verändert aus.« Sie legt den Kopf schief und wischt sich ein paar Strähnen ihres silbernen Haares, das sie der Begegnung mit einer Sirene zu verdanken hat, nach hinten. Es lässt sie älter aussehen als ihre einundzwanzig Jahre, aber womöglich liegt dieser Eindruck auch an ihren klugen, dunklen Augen. »Hast du dich verjüngt?«

Ich nicke und fahre mir mit der Hand durch die Locken – vergebens, sie fallen wie immer direkt in meine Stirn zurück. »Nur ein paar Jahre, es war wieder an der Zeit.«

Sie nickt ebenfalls und ein Lächeln erscheint auf ihrem hübschen Gesicht. »Steht dir.«

Ich versuche, mich nicht zu sehr über das Kompliment zu freuen. Sie ist tabu für mich, da sie verheiratet ist und ein Kind erwartet, wie mir ein Blick auf ihren runden Bauch in Erinnerung ruft. Und ich gönne ihr das Glück von ganzem Herzen … trotzdem wird eben Letzteres immer ein wenig schwerer in ihrer Nähe. Da kann ich nichts dagegen tun.

»Lass mich raten, du bist jetzt … vierundzwanzig?« Ihr Lächeln wird breiter.

»Dreiundzwanzig«, korrigiere ich sie.

»Gibt es einen Grund dafür, dass du ausgerechnet dieses Alter gewählt hast?«, will sie wissen.

»Nein.«

Doch. Aber das geht nur mich etwas an.

»Hm.« Sie scheint zu merken, dass ich ihr nicht die Wahrheit sage, bohrt aber nicht weiter nach.

»Und gibt es einen Grund, wieso du mich spätabends in meinen Gemächern aufsuchst?«, wechsle ich das Thema.

»Ah, richtig«, antwortet sie und das Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht. Kein gutes Zeichen … »Es gibt … also da ist ein Neuankömmling.«

»Für den Zirkel?« Ich hebe überrascht die Augenbrauen. Normalerweise werden die jungen Magier, die im magischen Zirkel ausgebildet werden sollen, in einer feierlichen Zeremonie alljährlich zur Sommersonnenwende aufgenommen. Dass mitten in der Nacht ein Anwärter auftaucht, ist äußerst ungewöhnlich.

Mica schüttelt den Kopf. »Für den Greifenorden.«

Meine Augenbrauen hüpfen noch stärker in die Höhe und ich muss mich zusammenreißen, damit mein Mund nicht aufklappt. »Den …«

Mica nickt mit vielsagendem Blick. »Sie ist mit einem Greif hierher geflogen. Du solltest sie dir ansehen. Sie scheint etwas … Besonderes zu sein.«

»Sie?«

»Ein Mädchen von vielleicht …« Sie zieht die Augenbrauen zusammen und tippt sich mit dem Finger nachdenklich an die Unterlippe. »… sechzehn, siebzehn Jahren?« Das Lächeln kehrt auf ihr Gesicht zurück. »Sie ist sympathisch, aber ich glaube, sie hat es faustdick hinter den hübschen Ohren. Nun ja, damit kennst du dich ja aus.« Sie grinst mich an und ich erinnere mich nur zu gut daran, dass auch Mica nicht die einfachste Greifenreiterin war, als ich sie unter meine Fittiche nahm.

Ich erwidere ihr Lächeln und unterdrücke den Drang, ihr über den Arm zu streichen. »Nun gut, dann führ mich zu ihr.«

»Wie der Herr befiehlt.« Sie lacht leise und wendet sich zum Gehen, während ihre silbernen Locken im Schein der Fackeln glänzen, die den Gang erhellen.

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen folge ich ihr.

 

Da es Abend ist, begegnet uns kaum jemand, während wir durch den Wasserzirkel schreiten, in dem sich meine Gemächer befinden. Früher habe ich im Hauptgebäude gewohnt, inzwischen aber ein Zimmer in dem Zirkelgebäude gewählt, in welchem ich Wassermagie unterrichte – neben meinen Aufgaben im Greifenorden eine schöne Abwechslung, wenn auch ziemlich anstrengend. Doch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat mir immer schon gefallen, auch schon bevor …

Rasch verscheuche ich die aufkommenden Gedanken an meine Vergangenheit, die mich nur traurig stimmen würden, und versuche stattdessen, mit Mica ein unverfängliches Gespräch zu starten.

»Wie geht es deinem Gemahl?« Ich merke im selben Moment, dass es die falsche Frage war, denn das Gesicht der Greifenreiterin verfinstert sich.

»Ich habe ihn seit zwei Wochen nicht mehr gesehen«, antwortet sie schulterzuckend. »Ich nehme an, es geht ihm gut, sonst hätte er sich gemeldet.«

Ich nicke stumm. Beziehungen sind schwierig und Mica hat sich wahrlich nicht den einfachsten Mann ausgesucht, mit dem sie ihr Leben verbringt.

Als wir im Nebengebäude ankommen, in welchem der Greifenorden untergebracht ist, bleibe ich kurz stehen und betrachte es. Im schwachen Licht, das der Mond und die Sterne auf den magischen Zirkel werfen, erscheint es beinahe weiß. Wir haben es vor einem Jahr errichtet, als die alten Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, um die Greifenreiter zu unterrichten. Hier findet der Theorieunterricht statt – der praktische allerdings in einer Arena, die zwischen den Klippen am Meer gut vor neugierigen Blicken verborgen ist.

»Kommst du?«, fragt Mica, die ebenfalls stehen geblieben ist. »Sie wartet in der Bibliothek.«

Ich nicke und folge der jungen Frau, die nun das helle Gebäude betritt.

Die Wärme des Tages ist hier noch deutlich zu spüren – heute war es besonders heiß. In Chakas herrscht ein trockenes Wüstenklima, das häufig zu schlaflosen Nächten führen kann, wenn man die Hitze nicht gewohnt ist. Obwohl die Handelsstadt direkt am Meer liegt, kann nicht einmal die sanfte Brise, die stets vom Hafen über die Stadt weht, eine wirkliche Abkühlung bringen. Ich liebe die Wärme, die mich Tag und Nacht umgibt – deswegen könnte ich mir auch nicht vorstellen, woanders zu leben. Selbst wenn ich nicht Zirkelrat und Ordensleiter wäre.

Wir durchqueren die Eingangshalle und betreten die Bibliothek, welche noch nicht allzu viele Bücher besitzt. Die meisten Regale sind leer, da ich erst vor Kurzem beschlossen habe, alles, was man über Greife und Greifenmagie wissen sollte, hier zu sammeln. Aber ich habe vor, irgendwann die umfangreichste Bibliothek zu besitzen, die es über diese besonderen Geschöpfe gibt, daher habe ich auch selbst begonnen, mein Wissen in Büchern festzuhalten. Das Schreiben hilft mir, abends, wenn ich nicht schlafen kann, auf andere Gedanken zu kommen und mich auf das zu konzentrieren, was mir am Herzen liegt: der Greifenorden.

Als ich nun die Bibliothek betrete, sehe ich mich suchend um und entdecke eine junge Frau, die auf einem der roten Sessel sitzt, die ich überall zum Lesen und Verweilen habe hinstellen lassen. Die Anwärterin hat pechschwarzes Haar, das glatt bis knapp über ihren Nacken fällt, und Sommersprossen auf ihrer Stupsnase. Ihr Gesicht ist schmal, ihre Augen wirken klug und neugierig, als sie auf mich treffen. Ich vermeine, ihre hellen Iriden kurz auffunkeln zu sehen, aber das kann ich mir auch einbilden. Ihre Miene bleibt ernst und skeptisch, während Mica und ich auf sie zugehen.

Mir fällt auf, dass sie Kleidung aus dichtem Stoff trägt, der bestimmt viel zu warm ist. Ich werde ihr angemessene Gewänder geben lassen, damit sie sich hier wohler fühlt.

Als sie sich erhebt, erkenne ich, dass sie schlank, beinahe zierlich ist. Sie reicht mir gerade mal bis zur Brust und ist damit sogar noch kleiner als Mica.

Mit einem Lächeln strecke ich ihr die Hand entgegen, welche sie jedoch nicht ergreift. Stattdessen mustert sie mich mit undurchsichtigem Blick.

Kapitel 2 - Damaris

 

Der Greifenorden von Chakas … das ist er also. Als ich eingewilligt habe, hierher zu gehen, war mir nicht klar, dass es einer Reise zum anderen Ende der Welt gleichkommt. In dieser Wüstenstadt ist es viel zu warm und stickig – mir fehlt die Kälte, die mich im Talmerengebirge stets umgab. Zudem konnte ich in der trockenen Einöde nur wenige Bäume oder andere Pflanzen ausmachen.

Sand, Steppe und Felsen … nicht gerade das, was Hochgefühle in mir hervorruft.

Das Einzige, was mich beeindruckt hat, war das Meer. Es ist das erste Mal, dass ich es sehe, und nie im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass es so … endlos ist. Beinahe habe ich dieselbe Ehrfurcht verspürt, wie wenn ich über die Bergspitzen der Talmeren fliege und mir gegenüber den Gesteinsmassen, die seit Jahrtausenden das Land Altra teilen, klein und unbedeutend vorkomme.

Den Sonnenuntergang, den mir die Götter boten, als ich an der Küste ankam, werde ich wohl für immer in meinem Herzen tragen. Er war atemberaubend schön.

Ansonsten fühle ich mich hier reichlich fehl am Platz. Während ich auf diesen ominösen Ordensleiter gewartet habe, überlegte ich, ob ich nicht einfach abhauen könnte. Dann dachte ich wieder an das Versprechen, das ich meiner älteren Schwester gab, und seufzte die halb vollen Bücherregale an.

Drei Jahre …

Drei verdammte Jahre soll ich hierbleiben und meine Kräfte unter Kontrolle bekommen.

Das ist viel zu lange …

Doch es bleibt mir wohl keine Wahl, denn die Alternative ist, dass ich weiterhin eine Gefahr für meine Umwelt darstelle. Und das will ich nicht mehr. Nie wieder. Also habe ich eingewilligt, mich im Orden von Chakas zu einer richtigen Greifenreiterin ausbilden zu lassen.

Jetzt sitze ich also hier im Magierzirkel. Ich weiß, dass es für jedes der vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde und Luft – eine Elementgilde in der Stadt gibt. Wenn man auch noch Magie in sich trägt, muss man diese im Magierzirkel, der ebenfalls in vier Elemente unterteilt ist, beherrschen lernen. Jedes Element besitzt andere Eigenschaften und hilft dem Träger, seinen Beruf zu erlernen. Luftbegabte können beispielsweise gut jagen, Feuerbegabte sind hervorragende Kämpfer oder Schmiede. Jeder hat also seinen Platz in Altra – auch ich mit meiner Wasserbegabung und der Magie, die vor einigen Jahren in mir erwachte.

Mein Blick gleitet zum Fenster, wo mein Greif namens Schneeflocke sitzt. Der Name passt zu seinem weißen Löwenfell und den ebenso weißen Federn. Er hat es in dem stickigen Raum nicht ausgehalten und sich stattdessen auf die Fensterbank begeben, auf der er nun wie eine Katze balanciert – ein ziemlich beeindruckendes Kunststück, das er mit seinen Löwenpranken vollführt.

Gerade als ich überlege, zu ihm zu gehen und ihm die Federn zu streicheln, betritt die komische Frau mit den Silberlocken, die sich mir als Mica vorgestellt hat, wieder den Raum – gefolgt von einem jungen Mann, der auf der Stelle meinen Blick gefangen nimmt.

Ist das der Ordensleiter? Ich habe mir einen alten Sack mit langem Bart vorgestellt – nun einen derart attraktiven Mann zu sehen, verblüfft mich über alle Maßen.

Gut, vielleicht wird der Aufenthalt hier doch interessanter, als ich dachte …

Ich muss ihn ziemlich dämlich anstarren, denn das Lächeln, das er mir schenkt, wirkt fast schon mitleidig, während er vor mich tritt und mir seine Hand entgegenstreckt. Aber ich kann nichts anderes tun, als in diesen azurblauen Augen zu ertrinken, die mich sanft mustern, während mein Herz zu flattern beginnt, als wäre es ein Kolibri, der zu viel Honig genascht hat.

»Willkommen in Chakas«, spricht er mit einer gottgleichen Stimme, die mich erschaudern lässt. »Mein Name ist Cilian und ich leite den Greifenorden.«

Als ich seine Hand immer noch nicht schüttle, zieht er sie zurück und sein Lächeln wird ein wenig breiter.

Verdammt noch eins, jemand hat die ohnehin schon hohen Temperaturen in diesem Raum erhöht. Anders ist nicht zu erklären, dass meine Wangen zu brennen beginnen.

Zum Glück wendet sich Cilian in dem Moment von mir ab, denn Schneeflocke hat ein heiseres Krächzen ausgestoßen und ist elegant von der Fensterbank gesprungen, um den Neuankömmling ebenfalls in Augenschein zu nehmen. Mit seiner beeindruckenden Gestalt schlendert der Greif wie ein Löwe auf Cilian zu, die katzenartigen Ohren eng an den Kopf gelegt, jeden Muskel angespannt. Dabei schickt er mir ein Bild eines Wolfes – einem Tier, das er mit Argwohn verbindet. Ich verstehe das Signal, das er mir damit senden möchte: Vorsicht.

»Ein Albino«, stößt Cilian verwundert aus und benennt damit eine Tatsache, die mir selbst erst vor einigen Monaten klar geworden ist.

Meine Erfahrung mit Greifen ist gelinde gesagt gering – eigentlich beschränkt sie sich ausschließlich auf Schneeflocke. Ich habe zwar Bücher gelesen, in denen diese Kreaturen beschrieben wurden und sogar Zeichnungen gesehen, aber diese waren schwarz-weiß. Daher habe ich auch angenommen, es wäre normal, dass Greife weiß sind und rote Augen besitzen.

Nun ja, wie man sich täuschen kann …

»Du hast dich mit ihm verbunden?«

Cilians Frage ist an mich gerichtet, obwohl er nur noch Augen für meinen Greif hat.

»Ja«, sage ich endlich mein erstes Wort und lenke damit Cilians Aufmerksamkeit wieder auf mich.

Er hebt eine Augenbraue. Wenn er darüber erstaunt ist, dass ich eine für mein Alter ziemlich tiefe Stimme besitze, ist das die einzige Regung, die seine Überraschung verrät. »Wie lange seid ihr schon verbunden?«, will er wissen.

»Seit fünf Jahren«, erkläre ich und verschränke trotzig die Arme vor der Brust.

»Seit …« Cilians Augen weiten sich ein wenig, während er sich gedankenversunken über den Dreitagebart streicht. »Wie alt bist du?«

Hoppla, der wird aber rasch persönlich …

Ich strecke den Rücken durch und versuche, mich größer zu machen, als ich bin. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich nicht durch meine Körpergröße punkten kann, trotzdem wünschte ich mir im Moment, nicht die Kleinste im Raum zu sein. »Siebzehn«, antworte ich kurz angebunden.

»Siebzehn«, murmelt er.

Dass er alles wiederholen muss, was ich sage, macht ihn gerade etwas unattraktiver … Halt, nein. Er lächelt wieder.

Gut, er ist trotzdem noch attraktiv.

»Das ist eine lange Zeit«, meint er und runzelt die Stirn. »Und wieso bist du erst jetzt hergekommen?«

Weil Oshema nicht mal eben um die Ecke liegt, vielleicht?

Ich unterdrücke das Augenverdrehen und zwinge mich zu einem ernsten Gesichtsausdruck. »Mir wurde erst vor Kurzem bewusst, dass ich meine Kräfte beherrschen lernen muss.«

Cilian nickt verstehend, obwohl ich in seinen Augen Unverständnis lese. »Welches Element trägst du in dir?« Er sieht auf meine ringlose Hand. Ich habe mich erfolgreich vor der Aufnahme in einen magischen Zirkel gedrückt – im Nachhinein dämlich, denn alles, was ich über Magie weiß, habe ich mir selbst beigebracht oder von meiner Schwester erfahren.

»Wasser«, antworte ich und mein Blick fällt auf Cilians Ringfinger, an dem ich einen schwarzen Magierring erkenne, wie ihn alle Magier normalerweise tragen. In seinen ist eine blaue Wasserrune geritzt.

Hallo, Seelenverwandter …

Erneut nickt Cilian und lässt dabei seine braunblonden Locken wippen.

Wie schön es sein muss, mit den Händen durch sein halblanges Haar zu fahren …

Rasch beiße ich mir auf die Innenseite der Wange, um mich von diesen dämlichen Gedanken abzuhalten.

Was ist nur mit mir los? Seit wann lasse ich mich von einem Mann derart verzaubern? Nun gut, meine Begegnungen mit Männern sind größtenteils begrenzt auf alte Bauern und Bergarbeiter, die zu uns kamen, um von meiner Schwester Heiltränke und Tinkturen zu kaufen. Zwar waren ab und an auch attraktive Reisende dabei, doch keiner ließ mein Herz höher schlagen. Nicht so, wie es im Moment gerade der Fall ist, während ich Cilian gegenüberstehe.

»Bist du alleine hergereist?«, führt der Ordensleiter sein Verhör fort.

»Ja.« Ich lege den Kopf schief. »Ich soll Euch von Eurem Freund grüßen.«

Cilians Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen.

»Léthaniel«, präzisiere ich.

Ein leises Keuchen erinnert mich daran, dass die junge Frau mit den Silberlocken ja auch noch im Raum ist – und anscheinend mit dem Namen des Feuermagiers, der mich in den Talmeren traf, nicht nur gute Erinnerungen verbindet. Ihr Gesicht hat eine ungesund bleiche Farbe angenommen.

Was Léthaniel wohl mit dieser Mica verbindet?

Auch Cilian hat sich ihr zugewandt und sieht sie besorgt an. Mica schüttelt kaum merklich den Kopf und schenkt ihm ein gezwungenes Lächeln.

Dass die beiden sich ohne Worte zu verstehen scheinen, lässt in mir einen kleinen Schwall Eifersucht hochsteigen. Und ich ärgere mich im selben Moment darüber, dass ich mich frage, ob Cilian womöglich der Vater des Kindes ist, welches Mica ganz offensichtlich unter ihrem Herzen trägt.

Vollkommen unangebrachte Gedanken und Gefühle! Ich bin hier, um etwas zu lernen, nicht, um mir über das Liebesleben irgendwelcher Magier den Kopf zu zerbrechen.

Cilian wendet sich mir wieder zu. »Wie ist dein Name?«

»Ris«, antworte ich aus alter Gewohnheit und korrigiere mich gleich darauf. »Damaris.«

»Damaris.«

Gut, meinen Namen darf er, so oft er will, wiederholen – er spricht ihn so schön aus, dass ich trotz der hohen Temperaturen eine Gänsehaut verspüre.

»Und woher kommst du, Damaris?«

Jap, wenn er ab jetzt jede Frage mit meinem Namen beendet, werde ich ihm die ganze Nacht Rede und Antwort stehen.

»Aus Oshema.« Ich werfe einen Blick zu Schneeflocke, der sich vier Schritt entfernt hingesetzt hat und Cilian mit seinen roten Augen aufmerksam mustert.

»Ungewöhnlich«, murmelt der Ordensleiter mehr zu sich selbst als zu mir. »Ich wusste nicht, dass es in Oshema Greife gibt.«

Und ich nicht, dass es in Chakas einen Greifenorden gibt – was soll’s?

Sage ich natürlich nicht, sondern nicke mit verständnisvoller Miene.

»Du musst müde sein«, bemerkt Cilian und lächelt mich entschuldigend an. »Wir können uns morgen gerne weiter unterhalten.« Er legt den Kopf schief und sein Blick wird so warm, dass ich schlucke. »Mica zeigt dir deine neuen Gemächer. Du wirst im Gebäude des Greifenordens wohnen.«

Mir egal wo, Hauptsache, ich bekomme endlich eine Mütze Schlaf. Die Reise hierher war lang und beschwerlich, obwohl ich die meiste Zeit davon auf Schneeflockes Rücken verbracht habe.

»Was ist mit meinem Greif?«, frage ich den Ordensleiter, der sich schon fast zum Gehen gewandt hat.

Er sieht mich nochmals an und das Lächeln, das er mir schenkt, lässt mein Herz erneut flattern. »Du darfst ihn vorerst in deinen Gemächern haben. Später wird er wie alle anderen Greife in den Stallungen untergebracht, aber bis du dich eingelebt hast, könnt ihr zusammen in einem Zimmer sein.«

Gut, jetzt ist es beschlossen: Ich verehre ihn.

Mit einem sicher ziemlich bescheuerten Grinsen sehe ich Cilian an, der mir erneut die Hand entgegenstreckt. Dieses Mal ergreife ich sie fast schon zu rasch und zucke zusammen, da sein Händedruck erstaunlich fest ist.

»Gute Nacht, Damaris. Und willkommen im Greifenorden von Chakas.«

Seine Worte hallen in meinen Ohren nach, als ich bereits in meinen neuen Gemächern auf dem Bett liege und an die Decke über mir starre.

Verdammt noch mal, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so sehr auf die Zeit hier freuen würde – und das alles wegen des Mannes mit den Meeraugen, der sich mit Sicherheit in dieser Nacht in meine Träume schleichen wird …

Kapitel 3 - Damaris

 

Dass ich in der Nacht trotz der brütenden Hitze einigermaßen Schlaf finde, liegt wohl vor allem daran, dass ich wirklich müde bin. Als ich am Morgen erwache, fühle ich mich ausgeruht und strecke mich gähnend in den ungewohnt weichen Laken. Sie stehen im starken Gegensatz zu dem, was ich aus meinem alten Leben kenne. Ich habe irgendwann in der Nacht beschlossen, mich meiner Kleider zu entledigen, da sie ohnehin nur an der Haut klebten. Nun liege ich, wie die Götter mich schufen, in dem breiten Bett und blicke zur Balkontür, durch welche die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg ins Zimmer erschleichen. Draußen schläft Schneeflocke wie eine Katze eingerollt.

Bei Tageslicht ist der Raum, den ich als Schlafzimmer zugewiesen bekommen habe, noch prunkvoller. Ich frage mich, wie viel Gold wohl in all den Fresken und Gemälden verarbeitet wurde. Noch nie habe ich mich so … wichtig gefühlt. Ja, Wichtigkeit. Das ist es, was dieser Raum ausstrahlt. An ihn grenzt ein Bad, in dessen Wanne ich mir gestern Abend den Schmutz der Reise abgewaschen habe.

Gerade überlege ich, ob ich den Morgen mit einem weiteren Bad starten soll – wenn ich schon mal den Wohlstand einer eigenen Wanne besitze –, da klopft es unvermittelt an der Tür und ich schrecke hoch. Rasch sehe ich mich nach meinen Kleidern um, die allerdings kreuz und quer im Zimmer verteilt sind. Es würde ewig dauern, sie zusammenzusuchen. In Ermangelung einer Alternative zerre ich das Laken vom Bett und schlinge es mir um den Leib, ehe ich zur Tür eile und sie aufreiße.

Im ersten Moment versuche ich, den azurblauen Augen standzuhalten, die mich mit einem erheiterten Ausdruck mustern.

Im zweiten Moment wird mir bewusst, dass ich nur das Laken trage.

Und im dritten Moment würde ich gerne im Erdboden versinken.

»Guten Morgen, ich hoffe, du hast gut geschlafen«, begrüßt mich Cilian, der eine Leinenhose und ein helles Hemd trägt. Gestern konnte ich unter seinem weiten Burnus nur erahnen, wie gut er gebaut ist – das ist heute für alle Augen sichtbar, da die Kleidung um einiges enger an seinem Körper anliegt.

»Gu… guten Morgen«, antworte ich verlegen und beiße mir auf die Unterlippe. »Tut mir leid.« Ich deute auf das Laken, das ich mit einer Hand ungeschickt festhalte.

Cilian schmunzelt. »Habe ich dich geweckt?«

Rasch schüttle ich den Kopf. »Nein. Ich … war schon wach. Konnte mich nur noch nicht aus den Laken schälen – also …« Ich unterbreche mich selbst, da ich das Laken ja immer noch ›trage‹. Schnell wechsle ich das Thema. »Ich wollte noch ein Bad nehmen, es ist scheiße heiß hier.« Ich beiße mir erneut auf die Unterlippe, da mir der Fluch entwichen ist, ehe ich darüber nachdenken konnte.

Cilian hingegen stößt ein leises Lachen aus und seine Augen funkeln dabei wie Saphire. »Scheiße heiß …«, wiederholt er amüsiert. »Ja, das ist es in der Tat. Wenn du aus Oshema stammst, solltest du aber eine gewisse Tagestemperatur gewohnt sein, oder?«

Ich ziehe das Laken noch enger um meinen Leib und senke den Blick. »Ich … ich habe in den Talmeren gelebt. Hochgebirge.«

»Ah, das erklärt natürlich einiges.« Cilian nickt verstehend. »Nun, ich dachte, ich führe dich heute an deinem ersten Tag ein wenig im Zirkel herum und zeige dir alles. Wenn du das möchtest, versteht sich.«

Als ich den Blick wieder hebe, bemerke ich, dass in seinen Augen diese Wärme liegt, die mein Herz schneller schlagen lässt.

Ob ich Zeit mit ihm verbringen will? Natürlich! Sofort! Wo muss ich unterschreiben?

Im Gegensatz zu meinen sich überschlagenden Gedanken bringt mein Körper nur ein abgehacktes Nicken zustande.

Cilian räuspert sich und deutet dann auf das Laken. »Vielleicht solltest du dir dafür etwas … weniger Luftiges anziehen. Wenn du noch ein Bad nehmen willst, komme ich später nochmals wieder und …«

»Nein!«, unterbreche ich ihn wohl etwas zu laut, denn er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich meine … nein. Ich habe gestern schon gebadet. Ich brauche nur … Gebt mir drei Sekunden, dann bin ich bereit!«

Cilian nickt und sein Mundwinkel zuckt dabei ein wenig, als wollten sich seine Lippen erneut zu einem Lächeln verziehen. »Gut, ich warte hier auf dich.«

»Ist … Ich beeil mich«, stammle ich und schließe rasch die Tür.

Ich wirble herum und stürze zu meinen Kleidern. Als ich die Hose aufhebe und in den Ankleidespiegel blicke, keuche ich allerdings laut auf und erkenne Schamesröte, die sich auf meinen Wangen ausbreitet. Das Laken ist zwar fest um meinen Leib gewickelt, aber meine rechte Brust liegt trotzdem frei.

Verflucht! Hat mich Cilian etwa so gesehen? Hat er meine Brust … Bei den Göttern …!

Ich schlage mir die Hand vor die Stirn und schließe die Augen, während ich spüre, wie das Laken zu Boden gleitet.

 

Es dauert eine Weile, bis ich meine Fassung wiedererlangt, mich eilig mit einem Schwamm gewaschen und angezogen habe. Der Gedanke, dass Cilian die ganze Zeit vor meiner Tür wartet, macht meine Scham auch nicht besser.

Von wegen drei Sekunden … dreißig Minuten wäre realistischer gewesen …

Mit fliegenden Fingern richte ich meine kurzen, glatten Haare, die ich mir ab und an selbst schneide, damit sie pflegeleicht bleiben, und blicke dann kritisch mein Spiegelbild an. Die Wangen sind immer noch gerötet, aber ansonsten bin ich vorzeigbar.

Rasch erkläre ich Schneeflocke, der inzwischen aufgewacht ist, anhand von ein paar Bildern, was ich vorhabe. Er gähnt nur und tappt dann ins Innere des Zimmers, da es ihm draußen auf dem Balkon langsam zu warm wird. Mit einem müden Blinzeln gibt er mir zu verstehen, dass er hier auf mich warten und Schlaf nachholen wird. Der Arme ist von der langen Reise immer noch ganz erschöpft.

Als ich mein Zimmer verlasse, lehnt Cilian gegenüber an der Wand und stößt sich mit einem Lächeln ab, ehe er auf mich zukommt.

Bestimmt hat ein Mann wie er schon viele Brüste gesehen, aber die Tatsache, dass er mit ziemlicher Sicherheit ausgerechnet meine zu Gesicht bekommen hat, lässt mich die Augen auf den Boden richten, da ich ansonsten unter seinem Blick verglühen würde.

»Bereit?«, fragt er in unverfänglichem Tonfall.

Ich nicke knapp, ohne ihn anzusehen.

»Ich zeige dir die Stallungen der Greife, danach essen wir zusammen Frühstück und dann fahren wir mit dem restlichen Zirkel fort«, erklärt Cilian, während ich neben ihm durch die Gänge gehe. »Du wirst ab morgen im Wasserzirkel sowie im Greifenorden unterrichtet.«

Ich hebe nun doch wieder den Blick und sehe ihn von der Seite neugierig an. »Unterrichtet Ihr auch?«, frage ich und verwünsche mich dafür, dass meine Stimme so hoffnungsvoll klingt.

Cilian wendet mir den Kopf zu. »Ja, das tue ich. Allerdings nur ein paar Lektionen in der Woche. Mehr lässt meine Arbeit als Ordensleiter und Zirkelrat leider nicht zu.«

»Wenn Ihr so beschäftigt seid«, murmle ich, »wieso nehmt Ihr Euch dann die Zeit, mich herumzuführen?«

Jetzt bleibt Cilian stehen. »Normalerweise kenne ich die Magier, die sich dem Greifenorden anschließen, schon seit vielen Jahren, da die meisten aus dem Zirkel stammen.« Seine Stirn legt sich in Falten. »Bei Ausnahmen wie dir möchte ich mir daher Zeit nehmen, um dich besser kennenzulernen. Wenn das für dich in Ordnung ist, natürlich.« Sein Blick gleitet forschend über mein Gesicht.

Ich nicke hastig. »Natürlich. Natürlich ist das in Ordnung.«

Cilians Lippen verziehen sich wieder zu einem Lächeln. »Dann bin ich ja beruhigt. Es liegt mir fern, mich dir aufdrängen zu wollen.«

Ich erwidere sein Lächeln und komme mir vor, als würde ich eine Grimasse schneiden. »Ich fühle mich geehrt, dass Ihr mir alles zeigt«, antworte ich ehrlich.

Der Ordensleiter nickt und lässt dabei seine braunblonden Locken wippen. »Du wurdest von einem meiner besten Greifenreiter hergeschickt. Daher bin ich neugierig auf deine Geschichte – und deine Fähigkeiten.« Er holt leise Luft. »Aber das hat Zeit. Zuerst werde ich dir zeigen, wo du deinen Greif später unterbringen kannst. Wie heißt er eigentlich?«

»Schneeflocke«, antworte ich.

»Das passt zu ihm.« Cilian hebt eine Augenbraue.

»Nun ja, es ist ja eigentlich ein weiblicher Name, aber mir gefällt er. Er hat ihn mir selbst offenbart«, sprudelt es aus mir heraus.

»Das tun Greife sehr häufig«, erklärt mir Cilian, während wir unseren Weg fortsetzen. »Was weißt du alles über Schneeflocke?«

Ich überlege einen Moment. »Er spricht mit mir in Gedanken«, beginne ich, was ein Nicken des Ordensleiters zur Folge hat. »Und er liebt Hasenfleisch. Wenn er seine Kräfte mit meinen verbindet, fühlt sich das an, als würde er meinen Geist streicheln. Er schläft manchmal fast den ganzen Tag und manchmal nur eine Stunde. Er mag es, wenn ich seine Federn streichle und sein Fell bürste. Manchmal träumt er in der Nacht und schickt mir Bilder davon, sodass ich aufwache. Wenn er ein Mensch wäre, würde er wohl ziemlich oft fluchen. Er ist manchmal so launisch, dass ich ihn am liebsten schütteln würde. Und manchmal, da ist er so anschmiegsam wie ein kleiner Welpe.« Ich unterbreche mich und sehe Cilian an, der sich mir ebenfalls zugewandt hat. »Ich liebe ihn und könnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.«

Cilian nickt langsam und ein trauriger Ausdruck gleitet über sein Gesicht. »Die Verbindung zwischen einem Greif und einem Menschen ist etwas vom Innigsten, das man erfahren kann. Entsprechend schlimm ist es, wenn einem von beiden etwas zustößt. Es fühlt sich an, als würde einem das Herz herausgerissen und außerhalb der Brust weiterschlagen.«

»Habt Ihr …« Ich schlucke, ehe ich mich die Frage zu stellen getraue. »Habt Ihr schon einmal einen Greif verloren?«

Cilians Augen verdunkeln sich kaum merklich und er bleibt erneut stehen. »Das habe ich. Und ich wünsche dieses Gefühl nicht einmal meinem ärgsten Feind.«

Ich nicke stumm und senke den Blick.

Die Vorstellung, Schneeflocke nie wieder mit meinem Geist zu spüren, ihn nicht mehr um mich zu haben, nie wieder in seine roten Adleraugen blicken zu können … sie ist kaum auszuhalten.

»Wieso habt Ihr Euch trotzdem wieder mit einem Greif verbunden?«, frage ich, nachdem wir eine Weile unseren Weg wortlos fortgesetzt haben.

»Mit Greifen ist es wie mit der Liebe«, antwortet Cilian und ich bemerke, dass seine Kiefermuskeln sich anspannen. »Man weiß zwar, dass man verletzt werden kann, aber es gibt keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Das Herz entscheidet – und es ist ein grausamer Ratgeber fürs Leben. Masochistisch und stur. Und trotzdem besitzt es eine Macht und eine Überzeugungskraft, der man sich immer wieder beugt.«

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er nicht mehr nur von Greifen spricht, aber ich wage es nicht, nachzuhaken.

Mit einem Mal bekomme ich ein etwas anderes Bild des Ordensleiters. War ich im ersten Moment von seiner Ausstrahlung geblendet, so erkenne ich nun, dass hinter dieser schönen Maske ganz viel Schmerz lauert. Schmerz und Einsamkeit …

Meine Schwester hat mir immer gesagt, dass ich eine hervorragende Menschenkenntnis hätte und es eine Stärke von mir sei, andere einzuschätzen. Gerade verfluche ich diese Fähigkeit, denn ich würde gerne noch eine Weile den hübschen Mann im strahlenden Sonnenschein sehen. Aber das geht nun nicht mehr … nicht nach dem, was er gerade über die Liebe gesagt hat. Nun bemerke ich einen langen, düsteren Schatten hinter ihm, der ihm überallhin folgt – und den er wohl nie wieder loswird.

Kapitel 4 - Cilian

 

Mir ist bewusst, dass ich mit meinen Worten Damaris’ Stimmung gedämpft habe, aber ich kann nichts dagegen tun, dass manchmal der Zyniker in mir durchbricht. Das Leben ist grausam – ich habe es oft genug am eigenen Leib erfahren. Und dennoch gibt es immer wieder Dinge, die es lebenswert machen. Damaris hat noch viele Jahre vor sich, aber je eher sie sich der Vergänglichkeit unseres Daseins bewusst wird, desto besser. Denn nur dann gelingt es einem, den Moment zu genießen und ganz im Hier und Jetzt zu leben. Etwas, das für den Greifenorden äußerst wichtig ist.

Ein Seitenblick zu ihr zeigt mir, dass sie tief in Gedanken versunken ist, während ich sie weiter durch den Zirkel und zu den Greifenställen führe. Ihre vollen Lippen sind zu einer schmalen Linie zusammengepresst und eine kleine Falte zeigt sich zwischen ihren Augenbrauen.

Sie ist noch so jung … und ich habe das Gefühl, dass sie noch eine wichtige Rolle spielen wird. Wieso mir dieser Gedanke gerade kommt, weiß ich nicht. Nur, dass ich ihn im Hinterkopf behalten sollte. Meine Einschätzung von Menschen hat sich in den vergangenen Jahren verbessert, sodass ich mir inzwischen ziemlich sicher bin, auf mein Bauchgefühl vertrauen zu können.

Noch während ich in meine Überlegungen versunken bin, gelangen wir zu den Stallungen der Greife, welche früher bei den Klippen lagen. Inzwischen habe ich ein neues Gebäude errichten lassen, das sich näher beim Zirkel befindet und damit leichter zu erreichen ist. In den alten Stallungen habe ich eine Brutstation errichtet, in welcher die Greifenweibchen in Ruhe ihre Eier legen und sich um die Jungtiere kümmern können.

Wie auch in der ehemaligen Höhle gibt es in den Stallungen viele Nester, die mit Stroh ausgelegt sind und sich auf mehreren Etagen in den steinernen Wänden erstrecken. Die Greife können direkt von außen durch eine Art Fenster zu ihren zugewiesenen Schlafplätzen fliegen. Aufgrund der vielen Öffnungen ist der Stall lichtdurchflutet, aber auch zugig, da ein steter Wind herrscht, der vom Meer her kommt.

Da die meisten Greife auf ihrem morgendlichen Flug oder im Unterricht sind, befinden sich nur zwei kränkliche Tiere hier, die mich jedoch mit einem freudigen Gurren begrüßen. Wenn ich abends herkomme und der Stall voll ist, wird die Luft erfüllt vom lauten Schreien und Kreischen dieser majestätischen Geschöpfe, was mir jedes Mal das Herz aufgehen lässt.

Damaris bleibt stehen und sieht sich staunend um. Wenn ihr der strenge Geruch nach Raubtieren und Vögeln, der in den Stallungen herrscht, etwas ausmacht, so zeigt sie es nicht.

»Hier wird Schneeflocke während der nächsten Jahre untergebracht«, erkläre ich und gehe auf einen der Greife zu, der sich beim letzten Flug einen Flügel gebrochen hat, als er zu nahe an die Klippen kam und vom Wind dagegen geworfen wurde. Zwar haben die Heiler des Zirkels den Bruch gerichtet, aber auf meine Anweisung nicht vollständig geheilt. Der Kleine soll lernen, dass es gefährlich ist, im Sturm zu fliegen, und ich bin nun mal ein Freund des natürlichen Heilungsprozesses. Auch wenn mit Magie der Flügel binnen weniger Minuten geheilt wäre, so finde ich es besser, wenn der Körper lernt, sich selbst zu regenerieren.

Ich streiche dem Tier über den Adlerschnabel und es lässt ein leises Fiepen vernehmen.

»Wie viele Greife habt Ihr?«, fragt Damaris, während sie beobachtet, wie ich den Greif am Hals kraule.

»Im Moment sind es dreiundsiebzig«, antworte ich und kann den Stolz in meiner Stimme kaum unterdrücken. »Davon sind vierundvierzig an Magier gebunden.«

»Vierundvierzig?«, wiederholt sie verblüfft. »Und alle wurden von Euch ausgebildet?«

»Werden«, korrigiere ich sie. »Es dauert viele Jahre, bis man die Kräfte, die einem ein Greif geben kann, gänzlich zu kontrollieren vermag. Daher ist es wichtig, dass du hergekommen bist. Ohne die entsprechende Anleitung kann es äußerst gefährlich werden, sich mit einem Greif zu verbinden.«

Damaris schenkt mir einen unergründlichen Blick aus ihren grünblauen Augen und legt den Kopf schief. »Glaubt Ihr wirklich, dass Schneeflocke sich hier wohlfühlen könnte? Er hat nicht so gute Erfahrungen mit anderen Greifen.«

Ich sehe sie zuversichtlich an. »Mit Sicherheit. Greife sind zwar sensible Geschöpfe, aber sie sind auch intelligent und er wird sich von dir erklären lassen, dass er hier artgerechter leben kann als in deinen Gemächern. Zudem sorge ich dafür, dass sich die anderen Greife ihm gegenüber benehmen, versprochen.«

»Hm.« Damaris scheint noch nicht ganz überzeugt zu sein, aber sie nickt trotzdem.

»Guten Morgen, Cilian«, erklingt eine männliche Stimme hinter mir und ich drehe mich zum Sprecher um, den ich erst jetzt bemerke.

»Adrién«, antworte ich und schenke dem jungen Mann, der gerade hinter einem Stapel Heu hervortritt, ein freundliches, aber distanziertes Lächeln.

Er ist seit fünf Jahren ein Greifenreiter und verfügt über ein erstaunliches Talent in Erdmagie. Obwohl sein Greif Silbersturm sich mit ihm verbunden und ihn damit als würdig befunden hat, so bin ich Adrién gegenüber skeptisch. Er besitzt diese Art, einen mit seinem düsteren Blick anzusehen, dass man unwillkürlich denkt, er hecke etwas aus. Aber er ist ein guter Reiter, der irgendwann vielleicht eine Truppe anführen kann.

»So früh in den Stallungen?«, fragt Adrién, während er auf uns zukommt.

Er trägt schwarze Hosen, ein dunkelblaues Hemd und hat sein schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen. Seine grauen Augen streifen erst mich, dann bleiben sie an Damaris hängen, und die Art, wie er sie mit seinem dunklen Blick mustert, ruft in mir den Drang hervor, mich vor sie zu stellen. Was ich natürlich nicht tue. Das Mädchen ist alt genug, um es mit einem Kerl wie ihm selbst aufzunehmen.

»Ich zeige dieser neuen Greifenreiterin gerade den Zirkel«, erkläre ich und verenge die Augen ein wenig. »Solltest du nicht in der Arena sein, um zu trainieren?«

»Ich habe heute Morgen frei«, antwortet er. Falls es ihm auffällt, dass ich mich gestern um ein paar Jahre verjüngt habe und nun äußerlich nur noch knapp zwei Jahre älter aussehe als er, so ist es in seiner verschlossenen Miene nicht zu erkennen. »Ihr könnt Mica fragen – sie hat es nach dem gestrigen Vorfall für klüger gehalten, wenn ich ein paar Mal mit dem Training aussetze.«

»Du solltest dich von Rosendorn und vor allem von Laora fernhalten«, sage ich mit mahnendem Tonfall. »Sie sind nicht gut auf dich zu sprechen.«

»Ich wollte nur nach dem Greif sehen«, erwidert Adrién.

»Das solltest du bleiben lassen.« Ich deute in Richtung Ausgang.

Adrién nickt und wirft Damaris einen letzten Blick zu, ehe er sich wortlos abwendet und die Stallungen verlässt.

»Der ist ja vielleicht mal schrullig«, entfährt es der jungen Magierin neben mir und ich schmunzle unwillkürlich.

Die Art, wie sie freiheraus sagt, was sie denkt, stellt eine willkommene Abwechslung dar. Ansonsten behandeln mich die meisten Menschen mit einem Respekt, der mir fast schon unangenehm ist, und überlegen sich die Worte zehnmal, ehe sie sie aussprechen. Ihnen ist leider nur allzu gut in Erinnerung, dass ich der Sohn des ehemaligen Zirkelleiters bin. Manche Dinge vergessen die Menschen nur langsam …

Ich wende den Blick von der Tür ab, hinter der Adrién verschwunden ist. »Besser, du gehst ihm aus dem Weg«, murmle ich. »Er war gestern für einen Unfall in der Arena verantwortlich.«

»Unfall?« Damaris sieht mich fragend an.

Ich nicke. »Rosendorn, der Greif, der da drüben liegt, ist vom Himmel gestürzt und hat sich alle vier Pfoten gebrochen. Zum Glück hat seine Reiterin Laora gerade eine kurze Pause gemacht, sonst wäre sie ebenfalls verletzt worden.« Ich hole leise Luft. »Es gelang mir nur mit Mühe, sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass die Verletzungen des Greifen nicht so schwer sind, als dass er sich nicht wieder vollständig erholen würde. Sie weiß zwar, dass wir über hervorragende Heiler verfügen, aber der Schock saß wohl sehr tief.«

»Das klingt schrecklich«, murmelt Damaris.

»Unfälle passieren nun mal in der Arena«, antworte ich. »Aber auf diesen war niemand von uns vorbereitet.«

Damaris nickt und folgt mir, während ich zu Rosendorns Strohbett gehe, um mich zu vergewissern, dass es dem Greifenweibchen gut geht. Es begrüßt mich gurrend und lässt sich von mir die Pfoten untersuchen, ehe es sich wieder wie eine Katze einrollt. Ich werde nachher einen Erdmagier zu ihr schicken, der die Verletzungen vollständig heilt. In diesem Fall ist es mir lieber, sie kann wieder in der Arena trainieren, statt hier Adrién ausgeliefert zu sein. Wer weiß, was der schwarzhaarige Magier wirklich bei ihr wollte?

»Was ist das für eine Arena, von der Ihr gesprochen habt?«, fragt Damaris, nachdem wir die Stallungen verlassen haben.

»So wird das Trainingsgelände genannt«, erkläre ich ihr bereitwillig. »Ich zeige es dir nach dem Frühstück. Dort finden die praktischen Übungen und Kämpfe statt.«

»Auch Wettkämpfe?«

»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Ich möchte verhindern, dass es zu Wetteifern unter den Greifenreitern kommt.«

»Kräftemessen war ohnehin noch nie so mein Ding«, murmelt sie.

Ich mustere sie von der Seite. »Dennoch würde ich mich freuen, wenn du mir nachher zeigst, was du und Schneeflocke in den vergangenen Jahren gelernt habt.«

Sie verengt die Augen und nickt erneut. »Das kann ich gerne tun.«

Ich führe sie durch den Innenhof des magischen Zirkels und zum Wasserzirkel, wo wir in meinen Gemächern frühstücken werden. Es geschieht selten, dass ich jemanden dorthin mitnehme, aber in Damaris’ Fall möchte ich eine Ausnahme machen. Es liegt mir daran, ihr Vertrauen zu gewinnen, und das wiederum gelingt mir, wenn sie sich so willkommen wie möglich fühlt.

Kapitel 5 - Damaris

 

»Ich werde veranlassen, dass man dir angemessene Kleidung bringt«, sagt Cilian, während ich das letzte Brötchen verspeise, das so herrlich schmeckt, dass ich noch glatt ein Dutzend mehr davon essen möchte.

Seine Worte lassen mich innehalten und an meiner Kleidung herumzupfen.

Was stimmt denn damit nicht?

»Sie ist zu warm«, erklärt der Ordensleiter, dem meine Geste aufgefallen ist. »Hier in Chakas tragen wir leichtere Gewänder, die dem Wüstenklima angepasst sind.«

Ich nicke verstehend und schlinge den letzten Bissen herunter, ehe ich meine Hände an den Hosen abwische. Cilian räuspert sich und deutet auf die Serviette, die auf dem reich gedeckten Tisch liegt. Augenblicklich spüre ich, wie meine Wangen warm werden, und senke den Blick.

Verdammt, ich fühle mich hier so fehl am Platz …

Hatte ich meine eigenen Gemächer schon für prunkvoll gehalten, so wirken Cilians einfach nur einschüchternd auf mich. So viel Gold und Protz – ich will mir gar nicht vorstellen, wie viel Geld in den Bau dieses magischen Zirkels geflossen ist. Und wie viele arme Menschen man damit stattdessen bis ans Lebensende ernähren könnte. Auch wenn Cilian mir auf meine Frage hin, wieso denn hier alles vergoldet werden müsse, antwortete, dass er nicht für die Ausstattung des Zirkels verantwortlich gewesen sei, so will es mir nicht in den Kopf, wie man sich hier wohlfühlen kann. Zum Glück muss ich nur drei Jahre in Chakas aushalten. Und ich bezweifle, dass ich mich in der Zeit an all den Prunk gewöhnen werde …

»Erzähl mir ein bisschen was von dir, Damaris«, holt mich Cilian aus meiner Befangenheit. »Du stammst also aus den Talmeren? Wer ist deine Familie?«

Ich greife nach einem Glas Wasser und spüle die Reste des Honigs, den ich auf mein Brötchen geschmiert habe, herunter. »Meine Familie besteht eigentlich nur aus meiner Schwester«, erkläre ich.

Cilians Augenbrauen hüpfen in die Höhe, ehe sich seine Stirn in Falten legt. »Wenn ich fragen darf … was ist mit deinen Eltern geschehen?«

Ich wende die Augen ab und sehe stattdessen aus dem Fenster, betrachte den Hafen und das Meer, die vor mir liegen. Der Ausblick aus Cilians Gemächern ist atemberaubend. »Sie starben sehr früh bei einem Ausflug in den Talmeren«, sage ich leise. »Meine Schwester war Mutter und Vater für mich.« Mir kommt ein Gedanke und ich wende mich Cilian wieder zu. »Darf ich nachher einen Brief an sie schreiben? Um ihr zu sagen, dass ich gut angekommen bin und sie sich keine Sorgen machen muss?«

»Natürlich, das darfst du sehr gerne tun«, sagt Cilian mit einem einfühlsamen Lächeln. »Gib ihn mir nachher einfach, ich werde ihn mit einem Boten losschicken.«

»Danke.« Ich blicke wieder aus dem Fenster.

»Ihr seid also nur zu zweit aufgewachsen?«, hakt Cilian nach, als ich nicht weiterspreche.

Ich nicke seufzend, ehe ich ihn wieder ansehe. »Es klingt schlimmer, als es ist. Gabriella ist eine tolle Frau. Sie war es auch, die mich dazu überredet hat, herzukommen.«

»Zweifellos scheint sie einen guten Einfluss auf dich gehabt zu haben.« Cilian fährt sich gedankenversunken mit der Hand über das Kinn, kratzt an seinem Dreitagebart. Dabei fällt mir wieder der schwarze Magierring an seiner Hand auf.

»Werde ich ebenfalls einen Ring erhalten?«, wage ich eine Frage zu stellen, die mir seit gestern Abend auf der Zunge brennt. Ich weiß, dass Menschen ohne Magiebegabung goldene Ringe tragen und jene, die Magie beherrschen, schwarze. Jeweils mit eingravierten Runen des entsprechenden Elements.

Cilian nickt bedächtig. »Ich habe einen Ring hier, den ich dir geben möchte, ja. Er wird dir helfen, deine Kräfte noch besser zu kontrollieren, und du wirst damit auch offiziell als Magierin des Zirkels von Chakas gelten.« Er erhebt sich und geht zu einer Kommode, aus der er einen kleinen Gegenstand nimmt. Als er zu mir zurückkommt, legt er ihn vor mir auf den Tisch. »Der ist für dich.«

Ich mustere den schwarzen Ring andächtig. Die blaue Wasserrune sieht wundervoll aus und scheint von einem inneren Licht erfüllt zu sein. »Stimmt es, dass man den Ring nicht mehr ablegen kann, wenn man ihn einmal trägt?«, will ich wissen.

»Das stimmt.« Cilian setzt sich wieder hin und streicht sich eine Locke hinters Ohr. »Die Rune ist nach der Vorlage der Zwerge geschmiedet und verbindet sich mit deinem Element, sobald du den Ring anlegst.«

»Tut das weh?« Ich hebe meine Hand, um den Magierring zwischen Daumen und Zeigefinger zu drehen.

»Es ist ein seltsames Gefühl, aber nicht schmerzhaft«, antwortet er schulterzuckend.

»Hm.« Mein Blick gleitet wieder zu seiner Hand, die er inzwischen auf den Tisch gelegt hat.

»Ehe du ihn anlegst, musst du einen Schwur leisten«, fährt er fort. »Da ich der Leiter des Wasserzirkels bin, kann ich dich hiermit offiziell aufnehmen. Normalerweise geschieht das ja während der Aufnahmezeremonie, aber bis zur nächsten zu warten, erscheint mir zu lange. Denn wie gesagt hilft dir der Ring auch dabei, deine Kräfte zu bündeln.«

»Was für ein Schwur?«, frage ich und sehe ihn mit schmalen Augen an.

»Einen an Wassergott Aquor sowie den magischen Zirkel«, erklärt er. »Er lautet: ›Ich gelobe hiermit feierlich, bis ans Ende meiner Tage die Geheimnisse der Magiergilde zu bewahren und den Kodex des Zirkels zu befolgen. Das Wasser ist tief, tief wie meine Seele.‹«

Ich starre ihn entgeistert an. »Ist das Euer Ernst? Das klingt reichlich dramatisch, wenn Ihr mich fragt.«

Cilian nickt, ohne die Miene zu verziehen. »Das ist der Schwur, den alle Magier leisten müssen. Sonst werden sie kein Mitglied der Gilde.«

»Und … was ist das für ein Kodex?«, will ich weiter wissen.

»Das Herzstück davon besagt, dass du niemals Magie gegen Wehrlose oder Unschuldige anwenden darfst. Zudem niemals grundlos gegen andere Magier. Außer zum Beispiel zur Verteidigung oder wenn du jemandem helfen möchtest. Und natürlich ist es auch beim Training erlaubt, wenn ein Lehrer anwesend ist.«

»Na gut, das macht Sinn«, lenke ich ein.

»Das tut es«, bestätigt Cilian. »Früher gab es noch das Gesetz der schwarzen Magie, aber dieses wurde seit dem Umbruch in Altra hinfällig.«

»Und was für Geheimnisse sind gemeint?« Ich lege den Kopf schief.

Cilians Brustkorb hebt sich, als er leise Luft holt. »Diese Passage stammt noch aus dem alten Gesetz. Inzwischen sind die Magier offener geworden, was das angeht.«

»Dennoch muss ich es schwören?«

»Ja«, ist die schlichte Antwort. »Das hat Tradition.«

»Hm.«

»Du kannst den Schwur heute ablegen oder auch morgen früh«, meint Cilian. »Aber auf jeden Fall vor deinem ersten Unterrichtstag.«

Ich nicke langsam. »Dann lege ich ihn jetzt gleich ab. Denn es bleibt mir ja keine andere Wahl, wenn ich hierbleiben will, oder?«

»So ist es.« Cilians Lippen verziehen sich zu einem Lächeln.

»Gibt es für die Aufnahme im Greifenorden auch so etwas?«, frage ich sicherheitshalber nach.

Cilian schüttelt den Kopf. »Keinen Schwur, nur ein Gelöbnis. Und es wird eine Aufnahmezeremonie geben, sobald du bereit dazu bist.«

»Bereit dazu?«

»Normalerweise findet die Aufnahmezeremonie statt, sobald sich Greif und Reiter miteinander verbinden«, erklärt er. »Bei dir allerdings ist das schon geschehen, daher möchte ich dich einer kleinen Prüfung unterziehen, ehe ich dich offiziell im Greifenorden aufnehme.«

Mein Herz rutscht in die Hose. »Prüfung?«, hauche ich.

Prüfung? Nur über meine Leiche! Ich hasse Prüfungen!

Wenn meine Schwester mich zu Hause geprüft hat, hatte ich einen Tag vorher bereits Magenbeschwerden, weil ich so nervös war. Von Cilian geprüft zu werden, wird meine Innereien für immer zerstören, das weiß ich!

Er lächelt beschwichtigend. »Nichts Schlimmes. Nur ein paar Übungen, damit ich prüfen kann, ob deine Aufnahme ihre Berechtigung hat.«

»Und wann soll das stattfinden?« Meine Augenbrauen sind angespannt in die Höhe gehüpft.

»Wie gesagt, wenn du bereit dazu bist.« Cilians Blick wird einfühlsam. »Sicher noch nicht heute, morgen oder in einer Woche. Wir gehen es langsam an und du wirst zunächst lernen, deine magischen Kräfte richtig zu beherrschen.«

Ich hole Luft und puste sie dann scharf wieder aus. »Gut. Also ist der erste Schritt, diesen Ring anzulegen.«

Cilian nickt wortlos.

»Dann … könnt Ihr mir den Schwur nochmals vorsagen?«, bitte ich ihn, was er bereitwillig tut.

Nun gut, jetzt gibt es kein Zurück mehr – ich werde unwiderruflich der Magiergilde beitreten. Und später irgendwann dem Greifenorden.

Nachdem ich seine Worte nachgesprochen habe, schiebe ich den Ring über meinen rechten Ringfinger. Ein unangenehmer Stich verrät mir, dass sich mein Wasserelement mit der Rune verbindet, dann ist es vorbei.

»Das ging ja einfach«, murmle ich. »Ich fühle mich nicht anders als zuvor.«

»Das wäre auch komisch.« Cilian sieht mich belustigt an. »Willkommen im Magierzirkel.«

»Danke.« Ich streiche mit der anderen Hand sorgfältig über das Schmuckstück.

»Erzähl mir doch noch ein bisschen was über dich und deine Schwester«, bittet mich Cilian, nachdem ich meinen neuen Ring eingehend betrachtet habe. »Wo genau in den Talmeren seid ihr aufgewachsen?«

»Wenn Ihr jetzt einen Ortsnamen hören möchtet, so muss ich Euch leider enttäuschen«, erwidere ich und lehne mich im Stuhl zurück. »Wir haben in einer kleinen Hütte gelebt, weit weg von anderen Menschen. Es gab nur Gabriella und mich. Für viele Jahre.«

»Hm.« Cilian nickt nachdenklich. »Und du hast dich also einfach eines Tages an Schneeflocke gebunden?«

Ich schenke ihm ein leichtes Lächeln. »So ungefähr, ja. Ich war elf Jahre alt und meine Kräfte gerade erwacht, da traf ich ihn.« Ich lasse meinen Blick erneut über das Meer schweifen und rufe die Erinnerungen an den wohl bedeutungsvollsten Tag in meinem bisherigen Leben zurück.

Kapitel 6 - Damaris

 

Tag 11, Monat 8, 1 EP 11 250 – 6 Jahre zuvor

 

»Jaja, ist ja gut, Schwesterherz, ich pass auf!«, rief ich, während ich leichtfüßig über die Steine sprang, ehe ich begann, eine Felswand hinaufzuklettern.