Das Juwel der Talmeren (Band 1) - C. M. Spoerri - E-Book

Das Juwel der Talmeren (Band 1) E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Als Greifenreiter Léthaniel die Aufgabe erhält, durch das Talmerengebirge zu reisen, um im Namen der Herrscherin Altras mit dem Zirkelleiter von Fayl zu verhandeln, ist ihm bewusst, dass dieses Unterfangen Gefahren birgt. Aber er und sein Kumpel Steinwind haben noch nie zu einem Abenteuer Nein gesagt. Léthaniel nimmt die Mission also kurz entschlossen an, obwohl ihm neben seinem Freund bloß ein ehemaliger Assassine sowie eine Wassermagierin mit diplomatischem Geschick zur Seite stehen. Was die vier Gefährten im Hochgebirge erwartet, übersteigt indes ihre kühnsten Vorstellungen. Nicht nur, dass die Gruppe sich früher als gedacht in einer lebensbedrohlichen Lage befindet, sie stößt obendrein auf ein uraltes Relikt, welches für Altra von großer Bedeutung sein könnte: das Juwel der Talmeren.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Landkarte Altra

Vorwort

Prolog – Elderion

Kapitel 1 - Léthaniel

Kapitel 2 - Léthaniel

Kapitel 3 - Lucja

Kapitel 4 - Lucja

Kapitel 5 - Léthaniel

Kapitel 6 - Lucja

Kapitel 7 - Léthaniel

Kapitel 8 - Léthaniel

Kapitel 9 - Lucja

Kapitel 10 - Gabriella

Kapitel 11 - Léthaniel

Kapitel 12 - Lucja

Kapitel 13 - Lucja

Kapitel 14 - Léthaniel

Kapitel 15 - Gabriella

Kapitel 16 - Schatten

Kapitel 17 - Léthaniel

Kapitel 18 - Léthaniel

Kapitel 19 - Gabriella

Kapitel 20 - Néthan

Kapitel 21 - Léthaniel

Kapitel 22 - Schatten

Kapitel 23 - Schatten

Kapitel 24 - Léthaniel

Kapitel 25 - Léthaniel

Kapitel 26 - Léthaniel

Kapitel 27 - Lucja

Kapitel 28 - Damaris

Kapitel 29 - Léthaniel

Kapitel 30 - Lucja

Kapitel 31 - Léthaniel

Kapitel 32 - Léthaniel

Nachwort

Glossar

Weitere Bücher aus demselben Universum

Die Alia-Reihe (5 Bände)

Der rote Tarkar (Einzelband)

Die Legenden von Karinth (4 Bände)

Greifen-Saga (3 Bände)

Damaris (4 Bände)

 

C. M. SPOERRI

 

 

Das Juwel der Talmeren

 

Band 1

 

 

Fantasy

 

 

 

 

 

Das Juwel der Talmeren (Band 1)

Als Greifenreiter Léthaniel die Aufgabe erhält, durch das Talmerengebirge zu reisen, um im Namen der Herrscherin Altras mit dem Zirkelleiter von Fayl zu verhandeln, ist ihm bewusst, dass dieses Unterfangen Gefahren birgt. Aber er und sein Kumpel Steinwind haben noch nie zu einem Abenteuer Nein gesagt. Léthaniel nimmt die Mission also kurz entschlossen an, obwohl ihm neben seinem Freund bloß ein ehemaliger Assassine sowie eine Wassermagierin mit diplomatischem Geschick zur Seite stehen. Was die vier Gefährten im Hochgebirge erwartet, übersteigt indes ihre kühnsten Vorstellungen. Nicht nur, dass die Gruppe sich früher als gedacht in einer lebensbedrohlichen Lage befindet, sie stößt obendrein auf ein uraltes Relikt, welches für Altra von großer Bedeutung sein könnte: das Juwel der Talmeren.

 

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Februar 2022

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2022

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Claudia Heinen

Korrektorat Druckfahne: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-203-8

ISBN (epub): 978-3-03896-204-5

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

Altra

Tritt ein in eine Weltvoller Magie und Abenteuer.

 

Herzlich willkommen in Venera!

 

Vorwort

 

Diese Geschichte, die ich euch nun erzähle, trug sich im Jahr 11 255 der ersten Epoche zu, rund eineinhalb Jahre nach dem Ende der ›Greifen-Saga‹ und rund sieben Jahre nach ›Alia‹. Die Unruhen in Altra sind nach dem Machtwechsel der Herrschaft und dem damit zusammenhängenden Umbruch immer noch im ganzen Land spürbar und das ist der Grund, weshalb wir Léthaniel nun auf ein Abenteuer begleiten, welches das Gleichgewicht wieder ins Lot bringen soll. Doch das, was er in den Talmeren erlebt, bedeutet für Altra viel, viel mehr und ist der Grund, weshalb ich euch diese Geschichte nicht vorenthalten möchte. Ihr könnt sie ohne Vorkenntnisse der beiden genannten Reihen lesen und sie stellt die Vorgeschichte zu ›Damaris‹ dar, denn sie erzählt, weshalb die junge Greifenreiterin schließlich nach Chakas gereist ist, um ihr eigenes Abenteuer zu erleben.

 

Ich wünsche euch viel Vergnügen in den Talmeren. Seid auf der Hut vor den Gefahren, die dort auf euch und eure Gefährten lauern.

 

Herzlich

Eure Corinne

Prolog – Elderion

 

Vorsichtig bewegt sich die kleine Gestalt durch die Dunkelheit, bleibt immer wieder stehen und horcht auf die Geräusche der Umgebung. In der Höhle ist es so still, dass der ungebetene Gast nur seinen eignen Atem vernimmt, der von Dampfwolken begleitet wird.

Der Winter hält langsam im Talmerengebirge Einzug und trotz der Felle, die der Eindringling über seiner Rüstung trägt, spürt er, wie sich die beißende Kälte in seine Glieder gräbt. Doch das hält ihn nicht davon ab, weiterzuschleichen. Hin und wieder verschmilzt er mit den Felsen um sich herum – eine Fähigkeit, die ihm seine Zwergenmagie ermöglicht und von der er hofft, dass sie ihm auf dieser äußerst heiklen Mission hilft.

Die Ältesten haben ihn einen lebensmüden Dummkopf und überheblichen Sprücheklopfer geschimpft. Kein Zwerg wäre so dämlich, sich in den Hort eines Drachen zu wagen.

Er ist sich allerdings sicher, dass es gelingen kann. Es muss einfach. Das, weswegen er sich in diese dunkle Höhle schleicht, ist so viel mächtiger und wertvoller als das meiste, was sein Volk je besaß. Wenn es in die falschen Hände – oder in diesem Fall Klauen – gerät, könnte dies zu einer Katastrophe führen, wie es sie in Altra seit Jahrtausenden nicht mehr gab.

»Ruhig, Elderion«, flüstert er sich selbst zu, da sein Herz zu rasen beginnt, als er ein leises Schnaufen vor sich vernimmt.

Erneut schickt er Magie durch seinen Körper, sodass dieser mit dem felsigen Untergrund verschmilzt und der Zwerg mit dem Talmerengebirge eins wird. Der Stein, der ihn umgibt, schenkt ihm Kraft, und er bewegt sich achtsam weiter. Dieses Mal im Felsen – so lange, bis er spürt, dass die Magie ihn dazu drängt, aufzutauchen, da er Luft holen muss. Wenn ein Zwerg sich mit dem Erdelement verbindet, ist es ein bisschen, als würde er in einen See eintauchen. Er kann sogar andere Personen mit in den Felsen nehmen, solange er diese berührt.

Langsam lässt er den Kopf aus dem Boden gleiten und blickt sich um. Vor ihm glimmt etwas.

Nein. Nicht etwas.

Es ist ein Drache. Yanaril hat sich in seine menschliche Gestalt verwandelt und liegt schlafend auf einem felsigen Bett auf dem Rücken.

Und in seiner Hand …

Der Zwerg saugt geräuschlos die Luft ein und taucht nun ganz aus dem Untergrund auf.

Dort ist es … in greifbarer Nähe.

Jeder Muskel in seinem Leib spannt sich an, während er auf den Drachen zukriecht.

Kapitel 1 - Léthaniel

 

Tag 21, Monat 11, 1 EP 11 255

 

Verdammte Schweinekacke!

Es ist so dunkel wie in einem Kuhmagen. Ich kann noch nicht einmal die Hand vor Augen erkennen.

Verflucht, wie bin ich nur in diese Situation geraten?!

Ich schicke tausend Verwünschungen an die Götter, die mich zu dieser hirnrissigen Mission haben Ja sagen lassen. Mal abgesehen davon, dass die Scheißaufgabe an sich schon gefährlich genug ist, hätte ich spätestens beim Anblick dieser Chaotenbande, mit der ich losgeschickt wurde, ein entrüstetes Nein brüllen und der Auftraggeberin – aka Herrscherin von Altra – den Vogel zeigen müssen.

Na gut, womöglich hätte ich damit meinem Leben ein abruptes Ende gesetzt, denn ihr werter Gemahl hätte solch eine Geste mit Sicherheit persönlich genommen und mir zumindest die Eier abgeschnitten.

Dennoch kommt mir ein Leben als Eunuch gerade erstrebenswerter vor, als hier in einer finsteren Zelle inmitten der Talmeren ein Gefangener von Dunkelelfen zu sein und nicht zu wissen, wie es weitergeht.

Mit ›Chaoten‹ meine ich übrigens nicht meinen langjährigen Kumpel mit dem seltsamen Namen Steinwind – ein Hüne von einem Mann, der mehr Muskeln als Grips besitzt. Mit ihm bin ich seit Jahren unterwegs und bisher ist mein Kopf noch immer auf den Schultern geblieben.

Vielmehr meine ich diese Magierin Lucja, die allem und jedem mit Skepsis begegnet, obwohl sie offenbar selbst einmal Schwarzmagierin war. Das hat mir zumindest eine hübsche Dienerin in meinen Laken zwischen frivolen Versprechen und leidenschaftlichen Schwüren ins Ohr geflüstert.

Zudem diesen Dunkelelfen, der sich nur ›Schatten‹ nennt, was ihn wohl interessant oder geheimnisvoll wirken lassen soll. Sein Hang zu skurrilen Pseudonymen wäre mir ja noch gleichgültig – muss jeder selbst wissen, mit welchem Namen er in der Gegend rumläuft. Aber da gibt es das klitzekleine Detail, dass der Dunkelelf eine zwielichtige Vergangenheit als Mitglied der legendären Assassinengilde von Karinth hat. Außerdem besitzt er obendrein diese grimmige Miene, bei der man nie weiß, ob er gerade plant, einem die Kehle aufzuschlitzen, oder ihm einfach ein Furz quer sitzt. Der Kerl hatte in seinem Leben eindeutig zu wenig Frauen – falls er überhaupt schon mal mit einer im Bett lag.

Eine Assassinen-Jungfrau … irgendwie hat die Vorstellung etwas, das mich trotz all der Widrigkeiten gerade zum Schmunzeln bringt.

Jap, unsere vierköpfige Truppe ist ein einziges Selbstmordkommando.

Mit Risiken und deren Nebenwirkungen kenne ich mich allerdings aus, und auch wenn wir unseren Hals für das Land Altra riskieren, so hatte ich an einen erfolgreichen Ausgang dieser Mission geglaubt. Doch dann hatte Lucja die glorreiche Idee, dass wir uns trennen, weil unsere Chancen, etwas zum Abendessen zu jagen, dadurch größer seien.

Warum habe ich mich nicht durchgesetzt und darauf bestanden, dass wir in diesem gefährlichen Gebiet mitten im Talmerengebirge zusammenbleiben?

Jeder weiß, dass man in den Bergen nicht allein unterwegs sein sollte, da nicht nur kleinere Gefahren wie Felsstürze oder plötzliche Schneestürme hier lauern, sondern tausendmal todbringendere Dinge. Und zwar in Form von Kreaturen, deren Schauergeschichten Kinder dazu bringen, sich abends tief unter der Bettdecke zu verstecken. Korani, Dunkelelfen, Zentauren, Drachen … die Auswahl, von wem oder was man sich das Licht auspusten lassen möchte, ist breit gefächert und für jeden Geschmack etwas dabei.

Aber neeeihen … von alldem wollten meine Begleiter natürlich nichts wissen. Sogar mein Kumpel Steinwind hat sich auf die Seite der störrischen Magierin und ihres noch viel stureren Begleiters geschlagen. Diesem Dunkelelfen, der jetzt mit Sicherheit irgendwo da draußen in der Finsternis bei seinen Artgenossen hockt und sich ins Fäustchen lacht, weil er uns Tölpel in einen Hinterhalt zu locken vermochte.

Falls er überhaupt ein Lachen zustande bringt. Ich bezweifle stark, dass seine Mundwinkel über die notwendigen Muskeln verfügen, sich überhaupt zu heben. Er wirkt ebenso grimmig wie seine Kumpane, die uns mit einem Mal umzingelt hatten.

Statt zu jagen, sind wir selbst gejagt und in diese unterirdische Höhle verschleppt worden.

Scheiße!

Wütend schlage ich mit der Faust gegen die Felswand, an der ich lehne, und spüre kaum den Schmerz, der dabei durch meine Hand zuckt.

Es ist schweinekalt in der kleinen Zelle, in der ich vor wenigen Minuten mit Kopfschmerzen aufgewacht bin. Aber der Pelzumhang, der mir zum Glück nicht abgenommen wurde, schützt etwas davor, mir den Hintern abzufrieren.

Meine Gedanken rasen und wollen einfach nicht zur Ruhe kommen. Dies wäre wirklich ein guter Zeitpunkt für meine Tabakpfeife, die mir so oft im Leben schon geholfen hat, einen klaren Kopf zu kriegen, und die ich natürlich bei unserem Gepäck ließ, das irgendwo über mir an der Oberfläche zwischen einigen Felsen liegt.

Wie bei den Göttern sollen wir hier wieder rauskommen? Bisher habe ich stets einen Plan gehabt, aber jetzt? Mir ist bekannt, was Dunkelelfen mit Menschen anstellen – Magier hin oder her. Sie machen sie zu Sklaven, brechen ihren Willen und ihre Zauberkraft. Oder verzehren sie bei lebendigem Leib. Es ist kein Ammenmärchen, das weiß ich.

Ich habe mich ein bisschen über Dunkelelfen informiert, ehe ich mich bereit erklärte, mit diesem ›Schatten‹, den die Herrscherin von Altra als ihren Vertrauten und neuen Lieblingselfen auserkoren hat, von Merita aus über das Talmerengebirge in den Norden zu reisen.

Unser Ziel ist Fayl. Eine Region Altras, in der es immer noch Unruhen gibt, seit das Land vor acht Jahren einen Machtwechsel erfuhr.

Der Auftrag der Herrscherin lautet, mit dem dort ansässigen Zirkelleiter Venero zu sprechen und ihn zu überreden, dem Magierbündnis beizutreten, das den Frieden für Altra bringen soll.

Jede der sechs Regionen unseres Landes wurde früher von einem Zirkelleiter regiert. Seit dem Umbruch ersetzen in Lormir, Arganta, Chakas und Merita jeweils fünf Zirkelräte, die der neuen Herrscherin unterstellt sind, diesen Posten. Wenn erst mal Fayls Unterstützung gesichert ist, stehen die Chancen beträchtlich besser, Oshema – die einzige Region, die noch gegen die neuen Strukturen rebelliert –, zum Schweigen zu bringen.

Ob wir jemals in Fayl ankommen, ist jedoch äußerst fragwürdig.

Unsere Mission beinhaltet ein hohes Risiko, das war uns allen bewusst, als wir aufgebrochen sind. Lucja, Schatten und Steinwind zu Pferd, ich auf meinem Königsgreif namens Meteor.

Die Zeiten sind rau, die Söldner, die nach einem Kampf lechzen, weit verstreut. Viele Krieger wittern seit dem Machtwechsel ihren Vorteil, wenn sie sich auf die eine oder andere Seite schlagen und dies mit möglichst dramatischen Kampfberichten untermauern.

Wir waren nur zu viert. Je kleiner unsere Gruppe, desto unauffälliger könnten wir uns nach Fayl schleichen. Desto geschützter wären wir vor feindlichen Augen.

Dachten wir.

Falsch gedacht.

Ein größerer Trupp hätte uns in diesem Fall eindeutig Vorteile verschafft. Jetzt sitzen Steinwind und ich irgendwo mitten in den Talmeren Hunderte von Fuß unter den verfluchten Gesteinsschichten in Zellen fest und warten darauf, dass Dunkelelfen uns die Herzen rausschneiden, um sie zu essen – oder uns zu Sklaven machen. Ein Schicksal kaum besser als das andere.

Ich fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht, konzentriere mich und suche mit dem Geist nach demjenigen meines Greifs Meteor. Wir müssen jedoch so tief unter der Erde sein, dass es aussichtslos ist, eine Verbindung zu ihm herzustellen.

Normalerweise teilen Greife mit ihren auserkorenen Reitern nicht nur ihre magischen Kräfte, sondern es ist auch möglich, mit diesen wunderschönen Wesen über Gedanken zu kommunizieren – nun ja, Greife schicken eher Bilder als Worte. Aber man gewöhnt sich rasch daran und es fühlt sich falsch an, Meteors Präsenz nicht zu spüren. Seit ich mich vor drei Jahren mit ihm verbunden habe, war sein Geist täglich bei mir. Ein Leben ohne ihn ist nicht mehr vorstellbar.

Ein Greif bindet sich nur ein einziges Mal an einen Menschen – immer an einen Magier, so wie ich es bin. Diese Verbindung ist so tief und innig, wie es ansonsten keine mir bekannte Symbiose auf der Welt gibt. Wir teilen gewissermaßen unsere Gedanken, Gefühle und er kann seine magischen Kräfte für mich öffnen, sodass ich Zauber zu wirken vermag, die jegliche Vorstellungskraft übersteigen. Da es sich bei Meteor obendrein um einen Königsgreif handelt, ist er ein besonders edles Tier mit gewaltiger Macht.

Aber das ist nicht der Grund, warum ich ihn so liebe. Seine störrische und gleichzeitig liebevoll-fürsorgliche Art sowie sein Humor waren es, die mich vom ersten Moment an, als ich ihn im Greifenorden von Chakas sah, fasziniert haben. Zugegeben, auch sein schwarzer Löwenkörper und die anthrazitfarbenen Federn, die seine Flügel und den Adlerkopf zieren, haben es mir angetan. Ich mag nun mal schöne Dinge und Meteor ist eines der bezauberndsten Geschöpfe, das die Götter je erschaffen haben.

Er hat die Größe eines kleinen Ponys und ermöglicht es mir problemlos, auf ihm zu reiten – und zu fliegen. Oh, wie ich das Fliegen auf ihm liebe! Wir sind uns obendrein auch charakterlich äußerst ähnlich. Beide besitzen wir einen Hang dazu, uns in verzwickte Situationen zu begeben, sind selbstbewusst und scheuen uns nicht vor neuen Erfahrungen und Abenteuern.

Ja, Meteor hat mein Herz im Sturm erobert. Hoffentlich geht es ihm gut … ich ließ ihn zurück, als ich Lucjas Schreie hörte.

Wäre ich bloß nie nachschauen gegangen …

»Néthan?« Die Stimme meines Kumpels Steinwind dringt an mein Ohr.

Dass er meinen alten Namen verwendet, widerstrebt mir zwar, doch ich habe es aufgegeben, ihm zu erklären, dass ich inzwischen lieber Léthaniel genannt werde. Steinwind und ich kennen uns schon so lange, dass es ihm schwerfällt, meine Namensänderung zu verinnerlichen. Aber seit unserem letzten Abenteuer fühlt es sich einfach falsch an, weiterhin als Néthan herumzulaufen.

Womöglich habe ich doch mehr mit diesem Schatten-Assassinen gemeinsam, als mir lieb ist …

Ich versuche zu ergründen, wie weit mein Freund von mir entfernt sein mag. Vielleicht ein Dutzend Schritt? Oder weniger? Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dies festzustellen, denn die ganze verdammte Umgebung ist finster. Dunkelelfen sehen besser, wenn sie keine Fackeln entzünden – was man von mir als Mensch nicht behaupten kann. Dennoch habe ich es bisher nicht gewagt, eine Feuerkugel zu bilden.

»Verdammt, macht mal einer Licht?«, beschwert sich Steinwind wie aufs Stichwort.

Er ist kein Magier wie ich, sondern ein normaler Mensch und kann daher keine Lichtkugel herbeizaubern.

Nun gut normal ist wahrscheinlich untertrieben – er ist der stärkste und größte Mensch, der mir jemals begegnet ist. Ich vermute ja immer noch, dass er von den Riesen abstammt, die auch irgendwo hier im Talmerengebirge ihr Zuhause haben sollen. Noch nie hat jemand von uns einen Riesen gesehen, also lassen sich diese Gerüchte nicht prüfen. Und Steinwind schweigt über seine Herkunft – hat selbst mir, seinem langjährigen Freund, nie die Frage beantwortet, ob an den Klatschgeschichten etwas dran sei. Geschweige denn, seinen richtigen Namen verraten.

Keine Mutter kann ihr Kind so sehr hassen, es mit solch einem Namen zu strafen …

»Néthan?«, knurrt Steinwind erneut in die Dunkelheit.

»Hier.« Meine Stimme klingt rau, weil ich schon seit gefühlten Ewigkeiten nichts mehr getrunken habe.

»Bist du verletzt?«, fragt mein Freund weiter.

»Nur ein paar Kratzer und mein Schädel brummt. Du?«

Steinwind grunzt. »Nichts, was mich umbringen würde. Wo sind die anderen beiden?«

»Na, wo unser Herr Elf ist, kannst du dir wohl denken«, entgegne ich missmutig.

»Meinst du, er hat uns in diesen Hinterhalt gelockt?« Steinwinds Stimme klingt zweifelnd.

Ich stoße ein verächtliches Schnauben aus und spare mir eine Antwort.

Vorsichtig greife ich an meine Schläfe, wo eine große Platzwunde von dem Schlag zeugt, der mich niederstreckte. Es muss arg geblutet haben, meine Haut ist über die gesamte Wange bis zum Hals mit Blut verkrustet.

Als ich die Verletzung berühre, zucke ich zusammen. Das wird eine weitere Narbe auf meinem Körper hinterlassen.

Als ob ich nicht schon genug davon hätte …

Mein Oberkörper ist ohnehin davon übersät. Ich hätte sie in einem Magierzirkel von einem geübten Heiler, der über genügend Erdmagie verfügt, gegen das notwendige Kleingeld entfernen lassen können, aber jede Einzelne davon erzählt eine Geschichte und gehört damit zu meinem bewegten Leben. Es mag melodramatisch klingen, doch irgendwie hänge ich an den Narben.

Ich bin nicht eitel – nun, vielleicht ein klitzekleines bisschen – jaja, issja gut, ein großes bisschen … Verletzungen im Gesicht habe ich noch nie ausstehen können. Und jetzt ist weit und breit kein Erdmagier in der Nähe, der die Wunde zu heilen vermag. Ich bin Feuermagier, Lucja ist Wassermagierin, der Dunkelelf ein Assassine und Steinwind ein Schurke. Wir alle können zwar kleinere Blessuren versorgen, keiner besitzt jedoch die Kräfte, sie zu heilen wie ein Erdmagier.

Mist.

Warum habe ich nicht auf meine Instinkte gehört? Während ich zusammen mit Steinwind Lucjas Schrei gefolgt bin, den wir vom Lagerfeuer aus vernommen haben, ahnte ich bereits, dass uns Ärger erwartet.

Als ich die schwarzhaarige Magierin dann auf dem schneebedeckten Boden sah, über ihr breitbeinig ein fremder Dunkelelf, der seinen blutverschmierten Dolch gerade aus ihrem Bauch zog, blieb mir das Herz für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Von unserem Begleiter namens Schatten war weit und breit nichts zu sehen.

Ich habe mich noch nicht mal vergewissern können, ob Lucja tot ist oder nicht, da bekam ich bereits einen harten Schlag auf den Kopf und wurde kurz darauf in Schwärze gehüllt. Es hatte sich eindeutig um einen Hinterhalt gehandelt.

Steinwind reißt mich erneut aus meinen Gedanken. »He. Machst du jetzt endlich mal Licht?«

Ich atme tief durch. »Was, wenn …«

»… wenn sie uns sehen?« Steinwinds Lachen gleicht einem Donnergrollen.

Umgehend muss ich zugeben, dass meine Bedenken komisch anmuten. Wir sind von Dunkelelfen gefangen worden. Ob sie uns sehen können, spielt wirklich keine Rolle. Sie wissen ja, dass wir da sind, denn ziemlich sicher haben sie uns hierhergebracht.

Also strecke ich die Hand in die Dunkelheit aus, um eine Lichtkugel zu bilden. Zugegebenermaßen bin ich selbst neugierig darauf, wo genau wir uns befinden. Eventuell entdecke ich ja noch eine Möglichkeit, von hier wegzukommen.

Ich habe vorhin die Zelle abgetastet und festgestellt, dass sie ungefähr drei auf zwei Schritt misst. Mit einer eisernen Tür aus Stäben am einzigen Ort, wo ein Ausgang wäre. Obwohl ich ein Schloss gefunden habe, ist es mir nicht gelungen, es mittels der Dietriche, die ich bei mir trage, zu öffnen, da es zusätzlich mit Magie verbarrikadiert worden sein muss. Womöglich kann ich das Eisen mit meiner Feuermagie zum Schmelzen bringen. Es ist riskant, da ich für den Zauber viel von meiner Körperwärme brauche und im dümmsten Fall erfrieren könnte, doch einen Versuch ist es allemal wert.

Leise einatmend, konzentriere ich mich auf die Kräfte, die ich in meinem Körperzentrum wahrnehme, seit ich ein kleiner Junge war. Obgleich jeder Mensch in Altra eines der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde oder Luft in sich trägt, die ihm besondere Fähigkeiten verleihen, so hat nur ein kleinerer Teil von den Göttern obendrauf noch Magie geschenkt bekommen. Diese lernt man in einem der Magierzirkel des Landes zu kontrollieren – ich hatte sogar privaten Unterricht vom Zirkelleiter von Chakas. Aber das ist eine andere Geschichte.

Während rein Erdbegabte sich zum Beispiel um das Wohl von Menschen und Tieren kümmern und sie heilen können, vermögen Erdmagier noch viel gewaltigere Dinge. Sie sind dazu fähig, sogar ganze Gliedmaßen wiederherzustellen, wenn diese vom Körper abgetrennt wurden.

Ich als Feuerbegabter bin ein äußerst geschickter Kämpfer. Mit meiner Feuermagie bin ich in der Lage, Zauber zu wirken, die mir vor allem bei Angriff und Verteidigung äußerst nützlich sind.

Mit meiner Magie bin ich mit Meteor zusammen, ohne zu prahlen, ein richtig ernst zu nehmender Gegner.

Doch jetzt … da ist nichts. Nicht ein Hauch der Wärme, die normalerweise in meinem Inneren erstrahlt und welche ich nutzen kann, um mein Feuerelement zu beherrschen.

Ich fluche leise und probiere noch einmal, meine Magie hervorzulocken. Behutsam, als wäre sie eine Jungfrau in der Hochzeitsnacht.

Vergebens.

Es scheint, als wäre der Quell, aus dem ich meine Kräfte normalerweise ziehe, ausgetrocknet.

»Bin ich blind oder ist es immer noch dunkel?« Steinwind knirscht hörbar mit den Zähnen.

»Es geht nicht … meine Magie ist weg.« Ich merke selbst, dass ein Anflug von Panik in meiner Stimme mitschwingt, und beiße mir unwillkürlich auf die Zunge. Ich hasse es, machtlos zu sein. »Diese Bastarde müssen sie blockiert haben!«

»Blockiert?«

»Ja, das ist doch möglich. Mit einem Pulver oder so. Verdammt noch mal!«

Steinwind fällt in meinen Fluch ein. »Scheiße, wie lange hält das an?«

Ich zucke mit den Schultern, obschon mein Freund mich nicht sehen kann. »Keine Ahnung … ein, zwei Stunden – wenn das Pulver stark war, sogar Tage oder Wochen.«

Ich habe lange im magischen Zirkel von Chakas gelebt und weiß, dass es ganz fiese Mittel gibt, Magie zu unterbinden. Mir bleibt nur, ein Stoßgebet zu Feuergott Ignas zu schicken, dass diese Dunkelelfen keine solch starken Substanzen kennen. Sonst sitzen wir wirklich in der Klemme.

Erneut ist Steinwinds Fluchen zu vernehmen. »Was nun?«

»Ich weiß nur eins: Wir müssen hier raus! Lass dir was einfallen.«

»Du bist der Anführer, nicht ich«, erwidert Steinwind missmutig.

Ich seufze. Wir haben einige Jahre bei den Sandschurken gelebt – und ja, dort war ich deren Anführer. Doch das war vor dem Abenteuer, das mich nach Merita brachte.

Verflucht, ich bin kein Anführer mehr!

Ich bin seit zwei Jahren ein Lakai der Herrscherin, der brav Männchen macht und Pfote gibt, wenn es verlangt wird. Meine Zeiten als Draufgänger sind vorbei. Zumindest werden sie das gezwungenermaßen ohnehin bald sein, sollten wir nicht rauskommen.

»Hast du einen Plan?«, tönt Steinwind von der anderen Zelle zu mir herüber.

»Nein.«

»Nein?«

»Nein, verdammt.«

»Aber du hast immer einen Plan, Anführer.«

»Hör verflucht noch mal auf, mich Anführer zu nennen!« Ich balle die Hand erneut zur Faust.

»Aber du hast immer einen Plan, Néthan.«

Ich knurre in mich hinein. »Im Moment seh ich keine Möglichkeit, wie wir hier rauskommen«, fasse ich die ausweglose Situation zusammen. »Zudem müssen wir wissen, wo Lucja ist. Ohne sie wird es wesentlich schwerer, nach Fayl zu gelangen und unsere Mission zu erfüllen. Sie hat gesagt, sie habe dort Kontakte, die uns vielleicht helfen könnten, den Zirkelleiter von Fayl zu einem Bündnis zu überreden.«

»Glaubst du, sie lebt noch?«

Steinwinds Stimme verrät, dass er daran zweifelt. Tue ich auch, denn das Bild ihres leblosen Körpers erscheint wieder vor meinem inneren Auge. Aber noch habe ich mich nicht selbst davon überzeugen können, dass sie wirklich tot ist. Folglich gibt es noch Hoffnung.

»Ich weiß es nicht«, gestehe ich widerwillig. »Solange ich nicht ihren Leichnam gesehen habe …«

»Gegebenenfalls wirst du den früher sehen, als dir lieb ist.«

»Halt’s Maul.«

Allein die Vorstellung, dass sie gestorben sein könnte, bereitet mir Unbehagen. Sie ist keinesfalls die Sorte Frau, die mein Herz höherschlagen lässt und auch nicht die, die ich rekelnd in meinen Laken sehen will. In den letzten Jahren bin ich wählerisch geworden …

Nichtsdestotrotz hat mich Lucja auf ihre Weise beeindruckt. Sie ist eine Kämpferin durch und durch. Eigentlich hätte ich eine verwöhnte Göre erwartet – ist sie doch die Tochter des ehemaligen Zirkelleiters von Arganta. Lucja allerdings … sie ist … bodenständig. Ja, das beschreibt ihr Wesen wohl am besten. Bodenständig, resolut, temperamentvoll und geradlinig. Eigenschaften, die ich an Menschen schätze. Sie ist eine gute Weggefährtin, auch wenn sie selten spricht und stets diesen säuerlichen Gesichtsausdruck aufsetzt, als hätte ihr jemand ins Essen gerotzt. Und dennoch weiß ich, dass sie alles beobachtet und sich eine Meinung dazu bildet. Still, abwartend, berechnend und klug.

»Anfü… Néthan?«

»Was?!«

»Ich glaube, da kommt jemand.«

Ich halte die Luft an und horche in die Dunkelheit. Entweder hat Steinwind bessere Ohren oder die Person, die sich nähert, kommt von seiner Seite her. Auf jeden Fall höre ich nichts.

Ich bleibe so still wie möglich – bis ich mit einem Mal einen Lufthauch spüre. Es liegt eventuell daran, dass ich mich so nahe bei den Gitterstäben aufhalte, doch ich vermeine, eine Bewegung in der Dunkelheit zu erkennen.

»Wer ist da?« Ich versuche, meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen – obwohl ich so angespannt bin wie die Sehne eines Bogens, kurz bevor sie zerreißt.

»Schhht«, zischt jemand von außen.

In mir überschlagen sich die Gedanken. Anscheinend ist dieser Jemand ein Verbündeter. Sonst hätte er sicher nicht zur Stille ermahnt, oder? Aber … wer ist es?

»Schatten?«, flüstere ich in der vagen Hoffnung, dass ich mich in dem Dunkelelfen getäuscht habe und er uns gerade befreit.

»Schhht«, stößt der Unbekannte erneut hervor, dieses Mal ungeduldiger.

Dann knackt etwas und ich vernehme Metall, das über Stein schleift.

»Was tut Ihr?« Ich klinge so angespannt, wie ich mich fühle. Entweder bedeutet das Auftauchen des Fremden gerade unseren Tod oder … unsere Freiheit.

Ich registriere eine Hand, die nach meiner greift. Eine kräftige Hand mit kurzen Fingern.

Nein, das ist nicht Schatten.

Ein Kind? Ist ein Kind gerade dabei, mich zu befreien?

»Kommt!«

Die Stimme klingt nicht wie die eines Kindes. Eher wie die eines erwachsenen Mannes. Jedoch bin ich nicht in der Situation, irgendwelche Ansprüche zu stellen – also packe ich die Hand und lasse mich aus der Zelle ziehen.

»Was ist mit …«

»Er wird ebenfalls hinausgeführt«, unterbricht mich der Fremde ungeduldig.

Es ist ein komisches Gefühl, zu gehen, ohne auch nur das Geringste zu sehen. Jeden Moment fürchte ich, über irgendetwas zu stolpern oder mir den Kopf zu stoßen.

Allerdings führt mich die kleine Hand so zielsicher durch die Dunkelheit, dass ich staune. Wie kann die Person in dieser Finsternis bloß etwas sehen?

»Steinwind?«, raune ich.

Wieder erklingt dieses »Schhht«, ehe die Hand fester zupackt und mich energischer wegzerrt.

Ich stolpere durch die Dunkelheit, lasse mich von meinem unbekannten Retter leiten.

Irgendwann hält er endlich an und ich bemühe mich, etwas zu erkennen.

Vergebens.

Ein leises Knacken ertönt, dann öffnet sich eine Tür und endlich fällt etwas Licht in den Gang, in welchem wir uns befinden. Was ich sehe, erstickt jedoch jede Hoffnung, die ich auf Rettung hatte, im Keim.

Kapitel 2 - Léthaniel

 

»Verflucht noch mal, was soll das?«, höre ich Steinwinds Stimme hinter mir und als ich mich zu ihm umdrehe, kann ich im Halbdunkel sehen, dass zwei Dunkelelfen meinen glatzköpfigen Freund flankieren.

Doch was mir viel mehr Sorge bereitet, ist, dass wir von diesen Dunkelelfen gerade in eine gewaltige Höhle geführt werden.

Wir befinden uns auf einer kleinen Plattform, von der aus ein Weg zwischen Tropfsteinen nach unten führt. Vereinzelt vermag ich ein paar Fackeln zu entdecken, aber das meiste der eisig kalten Höhle liegt im Dunkeln.

Da ich kein Ende wahrnehme, muss der Unterschlupf der Dunkelelfen enorme Ausmaße besitzen. An den Wänden fallen mir ein paar Einbuchtungen und Türen auf, die wohl in weitere Gänge oder Räume führen. Alles wirkt trist und schmutzig und ein säuerlicher Gestank dringt mir in die Nase. Ein scharfer Wind bläst mir ins Gesicht. Hatte ich vorhin noch das Gefühl, es mit meiner Reisekleidung und dem Pelzumhang warm genug zu haben, so lässt mich die Kälte, die in dieser Höhle herrscht, nun frösteln.

»Weiter!«, befiehlt der Elf, der fast noch ein Kind ist und sich vor mir aufgebaut hat. Er befindet sich anscheinend gerade im Stimmbruch, denn das Wort wird von einem leisen Quieken begleitet, das ihm unangenehm ist, wie ich in den roten Augen lesen kann.

Wie bei seinen Artgenossen ist seine Haut dunkel, mit einem leichten Graustich. Das Haar, unter dem spitze Ohren hervorblitzen, ist weiß, seine Statur schlank, jedoch muskulös und unterscheidet sich von der eines Menschen nur in der Feingliedrigkeit sowie der Anmut, mit der er sich bewegt.

Er reicht mir vielleicht knapp bis zur Brust und ich muss ein Lachen unterdrücken, weil ich von so einem kleinen Kerlchen Befehle erhalte.

Aber es wäre purer Selbstmord, wenn ich mich ihm widersetzen würde, das sehe ich ein. Steinwind und ich wären im Nu überwältigt, da ich keinerlei Magie wirken kann und zudem davon ausgehe, dass die Dunkelelfen in der Überzahl sind. Wir könnten allenfalls gegen zehn von ihnen bestehen, doch dann müssten wir uns geschlagen geben. Das ist wohl auch der Grund, wieso wir keine Fesseln tragen – diese Bastarde wissen ganz genau, dass sie die Oberhand haben.

Erneut ergreift der kleine Dunkelelf meine Finger, aber dieses Mal entziehe ich sie ihm.

»Ich kann selbst gehen«, brumme ich.

Das Kerlchen scheint nicht mit Widerrede gerechnet zu haben, denn es verzieht das Gesicht zu einer grimmigen Miene, ehe es mit Nachdruck meine Hand packt und mich mit so viel Kraft hinter sich her zerrt, dass ich tatsächlich stolpere. Gerade so gelingt es mir mit einem Ausfallschritt, meinen Körper daran zu hindern, mit dem Boden Bekanntschaft zu machen.

»Verdammt, Kleiner, pass auf!«, knurre ich, da wirbelt der Dunkelelf jedoch zu mir herum und stößt mir zwei seiner Finger gegen die Rippen.

Ich keuche laut auf, ein heftiger Schmerz durchzuckt mich und ich gehe in die Knie. Als ich an mir herunterblicke, sehe ich, dass seine Finger sowohl mein ledernes Wams als auch meine Haut durchdrungen haben, als bestände beides aus Papier. Nachdem er sie zurückgezogen hat, sind sie blutig und er leckt sie genüsslich ab, während er Worte in einer Sprache spricht, die ich nicht verstehe.

Bei den Göttern … wie ekelhaft!

Ich presse eine Hand auf die Verletzung und fluche in mich hinein. Noch eine Wunde mehr … so langsam wäre es verdammt sinnvoll, einen Heiler aufzusuchen. Nur leider ist hier weit und breit keiner.

»Anführer!«, höre ich Steinwind hinter mir keuchen. »Geht es dir …«

»Nein!«, unterbreche ich ihn und stoße scharf die Luft aus, was mir mit einem schmerzhaften Blitz aufzeigt, dass die Rippen, die der Dunkelelf getroffen hat, gebrochen sein müssen.

Verdammt noch mal, was essen diese Bastarde, um derart übermenschliche Kräfte zu erhalten?! Na gut, es sind Elfen, dennoch übersteigt diese Attacke alles, was ich bisher gesehen habe – und mein Gegenüber ist fast noch ein Kind!

Ein Teil von mir ist fasziniert, der andere würde sich am liebsten direkt hier übergeben.

»Steh auf!«, befiehlt der Scheißkerl wieder in der Menschensprache Praedisch, die ich problemlos verstehe, obwohl ich in Chakas aufwuchs, wo man Temer spricht.

Als Jugendlicher wurde ich in allen drei Landessprachen Altras unterrichtet und spreche sie daher fließend. Mit ein Grund, weshalb ich nach Fayl geschickt wurde, wo Lormisch die Hauptsprache darstellt.

Energisch greift der Elf nach meinem langen Haar, um mich daran hochzuziehen.

Früher habe ich meine dunkelbraune Mähne bis fast zu den Hüften wachsen lassen, aber für die Reise stutzte ich sie, sodass sie mir bloß noch bis über die Schulterblätter fällt. Nichtsdestotrotz hege und pflege ich meine Haarpracht, da ich weiß, dass sie viele Frauen wie magisch anzieht.

Dass dieser Kerl jetzt einfach so daran herumzerrt, geht eindeutig zu weit! Mein Haar ist mir heilig und mit Sicherheit wird es nicht von so einem dreckigen Bastard wie ihm angefasst!

Ich werfe den Kopf zurück und entwinde mich damit seinen Fingern, stemme mich hoch, um wankend auf die Beine zu kommen. Meine Seite pocht fürchterlich und noch immer presse ich die Hand auf die Wunde. Ich spüre warme Flüssigkeit, die auf den Boden tropft, doch ich fixiere mit den Augen das Dunkelelfenkind.

»Geh voran, du kleine Ratte!«, zische ich.

Ein hochmütiger Zug erscheint auf seinem Gesicht und ich glaube schon, dass er die Arme vor der Brust verschränken wird, da ertönt hinter mir ein Knurren, das nicht von Steinwind, sondern von einem der beiden anderen Dunkelelfen stammt.

In ihrer eigenen Sprache sagt einer von Steinwinds Bewachern etwas, das dem Kleinen wohl gegen den Strich geht. Er schenkt mir einen weiteren flammenden Blick, ehe er sich abrupt abwendet und weiterschreitet. Da mir keine andere Wahl bleibt, folge ich ihm – sorgsam darauf bedacht, nicht zu tief einzuatmen, um meine Rippen zu schonen.

Während wir den Weg in die Höhle hinuntergehen, schließen sich uns immer mehr Dunkelelfen an, die aus dem Nichts auftauchen. Mal lehnen sie plötzlich an irgendwelchen Tropfsteinen, mal stehen sie jäh vor uns, als wären sie von der Decke gefallen. Frauen und Männer jeglichen Alters befinden sich darunter – und sie folgen uns, als wären wir der Anfang eines verdammten Festumzugs.

Hätte ich mich nicht schon an ihr unheimliches Aussehen aufgrund unseres Gefährten ›Schatten‹ gewöhnt, wäre ich wohl zusammengezuckt. Aber so nehme ich ihre finsteren Mienen mit stoischer Gelassenheit hin. Es gibt anderes, was mich mehr sorgt. Steinwinds Leben und meines zum Beispiel.

Der junge Dunkelelf hält erst an, als wir eine Weile durch die scheinbar endlose Höhle gegangen sind und vor uns ein Platz mit noch mehr Angehörigen dieser Brut erscheint. Inzwischen müssen es Hunderte sein, die sich um uns versammelt haben.

Etwas Hoffnung beschert mir lediglich, dass ich weit über uns an der Höhlendecke einen kleinen hellen Fleck erkenne, der auf eine Öffnung hindeutet. Ein Ausgang, eine Fluchtmöglichkeit.

Nur wie komme ich da hoch? Wäre mein Greif Meteor hier, hätte dies kein Problem dargestellt – bloß erreiche ich diesen leider gedanklich immer noch nicht.

Als ich mir den Platz genauer anschaue, fallen mir zwei Pfähle auf, die am hinteren Ende aufgestellt sind und zu denen Steinwind und ich nun gebracht werden.

Wunderbar … man wird uns vor der schaulustigen Menge das Herz herausreißen, während wir dort festgebunden sind.

Die Dunkelelfen, die unseren Weg flankieren, sind erstaunlich still. Ich hätte mit Jubelgeheul oder Beifall gerechnet, aber sie fixieren uns nur mit ihren roten Augen und lassen die Szenerie dadurch noch unheimlicher erscheinen.

Aufmerksam sehe ich mich um, kann allerdings weder unseren ›Freund‹ Schatten noch Lucja entdecken. Entweder sind die beiden tot oder sie konnten fliehen. Ich hoffe auf Letzteres.

Als wir bei den beiden Pfählen angekommen sind, wundert es mich nicht, dass wir mit dicken Stricken daran festgebunden werden. Ich werfe einen Blick zu Steinwind, der sich ebenso konzentriert umschaut wie ich. Panik ist bei uns beiden fehl am Platz. Wir sind ehemalige Schurken und der Kampf ums tägliche Überleben ist uns nicht fremd. Wir haben schon schlimmere Situationen als diese hier gemeistert.

Nun ja … vielleicht nicht viel schlimmere.

Diese Situation ist echt RICHTIG übel …

Wir beide suchen nach einem Ausweg, ohne ihn jedoch zu entdecken.

Meine Aufmerksamkeit wird auf einen schlanken, hochgewachsenen Dunkelelfen gelenkt, der vor uns tritt. Er mustert sowohl mich als auch Steinwind ein paar Sekunden lang, bevor er sich der Menge zuwendet und wieder in dieser Scheißfremdsprache spricht, die ich nicht kenne.

»Verstehst du was?«, raunt Steinwind neben mir.

Ich schüttle zur Antwort den Kopf, da Steinwinds Worte ihm einen Faustschlag in den Magen von einem Dunkelelfen einbringen, der neben ihm steht.

Keine gute Idee, die Rede ihres Anführers zu unterbrechen. Verstanden.

Meine Rippen können auf weitere Misshandlungen verzichten.

Ich versuche, anhand der Stimmlage des Elfen irgendeinen Hinweis darauf zu bekommen, was sie mit uns vorhaben. Doch sie ist so monoton und düster, dass es von ›Schlitzt sie auf und esst ihre Eingeweide‹ über ›Wir werden ein dämonisches Ritual an ihnen vollführen‹ bis hin zu ›Lasst uns ihren Willen brechen und sie zur Sklaverei verdammen‹ alles bedeuten kann.

Mir ist bekannt, dass Dunkelelfen liebend gern Dämonen beschwören, was sie noch gefährlicher macht. Selbst habe ich mich noch nie an sogenannter grauer Magie probiert. Das ist mir zu schmutzig und Dämonen saugen zudem die Magie des Beschwörers nach und nach auf. Wenn ich etwas an mir saugen lasse, dann sind es die vollen Lippen einer Frau – sicher nicht die hässlich dunklen Kräfte eines Dämons.

Ich sehe mich um. Nur Dunkelelfen sind zu entdecken, das bestärkt mich in der Annahme, dass dieser Stamm keine Gefangenen zu Sklaven macht.

Na, das sind mal tolle Aussichten – endlich weiß ich, in welche Richtung das hier alles gehen wird. Herrlich.

Da fällt mein Blick auf einen Dunkelelfen, den ich kenne. Einen, dem ich mein Leben anvertraut habe.

»Verdammter Bastard!«, knurre ich, als ich tatsächlich den Assassinen unter den Zuschauern ausmache.

Ich zerre an meinen Fesseln, was allerdings ebenfalls von einem Faustschlag in meinen Magen unterbrochen wird. Keuchend schließe ich die Augen, versuche, gegen den Schmerz anzuatmen.

Als ich die Lider erneut öffne und zu der Stelle starre, wo der Assassine eben noch stand, ist er fort.

Aber ich habe ihn gesehen, eindeutig. Dieser Dreckskerl hat uns verraten!

Gerade beendet der Anführer seine Ansprache und Jubel bricht doch noch aus. Allerdings lässt er mir eine Gänsehaut über den Rücken gleiten. Die Mordlust in den Mienen der Dunkelelfen ist eindeutig: Wir werden gleich in Stücke gehackt.

Der Anführer wendet sich dem jungen Dunkelelfen zu, der mich hergeführt hat, und nickt, was diesem ein Grinsen entlockt. Er lässt sich von zwei seiner Kumpane die Kleidung ausziehen, sodass er schließlich nackt vor uns steht. Mir wird immer mulmiger zumute.

Was für ein kranker Scheiß geschieht hier?!

Ich beginne zu begreifen, dass es sich wohl um eine Art Aufnahmeritual oder so handelt, denn nur der junge Elf ist es, der sich für das, was gleich kommt, bereit macht. Der Rest steht weiter im Halbkreis um uns herum.

Wieder spricht der Anführer einige Worte und nun wird der Jubel der Umstehenden zu einer Anfeuerung.

Nicht gut …

Ich beobachte mit schmalen Augen, wie der Halbwüchsige seinen gestählten Körper dehnt, sodass die Knochen knacken. Dann, ohne Vorwarnung, prescht er auf Steinwind zu und rammt ihm, wie vorhin bei mir, seine Finger in den Unterbauch. Mein Freund stößt ein lautes Stöhnen aus, als die Hand des Elfen durch das Leder und seine Haut dringt.

Blitzschnell zieht der Elfenjunge sich zurück und hält ein Stück Fleisch in den Fingern.

Mein Magen rebelliert, als ich feststelle, dass es die Milz sein muss – zumindest klafft genau an der Stelle, wo sie liegen sollte, ein Loch in Steinwinds Bauch. Mein Freund heult laut auf, während Blut aus der Wunde läuft.

Ich zerre erneut an meinen Fesseln, aber es bringt nichts, ich kann mich nicht losreißen und muss hilflos zusehen, wie der verfluchte Elf beginnt, das Organ meines Freundes zu … essen?!

Was zum Henker läuft mit diesem Volk schief?!

Blut tropft auf seinen nackten Körper, was ihn zu erregen scheint, wie unschwer zu erkennen ist. Ich wende den Kopf ab, da ich nicht länger zusehen kann, ohne mich zu übergeben.

Ja, in meinem Leben habe ich schon viel zu sehen bekommen, aber wie ein Halbstarker ein blutiges Stück Fleisch meines besten Freundes vertilgt und dabei einen Ständer kriegt, muss ich mir nicht geben. Sollte ich das hier überleben, werde ich definitiv einen Albtraum mehr haben, der mich verfolgt.

Ich presse die Augen zusammen und versuche, das triumphierende Geheul der Dunkelelfen sowie die Schmerzensschreie meines Freundes auszublenden. Keine Chance.

Als ich einen brennenden Schmerz an der Stelle spüre, wo der Elf mich bereits verwundet hat, reiße ich die Lider wieder auf. Hätte ich das Mal besser gelassen … denn der Anblick, der sich mir zeigt, und der Eisengeruch, der in meine Nase dringt, lassen mich nun wirklich würgen.

Der junge Elf hat sich vor mich hingestellt und schiebt mir unter dem Beifall seiner Artgenossen gerade grinsend Hemd und Wams hoch, um mir auf Höhe der Taille ein handtellergroßes Stück Fleisch herauszureißen. Als seine spitzen Zähne in meinen Körper dringen, werfe ich den Kopf in den Nacken und kann den Schmerzensschrei nicht unterdrücken, der meiner Kehle entweicht.

Der junge Elf lacht gehässig und das genüssliche Schmatzen, das ich vernehme, gibt mir den Rest. Doch ehe ich mich übergebe, fällt mein Blick hinauf zur Höhlenöffnung. Als ich dort einen schwarzen Schatten entdecke, kann ich mein Glück kaum fassen.

Eine Mischung aus Heulen und Lachen entfährt mir, während ich kurz darauf in meinem Geist ein Bild aufflackern sehe, das nur ein Wesen auf dieser Welt mir schicken kann: Es ist das Bild einer kleinen Echse. Mein Greif Meteor hat einmal einer das Leben gerettet, indem er sie vor dem Vertrocknen auf sandigem Boden bewahrte und sie stattdessen behutsam mit seinem Adlerschnabel aufnahm und in den nächsten Tümpel brachte, den er fand. Ich bin zwar keine Echse, aber dennoch verstehe ich, dass Meteor mich retten wird.

Schon spüre ich seine Magie, die sich mit mir verbindet und damit die Lücke füllt, die entstand, als mir meine eigenen Kräfte von den Dunkelelfen genommen wurden.

Ich fackle nicht lange, sondern lasse meine Stricke in Flammen aufgehen, was das Jubelgeheul unserer Peiniger abrupt verstummen lässt. Allerdings nur für die Dauer eines Lidschlags, denn im nächsten Moment sind wütende Schreie zu vernehmen.

Obwohl der Schmerz meiner klaffenden Wunde überwältigend ist, stoße ich mich blitzschnell vom Pfahl ab und ramme den jungen Elfen, der mich vollkommen verdattert ansieht, mit der Schulter. Noch während aus seinem Mundwinkel ein Fetzen meiner Haut hängt, stoße ich ihn zu Boden. Anschließend hechte ich zu meinem Freund, bilde um uns einen Schutzschild und lasse meine Feuermagie in seine Fesseln dringen.

Als sich die Stricke eine Sekunde darauf gelöst haben, sackt Steinwind benommen zusammen. Er hat viel zu viel Blut verloren, wie mir die glänzende Lache seines Lebenssaftes zeigt, in die ich unwillkürlich getreten bin.

»Aufstehen, Großer!«, befehle ich mit scharfer Stimme, denn die Dunkelelfen waren derweil nicht untätig.

Dutzende Pfeile prasseln gegen meinen magischen Schild und lassen ihn erbeben. Ich sehe, wie einige unserer Gegner gerade ihre Kräfte miteinander verbinden, um uns mit Magie anzugreifen.

Scheißelfenpack!

»Hoch mit dir!« Ich zerre an Steinwinds Oberarm, habe aber keine Chance, seinen muskelbepackten Körper aufzurichten, da meine eigenen Kräfte durch die schmerzhafte Wunde an der Seite und die gebrochenen Rippen geschwächt sind.

Ich schaue nach oben und bemerke, dass Meteor inzwischen so nahe ist, dass ich seine gelben Adleraugen erkennen kann. Er trägt zum Glück immer noch die Satteltaschen, die ich ihm nicht abgenommen hatte, und wieder einmal muss ich feststellen, was für ein beeindruckendes Geschöpf er ist. Wenn wir nebeneinanderstehen, reicht er mir bis zur Brust und ich zweifle keinen Moment daran, dass es ihm problemlos gelingt, Steinwind und mich zusammen auf seinem Rücken zu tragen. Doch dafür müssen wir erst mal heil zu ihm gelangen.

Da ich jetzt über die schier endlose Magie meines Greifs verfüge, gelingt es mir, breit gefächerte Feuerwellen auf die Dunkelelfen loszulassen. Sie ziehen sich etwas zurück, aber der Pfeilhagel prasselt weiter auf uns nieder.

Meteor wird unter solchen Umständen nicht heil landen können, denn ich vermag meinen Schutzschild erst über ihn auszubreiten, sobald er in meiner Nähe ist.

Leise fluchend halte ich die Elfen mit meinen Feuerzaubern auf Abstand, während ich ein Stoßgebet zu den Göttern sende, dass sie uns Hilfe schicken.

Als das schaurige Knurren eines Dämons erklingt, sinkt die Hoffnung jedoch, dass die Götter mich erhört haben könnten.

Voller Entgeisterung stelle ich fest, dass die Dunkelelfen tatsächlich ein Schattenwesen beschworen haben, das sie auf uns zupreschen lassen.

Das war’s – sobald der Dämon uns erreicht, sind wir geliefert.

Noch einmal jage ich eine mächtige Feuerwelle auf die Gegner. Als ich sie wütend fixiere, erkenne ich mit einem Mal, dass sie kurz blinzeln, wenn das Feuer auf sie zuschießt.

Da kommt mir ein rettender Gedanke.

Unser Gefährte Schatten hat seine Augen bei Tageslicht immer mit einem Stoff geschützt, weil er als Dunkelelf äußerst lichtempfindlich ist.

»Licht«, knurre ich. »Wir brauchen mehr Licht.«

Ich werfe einen raschen Blick zu Meteor, der über uns kreist und ebenfalls von Pfeilen attackiert wird. Allerdings ist er glücklicherweise zu weit weg, sodass sie ihn nicht erreichen.

»Tut mir leid, mein Junge, das wird jetzt etwas unangenehm«, murmle ich, ehe ich so viel Magie wie nur möglich sammle.

Meteor kreischt vor Schreck, doch bevor er seine Kräfte vor mir verschließen kann, lasse ich ein Licht um uns entstehen, das die Höhle taghell erleuchtet. Es ist derselbe Zauber, den ich verwende, wenn ich mit Magie meine Umgebung erhellen möchte, nur viel stärker.

Ein Aufschrei geht durch die Reihen der Dunkelelfen, doch ich kümmere mich nicht darum, sondern zerre Steinwind mit letzter Kraft auf die Beine.

»Komm!«, befehle ich meinem Greif, der sich von dem ersten Schrecken erholt hat und nun wie ein Komet zu uns herunterschießt. Genau wegen solch waghalsiger Flugmanöver hat er seinen Namen erhalten.

Ich habe keine Ahnung, wie lange die Elfen geblendet sind, möchte es aber auch nicht herausfinden, denn der Dämon, den sie beschworen haben, ist leider nicht lichtempfindlich.

Da die Elfen, die ihn kontrollieren, damit beschäftigt sind, ihre Sehfähigkeit wiederzuerlangen, anstatt ihm Befehle zu erteilen, schwebt er gerade lediglich bewegungslos in der Luft und fixiert mich mit rot glühenden Augen. Aus seinem Blick spricht purer Hass.

Nein, mit dem will ich definitiv keine nähere Bekanntschaft schließen …

Meteor landet direkt vor mir, ich breite blitzschnell den Schutzschild über ihn aus und hieve Steinwind auf seinen Rücken. Zum Glück ist mein Freund noch so weit bei Bewusstsein, dass er mir dabei etwas helfen kann.

Den Schmerz in meiner Seite ignorierend, steige ich ebenfalls hinter Steinwind auf Meteors Rücken. Noch ehe ich richtig sitze, erhebt sich der schwarze Greif mit einem lauten Kreischen und stößt sich mit seinen Löwenpranken vom Boden ab.

Während er sich in die Luft schraubt, ertönt wütendes Gebrüll unter uns und der Pfeilhagel setzt wieder ein. Aber ein paar Sekunden darauf sind wir schon zu weit weg und die Geschosse erreichen uns nicht mehr. Trotzdem halte ich den Schutzschild weiterhin aufrecht – sicher ist sicher.

Erst als wir durch die Öffnung in der Höhlendecke fliegen und uns der warme Schein eines Sonnenaufgangs empfängt, gestatte ich mir, durchzuatmen.

»Verflucht, war das knapp«, murmle ich, bevor ich über Steinwind zusammensacke, der bereits bewusstlos ist.

Kapitel 3 - Lucja

 

Einige Wochen zuvor …

 

Ich pariere den Schlag des Dunkelelfen mit meinem Schwert. Mein ganzer Arm erzittert unter der Wucht des Aufpralls, während das Klirren des Stahls in meinen Ohren schellt. Schweiß rinnt mir über das Gesicht und ich blinzle, damit er nicht in die Augen tropft.

Mein Blick ist auf mein Gegenüber gerichtet, das kaum eine Armlänge vor mir auf dem Trainingsplatz des Magierzirkels von Merita steht und mich mit stoischer Miene ansieht. Aber nichts anderes bin ich vom ehemaligen Assassinen namens Schatten gewohnt, der mir in den vergangenen sieben Jahren hier im Zirkel mehr ans Herz gewachsen ist, als ich jemals zugeben würde.

Schon bei unserer ersten Begegnung war ich fasziniert von ihm. Von seiner unnahbaren Art, dem Schmerz, der ab und zu in seinen Augen aufblitzt, und der geheimnisvollen Melancholie, die ihn umgibt. Natürlich auch von seiner Kampfkunst und dem gestählten Körper. Wahrscheinlich ist das der Grund, wieso ich mich vor ein paar Jahren etwas verjüngte, um ebenfalls attraktiv zu bleiben. Eine Möglichkeit, die mächtigen Magiern wie mir erlaubt, rein äußerlich so jung auszusehen, wie wir uns fühlen.

In den vergangenen Jahrhunderten habe ich mich sehr oft verjüngt. Zu oft? Womöglich … aber als Tochter des ehemaligen Zirkelleiters von Arganta sehe ich es als meine Pflicht an, auch optisch ein passables Erscheinungsbild abzugeben. Daher wirke ich rein äußerlich wie eine junge Frau Mitte zwanzig, obwohl ich schon so viele Jahrhunderte lebe.