Angel (Band 4): Weihnacht mit dir - C. M. Spoerri - E-Book
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Angel (Band 4): Weihnacht mit dir E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Mit Angel zusammen das langweiligste Pärchen New Yorks zu werden, das ist Hannes' Vorsatz. Nach einem turbulenten Jahr voller Höhen und Tiefen freuen sich die beiden Männer auf entspannte Feiertage, um ihre Liebe endlich zu genießen. Allerdings wird Heiligabend – trotz festlicher Girlande und leckerem Truthahn – weit un(be)sinnlicher als geplant und auch der Weihnachtsmorgen hält eine Bescherung der etwas anderen Art bereit. Ganz zu schweigen davon, dass Silvester noch bevorsteht. Und in einer Woche kann eine Menge (eine große Menge … also wirklich verdammt viel!) geschehen …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Angel – Deutsch Deutsch – Angel

Kapitel 1 - Unser erstes gemeinsames Weihnachten

Kapitel 2 - Hasta luego, du kleiner Schwerenöter

Kapitel 3 - Latino-Gnom

Kapitel 4 - Ein Engel auf dem Christbaum

Kapitel 5 - Rapunzel und Mozzarella

Kapitel 6 - Ein einzigartiger Abend

Kapitel 7 - Braves Kind

Kapitel 8 - Drei Engel für Charly

Kapitel 9 - Denkwürdiges Weihnachtsessen

Kapitel 10 - Zeit für Geschenke!

Kapitel 11 - Endlich alleine

Kapitel 12 - Ein besonderes Geschenk

Kapitel 13 - Estoy cachondo

Kapitel 14 - Füreinander geschaffen

Kapitel 15 - Merry Christmas

Kapitel 16 - Weihnachtsmorgen

Kapitel 17 - Pläne sind da, um über den Haufen geworfen zu werden

Kapitel 18 - Kennenlernen

Kapitel 19 - Einsatz mit Folgen

Kapitel 20 - Ich stehe hinter dir

Kapitel 21 - Retter in der Not

Kapitel 22 - Wir alle machen Fehler

Kapitel 23 - Verhängnisvolle Duschszene

Kapitel 24 - Flashback

Kapitel 25 - Schrecklicher Verdacht

Kapitel 26 - Weihnachtswunder

Kapitel 27 - Taxigespräche

Kapitel 28 - ¡Qué idiota!

Kapitel 29 - Engelchen im Kreuzverhör

Kapitel 30 - Let’s Jazz

Kapitel 31 - Irgendwie seltsam, aber nicht schräg …

Kapitel 32 - Komm schon, SEAL …

Kapitel 33 - Wer will Brooklyn, wenn er Manhattan haben kann?

Kapitel 34 - Besser als jeder Porno der Welt

Kapitel 35 - Safeword Wein

Kapitel 36 - Scheiße noch mal …

Kapitel 37 - Ein richtig relaxter Urlaubstag

Kapitel 38 - ¡Maldita sea, están locos!

Kapitel 39 - Wenn ein Plan heranreift …

Kapitel 40 - Logan im Einsatz

Kapitel 41 - Ein ganz und gar (nicht) beschissener Plan

Kapitel 42 - Sex, Kaffee, Sex, Kaffee

Kapitel 43 - Warmbader

Kapitel 44 - Eine heiße Spur

Kapitel 45 - Mission Benjamin

Kapitel 46 - Alleingang

Kapitel 47 - Das war anstrengend …

Kapitel 48 - Der letzte Tag des Jahres

Kapitel 49 - Meine Familie

Kapitel 50 - Das wird richtig cool

Kapitel 51 - Widder und Krebs

Epilog - Happy New Year

Nachwort & Dankefein der Autorin

Dreingabe (und drauf auch ;-) )

 

C. M. Spoerri

 

 

Angel

Band 4: Weihnacht mit dir

 

 

Gay Romance

 

 

 

 

Angel (Band 4): Weihnacht mit dir

Mit Angel zusammen das langweiligste Pärchen New Yorks zu werden, das ist Hannes’ Vorsatz. Nach einem turbulenten Jahr voller Höhen und Tiefen freuen sich die beiden Männer auf entspannte Feiertage, um ihre Liebe endlich zu genießen. Allerdings wird Heiligabend – trotz festlicher Girlande und leckerem Truthahn – weit un(be)sinnlicher als geplant und auch der Weihnachtsmorgen hält eine Bescherung der etwas anderen Art bereit. Ganz zu schweigen davon, dass Silvester noch bevorsteht. Und in einer Woche kann eine Menge (eine große Menge … also wirklich verdammt viel!) geschehen …

 

Hinweis zu sensiblen Inhalten:

In diesem Buch werden Flashbacks und (häusliche) Gewalt thematisiert.

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

 

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Dezember 2023

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2023

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Korrektorat Plus: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-301-1

ISBN (epub): 978-3-03896-302-8

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Hört nicht auf zu strahlen,

bloß weil andere zu blöd sind,

eine Sonnenbrille aufzusetzen.

C.

 

Angel – Deutsch Deutsch – Angel

 

Ihr dachtet, Angel spricht inzwischen Englisch – äh Deutsch? Nope.

Daher hier wieder eine (kleine) Übersetzungshilfe. Könnte sein, dass ein paar Flüche dazugekommen sind. Sorry-not-sorry für die unfreiwillige Spanisch-Lektion, aber die Geschichte wäre nicht so unterhaltsam ohne sein Knurren. Oder? :-D

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1 - Unser erstes gemeinsames Weihnachten

Hannes

Sonntag, 24. Dezember

 

»Oooooooooh … jingle bells, jingle bells, jingle all th…«

»Santo cielo … hör bitte auf mit dem Rumträllern, das geht jetzt schon den ganzen Tag so. Da bekommt man ja Kopfschmerzen.«

»Phü, so schlecht singe ich doch gar nicht!«

»Ich hab inzwischen hundert Mal ›Last Christmas‹ gehört. So sehr ich dich liebe, mi amor, aber dein Gesang steuert leider keinen Mehrwert bei.«

»Für mich schon. Und das Lied heißt übrigens ›Jingle Bells‹.«

»Chico, por favor … kannst du nicht mal fünf Minuten lang ohne Weihnachtsmusik den verdammten Schmuck aufhängen?«

»Du Banause! Das gehört zum Weihnachtsschmuck dazu!«

»Das stand definitiv nicht auf dem Beipackzettel.«

»Weil du den Schmuck sonst nicht gekauft hättest.«

Ich kletterte von der Leiter, auf der ich balanciert war, um die Girlande im Korridor über dem Durchgang zum großzügigen Wohnzimmer anzubringen.

»So. Fertig.« Zufrieden klatschte ich in die Hände, bevor ich die Leiter zusammenklappte und in dem Abstellraum verstaute, der sich im Flur unseres New Yorker Apartments befand.

Danach glitt mein Blick in den Wohnbereich, um nach meinem Verlobten Ausschau zu halten.

Auf der rechten Seite des ausladenden Raumes hatte Angel eine moderne Sofalandschaft aus hellgrauen Möbeln positioniert. Rechts davon befanden sich Minibar, ein paar Kommoden sowie das Bücherregal, in dem ich meine Schätze aufbewahrte. Und natürlich unser Aquarium mit den beiden Goldfischen Elvis Nummer zwei und Toni Nummer vier. Vor dem Sofa stand ein imposanter Flachbildfernseher und dahinter breitete sich eine lange Fensterfront aus.

Da unser Loft im zwölften Stock lag, bot sich uns eine atemberaubende Sicht auf das winterliche New York und sogar einen Teil des verschneiten Central Parks. Die Sonne schien und ich blieb einen Moment an den Strahlen hängen, die über den mit dunkelgrauen Steinplatten belegten Boden krochen, als suchten sie ebenfalls nach dem Weihnachtsgeist.

Ja, womöglich bestand dieser unter anderem aus dem Bratenduft, der von links aus der offenen Küche das Loft erfüllte. Denn mein Verlobter (aka Angel de Flores, Ex-SEAL und schönster Mann der Welt, zumindest für mich) gönnte dem Truthahn, der im Ofen vor sich hin schmorte, soeben eine weitere Runde Bratensaft-Dusche. Sein bisher einziger Beitrag zum Thema Weihnachten. Für den Rest des Christmas Feelings sorgte ich, aber das tat ich supergern.

Ich liebte Weihnachten!

Den Platz zwischen Küche und Sofalandschaft hatte Angel für seinen Mahagonitisch auserkoren, der aus einer Auktion von der Auflösung eines alten New Yorker Hotels stammte.

Hmmm … dieser Tisch könnte so einige Dinge erzählen …

Zum Glück konnte er nicht sprechen, denn er sollte die heißen Stunden, die Angel und ich bereits daran und darauf verbracht hatten, mal schön für sich behalten.

Alles in allem waren die Möbel im Loft in den Farben Dunkelbraun, Weiß und Schwarz gehalten und harmonierten perfekt zusammen (ich hatte an der ein oder anderen Stelle schon mal erwähnt, dass an Angel ein Innenarchitekt verloren gegangen war, oder?).

Ich fühlte mich in unserer Wohnung einfach total wohl. Nicht nur, weil sie luftig und modern war – es gab keinen Ort auf dieser Welt, wo ich mehr zu Hause war als hier. Was nicht zuletzt an dem Mann lag, dem mein Herz gehörte.

»Komm her, Angel, schau dir das an«, rief ich und deutete zur rotgrünen Girlande über mir, an der kleine goldene Kugeln hingen. »Sieht total festlich aus!«

»Naturalmente, der Schmuck heißt ja auch ›festliche Weihnachtsgirlande‹«, hörte ich meinen Brummbär dem Truthahn zumurmeln.

Da er keine Anstalten machte, meiner Aufforderung Folge zu leisten, stieß ich ein Seufzen aus und begab mich mit federnden Schritten in die Küche. Dabei sang ich innerlich mein Liedchen weiter …

Oh what fun it is to ride …

Oh ja, auf Reiten hatte ich definitiv auch Lust.

Der köstliche Geruch des Bratens ließ mir den Speichel im Mund zusammenlaufen. Nun ja, eventuell lag Letzteres aber auch an der Kehrseite des Mannes, der sich gerade bückte, um den Truthahn zurück in den Ofen zu schieben. Mein Verlobter trug eine enge Jeans, die seinen Knackarsch stärker betonte, als eine unschuldige Jeans es jemals tun sollte.

»Mmmmmmh«, summte ich und verschränkte genießerisch die Arme vor der Brust, während ich mich gegen die Kochinsel lehnte. »Lecker.«

»Du hast ihn ja noch gar nicht probiert«, erwiderte Angel, ohne sich zu mir umzudrehen, da er die Temperatur des Bratens prüfte.

»Muss ich nicht, ich weiß genau, wie das da vor mir schmeckt.« Ich schenkte seinem Hintern ein vielsagendes Grinsen.

Kaum merklich spannten sich seine breiten Schultern unter meinen Worten an. »Du sprichst nicht vom Truthahn, oder?« Er richtete sich auf und wandte sich zu mir um.

Keine Ahnung, wie dieser Mann es zustande brachte, mich mit einem einzigen Blick innerlich in Flammen aufgehen zu lassen.

Ja, er sah verboten gut aus – alles an ihm. Und das, obwohl er die Vorderseite größtenteils mit einer Kochschürze verdeckt hatte.

Sein muskelbepackter Adoniskörper steckte in einem dunkelgrauen Hoodie und eine Strähne seines schwarzen Haares fiel ihm in die Stirn. Doch das, was mich am meisten in den Bann zog, waren seine dunklen Augen. In ihnen loderte dieses Latino-Feuer, das jederzeit ausbrechen und über mich herfallen konnte.

»Was hat mich verraten?«, fragte ich und räusperte mich, da meine Stimme unter seiner Musterung heiser geworden war.

»Deine ›Ich will Sex‹-Vibes, die schon den ganzen Tag wie unersättliche Kolibris um mich herumschwirren und mich dazu drängen, dir den Schwanz zu lutschen, ehe ich dich so lange ficke, bis du meinen Namen nur noch keuchen kannst«, erwiderte er, ohne die Miene zu verziehen.

Okay, das war ein sehr langer und vor allem sehr, sehr heißer Satz.

Nur Angel schaffte es, von jetzt auf gleich (und ohne zu blinken … äh blinzeln) in Richtung Dirty-Talk abzubiegen und dabei auch noch zu wirken, als würde er über das Wetter plaudern.

»Nun jaaa«, meinte ich gedehnt. »Sooo lange haben wir aber nicht mehr Zeit, ehe die Gäste kommen. Ist deine Schuld, meine Kondition ist dank dir in den vergangenen Monaten erheblich besser geworden – und ich spreche nicht von den gelegentlichen Besuchen im Fitness-Center, wenn ich dich dorthin begleite.« Ich zwinkerte ihm zu.

»Du willst also einen Quickie und dann gibst du Ruhe.« Er hob eine Augenbraue, während er wie beiläufig mit der Hand über seinen gepflegten Bart strich und mich von oben bis unten musterte. So langsam, dass ich das Gefühl hatte, nackt vor ihm zu stehen, obwohl ich Jeans und einen Winterpulli trug (mit einem Rentier drauf, das war so süß!).

»War das ein Angebot?« Ich biss begeistert auf meine Unterlippe.

»No, chico«, brummte er. »Eine Feststellung, sonst hätte ich es als Frage formuliert.«

»Mensch«, maulte ich und stieß mich von der Kochinsel ab, um die zwei Schritte zwischen uns zu überwinden. Bei ihm angekommen, legte ich die Hände auf seine breiten Schultern und ließ sie in seinen Nacken gleiten. Er überragte mich um mehr als einen Kopf, sodass ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste, um seinem Gesicht näher zu sein. »Gahaaanz sicher, dass du meinen Sex-Vibes nicht doch ein klitzekleinwenig nachgeben möchtest?«

Er schob die schwarzen Brauen zusammen, während er sich etwas zu mir herunterbeugte. In Kombination mit dem scharfen Parfüm, das mir entgegenwehte, war er gerade mein Sinnbild der Verführung.

»Ich sagte dir doch schon, cariño«, raunte er und seine Stimme klang mindestens noch eine Oktave tiefer als üblich (Gott, wie sexy, wo waren meine Pompons, wenn ich sie mal brauchte?). »Ich hab noch einiges hier in der Küche zu tun.«

»Ja, und mein Hintern gehört gefälligst mit auf deine To-do-Liste«, erwiderte ich mit einem schelmischen Lächeln.

»Dein Hintern gehört weder auf eine Liste noch in die Küche.« Er drückte mir einen kurzen Kuss auf den Mund. »Geh weiter deine Deko aufhängen, wir vögeln, wenn der Besuch weg ist.«

»Oooder …«

»Hannes …«, sagte er in warnendem Tonfall.

»Was?« Ich blinzelte so unschuldig, wie ich nur konnte.

»Du benimmst dich schon den ganzen Tag wie eine Frau auf ihrem Eisprung.«

»Während.«

»¿Qué?«

Ich grinste ihn an. »Während ihres Eisprungs, nicht ›auf‹.«

»¡Dios!« Er richtete sich vollends auf und sah zur Decke, als würde er ein Stoßgebet nach oben schicken.

Keine Ahnung, ob die Nachbarn über uns überhaupt religiös waren, womöglich prallte sein Gebet gerade gegen eine imaginäre Wand atheistischer Glaubenssätze.

»Sag, was du willst. Etwas Entspannung wird dir definitiv guttun.« Ich tippte sanft mit dem Zeigefinger gegen seine stahlharte Brust. »Und für Entspannung kann ich wiederum definitiv sorgen.«

»Das weiß ich«, knurrte er, ehe er mich erneut ansah. »Nur werde ich den Teufel tun und …«

»Jaja, dein Truthahn ist dir heilig, schon verstanden.« Ich verdrehte die Augen und ließ von ihm ab, um in Richtung Wohnzimmer zu gehen. »Gegen einen leckeren Vogel im Bratensaft ist es aber auch sauschwer, anzukommen. Dann geh ich eben den Baum schmücken.«

»Maldita mierda!«

Ich hielt in der Bewegung inne und wandte mich wieder zu ihm um. »Was? Ich hab noch nicht mal mit dem Singen begonnen.«

Auf Angels Miene erschien ein gequälter Ausdruck, als hätte er sich gerade den Zeh an der Kochinsel gestoßen, und ich wurde sofort hellhörig.

»Was?«, fragte ich nochmals und als er nicht antwortete, sondern sich stattdessen mit beiden Händen über das Gesicht fuhr, stellten sich meine Alarmglocken auf hundert Prozent Lautstärke. »WAS?!«

»Der Baum«, seufzte er und stützte sich an der Küchenzeile ab. »Mierda!«

»Sag nur, du hast ihn verg…«

»Fuck!« Er schlug mit der flachen Hand auf die Herdplatte, die darunter ein entrüstetes Piepsen von sich gab, da das Kochfeld sich anstellte. »Ich wusste, ich habe was vergessen!«

Sprachlos starrte ich ihn an, versuchte zu begreifen, was er mir soeben gesagt hatte. Dann ratterten die Rädchen in meinem Hirn endlich und rasteten ein.

»Du hast …« Ich schnappte nach Luft. »Du hast … den BAUM VERGESSEN ZU KAUFEN?!«

Angel zuckte zusammen, da ich viel zu laut geworden war vor Aufgebrachtheit. »Kein Grund, rumzubrüllen«, brummte er angesäuert.

»Du hast … den Baum VERGESSEN!«, wiederholte ich und fuhr mir mit den Händen in die Haare, raufte sie. »Sag, dass das ein Aprilscherz im Dezember ist, Angel. Bitte.«

»No, lo siento.« Er schüttelte bedauernd den Kopf und senkte den Blick. »Tut mir leid.«

»Scheiße, verdammt«, entfuhr es mir.

»Du fluchst«, bemerkte er trocken.

»Ich hab auch allen Grund dazu!« Ich fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. »Wir feiern heute Heiligabend. Mit unseren Familien! Und … du hast keinen Baum! Ich meine … wir … WIR haben keinen Baum!«

»Ja, ist ja gut, die Nachbarn und ich haben’s verstanden.« Angel hob die Hände, als wollte er mich beruhigen.

»Kein Baum!« Ich schaffte es nicht, diese Tatsache zu verdauen, und massierte mir mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »An Heiligabend!«

»Hannes«, brummte er. »Weihnachten ist erst morgen. Ich besorg uns einen Baum und …«

»Aber wir feiern HEUTE!«, unterbrach ich ihn. »Heute feiern wir Weihnachten! Da sollte alles perfekt sein. Mitsamt Baum!«

»Es bringt nichts, wenn du jetzt hysterisch wirst«, entgegnete er und hob beruhigend die Hand. »Lass uns lieber nach einer Lösung suchen.«

»Wie denn?« Ich starrte ihn entgeistert an. »Es ist Heiligabend. Woher willst du jetzt noch einen Baum bekommen?!«

Er trat zu mir und ergriff meine Schultern, wartete, bis ich ihn ansah. »Erstens ist erst Nachmittag und zweitens bist du für einen Juden, der eigentlich gar kein Weihnachten feiert, gerade ein einziges Nervenbündel.«

»Aber wir FEIERN doch Weihnachten«, erwiderte ich und griff nach seinen Händen, um sie von meinen Schultern zu schieben – was dafür sorgte, dass er mich nur stärker packte.

»Hannes«, sagte er beschwörend und versenkte seinen Blick in mir. »Tief durchatmen. Ich besorge uns einen Baum, versprochen.«

»Und der Truthahn?«

»Pass du solange darauf auf.«

Meine Kinnlade klappte nach unten. »ICH?!«

»Sí.« Er ließ von mir ab und zog seine Kochschürze aus, um sie achtlos auf den Herd zu legen.

Schnell griff ich danach, da das Kochfeld immer noch angeschaltet war, und stellte dieses aus.

»Aber … Angel«, murmelte ich, während ich die Schürze in den Händen zu einem Knäuel verarbeitete. »Was, wenn ich ihn anbrennen lasse oder so?«

»Du musst nichts weiter tun, als etwa alle zwanzig Minuten Hühnerbrühe darüber zu gießen«, erläuterte er und ging in den Eingangsbereich unserer Wohnung zur Garderobe. »Stell dir einen Wecker auf dem Handy, dann geht nichts schief.«

»Angel«, rief ich flehend. »Bitte lass mich nicht mit dem Truthahn allein …«

Er erschien nochmals im Flur und hatte sich bereits den langen schwarzen Mantel übergeworfen, der ihn noch breitschultriger erscheinen ließ als ohnehin schon. »Du schaffst das, mi amor.«

»Und wenn nicht? Dann wirst du die Verlobung lösen und mich aus der Wohnung schmeißen und …«

»Hannes!«, unterbrach er mich und nun erschien ein Schmunzeln auf seinen Lippen. »Dem Truthahn geschieht schon nichts, während ich weg bin.«

»Hoffentlich.« Ich sah auf meine Hände hinunter, die immer noch die arme Kochschürze malträtierten.

Ich wusste, dass ich gerade nahe an der Hysterie kratzte, aber ich wusste auch, wie viel Angel an seinem Truthahn lag. Er liebte es, zu kochen – und dass er mir sein wertvolles Werk anvertraute, war ich erstens nicht gewohnt und zweitens überforderte es mich maßlos.

Kapitel 2 - Hasta luego, du kleiner Schwerenöter

Angel

 

So wie Hannes da vor mir stand, konnte ich nicht anders, als ein belustigtes Schnauben auszustoßen. Obwohl mir diese Regung umgehend einen finsteren Blick meines Verlobten einbrachte.

Aber er war einfach zu niedlich, wie er in seinem Oversize-Rentierpullover an der Kücheninsel lehnte, die Schürze in der Hand und in seinen dunklen Augen diese Panik glänzte.

»Hannes«, murmelte ich erneut und trat zu ihm. »Der Abend wird schön. Versprochen.«

Er hob den Kopf und sah mich bang an. »Ich möchte einfach, dass alles perfekt ist«, meinte er leise und legte die Kochschürze zur Seite. »Es ist das erste gemeinsame Weihnachten mit unseren Familien – Lara und Tom haben sogar extra den Gottesdienstbesuch an Heiligabend mit Toms Familie abgesagt, um das mit uns zu feiern. Mama backt schon seit Tagen meine Lieblingskekse und …« Er seufzte. »Das alles bedeutet mir enorm viel.«

»Ya lo sé.« Ich strich ihm mit dem Handrücken sanft über die glatt rasierte Wange. »Das weiß ich und dafür liebe ich dich.«

Was ich mit meinen Worten bewirkte, ließ mich selbst erschauern. Hannes’ Augen wurden kugelrund und das Glänzen zu einem Glitzern, das sein anmutiges Gesicht zum Strahlen brachte.

In diesem Moment wirkte er wie ein Engel.

Mein Engel.

Oh ja. Ich liebte diesen Mann, der mich gerade mit einem Hundeblick ansah, wie es nicht einmal ein Goldenretriever-Welpe zustande brächte.

Wir hatten im vergangenen Jahr so viel Scheiße durchgemacht, so oft an uns und unserer Liebe gezweifelt, dass es einem Wunder glich, dass wir nun hier zusammen im Loft standen und unser erstes gemeinsames Weihnachten feierten. Nun ja, eigentlich unser zweites. Denn vor genau einem Jahr hatte ich ihn zu mir in die alte Wohnung eingeladen, um ihn davon zu überzeugen, dass wir zusammengehörten.

Hätte ich damals gewusst, was noch alles auf uns zukäme, hätte ich womöglich nicht … DOCH. Doch, ich hätte alles genau so gemacht. Denn jede Mühe war doppelt und dreifach belohnt worden.

Nie hätte ich geglaubt, einen Menschen zu finden, bei dem ich mich so wohlfühlen konnte wie bei Hannes. Er war laut, fröhlich, begeisterungsfähig, witzig, sexy und klug (und sang ziemlich schief).

Seine Lebensfreude war das Erste an ihm, das mir vor eineinhalb Jahren auf der Mittelmeerkreuzfahrt aufgefallen war. Sie war das komplette Gegenteil zu mir gewesen, denn damals … damals hatte ich mein Leben beinahe aufgegeben. Hatte nicht geglaubt, etwas zu finden, wofür es sich lohnte, weiterzukämpfen. Ich war ein Schatten meiner selbst gewesen, vom Krieg gezeichnet und mit Wunden, die tiefer gingen als jede Verletzung, die ich mir in meinen Einsätzen als Navy SEAL je zugezogen hatte.

Das verfluchte Militär hatte mich gebrochen, mir mein Selbstbewusstsein mit einer einzigen Kugel genommen. Mit der Kugel, die meinen besten Freund Rick in die Brust getroffen hatte.

Rick, der in meinen Armen starb …

Noch immer hallte die Erinnerung in mir nach, noch immer zog sich mein Herz zusammen, wenn ich an diesen letzten schrecklichen Moment mit ihm dachte. Seine blauen Augen, die mich weit aufgerissen anstarrten, als könnte er selbst nicht begreifen, dass sein letzter Atemzug getan war. Dass er nicht so unsterblich war, wie uns all die Missionen zuvor suggeriert hatten. Dass das Leben ein Arschloch war, das von einer Sekunde zur anderen brennenden Schmerz verursachte.

Aber im Gegensatz zu früher waren da nicht mehr diese Dämonenstimmen, die mein Psychiater später als PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung) identifiziert hatte.

Wie lange sie mich gequält hatten … die Dämonen, die in jenem Augenblick auf den staubigen Straßen eines zerbombten Dorfes im Nahen Osten geboren und auf mich losgehetzt worden waren. Ich war ein verficktes Spielzeug in ihren Klauen gewesen, eine Marionette, die an tausend Fäden gehangen hatte. Hilflos ihren toxischen Flüchen ausgesetzt, mit denen sie täglich mein Bewusstsein geflutet hatten.

Ich war ein Wrack gewesen, als er mit einem Mal wortwörtlich in mein Leben gestolpert war: Hannes. Er wirbelte mit seinem reinen Wesen und seinem überirdisch anmutenden Strahlen darin herum, stellte alles, was ich bis dahin gekannt hatte, auf den Kopf und riss mich mit seiner oftmals grenzüberschreitenden Art komplett aus der Komfortzone. Aus dem Schneckenhaus, in das ich mich in meiner Trauer verkrochen und wo ich Gott, die Welt und mich selbst voller Inbrunst verflucht hatte.

Aber genau das war es, was ich in meinem Leben brauchte, wie mir im Nachhinein klar geworden war. Ein ums andere Mal forderte Hannes mich heraus, stellte Dinge infrage, die ich für mich als gegeben und unerschütterlich verbucht hatte.

Er rüttelte mit stoischer Hartnäckigkeit an jedem Stein der Mauer, die ich um mich errichtet hatte – und das mit einer Ausdauer, wie nur Hannes sie aufbringen konnte.

Doch es war gut. Mehr als gut, denn er öffnete dadurch meine Augen – zeigte mir eine Welt, wie ich sie zuvor nicht gesehen hatte.

Und ich hatte wieder begonnen zu kämpfen. Richtig zu kämpfen.

Für ihn. Für uns.

Zu kämpfen und … zu leben.

Ich hatte mir regelrecht den Arsch aufgerissen, da ich in diesem Kampf nun nicht mehr allein war. Hannes war an meiner Seite, wies mir den Weg. Und dank ihm hatte ich es nach und nach geschafft, an mir zu arbeiten und meine Dämonen zum Teufel zu jagen.

Seit diesem Sommer hatte ich endlich keine PTSD-Symptome mehr und die Freiheit, die mir das bescherte, konnte ich immer noch nicht ganz begreifen.

Ja, Hannes tat mir so gut, wie niemand sonst auf dieser Welt. Er war so anders als jeder Mann, dem ich jemals begegnet war. Wir unterschieden uns nicht nur äußerlich, sondern auch in unserem Inneren. Dennoch war er mein Gegenstück. Meine große Liebe.

Er hatte mir überhaupt erst gezeigt, was Liebe bedeutete: nämlich, alles zu akzeptieren. Jede Schwäche, jeden Makel. Die ganze Person.

Keiner von uns beiden war perfekt. Weder er noch ich. Wir machten Fehler (und darin waren wir echt verdammte Experten), griffen zu falschen Mitteln, um diese auszubügeln, trafen überstürzte Entscheidungen – doch genau das machte uns zu … uns.

Denn wir lernten aus unseren Fehlern, entwickelten uns weiter – zusammen. Und das schweißte uns enger aneinander als jedes Höllenfeuer es zu tun vermocht hätte.

Da draußen gab es mit Sicherheit zig Menschen, die weder meine Beweggründe noch die von Hannes jemals würden nachvollziehen können. Die mich als Arschloch betitelten, der keinen so wertvollen Mann wie ihn verdient hatte. Die nie verstehen würden, was wir ineinander sahen, voneinander hatten, warum er mich liebte und ich ihn – wieso wir zusammengehörten. Weil sie nur das sahen, was sie sehen wollten, nicht das, was unsere Liebe ausmachte.

Aber ganz ehrlich? Diese Menschen konnten mich verfickt noch mal kreuzweise.

Was für mich zählte, war Hannes.

Und wenn er einen verdammten Baum an Weihnachten haben wollte, würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

»Ich liebe dich auch«, flüsterte er nun und kurz darauf hatte er seine Arme unter meinen Mantel geschoben und um meine Taille geschlungen. Er drückte sich fest an mich und hob den Kopf.

Ich kam ihm das letzte Stück entgegen und legte meine Lippen auf seine, was zu einem Seufzen seinerseits führte, das mir eine Gänsehaut bereitete.

Santo cielo …

Wusste er, wie sehr ich es mochte, wenn er das tat?

Es mutete für mich an, als würde er loslassen wollen. Alles loslassen, was ihn davon abhielt, mir seine Zuneigung zu zeigen. Als würde er sich mir voll und ganz hingeben, dem Begehren, das er für mich empfand. Der Liebe. Der Leidenschaft.

Ich legte ihm eine Hand in den Nacken, zog ihn enger an mich, teilte seine Lippen mit der Zunge und eroberte seinen Mund. Küsste ihn mit all dem Verlangen, das er in mir entfachte.

Sein Duft drang mir in die Nase. Nach einem unaufdringlichen Rasierwasser und Seife. Ich mochte diesen Geruch, er erdete mich wie nichts auf dieser Welt, schenkte mir Geborgenheit und Wärme.

Diese Anziehung zwischen uns, die von Anfang an da gewesen war, wirkte schon beinahe gruselig. Doch es gehörte nun mal zu der Liebe dazu, die ich für Hannes empfand. Ich verzehrte mich nach ihm – und das mit Leib und Seele.

Aber jetzt musste ich erst mal einen Baum besorgen.

Daher riss ich mich förmlich von ihm los und legte ihm erneut die Hände auf die Schultern. Hannes blinzelte und sein verschleierter Blick zeigte mir, wie sehr auch er den viel zu kurzen Kuss genossen hatte.

»Ich geh jetzt«, raunte ich und merkte, dass meine Stimme belegt klang.

»Mhm«, war alles, was er darauf antwortete.

»Hannes …«, sagte ich sanft. »Du musst mich dafür loslassen.«

»Hm?«

Ein Lächeln zupfte an seinen Lippen, das gleich darauf Grübchen an seinen Wangen zeichnete (fuck, wie sehr ich diese Grübchen liebte …).

Ich konnte nicht anders, beugte mich nochmals zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Wange. »Lass mich los«, murmelte ich an seiner Haut.

»Nur noch ganz kurz …«

»Hannes.« Ich griff nach seinen Händen, die noch immer unter meinem Mantel lagen, und löste seine Finger behutsam von mir. »Es suficiente. Das reicht.«

Er zog widerwillig seine Augenbrauen zusammen, die etwas dunkler als sein blondes Haar waren, welches er mittlerweile wieder halblang trug, so wie bei unserem Kennenlernen.

»Mensch«, protestierte er.

»Du willst einen Baum«, erinnerte ich ihn. »Und genau den werde ich jetzt für dich holen.«

Ein leises Murren verließ seine Kehle, während ich seine Handgelenke ergriff und ihn von mir wegschob.

»Ist ja gut.« Er seufzte und sein Blick glitt über meinen Körper. »Der Mantel macht dich einfach so sexy, dass es echt schwer ist, die Finger von dir zu lassen.«

Ich schmunzelte und stieß ein Schnauben aus, ehe ich ihn kurz auf die Nasenspitze küsste. »Hasta luego, du kleiner Schwerenöter.«

»Bis später.« Er schenkte mir ein liebevolles Lächeln. »Ich pass auf, dass der Truthahn nicht anbrennt.«

»Er kann nicht anbrennen«, erklärte ich, zog meinen dunkelroten Schal aus der Manteltasche und schlang ihn um den Hals. »Die Temperatur ist so eingestellt, dass er höchstens trocken wird, solltest du ihn nicht regelmäßig mit Saft übergießen.«

»Okay.« Er nickte erleichtert und seine Knopfaugen leuchteten mich an. »Das schaffe ich.«

»Seguro.« Ich atmete tief durch und betrachtete ihn nochmals mit einem intensiven Blick, bevor ich mich zum Gehen wandte. »Bin bald zurück.«

 

Als ich aus dem Lift stieg, begrüßte mich der Portier in der Eingangshalle unseres Wohnblocks mit einem breiten Lächeln. »Frohe Weihnachten, Mister de Flores!«, rief er mir zu.

»Frohe Weihnachten«, wiederholte ich. »Und Grüße an Ihre Frau.«

»Werde ich ihr gerne ausrichten.« Er beeilte sich, mir die Tür zu öffnen.

»Gracias«, bedankte ich mich und trat nach draußen, wo mich strahlender Sonnenschein empfing.

Das Wetter war außerordentlich mild für das winterliche New York, worüber ich froh war. So konnte ich zu Fuß zum Gartencenter ›The Home Depot‹ gehen, das fünf Blocks entfernt war.

Zwar war mein Knie noch nicht ganz heil und ich hinkte, wenn ich längere Strecken lief, aber schonen würde nur dazu führen, dass ich einrostete.

Ich verfluchte den Tag im Sommer, als ich in einer Bar eine kleine Treppe übersehen und mir mein Bein so blöd verdreht hatte, dass es ein weiteres Mal operiert werden musste. Ausgerechnet jenes, das ich nach einer Schussverletzung in mühseliger Arbeit mit dem Physiotherapeuten soweit hinbekommen hatte, dass ich es ganz normal hatte belasten können.

Nun begann alles von vorn und die Therapietermine raubten mir den letzten Nerv. Dennoch führte nichts daran vorbei, denn ich wollte zu hundert Prozent fit werden. Und daher hieß es nun: Zähne zusammenbeißen. Als ehemaliger SEAL war ich es gewohnt, über meine Belastungsgrenzen hinauszugehen – davon hielt mich auch kein dummes Knie ab.

Mein Ziel war nicht, wieder Einsätze für die Navy zu machen. Damit hatte ich abgeschlossen und Hannes versprochen, dem Krieg den Rücken zu kehren. Ich wollte nach vorne schauen, mit Hannes an meiner Seite. Nur schon, weil er es niemals aushalten würde, mich während eines Einsatzes, der oft mehrere Wochen oder gar Monate dauerte, in Gefahr zu wissen, würde ich nicht in meinen alten Job zurück.

Ich arbeitete nun als Broker an der Wall Street und diese Aufgabe erfüllte mich. Geregelte Arbeitszeiten, gutes Einkommen, tägliche Herausforderungen.

Das war es, was ich in Zukunft tun wollte. Obschon ich zugeben musste, dass mir der Nervenkitzel, den ich bei den Missionen empfunden hatte, etwas fehlte, so würde ich nicht mehr mein Leben dafür aufs Spiel setzen.

Nein, diese Zeiten waren vorbei.

Ich steckte die Hände in die Manteltaschen und setzte mich in Bewegung. Die fünf Blocks würde ich in zehn Minuten schaffen, das war quasi ein Katzensprung. Ich hoffte nur, dass sie im Gartencenter noch Weihnachtsbäume hatten, denn ich musste Hannes recht geben: Ich war echt knapp dran und mir fehlte die Zeit, ganz New York nach einer geeigneten Tanne abzuklappern.

Während ich die vom Schnee geräumten Straßen entlangging, beobachtete ich die Menschen, die darauf unterwegs waren. Es war später Nachmittag und viele schienen wie ich noch ihre letzten Weihnachtseinkäufe erledigen zu müssen. Sie liefen mit Tüten und Taschen über die Gehsteige, riefen nach Taxis oder hingen an ihren Handys. Alle wirkten gehetzt und gestresst, was mich innerlich den Kopf schütteln ließ.

Von wegen ›Fest der Besinnlichkeit‹.

Kapitel 3 - Latino-Gnom

Angel

 

Beim Gartencenter angekommen, drängten sich bereits viele Kunden im Eingangsbereich, sodass es schwer war, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Die Hitze, die mich im Inneren empfing, war mindestens so nervig wie die Weihnachtsmusik, die aus irgendwelchen Lautsprechern dröhnte. Ich lockerte den Schal um meinen Hals und öffnete den Mantel, während ich mich Schritt für Schritt vorankämpfte. Die Weihnachtsbäume wurden im hinteren Teil ausgestellt und anscheinend wollten die meisten hier noch einen ergattern.

Ich schob mich an plärrenden Kindern vorbei und war wieder einmal froh, dass Charly aus dem Alter raus war. Ich hatte meine Tochter, deren voller Name Charlene lautete, in den ersten Jahren ihres Lebens allerdings nur auf Fotos gesehen. Lara, meine ehemalige Schulfreundin und Charlys Mutter, hatte mir den Kontakt verboten, da sie (berechtigterweise) sauer auf mich gewesen war, weil ich mich ins Militär abgesetzt hatte, statt für sie und mein Kind da zu sein. Aber als Charly größer wurde, hatte sie mich kennenlernen wollen – und da war sie im besten Quengelalter gewesen.

Ich liebte sie. Sie war mein Allerheiligstes. Inzwischen war sie siebzehn Jahre alt und würde bald aufs College gehen.

Beängstigend, wie schnell die Zeit vergeht …

Unsere Patchwork-Familie funktionierte erschreckend gut. Charly wohnte eigentlich bei Lara und deren Mann Tom in Queens, verbrachte jedoch immer mal wieder ein paar Tage bei uns in Manhattan. Sie hatte inzwischen Hannes’ altes Zimmer bezogen, da es rechts vom Eingangsbereich lag und damit weiter weg von unserem, das sich links befand. Dadurch konnten Hannes und ich unsere Zweisamkeit auch ungestört genießen, wenn sie uns besuchte. Zudem besaß sie somit ein eigenes Bad und musste nicht mehr meines benutzen.

Hannes vergötterte meine Tochter ebenso wie sie ihn, und es erwärmte jedes Mal mein Herz, wenn ich die beiden zusammen sah. Sie nannte ihn seit unserer Verlobung sogar ebenfalls Dad, was Hannes stets zum Strahlen brachte.

Ja, ich hatte eindeutig den richtigen Mann für mein Leben gefunden und mir fest vorgenommen, ihn nie wieder gehen zu lassen. Wir hatten bereits so viele Hürden zusammen überwunden, dass uns nichts und niemand mehr trennen würde.

Ich hoffte, wir könnten im nächsten Jahr endlich unsere Hochzeitsplanung vorantreiben. Nach einem turbulenten Frühling und Sommer wollten wir es langsamer angehen, dennoch hätte ich ihm lieber heute als morgen das Jawort gegeben. Einfach nur schon, um Nägel mit Köpfen zu machen und ihm zu zeigen, wie ernst es mir war.

Auch Herbst und der bisherige Winter waren ziemlich hektisch verlaufen, da Hannes’ Chefin Kate im Oktober für einen längeren Aufenthalt ins Napa Valley zu einer Freundin gereist war – und Hannes daher den kleinen Kunstladen, den sie zusammen führten, alleine übernehmen musste. Das hatte für ihn um einiges strengere Arbeitszeiten bedeutet.

Wie es der Zufall so wollte, hatte sich Kate Hals über Kopf in einen Weingutsbesitzer im Sonoma Valley verliebt. Dieser war vor Kurzem hier in New York gewesen und ich hatte ihn kennengelernt. Ein zugeknöpfter Mann mit dem man aber hervorragend über Wein diskutieren konnte. Kate hatte sich mit ihm verlobt und war vor einigen Tagen kurzerhand nach Californien gezogen.

Ja, ich mochte Hannes’ Chefin, aber manchmal schüttelte ich den Kopf über ihre spontanen Aktionen.

Wie es nun mit dem Kunstladen weitergehen würde, stand noch in den Sternen. Kate wollte sich im Januar bei Hannes melden und alles in Ruhe besprechen.

Ich vermutete ja, dass sie ihm den Laden übertragen würde, denn Hannes war der Job als Kunsthändler auf den Leib geschnitten. Seine offene und fröhliche Art, seine Wissbegierde und das Händchen für antike Schätze waren wie geschaffen für diesen Beruf. Zumal er seit einigen Wochen wieder selbst begonnen hatte zu malen. Und darin war er verdammt gut, obgleich er von sich sagte, es bestehe noch viel Luft nach oben (er war manchmal einfach zu bescheiden).

Inzwischen war ich bei den Weihnachtsbäumen angelangt und verengte die Augen, da es nur noch eine Handvoll in dem mit einem roten Samtband abgegrenzten Bereich der Halle gab. Die Hälfte davon kam nicht infrage, da die Bäume zu klein waren und ich wusste, dass Hannes einen großen bevorzugte.

Mein Blick fiel auf eine Tanne, die etwas weiter hinten stand und eine perfekte Krone besaß. Auch die anderen Äste waren genau richtig angeordnet, sodass es einem Wunder glich, dass sie noch niemand gekauft hatte.

Zielstrebig ging ich darauf zu – und wurde keine Sekunde später von der Seite angerempelt.

Ein Mann in rotem Mantel schob sich direkt zwischen die Tanne und mich, was mir ein leises Knurren entlockte.

»Weg da, der Baum gehört mir«, stellte ich klar.

Der Mann drehte sich zu mir um und ich bemerkte, dass er noch ziemlich jung sein musste. Wahrscheinlich nicht einmal zwanzig. Er trug eine Mütze, sodass ich seine Haarfarbe nicht sehen konnte. Doch der dunkle Teint und die schwarzen Brauen sowie die dunkelbraunen Augen wiesen darauf hin, dass er ebenso wie ich lateinamerikanische Wurzeln besaß. Er war etwa einen Kopf kleiner als ich, hatte hingegen breite Schultern, wie ich trotz des Mantels erkennen konnte.

»Lo compraste?«, fragte er und schaute mich gleichmütig an.

»Nein, ich habe ihn noch nicht gekauft«, erwiderte ich ebenfalls auf Spanisch. »Aber ich werde es gleich tun.«

»Das bezweifle ich.« Er blieb in seiner Muttersprache. »Der Baum wurde für mich reserviert.«

»Ich sehe kein Schild daran«, entgegnete ich.

»Dem Vater meines Studienkollegen gehört der Laden.« Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Sie müssen sich einen anderen suchen.«

»Das werde ich nicht.« Ich knirschte mit den Zähnen. »Aus dem Weg. Ich brauche diesen Baum für heute Abend.«

»Und ich brauche ihn für morgen.« Der Kerl zuckte erneut mit den Schultern. »Pattsituation, würde ich sagen.«

»Mitnichten!« Ich wollte mich an ihm vorbeischieben, aber da trat er mir ein weiteres Mal in den Weg. »Geh zur Seite«, grollte ich.

»Nein.« Er sah mich an, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Hör zu, Kleiner«, sagte ich warnend. »Du wirst jetzt aus dem Weg gehen, sonst …«

»Was? Wollen Sie mich schlagen?« Er hob die Augenbrauen. »Nur zu. Überall sind Kameras, Sie werden umgehend aus dem Laden geschmissen, wenn Sie auch nur die Hand heben.«

Ich biss auf meine Zunge, da mir ein heftiger Fluch darauf lag, den ich ihm am liebsten an den hochmütigen Kopf gedonnert hätte.

»Also?«, fragte der Typ, als ich mich nicht vom Fleck rührte.

Noch vor eineinhalb Jahren hätte ich ihm die Faust, die ich bereits geballt hatte, kurzerhand in die Visage gerammt. Es wäre mir vollkommen gleichgültig gewesen, ob ich dafür wegen Körperverletzung angeklagt wurde oder lebenslanges Hausverbot bekam.

Aber jetzt … jetzt musste ich mich zusammenreißen. Ich konnte es mir nicht leisten, den Abend bei der Polizei zu verbringen, denn Hannes wartete zuhause auf mich, um mit mir und unseren Familien zusammen Weihnachten zu feiern.

»Schieb dir den Baum in den Arsch, du kleiner Gnom«, knurrte ich den überheblichen Typen an und wandte mich von ihm ab.

»Andere beleidigen, hm? Seeehr erwachsen«, rief er hinter mir her und ich spürte, wie sich meine Muskeln anspannten. »Ich wünsche Ihnen fröhlichere Weihnachten, als Sie wahrscheinlich haben werden, alter Mann!«

Das war genug.

Erstens war ich mit meinen dreiunddreißig Jahren definitiv noch nicht alt und zweitens war er mit dem dämlichen Spruch deutlich zu weit gegangen.

Ich wirbelte herum und war mit zwei großen Schritten bei ihm. Er war so verblüfft darüber, dass er zu spät zurückwich, da hatte ich mich bereits so nahe vor ihm aufgebaut, dass unsere Nasenspitzen sich fast berührten.

»Pass auf, mit wem du dich anlegst, du Wicht«, knurrte ich ihm ins Gesicht. »Ich lasse dir den dämlichen Baum. Aber du solltest zusehen, dass du von hier verschwindest, sonst kann ich für nichts garantieren!«

War er im ersten Moment überrumpelt, so breitete sich nun Gleichgültigkeit auf seiner Miene aus. Er sah mir in die Augen, ohne dass Furcht in seinem Blick lag, und hob einen Mundwinkel. »Funktioniert das normalerweise? Dieses Rumknurren und Drohen? Machen sich die Menschen, die Sie anfauchen, dabei ins Höschen?« Seine Worte trieften vor Hohn.

»Du bist unverschämter, als gesund für dich ist.« Meine Stimme war ein dunkles Grollen geworden. »Dein einziges Glück ist, dass ich keine kleinen Kinder schlage.« Ich funkelte ihn wütend an. »Normalerweise. Bei dir garantiere ich für nichts, also sieh zu, dass du mir nicht nochmals über den Weg läufst.«

Dann wandte ich mich ab und hoffte für ihn, dass er keinen weiteren blöden Spruch von sich geben würde. Tat er nicht. Er trug anscheinend doch noch einen Funken Überlebenswillen in sich.

Ich schritt auf den nächstbesten Baum zu und schleppte diesen zur Kasse, wo er in ein Netz gepackt wurde. Dann schulterte ich ihn und drängte mich zwischen der Menschenmenge wieder aus dem Laden.

Tja, Hannes, ich hätte dir gern einen schöneren Baum gebracht, aber der wird nun Weihnachten in der Wohnung eines Latino-Gnoms verbringen.

Kapitel 4 - Ein Engel auf dem Christbaum

Angel

 

Zurück im Apartment, drang mir schon wieder Weihnachtsmusik entgegen und ich musste ein Augenverdrehen unterdrücken.

Ich mochte die Weihnachtszeit eigentlich, so war es ja nicht. Aber dass jedes Jahr dieselben Lieder den lieben langen Tag rauf und runter liefen, ging mir gehörig auf den Zeiger.

Der (zugegebenermaßen anstrengende) Nachhauseweg mit der geschulterten Tanne hatte zwar den Ärger über den blöden Typen im Gartencenter verfliegen lassen, doch meine Nerven waren weiterhin angespannt.

Trotz der Tatsache, dass ich die PTSD-Diagnose los war, hatte ich mein lateinamerikanisches Temperament noch nicht vollständig im Griff, und ab und an ging es einfach mit mir durch. So wie vorhin bei diesem überheblichen Jungen, der sich wohl für etwas Besseres hielt, weil der Daddy seines Freundes ein Gartencenter besaß.

Idiota …

Ja, er hatte mich provozieren wollen und ja, ich war blöderweise darauf angesprungen. Im Nachhinein schalt ich mich selbst dafür – ich hätte ihn einfach links liegen lassen sollen. Doch daran arbeitete ich leider noch. Wenigstens fiel es mir inzwischen auf, wenn ich überreagiert hatte.

»Du bist wieder da!«, rief Hannes und kam mir entgegen, als ich den Baum gerade auf den Boden wuchtete. »Und du hast einen Baum!« Er sah mit glänzenden Rehaugen zu der Tanne, die neben der Tür lehnte. »Du bist der Beste!«

Ich wollte meinen Mantel ablegen, wurde allerdings daran gehindert, da Hannes mich in seiner Euphorie umarmte. Er nahm mein Gesicht in beide Hände, zog mich zu sich hinunter und drückte mir einen Kuss auf den Mund.

»Danke!«, rief er überschwänglich, dann ließ er von mir ab und widmete sich dem Baum, der ihn um knapp drei Fuß überragte.

»Warte, ich helfe dir«, sagte ich, als er sich anschickte, ihn hochzuheben. »Der ist ziemlich schwer.«

»Ach, das geht schon«, meinte er und schaffte es tatsächlich, ihn unter einen Arm zu klemmen. »Siehst du, ich bin stark.« Er drehte mir den Kopf zu und grinste mich an, ehe er mit der Tanne in Richtung Wohnzimmer losmarschierte. Das untere Ende des Baumes schleifte dabei hinter ihm her.

Schmunzelnd sah ich ihm nach, während ich nun Mantel und Schal ablegte sowie in meine Hauspantoffeln stieg. Die roten, die mir Charly vergangenes Weihnachten geschenkt hatte.

Hannes war inzwischen beim Christbaumständer angelangt, den er neben dem Sofa aufgestellt hatte, und hievte den Baum darauf. Ich ging in die Küche und holte eine Schere, um ihm dabei zu helfen, das Netz zu lösen.

»Dafür, dass wir so spät dran sind, hast du noch einen ganz passablen Baum ergattern können«, bemerkte er, als wir die Äste befreit hatten.

»Sí. Wäre da nicht so ein dummer Affe gewesen, hätte ich sogar einen richtig schönen Baum hergebracht.«

Hannes lachte leise und zupfte die Zweige zurecht. »Es gab Affen im Gartencenter?«

»Mhm.« Ich presste die Lippen aufeinander und betrachtete unser Werk. »Wenn wir ihn ein bisschen nach rechts drehen, sieht man die Lücke dort nicht so.« Ich deutete auf zwei Äste, die zu weit auseinanderlagen.

»Stimmt.« Hannes kam umgehend meinem Vorschlag nach. »Viel besser. So, und jetzt schmücken wir das Ding!« Er klatschte freudig in die Hände.

»Mach mal, ich seh nach dem Truthahn.«

»Dem geht’s hervorragend, er muss erst in zehn Minuten wieder beträufelt werden«, erwiderte Hannes. »Hilf mir bitte mit dem Weihnachtsschmuck, an die oberen Stellen komme ich weniger gut ran als du.«

»Dann soll ich die Spitze aufsetzen?« Ich sah ihn fragend an.

»Nein, das möchte ich machen, wenn es okay für dich ist.« Er schenkte mir ein Lächeln, bei dem ich ihm nie und nimmer seinen Wunsch hätte abschlagen können.

»Naturalmente.« Ich krempelte die Ärmel meines Hoodies nach hinten. »Soll ich dir eine Leiter …«

»Nein, heb mich einfach hoch.« Er ging zu meinem Weihnachtsschmuck, den er bereits auf dem Sofa ausgebreitet hatte, und kramte in einer der vielen Kisten. »Hier, da ist der Engel!«

»Ein Engel?« Ich hob eine Augenbraue. »Seit wann hab ich …«

»Das ist meine Spitze«, erklärte er. »Kennst du den Film ›Rendezvous mit einem Engel‹ mit Denzel Washington und Whitney Houston? Seit ich den als kleiner Junge gesehen hatte, wollte ich immer einen Engel oben auf dem Weihnachtsbaum. Und meine Oma hat mir dann irgendwann einen geschenkt.«

»Ihr hattet einen Weihnachtsbaum?«, fragte ich verblüfft.

Hannes war mit seiner Mutter bei seiner Oma aufgewachsen. Ich wusste, dass sie Weihnachten geliebt hatten, obgleich es kein Bestandteil ihrer jüdischen Religion war. Dennoch hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie sogar einen Baum organisiert hatten.

»Klar«, meinte er und sein Lächeln wurde verträumt. »Ich habe mir als Kind immer einen Christbaum gewünscht, da ich meine Schulfreunde darum beneidete. Zwar besitze ich nicht viel Weihnachtsdeko, aber der Engel gehört stets zu Weihnachten dazu.« Er drehte ihn in den Händen. Die Figur bestand aus weißem Porzellan oder einem ähnlichen Material und hatte vergoldete Flügel. »Ist es okay, wenn wir ihn anstelle deiner Sternspitze …«

»Pero seguro.« Mir war es vollkommen egal, was für eine Spitze unser Baum hatte.

»Super.« Er strahlte mich an. »Also, dann heb mich hoch und wir bringen den allerersten Schmuck an unserem allerersten gemeinsamen Weihnachtsbaum an.«

Er kam zu mir zurück und stellte sich zwischen den Baum und mich.

»Bien.« Ich ging in die Knie und schlang meine Arme um Hannes’ Oberschenkel.

Dabei stützte ich sein Hinterteil mit der Schulter ab, sodass er sich darauf setzen konnte, sobald ich mich mit ihm zusammen erhob. Hannes war ein Leichtgewicht, das ich ohne Mühe hochzuheben vermochte.

Kurz darauf saß er auf meiner Schulter und ich balancierte das Gewicht aus, als er sich nach vorn beugte, um seinen Engel auf die Baumspitze zu setzen.

»Perfekt«, sagte er begeistert.

Ich ließ ihn wieder hinunter und nachdem ich mich aufgerichtet hatte, lehnte er sich mit dem Rücken an meinen Oberkörper.

»Wunderschön, oder?«, hauchte er ergriffen.

»Sí«, bestätigte ich und sah den Baum an, der mit dem kleinen Engel noch ziemlich karg wirkte. Aber ich war mir sicher, dass Hannes das gleich ändern würde.

Normalerweise schmückte ich schon weit vor Weihnachten mit Charly zusammen den Baum, daher besaß ich auch so viel Deko.

Nur hatte meine Tochter in den vergangenen Wochen kaum Zeit, vorbeizukommen, da sie mitten in den College-Bewerbungen steckte, und das Ganze war irgendwie untergegangen.

Wäre es ab jetzt immer so, dass Hannes und ich in der Weihnachtszeit zusammen den Baum schmückten? Die Vorstellung war … schön.

Unvermittelt legte ich die Arme um ihn und er wandte mir den Kopf zu, schmiegte sich noch enger an mich. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich es dir viel zu oft sage, aber … Ich liebe dich, Angel.«

»Te amo tambíen, mi corazón«, raunte ich, beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn sanft auf die Lippen. »Man kann nicht zu oft sagen, dass man jemanden liebt.«

»Weißt du«, murmelte er, als ich mich wieder etwas aufrichtete. »Manchmal frage ich mich, wie ich einen Mann wie dich verdient habe.«

Ich verstärkte meinen Griff um ihn und schüttelte den Kopf. »Warum sagst du so was?«

»Weil es nicht selbstverständlich ist, jemanden zu finden, bei dem man zu hundert Prozent man selbst sein kann. Der einen so liebt, wie du mich. Der einem so gut tut, wie du mir. Und bei dem ich mich so geborgen fühle, wie bei dir.« Seine dunklen Knopfaugen glitzerten verräterisch und seine Stimme wurde zittriger. »Angel, ich denke nicht, dass du je begreifen kannst, wie viel du mir bedeutest.«

Die Worte hätten eins zu eins von mir stammen können und ich wollte, dass er das wusste.

»Mas, si, lo pienso«, raunte ich. »Denn mir geht es genau so.«

Ein paar Sekunden lang sah er mich stumm an, dann wandte er sich wieder dem Baum zu und lehnte seinen Kopf gegen meine Schulter.

 

 

Ich verbarg die Nase in seinem blonden Haar, das nach seinem neuen Passionsfrucht-Shampoo duftete, und schloss die Augen.

Scheiße noch mal. Mein Herz weitete sich gerade so sehr, dass es in der Brust schmerzte – und dennoch war das Gefühl schöner und besser als alles, was ich je empfunden hatte.

War das Liebe? Ja. Verdammt noch mal, ja.

Was für ein verfluchter Glückspilz ich war, mit Hannes hier stehen zu dürfen. Ihn überhaupt in meinem Leben haben zu dürfen. Und mit ihm zusammen Weihnachten zu feiern.

Viel zu schnell verflog dieser magische Moment und Hannes seufzte, stieß sich von mir ab, sodass ich ihn loslassen musste. Umgehend vermisste ich seine Körperwärme.

»Wir sollten den Baum schmücken«, meinte er und wischte sich verstohlen mit dem Ärmel seines Pullis über die Augen.

Ich atmete tief durch und nickte. »Dann mal los. In zwei Stunden kommen die Gäste und wir müssen noch den Tisch decken, die Vorspeise anrichten, die Häppchen …«

Er wandte sich mir zu und ein Lächeln eroberte sein Gesicht. »Wenigstens müssen wir uns nicht um das Dessert kümmern, weil Charlys beste Freundin eins mitbringt.«

»Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund, warum sie auch mit uns feiern will?«, hakte ich nach.

Hannes hatte mich vor vollendete Tatsachen gestellt, als er vor einer Woche eröffnete, dass Charlys Freundin ebenfalls mitkommen würde.

»Nö.« Er ging zum Sofa und griff nach der Lichterkette, die ich vergangenes Jahr fein säuberlich aufgerollt hatte.

»Nö?« Ich betrachtete seinen Rücken, den er mir für meinen Geschmack eeetwas zu schnell zugekehrt hatte.

Inzwischen kannte ich ihn so gut, dass ich die feinen Nuancen in seiner Stimmlage ebenso wie seine Körpersprache problemlos zu lesen vermochte.

Hannes verheimlichte mir etwas. Und ich wollte wissen, was.

»Was heckst du schon wieder aus?«, fragte ich ihn argwöhnisch.

»Nichts?« Er kam zu mir zurück und blinzelte mich unschuldig an.

Noch ein Indiz, dass sein als Frage herausgerutschtes Nichts nicht ›nichts‹ bedeutete.

»Hannnnes«, murmelte ich warnend.

Er ignorierte mich und drückte mir stattdessen die Lichterkette in die Hände. »Hier, das muss von oben nach unten rundherum«, erklärte er, als hätte ich noch nie einen Baum geschmückt. »Ich kümmere mich um die Girlanden.«

»Hannes«, wiederholte ich mit mehr Nachdruck.

»Hm?«

»Warum kommt Charlys Freundin mit heute Abend?«

»Das wird sie dir selbst sagen«, wich er vage aus und war schon wieder beim Sofa, wo er in einer Kiste nach den goldenen Perlengirlanden griff, die ebenfalls aufgerollt waren.

Mein Argwohn war geweckt, aber ich wusste, dass nichts aus Hannes herauszuquetschen war, wenn er sich in diesem Modus befand. So sehr er auch zum Plappermaul mutieren konnte, Geheimnisse hütete er besser als Gollum seinen Ring.

»Na gut«, brummte ich. »In zwei Stunden erfahre ich es ohnehin.«

»Eben.« Er schenkte mir ein breites Grinsen und deutete auf die Lichterkette. »Und jetzt hopphopp, wir müssen unseren Baum schmücken.«

Kapitel 5 - Rapunzel und Mozzarella

Hannes

 

»Wunderschön«, hauchte ich ergriffen, als der fertige Christbaum vor mir aufleuchtete, da Angel den Stecker der Lichterkette eingestöpselt hatte.

»Sí«, tönte es hinter dem Baum hervor. Gleich darauf tauchte mein Verlobter auf und trat zu mir. »Haben wir gut hinbekommen.« Er stützte den Arm auf meiner Schulter ab und ich sah zu ihm hoch.

»Noch eine Stunde«, murmelte ich. »Wir sollten uns beeilen. Du kümmerst dich um das Essen, ich um den Tisch, okay?«

»Okay.« Er nickte bestätigend. »Ich werde aber erst noch rasch duschen.«

»Oh, ich komme mit.«

»No.« Sein Blick war zwar streng, doch das Funkeln in seinen dunklen Augen verriet, dass er meinen Plan im Grunde nicht sooo schlecht fand. »Du weißt genau, dass wir dann niemals rechtzeitig mit allem fertig werden.«

»Spielverderber.« Ich stupste ihn mit dem Ellbogen in die Seite, was ihm ein Keuchen entlockte.

»Nymphomane«, konterte er und verwuschelte meine Frisur mit der Hand.

»He.« Ich griff an meinen Kopf und ordnete das Durcheinander, das er angerichtet hatte.

»Wenn du deine Haare weiter wachsen lässt, kannst du dir bald Zöpfe flechten«, bemerkte er schmunzelnd.

Nur oben waren meine Haarsträhnen etwas länger, hinten und an der Seite hatte ich sie gerade vor paar Tagen noch schneiden lassen.

Ich boxte ihm gegen den Arm. »Blödmann.«

»Dafür entschuldigst du dich.« Er sah mich mit erhobenen Augenbrauen an, aber sein Blick zeigte mir, dass er die Forderung nicht wirklich ernst meinte.

»Ich denke nicht daran.« Ich streckte ihm die Zunge heraus.

»Na warte …«

Ehe ich zurückweichen konnte, hatte er mir einen Arm um den Hals geschlungen und mich in den Schwitzkasten genommen. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen, doch gegen seine Muskelkraft hatte ich keine Chance. Und das wusste er, denn er lachte amüsiert, während ich hilflos in seinem Griff zappelte.

»Das klang noch nicht nach einer Entschuldigung«, hörte ich ihn über mir.

Gleichzeitig zerzauste er mir den Schopf nochmals mit der anderen Hand und ich griff nach seinem Arm, um ihn von mir wegzubekommen.

»Aufhören«, japste ich, musste aber nicht minder lachen.

»Wie war das, Dornröschen?«

»Rapunzel«, keuchte ich.

»Qué?« Er ließ endlich etwas lockerer.

»Rapunzel war die mit den langen Haaren«, erklärte ich und schaffte es, meinen Kopf aus seinem Griff zu winden. »Wir müssen dringend mal die Märchen der Gebrüder Grimm durchgehen.«

Angel richtete sich ebenfalls ein paar Strähnen, die ihm bei unserer kurzen Rangelei in die Stirn gefallen waren.

»Wie gut, dass mein Weihnachtsgeschenk dazu passt«, meinte er mit vielsagendem Blick.

»Du schenkst mir ein Buch der Gebrüder Grimm?« Ich sah ihn verblüfft an.

»Als ob ich dir das verraten würde.« Er zwinkerte mir zu, was so gut wie nie vorkam und davon zeugte, dass seine Laune im Begriff war, heute Abend zu Hochtouren aufzulaufen.

»Du bist gemein«, brummelte ich. »Erst anteasern und dann im Regen stehen lassen.«

Er breitete die Arme aus, während er sich rückwärts in Richtung Flur begab. »¡Vaya! Nenn es Gleichstand dafür, dass du mir nichts über Charlys Freundin verraten willst.«

»Boah.« Ich blies die Backen auf, was ihm ein schiefes Grinsen aufs Gesicht zauberte.

Er deutete mit Zeige- und Mittelfinger auf seine Augen und anschließend in Richtung Küche. »Behalt den Truthahn im Blick.« Dann wandte er sich um und ging in Richtung Schlafzimmer davon.

Unserem Schlafzimmer. Denn seit drei Monaten schliefen wir nicht mehr in getrennten Räumen, was mir immer noch Schmetterlinge im Bauch bescherte.

Ja, es hatte sich vieles verändert. Zum Guten.

Mit einem Lächeln auf den Lippen machte ich mich daran, die leeren Kartons der Weihnachtsdeko zu stapeln und brachte sie zum Einbauschrank, der im Flur stand und wo wir allen Krimskrams verstauten. Auch die Deko, die ich für Angels Mahagonitisch auserkoren hatte und nach der ich nun griff.

 

Ich hatte den Truthahn gerade nochmals mit Soße beträufelt, als Angel zurückkehrte. Er trug nun eine schwarze Jeans und ein dunkelrotes Hemd, das ihm so gut stand, dass ich unwillkürlich mit dem Eckzahn auf die Unterlippe biss.

»Du bist der schärfste Verlobte, den ich je hatte«, bemerkte ich mit einem bedeutsamen Blick.

»Wie beruhigend.« Er hob zynisch eine Augenbraue (irgendwann lernte ich das auch, ich glaubte fest daran), danach griff er nach der Kochschürze, um sein Hemd vor Flecken zu schützen.

Ich lehnte mich gegen das Spülbecken und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich sollte mir wohl auch noch was anderes anziehen, oder?«

Angel sah mich an und sein Mundwinkel zuckte. »Ich mag den Rentierpullover.«

»Echt?« Ich hob überrascht die Augenbrauen (beide … ja … seufz).

»Sí«, bestätigte er und sein Blick wurde dunkler. »Vor allem, wenn er am Boden neben dem Bett liegt, in dem du dich vor mir rekelst.«

»Aha, daher weht der Wind.« Ich lachte leise. »Ist ja fast ein Ritterschlag für den Pulli, dass er auf dem Boden liegen darf, wenn du mich vögelst.«

Angel besaß einen ziemlichen Ordnungs- und Putzfimmel. Er mochte es nicht, wenn ich meine Kleidung in der ganzen Wohnung verteilte. Mich störte das hingegen kaum. Nun ja, seit ich mit ihm zusammenwohnte, hatte sein Aufräum-Tick schon ein bisschen auf mich abgefärbt.

»Geh zur Seite, Hannes, ich muss mir die Hände waschen«, murmelte er.

»Da fehlt das Zauberwörtchen.« Ich grinste ihn an.

»Expelliarmus?«