Damaris (Band 3): Das Vermächtnis der Wüstenzwerge - C. M. Spoerri - E-Book

Damaris (Band 3): Das Vermächtnis der Wüstenzwerge E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Wer am Boden liegt, muss darauf vertrauen, dass die Hand, die ihm gereicht wird, ihn tatsächlich auf die Beine zieht. Doch wird man diese Hand ergreifen, wenn man nicht mehr weiß, wer Freund und wer Feind ist? Oder ist es besser, sich aus eigener Kraft hochzustemmen? Dachte Damaris, sie wäre am Ziel angelangt und das Schlimmste überstanden, so wird sie eines Besseren belehrt. Der Glaube an ihre Verbündeten ist erschüttert, dennoch ist sie gewillt, das Vermächtnis der Wüstenzwerge zu ergründen. Denn das scheint die einzige Möglichkeit zu sein, um den Greifenorden zu retten. Nur … welche Opfer muss sie dafür in Kauf nehmen?

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte Altra

Karte Stadt Chakas

Kapitel 1 - DAMARIS

Kapitel 2 - CILIAN

Kapitel 3 - DAMARIS

Kapitel 4 - DAMARIS

Kapitel 5 - DAMARIS

Kapitel 6 - CILIAN

Kapitel 7 - DAMARIS

Kapitel 8 - DAMARIS

Kapitel 9 - MARONA

Kapitel 10 - ADRIÉN

Kapitel 11 - CILIAN

Kapitel 12 - DAMARIS

Kapitel 13 - CILIAN

Kapitel 14 - MONDSICHEL

Kapitel 15 - CILIAN

Kapitel 16 - CILIAN

Kapitel 17 - CILIAN

Kapitel 18 - DAMARIS

Kapitel 19 - ADRIÉN

Kapitel 20 - DAMARIS

Kapitel 21 - DAMARIS

Kapitel 22 - CILIAN

Kapitel 23 - DAMARIS

Kapitel 24 - DAMARIS

Kapitel 25 - DAMARIS

Kapitel 26 - DAMARIS

Kapitel 27 - DAMARIS

Kapitel 28 - CILIAN

Kapitel 29 - DAMARIS

Kapitel 30 - CILIAN

Kapitel 31 - DAMARIS

Kapitel 32 - CILIAN

Kapitel 33 - DAMARIS

Kapitel 34 - CILIAN

Kapitel 35 - DAMARIS

Kapitel 36 - CILIAN

Kapitel 37 - DAMARIS

Kapitel 38 - DAMARIS

Kapitel 39 - CILIAN

Kapitel 40 - DAMARIS

Kapitel 41 - AURALIE

Nachwort der Autorin

Glossar

 

C. M. SPOERRI

 

 

Damaris

Band 3: Das Vermächtnis der Wüstenzwerge

 

 

Fantasy

 

 

 

Damaris (Band 3): Das Vermächtnis der Wüstenzwerge

Wer am Boden liegt, muss darauf vertrauen, dass die Hand, die ihm gereicht wird, ihn tatsächlich auf die Beine zieht. Doch wird man diese Hand ergreifen, wenn man nicht mehr weiß, wer Freund und wer Feind ist? Oder ist es besser, sich aus eigener Kraft hochzustemmen?

Dachte Damaris, sie wäre am Ziel angelangt und das Schlimmste überstanden, so wird sie eines Besseren belehrt. Der Glaube an ihre Verbündeten ist erschüttert, dennoch ist sie gewillt, das Vermächtnis der Wüstenzwerge zu ergründen. Denn das scheint die einzige Möglichkeit zu sein, um den Greifenorden zu retten. Nur … welche Opfer muss sie dafür in Kauf nehmen?

 

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Februar 2021

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-181-9

ISBN (epub): 978-3-03896-182-6

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Greift nach den Sternen, haltet sie fest und

lasst sie euer Licht sein, wenn es dunkel wird.

C.

Altra

Stadt Chakas

Kapitel 1 - DAMARIS

 

Alles ist verschwommen und mein Kopf dröhnt, während ich blinzelnd versuche, den klammernden Händen der Ohnmacht zu entkommen.

»Damaris.«

Schon wieder diese Stimme, die an mein Ohr dringt. Sie ist ganz nah, direkt über mir. Es kommt mir vor, als würde sie mich stärken und einen Weg aus der Dunkelheit weisen, die sich um mich gelegt hat.

»Damaris, sag etwas.«

Sosehr ich es auch will, ich schaffe es nicht, die Lippen zu bewegen.

Es dauert einige Sekunden, bis ich begreife, wo ich bin – und dann stürzen die Erinnerungen über mich herein.

Die Goharwüste, in die ich als eine von zehn Wettkampf-Teilnehmern geschickt wurde.

Die Artefakte in Form von Sternen, die wir finden sollten, um ein uraltes Relikt zu suchen: den Ring des Fürsten. An ihm hängt das Schicksal des Greifenordens von Chakas, dessen Daseinsberechtigung von den anderen Zirkelräten infrage gestellt wird.

Bilder von Menschen tauchen vor meinem inneren Auge auf.

Marona … die Feuermagierin, die ein falsches Spiel treibt und mit Kultisten und grauer Magie gegen uns arbeitet.

Rahrin … der Schüler und mein ehemaliger Freund, der mich hinterging und auf der Seite der Kultisten steht.

Adrién … der Greifenreiter, der mich im Kreis geführt hat, um zu verhindern, dass ich den Ring des Fürsten finde.

Die Erkenntnis, dass selbst er, den ich in mein Herz ließ, mich verarscht hat, trifft mich wie ein Faustschlag in den Magen und mir wird speiübel.

Alle haben sie mich betrogen oder für ihre Zwecke missbraucht.

Auch der, dessen Stimme über mir erklingt und dessen Gesicht gerade immer stärkere Konturen annimmt.

»Damaris.«

Diese Stimme … seine Stimme …

Cilian … der Ordensleiter, der für mich so viel mehr als nur ein Lehrer ist. Ich habe ihm vertraut, habe ihm mein Herz geschenkt. Und alles, was ich dafür bekam, ist, dass ich nun mitten in einem unterirdischen Gang der Zwergenstadt auf dem Boden liege, weit entfernt von meiner Heimat oder von Chakas. Dennoch spüre ich Erleichterung, ihn hier zu treffen.

Endlich schafft mein Mund es, ein Wort zu bilden. »Cilian?« Ich räuspere mich, da ich heiser klinge.

»Ja, ich bin hier, Damaris.«

Eine Hand streicht mir federleicht über die Wange und ich schließe reflexartig die Augen. Für einen Moment gebe ich mich der sanften Berührung hin, finde in ihr die Kraft, zurück in die Realität zu gelangen.

In meinem Kopf erscheint das Bild von zwei Turteltauben und ich schnaube leise. Mein Greif Schneeflocke ist noch bei mir – wenigstens etwas.

Schneeflocke verbindet seine Magie mit mir, schenkt mir weitere Energie, sodass ich nun endgültig aus der Benommenheit erwache, die mich festgehalten hat, nachdem ich über etwas – Cilian? – gestolpert und mit dem Kopf gegen eine Wand geknallt bin.

Ich öffne die Lider wieder und nun erkenne ich tatsächlich den Ordensleiter, der sich im Schein seines magischen Lichtes über mich gebeugt hat. Auch er sieht mitgenommen aus, scheint in den vergangenen Tagen einiges durchgemacht zu haben. Die braunblonden Locken fallen ihm wirr in die Stirn, und seine azurblauen Augen wirken besorgt. Sein Gesicht mit dem Dreitagebart wurde von der Wüstensonne noch stärker gebräunt als ohnehin schon.

Verdammt, er sieht trotz allem attraktiv aus …

Ich greife mir an den Kopf und bin erleichtert, als ich nur eine Beule ertaste. Immerhin keine offene Wunde, das hätte gerade noch gefehlt. Beulen sind in Ordnung. Beulen pochen nur ein wenig und entzünden sich immerhin nicht. Denn weder Cilian noch ich können heilende Magie wirken – wir tragen beide das Wasser in uns. Nicht so wie …

»Wo ist Adrién?«, frage ich und spüre, wie Panik in mir hochsteigt.

Ist er noch hinter mir her? Verbirgt er sich vielleicht im Dunkeln, um uns im nächsten Moment zu überfallen? Inzwischen traue ich alles allem und jedem zu. Allein dass Schneeflocke bei mir ist, lässt mich etwas ruhiger werden. Der Greif wird Adrién frühzeitig kommen hören und uns warnen. Also habe ich einen Moment, mich zu erholen und durchzuatmen.

Cilian runzelt die Stirn. »War er bei dir?«

»Ja.« Ich versuche mich aufzurichten, und er stützt mich dabei. Schneeflocke sitzt neben ihm und mustert mich mit schief gelegtem Kopf. Seine roten Adleraugen wirken skeptisch, als wollte er herausfinden, wie es mir geht. »Er war … direkt hinter mir, hat mich verfolgt und …« Gehetzt sehe ich mich im Gang um, in dem ich mich befinde. »Wieso bist du hier? Wo ist dein Greif?«

»Mondsichel ist noch an der Oberfläche«, erklärt Cilian zerknirscht. »Ich bin auf der Suche nach der Wüstenstadt durch einen Brunnenschacht gefallen und habe einen Weg gesucht, um zu meinem Greif zurückzugelangen. Ich habe mich hier nur kurz ausgeruht.« Ein erleichtertes Lächeln erhellt sein Gesicht. »Was für ein Glück, dass du über mich gestolpert bist. Shaia erzählte mir, dass du entführt wurdest. Geht es dir gut?«

Ich nicke zerstreut. »Bis auf die Kopfschmerzen geht es mir gut. Wer ist Shaia? Und woher weiß sie von der Entführung?«

Cilians Blick wird unstet. »Shaia ist meine … Gemahlin.« Alles in mir erstarrt und ich reiße die Augen auf, doch da spricht er bereits weiter. »Shaia, darf ich vorstellen? Das ist Damaris.« Stirnrunzelnd sehe ich zu der Stelle, auf die er deutet. Dort ist aber niemand zu sehen. »Shaia?« Er schaut sich verdutzt um, als auch er sie nicht entdecken kann. »Wo …«

»Cilian, ist alles in Ordnung mit dir?«, frage ich vorsichtig. »Hier sind nur du und ich.«

Die Verwirrtheit in seinem Blick weicht Betroffenheit. »Ich …« Er kratzt sich an der Schläfe, fährt mit der Hand durch seine Locken, klemmt sie hinters Ohr. »Sie war da … ich habe mit ihr gesprochen. Sie wollte Wache halten, während ich schlief.«

»Cilian«, hauche ich und lege ihm eine Hand auf die Brust. »Deine Gemahlin, sie ist tot, sie …«

»Ich weiß«, unterbricht er mich und schüttelt den Kopf, vergräbt das Gesicht in beiden Händen. »Ich weiß das, glaub mir. Aber sie war hier!« Er deutet erneut auf die Stelle, zu der er vorhin geschaut hat. »Eben noch war sie da! Mondsichel hat sie auch gesehen.«

»Ich glaube dir«, lüge ich, da ich keine Ahnung habe, was ich sonst sagen soll.

Hat er vielleicht zu viel Sonne abbekommen und fantasiert nun? Oder liegt es daran, dass er zu wenig getrunken, gegessen oder geschlafen hat? Womöglich ist er auch in einen dieser Spiegelgänge geraten und sein Verstand spielt ihm nun Streiche?

»Tust du nicht. Du glaubst mir nicht, ich sehe es dir an.« Er senkt den Blick. »Ich habe sie mir nicht eingebildet, Damaris. Sie war da und hat mir von deiner Entführung berichtet.«

Ich nicke langsam. »Wo auch immer sie jetzt ist, sie ist nicht hier. Und Adrién, er …« Ich kann Cilian nicht länger ansehen, also schaue ich auf meine Hand, die immer noch an seiner Brust liegt, und nehme sie von dort weg, verschränke stattdessen meine Finger miteinander.

Cilian sieht mich alarmiert an. »Hat er dich entführt?«

»Nein«, erwidere ich rasch. »Wir sind Rahrin über den Weg gelaufen und er wurde von Marona in einen Tempel gebracht. Rahrin spielt ein falsches Spiel, gehört ebenso wie sie zu den Kultisten. Ich glaube, Marona wollte nur ihn teleportieren, hat aber mich auch dorthin gebracht und …« Ich hole leise Luft. »Entschuldige, das ist eine lange Geschichte und so viel ist geschehen. Jedenfalls müssen wir uns vor Marona und Rahrin in Acht nehmen.«

Cilian scheint bei Weitem nicht so überrascht, wie ich gedacht hätte. Vielmehr sieht er mich mit einem nachdenklichen Blick an, der mich stutzen lässt.

»Wusstest du das schon?«, hake ich nach. »Dass Marona eine Kultistin ist und graue Magie wirkt?«

Er atmet leise durch. »Ich habe es vermutet, ja. Allerdings erst, als wir schon in der Wüste waren. Das war der Grund, wieso ich dich so rasch wie möglich finden wollte. Dies ist kein Wettkampf mehr …«

Ich nicke betrübt. »Das stimmt wohl.« Ein Seufzen entfährt mir. »Jedenfalls hat Adrién mich befreit und in die Wüstenstadt begleitet.«

Wieso ich ihm nichts vom Totengott erzähle, der uns überhaupt dorthin brachte, weiß ich nicht. Aber etwas in mir sträubt sich dagegen, Cilian davon zu berichten. Womöglich, weil er mich dann für verrückt halten könnte.

Stattdessen sehe ich mich um und deute auf das grün schimmernde Artefakt, das mir beim Sturz aus der Hand gefallen ist und einen Schritt von mir entfernt liegt. »Das dort habe ich von Adrién.«

Cilian bückt sich, greift danach und wendet es in den Fingern. »Luft. Verdammt«, murmelt er. »Uns fehlen noch Artefakte für Erde und Magie.«

»Die hat Rahrin«, erkläre ich.

Er hebt erstaunt die Augenbrauen. »Rahrin? Bist du sicher?«

Ich nicke resigniert. »Bevor Marona mich entführt hat, überfiel mich Rahrin und ist dann geflohen. Adrién hat mich gefunden und geheilt. Danach wurden wir von einem Dämonenwesen angegriffen.« Bei der Erinnerung daran, dass Adrién und ich uns danach geküsst haben, rinnt ein Schauer über meinen Rücken. Ob von der guten oder schlechten Sorte, lässt sich nicht genau sagen.

Cilian sieht mich alarmiert an. »Ein Dämonenwesen?«

»Ja, wir glauben zumindest, dass es sich um eines gehandelt hat. Es war eine schwarze, vogelähnliche Kreatur und ihre Augen glühten rot.«

»Ich wurde ebenfalls von einem Wesen angegriffen, nachdem ich mein Artefakt fand«, verrät er und runzelt die Stirn. »Eine Art Stier.«

»Meinst du, die Kultisten stecken dahinter?«

»Die Zwerge wahrscheinlich nicht«, murmelt er. »Ich wüsste nicht, welche Magie einen Dämon jahrhundertelang an einen Ort fesseln könnte. Nein.« Er schüttelt den Kopf mit Nachdruck. »Es muss ein neuerer Zauber gewesen sein, der diese Kreaturen rief. Alles weist auf die Kultisten hin.«

Unvermittelt greife ich an meinen Hals. »Rahrin hat mir zum Geburtstag doch dieses Amulett geschenkt und Adrién fand heraus, dass es für dämonische Rituale verwendet werden kann. Wusstest du etwas darüber?«

Cilian verengt die Augen. »Ich habe mich nie so richtig mit grauer Magie befasst«, gesteht er seufzend. »Zwar kam mir das Amulett bekannt vor, aber es hat mich an ein Geschenk erinnert, dass ich Shaia …« Er unterbricht und räuspert sich. »Tut mir leid. Das war gerade taktlos von mir.«

Ich schnaube leise. Cilian ist der letzte Mensch, den ich als taktlos bezeichnen würde. Unwillkürlich muss ich lächeln, was ihn die Augenbrauen zusammenziehen lässt.

»Was amüsiert dich?«, fragt er unsicher.

»Du bist …« Ich suche nach den richtigen Worten, finde sie aber nicht.

»Eigenartig?«, versucht er mir auf die Sprünge zu helfen.

»Nein.« Ich sehe ihn kopfschüttelnd an, ehe ich tief durchatme, da ich mit einem Mal so eine komische Spannung ihm gegenüber empfinde. Es ist ein Kribbeln, das die Luft zwischen uns erfüllt – und das ist nicht gut. Nicht, ehe ich mir meiner Gefühle Adrién gegenüber im Klaren bin.

Cilian mustert mich noch ein paar Sekunden stumm, dann senkt er den Blick. »Es tut mir leid, Damaris. Alles, was du durchmachen musstest. Alles, was zwischen uns schiefgelaufen ist. Alles, was ich verbockt habe. Du hättest nicht in diese Situation gebracht werden dürfen – schon gar nicht von mir. Wahrscheinlich wirst du mir niemals verzeihen können, aber …«

»Schhht«, unterbreche ich ihn. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen. Wir haben beide Fehler gemacht.« Kurz blitzt vor meinem inneren Auge das Bild von zwei kopulierenden Bergziegen auf, wobei eine davon Gesichtszüge besitzt, die verdächtig Adrién ähneln, und ich werfe Schneeflocke einen scharfen Blick zu. »Was ich sagen will … lass uns das, was geschehen ist, vorerst vergessen. Wir sind hier, um diesen Ring zu finden – und das, bevor Marona und Rahrin ihn an sich nehmen. Weißt du, wo Serge ist? Und die anderen beiden Magier?«

Cilian senkt bedauernd den Kopf. »Sie sind alle drei tot.« Er sieht mich mit einem traurigen Blick an. »Was ist mit Laora und Kolid geschehen? Seid du oder Adrién ihnen begegnet?«

»Auch tot«, murmle ich traurig. »So viele mussten bereits ihr Leben lassen.« Ich atme tief durch und bemühe mich vergebens, meine Verzweiflung zu unterdrücken. Sie sprudelt aus mir hervor wie eine Quelle, die sich endlich ihren Weg durch den Felsen eines Bergmassivs gebahnt hat. »Die Magier müssen das auf dieser verfluchten Steintafel sehen, auf der wir im Zirkel unsere Namen mit Blut verewigt haben. Die Ziffern werden doch schwarz, wenn jemand von uns stirbt. Wieso schicken sie keine Hilfe?«

»Ich glaube nicht, dass irgendjemand von den Zirkelräten uns helfen wird«, erwidert Cilian schulterzuckend. »Marona scheint das alles von langer Hand geplant zu haben. Anscheinend hat sie bloß auf den richtigen Moment gewartet, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ich bin inzwischen ziemlich sicher, dass die anderen Zirkelräte da mit drinstecken. Vielleicht sogar Adrién …«

Ich presse die Lippen zusammen, als er den Gedanken ausspricht, den ich auch schon hatte.

Wem kann man noch vertrauen? Wer steht überhaupt auf welcher Seite?

Dass die anderen Zirkelräte mit Marona gemeinsame Sache machen, scheint mir nachvollziehbar. Ihnen allen sind Cilian und sein Greifenorden ein Dorn im Auge – und das schon seit Jahren. Sie haben nur den passenden Zeitpunkt abgewartet, um ihn zu vernichten und es offiziell als Notwendigkeit darstellen zu können.

Womöglich, wenn Cilian seine Cousine, die Herrscherin von Altra, um Hilfe bitten würde, könnte diese die Schließung verhindern. Aber ich kenne Cilian inzwischen sehr gut und weiß, warum er dem Wettkampf zustimmte. Er möchte es aus eigener Kraft schaffen und niemandem zur Last fallen, solange er die Chance sieht, selbst für seine Ziele zu kämpfen. In dieser Hinsicht ist er sogar sturer als ich. Und wir waren beide unheimlich naiv und blauäugig, da wir glaubten, es handle sich hierbei tatsächlich um einen Wettkampf. Dem war nie so … das müssen wir nun, da wir uns in der Wüstenstadt befinden, umso schmerzlicher feststellen.

»Es tut mir leid«, wiederholt Cilian, der meinen Gesichtsausdruck wohl falsch gedeutet hat, und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, dass Adrién dir viel bedeutet und …«

»Tut er nicht«, erwidere ich, höre aber selbst die Lüge aus meinen Worten.

Auch wenn er mit Marona gemeinsame Sache machen sollte, so sind die Gefühle für den mürrischen Greifenreiter nach wie vor da. Leider.

Ich wünschte, ich könnte sie abschalten. Wünschte, ich würde nicht beim Gedanken an seine grauen, mystischen Augen und das Lächeln, das ab und zu an seinen Mundwinkeln zuckt, dieses Kribbeln im Bauch verspüren. Wünschte, ich wäre ihm niemals begegnet … doch das ist nicht möglich. Die Zeit lässt sich nun mal nicht zurückdrehen.

Cilian sieht mich mitfühlend an. »Du hast das nicht verdient, Damaris«, sagt er leise. »Du bist tausendmal besser als der Großteil der Menschen in Altra – tausendmal wertvoller. Und ich verspreche dir, ich werde alles dafür tun, dass du hier heil herauskommst.«

Seine Worte treffen mich mitten ins Herz und ich sehe ihm für ein paar Sekunden stumm in die Augen. Dort, hinter den Selbstvorwürfen, erkenne ich die Liebe, die er immer noch für mich empfindet. Sie überwindet alle Schatten, die sich über die Jahre in ihm angesammelt haben, lässt ihn regelrecht erstrahlen. Ihre Wärme dringt bis in mein Innerstes und umgibt mich wie der stärkste Schutzschild der Welt.

Ich weiß nicht, ob ich ihm verzeihen kann, dass er mir bei diesem Wettkampf keine Wahl ließ. Aber gleichzeitig ist mir klar, dass er mir nicht schaden wollte. Und dass ich ihm nicht böse sein kann.

Ich liebe ihn. Trotz allem.

Das Ganze ist aus dem Ruder gelaufen und wir sitzen nun beide im selben Boot. Einem, das auf einen rasenden Sturm zufährt. Wir müssen jetzt zusammenhalten. Alles andere lässt sich später klären. Sollten wir das hier überhaupt überleben.

Ohne nachzudenken, lehne ich mich vor und schlinge meine Arme um seinen Nacken, drücke meinen Kopf in seine Halsbeuge und atme tief ein. Er hält mich fest, presst mich förmlich an sich, doch es tut nicht weh. Es tut gut. Und fühlt sich so vertraut an, dass ich den Kloß in meinem Hals nicht länger zurückhalten kann.

Die Tränen, die über meine Wangen rinnen, sind stumm, hallen aber in mir lauter als ein Donner.

Cilian … er mag Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen haben. Doch in diesem Moment weiß ich, dass er niemals wollte, dass ich hier weinend inmitten der Wüste sitze und mein Leben aufs Spiel setze. Nicht für ihn. Nicht für irgendjemanden.

Und ich spüre den Wunsch in mir, ihn trotz allem zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass der Greifenorden das bekommt, was er verdient: den Ring des Fürsten.

Kapitel 2 - CILIAN

 

Sie wieder in meinen Armen zu halten, ist so unwirklich, dass ich einen Moment lang glaube zu träumen. Aber sie ist tatsächlich hier bei mir. Ich liebe sie mit jeder Faser meines Herzens und werde ihr beweisen, dass ich ihrer Liebe würdig bin.

Obgleich etwas in mir mich ermahnt, vorsichtig zu bleiben. Die Artefakte, mit welchen der Ring des Fürsten gefunden werden kann, rufen Veränderungen in den Menschen hervor, wie ich feststellen musste. Womöglich ist auch Damaris diesen erlegen. Aber so, wie sie mich gerade festhält, kann und will ich nicht daran glauben.

»Ich möchte mich noch einmal in aller Form bei dir entschuldigen, Damaris«, murmle ich und streiche ihr über das kurze Haar, das vor Staub mehr graubraun als schwarz ist.

»Das musst du nicht«, erwidert sie und ich spüre ihren Atem, der über meinen Hals streicht. Eine feine Gänsehaut bildet sich auf meinen Unterarmen und ich schließe die Augen.

»Doch«, beharre ich. »Ich schulde dir eine Erklärung.« Leise hole ich Luft. »Ich wollte nicht, dass du an deinem Geburtstag von dem Wettkampf erfährst. Und ich hatte dir versprochen, dich in den Greifenorden aufzunehmen. Es sollte dein bisher schönster Tag im Zirkel werden. Ich wollte nicht, dass du denkst, ich hätte es mir anders überlegt. Alles, was ich wollte, war, dich zu beschützen, doch ich habe alles nur noch schlimmer gemacht. Denn es ging nur darum, was ichwollte. Nicht um dich, deine Wünsche oder Gefühle. Ich war egoistisch und rücksichtslos. Und das tut mir von ganzem Herzen leid.«

Sie löst sich etwas von mir und hebt den Kopf, sieht mich an. »Cilian, ich muss nicht beschützt werden«, haucht sie.

Ich beuge mich zu ihr herunter, zögere eine Sekunde, dann küsse ich sie sanft auf die Stirn und bin unendlich froh, dass sie diese Geste zulässt. Das Band zwischen uns scheint trotz allem noch nicht ganz zerrissen zu sein. Da sind noch feine Fasern, die den Sturm überstanden und gehalten haben. Nur wie lange noch?

»Ich weiß«, murmle ich. »Es war dumm von mir, das überhaupt zu denken. Vielmehr hätte ich dir direkt alles sagen sollen. Und dich fragen, ob du trotz allem bereit bist, dem Greifenorden beizutreten. Ob du dafür kämpfen möchtest, dass er erhalten bleibt – mit mir zusammen.«

Sie nickt, dann schmiegt sie sich wieder in meine Halsbeuge. »Ja.« Ihre Stimme ist so leise, dass ich sie kaum verstehe. »Meine Antwort wäre Ja gewesen.«

Ihre Worte wärmen mein Herz und es droht vor Glück zu bersten. Da ich keine Ahnung habe, was ich darauf antworten soll, schweige ich und lege stattdessen meine Wange auf ihren Kopf.

Nach einer Weile lösen wir uns voneinander und ich sehe sie sanft an. »Du sagtest, Adrién hat dich verfolgt?«, hake ich nach.

Sie nickt erneut. »Er wollte anscheinend verhindern, dass ich den Ring des Fürsten finde.« Als sich meine Gesichtszüge verfinstern, sieht sie mich alarmiert an. »Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist, er hat mir immer geholfen. Wirklich. Er hat mir das Leben gerettet, mich geheilt.«

Sie verteidigt ihn, obwohl sie vor ihm geflohen ist. Ich spüre einen Stich in der Brust, als mir bewusst wird, wie stark die Bindung zwischen den beiden inzwischen schon sein muss. Aber das verwundert mich nicht. Er war für sie da, hat ihr geholfen. Und ich? Ich habe ihr das alles überhaupt erst eingebrockt.

Verdammt …

Wenn ich sie verliere, dann bitte nicht an ihn. Nicht an diesen finsteren Kerl, dem ich nicht über den Weg traue.

Ja, ich habe ihn damals vor dem Tod bewahrt, hab ihm seinen Greif Silbersturm vorgestellt und ihn in den Orden aufgenommen. Aber etwas an ihm gefällt mir nicht und bis ich nicht weiß, was es ist, bin ich ihm gegenüber vorsichtig.

Und trotzdem sage ich die Worte, die seine Taten entschuldigen könnten. »Hör zu, Damaris«, murmle ich. »Ich glaube, dass diese Artefakte Menschen verändern.«

»Verändern?« Sie zieht die Augenbrauen nach oben.

»Ja«, bestätige ich. »Ich wurde von den beiden Magiern Dragora und Rekon attackiert. Sie schienen wie von Sinnen, haben mich bis zu ihrem Tod mit Magie angegriffen.«

Damaris sieht mich fassungslos an. »Adrién«, haucht sie.

Wann immer sie seinen Namen sagt, zieht sich etwas in mir zusammen, denn ich sehe dieses Leuchten in ihren Augen. Selbst wenn sie es verhindern will, ist es da. Und es gefällt mir nicht. Doch ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, während sie fortfährt.

»Meinst du, das ist der Grund, wieso er mich vom Relikt weggeführt hat?« Ihre Augen werden noch ein Stück größer. »Weil dieses Artefakt ihn beeinflusste?«

Ich schließe kurz die Lider, dann nicke ich. »Das wäre möglich.«

Bei den Göttern … ich hätte die Gelegenheit nutzen und ihr Adrién aus dem Kopf schlagen können. Ihr sagen, dass ich ihm immer schon misstraute und er nicht gut für sie ist. Stattdessen liefere ich ihr eine Möglichkeit, ihm zu verzeihen.

Was stimmt nicht mit mir?

»Ich fühlte diese Wut in mir, als ich sein Artefakt an mich nahm«, flüstert sie. »Diese Wut auf ihn und darauf, dass er mich hintergangen hat. Diese Enttäuschung. Ich dachte, ich könnte ganz alleine den Ring des Fürsten finden. Das … ist das ebenfalls auf das Artefakt zurückzuführen?«

»Ich weiß es nicht«, gestehe ich.

»Spürst du auch eine Veränderung?«, will sie wissen.

Ich schüttle den Kopf. »Ich fühle mich wie immer. Halt, nein. Das stimmt nicht ganz.« Ein leichtes Lächeln erscheint auf meinen Lippen. »Ich bin erleichtert, dass ich dich gefunden habe.«

Sie sieht mich nachdenklich an. »Und in Bezug auf das Relikt? Den Ring?«

Damaris geht nicht auf meine Worte ein, aber das kann ich auch nicht von ihr verlangen. Trotzdem dringt ein Seufzen aus meiner Kehle, ehe ich antworte. »Ich habe nach wie vor das Bedürfnis, den Ring zu finden und damit die Schließung des Greifenordens zu verhindern. Daran hat sich nichts geändert. Der Wunsch ist auch nicht stärker geworden.«

Ihr Gesicht wird nachdenklich.

»Fühlst du sie noch? Die Wut und Enttäuschung auf Adrién?«, frage ich behutsam.

»Nein.« Sie dreht den Kopf ein wenig zur Seite. »Ich fühle mich nur noch dämlich, dass ich so unüberlegt gehandelt habe und ihn allein ließ.« Sie lacht verhalten, dann trifft mich ihr Blick wieder und mein Herz stolpert, da mir die pure Unsicherheit aus ihren grünblauen Augen entgegenschlägt. »Wem kann ich überhaupt noch trauen, Cilian?«

»Mir«, antworte ich, ohne zu zögern. »Du kannst mir vertrauen.«

Sie schnaubt. »Ich bin mir nicht sicher … nicht mehr.«

»Ich weiß«, lenke ich ein. »Ich weiß, dass ich dein Vertrauen verloren habe. Aber ich schwöre dir, ich werde es wiedergutmachen. Kannst du zumindest versuchen, mir zu vertrauen?«

Sie schaut mich unsicher an, ehe sie nickt. »Nun, ich habe nicht viele Alternativen.«

Ich nicke ebenfalls und atme erleichtert auf. »Das ist mehr, als ich mir erhofft habe.«

Eine Weile sehen wir uns schweigend an und ich fühle, dass diese Anziehung zwischen uns immer noch da ist. Wie gerne ich sie jetzt einfach an mich ziehen und auf die Lippen küssen würde. Doch ich werde mich in Geduld üben müssen und ihr vor allem Zeit geben.

»Deine Gemahlin«, sagt sie schließlich zögernd. »Könnte es sein, dass …«

Ich schüttle vehement den Kopf. »Nein. Sie war bestimmt keine Nebenwirkung der Artefakte und auch keine Einbildung. Sie war hier. Bei mir.«

Damaris wirkt zwar nicht überzeugt, trotzdem nickt sie.

Dennoch spüre ich Zweifel in mir aufsteigen. Könnte sie recht haben? Habe ich mir Shaia nur eingebildet? Aber sie war so real … und ich besitze die Artefakte ja noch immer. Müsste sie dann nicht auch noch hier sein, wenn die Begegnung darauf zurückzuführen wäre?

»Gib mir das Artefakt zurück«, unterbricht sie mit einem Mal meine Gedanken.

Ich habe es zu den anderen in meinen Beutel gesteckt, jetzt sehe ich sie stirnrunzelnd an. »Warum?«

»Ich will etwas ausprobieren.«

Kurz zögere ich, dann greife ich in das Säckchen, hole einen der grün schimmernden Sterne heraus und reiche ihn ihr.

Damaris schließt ihre Hand darum – und keucht augenblicklich auf.

»Was ist?«, will ich alarmiert wissen.

Sie sieht mich entsetzt an und drückt mir den Stern wieder in die Hand. »Sie sind wieder da. Die Gefühle. Die Wut … ich … ich habe sie dieses Mal auf dich projiziert.« Sie schlägt sich die Hand vor den Mund. »Diese Artefakte verändern einen tatsächlich.«

Ich studiere den grünen Stern, der nun in meiner Handfläche liegt. »Ich spüre wirklich nichts. Keinerlei Veränderung.«

Damaris’ Miene ist verblüfft, während sie ebenfalls auf das Artefakt schaut. »Woran mag das liegen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber ich bin sicher, wir werden es herausfinden.«

Sie verzieht den Mund ein wenig. »Mir ist es lieber, wenn du die Artefakte bei dir hast. Sie sind mir unheimlich.«

Das kann ich gut nachvollziehen, mir geht es ähnlich. Rasch verstaue ich den grünen Stern wieder in dem Beutel, dann sehe ich sie abwägend an. »Wir sollten weitergehen.«

»Und was ist mit Adrién?«

Ich unterdrücke ein Seufzen, sehe sie stattdessen aufmerksam an. Ihr scheint es wirklich leidzutun, dass sie ihn allein ließ. »Wir können eine halbe Stunde lang auf ihn warten«, schlage ich vor.

Auch wenn ich ihn am liebsten hier unter der Stadt verrotten lassen würde, so weiß ich, dass Damaris das niemals zuließe. Und ich könnte es ebenfalls nicht. Er ist immerhin einer meiner Greifenreiter und ich war noch nie ein Mensch, der andere im Stich ließ. Mochten sie noch so viel falsch machen. Keiner von uns ist perfekt und niemand fehlerfrei. Ich bin der Letzte, der von sich behaupten kann, immer das Richtige zu tun.

Erleichterung leuchtet in Damaris’ grünblauen Augen. »Danke.« Sie schenkt mir ein kurzes Lächeln.

Verdammt … für dieses Lächeln würde ich alles tun. Sogar mit Adrién Bruderschaft trinken.

Wir setzen uns nebeneinander in dem Gang hin, und Damaris teilt ein bisschen von ihrem Essen mit mir. Inzwischen habe ich gewaltigen Hunger und bin froh über den Zwieback und das Trockenfleisch, die Schneeflocke in seinen Satteltaschen hat.

»Das ist ein Teil von Adriéns Proviant«, erklärt sie. »Meiner wurde mir von Rahrin weggenommen.«

Ich knurre in mich hinein.

Wie konnte ich mich in dem Schüler nur so täuschen?

 

Wir sitzen schon eine Weile in dem Gang, als Damaris leise Luft holt. »Ich glaube, er hat sich verirrt«, murmelt sie.

»Schneeflocke könnte Silbersturms Witterung aufnehmen«, sage ich und schlage mir gleichzeitig innerlich gegen die Stirn.

Wieso nur helfe ich diesem Kerl?!

»Meinst du, er kann das?«, fragt sie und sieht mich von der Seite an. »Er hat so was, glaub ich, noch nie gemacht.«

»Jeder Greif kann das«, antworte ich. »Nur ist es nicht sehr höflich. Wenn Adrién nicht zu weit entfernt ist, könnte Schneeflocke auch versuchen, seine Witterung aufzunehmen. Aber die von Silbersturm wäre einfacher und präziser.«

Der weiße Greif hat sich uns gegenüber zusammengerollt. Damaris scheint mit ihm zu kommunizieren, denn er hebt den Kopf und sieht sie argwöhnisch an.

»Komm schon, Cilian meint, du kannst das«, sagt sie ungeduldig.

Adrién ist ihr so wichtig …

Stirnrunzelnd sehe ich dabei zu, wie Damaris sich bemüht, ihrem Greif zu erklären, was sie von ihm will. Schließlich sieht sie Hilfe suchend zu mir. »Er weigert sich. Gibt es eine Möglichkeit, ihn dazu zu bringen?«

Ich schüttle bedauernd den Kopf. »Vielleicht weigert er sich auch nicht. Manche Greife können Witterungen nur in ganz seltenen Fällen aufnehmen – quasi, wenn sie in einer Notsituation sind. So wie damals, als Schneeflocke dich im Hafen aufgespürt hat. Hätte ich Mondsichel an meiner Seite, könnte ich ihm zeigen, wie er es anstellen soll. Aber so ist es zu schwierig, ohne die Möglichkeit einer Gedankenverbindung, tut mir leid.«

Mutlos lässt sie ihre Schultern sinken und ich erkenne Tränen in ihren Augen.

»Wir werden bestimmt wieder auf ihn treffen«, will ich sie aufmuntern. »Spätestens, wenn ich mit Mondsichel wiedervereint bin, können wir die Witterung von ihm oder seinem Greif aufnehmen und finden ihn.«

»Wenn ihm etwas geschieht …«, beginnt sie leise und unterbricht sich dann selbst, da sie ein Schluchzen unterdrückt.

»Damaris«, murmle ich und lege ihr eine Hand auf die Schulter. »Wir finden ihn, versprochen.«

Ja, klar, Cilian. Versprich ihr das auch noch. Wunderbar!

Aber die Hoffnung, die in ihren Augen aufflammt, ist es mir wert.

»Danke«, flüstert sie und ehe ich michs versehe, drückt sie mir einen Kuss auf die Wange.

Reflexartig lege ich die freie Hand an ihr Gesicht und sehe ihr tief in die Augen. Alles um mich herum verschwimmt, bis auf sie.

Mein magisches Licht, das immer noch unsere Umgebung erhellt, lässt ihre Haut makellos erscheinen. Ihre Lippen sind leicht geöffnet, sie sieht mich mit einer Mischung aus Erstaunen, Dankbarkeit und Unsicherheit an.

»Damaris«, raune ich. »Ich liebe dich und wir stehen das zusammen durch.«

Sie blinzelt langsam, dann nickt sie und zieht sich von mir zurück. Mein Daumen streift dabei ihren Mundwinkel und ich muss an mich halten, mich nicht kurzerhand zu ihr zu beugen und sie zu küssen. Das würde sie bloß erschrecken und damit von mir wegtreiben. Sie ist im Moment wie ein scheues Reh und ich muss sie mit Vorsicht behandeln. Presche ich zu schnell vor, wird sie sich von mir abwenden und das Weite suchen.

Also atme ich tief durch und erhebe mich. »Komm, wir suchen nun nach Adrién.«

Kapitel 3 - DAMARIS

 

Ich rechne es Cilian hoch an, dass er, ohne zu zögern, anbietet, mit mir zusammen nach Adrién zu suchen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass er den Greifenreiter nicht mag – das hat er mir mehr als einmal zu verstehen gegeben. Und ich weiß auch, dass er es ernst meinte, als er sagte, dass er mich liebt. Gerne hätte ich diese Liebeserklärung erwidert, doch etwas hielt mich davon ab.

Zwar weiß ich tief in meinem Inneren, dass er mir immer noch verdammt viel bedeutet, dennoch … hach, ich wünschte, es wäre noch so wie vor zwei Wochen zwischen uns. Als ich Cilian blind vertraute und ihn als neuen Mittelpunkt in meinem Leben wähnte. Aber … so ist es nicht mehr.

Vielleicht kann es irgendwann wieder so werden, ich hoffe es.

Doch da wäre ja noch Adrién.

Mir ist klar, dass ich vollkommen überreagiert habe. Ich hätte bei ihm bleiben und seine Argumente anhören sollen. Dass ich blindlings davonrannte, war einfach nur dämlich, und das schlechte Gewissen, das an mir nagt, erdrückt mich beinahe. Da hilft auch nicht die Vermutung, dass mein Handeln auf das Artefakt zurückzuführen war.

Daher eile ich nun schnellen Schrittes in die Richtung, aus der ich kam. Nur um nach einigen Biegungen zu erkennen, dass ich keine Ahnung mehr habe, wo ich überhaupt bin. Zum Glück ist Cilian bei mir, sonst hätte ich in diesem Moment gewiss einen Nervenzusammenbruch erlitten.

Nein, diese unterirdischen Gänge sind absolut nichts für mich … zum Glück bin ich keine Zwergin!

»Es bringt nichts, kopflos durch diese Tunnel zu irren«, keuche ich und lehne mich mit der Hand gegen eine der Wände. »So finden wir ihn nicht.«

»Dann müssen wir nach einem Ausgang aus diesem Labyrinth suchen«, murmelt Cilian. »Wenn wir eine Etage höher kommen, vermag ich meinen Geist vielleicht wieder mit Mondsichel zu verbinden und er könnte uns helfen, Adrién zu finden.«

Ich sehe ihn an und nicke. Das scheint mir die einzige Möglichkeit. Vielleicht gelingt es uns sogar, Mondsichel zu uns in die unterirdischen Gänge zu holen. Zwei Greife zu haben, wäre auf jeden Fall von Vorteil. Vor allem, wenn wir auf Marona, Rahrin oder womöglich noch mehr Kultisten treffen.

»Die Artefakte weisen in diese Richtung«, erklärt Cilian und deutet nach rechts, während er eines davon hervorholt. Es handelt sich um einen Stern, in welchen das Feuerelement eingearbeitet wurde, denn er glüht rötlich.

Als er meinen skeptischen Blick bemerkt, reicht er ihn mir wortlos und ich beiße mir auf die Unterlippe.

Verdammt … ich sollte ihm vertrauen, aber nachdem Adrién mich an der Nase herumgeführt hat, ist das wirklich schwierig.

Erst als ich das Artefakt selbst in der Hand halte und überprüft habe, dass die Richtung stimmt, in die Cilian gedeutet hat, kann ich seinem Plan zustimmen.

Dabei versuche ich zu ignorieren, dass schon wieder diese Gedanken in mir hochsteigen, während sich das Artefakt in meinem Besitz befindet. Gedanken, die mir zuflüstern, dass ich Cilian nicht brauche. Dass ich den Ring des Fürsten ganz allein finden kann. Und dass ich aufhören sollte, mich immer von allen abhängig zu machen und beschützen zu lassen.

Das stimmt nicht. Ich brauche Cilian. Das gestehe ich mir inzwischen ein. Ohne seine Hilfe wird es mir niemals gelingen, hier heil herauszukommen. Geschweige denn, das Relikt zu finden. Er ist nun mal erfahrener als ich und es ist keine Schande, Hilfe anzunehmen. Man muss nicht immer alles allein schaffen, das ist mir klar.

Rasch gebe ich Cilian das Artefakt zurück und streiche meine Handfläche an der Reisekleidung ab, als wäre sie noch schmutziger geworden.

Er sieht mich wachsam an, während er den rot schimmernden Stern wieder verstaut, sagt jedoch nichts zu meiner Geste.

Wieso nur fühlt er diese Veränderung nicht? Was hat es damit auf sich, dass er von den Artefakten verschont zu bleiben scheint? Inzwischen bin ich sicher, dass Adriéns Wunsch, mich zu beschützen, der Grund dafür ist, dass er mich vom Relikt wegführte. Cilian will mich ebenfalls beschützen, dennoch zögert er nicht, mit mir zusammen den Ring zu suchen.

Wir setzen unseren Weg in die Richtung fort, in welche die Artefakte weisen. Die Gänge sind so karg und kahl, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass das hier eine Stadt sein soll.

Wo sind die Räume, in denen die Zwerge gegessen, geschlafen oder gefeiert haben? Gibt es keinen Marktplatz oder wenigstens einen Ort, wo sie Handel trieben?

Als ich Cilian diese Fragen stelle, bleibt er stehen und sieht auf mich herunter. »Das habe ich mich auch schon gefragt. Shaia und ich …« Er räuspert sich und schließt kurz die Augen, als müsste er sich sammeln, ehe er mich stirnrunzelnd wieder ansieht. »Wir sind durch einen Schacht gestürzt, der zu einem reich verzierten Baderaum führte. Wir nahmen an, dass es sich dabei um eine Art Tempel oder Ähnliches handeln könnte. Danach haben wir eine prunkvolle Halle mit Säulen betreten.« Er kratzt sich nachdenklich an der Wange. »Ich glaube, dass wir uns in einer Ebene unter der Stadt befinden. Oder einem Vorort. Vielleicht handelt es sich bei den Gängen um Wege, die einen schnell von einem Ort zum anderen bringen konnten. Womöglich hat auch nur die Dienerschaft diese betreten.« Er breitet die Arme aus und lässt sein magisches Licht, das uns den Weg leuchtet, etwas heller erstrahlen. »Was auch immer das hier sein mag, ich glaube nicht, dass es bereits die legendäre Stadt der Wüstenzwerge ist.«

Ich sehe ihn nachdenklich an. Was er sagt, ergibt durchaus Sinn. »Wenn das bloß Dienstbotengänge waren, dann werden wir hier unten wohl kaum den Ring des Fürsten finden, oder?«

»Nein, das glaube ich auch nicht.« Er schüttelt den Kopf, und seine Locken verheddern sich bei der Bewegung.

Am liebsten hätte ich ihm die Haarsträhne, die ihm bei der Geste in die Stirn fällt, zur Seite gestrichen, einfach um ihn zu berühren. Aber ich halte mich davon ab, indem ich meine Finger ineinander verschränke. Trotzdem blitzt vor meinem inneren Auge das Bild einer Bergziege auf, die einladend mit ihrem Hintern wackelt. Ich sehe Schneeflocke mit einem scharfen Blick an, der allerdings so stur geradeaus sieht, als stammte das Bild nicht von ihm.

»Wo, denkst du, werden wir dieses Relikt finden?«, frage ich Cilian, um mich auf andere Gedanken zu bringen.

»Ich glaube, dass ein Schatz wie dieser erstens im Herzen der Stadt ist und zweitens gut bewacht wird.« Seine Augen werden schmal, während er über meine Frage nachdenkt. »Die Zwerge lieben es, Rätsel zu erfinden und Fallen zu stellen. Allein die Tatsache, dass wir hier unten noch keinem davon begegnet sind, deutet darauf hin, dass wir uns am falschen Ort befinden.«

»Nicht ganz«, korrigiere ich ihn und er hebt überrascht die Augenbrauen. »Adrién und ich sind sehr wohl Rätseln begegnet. Wir sind durch eine Art Hintereingang in die Stadt gekommen. Ich nehme zumindest an, dass es sich nicht um den Haupteingang gehandelt hat.«

»Was für Rätsel?«, will Cilian interessiert wissen.

Ich berichte ihm von der Eingangstür, die wir durch Gesang, und der Steintafel, die wir durch das Aussprechen von zusammenhangslosen Buchstaben überwinden konnten. Als ich den Gang mit den Spiegeln, die mit einem Mal zum Leben erwachten, erwähne, spüre ich wieder diese Gänsehaut auf meinem Körper.

Das war echt gruselig …

»Und danach gab es keine Rätsel mehr?«, fragt Cilian, nachdem ich meine Erzählung abgeschlossen habe.

»Nein. Danach sind wir diesen Gängen gefolgt«, erkläre ich.

Cilian reibt sich über das Kinn, das stärker behaart ist, als ich es von ihm kenne. Womöglich hat er keine Rasierklinge in die Wüste mitgenommen. »Das erscheint mir komisch«, murmelt er. »Wieso geben sie sich bei einem Eingang so viel Mühe und danach nicht mehr?«

»Ich denke, weil es eben kein Haupteingang war«, sage ich schulterzuckend. »Wenn du recht hast und nur die Dienerschaft diese Gänge hier benutzte, mussten sie auch nicht so stark bewacht werden, oder?«

Und wahrscheinlich ist auch das der Grund, wieso der Totengott uns zu diesem Eingang brachte.

»Ja, da könnte was dran sein.« Er nickt bedächtig. »Das bedeutet aber gleichzeitig, dass wir ein gutes Stück vom Herzen der Stadt entfernt sind.« Er sieht sich im Gang um, als würde er nach einem Wegweiser suchen. »Wenn wir bloß wüssten, wohin sich Marona und Rahrin teleportiert haben.«

»Das werden wir herausfinden, wenn wir dem Artefakt folgen«, vermute ich. »Marona meinte, dass die Artefakte uns zu dem von Rahrin führen werden. Sie werden also auf uns warten, denn sie brauchen das Luftartefakt.«

Cilian nickt. »Die Zeit ist also auf unserer Seite.«

»Außer sie teleportiert sich kurzerhand zu uns, um uns die Artefakte zu entreißen.«

Cilian verengt die Augen. »Das denke ich nicht. Jeder Zauber, den sie mittels grauer Magie wirkt, zehrt Energie, die der dafür ausgewählte Dämon als Gegenzug verlangt. Du hast erzählt, sie hätte sich bereits in die Stadt teleportiert. Ein weiterer solcher Zauber wird sie nur unnötige Kraft kosten und sie muss ebendiese gut einteilen. Und zweitens kann sie nicht genau wissen, wo wir uns befinden. Es könnte sein, dass sie sich zwar in unsere Nähe, aber nicht direkt zu uns teleportiert – und dann hat sie kostbare Energie verschwendet.« Er zieht die Augenbrauen zusammen. »Sie wird auf uns warten. Wo auch immer das ist.«

Ich verschränke die Hände im Nacken und dehne meine Schultern, die durch das ständige Schlafen auf dem Boden und die ganzen Strapazen der vergangenen Tage schmerzhaft verspannt sind. »Leider besitzen wir nicht genügend Proviant, um ewig hier unten zu bleiben. Wenn wir so lange warten könnten, bis sie verhungert sind …«

»… wäre es nur ein Teilsieg«, unterbricht mich Cilian und sieht mich fest an. »Nein. Ich möchte, dass sie ihre gerechte Strafe erhält. Und die ist nicht, dass sie verhungert. Ich werde sie zur Rechenschaft ziehen.«

Ein leises Seufzen entweicht mir. »Du bist einfach zu gut für diese Welt, Cilian«, murmle ich, während ich meine Schultern kreisen lasse und dann die Arme ausschüttle.

Er sieht mich verdattert an, ehe ein Lächeln über seine Lippen gleitet.

Wie sehr ich dieses Lächeln vermisst habe. Es lässt seine Augen erstrahlen, und die Wärme kehrt in seinen Blick zurück.

Oh Mann … diese Gefühle in mir …

Gut, ich gestehe mir ein, dass ich ihm bereits verziehen habe. Trotz allem. Er hat nun mal mein Herz im Sturm erobert und das lässt sich nicht so einfach ungeschehen machen.

»Du bist nicht die Erste, die das zu mir sagt«, meint er bescheiden. »Aber ich bin auch nur ein Mensch und …«

»Einer der großherzigsten, die ich kenne.« Ich lege ihm eine Hand auf den Arm. »Auch ich muss mich entschuldigen«, bekenne ich zerknirscht. »Es tut mir so leid, dass ich dir in Chakas keine Gelegenheit gab, dich zu erklären. Aber ich sagte es dir bereits: Ich bin manchmal einfach unsicher und wenn ich obendrein noch das Gefühl habe, dass jemand mit mir spielt …« Ich seufze erneut. »Vielleicht … wenn ich nicht so unsicher und impulsiv gewesen wäre, wäre alles anders gekommen. Dann hätten wir vielleicht von Anfang an zusammengearbeitet.«

Er legt seine Hand auf meine und drückt sie. »Du trägst keinesfalls Schuld daran, wie es gekommen ist«, sagt er eindringlich. »Du musst dich für absolut nichts entschuldigen. Deine Reaktion ist vollkommen nachvollziehbar und ich bin der Letzte, der dir einen Vorwurf dafür machen würde.« Sein Blick ruht sanft auf meinem Gesicht, und für einen Moment sehen wir uns einfach nur in die Augen.

Da. Das ist sie. Diese Anziehung zwischen uns, die von Anfang an da war. Wie bei zwei Magneten, die immer und immer wieder zueinander wollen. Selbst wenn sie voller Kratzer und Dellen sind – der Drang hört nicht auf. Genau so ist es bei Cilian und mir, das wird mir in diesem Moment klar.

Ist das gut? Oder schlecht? Sollte ich dem Drang nachgeben und sehen, wohin es führt?

Cilian senkt den Kopf etwas zu mir herunter und sein Blick wird so intensiv, dass ich blinzeln muss, um ihm standzuhalten. »Damaris«, murmelt er. »Gleichgültig, wie es anfing – die Hauptsache ist, dass wir es zusammen zu Ende bringen.«

Die Gefühle, die ich in seinen azurblauen Augen erkenne, überwältigen mich beinahe. Mein Herz flattert, mein Bauch wird flau. Genau wie beim ersten Mal, als ich ihm in der Bibliothek des Greifenordens begegnet bin. Schon da wusste ich, dass er ein ganz besonderer Mensch ist, und diese Erkenntnis hat sich bis jetzt nicht geändert.

Ich liebe ihn. Und ich möchte, dass er das weiß.

Ehe ich es zerdenken kann, stelle ich mich auf die Zehenspitzen und lege meine Lippen auf seine. Er reagiert mit einem Stöhnen, das tief aus seiner Brust stammt und von der Erleichterung rührt, die er in diesem Moment wohl gerade empfindet.

Kurzerhand nimmt er mein Gesicht in beide Hände, vertieft den Kuss, indem er meine Lippen mit seiner Zunge teilt.

Nein, ich sollte das hier nicht tun. Nicht, wenn ich in meinem Herzen noch gleichzeitig etwas für Adrién empfinde. Aber gerade fühlt es sich einfach nur richtig an. Der Kuss wischt alles weg. Die Wut ebenso wie die Enttäuschung.

Es gibt nur noch ihn und mich. Und unsere Liebe.

Er drängt mich gegen die Wand hinter mir und ich erinnere mich daran, wie er das in seinem Arbeitszimmer tat. Kurzerhand lege ich meine Arme um seinen Nacken, stelle mich auf die Zehenspitzen, um noch näher bei ihm zu sein.

Doch noch während unsere Zungen miteinander tanzen, halte ich keuchend inne, denn vor meinem inneren Auge spielt sich die Szene ab, die ich mit Adrién im See erlebt habe. Als ich ihn genauso intensiv, genauso fordernd küsste. Nur war ich da nackt und er ebenfalls … und wir …

Ich reiße mich regelrecht von Cilians Lippen los, strample mich aus seinem Griff frei und trete drei Schritte zur Seite. Atemlos starre ich ihn an.

Sein Blick ist verblüfft und schuldig zugleich.

Nein. Nein! Nicht er sollte sich schuldig fühlen. Ich bin es, die ihn hintergangen hat. Ich bin es, die …

»Ich habe mit Adrién geschlafen«, sprudelt es aus mir heraus, ehe ich es überhaupt verhindern kann.

Cilian erstarrt für einen Moment und sieht mich fassungslos an. Seine Verblüffung weicht Entsetzen und vermischt sich schließlich mit Ungläubigkeit.

»Was sagst du da?«, stößt er leise hervor.

»Ich habe …« Nein, ich kann es nicht wiederholen und ihm dabei ins Gesicht schauen. Ich schlucke und versuche, seinem Blick standzuhalten. »Es tut mir leid, es ist einfach so passiert, keiner von uns wollte das … also doch. Schon. Aber nicht … ich … wir standen unter einer Art Zauber. Wir waren in einem unterirdischen See, und der Fruchtbarkeitsgott hat uns verführt. Oder seine Magie. Was auch immer es war, es hätte nicht geschehen dürfen, ich …« Ich unterbreche mich, da ich nun Schmerz in Cilians Augen erkenne, und das halte ich nicht aus. Vor allem nicht, wenn ich schuld daran bin.

Wieso nur musste ich ihm die Wahrheit sagen? Warum konnte ich nicht meine dämliche Klappe halten, bis das Ganze überstanden ist?!

»Du hast …« Cilian schüttelt den Kopf, als könnte er es nicht begreifen, und fährt sich erneut durch die Locken, wendet sich von mir ab.

Verdammter Mist!

»Cilian, es tut mir leid«, flüstere ich und spüre, wie Tränen in meine Augen steigen. »Es hätte nicht geschehen dürfen.«

Als ich um ihn herumgehe, um ihm wieder ins Gesicht zu schauen, bereue ich es im selben Moment.

Ich habe ihn verletzt. So sehr, wie ich noch nie jemanden verletzt habe.

Seine Kiefermuskeln mahlen, die Lippen sind zu einem schmalen Strich geworden und er sieht mich nicht an, da er dann wahrscheinlich die Beherrschung verlieren würde.

»Cilian?«, frage ich vorsichtig.

Als mich sein Blick nun doch trifft, ist es, als würde er mich durchbohren. Aber in dem Moment erkenne ich, dass seine Wut nicht mir, sondern Adrién gilt. Dem Mann, vor dem er mich die ganze Zeit gewarnt hat. Dem Mann, dem er immer schon misstraute.

Er schließt die Augen und unterbricht damit unseren Blickkontakt. Ich sehe, wie er tief durchatmet und seine Nasenflügel sich dabei bebend dehnen.

Nachdem er die Lider wieder geöffnet hat, ist die Wut verschwunden. Aber die Enttäuschung verweilt in seinen Augen.

»Lass uns weitergehen«, sagt er mit beherrschter Stimme.

Ohne ein weiteres Wort wendet er sich von mir ab und geht in die Richtung, in die wir unterwegs waren.

Diese Kälte, die mit einem Mal von ihm ausgeht, trifft mich mitten ins Herz.

Ja, ich habe ihn enttäuscht und verletzt. Und die Abweisung habe ich definitiv verdient. Dennoch tut es so weh, als hätte er mich geohrfeigt.

Kapitel 4 - DAMARIS

 

Ich folge Cilian wie ein geschlagener Hund, und selbst Schneeflocke lässt ausnahmsweise seine belehrenden Bilder von Enten und Bergziegen bleiben.

Noch nie in meinem Leben habe ich mich so mies gefühlt. Noch nie so ein schlechtes Gewissen gehabt.

Wie konnte ich Cilian so kaltherzig an den Kopf schmeißen, dass ich mit einem anderen Mann – ausgerechnet Adrién! – geschlafen habe? Nur etwas mehr als eine Woche, nachdem Cilian und ich diesen magischen Moment auf den Klippen bei seinem Haus teilten?

So ein Mist, ich hätte viel einfühlsamer und vorsichtiger sein sollen! Adrién hatte recht: Ich besitze das Feingefühl eines Trampeltiers!

Ich könnte mir in den Hintern beißen! Da nähern wir uns gerade wieder an, küssen uns – und ich vergeige es direkt! Wie dämlich kann man eigentlich sein?

Nicht nur das … ich habe Cilian verletzt. Ihn, der ohnehin schon so viel durchmachen musste.

Ich hasse mich. Hasse mich so sehr dafür, dass ich das getan habe!

Wie gerne würde ich das mit Adrién ungeschehen machen, aber das geht leider nicht. Meine Gefühle für den Greifenreiter sind nun mal da und lassen sich ebenso wenig ausschalten wie die für Cilian.

Es ist zum Haareraufen!

Ich erinnere mich an Adriéns Worte, dass er nichts gegen eine Dreiecksbeziehung hätte, solange die Fronten geklärt sind. Doch könnte ich das? Mit zwei Männern gleichzeitig zusammen sein? Ich weiß es nicht. Nicht nur, weil ich keine Ahnung von Beziehungen habe, sondern auch, weil ich mich vor den Reaktionen der anderen fürchte. Selbst wenn es auch für Cilian in Ordnung wäre, bliebe da die Meinung der Außenwelt.

Würden sie mich verurteilen? Könnten sie es nachvollziehen? Und wieso spielt das überhaupt eine Rolle für mich?

Eigentlich sollte ich darüberstehen und genug Selbstbewusstsein haben, um mich nicht von der Meinung anderer lenken zu lassen. Doch ich habe im Zirkel von Chakas erfahren, wie es ist, wenn man nicht dazugehört. Ich bin ohnehin immer schon eine Außenseiterin gewesen und wenn ich dann noch eine Beziehung zu zwei Männern führen würde, wären mir die Hänseleien und der Spott gewiss.

Ich bin so in Gedanken vertieft, dass ich beinahe in Cilian hineingelaufen wäre, der abrupt stehen bleibt.

Weil ich es nicht wage, das Wort an ihn zu richten, schaue ich stumm an ihm vorbei – und keuche verblüfft auf, als uns eine ähnliche Tür den Weg versperrt wie jene, die schon den Eingang zu diesen Gängen verschlossen hat. Auch sie ist aus Stahl gefertigt und mit unzähligen Noten übersät.

Cilian wendet mir den Kopf zu und ich merke, wie er sich zusammenreißen muss, um in einem normalen Tonfall mit mir zu sprechen. »War die Tür, die du und …« Er unterbricht sich.

»Ja«, sage ich schnell, damit er Adriéns Namen nicht auszusprechen braucht. »Sie sah genau so aus.«

Er nickt. »Gut. Dann müssen wir also singen?«

Ich nicke ebenfalls. »Scheint so.«