Angel in Armani - Melanie Scott - E-Book

Angel in Armani E-Book

Melanie Scott

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Beschreibung

Wenn der Instinkt dich vor der Liebe warnt, aber das Herz trotzdem siegt. Lucas Angelo, Arzt und Mitbesitzer des Baseballteams New York Saints, steckt bis zum Hals in Arbeit. Da passt die hübsche Sara Charles ihm eigentlich gar nicht in den Kram. Aber er muss oft schnell zu wichtigen Terminen, und eine persönliche Pilotin könnte seine Zeitprobleme im Handumdrehen lösen. Sara kämpft verzweifelt darum, das Familienunternehmen Charles Air am Leben zu halten. Mittlerweile ist sie selbst die einzige verbliebene Pilotin. Lucas zu fliegen ist nicht nur lukrativ, sondern mit einem so attraktiven Kunden auch mehr als angenehm. Doch Sara ahnt bereits, warum Lucas so erfolgreich ist: Er nimmt sich, was er will und vor allem, was er braucht. Bleibt nur die Frage, was sie selbst will. Und was sie braucht …

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Das Buch

Lucas Angelo, Arzt und Mitbesitzer des Baseballteams New York Saints, steckt bis zum Hals in Arbeit. Das Trainingslager steht bevor, sein Terminplan ist voll. Da passt die hübsche Sara Charles ihm eigentlich gar nicht in den Kram. Aber er muss oft schnell zu wichtigen Terminen, und eine persönliche Pilotin könnte seine Zeitprobleme im Handumdrehen lösen. Ein Angebot, das Sara nicht ausschlagen kann, denn schließlich könnte es ihr Unternehmen retten.

Sara ist verzweifelt: Charles Air ist am Ende, sie selbst die einzige verbliebene Pilotin des Familienunternehmens. Daher nimmt sie jeden Auftrag an, den sie kriegen kann, und gerät dabei an Lucas Angelo. Der Job ist auf einmal nicht nur lukrativ, sondern auch mit einem so attraktiven Kunden mehr als angenehm. Doch Sara ahnt bereits, Lucas ist aus gutem Grund so erfolgreich. Er nimmt sich, was er will, und vor allem, was er braucht. Bleibt nur die Frage, was sie selbst will … Und was sie braucht …

Die Autorin

Melanie Scott kommt aus Australien und schreibt Fantasy- und Romance-Romane, auch unter dem Pseudonym M. J. Scott. Ihr Debütroman brachte ihr viel Lob diverser Bestseller-Autoren ein, und ihre Half-Light-City-Serie stand in der Auswahl des Australian Romance Readers Association Award. Melanie Scott lebt in Melbourne.

Von Melanie Scott sind in unserem Hause erschienen:

The Devil in Denim (New York Saints 1)Angel in Armani (New York Saints 2)Lawless in Leather (New York Saints 3)

MELANIE SCOTT

Angel in Armani

Roman

Aus dem Englischen von Uta Hege

Ullstein

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Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Widergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

ISBN 978-3-8437-1277-4

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016Copyright © 2014 by Melanie ScottPublished by arrangement with St. Martin’s Press, LLC. All rights reserved.Titel der amerikanischen Originalausgabe: Angel in ArmaniUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © shutterstock/ Y.a.r.o.m.i.r, nach einer Vorlage von St. Martin’s Press

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Für Hamish,den besten Hund, den es je gab.

1

Es war, als säße ihr ein Tiger im Genick.

Etwas Großes und Gefährliches und Mitleidloses, das in ihrem Helikopter hockte und ihr seinen heißen Atem direkt in den Nacken blies. Etwas, das sie mühelos zerquetschen könnte, während es mit seinen großen goldenen Augen weiter reglos durch die Windschutzscheibe in den Himmel sah.

Nur, dass ihr Passagier nicht goldene, sondern blaue Augen hatte. Leuchtend blau.

Weshalb vielleicht ein Tiger nicht die richtige Metapher war. Vielleicht –

»In etwa fünf Minuten kommt der nächste Chopper, Sara. Kriegst du deine Kiste vielleicht langsam in die Luft?«, unterbrach die kühle Stimme aus dem Tower ihren Gedankengang.

Reiß dich zusammen, Sara Charles. Du führst dich auf wie eine Närrin. Sie schüttelte den Kopf. In dem kein Raum für derart dämliche Gedanken war, während sie flog.

»Ich bin so weit«, gab sie zurück und drehte sich nach ihrem Fluggast um. »Wir können starten, Sir.« Sie nannte alle ihre Passagiere »Ma’am« oder »Sir«, solange sie nichts anderes von ihr erbaten – was die meisten Leute, oder wenigstens die Stammkunden, normalerweise taten. Nicht jedoch der Mann, der heute mit ihr flog. Er schien das »Sir« zu akzeptieren, als wäre das die pflichtgemäße Anrede für ihn. Was sie ein wenig seltsam fand, denn wenn sie sich nicht irrte, war der Mann kein Exsoldat und gehörte offenbar auch nicht dem britischen Königshaus an. Weil er seinem Akzent nach ganz eindeutig in den Staaten aufgewachsen war. Obwohl er während der drei Flüge, die er bisher mit ihr unternommen hatte, kaum ein Wort mit ihr gewechselt hatte.

Außer »Guten Morgen«, »Vielen Dank« oder »Auf Wiedersehen«.

Wobei er immer mit beherrschter, dunkler, kühler Stimme sprach. Sein fortgesetztes Schweigen hätte Sara stören sollen, doch aus irgendeinem Grund fand sie es faszinierend.

»Gleich sind wir in der Luft«, erklärte sie, denn vielleicht würde dieser Satz ihn ja ein wenig aus dem Gleichgewicht bringen und er würde plötzlich »super« oder so sagen.

Doch er hob nicht einmal den Kopf. Was er sowieso nur selten tat. Er nickte einfach knapp und starrte weiter auf den Bildschirm seines schlanken silberfarbenen Laptops. Zielgerichtet. Konzentriert.

Er konnte sich eindeutig besser konzentrieren als die meisten anderen Menschen. Selbst mit Kopfhörern war es in ihrem Hubschrauber sehr laut, aber das lenkte ihn nicht im Geringsten ab. Sie musste zugeben, dass ihr schon mehrmals der Gedanke durch den Kopf gegangen war, wie es wohl wäre, würde er sich so auf sie statt auf den Laptop konzentrieren. So, als gäbe es nichts anderes mehr für ihn.

Aber das war so wahrscheinlich wie, dass ihr urplötzlich Flügel wachsen würden und sie ohne Helikopter fliegen könnte, deshalb kämpfte sie entschlossen gegen diese Überlegung an.

Obwohl sie gerne wüsste, wo der Mann gelernt hatte, die Außenwelt so völlig auszusperren. Vielleicht gehört das zu dem Beruf als Arzt einfach dazu. Sara wusste, er war Arzt. Dr. Lucas Angelo.

Unter diesem Namen hatte er die Flüge bei Charles Air gebucht. Sonst wusste sie kaum etwas über ihn. Und sie weigerte sich rundheraus, im Internet nach einem Mann zu suchen, der praktisch ein Fremder für sie war und es wahrscheinlich immer bleiben würde. Denn irgendwie käme ihr das erbärmlich vor.

Erbärmlicher, als ihn mit einem Tiger zu vergleichen?

Sara unterdrückte einen Seufzer und wandte sich wieder dem Kontrollpaneel des Helikopters zu. Denn statt an Raubkatzen zu denken, sollte sie am besten erst mal ihren Vogel in die Luft bringen.

Kaum waren sie oben, lenkte die Begeisterung zu fliegen sie vom Rätsel dieses Mannes ab. Es war ein rundherum perfekter Wintertag. Wolkenlos und sonnig und mit einer ausreichenden Brise, um das Fliegen interessant zu machen. Mit hervorragendem Licht und guter Sicht. Der Helikopter schien sich genau wie sie zu freuen, endlich in der Luft zu sein.

Fort von den Problemen, die es unten auf der Erde gab. Wenigstens für ein paar Stunden würde es für sie nichts anderes geben als den leuchtend blauen, endlos weiten Himmel und ihr Ziel.

Beim Flug über die Stadt empfand sie die gewohnte Euphorie, als sie die schimmernden Gebäude und den ausgedehnten Central Park unter sich sah. Eine bessere Aussicht auf Manhattan gab es einfach nicht.

Wobei Dr. Geheimnisvoll wie auch schon bei den letzten Flügen weiter reglos auf den Bildschirm seines Laptops sah.

Stirnrunzelnd lenkte sie ihren Helikopter geradeaus. Sie konnte einfach nicht verstehen, dass er dort sitzen konnte, ohne auch nur einmal auf- oder vielleicht sogar hinauszusehen. Weil ein Laptop nichts enthalten konnte, was so wunderbar war wie dieser Ausblick.

Verdammt, die meisten Passagiere buchten sie ausschließlich dieses Ausblicks wegen. Rundflüge über die Stadt machten einen Großteil des Geschäfts mit Charterflügen aus. Sie liebte es, wenn sie die aufgeregten Stimmen der Touristen hörte, die New York zum ersten Mal von oben sahen. Wobei natürlich ab und zu auch jemand grün im Gesicht wurde und während des gesamten Fluges kotzte, was jedoch zum Glück nicht oft geschah.

Doch ihr momentaner Fluggast kotzte selbstverständlich nicht.

Er täte sicher nie etwas, was den perfekt geschnittenen Smoking ruinieren würde, den er heute trug.

Bei den bisherigen drei Flügen hatte er stets einen Anzug angehabt.

Dunkelgrau auf ihrem Flug zum Krankenhaus am Rande von New Jersey.

Mittelgrau während des kurzen Wegs nach Staten Island.

Und marineblau mit beinah unmerklichen Nadelstreifen auf dem Weg zum JFK.

Die dritte Version hatte ihr besonders gut gefallen. Denn das Marineblau des Anzugs und das dunkle Blau seiner Krawatte hatten seine leuchtend blauen Augen besonders betont. Und sie hatte gedacht, am besten sollte er ständig Blau tragen.

Bis er am Nachmittag im Smoking auf der Bildfläche erschienen war. Natürlich sahen die meisten Männer gut aus, wenn sie einen Smoking trugen, aber Dr. Lucas Angelo sah geradezu wie der geborene Smoking-Träger aus. Was einfach unfair war. Strenges Schwarz und Weiß sollten im Grunde keinen Mann in einen Gott verwandeln. Doch der Schneider dieses Mannes war eindeutig ein Genie.

Sie hatte ihn kurz angesehen, sich gezwungen, ihren Blick von ihm zu lösen, war auf ihren A-Star zumarschiert, und er hatte in seiner ganzen Pracht mitsamt der makellosen kleinen Laptoptasche bei ihren Kolleginnen im Flughafengebäude eingecheckt. Denn es war eine Sache, zuzugeben, dass er zwar nicht unbedingt sympathisch, aber faszinierend und vor allem wirklich gut aussehend war, doch etwas völlig anderes, zu hyperventilieren, sobald sie ihn auch nur von weitem sah. Vor allem, während sie in ihrer Uniform aus praktisch-schwarzer Hose, praktisch-schwarzen Schuhen und praktisch-blauer Bluse, mit vom Kopfhörer zerzausten Haaren auf dem Rollfeld stand.

Deshalb hatte sie sich während der vor jedem Flug gebotenen Kontrolle ihres Helis ins Gebet genommen. Sich daran erinnert, dass sie besser nicht für einen Kunden schwärmte, der genügend Geld und Einfluss hatte, um sich regelmäßig einen Hubschrauber zu chartern. Weil ein solcher Mann eindeutig eher einen Blick für Supermodels hatte als für eine kleine Hubschrauberpilotin mit vom Kopfhörer zerzaustem Haar. Deshalb wäre es in höchstem Maße unpraktisch, mit Hitzewallungen zu reagieren, kaum dass er in ihrem Helikopter saß. Vor allem brauchte sie das Geld, das sie damit verdiente, und keinen Mann fürs Bett.

Und Dr. Lucas Angelo hatte sie schon dreimal engagiert. Wodurch er fast so etwas wie ein Stammkunde des Unternehmens war. Den sie dringend brauchte. Deshalb sollte sie am besten jede Ablenkung vermeiden und weiterhin ihr Ziel im Blick behalten.

Diese durchaus gute Rede hatte sie beinahe überzeugt. Bis sie angefangen hatte, über Tiger nachzudenken, als er eingestiegen war.

Obwohl sie jetzt, als sie in Richtung Hamptons flogen, wo er ohne Zweifel irgendeinen super exklusiven Ball besuchen würde, dachte, dass wahrscheinlich Tiger nicht der passende Vergleich für die Gefühle war, die er in ihr weckte. Nein, die Art, in der er schweigend die Kabine füllte, bis sie ihn unmöglich ignorieren konnte, war fast wie ein Flug am Rande eines Sturms. Bei dem die Luft vor Spannung zu vibrieren schien. Und sie wusste, dass sie darauf achten musste, nur ja nicht die Kontrolle zu verlieren, damit sie nicht in den Sog des Unwetters geriet.

Doch das würde nicht passieren.

Weil sie eine ausgezeichnete Pilotin war und bisher noch jedem Sturm erfolgreich ausweichen konnte.

Selbst wenn sie nicht sicher hätte sagen können, ob sie es nicht schöner fände, mitten in das Unwetter hineinzufliegen, um zu sehen, was dann geschah.

Lucas starrte auf den Bildschirm seines Laptops und versuchte, nicht darauf zu achten, dass das gleichförmige tock, tock, tock des Helikopter-Motors trotz der Kopfhörer an seine Ohren drang. Oder darauf, dass er wieder mal in einer Hightech-Blechkiste weiß Gott wie hoch am Himmel schwebte.

Konzentrier dich auf die Bilder, die du siehst.

Zum Beispiel auf die Röntgenaufnahme eines gebrochenen Schlüsselbeins. Wenn er es gerichtet hätte, würde es wieder sein wie neu. Solche kinderleichten Eingriffe führte er heutzutage nur noch selten durch, doch dieses spezielle Schlüsselbein gehörte einem jungen Profi-Eiskunstläufer, dessen Eltern sehr viel Geld dafür bezahlten, dass seine Karriere nicht schon vorzeitig zum Ende kam.

Was durchaus zu verstehen war.

Nur leider war diese OP nicht kompliziert genug, um ihn von den Geräuschen und der Höhe abzulenken, deshalb rief er schnell die nächste Akte auf. Der Helikopter sackte etwas ab, und hilfesuchend klammerte er sich am Rand des Laptops fest.

Diese verfluchten Hubschrauber. Angeblich stammte der Entwurf für das erste derartige Fluggerät von Leonardo da Vinci. Aber Lucas war egal, wie genial der alte Maler und Erfinder sicherlich gewesen war. Denn niemand, der noch ganz bei Trost war, wäre je auf die Idee gekommen, sich eine Maschine auszudenken, in der man dem Schicksal derart hilflos ausgeliefert war.

Er zwang sich, seinen Griff etwas zu lockern. Lucas mochte Flugzeuge im Allgemeinen nicht, unterdrückte aber heldenhaft die Angst und Übelkeit, die er bei jedem Flug empfand, weil in seinem Job ein Leben ohne Flüge schlichtweg nicht möglich war. Was ihm in einem Hubschrauber jedoch erheblich schwerer fiel, denn die Dinger waren einfach viel zu klein. Es gab keinen Ort, an dem er sich verstecken konnte vor der leeren Luft, die ihn umgab.

Dabei kannte er sich hinlänglich mit Aerodynamik und der Theorie vom Fliegen aus. Wusste, weshalb Hubschrauber und Flugzeuge es schafften, in der Luft zu bleiben. Denn er hatte sich mit diesem Thema eingehend befasst. Ohne dass er dadurch mutiger geworden war.

Sein erster Helikopterflug war der in einem Rettungshubschrauber gewesen. Damals hatte man ihn in ein Krankenhaus geflogen, um zu sehen, ob seine Schulter noch zu retten war. Er hatte unter Schock gestanden, sich vor Schmerzen auf der Pritsche hin und her gewälzt, hatte das Geräusch der Explosion im Ohr gehabt, infolge derer dieser Flug erforderlich gewesen war, und ein Gemisch aus Galle und aus Asche ausgespuckt, denn die Beruhigungsspritze, die der Arzt oder die Schwester ihm gegeben hatte, hatte einfach nicht gewirkt.

Dann waren sie in die Luft gestiegen, und er hatte das Gefühl gehabt, als würde er nie wieder festen Boden unter seinen Füßen bekommen.

Was im übertragenen Sinne auch tatsächlich so gewesen war.

Denn zwar hatte der Chirurg die Schulter wieder so gut hinbekommen, dass er sie normal benutzen konnte. Aber der Belastung, der die Schulter eines Profi-Baseballwerfers ausgesetzt war, hätte sie unmöglich standgehalten.

Also war sein großer Traum zerplatzt.

Und das alles, weil ein Haufen junger Spinner ihrem Hass auf die Regierung durch das Zünden einer Bombe während eines College-Baseballspiels hatte Ausdruck verleihen wollen. Und weil er und Mal und Alex den Befehl des Trainers, sich in Sicherheit zu bringen, nicht hatten befolgen können, ohne zu versuchen, vorher ein paar Menschen aus den Trümmern der Tribüne zu befreien. Er konnte sich noch immer nicht daran erinnern, woher die Verletzung seiner Schulter stammte, wusste nur, es war geschehen.

Sein Traum von einer Baseballkarriere war geplatzt, und er hatte sich zu einem neuen Ziel vortasten müssen. Das am Schluss die Medizin geworden war. Doch seine Flugangst hatte sich bis heute nicht gelegt.

Vom Kopf her war ihm klar, dass die Explosion damals und ein Hubschrauber zwei grundverschiedene Dinge waren, aber seinem Körper leuchtete das nicht ein. Jedes Mal, wenn er in einen Flieger stieg, bekam er einen trockenen Mund und in seinem Magen schwappte Galle hoch.

Nur dass in seinem Job das Fliegen einfach unvermeidbar war. Denn die Patienten würden kaum so lange warten, bis ihr superteurer Arzt im Bus durchs halbe Land gefahren kam.

Deshalb riss er sich zusammen und stieg in ein Flugzeug, wenn es nicht anders ging. Doch gefallen würde ihm das sicher nie.

Konzentrier dich.

Um sich zu beruhigen, holte er tief Luft und versuchte, eine andere Patientenakte durchzugehen.

Was deutlich einfacher gewesen wäre, hätte er in seiner Praxis in Manhattan statt in einem Hubschrauber gesessen, um zu einer Party in den Hamptons zu gelangen, die für ihn persönlich nicht mal ansatzweise von Interesse war.

Doch das war ein zweites, notwendiges Übel seiner Tätigkeit. Spendensammlungen fürs Krankenhaus, Wohltätigkeits-Golfturniere und der ganze andere Zirkus, der dazugehörte, wenn man Mitglied einer ach-so-wohlhabenden, ach-so-menschenfreundlichen und ach-so-anspruchsvollen Sippe wie der seinen war.

Nur dass er auf diese Party nicht seiner Familie wegen ging. Nein, dieses Fest besuchte er aufgrund des neuesten, vollkommen idiotischen Projekts, in das er eingestiegen war – der New York Saints.

Er hätte immer noch nicht sagen können, wie sein bester Freund, der Unternehmer Alex Winters, ihn und ihren gemeinsamen Freund Malachi Coulter dazu hatte überreden können, gemeinsam das Baseballteam zu retten, dessen Fans sie alle seit Kindheit gewesen waren.

Er wusste nur, dass jede Menge Bourbon und auch eine gehörige Portion Verrücktheit an jenem Abend mit im Spiel gewesen waren.

Wobei er selbst normalerweise ein durch und durch vernünftiger Zeitgenosse war.

Aber eben auch ein echter Baseballfan. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einer im Grunde vollkommen idiotischen Idee nicht widerstehen können. Eine eigene Baseballmannschaft zu besitzen. Davon hatte er bereits als Kind geträumt, als seine Eltern ihn gezwungen hatten, einen Tanzkurs zu besuchen, Golf zu spielen und den Segelschein zu machen, damit er nach Möglichkeit den Spaß am Baseball – einem ihrer Meinung nach profanen Massensport – verlor.

Doch das war nicht geschehen. Denn seine Baseball-Leidenschaft war wie eine Krankheit, gegen die kein Kraut gewachsen war.

Was dieser neuerliche Flug in einem Hubschrauber bewies. Wie auch die Tatsache, dass er jetzt offiziell Miteigentümer einer Profi-Baseballmannschaft war. Auch wenn es in der ganzen Major League wahrscheinlich keine andere derart jämmerliche Mannschaft gab.

»Wir erreichen unser Ziel in einer knappen halben Stunde, Sir«, erklärte die Pilotin. Die dem Anschein nach durchaus sympathisch war. Selbstbewusst, entspannt und mit einem angenehmen femininen Timbre, das zumindest eine kleine Ablenkung von seinem Unbehagen bot.

Er schaute kurz von seinem Laptop auf und sah auf ihren Hinterkopf. Unter dem Rand der Kappe, die sie trug, lockten sich die Enden ihres mittelbraunen Haars, und ihre Schultern in der schlichten, blauen Bluse wirkten locker und entspannt.

Sonst konnte er nichts erkennen, und auch auf den bisherigen Flügen hatte sie immer schon auf ihrem Platz gesessen, wenn er den Hubschrauber bestieg. Außerdem trug sie außer einer Kappe auch noch einen Funk-Kopfhörerset oder wie auch immer man die Dinger nannte, die man brauchte, damit während des Fluges ein Gespräch zwischen Pilot und Bodenstation möglich war.

Er wusste, dass sie hübsche Augen hatte. Blau. Nicht leuchtend blau wie er, sondern eher wie der Ozean. Mit einer Spur von Grau und Grün. Meerblaue Augen und ein süßes Lächeln, das ihm bisher allerdings nur einmal aufgefallen war.

Dem ordentlichen Namensschild an ihrer Uniform zufolge hieß sie Sara Charles, das Wichtigste für Lucas war jedoch, dass sie anscheinend eine ausgezeichnete Pilotin war. Sie brachte ihn sicher ans Ziel, gefährdete seine mühsam erkämpfte innere Ruhe nicht durch unnötige, übertriebene Flugmanöver und lenkte ihn auch nicht mit irgendwelchen Plaudereien ab.

Deshalb hatte er sie nach dem ersten Flug, als der Pilot, der ihn normalerweise flog, schon ausgebucht gewesen war, sofort noch einmal engagiert. Und dann ein drittes sowie jetzt ein viertes Mal.

Und er war froh, dass sie den Auftrag angenommen hatte. Aber schließlich zahlte er auch einen hübschen Bonus dafür, dass sie auf ihn warten und ihn nach dem Fest wieder nach Hause fliegen würde. Weil das Fliegen irgendwie nicht ganz so schlimm war, wenn die junge Frau hinter dem Steuerknüppel saß. Trotzdem wäre er natürlich dankbar, wenn sie beide wieder sicher in Manhattan ankommen würden.

Am besten möglichst früh. Denn er musste morgen schon in aller Herrgottsfrühe operieren, und vor allem hatte er noch alle Hände voll zu tun, bevor die Saints in gut zwei Wochen Richtung Florida aufbrachen, weil es in New York einfach zu kalt fürs Frühjahrstraining war.

Aus Sicht von Mal und Alex war er als orthopädischer Chirurg geeigneter als sie, um die Dinge dort im Auge zu behalten. Und vor allem hatten seine Freunde bereits daheim in New York genug zu tun. Mal, indem er sich bemühte, Deacon Field – das Stadion der Saints – sicherheitstechnisch aus der Steinzeit auf modernen Standard zu bringen, und Alex, indem er versuchte, die Finanzen des Clubs zu sanieren und möglichst gute Deals mit den verschiedenen Sportsendern an Land zu ziehen. Also würde Lucas sich bemühen, das Team rechtzeitig zum Saisonbeginn auf Vordermann zu bringen und zu prüfen, welche potentiellen neuen Spieler möglichst vielversprechend waren. Denn dies war die erste Spielsaison der Saints, seit sie die neuen Eigentümer waren.

Natürlich wäre dies vor allem die Aufgabe des Trainerstabs sowie der Scouts, aber es würde sicherlich nicht schaden, wenn auch einer von den Bossen sich dort möglichst häufig blicken ließ. Die Wochen bis zum Anfang der Saison würden also der reinste Alptraum für ihn werden, weil es galt, die Zeit so gut wie möglich zwischen seiner Praxis in New York und dem Camp im Süden aufzuteilen. Bereits ohne dass er an die unzähligen Flüge dachte, die für diesen permanenten Wechsel nötig waren.

Darüber wollte er am besten gar nicht nachdenken.

Stattdessen würde er die mitgebrachten Akten weiter durchgehen, damit er für die Operationen morgen früh gewappnet wäre, und dann würden sie bestimmt schon am Ziel sein. Er würde dort auf der verdammten Party seine Pflicht tun und dann so schnell wie möglich wieder nach New York zurückfliegen.

Sara führte ihn über das Rollfeld zu dem winzigen Gebäude, das als Ankunftshalle diente. Dr. Angelo – sie würde diesen Mann ganz sicher nie als Lucas ansprechen – hatte sich beim Aussteigen höflich bei ihr bedankt, war dann stehen geblieben, um die makellose Fliege kurz zurechtzurücken, hatte sich die schwarze Leder-Laptoptasche umgehängt und sie gefragt: »Wohin?«

Auf dieses eine Wort hatte sich ihr Gespräch beschränkt. Die Sonne tauchte die Umgebung in ein goldenes Licht, und obwohl die Wetterleute für die Nacht ein Unwetter gemeldet hatten, war es schon erstaunlich warm für diese Jahreszeit.

Er war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Das weiche Licht spielte mit seinem Haar, als er neben ihr über den Rasen ging. Er bewegte sich tatsächlich wie ein Tiger. Kraftvoll und geschmeidig. Was bei einem Mann von seiner Größe eher ungewöhnlich war. Sie war 1,65 Meter groß, und er überragte sie um einen halben Kopf. Ob er irgendeinen Sport betrieben hatte, ehe er am Ende Arzt geworden war? Bei der Army hatte sie jede Menge Zeit mit Typen zugebracht, die großen Wert auf ihre Fitness legten, doch selbst unter ihnen hatten sich allein die wirklich guten Sportler so wie dieser Mann bewegt. Er schien jeden Zentimeter seines durchtrainierten, wohlgeformten Körpers völlig zu beherrschen. Eines Körpers, den sie nur kurz anzusehen brauchte, damit sie vorübergehend die Beherrschung über ihren eigenen Körper teilweise verlor.

Verflixt.

Zum Glück war es zum Terminal nicht weit. Dr. Angelo hielt ihr die Tür auf – denn natürlich war er die Art Mann, die Frauen stets den Vortritt ließ –, und sie betrat den Raum und sah sich suchend um.

Sie entdeckte Ellen Jacek, die den Flughafen zusammen mit ihrem Ehemann betrieb, zur selben Zeit wie Ellen sie. Doch als der Blick der anderen Frau auf ihren Fluggast fiel, riss die die dunklen Augen auf und nickte anerkennend mit dem Kopf. Wofür ihr Sara durchaus dankbar war. Denn das bedeutete, dass nicht nur sie so dumm war, auf den Anblick dieses Kerls zu reagieren.

Aber genau wie sie war Ellen durch und durch ein Profi und sah erst ihren Passagier und dann sie selbst mit einem freundlichen, aber neutralen Lächeln an.

»Sara, Schatz. Wie geht es dir? Was macht dein Dad?«

Sie erwiderte die kurze, aber herzliche Umarmung und trat wieder einen Schritt zurück. »Mir geht es gut. Und Dad geht’s besser. Mit ein bisschen Glück ist er in ein paar Monaten wahrscheinlich wieder in der Luft.« Dann fiel ihr ein, weshalb sie in den Hamptons war. »Ellen Jacek, Dr. Angelo. Ich glaube, dass draußen ein Wagen für ihn stehen sollte?«

»Oh, ja sicher, Dean hat ihn vorhin gebracht. Er steht draußen vor der Tür.« Ellen blickte Lucas an. »Nettes Gefährt. Die Schlüssel liegen drüben auf dem Tisch.« Sie und Lucas gingen los, und als Sara ihnen folgte, hörte sie die gut gelaunte Plauderstimme ihrer Freundin und die knappen Antworten des Arztes, bis sich Ellen über den Empfangstisch beugte, dort die Schlüssel suchte und sie Lucas übergab.

»Der rote Wagen vor der Tür.«

»Rot?«

»Dean hat gesagt, es täte ihm sehr leid, aber mit dem Wagen, den Sie hätten haben wollen, wäre irgendetwas nicht in Ordnung. Deshalb hat er Ihnen einen anderen Wagen hingestellt.« Ellen grinste Lucas an. »Wenn Sie wollen, leihe ich Ihnen auch gerne meinen Truck und mache währenddessen eine kurze Spritztour mit dem Benz.«

Lucas sagte nichts. Sara konnte sein Gesicht von ihrem Platz aus nicht erkennen, aber sehen, dass Ellen leicht errötete und lächelte, was offensichtlich hieß, dass seine Miene amüsiert und nicht verärgert war.

»Ich bin sicher, dass der Wagen vollkommen in Ordnung ist«, erklärte er dann auch, während er die Schlüssel in die Jackentasche gleiten ließ. Dann wandte er sich wieder Sara zu.

»Ich werde mich bei Ihnen melden, wenn ich weiß, wann ich zurück sein werde. Ich nehme an, es wird etwa zehn, halb elf.«

»Okay. Ich werde hier sein.«

Lucas nickte, dann fing sein Handy an zu klingeln, und er fischte es aus der Jackentasche und warf einen Blick aufs Display, bevor er das Gespräch entgegennahm.

Verstohlen schwelgte Sara in dem eleganten Anblick, der sich ihren Augen bot. Wobei es allen Grund für sie zum Schwelgen gab, auch wenn es leider stets bei ihrer heimlichen Bewunderung seines phänomenalen Aussehens bleiben würde. Sie zwang sich daher, zu überlegen, wie sie selbst die Zeit totschlagen sollte, bis er nachher wiederkam.

Vielleicht könnte sie mit Ellens Truck ein Stündchen an den Strand fahren, dort im Sand spazieren und so tun, als wäre sie in einem der diversen Prachtbauten zu Hause, die vom Ufer aus zu sehen waren.

Außerdem hatte sie einen Berg Papiere eingesteckt, um den sie sich noch kümmern müsste. Schreiben der Versicherung von ihrem Dad, deren Fachchinesisch sie entschlüsseln musste, um zu wissen, wie damit am besten umzugehen war. Für diese mühevolle Arbeit würde sie sich anschließend selbst belohnen und es sich mit einer Mahlzeit vom Chinesen und mit ihrem E-Book-Reader in der winzigen Pilotenlounge gemütlich machen, bis der gute Doktor fertig war mit was auch immer man auf einem Fest der Reichen und der Schönen tat.

Im Grunde würde sie kaum etwas anderes tun als an einem Freitagabend in Manhattan. Was echt traurig war. Doch sie hatte wirklich keine Ahnung, wann sie überhaupt zum letzten Mal mit Freunden ausgegangen war. Sie hatte seit dem Unfall ihres Dads so viel zu tun, dass sie einfach froh war, wenn sie sich in ihrer viel zu knapp bemessenen Freizeit aufs Sofa legen oder früh zu Bett gehen konnte. Weil das richtig und vernünftig war.

Denn wenn Piloten müde waren, unterliefen ihnen Fehler. Aber wenn sie einen Fehler machte, wäre das das Ende von Charles Air.

Bei der Army war sie des Öfteren total erschöpft, wenn auch vor Aufregung zugleich hellwach geflogen, doch das musste und würde sie jetzt nicht mehr tun. Selbst wenn sie sich um tausend Dinge kümmern musste, achtete sie streng darauf, dass sie genügend Schlaf bekam. Denn der war augenblicklich einfach wichtiger als Bars und Restaurants und Dates mit irgendwelchen netten Männern. Obwohl ihre Therapeutin in der letzten Sitzung spitz bemerkt hatte, es wäre sicher nicht verkehrt, wenn sie zumindest hin und wieder irgendwelche Freundinnen und Freunde treffen würde. Und auch ihre beste Freundin Viv lag ihr damit inzwischen regelmäßig in den Ohren.

Endlich hatte Lucas sein Gespräch beendet, und sie lenkte die Gedanken auf die Gegenwart und ihren Passagier zurück.

Einen Passagier, der sehr gut zahlte. Weshalb ihre Aufgabe darin bestand, sein Leben einfacher zu machen, statt sich in der Sorge um ihr eigenes Leben zu ergehen. Hatte sie vielleicht vergessen, ihn noch über irgendetwas in Zusammenhang mit ihrem Rückflug nach New York zu informieren? Ihr fiel nichts ein. Was hieß, dass sie jetzt aufhören musste, ihn in seinem Smoking zu bewundern, weil er sicherlich in Eile war.

Trotzdem unterzog sie ihn noch einer letzten, schnellen Musterung, wobei ihr Blick auf seine Laptoptasche fiel, die über seiner beeindruckend breiten Schulter hing. »Sie können Ihre Tasche gern auch hierlassen«, bot sie ihm an. »Dann brauchen Sie sich nicht die ganze Zeit damit abzuschleppen.«

»Wir haben ein paar Schließfächer«, stimmte ihr Ellen zu. »Die Tasche wäre hier also gut aufgehoben.«

»Das wäre mir eine große Hilfe, vielen Dank.«

Er reichte ihr die Tasche, und beim Entgegennehmen rief die Berührung seiner Fingerspitzen ein elektrisierendes Gefühl der Wärme in ihr wach. Doch näher würde sie diesem Mann sicher nie kommen, deshalb kämpfte sie entschlossen gegen diese Wärme an.

Und während sie ihm hinterhersah, als er durch die Glastüren des Flughafengebäudes trat, ein leuchtend rotes Benz Coupé bestieg und kurz darauf vom Parkplatz Richtung Straße schoss, kämpfte sie nicht weniger entschlossen gegen den absurden Wunsch, neben ihm zu sitzen und mit ihm zusammen durch den goldenen Nachmittag zu brausen, wie man es gelegentlich in irgendwelchen Soaps oder Liebesschnulzen sah.

2

Lucas fiel der einsetzende Regen gar nicht auf.

Die Musik und die Gespräche auf der Party übertönten alle anderen Geräusche, und vor allem war er ganz auf seine Arbeit konzentriert. Er war auf der Jagd nach potentiellen Jahreskarten-Interessenten und Sponsoren und bemühte sich, die Leute dafür zu begeistern, Geld in den Verein zu investieren, den er, Lucas und Mal vor kurzem erworben hatten.

Weil die Saints fast pleite waren. Er und seine beiden Freunde hatten jeweils ordentliche Summen in das Team gesteckt, doch obwohl er selbst durchaus vermögend und sein Kumpel Alex sogar reich wie Krösus war, konnten sie nicht immer weiter ihre eigene Kohle in die Mannschaft pumpen. Sonst müssten sie unter Umständen am Ende wieder verkaufen, denn die Unterhaltung eines Teams der Major League war alles andere als günstig, wenn sich der Verein nicht mittelfristig selber trug.

Vor allem, da sie dringend ein paar gute, neue Leute brauchten, um den zweiten und den dritten Pitcher und die anderen bewährten Spieler zu ersetzen, die nach dem Verkauf der Saints zu anderen Mannschaften gegangen waren.

Auch wenn sie finanziell wahrscheinlich niemals mit den besten Mannschaften der Liga konkurrieren könnten, würde er sich alle Mühe geben, möglichst viele neue Unterstützer zu gewinnen, denn schon die kleinste Spende war hilfreich. Also schüttelte er unzählige Hände, führte Smalltalk und stieß lächelnd mit den schmuckbehangenen Frauen in den teuren Kleidern an, bis das Licht anfing zu flackern und die angeregten Gespräche unterbrach. Doch bereits nach wenigen Sekunden brannten alle Lampen wieder, und die Leute prosteten sich lachend zu, als wäre nichts geschehen. Was vollkommen vernünftig war, denn schließlich würden sie das ganze Wochenende in den Hamptons zubringen und mussten nicht am nächsten Morgen wieder in der City sein.

Es brauchte diese Leute nicht zu interessieren, wie das Wetter heute Abend war.

Für ihn selbst hingegen war es durchaus wichtig, denn er musste noch am selben Abend in die Stadt zurück.

Er entschuldigte sich bei dem Paar, das seine Mutter kannte und von den diversen wohltätigen Organisationen schwärmte, für die Flavia sich unermüdlich engagierte, zog sich in den Flur zurück und rief die Wetter-App auf seinem Handy auf.

Der Empfang war ziemlich schlecht, und wieder flackerte das Licht, während er die alles andere als verheißungsvollen Wind- und Regendaten auf dem Bildschirm sah.

Verdammt.

Er hatte mindestens noch eine Stunde auf der Party bleiben wollen, doch vor allem musste er noch heute Abend wieder nach Manhattan kommen, um am nächsten Morgen rechtzeitig im Krankenhaus zu sein. Wenn er das nicht schaffte, müsste er ein paar der Eingriffe verschieben, was vor allem für die Profisportler unter seinen Patienten unter Umständen verheerend war. In diesen Fällen kam es oft auf jede Stunde an. Je schneller man die Leute operierte, desto größer war die Chance, dass sie im Anschluss früh genug wieder fit wurden, um auch weiter im Geschäft zu bleiben.

Bekam er die Leute mit Verspätung auf den Tisch, bedeutete das im schlimmsten Fall das Ende ihrer Karriere.

Also musste er unbedingt noch an diesem Abend wieder nach New York zurück.

Er musste schnellstmöglich zurück zum Flugplatz, und sie mussten auf der Stelle starten, dann schafften sie es trotz des schlechten Wetters hoffentlich noch rechtzeitig zurück. Auch wenn der Gedanke, während eines Unwetters in einem Hubschrauber zu sitzen, alles andere als verlockend war.

Aber er hatte keine andere Wahl. Und sicher würde alles gutgehen.

Er kehrte noch mal kurz in den Salon zurück, bedankte sich beim Gastgeber und brach so schnell wie möglich auf.

***

»Ausgeschlossen.«

Sara hatte in dem winzig kleinen Terminal auf ihn gewartet und ihm sogar einen Regenschirm vors Haus gebracht, als er in seinem roten Flitzer vorgefahren war. Mit dem feuchten, windzerzausten Haar, das noch gelockter war als sonst, und Augen in den Farben der Gewitterwolken sah sie wirklich niedlich aus. Sie hatte sich gegen den Wind gestemmt, und er hatte ihren Anblick in sich aufgesogen – bis er hatte wissen wollen, wann sie starten könnten. Doch da hatte sie ihm entschuldigend, aber nachdrücklich eröffnet, dass an einen Flug bei diesem Wetter nicht zu denken war. Denn offensichtlich steckte in der niedlichen Verpackung eine starrsinnige, kompromisslose Person.

»Wie bitte?« Er blinzelte verwirrt.

»Sorry, Dr. Angelo.« Sie schüttelte ein wenig traurig, aber bestimmt den Kopf. »Natürlich bekommen Sie das Geld für diesen Flug von uns zurückerstattet, doch bei diesem Wetter kann ich Sie unmöglich fliegen.«

»So schlimm ist es doch noch gar nicht«, meinte er mit hoffnungsvoller Stimme, ehe wie zur Antwort lautes Donnergrollen ertönte und der grelle Blitz, der kurz darauf am Himmel zuckte, den gesamten Terminal in gleißend hellem Licht erstrahlen ließ.

»Es ist nicht wirklich witzig, wenn ein Blitz in einen Hubschrauber einschlägt.«

Er versuchte, sich nicht vorzustellen, was für ein Gefühl das war. »Wenn wir sofort starten, sind wir doch bestimmt schon weg, bevor es wirklich heftig wird.«

Es donnerte erneut, und Sara zuckte leicht zusammen, ehe sie mit ihrem Kopf in Richtung Fenster zeigte. Hinter dem es schon in Strömen goss. »Das Unwetter ist längst schon da. Also nein.«

»Aber ich muss morgen schon in aller Frühe in der City sein.«

»Tut mir leid, aber solange es nicht besser wird, kann ich Sie nicht fliegen.«

Lucas runzelte die Stirn. Er musste morgen operieren und auf alle Fälle noch an diesem Abend wieder heim. »Und wann ist das Gewitter Ihrer Meinung nach vorbei?«

»Ein solcher Sturm ebbt sicher frühestens zum Tagesanbruch wieder ab. Eher zum späten Vormittag.«

Also wäre er im besten Fall so gegen neun im Krankenhaus. Der erste Eingriff aber war bereits für sieben anberaumt, und durch diese Verspätung würde in der Klinik garantiert ein Chaos ausbrechen. Und falls der verdammte Sturm noch länger tobte, würde es sogar immer schlimmer werden.

Verdammt. Obwohl der nächste grelle Blitz ihm deutlich machte, dass ein Flug bei diesem Wetter sicher wirklich keine Lösung wäre. Also musste er einen anderen Weg finden, um pünktlich wieder in New York zu sein.

Vielleicht sollte er einfach den Wagen nehmen, der noch immer vor dem Flughafengebäude stand.

Die Fahrt bis nach Manhattan würde bei diesem Wetter sicher Stunden dauern. Lucas fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und wünschte sich, er hätte auf der Party jede Menge Kaffee in sich reingekippt.

Denn schließlich musste er während der nächsten Stunden möglichst munter sein.

Er wandte sich an Sara, die verärgert Richtung Himmel sah.

»Ich werde einfach mit dem Wagen fahren, denn ich muss auf jeden Fall noch heute Nacht zurück.«

Sie zog die Brauen hoch.

»Laut meiner Wetter-App stürmt es in dieser Richtung nicht so schlimm wie hier. Wie wäre es mit einem Deal? Sie leisten mir Gesellschaft, damit mir nicht die Augen zufallen, bevor wir in Manhattan sind. Den Flugpreis zahle ich Ihnen natürlich trotzdem.«

Sie starrte ihn entgeistert an. »Aber mein Hubschrauber steht hier.«

»Ich lasse Sie auf meine Kosten morgen wieder runterfahren, und dann fliegen Sie den Hubschrauber zurück. Heute Abend können Sie damit doch sowieso nirgends mehr hin. Also, was sagen Sie?«

Es donnerte erneut, und wieder zuckte Sara leicht zusammen. Dann aber nickte sie knapp und meinte: »Also gut. So machen wir’s.«

Bestimmt war es ein Riesenfehler, dachte Sara, während sie in den Mercedes stieg und sich in das butterweiche Leder sinken ließ. Ihr war ein wenig unbehaglich, weil es in dem kleinen Flitzer nicht mal eine Handbreit Abstand zwischen ihnen gab. In einem Geländewagen hätte sie sich deutlich sicherer gefühlt.

Denn dann wäre sie nicht stundenlang auf derart engem Raum mit dem großen, breitschultrigen Lucas eingezwängt. Von dem sie sich nur deshalb zu der stundenlangen Fahrt durch Sturm und Regen hatte überreden lassen, weil sie nie zuvor einem derartigen Prachtburschen begegnet war.

Wobei natürlich auch das Geld nicht zu verachten war. Sie brauchte augenblicklich jeden Dollar, und da Dr. Prachtbursche nach diesem desaströsen Abend sicher einen anderen Piloten suchen würde, der bereit wäre, ihn auch durch einen Hurrikan zu fliegen, hatte sie aufgrund des dämlichen Gewitters sicher ihren ersten potentiellen Stammkunden seit der Übernahme von Charles Air verloren.

Und die Werbung neuer Kunden gestaltete sich nicht gerade einfach, seit die Google-Suche nach Charles Air als Erstes den Helikopter-Absturz ihres Vaters ergab.

Obwohl die Untersuchung eindeutig ergeben hatte, dass ihr Vater völlig unschuldig daran gewesen war. Er hatte zu dem Zeitpunkt nicht mal Fluggäste an Bord gehabt.

Trotzdem machte dieser Unfall einfach keinen guten Eindruck, und sie hatte sich jeden Flug, den sie seither bekommen hatte, hart erkämpft. Sie brauchte Fluggäste wie Lucas. Reiche Stammkunden, die regelmäßig schnell von einem Ort zum anderen mussten.

Und die nach Möglichkeit eher hässlich waren.

Denn dann würde sie ihr eigentliches Ziel nicht so leicht aus dem Blick verlieren.

Sie atmete tief durch. Was ebenfalls ein Fehler war. Weil es im Wagen nach dem Aftershave des Mannes roch. Und weil sich Dr. Angelo mit diesem würzigen, leicht rauchigen Rasierwasser nur eingesprüht zu haben schien, um sie vollends in seinen Bann zu ziehen.

Der Duft weckte in ihr das Verlangen, sich so eng wie möglich an ihn zu schmiegen und das herrliche Aroma möglichst tief in ihre Lungen einzusaugen. Was vollkommen ausgeschlossen war.

Aber schließlich war sie ihm auch so schon wirklich nahe, weil es zwischen ihren beiden Sitzen höchstens zwanzig Zentimeter Abstand gab.

Der Mercedes war zwar klein, aber PS-stark, doch als Lucas ihn zurück zur Straße lenkte, machte ihr sein Fahrstil deutlich, dass er nicht zum ersten Mal hinter dem Lenkrad eines solchen Flitzers saß. Er steuerte ihn souverän und lässig wie ein Hubschrauberpilot seinen Vogel, den er bereits tausend Mal geflogen war.

Vielleicht hatte er ja selbst so einen Wagen?

Sara hatte keine Ahnung, denn er hatte seine Flüge stets über das Internet bei ihr gebucht und sie dann jedes Mal zu einem Heliport bestellt. War also bisher noch nie im Auto auf dem kleinen Flugplatz aufgetaucht, auf dem ihr Helikopter stand.

Trotzdem würde sie jede Wette eingehen, dass Lucas ein Gefährt wie diesen schnittigen Mercedes fuhr. Irgendetwas Teures, möglichst Schnelles, weil er wohl permanent in Eile war.

Und offensichtlich hasste er es, irgendwo zu spät zu kommen, denn sonst wäre er doch sicher nicht so fest entschlossen, trotz des grauenhaften Wetters heute Nacht noch nach New York zurückzufahren, statt darauf zu warten, dass sie ihn am nächsten Morgen flog.

Da der Regen immer stärker wurde, stellte er die Scheibenwischer auf die höchste Stufe, konnte aber trotzdem nur verschwommen sehen.

»Sind Sie sicher, dass Sie bei dem Wetter eine solche Strecke fahren wollen?«, fragte ihn Sara. »Wir können vollkommen problemlos auf dem Flugplatz übernachten. Ellen hat für Notfälle immer zwei Feldbetten im Terminal.«

Was redete sie da? Falls Lucas in den Hamptons übernachten wollte, bräuchte er bestimmt nur irgendwelche Leute anzurufen, die hier superteure Häuser hatten, und sich freuen würden, ihm dort einen Schlafplatz anzubieten.

Und falls er dort irgendwelche Frauen kannte, würden sie ihn sicher sogar gern in ihre eigenen Betten einladen.

»Ich meine, Sie könnten sich aufs Ohr hauen, und wir könnten morgen zeitig starten. Vielleicht zieht der Sturm ja schneller weiter als gedacht.« Was sie nicht wirklich glaubte, doch wie ihre Therapeutin immer sagte, konnte es nicht schaden, wenn man optimistisch war.

Lucas sah sie von der Seite an. »Keine Bange, es wird alles gut.« Und mit einem Grinsen, dessen Strahlkraft größer war als die der Blitze über ihren Köpfen, fügte er hinzu: »Sie sollten mir vertrauen. Schließlich bin ich Arzt.«

Sie stieß ein überraschtes Lachen aus. Ein Witz? Von Dr. Prachtbursche, der sonst den Mund nicht aufbekam? Gut, er hatte an dem Abend bereits mehr mit ihr gesprochen als in der gesamten Zeit, seit Sara ihm zum ersten Mal begegnet war. Aber dass er plötzlich auch noch Witze machte …

»Was?«

»Ich bitte Sie, das ist ein Klassiker. Und offensichtlich hat er funktioniert.«

»Inwieweit funktioniert?«

»Sie haben gelacht«, erklärte er und sah sie abermals mit einem breiten Lächeln an.

Er hatte sie zum Lachen bringen wollen? Warum in aller Welt? Versuchte er etwa mit ihr zu flirten?

Nein, ganz sicher nicht. Mit ihrem Strubbelhaar und dem Geruch von Motoröl, der permanent in ihren Kleidern hing, passte sie bestimmt nicht in das Beuteschema eines Mannes, der Designer-Smokings trug, auf Partys in den Hamptons ging und Helikopter-Flüge buchte, weil er permanent in Eile war.

Verdammt. Sie unterdrückte diesen deprimierenden Gedanken und versuchte, sich auch weiter auf die Wirklichkeit zu konzentrieren.

»Schließlich sollen Sie mich wach halten«, erklärte Lucas ihr. »Und das bekommen Sie bestimmt nicht hin, indem Sie durch die Windschutzscheibe in den Regen starren.«

»Sie müssen sich aufs Fahren konzentrieren. Und wenn wir miteinander reden, lenkt Sie das doch sicher ab.« Sie klang ein wenig angespannt, denn abermals zuckte ein greller Blitz über den Himmel, und der Regen prasselte so laut aufs Dach, dass sie ihre eigenen Worte kaum verstand.

»Wenn Sie mir was erzählen, lenkt mich das bestimmt nicht ab.«

Nur gut, dass er im Gegensatz zu ihr noch zuversichtlich klang. Sie selber war bei derartigen Unwettern einfach nicht gerne draußen unterwegs.

Um sich von ihrem Unbehagen abzulenken, dachte sie daran, dass es nicht nur von Nachteil wäre, wenn sie noch heute Abend wieder in die Stadt käme. Dort könnte sie in ihrem eigenen Bett statt auf einer harten Pritsche schlafen. Würde früh genug zu Hause ankommen, um Dougal noch von ihrer Nachbarin zu holen, dem bei einem Unwetter immer genauso mulmig war wie ihr selbst. Weshalb er bereits beim ersten Donnergrollen versuchte, seine fünfundvierzig Kilo in den Schoß der Frau zu hieven, die nur ein paar Kilo mehr wog als er selbst.

Als ein noch grellerer Blitz am Himmel zuckte, fuhr sie ebenfalls zusammen. Lucas hatte ihr erklärt, durch ein Gespräch würde er nicht vom Fahren abgelenkt. Aber vielleicht würde eine Unterhaltung ja sie selbst von ihrer Angst vor dem Gewitter ablenken. Eine Unterhaltung mit dem attraktiven, eigentlich vollkommen fremden Doktor, der an ihrer Seite saß.

Verzweifelt dachte sie über ein Thema nach. Denn Smalltalk war ganz einfach nicht ihr Ding.

»Also, Dr. Angelo. Was sind Sie für ein Arzt?«

»Nennen Sie mich bitte Lucas. Ich bin orthopädischer Chirurg.«

Ein Chirurg. Was sonst? Und dann auch noch ein Orthopäde. Ihre Kenntnisse der Medizin beschränkten sich auf das, was sie im Fernsehen sah, und das, was man beim Erste-Hilfe-Kurs bei der Army gezeigt bekam. Doch sie wusste, was ein Orthopäde war. Denn wegen des kaputten Beins von ihrem Dad hatte sie während der letzten Wochen jede Menge Zeit mit Orthopäden zugebracht. »Sie kümmern sich um Knochen, stimmt’s?«

»Und um Muskeln«, führte Lucas aus. »Wobei ich vor allem Sportmediziner bin.«

Sport. Auch damit kannte Sara sich nicht wirklich aus. Ihr Vater war ein Football-Fan, und auch ihr Bruder hatte sich für diese Sportart interessiert. Sie selbst hingegen hatte niemals wirklich Zeit für irgendwelche Mannschaftssportarten gehabt. Weil sie schon als Teenie vollkommen besessen von der Fliegerei gewesen war. »Das klingt ziemlich … glamourös.«

Lucas lachte. »Unter dem Skalpell sind alle Menschen gleich. Aber ja, ich hatte bereits eine Reihe durchaus interessanter Leute auf dem Tisch.«

»Müssen Sie deswegen heute Abend noch zurück? Wartet ein Patient auf Sie?« Dann könnte sie zumindest halb verstehen, weswegen er das Wagnis einer stundenlangen Fahrt bei diesem Wetter eingegangen war.

»Ich muss morgen eine Schulter operieren.«

»Das klingt nicht unbedingt nach einem Notfall.«

»Der junge Mann ist Eiskunstläufer. Paarläufer. Wofür er seine Schulter dringend braucht«, klärte er sie etwas ungehalten auf.

»Verstehe«, sagte sie. Auch wenn sie es im Grunde keineswegs verstand. Denn machten ein paar Stunden wirklich einen Unterschied? Einen derart großen, dass er es riskieren musste, während eines Unwetters zurückzufahren?

Lucas antwortete ihr nicht. Verflixt. Jetzt hatte sie ihn offenbar verärgert. Seine Arbeit nicht genügend respektiert.

Na super. Nie im Leben würde er noch mal einen Flug bei ihrem Unternehmen buchen. Schließlich schaffte sie es nicht mal, sich mit ihm zu unterhalten, ohne dass ihr schon beim ersten Thema ein anscheinend schlimmer Fehler unterlief.

Um es wiedergutzumachen, hätte sie ihn vielleicht nach Details des Eingriffs fragen sollen. Doch es graute ihr vor Blut und Eingeweiden, und genau um diese Dinge ging es schließlich im Operationssaal.

»Bei Ihnen ist er sicherlich in guten Händen«, stieß sie aus.

»Auf jeden Fall.«

O-kay … An Selbstbewusstsein mangelte es ihm anscheinend nicht. Aber schließlich brauchte man auch jede Menge Selbstvertrauen, um ein Messer in die Hand zu nehmen, einen Menschen damit aufzuschlitzen und zu glauben, dass es ihm am Schluss des Eingriffs besser gehen würde als zuvor.

Sie selber hatte dieses Selbstvertrauen als Pilotin. Weil sie wusste, dass sie eine tonnenschwere Blechkiste erst in die Luft und schließlich wieder auf die Erde bringen konnte, ohne dass der Mensch, der mit ihr flog, dadurch zu Schaden kam. Wahrscheinlich hatte jeder irgendwas, worauf er sich besonders gut verstand.

Nur war es leider so, dass ihre Fähigkeiten im Moment nicht von Bedeutung waren. Denn Unwetter, absurd verführerische Männer und vor allem Smalltalk waren nichts, worauf sie sich verstand.

Unruhig rutschte sie auf ihrem Ledersitz herum.

»Ist Ihnen kalt?« Lucas streckte seine Hand nach dem ins Armaturenbrett eingelassenen kleinen Bildschirm aus. Der deutlich komplizierter und vor allem moderner war als die Instrumente ihres A-Star.

Doch anscheinend kannte er sich mit den Instrumenten des Mercedes aus und drückte auf den Touchscreen, ohne wirklich hinzusehen.

»Nein«, erklärte sie. Die Sitze waren beheizt, und auch die Luft im Inneren des Benz war warm, obwohl die Kälte, die die Fenster ausstrahlten, ihr zeigten, dass es draußen eisig sein musste. Weshalb es deutlich besser war, dass sie im Wagen saß, auch wenn sie wegen seiner Gesellschaft langsam, aber sicher vollends aus dem Gleichgewicht geriet.

»In Ordnung. Aber sagen Sie bitte Bescheid, falls Sie frieren.« Er zeigte mit dem Kopf in Richtung des Displays. »Weil es draußen immer kälter wird.«

»Das Wetter spielt total verrückt. Schließlich sind Gewitter etwas, das es normalerweise nur im Sommer gibt.«

»Der Wissenschaft zufolge ist verrücktes Wetter heutzutage vollkommen normal«, erklärte ihr Lucas in ernstem Ton.

»So was sollten Sie einer Pilotin nicht erzählen«, antwortete sie nur halb im Scherz. »Ich habe es am liebsten, wenn der Himmel blau ist und nur eine milde Brise weht.«

»Dann sollten Sie vielleicht auf irgendeine warme Insel ziehen.«

»Ein verlockender Gedanke.« Sie versuchte, sich nicht vorzustellen, wie er nur in Badehose neben ihr an einem Strand auf irgendeiner Tropeninsel lag. »Aber ich bin ein New Yorker Mädel und wohne am liebsten mitten in der Stadt. Weiter raus als Staten Island habe ich es bisher nie geschafft.«

»Ich auch nicht«, stimmte er ihr zu. »Obwohl es Zeiten gibt, in denen der Gedanke, kurzerhand auf eine Insel in den Tropen umzuziehen, durchaus verlockend ist.«

Noch während Sara überlegte, was er damit sagen wollte, schaltete er einen Gang herunter, lenkte das Gefährt um eine Kurve, und während der nächste Blitz am Himmel zuckte, konnte sie die Welt hinter der Windschutzscheibe sehen. Die Bäume links und rechts der Straße wurden von den Sturmböen hin und her gepeitscht, und erschaudernd schmiegte sie sich in den warmen Sitz.

Da sich Lucas erst einmal auf die gewundene Straße konzentrieren musste, sprachen sie nicht weiter, aber als sie auf die nächste gerade Strecke kamen und der Regen etwas abnahm, blickte er sie wieder von der Seite an.

»Wie sind Sie darauf gekommen, dass Sie Hubschrauberpilotin werden wollen?«

»Mein Vater ist Pilot und hat mich schon mit in die Luft genommen, als ich noch ein kleines Mädchen war«, erklärte sie ihm achselzuckend. »Am liebsten hätte ich schon damals selber den Pilotenschein gemacht.«

Es kam ihr vor, als würde plötzlich er erschaudern. Aber übertrieben selbstbewusste Prachtburschen wie er erschauderten wahrscheinlich nie.

»Fliegen Sie auch Flugzeuge?«

Sie schüttelte den Kopf. »Hubschrauber sind einfach witziger. In Flugzeugen ist man zu eingeengt. Und dem Himmel einfach nicht so nah.«

Wieder blitzte es, das Trommeln auf dem Wagendach nahm wieder zu, und plötzlich schien ihnen der Himmel wirklich nah.

»Wahrscheinlich«, meinte er, wobei er alles andere als begeistert klang. »Und sind Sie selbst die Charles in Ihrem Firmennamen oder ist das noch Ihr Dad?«

»Mein Dad«, erklärte sie und unterdrückte das Verlangen, ihm Einzelheiten zu erzählen. Zum Beispiel, dass eigentlich ihr Vater und ihr Bruder ihre beiden Helikopter hätten fliegen sollen. In der dunklen kleinen Wärmeblase, die sie beide im Augenblick umgab, wäre es ihr leichtgefallen, ihm von ihren zahlreichen Problemen zu erzählen. Von der Anstrengung, alleine ein Geschäft zu führen, für das eigentlich drei Leute nötig waren. Oder davon, dass ihr Dad nicht gut damit zurechtkam, dass er schon seit Monaten aus dem Verkehr gezogen war. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, war sich Sara sicher, dass ihm leidtat, dass jetzt sie das Unternehmen führen musste und nicht James. Schließlich erbten für gewöhnlich stets die Söhne die Familienunternehmen, oder etwa nicht?

Doch James war seit sechs Jahren tot, und weder Sara noch ihr Dad konnten irgendwas dagegen tun.

So verlockend der Gedanke war, Lucas all diese Dinge zu erzählen, würde es ihr sicher auch nicht weiterhelfen, wenn sie sich an der Schulter eines praktisch Fremden ausweinen würde. Sie biss sich auf die Lippen und verdrängte all die negativen Dinge, die ihr auf der Zunge lagen. Denn wenn sie noch eine Chance haben wollte, ihn als Kunden zu behalten, wäre es sicher am besten, weiter die geborene Pilotin rauszukehren, statt ihm zu offenbaren, dass sie fix und fertig war. »Das heißt, im Grunde hat mein Opa ihn auf die Idee gebracht. Der ist in Korea einen Sioux geflogen.«

»Dann haben Sie die Fliegerei also im Blut.«

»Wahrscheinlich.«

»Haben Sie immer schon für Ihren Dad gearbeitet?«

Sie schüttelte den Kopf. »Bis vor ein paar Monaten war ich bei der Army. Ich – Vorsicht!«

Fluchend trat er auf die Bremse. Der Mercedes rutschte, doch Lucas lenkte eilig gegen, und knapp dreißig Zentimeter vor dem dicken Baumstamm, der die beiden Fahrbahnen versperrte, kamen sie zum Stehen. Sara wurde dabei von ihrem Gurt gewaltsam gegen den Sitz gepresst.

»Mist«, keuchte Lucas, doch Sara brachte erst mal keinen Ton heraus. Zunächst musste sie sich vergewissern, dass sie wirklich unversehrt geblieben war.

Er wandte sich ihr zu. »Sind Sie okay?«

Obwohl das Blut in ihren Ohren rauschte, war sie unverletzt. Sie waren nicht in den Baum gerast. Deshalb war alles gut.

»J-ja.«

»Sind Sie sicher?« Eilig löste Lucas seinen eigenen Gurt, doch als er sich zu ihr herüberbeugte, hob sie abwehrend die Hand.

»Es geht mir gut. Aber Sie sollten schnellstmöglich den Wagen an die Seite fahren, ehe jemand anderes von hinten kommt.«

»Scheiße. Ja, Sie haben recht.« Entschlossen schnallte er sich wieder an und wendete den Benz. »Wir müssen eine Stelle finden, wo wir sicher sind. Der Standstreifen ist zu gefährlich, weil ich bei dem Regen nicht erkennen kann, ob dort möglicherweise abgebrochene Äste liegen oder so.«

Das konnte Sara ebenfalls nicht sehen. Weil die gesamte Welt nur noch aus Wasser zu bestehen schien. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir eben an einem Motel vorbeigekommen sind.«

»Einem Motel?«

Sie wies auf den umgestürzten Baum. »An diesem Ding kommen wir unmöglich vorbei. Und auch wenn das Navi dieses tollen Wagens uns bestimmt über irgendwelche Nebenstrecken führen könnte, sind dort sicher ebenfalls inzwischen ein paar Bäume umgestürzt. Genau wie auf dem Weg zurück zu Ellen.«

»Ich …«

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