Anleitung zum Lehrersein - Gandolf Dresdner - E-Book

Anleitung zum Lehrersein E-Book

Gandolf Dresdner

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Beschreibung

Gandolf Dresdner faßt seine aus der Lehrpraxis in der Schule über Jahrzehnte gewonnenen Erfahrungen für die nächste Generation in einem Leitfaden zusammen. Es wird kein Blatt vor den Mund genommen. Geschichten und Erklärungen zeichnen ein differenziertes Bild vom Leben in der Schule. Für den Aktiven wird ein Erfolgsrezept erstellt, pointiert zusammengefaßt in einundzwanzig Lehrsätzen. Der Interessierte darf große Augen machen.

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Seitenzahl: 218

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

VORBEMERKUNG

EINLEITUNG

1. DIE LEHRER

1. Die Zwangsjacke

2. Außerunterrichtliches Engagement

3. Das Kriecherlabyrinth

4. Auf in den Kampf: Die Flucht

5. Freund und Feind

6. Der Gewinner

7. Die Fachschaften

8. Die Krönung aller Fachschaften

9. Der Aufstieg

10. Gestaltung der Klassenräume

11. Der Kindergarten

12. Der allgegenwärtige Irrsinn

12.1 In einer Wahlveranstaltung

12.2 Als Lobeshymne

12.3 Im Latrinengespräch

12.4 In der Sprache

12.5 In der Scheinwissenschaft

12.6 Im Gegeneinander

12.7 Wenn DaZler Latein lernen sollen

12.8 Beim Zuspätkommen

12.9 Autos épha (Er hat gesagt)

12.10 Als Konferenzverhalten

12.11 In den Lehrplänen

12.12 In den Verordnungen

12.13 In den Gefühlsduseleien

12.14 Als verpflichtende Abkürzung

12.15 In der Digitalisierung

12.16 Die „Cloud“ nicht vergessen

12.17 Der freche Betrug und die Reinwaschung

12.18 Kreativität

13. Engagement

14. Fortbildungen

15. Krankmeldung

16. Die Kunst der Notengebung

17. Der Schlüssel

2. DIE SCHÜLER

18. Die Richterskala

19. Die Klüngelei

20. Gerechtigkeit

3. DIE ELTERN

21. Der Altruist

4. ANEKDOTEN ZUR WEITERBILDUNG

FINALE

SCHLUSSBEMERKUNG

EDITORISCHE NOTIZ

DANKSAGUNG

ANHANG

VORBEMERKUNG

Galileo: Und sie dreht sich doch.

Sämtliche in diesem Buch erwähnten Personen, Teile, Institutionen und alles weitere Lebendige gibt es nicht und hat es nie gegeben.

Die Kapitel schließen mit griffigen Lehrsätzen ab,

die als Zitate frei verwendet werden dürfen.

Selbstverständlich sind die Lehrsätze auch auf

Prüfungstauglichkeit hin angelegt.

EINLEITUNG

Vor über zwanzig Jahren gelang es dem Autor Markus Orths, die in Kennerkreisen berühmt gewordenen Säulen der Schule herauszuarbeiten. Er brachte es auf die Begriffe Angst, Jammer, Schein und Lüge1.

Seine Treffsicherheit in der Beschreibung des Schulalltags gewann er dabei sicherlich aus der eigenen Erfahrung. Markus Orths hatte Einblick in den Schulalltag. Er mußte sich von niemandem etwas vormachen lassen, sondern konnte sich ganz auf sich und seine Beobachtungen verlassen. Das war stark. Das ist bis heute stark.

Die Beobachtungen von Markus Orths werden in dieser Abhandlung außerliterarisch vertieft, und alles, was bei ihm noch in das Reich der Fabel verwiesen werden konnte, wird hier brutale Realität. Nach über dreißig Jahren eigener Erfahrung an diversen Schulen ist an den vier genannten Säulen nicht zu rütteln. Sie sind unumstößlich. Allerdings erstarre ich nicht vor lauter Ehrfurcht im Schein dieses imposanten Monuments. Anstelle dessen begebe ich mich mutig hinter die Kulissen in das weitläufige Schattenreich und unternehme den Versuch, hier und da Licht ins Dunkel zu bringen.

Was passiert da? Wer regiert da? Welcher Teufel sitzt im Detail?

Und damit konkret zu dir! Du willst wissen, was Schule ist? Wie Schule funktioniert? Dann bist du hier richtig! Allerdings sollst du nicht nur erfahren, was du kennst und wahrscheinlich ohnehin schon weißt: Wie toll nämlich alles in der Schule ist und wie wichtig guter Unterricht ist. Hier wird das Figurenspiel in der Schule zum Thema.

Neugierig?

Du bist vielleicht sogar berufsbedingt interessiert? Wirst bald Lehrer sein? Bist schon einer? Etwa enttäuscht, verstehst die Welt nicht mehr, glaubst irre zu werden, weil es in dir rebelliert, um dich herum indessen alles friedlich scheint? Du fühlst dich geblendet, gar getäuscht? Bist isoliert? Meinst, versagt zu haben?

Vergiß es! Verabschiede dich von deinen wahnwitzigen Vorstellungen. Lerne neu verstehen, was den Schulbetrieb ausmacht. Lerne auch verstehen, wie du dich dort zu schlagen hast. Lerne verstehen, daß Unterricht nur eine Fassade ist, hinter der sich die unglaublichsten Dinge abspielen. Definiere dich neu und suche wie die anderen den unbedingten Erfolg.

Schule hat eine lange Geschichte. Schule wird von Politik und Ideologie überfrachtet. Interessengruppen mischen sich ein und mischen mit. Jeder kennt den Königsweg. Hier bringt man seine Ideen an den Mann. Es äußert sich inzwischen mehr und mehr die Frau zur Frau. Hier probiert man sich aus. Es wird zensiert und selektiert. Jeder gegen jeden. Und irgendwo entleert sich’s vielsagend. Genau da mußt du hin!

Beschrieben werden die abstrusen Verhaltensweisen und verstümmelten Gefühlswelten der Beteiligten. Es werden Lösungen angeboten, wie man in dieser unzerstörbar bizarren Welt trotz allem oder gerade deswegen erfolgreich fortschreiten kann und wie man sich in dieser Hackordnung zu verhalten hat, um für sich gesunde Werte zu schöpfen. Wie man Böswilligkeit abwehrt, ohne großen Schaden zu nehmen.

Dabei läßt es sich nicht immer verhindern, den Irrwitz als bitterböses Kabarett auf die Bühne zu bringen. Das ist schade, aber unbeabsichtigt.

Konkret: Ins Bild gesetzt werden die Gestalter des Systems, die Hauptkulisse im Haus: Lehrer, Schüler, Eltern. Eher unbeobachtet bleiben Ausbilder, Ministeriale. Das Scharnier zur Macht, die Schulsekretärinnen, bleibt unerwähnt, obwohl durchaus mitgestaltend. Unberücksichtigt bleibt auch die hinlänglich bekannte Schlüsselgewalt der Hausmeister. Die im Nachmittagsbereich sich einstellende Putzkolonne arbeitet im Takt von Lohn und Ehre und bleibt als der allen willkommene Fußabtreter Nebensache.

Was nun? Ab ins Theater!

Gandolf Dresdner, im Mai 2021

1. DIE LEHRER

1. DIE ZWANGSJACKE

In Deutschland kennt jeder die Schulpflicht2. Eine Selbstverständlichkeit. Wie natürlich gewachsen. Egal ob jung oder alt, man weiß davon. Jung freut sich noch, bald geht es los. Alt winkt ab, was war da bloß?

Schule ist im Gedankenpool der Gesellschaft quasi dauerexistent. Man liest von ihr, man hört sie, sieht sie, fühlt sie, schmeckt sie, dem einen mehr, dem anderen weniger. Nichts vergessen bitte! Daher festgeschrieben in den Schulgesetzen der entsprechenden Länder. Wer will – aber wer will schon? -, der kann bei der Suche unter „wehwehweh“ genau erfahren, wie der Apparatschik im jeweiligen Ländle die Schulpflicht in bürokratischen Formeln zum Schulrecht umschreibt. Damit ist’s gesetzt.

Der der Tradition verpflichtete und wie selbstverständlich daherkommende Schulbesuch eines jeden Menschen macht den Blick auf eine damit einhergehende Wahrheit vergessen, daß nämlich der Schulbesuch auf einer erzwungenen Maßnahme basiert. So wird verschleiert, daß jede schulische Lerngemeinschaft, die Klasse, eine Zwangsgemeinschaft ist, die sich am Lerner wie selbstverständlich über viele Jahre vollstreckt.

Bei deinem Gang durch den Schulalltag muß dir klar sein, daß du diese grundlegende Tatsache niemals erwähnen darfst. Wenn du in der Schule erfolgreich sein möchtest, mußt du dieses Wissen für dich behalten, und zwar selbst dann, wenn du dadurch zur Abwehr dauernd belagernder Depressionen viel Energie aufzuwenden hättest. Wehe dir, du machst zu der unterstellten Freiwilligkeit irgendwelche kritischen Aussagen, gar vor Lehrern in einer Konferenz oder in einem kollegialen Gespräch. Oder vor Eltern. Geschweige denn vor deinen Vorgesetzten. Zu unterstellen hast du stattdessen Gruppen von fröhlichen Menschen, die freiwillig und mit Freude Tag für Tag in die Lehranstalt drängen. Sprich es ruhig laut aus: „Meine Schüler hatten gerade eben wieder unheimlich viel Spaß.“ Daher lebst du das erste Schulgebot, und das lautet: Schule ist der HERR, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben ihr. Wir sollen sie über alles lieben und ihr blindlings vertrauen. Die Gläubigen werden dich niemals kreuzigen.

Der gesamte Schulapparat in Verbindung mit seinen bald tagtäglich auf dich einprasselnden Neuerungen und Verbesserungsversuchen basiert auf diesem, wenngleich niemals eingestandenen Pädagogengebot. Die gesamte Dynamik des Schulalltags wird von dieser Scheinwahrheit bestimmt und von den Überzeugungstätern tatkräftig gelebt. Alle angeblich wissenschaftlich fundierten und in der Warteschleife auf Umsetzung hoffenden Erkenntnisse und Ideen zur Schaffung von Unterrichtsfreuden sind daher ein Motivationsfeuer zur Steigerung des leidenschaftlichen und intensiven Lernens, damit sich wichtigtuerische und ambitionierte Neuerer in den Vordergrund jubeln und parallel dazu ihr Handeln legitimieren und verklären können.

Dieser unablässig laufende Motor produziert eine grausam hysterisch irrationale Hektik, die er auch produzieren muß, damit die Wahrheit überdeckt wird, daß nämlich der allseits vorhandene Widerwillen vor allem und jedem im

ein geradezu auswegloses Ausmaß angenommen hat. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Von wegen Paradies! Es ist die Hölle! Und der Teufel sitzt im Detail. Schweige zu dieser Problematik, denn ansonsten rüttelst du am ideellen Überbau dieser durchwabernden religiösen Lügen – und Wahnwelt, die die pädagogische Frontarbeit auf ihre muskulösen Hinterläufe stellt.

Die sich aus dieser Glaubensstruktur ergebende pädagogische Theorie der Schulpraktiker in Verbindung mit dem verlogenen Lehrgeschehen basiert wesentlich auf dem Schlüsselbegriff der „Motivation“ und verwandelt mit Vorliebe den Lehrer in einen Zauberer, dem es mit einer Unmenge an Tricks gelingen soll, aus Schülern wahre Lernhelden zu machen, die vor lauter Begeisterung ihre Schule in eine tolle Hüpfburg verwandeln. Diesem Ritual fühlst du dich wie alle anderen Pädagogen verpflichtet und agierst als Dauermotivator, der genau diese in Begeisterung übergehende Wißbegier produziert. Das kommt ganz bestimmt gut.

Deine Publikumswirksamkeit als Zauberer richtet sich maßgeblich daran aus, ob es dir gelingen wird, vor den anderen Kollegen überzeugend Ideen abzubilden, mit denen sich die Lernmotivation und damit ureigentlich der Unterricht selbst verbessern läßt. Und sei es auch nur angeblich. So ganz nebenbei wirst du im Laufe der Zeit verstehen, warum du von einer typisch schulischen Häßlichkeit umgeben bist. Überall riecht Häßlichkeit. Das Interieur ist häßlich. Alles ist häßlich. Wände sind häßlich, beklebt mit verdreckten Tesastreifen. Der Boden ist steril. Fast alles ist kaputt. Für die lehrende Abteilung ist die übergestreifte Zwangsjacke regelrecht angesagt. Die Bildungsministerin macht Mode.

Deine Zauberkünste werden natürlich, welch Wunder, im Klassenraum gerne konterkariert. Das wirst du abwenden. Dort stehst du allein. Wenn du Durchschlagskraft beanspruchst, respektiert und geachtet sein willst, dann erwähne niemals, daß da womöglich einer, das sind meistens Jungen und weniger Mädchen, nicht will, und wenn es sich nicht verhindern läßt, dann kanzel diesen Unwilligen ab, mache ihn lächerlich und überhäufe ihn mit schlechten Noten. Zwar ist dir bewußt, daß in dieser Zwangsgemeinschaft letztlich niemand wirklich mit Freuden lernen mag, aber du wendest dich gerade und genau den Scheinheiligen zu, die die Spielregeln umsetzen und auf dich zukommen, um dir zu signalisieren, mit wieviel Freude sie bei der Sache sind. Dann wirst auch du sehr bald die Früchte ernten. Insbesondere werden dich wie aus dem Nichts auftauchende Lehrkräfte unterstützen und dir mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn es darum geht, dir einen in den Fokus geratenen Unwilligen vorzuknöpfen und entsprechend abzuservieren.

Für dich wird, wie gerade erwähnt, die Freudenproblematik deutlich fühlbar in Klassengemeinschaften mit einem hohen Anteil pubertierender männlicher Schüler, die ihren Mißmut, direkt in dieser Zwangslage zu stecken, deutlich zeigen und ein hohes Maß an Renitenz entwickeln. Im Umgang mit diesen Schülern kann nun deine erste große Stunde schlagen, wenn du bereit bist, diese Sturheit, Impertinenz und Dickköpfigkeit zu brechen. Du hast permanent mit einem klammheimlich provokanten Kettenprogramm aufzuwarten, das solche Schüler zermürbt und in die ausweglose Selbsterkenntnis treibt, die schulische Zwangssituation als dauerhaften Freudentaumel zu erleben. Im besten Fall wirst du sogar Zeuge dieser wohltuenden Regungen. Allerdings mußt du einen langen Atem haben, denn manche Schüler können erst nach Jahren gebrochen werden. Dabei sind die perfiden Methoden besser als die bekannten Abstrafungen wie blaue Briefe oder böse Predigten seitens der Schulleitung. Besser sind mit deinen Kollegen wohlmeinend abgestimmte Erziehungsmaßnahmen, die den Schüler viel Zeit kosten und ihm im günstigsten Fall seinen Freiraum beschneiden. Stundenlange Nachhilfeeinheiten im Nachmittagsbereich sind da willkommen, das möglichst zwei- bis dreimal die Woche. Zusätzlich noch zur Selbstreinigung selbstreflektierende Besinnungsaufsätze, abzuzeichnen von Erwachsenen. Richtig gut sind auch von auswärts eingeladene Kinderpsychologen, die mit angeblich gut durchdachten Aufgaben zum Thema Verhaltenstraining den Stier bei den Hörnern packen. Das darf sogar viel Geld kosten, denn was wäre schon wichtiger, als immer wieder zu unterstreichen, wie sehr man gefälligst sein Glück zu finden hat. Diese Maßnahmen werden greifen. Dir wird der Erfolg gutgeschrieben, so daß deine eigene schulische Laufbahn mit Sicherheit einfacher werden wird. Mindestens aber werden dir viele deiner Kollegen für deine umsichtige Arbeit freundlich und begeistert danken, dir auf die Schultern klopfen und weitere pädagogische Aktionen dieser Art von dir fordern. Nimm genau diesen Erfolg an und tue ihn als Selbstverständlichkeit ab, denn diese Form gekünstelter Abwehr gilt als Bescheidenheit und wird noch zusätzlich mit kollegialem Entgegenkommen belohnt.

Die Umsetzung der Maßnahmen wird grundsätzlich umso effizienter, je mehr Kollegen du unterstützend für dich gewinnen kannst. Solltest du im Hinblick auf die hier gerade beschriebenen Strategien nicht zimperlich sein, wirst du fast automatisch Mitstreiter für deine Sache finden. Gib niemals auf, selbst dann nicht, wenn es in der Klasse womöglich noch keinen Sündenbock gibt. Dann stehen für dich die Sterne besonders günstig: Dann sofort suchen, dann mindestens einen finden, ziemlich bald ins Visier nehmen, dann Zerstörungsprogramm starten, dann Mitstreiter suchen und niemals vergessen, den Spaß entsprechend umzuetikettieren und immer als für dich anstrengende und den Schüler notwendige, aber wohltuende Hilfsmaßnahme zu apostrophieren. Sprich es ruhig laut aus: „Bei dem kann man machen, was man will. Der will nicht!“ So ginge es auch: „Zum vierten Mal habe ich ihm die Übungsaufgaben hingelegt. Glaubst du, der beißt an?“ Hier in der psychologisierenden Weise: „Selbst die Eltern sind schon am Verzweifeln. Die Mutter ist völlig ratlos.“ Mit sorgenvollem Gesicht: „Jetzt habe ich seine Texte schon hundert Mal korrigiert. Es will sich aber partout keine Besserung einstellen. Immer wieder dieselben Fehler.“ Oder einfach wutentbrannt: „Ich kann nicht mehr. Jetzt ist endgültig Schluß.“

Erster Lehrsatz:

Der allseits propagierte Irrglaube, Schule motiviere zu freiwilliger Lernlust, darf nicht hinterfragt werden.

Verborgen hinter diesem Irrglauben, sind nach allen Regeln der Kunst klammheimlich Verlierer zu erzeugen.

2. AUSSERUNTERRICHTLICHES ENGAGEMENT

Mehr denn je ist es heute wichtig, genau der Frau allerbeste Gefühle zu bereiten, die sich von allen Kolleginnen und Kollegen am weitesten nach oben durchboxen konnte, nämlich der Frau Oberin. Da kommst du mit einem guten Unterricht nicht weit. Viel wichtiger ist es, Präsenz zu zeigen, Aktivität zu suggerieren.

Wie machst du das?

Indem du länger als nötig und wirksam auffällig im Gebäude agierst. Stehe zu Stoßzeiten am Fotokopierer. Werde dort wahrgenommen. Immer und andauernd. Sei zu ungewöhnlicher Zeit vor Ort, dann entsteht der Eindruck, daß du viel zu tun hast. Du wirkst aktiv und damit interessiert. Kopiere übermäßig viel. Einfach irgendwas. Zu Hause kannst du den Müll in die Tonne kloppen. Dann machst du es richtig.

Nutze Pausen möglichst so, daß du als gewissenhafter Pädagoge und Kinderliebhaber wahrgenommen wirst. Wie ein fleißiges Bienchen oder eine Arbeiterameise. Verstehe das nicht falsch. Nicht, daß du aktiv sein mußt und eine durchschlagende Unterrichtseffizienz aufzuweisen hättest, nein, auf die Wirkung kommt es an! Du darfst niemals Wirkung und Wahrheit verwechseln. Entscheide dich immer zugunsten der Wirkung. Im Wesentlichen machst du das, wozu sich heute die Mehrheit aller im Kollegium entscheidet: Du täuschst Daueraktivität vor, klapperst unentwegt hochkonzentriert mit der Tastatur deines Computers herum und gibst vor, angestrengt vertieft in die Arbeit zu sein. Dein Kommentar in egal welcher Raumluft: „Ich habe noch so viel vorzubereiten.“ Dein Hintergedanke: „Hoffentlich kam’s gut rüber.“ Dabei allerdings solltest du lediglich aufpassen, daß die Bilder, zum Beispiel beeindruckende Urlaubsmotive aus fernen Ländern, auf dem Bildschirm in nicht zu satten Farben leuchten. Halte immer auch eine aufgeschlagene Textdatei mit Unterrichtsinhalten im Hintergrund bereit. Wirklich klasse und geradezu professionell ist es, wenn du mit einem aufgeschlagenen Laptop nach der Pause aus dem Lehrerzimmer sprintest, gedankenverloren über die Gänge jagst, dir Hans Dampf in allen Gassen zum Vorbild nimmst und im Unterrichtsraum verschwindest. Ein toller Effekt, der bei deinen Kollegen wohlwollend als intensives Engagement zur Kenntnis genommen wird. Ein Eindruck, der nicht so schnell verdampft. Mit anderen Worten: Guter Lehrer – guter Hund. In der Bedeutung: Auf der Karriereleiter wartet die nächste Sprosse nach oben. Allgemeines Urteil: Na, aus dem wird mal was.

Pausenaufsichten solltest du dazu nutzen, Kollegen anzusprechen. Ein thematischer Dauerbrenner in der Lehrerschaft ist dabei immer der schlechte Schüler. Du könntest ein Gespräch, salopp und nicht zu ernst vorgetragen, in etwa so beginnen: „Hey, wie geht’s dir. Guter Tag, oder!? Sag mal, kennst du eigentlich Gundmar? (Der Name ist natürlich frei erfunden.) Wie issn der bei dir. Auch so schlecht? Der stört andauernd. Soll das so weitergehen? Was machste denn dagegen?“ Sei dir einer Antwort sicher! So kannst du deinen Dampf ablassen. Dann gepflegt weitermachen und weiterlächeln. Du hast gewonnen. Du bist wieder einen Schritt weiter.

In der Mittagspause darfst du selbstredend niemals alleine irgendwo an einem Tisch Platz nehmen, solange neben einem Kollegen noch ein Stuhl frei ist. Vielleicht findest du deinen Kollegen sogar zum Kotzen, kannst ihn nicht ausstehen, aber egal. Nimm dort Platz und sage dir: „Guter Hund – Sitz!“ Schlimm wäre es, du setztest dich in so einer Situation neben einen Schüler. Um Gottes willen, laß das! Es wäre Verrat an allen Lehrern, dem gesamten Kollegium, den Oberen, an allem und jedem. Bleibe dabei, nimm an rechter Stelle Platz und fahre diese Schiene: „Hey, wie geht’s dir ..." Abdampfen kannst du noch früh genug.

Weißt du Näheres zu deinem Gesprächspartner, dann lenke das Thema wie zufällig auf die Themen, bei denen du ihn aufwerten kannst. Also beispielsweise so: „Ist ja sagenhaft, wie toll du mittwochs nach der Schule immer die Türen abschließt.“ Oder: „So gut wie du möchte ich auch gern einparken können.“ Oder: „Bei den Schülern hast du aber einen tollen Ruf.“ Oder: „Schmeckt es dir auch so gut wie mir?“ Oder: „Das letzte Protokoll (du mußt es beileibe nicht gelesen haben) hast du ja mit einer unglaublichen Sorgfalt geschrieben. Und dein Stil erst, große Klasse.“ Oder, was immer geht: „Geil, daß du diesem Typen – (Lehrer wie Schüler, beides geht) – endlich mal eine gepfeffert hast.“

Vor der höchsten aller Lehrerinnen im Hause mußt du schon sehr viel mehr aufbieten, um durchschlagende Effekte zu erzielen. Beachte dabei die Tatsache, daß die unwahrscheinliche Höhe ihres Amtes ihr praktisch immer vorgibt, vorzugeben, sie würde ihren Laden lieben. Bei manchen, was für dich schlimmer ist, kommt das der Wahrheit sogar gefährlich nahe. Gefährlich deshalb, weil sie den Alltag ihrem Zuhause vorziehen. Dann leben sie dementsprechend nur noch für die Schule und nicht mehr für ihr hoffentlich einst vorhandenes privates Glück. Ist dem so, dann hast du dich unbedingt vor einer solchen ihrer angenehmen Welt verloren gegangenen Lehrerin in Szene zu setzen, indem du dir überlegst, was du unternehmen mußt, um dir dieser auf dich meist pathologisch wirkende Figur gewiß zu sein. Egal. Da mußt du durch. Sage dir: „Was soll’s?“ Du hast keine andere Wahl, denn du bist als niederer Lehrer auf Gedeih und Verderb von dieser hohen Lehrerin abhängig. Dabei ist natürlich eine Menge an Möglichkeiten vorhanden.

Nutze deine sämtlichen Möglichkeiten!

Als Sprachenlehrer macht sich immer eine Theatergruppe gut, oder du initiierst eine Schreibgruppe. Gut geht auch immer etwas im Nachmittagsbereich am Computer. Gesellschaftliches Engagement im Sinne der modisch politischen Themen macht sich großartig. Bilde eine Arbeitsgruppe zum Thema Rassismus, Ausgrenzung von speziellen Jugendlichen, Ökologie, gerechte Welt, Menschen im Dritten Reich, starte Joghurtbechersammlungen oder fülle Flaschenkorkensäcke, organisiere Malkurse für bildungsferne Schichten, setze Blumenkästen im Sekretariat, gehe Laufen für einen guten Zweck, organisiere einen Fahrradtag bei sommerlichen Temperaturen, entwickle einen für alle unterschriftsreifen Rundbrief mit einer Verzichtserklärung auf Schweinefleisch in der Mittagspause, vernichte mit verständnisvollen Pubertierenden gerade gedrehte Joints, organisiere den Ablauf einer schultypischen Modesportart, thematisiere in einer Arbeitsgruppe Mißbrauch von Frauen, mache dich stark für gendergerechte Sprache, organisiere Schachturniere für Mädchen, geige auf Gitarren ohne Saiten, erteile Boxstunden für Benachteiligte, erstelle eine Bücherecke für Kinder mit Migrationshintergrund, baue Musikinstrumente aus Karotten und Zuckerrüben, produziere hygienisches Klopapier aus Papyrus, suche einen Kontakt zu FFF. Und? Vergiß nicht, dafür Sorge zu tragen, daß diese Themen von den Milchblättern vor Ort langatmig und möglichst bilderreich aufgegriffen werden, oder noch besser, lasse dir diese Arbeit von einer Menschenrechtsorganisation zertifizieren, damit das Dokument als prunkvolles Aushängeschild hinter einer Sicherheitsglasscheibe am Schuleingang bedeutungsschwanger wirken kann.

Achte bei aller Thematik deiner Aktion auf konformen Inhalt. Schieße sozusagen niemals über das Ziel hinaus. Entwickle niemals ein wirklich ernst gemeintes Engagement, womöglich mit der Lust, etwas erreichen zu wollen. Jederzeit muß unbedingt wieder alles beendet werden können! Kratze immer nur wirkungsvoll an der Oberfläche!

Beispiele:

Theater? Ja, aber nur in Verbindung mit banaler Literatur. Computer? Ja, wie lernt man „html”, aber kein E-Mail-Kontakt zu gesellschaftskritischen Gruppen. Gestaltung einer Schul-Homepage? Ja, aber nur mit fröhlichen Lehrergesichtern, im Vordergrund immer ein höherer Lehrer. Rassismus? Ja, aber nur im modisch Gängigen, wie bspw. Syrer in Deutschland, Moslems bei uns, Integration von Türken, sogenannter Antisemitismus; aber nicht besetztes Kaschmir, Ausbeutung im Orient, Mißhandlung im Islam, Minderheiten in der Türkei oder Judenhaß in Deutschland. Menschen im Dritten Reich? Ja, aber nicht Anklage von Mitgliedern und Vorfahren aus deiner eigenen Familie wegen einer aktiven Beteiligung am Holocaust. War Hitler böse? Ja! Gute Frage! Aber nicht: Gibt es noch heute Verantwortliche in deinem Haus? Pogromnacht ja – Reichskristallnacht nein. Stolpersteine ja! Konkrete Kritik an der Wehrmacht? Nein! Ja zu lascher Erinnerungskultur, nein zu faktisch wertvoller Aufklärung! Für „einen guten Zweck „laufen? Ja! Lass dir aber den guten Zweck nennen! Entscheide bloß nicht selbst.

Erscheint dir das kompliziert? Muß es nicht. Sehr schnell wirst du ein Gespür bekommen, was geht und was nicht.

Kleiner Test mit Probefrage zu einem weniger verfänglichen Thema: Was ist als Sportart besser geeignet? Tennis oder Tischtennis? Antwort Tennis. Grund: eher bürgerlich, dem Mittelstand zugerechnet, im Gegensatz zu Tischtennis, eher dem niederen Volk zugeschrieben. Im Rahmen von Schule obsiegt immer das Höhere.

Zur Orientierung sei es für dich so auf den Punkt gebracht: Suche im weitesten Sinn nach eher linksliberalen Themen und klopfe diese dann sehr weich.

Nun bist du dran!

Zweiter Lehrsatz:

Aus jeder noch so dummen Gelegenheit ist ein toller Effekt zu generieren. Dem Generator wird’s gedankt.

3. DAS KRIECHERLABYRINTH

Die Mitglieder der Lehrerschaft unterscheiden sich ganz erheblich, weil es einem Teil erlaubt ist, über andere Lehrer ganz offiziell zu richten. Jedes Mitglied ist Teil einer Hierarchie, die peinlichst genau einzuhalten ist, an der niemals gerüttelt werden darf, die aber komplett heruntergespielt wird, und zwar so weit, als gäbe es sie gar nicht. Du mußt die hierarchische Zuordnung jedes einzelnen Teils genauestens kennen, dann dich in der Zuordnung selbst verorten, um zu wissen, wem du wie gegenüberzutreten hast. Du hast also sehr genau deine Position auf der Skala von ganz oben bis ganz unten zu kennen. Eine falsche Selbsteinschätzung kann fatale Folgen nach sich ziehen, insbesondere dann, wenn du einem Höhergraduierten und damit besseren Lehrer meinst, sehr direkt auf Augenhöhe begegnen zu dürfen oder womöglich zu müssen. Diese Art von Fehleinschätzung der Gesamtlage wird dir definitiv übel genommen und gilt als frech aufmüpfige Renitenz. Fehlverhalten dieser Art sind für den aus deiner Sicht Höhergraduierten ein gefundenes Fressen und werden gerne gleich bis an den höchsten Lehrer durchgesteckt. Der Höhergraduierte darf völlig berechtigt die beleidigte Leberwurst geben. In dieser Form wendet sich das aufgeblähte Würstchen nun direkt an das Zentrum der Macht und rapportiert dort. Damit sichert sich das Würstchen Zutrauen von ganz oben und schadet dir. Passiert dir das wiederholt, dann wird dich mir nichts dir nichts wie aus heiterem Himmel eine giftige Spritze der Spitze treffen. Manchmal kann dein Körper das Gift über Jahrzehnte nicht mehr abbauen, selbst wenn du dich über Jahre in Demut übst. Sollte es immer und ewig für dich nur um die Wurst gehen? Verinnerliche den Satz des alten Griechen Thukydides3: „Recht und Gerechtigkeit gibt es nur zwischen Starken: Sonst werden die Starken erreichen, was sie wollen, und die Schwachen werden erleiden, was sie müssen.“

Raupe und Wurm oder

die hierarchische Ordnung

Von oben nach unten:

Oberstudiendirektor, Studiendirektor, Oberstudienrat,

Studienrat, Angestellter, Lehramtskandidat, Zeitlehrkraft und Vertretung

Die große mit Oberschlundganglion versehene Made im Speck geht mit dem Titel des Oberstudiendirektors hausieren. Alle Subalternen, also alle Bediensteten, füttern diese Made frei-, unfreiwillig und großzügig mit jeder Art von Information. Die Made wuchert im Laufe von etwa zwei Jahren zur allwissenden Raupe mit gefährlich überdimensioniertem Strickleiternervensystem. Ein Tier mit fantastisch viel Macht. Etwa eine Afterraupe? Im Umgang mit der Raupe sei also immer auf der Hut. Was auch immer über dich und von dir erzählt wird, es landet auf dem Tisch der Raupe und wird dort gefressen, wodurch sie sich immer weiter aufbläht. Offiziell gilt die Raupe als Verwaltungsbeamtin, Bindeglied zwischen Lehranstalt und Ministerium. Niemand ist den Steuerorganen des Systems gegenüber daher so devot wie dieses teils ekelerregende Wesen. Es hat dafür Sorge zu tragen, daß du vor Ort einwandfrei funktionierst. Dafür wird sie monatlich mit übermäßig viel Futter großzügig und reichhaltig gemästet und labt sich sichtbar für dich an ihrer Unabdingbarkeit. Im Vergleich dazu müssen sich andere für den Erhalt gleichwertigen Fraßes unendlich viel angestrengter und ausdauernder winden. Hübsch anzuschauende Schmetterlinge gibt es in keinem der Fälle. Ein kleiner Mucks nur von dir, und in der Raupe werden umgehend unkontrollierte und für dich gefährliche Zuckungen wachgerufen. Reiß dich also immer zusammen. Zur Durchsetzung ministeriellen Willens leitet sie im Alltagsgeschäft gerne ellenlange alttestamentarische Epistel in elektronischer Form an die Subalternen weiter, immer mit dem Verweis, daß sie persönlich damit gar nichts zu tun hätte. Mit einer fröhlichen Grußformel wird die nichtssagende Aneinanderreihung von leeren Worthülsen beendet. Das gedankenlose Wirken, übertragen in Buchstabenketten, wird immer dann besonders eifrig und fleißig betrieben, wenn die Raupe ministeriellen Willen vorausahnen darf. Dabei strickt sie ihre immer gleiche Masche: Sie erklärt sich zu einer gönnerhaften Aufklärerin, die scheint’s hilfreich nicht nur an deiner Seite steht. Im Hause selbst herrscht dann aus dir möglicherweise nicht nachvollziehbaren Gründen Festtagsstimmung. In ihrer Feiertagslaune füttern die Leerkörper die Raupe dann besonders übermotiviert, herzlich und standesgemäß. Zumindest will es so scheinen.

Einem bleibt die Spucke weg, wenn man kopfschüttelnd daran denkt, welch Ehre den Höchsten in der Schule zum Teil zu Teil wird. Besonders deutlich tritt das bei sogenannten Verabschiedungen zutage.

In einem Fall wurde die Schulturnhalle umfunktioniert in eine Art Marktplatz zur Durchführung eines lauten Volksfestes. Aus den Lautsprechern drangen allseitig platte Lobeshymnen. „Warum nur gehen Sie schon?“ Ohne Sie sind wir nichts.“ „Jetzt fallen wir auseinander.“ „Bitte bleiben Sie.“ „Sie haben uns Struktur gegeben.“ „Bitte führen Sie uns.“ In welche Versuchung? Keine Erlösung von diesem Übel. Als Pausenfüller hörte man billige Popmusikklänge. Dabei war gar nichts Angloamerikanisches zu entdecken.

In einem anderen Fall wurde der Schulallerhöchste wie ein König aus Chambord oder Versailles gar in einer extra angemieteten offenen Luxuslimousine mit einem Chauffeur vom Schulhof kutschiert, während die gesamten Restkreaturen Spalier standen, lauthals johlten und ihre enthusiastischen Ruforgien mit Händeklatschen untermalten. Sollte dir einmal eine Verabschiedung solcher Adelspracht als mitfeiernder Gast vergönnt sein, dann vergiß bitte niemals, bis zum endgültigen Abgang gegenüber diesem Halbgott, im eigentlich menschlichen Sinne, immer zuvorkommend und extrem freundlich aufzutreten, weil du in einem solchen Spektakel unter starker Beobachtung stehst und dir dein möglicherweise durchschimmernder Widerwillen vom Nachfolger vorgehalten werden könnte.