Anorexia nervosa - Corinna Jacobi - E-Book

Anorexia nervosa E-Book

Corinna Jacobi

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Beschreibung

Die Anorexia nervosa ist insbesondere durch ein signifikant niedriges Körpergewicht, durch die ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme trotz bestehenden Untergewichts, durch eine Körperschemastörung bzw. durch die übermäßige Bedeutsamkeit des Körpergewichts für das Selbstwertgefühl der Patientinnen und Patienten gekennzeichnet. Der Band liefert eine Beschreibung der Störung, geht auf Faktoren ein, die die Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung beeinflussen, gibt einen Überblick über das diagnostische Vorgehen und beschreibt aktuelle Behandlungsstrategien. Praxisorientiert werden die zentralen Elemente eines verhaltenstherapeutisch orientierten Behandlungskonzepts dargestellt. Betont werden hierbei insbesondere wichtige Aspekte des Erstgespräches und der Motivationsabklärung, der Psychoedukation, des Erkennens von Auslösebedingungen sowie der Erarbeitung eines individuellen Krankheitsmodells. Weiterhin werden Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens, Strategien zur Förderung der Körperzufriedenheit und zur Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche sowie zur Stabilisierung und Rückfallprophylaxe aufgezeigt. Ein ausführliches Fallbeispiel veranschaulicht das Vorgehen in der Praxis.

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Corinna Jacobi

Ina Beintner

Anorexia nervosa

Fortschritte der Psychotherapie

Band 81

Anorexia nervosa

Prof. Dr. Corinna Jacobi, Dr. Ina Beintner

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Taschen-Caffier

Begründer der Reihe:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Prof. Dr. Corinna Jacobi, Prof. Dr. Corinna Jacobi, geb. 1957. 1976 – 1982 Studium der Psychologie in Landau und Göttingen. 1983 – 1987 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen. 2001 – 2004 Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Trier. Seit 2004 Professorin für Grundlagen und Interventionen bei Essstörungen und assoziierten Störungen und seit 2016 Professorin für Klinische Psychologie und E-Mental Health an der Technischen Universität Dresden.

Dr. Ina Beintner, geb. 1978. 1997 – 2003 Studium der Psychologie in Göttingen. 2003 – 2006 Psychotherapeutin in der Psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont. 2006 – 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Klinische Psychologie der Technischen Universität Dresden. 2007 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. 2014 Promotion. Seit 2019 Wissenschaftliche Leitung bei MindDoc Health GmbH.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bei diesem Band handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Buches „Essstörungen“ von Corinna Jacobi, Thomas Paul und Andreas Thiel, welches 2004 erschienen ist.

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Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

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37085 Göttingen

Deutschland

Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Sina-Franziska Mollenhauer, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2021

© 2021 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3031-7; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3031-8)

ISBN 978-3-8017-3031-4

https://doi.org/10.1026/03031-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1  Beschreibung des Störungsbildes

1.1  Definition nach ICD-10 und DSM-5

1.2  Epidemiologie

1.3  Verlauf und Prognose

1.4  Differenzialdiagnose

1.5  Komorbidität

1.6  Diagnostische Verfahren

1.6.1  Verfahren zur Erfassung der spezifischen Essstörungssymptome und zugehöriger Kognitionen und Einstellungen

1.6.2  Instrumente zur Erfassung allgemeiner Symptomatik sowie aufrechterhaltender Faktoren

2  Störungstheorien und Modelle

2.1  Risikofaktoren

2.1.1  Psychosoziale Faktoren

2.1.2  Biologische Faktoren

2.2  Kognitiv-verhaltenstheoretisches Störungsmodell

3  Diagnostik und Indikation

3.1  Hinweise zur Diagnostik

3.1.1  Erst- bzw. Vorgespräch

3.1.2  Umgang mit Ambivalenz

3.1.3  Erhebung des psychopathologischen Befundes, zentraler Diagnosen und komorbider Störungen sowie medizinische Gesamtbeurteilung

3.1.4  Anamneseerhebung und subjektives Krankheitsmodell

3.1.5  Problemanalyse: Entwicklung eines funktionalen Bedingungsmodells

3.1.6  Motivationsabklärung und Motivierung

3.2  Hinweise zur Indikation

4  Behandlung

4.1  Ziele und Behandlungsschwerpunkte

4.2  Vermittlung des Therapierationales

4.3  Informationsvermittlung/Psychoedukation

4.3.1  Zusammenhänge zwischen Hungern und Symptomen der Essstörung

4.3.2  Die Bedeutung eines bestimmten Körpergewichts

4.3.3  Folgeschäden im Zusammenhang mit Essstörungen

4.3.4  Die Wirksamkeit von Erbrechen und Abführmitteln zur Gewichtsreduktion

4.3.5  Soziokulturelle Einflüsse – das Schlankheitsideal der Medien

4.4  Problemanalyse: Identifikation auslösender und aufrechterhaltender Bedingungen für gestörtes Essverhalten

4.5  Umgang mit Essen und Gewicht

4.5.1  Maßnahmen zur Gewichtsstabilisierung

4.5.2  Regeln für den Umgang mit Essen und Gewicht

4.5.3  Normalisierung des Essverhaltens

4.5.4  Abbau der „Schwarzen Liste“

4.5.5  Umgang mit Heißhunger, Essanfällen und kompensatorischen Verhaltensweisen

4.5.6  Reaktionsverhinderung

4.6  Kognitive Techniken

4.7  Förderung der Körperzufriedenheit

4.8  Identifikation und Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche

4.8.1  Identifikation der zugrunde liegenden Problembereiche

4.8.2  Bearbeitung der Problembereiche

4.9  Stabilisierung, Rückfallanalyse und Rückfallprophylaxe

5  Stand der Therapieforschung

5.1  Psychotherapeutische Verfahren

5.2  Familientherapie

5.3  Pharmakotherapie

6  Fallbeispiel

6.1  Erstgespräch (Sprechstunde)

6.2  Zweites Gespräch (Probatorik)

6.3  Drittes Gespräch (Probatorik)

6.4  Viertes Gespräch (Probatorik)

6.5  Fünftes Gespräch (Probatorik)

6.6  Kurzzeittherapie 1 (Stunde 1 bis 12)

6.7  Stationäre Behandlung (12 Wochen)

6.8  Kurzzeittherapie 2 (Stunde 13 bis 24)

6.9  Langzeittherapie (Stunde 25 bis 60)

7  Weiterführende Literatur

8  Literatur

9  Kompetenzziele und Lernkontrollfragen

10  Anhang

Leitfaden für die Beurteilung medizinischer Risiken bei Patientinnen und Patienten mit Anorexia nervosa für den Konsiliarbericht

Informationen zu medizinischen Komplikationen und Folgeschäden bei Anorexia nervosa

Selbstbeobachtungsprotokoll – Anleitung

Selbstbeobachtungsprotokoll

Schwarze Liste

Karten

Wichtige Fragen für den Erstkontakt

Fragen zur Diagnostik und Vorgeschichte

|1|1  Beschreibung des Störungsbildes

Auffälligkeiten oder Störungen des Essverhaltens sind Phänomene, die bei Frauen relativ häufig beobachtet werden können. Unzufriedenheit mit der Figur und dem Gewicht, der Wunsch, schlanker zu sein, oder das Durchführen konkreter gewichtsreduzierender Maßnahmen werden insbesondere von jungen Frauen berichtet. Dennoch entwickeln sich in den wenigsten Fällen daraus klinisch manifeste Störungen. Längsschnittstudien bestätigen jedoch, dass wiederholte Diäten und Gewichtsverluste sowie die übermäßige Beschäftigung mit der Figur und dem Gewicht Risikofaktoren für spätere klinische Störungen sind. Bei einer Anorexia nervosa stehen neben dem ausgeprägten, selbst herbeigeführten Gewichtsverlust bzw. Untergewicht eine massive Angst vor Gewichtszunahme und eine Körperschemastörung oder die übermäßige Bedeutung des Körpergewichts für das Selbstwertgefühl im Mittelpunkt.

1.1  Definition nach ICD-10 und DSM-5

In der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) ist die Anorexia nervosa (F50.0) im Kapitel F5 „Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“ aufgeführt. Daneben existiert als weniger spezifische Störung eine Form einer „atypischen“ Anorexia nervosa sowie die Kategorien „sonstige Essstörungen“ und „Nicht näher bezeichnete Essstörungen“. Im amerikanischen Klassifikationssystem DSM-5 sind Essstörungen gemeinsam mit den Fütterstörungen in einem eigenen Kapitel eingeordnet (vgl. auch Tabelle 1).

Tabelle 1:  Klassifikation von Essstörungen im ICD-10 und DSM-5

ICD-10

DSM-5

Anorexia nervosa (F50.0)

Subtypen:

Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (F50.00)

Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (F50.01)

Anorexia nervosa

Subtypen:

Restriktiver Typus

Binge-Eating/Purging-Typ

Nicht Näher Bezeichnete Essstörung (F50.9)

Nicht Näher Bezeichnete Essstörung

|2|Die heute aktuellen Diagnosekriterien definieren die Anorexia nervosa in erster Linie über ein signifikant niedriges Körpergewicht, ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme trotz bestehenden Untergewichts, eine Wahrnehmungsstörung bezogen auf Figur und Gewicht bzw. die übermäßige Bedeutsamkeit von diesen im Selbstkonzept der Patientin (vgl. Tabelle 2). Untergewicht wird in den ICD-10-Kriterien definiert über einen Body Mass Index (BMI = Gewicht [kg]/Größe [m2]) von kleiner oder gleich 17.5 kg/m2, während die DSM-Kriterien erfordern, dass ein signifikant niedriges Körpergewicht vorliegt. Bei Erwachsenen kann das Kriterium als erfüllt angesehen werden, wenn der BMI unter 18.5 kg/m2 liegt, aber auch dann, wenn es bei einem höheren BMI Hinweise aus der Vorgeschichte gibt, die auf ein signifikant niedriges Körpergewicht hindeuten (z. B. bei einem großen Gewichtsverlust innerhalb kurzer Zeit). Bei Kindern und Jugendlichen werden typischerweise die altersspezifischen BMI-Perzentile zur Diagnose herangezogen; als signifikantes Untergewicht wird häufig ein BMI unterhalb der fünften Altersperzentile definiert. Auch hier können Hinweise aus der Vorgeschichte (z. B. Ausbleiben einer Gewichtszunahme trotz Längenwachstum) aber rechtfertigen, dass auch ein höherer BMI als signifikant niedriges Gewicht beurteilt wird. In die Beurteilung sollten Alter, Geschlecht, Gewichtsentwicklung und individueller Körperbau stets einbezogen werden.

Ein normales Körpergewicht wird entweder im Rahmen der Adoleszenz nie erreicht oder der signifikante Gewichtsverlust wird über eine Reduktion energiereicher Nahrungsmittel bzw. der Gesamtnahrungsaufnahme erreicht. Oft entwickelt sich daraus ein streng ritualisiertes Essverhalten mit Beschränkung auf wenige „erlaubte“ Nahrungsmittel und/oder Essen nur zu bestimmten Tageszeiten (z. B. nicht vor 13:00 Uhr). Als weitere Maßnahmen der Gewichtsreduktion können selbstinduziertes Erbrechen, Laxantien- oder Diuretikamissbrauch sowie exzessive körperliche Aktivität hinzukommen. Der Gewichtsverlust ist begleitet von einer starken Angst vor Gewichtszunahme und gegebenenfalls Leugnung des untergewichtigen Zustands. Figur und Körpergewicht haben einen übermäßigen Einfluss auf die Selbstbewertung.

Als weiteres Kriterium wird das Vorhandensein einer Amenorrhoe gefordert. Diese tritt überwiegend als Folge des Gewichtsverlusts bzw. im Zusammenhang mit den damit verbundenen verringerten Hormonausschüttungen von Östrogen auf. Bei präpubertären Frauen kann die Menarche durch den Erkrankungsbeginn verzögert werden. Bei Einnahme von Kontrazeptiva kann dieses Kriterium nicht eindeutig entschieden werden, das Vorliegen einer Amenorrhoe wird in diesem Fall aber dennoch angenommen.

|3|Tabelle 2:  Diagnosekriterien für Anorexia nervosa nach ICD-10 und DSM-5

ICD-10 (F50.0) (WHO/Dilling et al., 2015)

DSM-5 (APA/Falkai et al., 2018)1

Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem erwarteten oder ein BMI von 17,5 kg/m² oder weniger.

Eine in Relation zum Bedarf eingeschränkte Energieaufnahme, welche unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Entwicklungsverlauf und körperlicher Gesundheit zu einem signifikant niedrigen Körpergewicht führt. Signifikant niedriges Gewicht ist definiert als ein Gewicht, das unterhalb des Minimums des normalen Gewichts oder, bei Kindern und Jugendlichen, unterhalb des minimal zu erwartenden Gewichts liegt.

2.

Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:

a)

Vermeidung von hochkalorischen Speisen sowie eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen:

b)

selbstinduziertes Erbrechen,

c)

selbstinduziertes Abführen,

d)

übertriebene körperliche Aktivität,

e)

Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika.

B.

Ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden, oder dauerhaftes Verhalten, das einer Gewichtszunahme entgegenwirkt, trotz des signifikant niedrigen Gewichts.

3.

Körperschemastörung in Form massiver Angst, zu dick zu werden. Betroffene legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.

C.

Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur oder des Körpergewichts, übertriebener Einfluss des Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung oder anhaltende fehlende Einsicht in Bezug auf den Schweregrad des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.

4.

Es liegt eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse vor, die sich in Form einer Amenorrhoe (bei Frauen) bzw. Libido- und Potenzverlust (bei Männern) manifestiert.

5.

Die pubertäre Entwicklung ist bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät verzögert oder gehemmt.

|4|Subtypen:

Restriktive Form (F50.00): Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc.)

Bulimische Form (F50.01): Anorexie mit aktiven Maßnahmen der Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc. in Verbindung mit Essanfällen)

Restriktiver Typ:

Während der letzten 3 Monate hat die Person keine wiederkehrenden Essanfälle gehabt oder kein „Purging“-Verhalten (d. h. selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt. Dieser Subtyp beschreibt Erscheinungsformen, bei denen der Gewichtsverlust in erster Linie durch Fasten, Diäten und/oder übermäßige körperliche Bewegung erreicht wird.

Binge-Eating/Purging-Typ:

Während der letzten 3 Monate hat die Person wiederkehrende „Essanfälle“ gehabt oder „Purging“-Verhalten (d. h. selbst herbeigeführtes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.

Sowohl DSM-5 als auch ICD-10 unterscheiden zwischen einem restriktivem Typ und einem Binge-Eating/Purging-Typ bzw. bulimischem Typ der Anorexia nervosa in Abhängigkeit davon, ob Essanfälle oder Purging-Verhalten (d. h. selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika und Klistieren) regelmäßig auftreten. Die Diagnose einer Bulimia nervosa darf nach DSM-5 bei gleichzeitig bestehendem Untergewicht nicht mehr gestellt werden (siehe unten). Im Folgenden wird aufgrund der besseren Lesbarkeit für den Subtyp der Anorexia nervosa mit Essanfällen und/oder kompensatorischen Verhaltensweisen die Bezeichnung „bulimische Anorexia nervosa“ verwendet.

Unter der Kategorie der „Nicht Näher Bezeichneten Essstörungen (NNB)“ werden diejenigen Essstörungen zusammengefasst, die nicht die vollen Kriterien einer spezifischen Störung erfüllen. Im klinischen Alltag sind NNB-Essstörungen sehr häufig. Es handelt sich insgesamt um eine sehr heterogene Gruppe. Beispielsweise werden Patientinnen mit subsyndromalen anorektischen Symptomen, bei denen zwar ein erheblicher Gewichtsverlust vorliegt, das Gewicht aber dennoch im Normalbereich oder sogar darüber liegt, als NNB-Essstörung oder atypische Anorexia nervosa klassifiziert. Ebenso kann auch manchmal bei übergewichtigen Menschen zum Beispiel nach einer bariatrischen Operation eine anorektische Entwicklung beobachtet werden. Die Tatsache, dass Patientinnen dieser Kategorie nicht die vollen Kriterien einer spezifischen Essstörung erfüllen, hat meist keine Auswirkungen auf die Be|5|handlungsnotwendigkeit, die Beeinträchtigung der Betroffenen ist mit der bei vollsyndromalen Essstörungen vergleichbar.

Im Rahmen der 2022 in Kraft tretenden 11. Version der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-11) können neben den restriktiven und bulimischen Varianten der Anorexia nervosa drei verschiedene Ausprägungen der Anorexia nervosa für Kinder, Jugendliche und Erwachsene klassifiziert werden:

Anorexia nervosa mit signifikant niedrigem Körpergewicht (BMI 14 bis 18.5 kg/m2),

Anorexia nervosa mit gefährlich niedrigem Körpergewicht (BMI unter 14.5 kg/m2),

Anorexia nervosa in Remission mit normalem Körpergewicht.

Zusätzlich gibt es zwei weitere Residualkategorien, die als „other specified anorexia nervosa“ und als „anorexia nervosa, unspecified“ bezeichnet werden.

1.2  Epidemiologie

Obgleich Symptome gestörten Essverhaltens vor allem innerhalb der Adoleszenz schon fast normativen Charakter haben, sind die Häufigkeiten der vollständigen klinischen Syndrome sehr viel seltener. Neben den unterschiedlichen Definitionen bzw. zugrunde gelegten Diagnosekriterien und diagnostischen Erfassungsmethoden sind Untersuchungen zur Inzidenz und Prävalenz von Essstörungen durch eine Reihe anderer methodischer Probleme behaftet. Die Erhebungsmethoden (z. B. über psychiatrische Fallregister, Dokumentation in medizinischen Krankenakten, Erfassung durch Allgemeinärzte) variieren beträchtlich und damit gleichzeitig auch die untersuchten Populationen. Die erhebliche Varianz der epidemiologischen Daten macht es schwer zu beurteilen, ob die Häufigkeit von Essstörungen in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist.

Für die Anorexia nervosa (AN) liegt die Inzidenz bei etwa acht Neuerkrankungen pro Jahr auf 100.000 Einwohner bezogen auf die Gesamtbevölkerung (Hoek & van Hoeken, 2003). Unter Frauen zwischen 15 und 19 Jahren steigt die Inzidenz auf 270 pro Jahr auf 100.000 Personen für Anorexia nervosa und auf 490 pro Jahr auf 100.000 Personen für eine breiter gefasste Definition der Anorexia nervosa (Keski-Rahkonen et al., 2007). Die Lebenszeitprävalenz für Anorexia nervosa liegt bei etwa 0.3 % in Stichproben junger Frauen (Hoek & van Hoeken, 2003), legt man die etwas breiteren DSM-5-Kriterien zugrunde, steigt sie auf bis zu 4.0 %.

Die Erkrankung tritt bei jungen Frauen wesentlich häufiger auf als bei Frauen anderer Altersgruppen und bei Männern. Neuere Arbeiten deuten darauf hin, dass der Anteil der männlichen Erkrankten an der Gesamtgruppe für die Anorexia nervosa bei ca. 25 % statt wie bisher angenommen bei unter 10 % liegt (Sweeting et al., 2015).

|6|Es ist davon auszugehen, dass die Prävalenz von Symptomen gestörten Essverhaltens bzw. von subklinischen Essstörungen in bestimmten Risikopopulationen mit besonders hohem Druck in Richtung einer schlanken Figur oder eines bestimmten Gewichts deutlich höher ausfällt. Typische Risikogruppen sind beispielsweise Tänzerinnen, Models, Jockeys, Ringer und Leistungssportler im Allgemeinen.

Anorexia nervosa beginnt typischerweise in der Adoleszenz. Pubertät und Adoleszenz mit den dazugehörigen Veränderungen im Körperbau und Gewicht stellen besondere Risikoperioden für die Entstehung der Störung dar. Der Erkrankungsbeginn kann mit einem belastenden Lebensereignis, z. B. dem Auszug aus dem Elternhaus einhergehen. Viele Erkrankte durchleben eine Phase restriktiven oder veränderten Essverhaltens, bevor die diagnostischen Kriterien vollständig erfüllt sind.

1.3  Verlauf und Prognose

Der Verlauf von Essstörungen erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre und ist sehr heterogen. Zum langfristigen Verlauf der Anorexia nervosa liegt inzwischen eine große Zahl von Studien vor. Allerdings ist die Beurteilung des langfristigen Verlaufs durch eine Fülle methodischer Aspekte beeinträchtigt: Die Stichprobenauswahl (z. B. klinische vs. Allgemeinbevölkerungsstichproben) variiert erheblich, ebenso die zugrunde gelegten Diagnosekriterien, Behandlungseffekte werden in der Regel nicht kontrolliert, die Follow-up-Zeiträume schwanken zwischen einem und 20 Jahren. Schließlich sind Kriterien für „Outcome“ ebenfalls sehr unterschiedlich, z. B. unterscheiden sich die jeweiligen Outcome-Kriterien erheblich in dem Ausmaß, in dem die jeweils spezifische Symptomatik (z. B. Gewicht, Menstruation, Erbrechen) und das globale psychosoziale Funktionsniveau in die Beurteilung des langfristigen Verlaufs eingeht. Dadurch ist eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse über einzelne Studien hinweg schwierig.

Auf dem Hintergrund dieser Einschränkungen kann man bei der Anorexia nervosa global davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der Patientinnen vollständig remittiert, während bei einem Drittel eine Restsymptomatik bestehen bleibt. Jede fünfte Patientin zeigt einen chronischen Verlauf (Sullivan, 2002). Nur zwei von drei Patientinnen erreichen langfristig ein angemessenes Gewicht.

Obwohl Prävalenz und Inzidenz der Anorexia nervosa vergleichsweise niedrig sind, ist die Anorexia nervosa die psychische Störung mit der höchsten Mortalitätsrate. Bis zu 10 % der Betroffenen versterben innerhalb von 10 Jahren nach der Ersterkrankung. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist die Mortalitätsrate um das fast Sechsfache erhöht (|7|Arcelus, Mitchell, Wales, & Nielsen, 2011). Die häufigsten Todesursachen sind Suizid, die direkten Folgen des Hungerns und Störungen durch Alkohol.