Anthroposophie – Revolution von innen - Kurt E. Becker - E-Book

Anthroposophie – Revolution von innen E-Book

Kurt E. Becker

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Beschreibung

Kurt E. Becker zeigt Leitlinien im Denken Rudolf Steiners auf: daß Denken Handeln ist, ein Tun, das in einem wechselwirkenden Prozeß an der Wirklichkeit sich entfaltet, ein Werden, das dem Individuum in einer steten, sich und die Welt in jeweils gleichem Maße einbeziehenden Erfahrung die Einsicht in die Einheit des Universums vermittelt. Der Mensch selbst wird durch diese anthroposophische Wirklichkeitsbewältigung zu einem selbst-bewußteren Leben geführt. Die ausführliche Lebenschronik Rudolf Steiners verdeutlicht die innere und äußere Wegbereitung der Anthroposophie anhand biographischer Daten und Fakten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Kurt E. Becker

Anthroposophie – Revolution von innen

Leitlinien im Denken Rudolf Steiners

FISCHER E-Books

Inhalt

Eva und Edwin Froböse [...]VorbemerkungI Anthroposophie – Revolution von innenWas wäre, wenn …Revolution von außenIm Zentrum des Universums: das IndividuumWeisheit vom MenschenDie Einheit der WeltEine Philosophie der FreiheitVita activa oder: Leben in der Liebe zum HandelnII Rudolf Steiner – Eine Lebenschronik, zusammengestellt von Hans-Peter SchreinerIII Die Rudolf Steiner-NachlaßverwaltungIV Systematische Übersicht über die Rudolf Steiner GesamtausgabeA. SchriftenI. WerkeII. Gesammelte AufsätzeIII. Veröffentlichungen aus dem NachlassB. VorträgeI. Öffentliche VorträgeII. Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen GesellschaftIII. Vorträge und Kurse zu einzelnen LebensgebietenC. Reproduktionen und Veröffentlichungen aus dem künstlerischen NachlaßKunstmappen und BändeEinzelblätter – farbige Drucke in OriginalgrösseSchulungsskizzen für MalerProgrammbilder für Eurythmie-AufführungenV Adressen anthroposophischer Institutionen

Eva und Edwin Froböse gewidmet, denen ich Eindrücke von einem menschlichen Miteinander danke, wie sie in ihrer geistigen und seelischen Intensität heute wohl nur noch aus dem positiven Abseits eines Zusammenwirkens von Kunst und Anthroposophie in den »Lebensvollzug« des modernen Menschen hineinvermittelt werden können.

Vorbemerkung

Was ist Anthroposophie?

Waldorf-Pädagogik, Camphill-Bewegung, biologisch-dynamischer Landbau, Eurythmie, – geläufige Schlagworte um heterogene Sachverhalte, allesamt basierend auf der Lehre Rudolf Steiners. Was aber steht hinter den Etiketten? Das vorliegende Bändchen zeigt Leitlinien im Denken Rudolf Steiners: die Idee zum Beispiel, daß Denken Handeln ist, ein Tun, das sich in einem wechselwirkenden Prozeß an der Wirklichkeit entfaltet, ein Werden, das dem Individuum in einer steten, sich und die Welt in jeweils gleichen Maßen einbeziehenden Erfahrung die Einsicht in die Einheit des Universums vermittelt. Und, indem dieser Prozeß des Denkens sich – ausgehend vom Wesenskern des Menschen – durch alle Dimensionen des Seins hindurchentwickelt, erfüllt er die Dinge dieser Welt mit lebendigem Geist – auch die an sich toten Ergebnisse jener äußeren Revolution, die den Menschen in ihren Bann geschlagen hat, der Technik.

Aber auch der Mensch selbst wird durch diese anthroposophische Wirklichkeitsbewältigung zu einem selbst-bewußteren Leben geführt: die außengesteuerte Mechanik des bloßen Lebensvollzugs, das Funktionieren nach den technokratischen Prinzipien der zivilisatorischen Megamaschine wird als prinzipiell lebensfeindlich entlarvt, ein genereller Kurswechsel angestrebt. Die Anthroposophie nimmt die Herausforderung der modernen Welt auf breitester Front ohne Vorbehalte an und erweist sich – indem sie die materiellen Produktionen jeglicher Art genauso wie die Vollzugsschablonen des modernen Daseins an ihren Ursprung, den Geist des Menschen, zurückbindet – als Revolution von innen, an deren Ende die Vergeistigung, und das ist: die Vermenschlichung, des Daseins stehen soll.

Den Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Anthroposophie aus diesem Blickwinkel gaben mir zahlreiche positive Reaktionen im Anschluß an ein »Abendstudio« des Südwestfunks, Baden-Baden, das ich unter der kenntnisreichen Obhut Gerhard Adlers im Frühjahr 1981 gestalten durfte. Auch das vorliegende Bändchen lehnt sich stellenweise an diese frühere Arbeit an.

Damals wie heute möchte ich mein Bemühen um die Anthroposophie Rudolf Steiners mit dem kleinstmöglichen Anspruch versehen, dem des subjektiven Erkenntnisgewinns. Es wäre freilich im Sinn des Autors, wenn auch der Leser von diesem Ansatz profitieren könnte.

Auf ein Überfrachten des Textes mit Fußnoten wird bewußt verzichtet. Offen ausgewiesen und als Anmerkung markiert sind lediglich die Zitate und Hinweise aus der Sekundärliteratur. Daß die Steiner-Texte korrekt wiedergegeben sind, mag der Leser der Redlichkeit des Autors zugutehalten.

Dank sei hier erstattet an meinen Freund und Kollegen Hans-Peter Schreiner, der einen Teil der von ihm für die gemeinsame Edition einer Steiner-Werkausgabe zusammengestellte Lebenschronik Rudolf Steiners zum Abdruck in diesem Bändchen zur Verfügung gestellt hat. Das Werden des Individuums Rudolf Steiner in Daten, Fakten und Zitaten chronologisch vorgestellt zu bekommen, trägt wesentlich zur Vervollständigung dieses Bändchens bei.

Annemarie Kuppler hat den Text auf Manuskript-Papier übertragen sowie das Personenregister vervollständigt – auch ihr gebührt Dank.

Emmendingen, im Februar 1984

KEB

I Anthroposophie – Revolution von innen

Was wäre, wenn …

»Lebensvollzug«: Kaum sonst irgendwo findet die allgemeine Lebensweise dieser Zeit einen angemesseneren Begriff. Das ist die letztendliche Summe jener scheinbar rationalen Reglementierungen, die unser Leben dominieren. Deren Herrschaft empfinden wir in aller Regel nur deswegen nicht als unerträglich, weil wir ihre Gesetzmäßigkeit von Kindesbeinen an zu verinnerlichen, als eigene, unserem Leben notwendig angehörige zu akzeptieren gelernt haben. Das Leben des Einzelwesens wird von diesen Gesetzmäßigkeiten ebenso durchdrungen wie das der Gesellschaft: das Individuum gehorcht rationalen Funktionsprinzipien, die Gesellschaft liefert die für dieses Funktionieren erforderlichen Strukturprinzipien. Und ohne die Aufrechterhaltung dieser Gesetzmäßigkeiten funktioniere gar nichts mehr – suggerieren die Wächter dieser Ordnung. Und sie werden in der Tat recht haben. An einer Ampel bei »Rot« anzufahren, um ein höchst banales Beispiel zu bemühen, kann fatale Konsequenzen nach sich ziehen. Wem wäre dies nicht bewußt? Und weil auch wir folglich von der Notwendigkeit dieser rationalen Reglementierungen überzeugt sind, sogar Bestrafungen bei Übertretung dieser Regeln hinnehmen, bekämpfen wir unseren gelegentlich aufkommenden Unmut ob unseres Lebensvollzugs zum Beispiel durch die narzißtische Inbesitznahme von Waren, wohl wissend, daß auch unser konsumistischer Kaufzwang nur ein Teil jener Mechanismen eines Ordnungssystems ist.

Was wäre, wenn wir aus diesem ursächlichen Verbund von Ordnungs- und Strafvollzug ist gleich Lebensvollzug ausbrächen? Nicht, daß wir es wirklich tun, scheint mir wichtig, sondern daß wir einfach einmal darüber nachdenken, was wäre wenn …

Was wäre, wenn wir diesem immer sinnloser werdenden Vollzugscharakter des modernen Lebens entgegensteuerten? Die Gegensteuerung initiiert durch eine simple Frage, die nach dem Sinn des Lebens. Wenn wir uns auf der Suche nach einer Antwort nicht a priori in die weitgeöffneten Arme der Priester, Pastoren, Prediger jedweder Ideologie, Konfession oder Kirche hineinwerfen, sondern uns bemühen, mit den Mitteln und Möglichkeiten des Geistes den Sinn des Lebens aus unserem individuellen Selbst herauszugestalten, dann bewegen wir uns auf »anthroposophischen« Pfaden. Dieser Überlegung wollen wir nachgehen.

Revolution von außen

Es war der Sozialphilosoph Arnold Gehlen, der auf die Außen-Innenverschränkung des Menschen verwiesen und für unsere heutige Zeit ein Überhandnehmen der Außensteuerung diagnostiziert hatte. Wir alle funktionieren nach einem äußeren, rational gelenkten Lebensrhythmus-Diktat, dessen Machtzentrum ehedem eine reine Überlebensgarantie der menschlichen Art war: nur mit Hilfe seiner Rationalität vermochte sich das »Mängelwesen Mensch« (Johann Gottfried Herder) in der Welt zu behaupten. Wissenschaft und Technik des heutigen Menschen sind im Keim bereits im Überlebens- und Sicherheitsbedürfnis des Urmenschen enthalten. »Der Prozeß der Zivilisation« (Norbert Elias) jedoch, der ja nichts anderes beschreibt, als die kulturgeschichtliche Wirkung des auf Überleben und Sicherheit ausgerichteten menschlichen Geistes, hat im Verlauf der Jahrhunderte eine Eigendynamik gewonnen, deren vorläufiger Kulminationspunkt in der möglichen Selbstvernichtung der menschlichen Art den existentiellen Ausgangspunkt dieses Prozesses in sein genaues Gegenteil verkehrt. Damit erweist sich ein scheinbar evolutionärer Prozeß in seiner letztendlichen Wirkung als revolutionär.

Diese Revolution von außen hat die Daseinsbedingungen des Menschen grundsätzlich verändert. So ist, um das markanteste Exempel herauszugreifen, die physische Existenz des Menschen heute an die paradoxe Bedingung eines zu sichernden Sicherheitsbedürfnisses gebunden. Und eben die Sicherung dieses Sicherheitsbedürfnisses erweist sich als problematisch. Denn das in tausenden von Nuklearsprengköpfen Gorgonengestalt gewordene Sicherheitsrisiko der Supermächte wird verwaltet durch das Risiko Mensch.

Jenes potentiell infernalische Gewaltinstrumentarium gehorcht den Gesetzmäßigkeiten, die sein Vorhandensein ermöglicht haben: es ist prinzipiell berechenbar. Ganz anders dagegen der Mensch. Dessen Unberechenbarkeit, essentielles Spezifikum seiner Art, signalisiert Gefahr. So sind wir heute mit jener paradoxen Situation konfrontiert, daß das Menschliche Auslöser einer potentiellen Vernichtung der Art zu sein vermag. Und – groteskerweise – je berechenbarer diese Revolution von außen diese Welt macht, desto unberechenbarer wird der Mensch, desto größer wird somit die Gefahr für die Menschheit. Die alte Welt der Religionen band den Menschen an einen Gott, das Menschliche fand in einem glaubensgetragenen Kosmos seine Zuordnung in einer metaphysischen Entität. Das Individuum in einer durch die Wissenschaft »entzauberten Welt« (Max Weber) ist demgegenüber auf sich selbst reduziert, letzte Zerspaltungseinheit in einem analytischen Prozeß universalen Zuschnitts. »Gott ist tot« (Friedrich Nietzsche), der Mensch ist folglich sich selbst Ziel seines Wollens. Was die Alten als ethisches Postulat formulierten, ist heute existentielle Realität: Der Mensch ist das Maß aller Dinge. In dieser Reduktion liegen Chance und Gefahr zugleich. Unter Verweis auf diese Gefahr vermag Rudolf Steiners Anthroposophie die Chance zu nutzen.

Im Zentrum des Universums: das Individuum

Erkenntnismäßige Rückseite jenes an die Ergebnisse naturwissenschaftlichen Forschens gebundenen »Protagoranismus« (Bertrand de Jouvenel) ist die prinzipielle Gleich-Gültigkeit alles Materiellen. Wenn der Mensch das Maß aller Dinge ist, dann erfährt auch alles Materielle eine Wertung in und durch den Menschen. Dies betont auch Rudolf Steiner: »Nichts ist an sich gut von dem, was die moderne Menschheit heute in einem gewissen Übermut und Hochmut als ihre größten Errungenschaften hinstellt. Erst dann wird es gut, wenn es durchgeistigt wird.«

Alle vom Vorhandensein eines Materiellen abhängigen Kulturprodukte des Menschen bedürfen der Rückbindung an den Ort ihres Entstehens, den menschlichen Geist. Dies gilt für den Nuklearsprengkopf der Interkontinentalrakete genauso, wie es für das Stückchen Zucker im Frühstückskaffee oder das Einfamilienhaus am lauschigen Waldrand gilt. Durch die rein subjektive Bewertung wird sogar die sommerliche Mückenplage im Falle des letzteren relativiert und für den Nuklearsprengkopf gilt, was Robert M. Pirsig seinem zum Kultbuch avancierten Erstlingsroman Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten[1] anvertraut hat: »Flucht vor der Technik, der Haß auf sie, ist selbstzerstörerisch. Die Gottheit wohnt in den Schaltungen eines Digitalrechners oder den Zahnrädern eines Motorradgetriebes ebenso bequem wie auf dem Berggipfel oder im Kelch einer Blüte. Wer das nicht wahrhaben will, erniedrigt Gott und sich selbst.«

Die Dinge müssen durch den Menschen hindurch, sie müssen durchdacht, an den individuellen Geist zurückgebunden sein. Dadurch wird ihre Gleich-Gültigkeit aufgehoben; sie treten dann in eine Wertbeziehung mit dem Menschen und die Summe dieser Wertbeziehungen ordnet die stumme Unendlichkeit eines unfaßbaren, gleichgültigen Universums zu einem sinnvollen Kosmos.

Rudolf Steiners Denken geht ganz auf in diesem »Geistesgang des Abendlandes« (Friedrich Hiebel). Ergebnis dieses Nach-Denkens unabänderlichen Erkenntnisstrebens ist das individuelle Selbst als Nucleus des Universums und Ausgangspunkt eines durch den Menschen hindurchgehenden subjektiven Entwurfs der Welt: Anthroposophie.

Diese Anthroposophie ist zunächst perspektivisch eingeschränkt als prognostische Situationsanalyse der menschlichen Lebensbedingung im 20. Jahrhundert zu verstehen. Rund sechzig Jahre vor Erich Fromms Anatomie der menschlichen Destruktivität[2] verweist Rudolf Steiner die Zuhörer seines Vortrags über »Charakteristische Seiten neuzeitlicher Geschichtssymptome« auf den nekrophilen Charakter der modernen Technik, jener bedeutsamsten Umsetzung naturwissenschaftlichen Denkens in materielle Realität: »Dann aber schafft die moderne Menschheit in die soziale Ordnung hinein Ergebnisse der Experimentierkunde als Technik: Totes. Und das ist das Wesentliche: Totes schaffen wir hinein in die Kolonisationsbestrebungen, Totes schaffen wir hinein, wenn wir für die Industrie unsere Maschinen bauen. Aber nicht nur dann, sondern wenn wir unsere Arbeiter in einer gewissen sozialen Ordnung zu diesen Maschinen hinzubringen. Totes schaffen wir hinein in unsere neuere geschichtliche Ordnung, indem wir unsere Finanzwirtschaft über kleinere oder größere Territorien ausbilden. Totes schaffen wir hinein, wenn wir eine soziale Ordnung überhaupt nach dem Muster der modernen Naturwissenschaft aufbauen wollen, wie es instinktiv die moderne Menschheit getan hat. Totes schaffen wir überall hinein in das menschliche Zusammenleben, wenn wir Naturwissenschaft hineinschaffen in dieses menschliche Zusammenleben, Totes, sich selbst Ertötendes.«

Wenig später fragt Steiner seine Zuhörerschaft: »Wenn moderne Technik Keim des Todes nur ist, … warum trat diese moderne Technik in Erscheinung?«

Dies scheint in der Tat eine jener Kardinalfragen zu sein, die den heutigen Menschen bewegen. Die Revolution von außen – eine Revolution des Toten? Erich Fromm macht den Zusammenhang deutlich: »Der Wahlspruch der Falangisten ›Lang lebe der Tod‹ droht zum geheimen Prinzip einer Gesellschaft zu werden, in der der Sieg der Maschine über die Natur den Inbegriff des Fortschritts auszumachen scheint und in der der lebendige Mensch zum Anhängsel der Maschine wird.«[3]

Der Mensch als Anhängsel der Maschine, dies wäre die totale Außensteuerung alles Menschlichen. Auch Rudolf Steiner weist darauf hin: »In keiner Kultur haben die Menschen jemals so im Äußerlichen gelebt wie gerade in unserer.«

Eine Gegensteuerung ist erforderlich, damit der Mensch sein Gleichgewicht zurückgewinnt, »der Verlust der Mitte« (Hans Sedlmayr) ausgeglichen werden kann. Rudolf Steiners Anthroposophie wirkt gegensteuernd in eben diesem Sinn als Revolution von innen, bewertet dabei die real existierenden Fakten in aller Sachlichkeit. Mehr noch: als Selbstverständlichkeit auf dem Weg zum Gleichgewicht und gar als Notwendigkeit für eine Weiterentwicklung des Menschen. Goethes Steigerungsgedanke findet sich in Rudolf Steiners Überlegungen ebenso wieder, wie sie Erich Fromms Revolution der Hoffnung[4] vorwegnehmen. Letztendlich bestätigt wird Steiner durch die bereits angeführte These Arnold Gehlens von der Außen-Innenverschränkung des Menschen: »Die Verschränkung oder Vermischung dessen, was von innen, und dessen, was von außen kommt, geht beim Menschen unendlich tief und wohl bis in den Kern der Substanz.«[5]

Diese vermutete Außen-Innenverschränkung des Menschen liegt auch Rudolf Steiners Überlegungen zugrunde: das Innen des Menschen und das Außen der vom Menschen geschaffenen kultürlichen Welt bedingen einander wechselwirkend. Mit dem Anwachsen der Erkenntnis des einen wächst auch die Erkenntnis des anderen. Konkret auf die Situation des Menschen bezogen bedeutet dies: (die moderne Technik) »trat in Erscheinung gerade wegen ihres zum Tode führenden Charakters, weil nur dann, wenn der Mensch hineingestellt ist in eine tote, mechanische Kultur, er durch den Gegenschlag die Bewußtseinsseele entwickeln kann. Solange der Mensch hineingestellt war in ein Zusammenleben mit der Natur, ohne daß die Maschinen hineingestellt waren, solange wurde er geneigt gemacht zu einer gewissen suggestiven Behandlung, weil er bis zu einem gewissen Grade betäubt wurde. Man konnte nicht ganz auf sich selbst sich stellen, als man noch nicht in den Tod hineingestellt war. Auf sich selbst gestelltes Bewußtsein und Todbringendes ist innig miteinander verwandt.«

Mit dem Annehmen dieses »religare« eignet sich Rudolf Steiners Anthroposophie außer dem Begriff auch den Gegenstandsbereich aller Religion und Theologie an, weil der mit der Weiterentwicklung des Menschen verbundenen Harmonisierung alles Bestehenden im Verständnis der Anthroposophie eine übersinnliche Qualität zukommt. Nichts anderes als die Fähigkeit zur Erlangung übersinnlicher Erkenntnisse meint Steiner nämlich, wenn er von der »inneren Entwickelung des Menschen« spricht. Mit dieser Forderung nimmt die Anthroposophie sich selbst zutiefst beim Wort. Steiners Entwurf der Welt beschränkt sich nicht nur auf das sinnlich Wahrnehmbare, er ordnet das Universum synchronisch wie diachronisch vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Offensichtlichen bis hin zum Geheimnisvollsten. Ganz bewußt sucht Steiner mit dieser Sinndurchdringung physischer wie metaphysischer Welten die Konfrontation mit der institutionalisierten Religion: »Es ist doch wahrlich sonderbar, daß die Pfarrer jeden Tag die Geheimnisse derjenigen Welt enthüllen dürfen, über die der vorurteilslose Denker sorgsames Schweigen sich auferlegen soll. Je feiger die Philosophie ist, desto kühner ist die Theologie.«

Freilich: Steiner spricht, schreibt, denkt, arbeitet und lebt weder mit dem Anspruch des Theologen, noch mit dem des Philosophen – sein Selbstverständnis ist das des Wissenschaftlers.

Weisheit vom Menschen

Die Antwort auf die Frage, was der Mensch sei, was er wissen kann, tun soll, hoffen darf, ist immer Kern jeder Weltanschauung und Philosophie. Wieviel mehr muß dies für eine Lehre gelten, die die »Menschenweisheit« ihr eigen nennt. Um den Menschen herum werden die Gedanken aller Philosophie gesponnen, und jede Theorie ist letztlich perspektivisch in irgendeiner Art und Weise auf den Menschen bezogen. Dies gilt auch für jedwede Art von Erkenntnis – sei sie nun als Produkt oder als Prozeß zu verstehen. Mit eben der Erkenntnis wollen wir uns nun beschäftigen. Mit dem der Anthroposophie eigenen Erkenntnisweg. Mit der Frage somit, wie die Anthroposophie ihr Bild vom Menschen gewinnt. Über dieses »Wie« im Sinne der Anthroposophie schreibt Rudolf Steiner: »Anthroposophische Geisteswissenschaft beruht darauf, daß anerkannt wird, wie hinter der sinnlich-physischen Welt und mit dieser innig verwoben eine geistig-übersinnliche steht, aber auch darauf, daß der Mensch in der Lage ist, durch Entwickelung gewisser Erkenntniskräfte zu einer Einsicht zu kommen in diese mit der Sinneswelt verwobene übersinnliche Welt.«