Arbeit Macht Missbrauch - Lena Marbacher - E-Book

Arbeit Macht Missbrauch E-Book

Lena Marbacher

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Beschreibung

Machtmissbrauch ist kein Einzelfall, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir alle sind daran beteiligt. In ihrer Gesellschaftskritik geht die Journalistin und Autorin Lena Marbacher der Frage nach, wie wir das ändern können. Machtmissbrauch hat zunächst weder mit Geschlecht noch mit einer bestimmten Branche zu tun. Aus allen Bereichen der Gesellschaft – ob Politik, Gastronomie, Startups, Sport, Theater, Pflege, Ehrenamt, Polizei oder Wissenschaftsbetrieb – kommen immer mehr Fälle an die Öffentlichkeit. Besprochen werden sie bislang lediglich branchenspezifisch und meist als Einzelfälle. Das Problem, so Lena Marbacher, liegt aber im System von Arbeit und Gesellschaft. Die Bedingungen, die Machtmissbrauch ermöglichen, sind fast immer die gleichen. Ein duldendes Umfeld ist eine davon. Lena Marbacher setzt etliche Fälle zueinander in Bezug und klärt über die Strukturen von Machtmissbrauch auf. Ihr Anliegen ist es aufzuzeigen, wie die Verhältnisse in Gesellschaft und Organisationen zu machtmissbräuchlichem Verhalten führen und wie man sie ändern kann.

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Seitenzahl: 335

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Lena Marbacher

Arbeit Macht Missbrauch

Eine Gesellschaftskritik

 

 

Über dieses Buch

 

 

Machtmissbrauch hat zunächst weder mit Geschlecht noch mit einer bestimmten Branche zu tun. Aus allen Bereichen der Gesellschaft – ob Politik, Gastronomie, Start-ups, Sport, Theater, Pflege, Ehrenamt, Polizei oder Wissenschaftsbetrieb – kommen immer mehr Fälle an die Öffentlichkeit. Besprochen werden sie bislang lediglich branchenspezifisch und meist als Einzelfälle. Das Problem, so die Journalistin und Autorin Lena Marbacher, liegt aber im System von Arbeit und Gesellschaft. Die Bedingungen, die Machtmissbrauch ermöglichen, sind fast immer die gleichen. Ein duldendes Umfeld ist eine davon.

Lena Marbacher setzt etliche Fälle zueinander in Bezug und klärt über die Strukturen von Machtmissbrauch auf. Ihr Anliegen ist es aufzuzeigen, wie die Verhältnisse in Gesellschaft und Organisationen zu machtmissbräuchlichem Verhalten führen und wie man sie ändern kann.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Lena Marbacher, geboren 1981, ist freie Journalistin, schreibt u. a. für »Der Freitag« und ist Co-Autorin des Bestsellers »Unlearn Patriarchy« mit einem Text über Arbeit. Sie ist mittlerweile ausgeschiedene Mitgründerin des Wirtschaftsmagazins »Neue Narrative« und des dazugehörigen Verlags NN Publishing GmbH. Davor war sie Gesellschafterin einer selbstorganisierten Unternehmensberatung. Sie spricht als Expertin über die Zukunft der Arbeit vor Vertreter*innen der Politik und Wirtschaft und auf Konferenzen. Promoviert hat sie in Kunst und Design an der Bauhaus-Universität Weimar. Lena Marbacher lebt in Berlin.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2024 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

Covergestaltung: Grafikladen Berlin

ISBN 978-3-10-491996-6

 

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Inhalt

Die Annäherung

Teil 1 Die Macht

Die Machterfahrung

Die Autorität

Die Machtformen

Die organisationelle Macht

Die soziale Ordnung

Die Arbeit

Teil 2 Die Betroffenen

Die Sprachlosigkeit

Die Schuldumkehr

Die Zweifel

Die Opferwerdung

Die Lieblingsopfer

Die Fragilität

Teil 3 Die Täterinnen und Täter

Der Respekt

Die Erklärungen

Die Wiederholungen

Die Stellungnahmen

Die Integration

Teil 4 Die Institutionen

Die Organisationen

Die Formalstruktur

Die Funktionssysteme

Die Kultur

Die Hierarchie

Die Abflachung

Die Werte

Der Fachkräftemangel

Der Profit

Die Vielfalt

Teil 5 Das Wir

Die Liegestühle

Die Solidarität

Das Sicherheitsdilemma

Die Berichterstattung

Teil 6 Die Konsequenzen

Die Positionierung

Die totale Organisation

Die Balance

Die Evaluierung

Die Akten

Die Belohnung

Die Workshops

Der Verhaltenskodex

Das Recht

Der Ausblick

Danksagung

Anmerkungen

Die Annäherung

Jede Person, mit der ich für dieses Buch sprach, fragte ich, was für sie Machtmissbrauch ist. Eine Frau Anfang 30, die in der Spitzengastronomie arbeitet, erzählt mir eine Geschichte, um sich einer Definition zu nähern. Gerade vor zwei Tagen war sie vormittags, bevor sie zur Arbeit ging, beim Sport. Wassergymnastik. Während der Stunde nahm sie wahr, dass die Trainerin, die am Beckenrand stand, sie relativ oft ansprach und freundlich korrigierte. Weil sie das erste Mal in dem Kurs war, fand sie das nicht ungewöhnlich. Als die Stunde vorbei war und die Teilnehmenden verabschiedet wurden, bat die Trainerin meine Gesprächspartnerin, kurz zu warten, damit sie ihr noch etwas erklären könne. Sobald sie allein waren, sagte die Trainerin, dass sie ihr gefalle: »Du hast einen sehr schönen Körper.« Meine Gesprächspartnerin war überrascht und irritiert. Sie lächelte den Kommentar weg, obwohl er ihr unangenehm war, und stieg aus dem Becken. Dann ging sie zu den Duschen. Auf dem Weg zur Umkleide, nur in ein Handtuch gehüllt, begegnete sie der Trainerin erneut und beeilte sich, schnell von dort wegzukommen. Danach fuhr sie zur Arbeit. Weil das Erlebte sie immer noch beschäftigte, erzählte sie einem Kollegen davon. »Ist das sexuelle Belästigung, obwohl es eine Frau war?«, fragte dieser sie darauf. »Ja!«, schnellte es aus ihr heraus.

Im Laufe meiner Recherche erlebe ich häufiger, dass Betroffene und Umstehende um eine Definition von Machtmissbrauch ringen. Die Betroffenen können in der Rückschau oft sehr genau sagen, an welchem Punkt ein Verhalten ihnen gegenüber ehrverletzend, übergriffig oder belästigend wurde. Männer, Frauen und non-binäre Menschen erzählen mir Geschichten über Diskriminierungen, Belästigungen, Schikanierungen, körperliche Gewalt. So gut wie alle sind sich darin einig, dass die psychischen Verletzungen am schlimmsten waren: die Beschämung, die Selbstanklage, die Opferwerdung, die Angst und das Gefühl, alleine zu sein. Was personenbezogener Machtmissbrauch ist, weiß jede Person, die ihn erlebt hat. Darum geht es in diesem Buch. Nicht um Korruption, Entwendung von Geldern oder Steuerhinterziehung. Nicht um Hubschrauberflüge von Politikerinnensöhnen, private Dinnerpartys auf Firmenkosten oder millionenschweren Krankenkassenbetrug.[1] Personenbezogener Machtmissbrauch fängt da an, wo empfundene Freiwilligkeit aufhört. Wo eine Professorin ihrer – von ihr abhängigen – wissenschaftlichen Mitarbeiterin wiederholt sagt, dass sie »Analphabetin« sei und in Psychotherapie gehöre.[2] Wo eine Theaterschauspielerin von einem Intendanten während der Proben unangemessen intim berührt wird.[3] Wo eine Schwarze Patientin keine Schmerzmittel bekommt, weil Schwarze Menschen angeblich weniger Schmerzempfinden hätten.[4] Wo eine Jugendliche von einem Arzt bei der Untersuchung vergewaltigt wird.[5] Wo ein behinderter Mann gegen seinen Willen in einem Zimmer eingesperrt wird.[6] Wo ein Kollege seiner Kollegin beständig vermittelt, sie sei unfähig.

Oder sind die beschriebenen Situationen keine Fälle von Machtmissbrauch? Für viele Menschen ist das diskutabel: Diejenigen, die der Übergriffigkeit beschuldigt werden, sind erwartungsgemäß häufig der Meinung, dass ihr Verhalten legitim war, dass die andere Person es so wollte, dass es nur Kritik, nicht so gemeint oder gar Ausdruck von Verehrung war. Manche Beschuldigte bekräftigen, die betroffenen Personen hätten sich in dem Moment nicht beschwert. Nicht Machtmissbrauch, sondern Missverständnis also. Solange ein Verhalten nicht als problematisch empfunden wird, gibt es auch kein Problem, könnte man meinen. Machtmissbrauch wird es erst, wenn Menschen ein Verhalten ihnen gegenüber als dermaßen grenzüberschreitend empfinden, dass sie sich in ihrer Intimität, ihrer Psyche oder Physis eingeschränkt, bedroht, verletzt oder bedrängt erleben. Oder? Kann die eine Profisportlerin von einem Physiotherapeuten im Genitalbereich berührt werden und die Berührung als Machtmissbrauch bezeichnen und die andere nicht? Ja. Kann beides wahr sein? Ja. Ob etwas Machtmissbrauch ist, liegt zuallererst am Empfinden der betroffenen Person und erst dann an der geprüften Einschätzung durch eine unabhängige Instanz.

Eine Organisation hat die Pflicht, die Gesundheit ihrer Mitglieder zu schützen. Kommen Mitglieder im Rahmen ihrer Organisation oder Kunden und Kundinnen durch sie zu Schaden, ist die Organisation verpflichtet, Vorwürfe eingehend und sensibel zu prüfen. Auch wenn die Betroffenen selbst den Vorfall weniger radikal sanktionieren würden oder ihn vielleicht nicht als Machtmissbrauch erkennen. Im Fall von Schutzbefohlenen spielt das eine wichtige Rolle. Die Organisation muss sicherstellen, dass sich ein entsprechender Vorfall nicht wiederholt. Gleichsam darf sie selbst nicht übergriffig gegenüber Betroffenen und Beschuldigten sein. In der Realität wirken diese beiden Anforderungen manchmal gegeneinander. Viel häufiger aber werden Betroffene unsensibel behandelt oder als lästig abgetan. In einem Fall von sexuellem Machtmissbrauch in der evangelischen Kirche soll eine »kirchliche Ermittlungsführerin Betroffenen vorgerechnet haben, wie teuer es würde, wenn der mittlerweile pensionierte Dieter K. sein Ordinariat und somit seine Pension verlöre, weil dann nämlich staatliche Versicherungsbeiträge in sechsstelliger Höhe nachgezahlt werden müssten«.[7]

Neben der in den letzten Jahren häufig gestellten Frage: Was darf man denn jetzt eigentlich noch sagen? wird im Zusammenhang mit Machtmissbrauch auch diese aufgeworfen: Kann jetzt jede Kritik als Machtmissbrauch gelabelt werden? Die Frage ist tatsächlich interessant. Sie zeigt an, dass es nicht nur eine Frage des Rechts, sondern auch eine Frage gesellschaftlicher Normen ist, was als Machtmissbrauch gelten darf und was nicht. In ihr schwingt das Bedürfnis nach einem Kriterienkatalog mit, in dem machtmissbräuchliches Verhalten beschrieben und eindeutig zu bestimmen ist. Auch um klarzustellen, was alles nicht Machtmissbrauch ist. Die Frage übersieht jedoch die Komplexität von Macht und Menschen. Dennoch soll sie beantwortet werden: Natürlich kann Kritik als Machtmissbrauch empfunden werden. Solange sie aber nicht beweisbar gelogen, ehrverletzend, diskriminierend oder körperlich ist, ist sie strafrechtlich nicht relevant. Aber wäre nur das Verhalten Machtmissbrauch, was rechtlich Bestand hat, also wofür Täterinnen und Täter tatsächlich rechtlich belangt werden können, das Problem wäre deutlich kleiner. Machtmissbrauch beginnt häufig subtil. Fast unbemerkt werden Verhaltensweisen Stück für Stück immer übergriffiger. Erst fühlt es sich an wie Kritik. Dann wie eine Frechheit. Dann beschämend. Die Betroffenen werden immer unsicherer und denken, sie seien tatsächlich unfähig. Das nennt man Manipulation in Form von Gaslighting. Über Wochen oder Monate wird daraus Mobbing. Betroffene erkennen das oft erst, wenn sie Abstand vom System haben, in dem der Machtmissbrauch stattfand.

Eine eindeutige Definition von Machtmissbrauch ist deshalb schwer möglich, weil Vorfälle unterschiedlich interpretierbar sind, auch abhängig davon, ob sie in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Aber es gibt noch eine ganz andere Perspektive, die die empörte Frage, ob denn jetzt alles als Machtmissbrauch angesehen werden kann, vernachlässigenswert macht: Würde Machtmissbrauch in all seinen Facetten in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, wäre seine Feststellung weniger stigmatisierend. Die Tabuisierung von machtmissbräuchlichem Verhalten erzeugt nachvollziehbarerweise Abwehr und Scham bei Beschuldigten und Betroffenen. Scham hält eine Gesellschaft angeblich zusammen und erzeugt soziale Erwartungen. Der Effekt der Tabuisierung und Beschämung von Machtmissbrauch ist aber auf der einen Seite, dass vor allem die Betroffenen beschämt werden, wenn sie es wagen, Vorfälle zu benennen, und auf der anderen Seite, dass die Beschuldigten alle Vorwürfe von sich weisen, um nicht schuldig zu sein. Denn allein die Schuldzuweisung von Machtmissbrauch ruft gesellschaftliches Raunen hervor. Insbesondere dann, wenn die Beschuldigten angesehene Mitglieder der Gesellschaft sind.

Machtmissbrauch findet ständig statt, soll aber nicht sein – da sind sich alle einig. Betroffene, aber auch Beschuldigte werden gesellschaftlich deshalb isoliert. Scham zeigt an, was in welchem Kontext sozial anerkannt ist und was nicht. Das bedeutet eben auch, dass Scham ein Instrument sozialen Ausschlusses ist. Um ein gesellschaftliches Problem zu lösen, muss man sich allerdings ausgiebig mit ihm befassen, es breit und öffentlich diskutieren. Tun wir das nicht, bereiten wir Machtmissbrauch erst recht den Boden, denn seine Enttabuisierung beugt ihm vor. Machtmissbrauch kann massiv und weniger massiv sein. Nicht immer ist das abhängig von der juristisch eingeschätzten Schwere einer Tat, sondern auch von der Bewältigungsfähigkeit und -möglichkeit der Betroffenen. Die eine Person empfindet eine Diskriminierung als nicht der Rede wert, die andere ist zutiefst traumatisiert. Die Würde eines Menschen ist unantastbar, steht in unserer Verfassung. Machtmissbrauch bricht zuweilen damit.

Um die Formen und Wirkungen von Macht und Machtmissbrauch erkennen und benennen zu können, braucht es Wissen. Organisationen sollten die Dynamiken von Macht kennen, um sie kontrollieren zu können. Wir alle brauchen dieses Wissen, um uns und andere schützen zu können. Dieses Buch möchte einen Beitrag dazu leisten.

Teil 1Die Macht

Mein Klassenlehrer stand beim Klingeln zum Ende der großen Pause immer in der Tür des Schulgebäudes und rief uns lachend zu sich. Unter seinen Armen waren riesige Schweißflecken zu sehen. Er war ein freundlicher Mann, der viel schwitzte. Das sei wegen einer Krankheit, erklärte er uns einmal und zeigte uns einen elektronischen Kasten, den er tragen musste, um irgendwelche Daten seines Körpers zu sammeln. Wir Kinder rannten vom Hof zu unserem Lehrer. Das mussten wir, wenn wir pünktlich zurück im Klassenzimmer sein wollten. Einen anderen Weg als an ihm vorbei gab es nicht. Während wir auf ihn zurannten, ging unser Klassenlehrer in die Hocke und breitete lachend die Arme aus. Er fing uns ab und drückte jeden von uns fest an sich. An seine schweißnassen Achseln. Nach einem Moment gab er uns wieder frei. Dann, wenn das nächste Kind angerannt kam, das er in den Arm nehmen konnte. So ging das jeden Tag. Ich hasste es. Und widersetzte mich den Umarmungen. Ich wurde aufmüpfig. In meinem Zeugnis stand später: »Lena ist ein sehr impulsives Mädchen und neigt zur Schwatzhaftigkeit.« Beides stimmte. Mein Lehrer bestrafte mich dafür und schickte mich vor die Tür. Dort stand ich oft und wartete, bis ich wieder reindurfte. Und schwatzte weiter. Später drohte er mir, mich in eine andere Klasse versetzen zu lassen. Meine Mutter stellte mich zur Rede. Ich erzählte ihr nicht von den Umarmungen und den Schweißflecken. Ich konnte das nicht wirklich einordnen, aber dass der erzwungene Körperkontakt unangemessen war, fühlte ich. Er wich ab von dem Verhalten anderer Lehrer, die uns nicht umarmten, wenn sie es wollten. Mein Klassenlehrer aber tat das jeden Tag. Das Erdulden der Umarmungen war wie eine Art Wegezoll, den wir zahlen mussten, um sanktionsfrei in die Klassenräume zu gelangen. Weil ich meinem Lehrer untergeben und anvertraut war, weil ich ihm Achtung entgegenbrachte und auf seine Anerkennung angewiesen war, um in der Schule bestehen zu können, sprach ich nicht über mein Unbehagen und mein Empfinden, dass erzwungene Umarmungen nicht zum Aufgabengebiet eines Klassenlehrers gehörten.

Ich hatte wie jedes Kind gelernt, dass Erwachsene recht haben, weil sie erwachsen sind, auch wenn sie etwas taten, was ich nicht wollte. Ich war nicht nur unmündig aufgrund meiner fehlenden Volljährigkeit. Ich war unmündig im Sinne fehlender Sprachfähigkeit. Ich war unmündig durch Bevormundung. Ich sagte meiner Mutter also nur, dass ich den Lehrer nicht mochte. Sie sagte, sie könne das verstehen und ob ich mich nicht dennoch etwas zusammenreißen wolle. Es sei ja nicht mehr lang. Der drohende Verlust meines sozialen Umfelds, der Zugehörigkeit zu meinen Mitschülerinnen und Mitschülern, sorgte dafür, dass ich mich fügte. Ich wurde vor die Wahl zwischen Freundinnen und Einsamkeit gestellt – und blieb. Freiwillig? Das ist eine mögliche Interpretation: Ich hätte schließlich in eine andere Klasse gehen können. In eine andere Schule. Nur die Schule gänzlich verlassen konnte ich nicht. Wegen der Schulpflicht.

Die Machterfahrung

Was Macht ist, lernen wir als Kinder. Durch Eltern, Erziehungsberechtigte und andere Erwachsene, denen wir unterstellt sind. Jedes Kind lernt seine eigene Verletzlichkeit dadurch kennen, dass Erwachsene in seine Autonomie eingreifen, um es etwa vor einem vorbeifahrenden Auto oder anderen Gefahren zu schützen. Ein Kind »fesselt sich an die Zuwendung und an die Anerkennungen Erwachsener, es richtet sich ein in einer von anderen hergestellten Welt. Die Empfindung der eigenen Unterlegenheit ist Teil des sozialen Wissens aller Kinder«, so der Soziologe Heinrich Popitz. »Wo Menschen Kinder pflegen, heranziehen, üben sie intentional und mit hoher Überlegenheit Macht aus.«[1]

Mein Lehrer wollte mich aus der Klasse haben, weil ich ihn zusehends nervte. Meine Abwehr gegen seine Umarmungen fand nicht nur körperlich und im Augenblick seiner Grenzüberschreitung statt, sondern setzte sich fort bis in das Klassenzimmer hinein. Ich sprach im Unterricht noch mehr dazwischen, ich widersetzte mich seinen Aufgabenstellungen, ich machte schlechte Stimmung und gab ihm freche Antworten. Auf seine Grenzüberschreitung reagierte ich mit meiner. Als er mich schließlich in eine andere Klasse versetzen wollte, wusste ich, dass ich ihn so weit getrieben hatte. Es war fast ein Gefühl des Triumphes. Der Triumph einer Zehnjährigen. Hatte ich auch Macht? Wollte mein Lehrer von seiner Schülerin anerkannt werden, weil er ein guter Lehrer sein wollte? War seine Androhung, mich aus der Klasse auszuschließen, ein Eingeständnis dieses Anerkennungsverlustes? War das Ausnutzen seiner Macht ein Zeichen von Hilflosigkeit? Selbst wenn Empfindungen dieser Art auf seiner Seite eine Rolle gespielt haben könnten – die Machtverhältnisse, in denen ich mich befand, unterstellten mich eindeutig ihm und niemals meinen Lehrer mir. Er befand sich als Lehrer in der Rolle eines gesellschaftlich anerkannten Berufs. Sein Job war die verantwortungsvolle Bildung und Erziehung von Kindern. Lehrende erklären Kindern die Welt, sagen ihnen, was richtig und falsch ist, bewerten ihre Leistungen, ihr Verhalten und ordnen sie im Vergleich zu anderen ein. Lehrende sind Autoritätspersonen für schulpflichtige Kinder. Von ihnen anerkannt zu werden, ist essenziell, weil ein erheblicher Teil der Bildungskarriere von dieser Anerkennung abhängt. Die letzte mögliche Machtausübung meines Lehrers über mich war die Empfehlung für die weiterführende Schule. Ich erinnere mich, wie er sagte, er sei unsicher, ob ich für das Gymnasium geeignet sei. Er fragte meine Mutter, was sie darüber denken würde. Mein Lehrer zeigte sich unentschlossen. Die Macht, die Entscheidung zu treffen, hatten letztlich meine Eltern – nicht ich.[2]

Wie sich Machtausübung und auch Machtmissbrauch anfühlt, gehört zu den frühkindlichen Erfahrungen, die wir sammeln. Durch sie lernen wir, was Unterdrückung, Zwang, Bestrafung, Belohnung und Gewalt sind:

Wir müssen essen, was auf den Tisch kommt.

Wir bekommen ein Zäpfchen in den Arsch.

Wir werden aufs Zimmer geschickt, weil wir laut waren.

Wir bekommen etwas nicht, bis wir aufräumen.

Wir dürfen bei etwas mitmachen, wenn wir uns fügen.

Über jede und jeden von uns wurde im Kindesalter Macht durch Erwachsene ausgeübt, mitunter gewaltvoll. Im besten Fall geschah das zu unserem Wohl. Wahrscheinlich aber auch manches Mal auf unfaire Weise, aus Überforderung, Eigennutz oder mangelnder Geduld der Machtausübenden. Durch derlei Erlebnisse haben wir zumindest unbewusst gelernt, wie Machtausübung funktioniert. Wir probieren uns schon als Kinder selbst darin aus, z.B. gegenüber unseren Geschwistern, Mitschülerinnen und Mitschülern oder als lebendig imaginiertem Spielzeug, das wir beschimpfen, bestrafen, belohnen und vor Wut in die Ecke werfen.

Die Autorität

Erwachsene gestalten die Welt und ihre Regeln, in der Kinder sich zurechtfinden müssen – aber auch wollen. Es ist dieses Streben nach Anerkennung, »mit dem wir Autoritätswirkungen überhaupt erst erzeugen und die Bindung an Autoritätspersonen hervorbringen«.[1] Das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene (wenn auch in geringerem Maße). Wem Anerkennung gebührt, wird im sozialen System der Gesellschaft festgelegt. Prestige und Autorität werden traditionell bestimmten Personengruppen und institutionellen Rollen zugeschrieben: dem Pfarrer oder Priester, dem Lehrer, dem Arzt, dem Professor, dem Wohltäter, dem Herrscher, dem Helden. Oder anders: dem Erfolgreichen, dem Gebildeten, dem Reichen, dem Weißen, dem Starken, dem Mann. Dass es heute auch die Professorin ist, die Prestige genießt, bedeutet, dass sich unsere gesellschaftliche Bewertung davon, wem Autorität gebührt, mit den Jahrzehnten verändert hat. Diese Veränderungen geschehen insbesondere in demokratischen Gesellschaften langsam, weil kein Autokrat und keine Autokratin von oben anordnen kann, wem wir Autorität zu verleihen haben. Gesellschaften wie unsere sind deshalb auf Aushandlungsprozesse angewiesen, um die Traditionen dessen, was wir als anerkennungswürdig empfinden, zu verändern. Frauen haben heute so viel Macht und so viele Rechte wie nie zuvor. Jedes einzelne wurde mühsam von ihnen erkämpft. Im direkten Vergleich wird einer Professorin gegenüber einem Professor aber nach wie vor weniger Autorität verliehen. Hat der Professor jedoch beispielsweise eine Schwerbehinderung, ändert sich wahrscheinlich das Maß an Anerkennung zugunsten der nicht behinderten Professorin. Trägt die Professorin einen Hidschab, ist es wahrscheinlich, dass der behinderte Professor wieder mehr Anerkennung hinzugewinnt. Ist die Professorin Ökonomin und der Professor Sozialpädagoge, wird das Pendel der Anerkennung wiederum mehr in Richtung der Professorin ausschlagen. In welchem Maß das geschieht, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab: Alter, Zugehörigkeit zur Universität, vorzuweisende wissenschaftliche Erfolge, sozioökonomische Herkunft, Qualität des eigenen Netzwerks, Bekanntheitsgrad, Veröffentlichungen, Redegewandtheit und viele mehr. Aber auch das jeweilige Publikum ist entscheidend dafür, wie die Verleihung von Anerkennung vor sich geht.

Diese Dynamik zu erkennen ist wichtig, um in einem nächsten Schritt zu verstehen, wie vielschichtig sich die Verleihung und Ausübung von Macht in den unterschiedlichsten Kontexten gestaltet. Die gesellschaftliche Bewertung und Abstufung von Menschen und ihre Homogenisierung zu Gruppen spielt dabei eine wesentliche Rolle. Autorität ist aber nicht gleich Macht. Der Soziologe Alfred Vierkandt wollte Macht und Autorität unterschieden wissen in Fügungsbereitschaft aus Furcht und Fügungsbereitschaft aus freier Neigung. Der Sozialphilosoph Max Horkheimer differenzierte zwischen autoritären und autoritativen Beziehungen und meinte mit letzteren eine »bejahte«, also freiwillige Abhängigkeit. Autorität gründet sich auf Prestige, auf der freiwilligen Anerkennung der Überlegenheit einer oder eines anderen. Wer jemandem Autorität verleiht, passt sich in seinem Verhalten den Vorlieben der Autoritätsperson oft an.

Stellen Sie sich vor, ins Personalteam, dem Sie angehören, kommt ein neuer Kollege, den Sie vorher schon aus der Entfernung kannten und stets für seinen Erfolg und sein Ansehen bei den Vorgesetzten bewundert haben. Sie sind beeindruckt von seiner Redegewandtheit, seinem selbstbewussten Auftreten und vielleicht auch von seinem Klamottenstil. Nach ein paar Wochen der Zusammenarbeit spricht Sie ein Freund an, ihm sei aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit so viele Fremdwörter benutzen, woher das denn käme? Wenn wir Anerkennung durch eine Autoritätsperson bekommen wollen, verhalten wir uns so, wie sie es bevorzugt. Wir machen es der Autoritätsperson recht, übernehmen oft ihren Sprachgebrauch, eignen uns ihr Verhalten an, um ihr zu gefallen – auch in Momenten, in denen sie nicht dabei ist.[2] Neben unserem Verhalten passen wir auch unsere Einstellungen, Meinungen und Urteile an. Wir übernehmen sogar die Perspektive der Autoritätsperson. Um in unserem Gedankenspiel zu bleiben: Statt darüber nachzudenken, wie Sie als Mitarbeiter eine Situation im Team einschätzen, fragen Sie sich seit kurzem, was Ihr Kollege wohl darüber denkt, und erwischen sich dabei, wie Sie seine Aussagen vor anderen wiederholen. Das passiert uns allen, und je unerfahrener wir sind, desto häufiger. Das ist ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit Macht: »Autoritätsanerkennung bedeutet immer auch psychische Anpassung.«[3] Es geschieht, ohne dass die Autoritätsperson Kontrolle ausüben muss, denn wir – als Autoritätsabhängige – kontrollieren uns selbst. Die Autorität ausübende Person muss deshalb nicht gewaltvoll vorgehen, um sich unseren Gehorsam zu sichern, aber sie kann es. Betrachten wir menschliches Verhalten als Prozess, können wir sagen, dass Autorität, Macht und Gewalt sich innerhalb einer Situation dynamisch abwechseln und ineinander übergehen: Je nach Kontext, Verfassung der zueinander in Beziehung stehenden Personen, je nach Motivation, Interpretation, Empfinden und je nach Anwendung der Mittel. Je intensiver eine Autoritätsbeziehung ist, desto naiver folgen wir den Anweisungen der Autoritätsperson. Bittet Sie der von Ihnen bewunderte Kollege, die Kündigung einer Kollegin zu übernehmen, weil Sie sie ja besser kennen und in seinen Augen geschickter sind, machen Sie das. Sie fühlen sich sogar besonders gewertschätzt dadurch und hinterfragen nicht, ob Sie die Wahl gehabt hätten, nein zu sagen. Indem der Kollege eine unangenehme Aufgabe an Sie delegiert, überträgt er Ihnen damit auch die Verantwortung für eine Entscheidung, die er getroffen hat.[4] Häufen sich mit der Zeit die an Sie delegierten unliebsamen Aufgaben, mit denen Sie sich im Unternehmen immer unbeliebter machen, während Ihr Kollege Sie dafür aber lobt, sich Ihnen gegenüber dankbar zeigt und Ihnen womöglich eine Beförderung in Aussicht stellt, passiert etwas: Fast ohne es zu bemerken, kann aus einer gesunden, bejahten Autoritätsbeziehung ein subtil machtmissbräuchliches Verhältnis werden. Der Übergang von zwangloser Autorität zu zwangvoller Abhängigkeit verläuft meistens schleichend.

Die Machtformen

Ein Universitätsprofessor genießt allein durch seine Stellung institutionelle und intellektuelle Autorität. Doktoranden, die bei einem Professor oder einer Professorin promovieren, sind von deren Beurteilungen abhängig und schätzen in der Regel deren Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb und in der Forschung höher ein als ihre eigenen – allein aufgrund des Alters, des Status und belegbarer Erfolge. Durch die hierarchischen Weisungsbefugnisse über die Doktorandinnen haben Professorinnen eine Macht, die über Karriere und die finanzielle Situation der Promovierenden entscheiden kann. Das nutzte 2015 ein Professor an der Fakultät für Forstwissenschaft und Waldökologie in einer deutschen Universitätsstadt aus, um mehrere Mitarbeitende, darunter eine Doktorandin, in seinem Büro mit einem Stock auf Brust, Waden und Po zu schlagen.

In seinem Buch Phänomene der Macht fasst Popitz die historisch gängigen Konzepte von Macht zusammen und subsumiert sie in vier Machtformen, von denen wir uns anhand dieses Beispiels die ersten drei Formen anschauen können. Der vierten wenden wir uns im nächsten Kapitel ausführlicher zu. Aus der Autoritätsbeziehung zwischen Doktorandin und Professor wurde autoritative Macht. Das passiert »wenn die Anerkennungsbedürftigkeit […] anderer bewußt dazu ausgenutzt wird, ihr Verhalten und ihre Einstellung zu beeinflussen«.[1] Während der Bestrafung schloss der Professor die Tür ab. Ein sexuelles Motiv wies er später vor Gericht von sich. Angeblich seien die Schläge einvernehmlich gewesen. Aber die Doktorandin »fühlte sich nach den Feststellungen des Gerichts beruflich und finanziell von ihm abhängig. Ihren Lebensunterhalt bestritt die Frau durch ein Stipendium, für dessen Fortsetzung sie regelmäßig Bescheinigungen des Professors vorlegen musste. Sie lebte erst seit wenigen Jahren in Deutschland und sprach nur wenig Deutsch. Weil sie Angst vor dem Scheitern ihrer Promotion hatte und zum Tatzeitpunkt allein mit dem Professor in seinem abgeschlossenen Büro war, ›gestattete‹ sie ihm die ›Bestrafung‹. Nach jeder ›Bestrafung‹ umarmte er die junge Frau und verlangte, dass sie sich für die erhaltenen Schläge bedanke.«[2]

Das Schüren von Befürchtungen (Verlust der Anerkennung) und Wecken von Hoffnungen (Zugewinn von Anerkennung) sind klassische Methoden autoritativer Machtausübung. Autoritative Macht kann als innere Macht beschrieben werden. Sie wirkt unsichtbar und beruht auf der Orientierungs- und Anerkennungsbedürftigkeit von Menschen. Unser Selbstwert hängt von den Bestätigungen anderer ab. Wir suchen nach Gewissheit und Anzeichen der Bewährung. In der autoritativen Bindung wird die Sicherheit der sozialen Orientierung und des Selbstwertgefühls gewonnen oder verloren. Denn Autorität bietet zwei Alternativen: erhoffte Anerkennung und befürchteter Verlust der Anerkennung. Wer solche Alternativen einsetzen kann und dies bewusst tut, um Verhalten und Einstellung anderer zu steuern, übt autoritative Macht aus.

Besagter Professor wandte aber nicht nur autoritative Macht an, indem er die Doktorandin befürchten ließ, ihre Promotion zu verlieren, und ihr Hoffnung gab, indem er ihr zur Wahl stellte, sich schlagen zu lassen. Im Moment der Androhung übte der Professor auch instrumentelle Macht aus durch Bedrohung (Verlust der Promotion) und in Aussicht gestellte Belohnung (Gewährung der Promotion). Instrumentelle Macht ist die Verfügung über Belohnung und Strafe. Ihre Strategie besteht im Aufbau und Bewahren dieser Glaubhaftigkeit. »Eine glaubhafte Gefahr und die glaubhafte Chance können instrumentalisiert werden zur Begründung permanenter Unterwerfung.«[3] Auch hier stehen sich zwei Alternativen gegenüber. Der Machthabende und Alternativenstellende teilt das Verhalten der Betroffenen in zwei Klassen: in Fügsamkeit und Unbotmäßigkeit, also Widerstand. Daraus resultiert, dass jede Entscheidung der Betroffenen zu einer Ja- oder Nein-Antwort führt. Man kann nicht nicht antworten. Die Definition der Situation ist aufgezwungen. Bei Drohung entsteht der Charakter einer Erpressung, bei Versprechen der einer Bestechung. Als der Professor zuschlägt, übt er banale Aktionsmacht mittels physischer Kraft seines bewaffneten Körpers aus.[4]Aktionsmacht ist Macht als Verletzungskraft. Diese ist zwar mitunter ungleich verteilt durch körperliche Überlegenheit, Begabung, Gewandtheit, Tempo oder Zugang zu Ressourcen – alles Mittel zur Steigerung der Verletzungseffizienz. Aber in Überraschungsmomenten oder durch entsprechende Mittel, etwa eine Waffe, können auch körperlich Unterlegene einen körperlich Überlegenen massiv verletzen. Aktionsmacht meint auch den Entzug von Mitteln, die Zerstörung von etwas, den verhinderten Zugang zu Ressourcen oder den Entzug sozialer Teilhabe durch Ausgrenzung und Herabsetzung.

 

Autoritative Macht erleichtert dem Machthaber oder der Machthaberin die gleichzeitige Anwendung anderer Machtformen. Autoritätsausübung lässt sich wunderbar mit Bedrohung und Schlägen kombinieren. Durch die Anerkennungsbedürftigkeit sind die Untergebenen verletzlich. Ihre Selbstachtung ist an die Beziehung zur Autoritätsperson gebunden: »Die Verletzbarkeit, die Ausgeliefertheit macht auch für geringe Verschiebungen im Urteil der Autoritätspersonen empfindlich. Wie die autoritative Bindung die Welt, in der wir leben, stimmig macht, stimmig durch Zustimmung, so kann der Verlust der Zustimmung zu dem Gefühl führen, aus der Welt zu fallen. Wird dies planvoll ausgenutzt, können auch leise Mittel und schwache Drohungen einen hohen Konformitäts-Effekt haben.«[5]

Die Personen, von denen wir Anerkennung brauchen, zu denen wir aufsehen, denen wir nacheifern, denen wir Autorität über uns geben, sind am ehesten diejenigen, die sich uns gegenüber schädlich verhalten werden. Unser Selbstwertgefühl wächst durch die Anerkennung anderer. Erst dadurch erkennen wir uns selbst an. Zugleich kann unser Selbstwert nur dann besonderen Schaden nehmen, wenn wir andere als Autoritätsperson anerkennen: Autoritätsbeziehungen beruhen auf dem Bestreben, von denen anerkannt zu werden, deren Anerkennung als besonders dringlich empfunden wird, »als ausschlaggebend für die Gewissheit, überhaupt sozial angenommen, sozial ernst genommen zu werden. Die Empfindung sozialen Anerkanntseins ist konstitutiv für unsere Selbstanerkennung und unser Selbstwertgefühl.«[6] Die Bindung zu diesen Personen abzubrechen ist so schwer, weil wir damit unsere Zuversicht, in der Welt als jemand zu gelten, zumindest teilweise verlieren. »Aus wahrgenommener Anerkennung wird uns das beklemmende Gefühl von Unterwerfung bewusst, in der wir Sicherheit gefunden hatten.«[7] Nimmt man eine andere Person nicht generell als überlegen wahr, sondern lediglich in einigen Bereichen, beschränkt sich der Einfluss dieser Person wahrscheinlich auch nur auf einige Bereiche des Lebens. Weil ich meine Freundin als sportlich überlegen anerkenne, schließe ich mich vielleicht ihrer Meinung zu Trainingsplänen für Marathonläufe an, übernehme aber nicht ihre politische Meinung, denn in diesem Bereich sehe ich zu anderen Menschen auf. Autoritätsbeziehungen sind immer auch positiv und müssen nicht zwangsläufig unangenehme Auswirkungen auf uns haben. Potenziell riskanter werden Autoritätsbeziehungen erst, wenn wir die Überlegenheit der Autoritätsperson als allumfassend empfinden. Als eine Aura genereller Überlegenheit, die eine Person umgibt.

Die Lösung liegt auf der Hand: Macht euch unabhängig von der Anerkennung anderer. So einfach ist das – im Prinzip. Die Basis für einen soliden Selbstwert wird in unserer Kindheit gelegt. Wer bedingungslos von seinen Eltern oder anderen Erwachsenen geliebt wird, macht die Erfahrung, dass die eigene bloße Existenz ausreicht, um wertgeschätzt zu werden. In der Folge schätzt sich ein solches Kind auch unabhängig von einer erbrachten Leistung selbst wert. Kinder, die nur dann Anerkennung und Liebe erfahren, wenn sie etwas leisten, empfinden sich auch selbst nur dann als wertvoll und liebenswürdig.[8] Wer besonders abhängig von der Wertschätzung und Anerkennung anderer ist, wird sich häufiger von Autoritätspersonen abhängig machen, auch dann, wenn diese Autoritätsbeziehungen machtmissbräuchlichen Charakter annehmen. Gleichsam lässt sich aber auch sagen: Der Mensch ist als soziales Wesen immer abhängig von sozialer Anerkennung und der Zugehörigkeit zu anderen. Ein belastbarer Selbstwert kann auch im Erwachsenenalter noch erlernt werden, auch wenn er die mangelnde Anerkennung aus der Kindheit nicht komplett wettmachen kann. Haben Menschen alternative Sozialsysteme, in denen sie aufgefangen werden, und einen soliden Selbstwert, der sie gegen die Urteile von Autoritätspersonen unempfindlicher macht, wird ihnen der Entzug sozialer Teilhabe in einem Bereich weniger anhaben können. Sie fallen nicht aus der Welt. Selbstzweifel und unangenehme Gefühle wird diese Erfahrung dennoch auslösen. Und egal wie unabhängig, selbstbewusst und sozial aufgefangen wir in verschiedensten Kontexten sind: Machtmissbrauch kann uns trotzdem treffen.

Abhängigkeiten können psychischer Art sein, wie anhand der Autoritätsbeziehungen erklärt, aber auch rein organisationell. Ein Markt mit vielen verfügbaren Arbeitskräften, aber sehr wenigen Arbeitsplätzen und noch weniger Chancen auf Erfolg – wie beim Theater, im Film, in der Wissenschaft, dem Kunstmarkt oder der Musikbranche – erzeugt Abhängigkeitsverhältnisse. Ein Markt, in dem Fachkräftemangel herrscht und Arbeitgeber gezielt Arbeitnehmende im Ausland suchen, die den Job dringend brauchen – wie in der Pflegebranche oder der Fleischindustrie –, erzeugt Abhängigkeit. Wenn die Arbeitsbedingungen in der gesamten Branche schlecht sind, dann halten selbst begehrte Fachkräfte an einem etwas weniger schlechten Arbeitgeber fest, weil ein neuer Arbeitsplatz vielleicht noch schlechter ist. Organisationen, die staatliche Aufgaben erfüllen und mit hoheitsrechtlichen Befugnissen ausgestattet sind – wie die Polizei, Justizvollzugsanstalten und Gerichte –, erzeugen Abhängigkeiten gegenüber Bürgerinnen und Bürgern. Umgebungen, in denen Erwachsene mit Schutzbefohlenen arbeiten, also alten, jungen oder behinderten Menschen – wie in der Schule, bei den Pfadfindern, im Heim, in der Kirchengemeinde, im Sportverein oder in der Behindertenwerkstatt –, erzeugen Abhängigkeiten. Solange Abhängigkeiten nicht ausgenutzt werden, sind sie unproblematisch, können lehrreich, vertrauensvoll, förderlich und angenehm sein. Die Entscheidung einer machthabenden Person aber, ein solches Abhängigkeitsverhältnis zum eigenen Vorteil auszunutzen und damit die eigene Macht zu missbrauchen, wird nicht aus Versehen getroffen. Bei »jemandem […], der in einer Chefposition ist, kann ich einfach davon ausgehen, dass der weiß, was richtig und falsch ist. Ob er sich immer daran halten will, ist die andere Frage«,[9] sagt der forensische Psychiater Prof. Elmar Habermeyer von der Uniklinik Zürich. Dem Machtausübenden geht es im Falle seines übergriffigen Verhaltens »nicht um das Gegenüber als Person, sondern um die Funktion des Gegenübers, nämlich den eigenen Selbstwert zu stärken. Dieses Machtgefälle, wo Belohnungssysteme angesprochen werden können, dadurch dass man einfach andere Menschen gängelt […], [werden] als für sich befriedigend« empfunden.[10] Der Missbrauch von Macht dient dem Zweck der eigenen Bedürfnisbefriedigung. Dabei ist weniger relevant, ob es sich um Sexismus oder andere Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit, um physische Gewaltanwendung oder verbale Übergriffe handelt. Die bewusste Unterdrückung anderer ist der Versuch, die eigene Machtposition zu bewahren und daraus Stärke und Bestätigung zu ziehen. Dem Machtausübenden wird durch die Reaktionen des Opfers und der Umstehenden Anerkennung gezollt: einerseits die erzwungene Anerkennung seiner Machtposition und seiner Überlegenheit durch das Opfer, andererseits die Anerkennung durch den Respekt, das Gelächter, das Zurückweichen oder die bloße Duldung Umstehender. Ein Mobber oder eine Mobberin ist nichts ohne eine Gruppe, die ihn oder sie anerkennt. Im Unterschied zu Aktionsmacht und instrumenteller Machtausübung ist Autoritätsbindung »wohl diejenige fundamentale soziale Bindung, die am eindeutigsten zur Machtausübung disponiert«, so Heinrich Popitz. »Doch ist diese Macht zugleich, wie immer sie gemeint sein mag, behütend oder bedrückend, in besonderer Weise riskant.«[11]

Die organisationelle Macht

In einer Stadt wird eine Parkbank aufgestellt. Die Parkbank hat Platz für sechs Personen, was daran ersichtlich ist, dass es sechs Sitzmulden gibt, die für je ein Gesäß bestimmt sind. Die Größe einer Mulde gibt vor, wie groß ein Gesäß maximal sein darf. Die Bank hat zusätzlich nicht nur rechts und links außen eine Armlehne, sondern jede Sitzmulde wird mit je einer Armlehne begrenzt. Die Gestaltung der Bank sorgt dafür, dass wir uns nur auf eine bestimmte Art hinsetzen können, dass nur eine bestimmte Art Mensch mit einer bestimmten Leibesfülle dort hineinpasst und dass die Bank ausschließlich zum Sitzen genutzt werden kann. Dass sich jemand hinlegt, etwa Obdachlose, die nachts einen Platz zum Schlafen brauchen, wird durch die sieben Armlehnen verhindert. Diese Art der Gestaltung wird defensive Architektur oder hostile design genannt. Sie ist ein einprägsames Beispiel dafür, was Heinrich Popitz als datensetzende Macht bezeichnet: Der Mensch baut Machtentscheidungen in die Dinge ein, die er erzeugt und in die Welt bringt. Das geschieht durch die Herstellung von Produktionsmitteln, also Dingen, die dazu benötigt werden, andere Produkte – Parkbänke zum Beispiel – herzustellen. Es geschieht ebenso durch die Gestaltung und Produktion der Dinge selbst und schließlich durch die Verwendung der Dinge, die Verhalten verändern und festigen. Das gilt für die Programmierung einer App genauso wie für das Design eines Services. Mit der Gestaltung unserer Welt üben wir Macht über andere aus. Indem ich etwa in einer App explizite Nacktbilder oder Hasskommentare verschicken kann, bin ich in der Lage, Macht und Gewalt auszuüben. Interessant ist aber auch das organisierte Herstellen selbst, das nötig ist, um Parkbänke, Apps und Services anbieten zu können. Je größer die Menge oder je höher die Qualität der Produkte werden soll, desto besser muss die organisierte Zusammenarbeit und die prozessuale Arbeitsteilung sein. Nicht nur die Büros und Arbeitsplätze von Organisationen, sondern ihr gesamtes Regelwerk werden damit selbst zu einem Element datensetzender Macht, die ich präziser und eingängiger als organisationelle Macht bezeichnen möchte. Die Arbeitsteilung basiert auf Regeln, denen sich die Mitglieder der Organisation unterwerfen müssen. Die Organisation übt zudem Macht aus, indem sie ihre Mitglieder sanktionieren kann: »Das Organisationssystem kann zur Disziplinierung seiner Mitglieder mit Sanktionen drohen, möchte diese aber nicht einsetzen: Es bevorzugt die erfolgreiche ›Neutralisierung des Willens‹ des Mitglieds.«[1] Dem gegenüber steht die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft, die Mitarbeitende auch selbst durch eine Kündigung ausdrücken können oder indem sie der Organisation und ihren Bedingungen gar nicht erst beitreten. Zugestanden werden muss allerdings auch, dass die Freiwilligkeit beeinträchtigt wird, wenn Menschen sich in finanziellen Nöten befinden, andere Jobs nicht zu finden sind, eine bestimmte Organisation die vermutet einzige Möglichkeit ist, um einen bestimmten Karriereweg zu gehen, ihre Kenntnisse anderswo nicht benötigt werden, andere Organisationen gleich schlechte (oder sogar noch schlechtere) Bedingungen bieten. Das System der einen konkreten Organisation ist umgeben vom System der Privatwirtschaft, vom System des Politikbetriebs, der Gesellschaft oder auch des Rechts. Alle diese Systeme bringen mehr oder weniger drängende Zwänge, Abhängigkeiten und Freiheiten mit sich und wirken aufeinander. Angedrohte Sanktionen der Organisation wirken besonders stark, wenn die empfundenen Zwänge des Mitarbeitenden groß sind.

Organisationelle Macht wirkte auch schon damals in der Grundschule auf mich: Das Pausenläuten erinnerte uns Kinder daran, dass wir uns auf den Weg in die Klassenräume machen sollten. Andernfalls drohten Sanktionen durch meinen Lehrer, etwa ein Eintrag ins Klassenbuch. Er nutzte das Läuten und die Wegeplanung des Schulgebäudes, um uns Schülern und Schülerinnen den Weg abzuschneiden. So kamen wir nur sanktionsfrei ins Klassenzimmer, wenn wir uns von ihm in den Arm nehmen ließen.

Organisationelle Macht zeigt sich auch am Beispiel einer Flugbegleiterin: »In manchen Betrieben müssen alle Mitarbeiterinnen die gleichen Frisuren tragen: Lange Haare, Dutt und Hütchen – das wird dann als Firmenidentität verkauft. Auch mir wurde damals in meiner Ausbildung gesagt, dass ich mich stärker schminken solle – weil das Kabinenlicht ja so viel Farbe nehme. Ganz lange gab es auch Gewichtsvorgaben für Flugbegleiterinnen. Airlines schreiben das heute zwar nicht mehr in die Anforderungen, aber viele legen darauf nach wie vor Wert«,[2] sagt Sylvia Gaßner. Sie arbeitete von 2006 bis 2010 als Flugbegleiterin. Seitdem ist sie im Verein Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) beschäftigt. Im Mai 2023 bringt der Verein eine Umfrage zu sexueller Belästigung von Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern am Arbeitsplatz heraus.[3] Die Organisation übt ihre Macht aus, indem sie Flugbegleitende in der Werbung »mit sexistischen Bildern« darstellt. Die »Slogans haben suggeriert, dass die Kolleginnen den Passagieren jeden Wunsch von den Augen ablesen«.[4] Wie sich die Regeln der Organisation auf die Mitarbeitenden auswirken, weiß Gaßner aus eigener Erfahrung: »Das kann zum Beispiel der Kabinenverantwortliche sein, der einem über den Nacken streicht, wenn man in der Start- und Landephase nicht wegkann. Bei einem Zwischenstopp hat mir mal ein Kapitän gesagt: ›Na, wir beide gehen jetzt aber schon noch aufs Zimmer.‹«[5] Die Organisation gestaltet maßgeblich, welches Ansehen dein Beruf in der Öffentlichkeit genießt. Wird deine Tätigkeit sexualisiert, auch wenn du hauptsächlich für die Sicherheit an Bord verantwortlich bist, kannst du dagegen vorerst wenig unternehmen. Wenn dein Arbeitsplatz auf engem Raum stattfindet, können andere Mitarbeitende diesen Umstand ausnutzen. Sylvia Gaßner hat ihren Fall damals nicht gemeldet: »Das war im Jahr 2006, mein erster Langstreckenflug. Zum einen war ich unsicher, weil das ein neues Arbeitsumfeld war. Zum anderen hatte ich das Gefühl, ich könnte es sowieso niemandem sagen. Die Person, der ich mich eigentlich hätte anvertrauen sollen, war die, die mich sexuell belästigt hatte.«[6] Bei der UFO-Umfrage kommt heraus: Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen werden nahezu gleich oft sexuell belästigt. Zu 45 Prozent sind die Täterinnen und Täter Vorgesetzte. Zu 26 Prozent ein gleichgestelltes Crewmitglied. Zu 25 Prozent sind es Passagiere.[7]

Die soziale Ordnung

Etwa zur selben Zeit, als die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Jenny Holzer den Spruch Abuse of Power Comes As No Surprise auf T-Shirts druckt, fordern einige Mitglieder der Partei Die Grünen Straffreiheit für Sex mit Kindern.[1] Vergeht sich ein deutscher Priester unter Führung von Kardinal Joseph Ratzinger an Schutzbefohlenen.[2] Missbraucht der Regisseur Dieter Wedel mutmaßlich mehrere Schauspielerinnen.[3] Legt ein FDP-Politiker der späteren rbb-Intendantin Patricia Schlesinger die Hand aufs Knie und sagt der Politiker Hans-Dietrich Genscher zu der Journalistin Inga Griese: »Ich wüsste schon gern, wie Ihre Lippenstiftfarbe schmeckt.«[4] Es sind die 1980er Jahre. Die frische CDU-Regierung unter Helmut Kohl zerbricht sich gerade die Köpfe über die sogenannte Hau-ab-Prämie für rückkehrwillige Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen. Sie fragt sich, »wie man die Fremdlinge, die zum Teil mit Viehhändler-Methoden angeworben worden waren, wieder los wird«.[5] Besonders die Türken hat man satt. Sie haben die Italiener schnell als meistgefürchtete und -gehasste Ausländer abgelöst und werden (noch vergleichsweise nett) als Kümmeltürken beschimpft. Ein Begriff, von dem die meisten Deutschen nicht einmal wissen, dass damit ursprünglich Deutsche bezeichnet wurden. In Halle an der Saale wurde zum Ende des 18. Jahrhunderts reichlich Kümmel angebaut. Die Landschaft war trist und karg. So stellten sich die Hallenser Studierenden damals die Türkei vor und nannten solche Gebiete entsprechend. Wer dort wohnte, wurde deshalb Kümmeltürke genannt: »Ihren Mitstudenten galten Kümmeltürken als engstirnig, da sie ihre eigene Heimat nie verlassen hatten und sogar ihre Fresspakete aus dem Elternhaus bekamen. Erst seit den 1960ern erhielt der Begriff eine ausländerfeindliche Bedeutung, als mit dem Anwerbeabkommen zahlreiche türkische Arbeitskräfte in die Bundesrepublik einwanderten.«[6] Zwei Jahre vorher, 1958, trat in der BRD