Arbeite doch, wo du willst! - Verena Töpper - E-Book

Arbeite doch, wo du willst! E-Book

Verena Töpper

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Co-Working, Workation, Tiny Office - alternative Bürokonzepte, was sie ausmacht und wie man sie findet. Mit vielen Tipps für das eigene ortsungebundene Arbeiten, regional ausgerichtetem Serviceteil und psychologischem Selbsttest

Arbeiten, von wo man will – seit Neuestem ist das möglich. Ob Coworking-Space im alten Fachwerkhäuschen, umgebauter Van oder stylische Holzhütte im Nirgendwo, die Immobilienwirtschaft hat schon eine passende Bezeichnung gefunden: „the third place“ – der dritte Ort. Immer mehr Menschen schaffen sich eine Alternative zu Büro und Homeoffice und probieren alternative Konzepte aus. Verena Töpper und ihre Familie waren Teil des "Summer of Pioneers", einem Programm, das Großstädtern ein Probewohnen auf dem Land ermöglichte. Dabei hat sie viele Gleichgesinnte getroffen, die mittlerweile ortsunabhängig arbeiten und das Büro ihrer Träume gefunden haben – und zwar in allen Teilen Deutschlands. Hier stellt sie einige von ihnen vor. Welche individuellen Lösungen gibt es, wo finde ich Remote-Work-Angebote in Urlaubsregionen, wie organisiere ich eine Workation und was mache ich, wenn mein Arbeitgeber keine Flexibilität erlaubt? Neben inspirierenden Porträts gibt es viele praktische Tipps und Adressen, spannende Experten-Interviews und einen Selbsttest: Welcher Arbeitsort passt zu mir?

Mit Bildteil

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 301

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Verena Töpper, geboren 1982, studierte Publizistik, Amerikanistik und Filmwissenschaft in Mainz, Wien und Washington D.C. und besuchte die Axel-Springer-Akademie. Seit 2011 arbeitet sie als Redakteurin beim SPIEGEL in den Ressorts Karriere und Bildung, für die sie u.a. aus Kenia, den USA und Australien berichtet hat. Zusammen mit Kristin Haug veröffentlichte sie Mittagspause auf dem Mekong. Auswanderer über ihr neues Leben in 28 Ländern.

Maren Hoffmann, Jahrgang 1968, studierte Germanistik und Philosophie in Düsseldorf und volontierte anschließend bei der Märkischen Allgemeinen. Beim SPIEGEL-Verlag arbeitet sie seit 2007, zunächst als Lifestyle-Redakteurin beim manager magazin, seit 2019 im Gemeinschaftsressort Job & Karriere von SPIEGEL, Harvard Business Manager und manager magazin. Wenn sie nicht über Themen aus der Arbeitswelt recherchiert oder schreibt, spielt sie Brettspiele – gern auch mit Kolleg*innen.

Coworking, Workation, Tiny Office – alternative Bürokonzepte, was sie ausmacht und wie man sie findet.

Arbeiten, von wo man will – seit Neuestem ist das möglich. Ob Coworking-Space im alten Fachwerkhäuschen, umgebauter Van oder stylische Holzhütte im Nirgendwo, eine passende Bezeichnung hat sich etabliert: »the third place« – der dritte Ort. Immer mehr Menschen schaffen sich eine Alternative zu Büro und Homeoffice und probieren alternative Konzepte aus. Verena Töpper und ihre Familie waren Teil des »Summer of Pioneers«, einem Programm, das Großstädtern ein Probewohnen auf dem Land ermöglichte. Dabei haben sie viele Gleichgesinnte getroffen, die mittlerweile ortsunabhängig arbeiten und das Büro ihrer Träume gefunden haben – und zwar in allen Teilen Deutschlands sowie in Österreich und der Schweiz. Die Erfahrung inspirierte Verena Töpper und ihre Kollegin Maren Hoffmann zu diesem Buch. Welche individuellen Lösungen gibt es, wo finde ich Remote-Work-Angebote in Urlaubsregionen, wie organisiere ich eine Workation und was mache ich, wenn mein Arbeitgeber keine Flexibilität erlaubt? Neben inspirierenden Porträts gibt es viele praktische Tipps und Adressen, spannende Experten-Interviews und einen Selbsttest: Welcher Arbeitsort passt zu mir?

Außerdem von Verena Töpper lieferbar:

Mittagspause auf dem Mekong. Auswanderer über ihr neues Leben in 28 Ländern

www.penguin-verlag.de

Maren Hoffmann

Verena Töpper

Die neue Freiheit im mobilen Büro:Coworking, Tiny Offices und Workation

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2023 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München,

und SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG,

Ericusspitze 1, 20457 Hamburg,

Karte: Peter Palm, Berlin

Bildbearbeitung: Lorenz & Zeller, Inning

Umschlaggestaltung: Hafen Werbeagentur, Hamburg

Umschlagabbildungen: Shutterstock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-29634-6V001

www.penguin-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Ins Grüne

Von Hamburg nach Homberg: Der »Summer of Pioneers«

Elbblick für sechs Euro den Quadratmeter

»Ein Coworking-Space auf dem Land ist wie ein Korallenriff«

IT-Sicherheit im Coworking-Space

Der Traum vom 15-Minuten-Arbeitsweg

»Aktivurlaub« mal anders

Hauptquartier zwischen Hortensien

Diese Kosten können Sie bei der Steuer geltend machen

Hurra, in meinem Homeoffice sitzt ein fremder Mann mit Mütze

Sie brauchen: ein Foto, ein Post-it und eine Handpuppe

Unterwegs

Im Business-Caravan zur Kundschaft

»Ich hatte noch nie einen so bequemen Arbeitsplatz«

Tschüss, Chef, ich bin dann mal arbeiten

Mit dem VW-Bus gegen den Fachkräftemangel

So gelingt das Coworking im Freien

»Arbeitsfreier Urlaub existiert doch nur noch auf dem Papier«

Die Augenärztin, die im Kofferraum schläft

Der Zug der Ideen

Welche Feiertage gelten eigentlich?

Ans Wasser

»Vast Forward« – ein Leben als digitale Bootsnomaden

Glasfaseranschluss am Bootssteg

Büro mit Badeplatz

»Ich habe immer gesagt: Wenn ich groß bin, wohne ich auf einem Boot«

Strategie mit Seemannsknoten

Sommer, Sonne, fleißig sein?

Was bei mobilem Arbeiten aus dem Ausland zu beachten ist

So funktioniert die Arbeit mit einem »Employer of Record«

»Wir wünschen uns noch viel mehr Freiheit«

Neues Leben in der Stadt

Netzwerken und durchstarten

Containerweise Ideen

Das Unerwartete planen

»Die Zeit der Einpeitscher ist vorbei«

Ein Bälleparadies für große Kinder

»Welcher Arbeitsort passt zu mir?«

Diese Fragen sollten Sie stellen, um den für Sie perfekten Coworking-Space zu finden

Adressen für die Büroflucht

Holen wir die Arbeit der Zukunft in die Gegenwart!

Literatur und weiterführende Links

Bildteil

Bildnachweis

Vorwort

Die neue Freiheit

Wir erleben gerade einen historischen Moment in der Gestaltung unseres Arbeitslebens. Die Coronapandemie hat uns gezwungen, Arbeitsorte neu zu denken. Es war eine stille Revolution, viele haben sie nur widerwillig mitgemacht, aber in Sachen Digitalisierung haben wir alle in wenigen Monaten geschafft, wofür Experten viele Jahre veranschlagt hatten: Wir haben bewiesen, dass ein sehr großer Teil unserer Arbeit nicht zwangsläufig vor Ort im Unternehmen geleistet werden muss – sondern dass viele von uns von überall aus arbeiten können.

Als Redakteurinnen des SPIEGEL-Verlags verfolgen wir diese Entwicklungen genau – zum einen beruflich, denn wir schreiben vorwiegend über Job- und Karrierethemen, zum anderen privat. Auch für uns wäre es noch vor fünf Jahren undenkbar gewesen, das Büro in Hamburg gegen einen Coworking-Space in Nordhessen zu tauschen oder gegen ein Ferienhaus in Portugal. Nun haben wir genau das getan.

In den vergangenen zwei Jahren haben wir viele neue Erfahrungen gesammelt, durch Selbstversuche, aber auch durch unzählige Gespräche mit Menschen, die die neue Arbeitswelt erforschen, erproben oder einfach nur erleben. Und wir haben gemerkt: Die neue Freiheit des Arbeitens stellt uns auch vor große Herausforderungen. Wie wollen wir künftig Teams zusammenhalten? Wie gelingt Führung auf Distanz? Wie viel Bürofläche brauchen wir noch? Neue Freiheiten bringen neue Fragen mit sich, die wir im SPIEGEL regelmäßig aufgreifen. Für dieses Buch haben wir die besten Geschichten aus den vergangenen zwei Jahren zusammengestellt, aktualisiert und durch weitere ergänzt. Herausgekommen ist eine Reise durch die neue deutsche Arbeitswelt.

Dass der vielerorts lange nicht infrage gestellte Zwang zum pünktlichen Erscheinen in der Firma wegfällt, ist für viele Menschen ein Befreiungsschlag. Aber nun müssen wir uns klar darüber werden, wofür wir unsere gewonnene Freiheit nutzen wollen. Darüber, wie jeder und jede Einzelne von uns in Zukunft arbeiten will.

Die Menschen in diesem Buch haben sehr unterschiedliche Antworten darauf gefunden. Es gibt nicht die eine Lösung, die für alle taugt. Es gibt eine große Vielfalt an Bedürfnissen und Wünschen, die je nach Veranlagung, Familiensituation und Lebenslage grundverschieden ausfallen kann. Für die einen ist die Arbeit im geschäftigen Coworking-Space genau das Richtige, andere ziehen sich lieber in ein Tiny House im eigenen Garten zurück oder nehmen ihre Arbeit mit aufs Wasser.

Nicht jedem und jeder ist von vornherein klar, welcher Ort die ideale Umgebung für die eigene Tätigkeit bietet. Aber da können wir helfen: Zum einen mit Inspiration, zum anderen aber auch mit Adressen und einem großen Selbsttest, mit dem Sie ganz einfach herausfinden können, welche Faktoren für Sie am wichtigsten sind – und in welcher Umgebung Sie wohl am besten arbeiten können.

Und auch für Führungskräfte haben wir eine Botschaft: Nehmen Sie den Wunsch nach größerer Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts ernst. Denn sonst senden Sie ein fatales Signal an Ihre Mitarbeiter*innen: »Wir trauen dir nicht zu, selbst zu beurteilen, von wo aus du deine eigene Leistung am besten auf die Kette kriegst. Wir wissen eher als du, wie und wo du gut arbeiten kannst. Besser, wir sehen dir auf die Finger.« Gleichzeitig wird aber in fast jedem Job, in fast jedem Unternehmen von Arbeitnehmer*innen erwartet, dass sie sich wie souveräne Problemlöser*innen verhalten und sich flexibel anpassen an eine Welt, die sich ständig schneller dreht. Das passt nicht zusammen.

Arbeitgeber*innen, die ihre Belegschaft zur Präsenz im Firmenbüro zwingen, bringen gern das Gerechtigkeitsargument. Sie wittern Unfrieden: Wenn die Kolleg*innen in der Produktion jeden Tag zum Schichtdienst antanzen müssen, könnten sie neidisch werden auf die, die sich zu Hause im Bademantel den ersten Kaffee gönnen, während sie selbst schon im Frühbus sitzen. Ja, das könnten sie. Aber was bringt es der Schichtarbeiterin, wenn nebenan in der Verwaltung jemand schlecht gelaunt am Schreibtisch sitzt, der genauso gut zu Hause sein könnte? Wertet das ihren Job auf? Verbessert es ihre Position?

Unternehmen haben ohnehin eine Vielzahl an Asymmetrien, die in der Regel nicht problematisiert werden: Jobs erfordern unterschiedliche Fähigkeiten, Gehälter sind unterschiedlich hoch. Warum muss dann beim Arbeitsort Gleichheit herrschen? Wir haben jetzt die Chance, eine Arbeitswelt zu bauen, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Menschen in der Regel selbst wissen, was sie wollen und was sie können. Im Idealfall funktioniert das wie beim Augenoptiker, der beim Anpassen der neuen Brille fragt: Ist es so besser? Oder doch eher so? Und dann so lange zwischen verschiedenen Gläsern hin und her wechselt, bis man herausgefunden hat, welches am besten funktioniert. Genau wie bei der Brille muss man von Zeit zu Zeit überprüfen, ob noch alles passt. Aber das finale Okay gibt am besten diejenige, die die Brille dann tragen soll – und die Arbeit leisten.

Denn die Frage, wie wir arbeiten wollen, ist untrennbar mit der Frage verquickt, wie wir leben wollen. Plötzlich wird eine Vielfalt von Lebensentwürfen sichtbar, die in der alten Arbeitswelt von der alles gleichmachenden grauen Nadelfilz-Auslegeware in den Büroetagen verdeckt war. Die Menschen in diesem Buch zeigen, wie Arbeit und Freizeit vereinbar sind. Wie sich Chef*innen überzeugen und Hürden umschiffen lassen, im wörtlichen Sinn. Wir haben mit Menschen gesprochen, die auf Booten arbeiten, in Vans oder Wohnmobilen. Die ihr Büro in ein stylisches Gartenhäuschen verlegt haben oder in eine Villa in Kroatien. Und ein sechsmonatiger Selbstversuch führte uns von der Stadt aufs Land, wo sich plötzlich neue Chancen auftun: Wozu astronomische Mietpreise in den Metropolen zahlen, wenn man nun überall arbeiten kann?

Wir möchten Sie mitnehmen auf eine Reise durch neue Arbeitsorte in der Stadt, auf dem Land, am Wasser. Damit Sie auf dieser Reise nicht allein sind, machen wir zwischendurch immer wieder halt, um gemeinsam mit Expert*innen verschiedener Fachbereiche auch mögliche Schwierigkeiten und Probleme zu bedenken und Lösungsansätze aufzuzeigen: Wir geben Steuertipps, erklären, was Sie arbeitsrechtlich beachten müssen, wenn Sie eine Zeit lang aus dem Ausland arbeiten wollen, und mit welchen Argumenten sich skeptische Vorgesetzte überzeugen lassen. Wir zeigen Techniken zur Selbstorganisation und wie Sie mit einfachen Mitteln Ihre Daten schützen können, wenn Sie an öffentlichen Orten arbeiten.

Wir helfen Ihnen, den für Sie perfekten Arbeitsort zu finden. Also, worauf warten Sie noch?

Ins Grüne

»Je enger die Welt wird, umso stärker der Wunsch nach einem heiligen Zuhause. Nach einem Garten, dem Geruch von Erde und einem Fasan.« Mit diesen Worten kommentierte die Schweizer Schriftstellerin Sibylle Berg 2012 die damals rasanten Verkaufserfolge des Magazins »Landlust«. »Wenn ich schon die Welt nicht verändern kann, so doch mein Beet«, schrieb sie. Der Satz hat an Aktualität nichts verloren.

Wir leben in einer hektischen und komplizierten, mitunter auch grausamen Welt. Auf Monitoren aller Größen verfolgen wir das Leid all derer, die unter Krieg, Hungersnöten, Terrorregimes und unheilbaren Krankheiten leiden. Wie herrlich erfrischend, wie still und berechenbar scheint da die Natur. Erde umgraben, Äste kappen, Pflänzchen säen – immer ist das Ergebnis der eigenen Arbeit fast sofort sichtbar. Und im besten Fall schmeckt es auch noch gut.

Je turbulenter, gefährlicher und komplizierter uns die Welt da draußen vorkommt, desto mehr wollen wir zurück zur Einfachheit. So erklärt sich auch Deutschlands wohl bekanntester Förster Peter Wohlleben den Erfolg seiner Bücher, in denen er unter anderem »das geheime Leben der Bäume« beschreibt. Der gleichnamige Millionen-Bestseller wurde sogar verfilmt.

Kettensäge anschalten, sägen und der Baum fällt um. Holz sammeln, anzünden und es wird warm. Solche Kausalketten können weder von einem mutierten Virus noch von den Launen der Weltmärkte unterbrochen werden.

Die Sehnsucht danach reicht in Deutschland weit zurück. Um das Jahr 1800 begründete eine junge Generation Schriftsteller*innen die Geistesbewegung der Romantik. Friedrich Freiherr von Hardenberg alias Novalis, Ludwig Tieck, Caroline Schelling und die Brüder Schlegel waren enttäuscht vom Ausgang der Französischen Revolution, all den nicht eingelösten Versprechen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und den Härten der Industrialisierung. Der Entzauberung der Welt setzten sie den Zauber der Natur entgegen. Und auch mehr als 200 Jahre später kommen alle, die auf der Suche nach einem Ruheort oder Fluchtpunkt sind, unweigerlich irgendwann dort an: auf dem Land.

Walden steht nicht mehr nur für das berühmte Buch des querköpfigen Naturfreunds und Sklaverei-Gegners Henry David Thoreau, sondern ist mittlerweile auch der Titel einer Männerzeitschrift für Outdoor-Enthusiasten. Die Wartelisten für Schrebergärten sind heutzutage noch länger als die für Kinderschwimmkurse. Menschen verabreden sich zum »Waldbaden«, um zu sich selbst zu finden, und zum Kettensägekurs, um auf neue Gedanken zu kommen.

Deutsche Großstädte haben im Jahr 2021 durch Umzüge so deutlich an Bevölkerung verloren wie zuletzt 1994. Die Arbeitswelt ist im Umbruch, und immer mehr Städter stellen sich die berechtigte Frage: Wofür zahlen wir eigentlich so viel Miete? Für all den Dreck, den Lärm und die Enge? Warum im Homeoffice in der Zweizimmerwohnung am Küchentisch kauern, wenn man wenige Hundert Kilometer weiter für weniger Miete in einem großen Haus mit Garten leben könnte?

Projekte wie der »Summer of Pioneers« locken Städter*innen, die sich solche Fragen stellen, in ländliche Regionen, die gemeinhin als abgehängt gelten. Vom Neuanfang zwischen Gemüseacker und Digitalarbeit sollen beide Seiten profitieren: die Stadtflüchtigen und die Einheimischen. Denn vielerorts lässt sich auf dem Land der Donut-Effekt beobachten: Die Stadtkerne sind wie ausgestorben, und drum herum entstehen immer weitere Neubau- und Gewerbegebiete. Wenn nun Neuzugezogene auf einmal die Innenstädte für sich entdecken, dort arbeiten, essen, einkaufen, dann haben alle etwas davon, so die Hoffnung. Ob sich diese erfüllt? Dieser Frage gehen wir unter anderem in diesem Kapitel nach.

Wir lassen den Blick schweifen über saftig grüne Wiesen und Wälder. Ein Flüsschen rauscht, ein Specht klopft – und dazu klackern leise die Tasten der Laptops. Ist das da in der Ferne etwa ein Reh? Bevor Sie jetzt entsetzt das Buch zuschlagen, weil Sie sich in einem Rosamunde-Pilcher-Film wähnen, lassen Sie uns die Szene erklären: die Beteiligten nennen es »WoooDay«: Working Out Of Office Day, ein Arbeitstag im Grünen. Einmal im Monat wechseln die Angestellten einer Münchner Digitalagentur ihre höhenverstellbaren Schreibtische und Bürostühle gegen Baumstümpfe, Picknickdecken und die Rückbank eines Vans. Kann man so produktiv arbeiten? Auch um diese Frage wird es hier gehen.

In diesem Kapitel kommen Menschen zu Wort, die mutig sind. Die ihren Träumen folgen und ausbrechen aus einem Leben im Konjunktiv: Aus »Ich könnte, müsste, sollte doch mal« wird »Ich mach das jetzt einfach«.

»Man bereut nie, was man getan, sondern immer, was man nicht getan hat.« Dieses Zitat hat eine steile Karriere als Wandtattoo hinter sich, wahlweise wird es dem römischen Kaiser Marc Aurel oder dem US-Schriftsteller Mark Twain zugeschrieben. Aber bevor wir zu sehr abschweifen, folgen Sie uns doch lieber auf unsere Landpartie, einmal quer durch Deutschland.

Landleben im Selbstversuch

Von Hamburg nach Homberg: Der »Summer of Pioneers«

Auf dem Schrank in unserem neuen Schlafzimmer klebt ein Aufkleber mit einem Adler und der Aufschrift »Amtsgericht Königs Wusterhausen«. Die Kleiderstange reicht nicht wie üblich von der linken zur rechten Seite, sondern von vorne nach hinten. Für Roben, bei denen eine aussieht wie die andere, mag das praktisch sein. Für normale Kleidung eher nicht, denn so sieht man nicht, was weiter hinten hängt.

Zwischen Königs Wusterhausen und Homberg/Efze, unserem neuen Wohnort, liegen mehr als 400 Kilometer. Wie der Schrank hierhergekommen ist, weiß keiner so genau. Die Stadt, unser Vermieter, hat ihn für uns von einem Schrotthändler geliehen. In sechs Monaten bekommt er ihn wieder zurück. Auch die leicht gefleckte Sofagarnitur in unserem Wohnzimmer soll dann wieder dahin, wo sie herkommt: ins Sozialkaufhaus. Und auch wir werden in einem halben Jahr nicht mehr hier sein. Voraussichtlich.

Mein Partner, unsere zweijährige Tochter und ich wollen für sechs Monate das Leben auf dem Land testen. Denn wozu in der Metropole wohnen, wenn man dank Corona jetzt von überall aus arbeiten kann? Zusammen mit 19 anderen Großstädtern aus ganz Deutschland sind wir Anfang Mai 2021 nach Nordhessen gezogen, genauer gesagt nach Homberg/Efze, ein 14 000-Einwohner-Städtchen, dessen Namen wir bislang nur vom Vorbeidüsen auf der nahe gelegenen A7 kannten.

Wir alle sind Teil des »Summer of Pioneers«, einem Programm, das Stadt und Land auf innovative Weise zusammenbringen will. 150 Euro pro Person und Monat, das ist der Pauschalpreis für einen sechsmonatigen Landleben-Test. Darin enthalten: Wohnen und ein Platz im Coworking-Space, beides inklusive Nebenkosten, Strom, Wasser, Internet. Im Gegenzug für die günstige Miete erwarten die Kommunen von den Großstädtern kreative Projekte zur Belebung der Innenstädte und Ideen für die Nutzung brachliegender Flächen.

Das Projekt startete 2019 in Wittenberge in Brandenburg, seither haben sieben weitere Gemeinden mitgemacht: Altena in Nordrhein-Westfalen, Tengen in Baden-Württemberg, Homberg/Efze in Hessen, Herzberg/Elster in der Lausitz in Brandenburg, Mittweida in Sachsen und Lichtensteig in der Schweiz.

Für Hilfe bei der Organisation des Projekts, die Auswahl der Teilnehmer*innen und das Community-Management vor Ort zahlen die Kommunen eine Gebühr an Frederik Fischers Beratungsagentur Neulandia. Der ehemalige Journalist aus Berlin kümmert sich seit einigen Jahren hauptberuflich um das Thema gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung und hatte 2019 die Idee zum »Summer of Pioneers«.

Homberg hat eine wunderschöne Altstadt mit uralten Fachwerkhäuschen – und vielen leeren Schaufenstern. An die Löwenapotheke erinnern nur noch die silbernen Lettern an der Fassade, auch vom Reisebüro Schmidt, der Bäckerei Weber, der Fleischerei Scherer, dem China-Imbiss Hongkong und dem Nähmaschinenladen Hühnert sind nur noch die Schilder und Schriftzüge erhalten. Die Apotheke ist jetzt im Shoppingcenter jenseits der Altstadt untergebracht, gleich neben Supermarkt und Discounter, mit großem Parkplatz davor. Zum Einkaufen fahren die Homberger jetzt ins Shoppingcenter. Oder sie bestellen gleich im Internet.

Mehr als tausend Einwohner*innen hat Homberg in den vergangenen 20 Jahren verloren. Das Durchschnittsalter hat sich in dieser Zeit um knapp fünf Jahre erhöht, mehr als jeder Vierte ist älter als 60. Es ist ein altbekanntes Phänomen auf dem Land: Die Jungen wandern ab, die Alten bleiben. In den Innenstädten schließen die Läden, an den Ausfallstraßen entstehen riesige Industriegebiete. Wenn neu gebaut wird, dann meist im Umland auf grünen Wiesen. Das geht schneller und ist günstiger als Renovieren – und hat den Vorteil, dass Parkplätze gleich großzügig mit eingeplant werden können. Aber es bedeutet auch, dass die Zentren verfallen. Das Leben verlagert sich in die Speckgürtel. In der Stadtentwicklung bezeichnet man dieses Phänomen als »Donut«-Effekt: außen fett, innen leer.

Fertighäuser statt Fachwerkhäuschen, heißt die Devise. Die bröckelnden Gebäude bekommen statt neuer Balken höchstens Herzchen auf Instagram spendiert – von Menschen wie mir. Hamburg hat in den vergangenen 20 Jahren mehr als 150 000 Menschen dazugewonnen. Ich bin eine dieser 150 000. Aufgewachsen bin ich im Rheingau, nach Stationen in Wien und Berlin bin ich 2011 in Hamburg gelandet. Ich mietete eine schicke Neubauwohnung in der Innenstadt, nicht weit vom SPIEGEL-Büro. Weder das vergammelte Parkhaus gegenüber noch der Straßenlärm störten mich, sogar den schwarzen Staub auf dem Balkon wischte ich gleichmütig alle zwei Tage weg. Nach einer durchtanzten Nacht im Morgengrauen die Elbe entlang nach Hause laufen zu können und zum Einkaufen nicht weniger als die gesamte Mönckebergstraße zur Auswahl zu haben, das war es mir wert.

Ich liebte dieses Leben – bis unsere Tochter zur Welt kam und Corona die Welt auf den Kopf stellte. Plötzlich waren da nur noch der Dreck und der Lärm und die Enge. Die Spielplätze völlig überlaufen, der Spazierweg um die Alster so voll, dass er einem Gänsemarsch glich. Mit meiner Tochter saß ich im trostlosesten aller Innenhöfe und konnte selbst kaum glauben, dass ich für diesen Albtraum in Beton jeden Monat so viel Miete zahlte.

Ich fing an, meine Schulfreund*innen zu beneiden, die ich bislang für ihre Reihenhäuser mit den handtuchbreiten Gärtchen belächelt hatte. In Hamburg sind die Wartelisten für Schrebergärten so lang, dass viele die Namen von Interessent*innen schon gar nicht mehr notieren wollen.

In Homberg haben wir einen Garten geschenkt bekommen.

Er liegt am Waldrand im Schatten alter, knochiger Bäume und ist so weitläufig, dass sich mehrere Familien dort aufhalten könnten, ohne sich überhaupt zu sehen. Was allerdings auch daran liegt, dass der Garten komplett verwildert ist. Aber das machts nichts, denn in unserer Gruppe der Landleben-Tester gibt es genug Menschen, die sich genau danach sehnen: zupacken, mit den Händen in der Erde wühlen, Gestrüpp herausreißen. Der Garten, den offenbar so viele Jahre niemand hat haben wollen, wird wieder geliebt.

Genau solche Win-win-Situationen wollte Frederik Fischer schaffen, als er 2019 den »Summer of Pioneers« ins Leben rief, um Großstadtmüde aufs Land zu bringen. Er berät Kommunen und Firmen und baut zusammen mit einem Architekturbüro sogenannte »KoDörfer«, kleine Siedlungen mit Gemeinschaftsräumen und Selbstversorgergärten, in denen »urbanes Leben auf dem Land« möglich sein soll. Ein Leben ohne Nachbar*innen, die hinter Gardinen hervorschielen, AfD-Wähler und Funklöcher, dafür mit Gemeinschaftsküche, Leihlastenrädern, Coworking-Space und Flat White – all den Dingen eben, die Menschen wie ich in den Metropolen lieben.

Wer wo wohnt, wurde von unserem Vermieter, der Stadt, entschieden – vor allem nach praktischen Kriterien. Ein schmuckes Häuschen, in dem früher im Erdgeschoss die Touristeninformation war, wurde an eine Familie aus Darmstadt vergeben, weil ihre Körpergröße mit den niedrigen Querbalken vermeintlich am besten vereinbar war. Das ehemalige Standesamt hat drei gleich große Zimmer und eine Küche, schwups, wurde eine WG daraus.

100 Quadratmeter für 500 Euro Miete

Fast alle Wohnorte standen vor unserer Ankunft leer oder wurden als Büros genutzt. Die Stadt hat sie mit Büromöbeln, Tellern und Tassen aus diversen Beamtenstuben und Möbeln aus dem Sozialkaufhaus ausgestattet. »Wir wollten die Kosten so gering wie möglich halten«, sagt Nico Ritz, Hombergs Bürgermeister.

Unsere Wohnung in einem mehr als 200 Jahre alten Fachwerkhaus ist eine der wenigen, die auch vor unserem Einzug schon regulär vermietet wurde. Sie könnte mit jeder Berliner Altbauwohnung mithalten: wunderschöner Dielenboden, fein verzierte Tür- und Fenstergriffe, neue Dusche und Küche. Eine andere Familie aus Hamburg hat es noch besser getroffen: Sie wohnt nun im Pfarrhaus mit eigenem Garten samt Sandkiste. Es stand sieben Monate leer.

Die meisten Pionier*innen behalten während der sechs Monate ihre Wohnung in der Großstadt; wer keinen Untermieter gefunden hat, muss doppelt Miete stemmen. In Hamburg kostet eine 80-Quadratmeter-Wohnung in zentraler Lage schon mal um die 2000 Euro kalt. In Homberg kriegt man 100 Quadratmeter schon für 500 Euro. Besser leben für weniger Geld, wer würde das nicht wollen?

Unsere Jobs haben wir mitgebracht

Mehr als hundert Großstädter*innen hatten sich für die 20 Plätze in Homberg beworben, berichtet Jonathan Linker, der zusammen mit Frederik Fischer den »Summer of Pioneers« in Homberg/Efze koordiniert.

Ein auf Drohnenaufnahmen spezialisierter Kameramann ist hier dabei, ein Software-Entwickler, mehrere Projektleiter, PR-Spezialistinnen und Agenturgründer. Im weitesten Sinne machen die meisten von uns »irgendwas mit Medien«, was aber auch in der Natur der Sache liegt: Wir haben fast alle unsere festen Jobs mitgebracht. Einen Laptop und eine Internetverbindung, mehr brauchen wir nicht.

Ausgesucht habe er uns vor allem nach der Kompatibilität für die Gruppe, sagt Linker. Auf die Frage, wie viel die Stadt der »Summer of Pioneers« kostet, möchte Bürgermeister Ritz keine Summe nennen: Die Kosten hielten sich in Grenzen, sagt er, und so genau könne man das auch gar nicht rechnen, denn »alles, was jetzt für die Pioniere geschaffen wird, soll ja auch nach Projektende weitergenutzt werden«. Der »Summer of Pioneers« sei »ein wichtiger Baustein in der Stadt- und Regionalentwicklung«. Und klar ist auch: Eine professionelle Agentur mit der Wiederbelebung der Altstadt zu beauftragen, wäre wohl viel teurer – bei gleichzeitig einem Bruchteil unserer Leidenschaft.

Homberg soll von uns profitieren

Die ersten Projektgruppen gab es schon nach wenigen Tagen. Einmal die Woche treffen sich alle im Videochat und berichten über die Fortschritte. Ich mische unter anderem mit bei der Open-Air-Kino-AG. Schon nach drei Treffen steht der erste Termin: ein Wanderkino zeigt auf dem Marktplatz Stummfilme mit Livemusik.

Katrin Hitziggrad, Immobilienfachwirtin und Mitpionierin aus Jena, hat schon in ihrer Heimatstadt Plattenbauten, verfallene Villen und leere Gewerbeflächen in Ateliers, Pop-up-Stores und Gemeinschaftsbüros verwandelt. »Ich will Immobilien anders denken, offener, bunter, vielfältiger«, sagt sie. Sie sieht all die leeren Ladenzeilen nicht als traurige Mahnmale, sondern vor allem als Chancen: »Hier kann man wirklich mal was voranbringen und sich kreativ ausleben. In vielen Großstädten ist dafür kaum noch Platz.«

Die Altstadt mit mehr Leben zu füllen, darüber würde sich auch Bürgermeister Ritz freuen. »Wir werden all die Ladenflächen in der Altstadt nicht wieder mit Geschäften füllen können«, sagt er. »Das wird einfach nicht funktionieren. Aber wir haben jetzt die Möglichkeit, uns alternative Nutzungsideen auszudenken.«

Für unsere Gruppe wurde dort, wo einst die »Manufaktur Modewaren & Confection« war, ein Coworking-Space eröffnet, in dem auch noch gearbeitet werden soll, wenn wir längst abgereist sind. »FachWerkerei« heißt er, eine Anspielung auf die Fachwerkbauweise des Hauses. Säulen aus Metall stützen die uralten Deckenbalken, die roten Backsteine der Mauern sind an einer Seite unverputzt. Auf einem Empfangstresen sind Zeitschriften und Süßigkeiten dekoriert, in dem großen Raum dahinter stehen acht höhenverstellbare Schreibtische, blank geputzt, noch nicht mal ein Post-it klebt darauf.

Die Schreibtische sind zu Zweierblöcken gruppiert, nur ein halbhoher Sichtschutz trennt die Gegenübersitzenden. Aber an Nähe stört sich hier niemand. Wer hierher zum Arbeiten kommt, sucht die Gesellschaft. Partner*innen sind schnell gefunden in diesem Coworking-Space. Das gilt fürs Essen, aber auch für Schwimmbadbesuche, Fahrradtouren oder Hilfe mit Computerprogrammen. Irgendwer weiß immer Rat, hat das passende Ladekabel dabei oder zumindest eine Idee, wo man suchen oder wen man fragen könnte. Es ist ein Modell, das fortleben soll.

Homberg soll von uns »Pionier*innen« profitieren.

Pioniere – das Wort ist in unserer Gruppe unbeliebt. Es klingt zu sehr nach Missionierung und Unterdrückung von Ureinwohnern. »Homies« ist die kuschelige Alternative, auf die sich alle schnell einigen konnten.

Zentraler Treffpunkt der Homies ist neben dem Coworking-Space die ehemalige Löwenapotheke. Sie beherbergt jetzt eine Gemeinschaftsküche und zwei Waschmaschinen.

Wer wann wäscht, koordinieren wir Homies in einem eigenen Slack-Channel. Wobei ich gestehen muss, dass der Gedanke daran, mit der dreckigen Wäsche von drei Personen zwei Stockwerke hinunter, quer über den Marktplatz und mit der nassen Wäsche den Weg wieder zurücklaufen zu müssen, mich wochenlang gequält hat. Unsere Lösung: Wir haben die Waschmaschine aus Hamburg mitgenommen. Und mit ihr das schlechte Gewissen.

Denn gleich im zweiten Gruppen-Videochat schwärmte einer unserer Mitstreiter davon, wie toll es sei, dass »sharing economy« und Nachhaltigkeit für uns alle nun keine Worthülsen mehr seien: »Wir teilen uns mit 20 Leuten zwei Waschmaschinen, das ist doch großartig!«

Wo fängt Egoismus an und hört Gemeinschaftssinn auf? Wie viel Nachhaltigkeit halten wir aus? Und: Wie wollen wir eigentlich leben? Um das herauszufinden, sind wir hier.

»Endlich mal ein Hackathon mit Hacke«

Neben mir im Acker liegt bäuchlings ein fünf Monate altes Baby und knabbert an einem Kohlblatt. Das sei schon in Ordnung, sagt Marie, seine Mutter, und reißt eine Distel aus. Bewaffnet mit langstieligen Hacken kämpfen wir uns gemeinsam die Reihe entlang, von Spitzkohl zu Spitzkohl. 1500 Kohlköpfe sollen hier demnächst geerntet werden und dann, verpackt in Biokisten, vor 1500 Haustüren in Marburg landen. Aber gerade sieht es nicht gut aus für den Kohl: Disteln, Knöterich und anderes Unkraut nehmen ihm die Nährstoffe weg. Ich bin auf einem Rettungseinsatz.

Es ist der dritte Monat unseres Landleben-Tests in Nordhessen, und ich habe das Gefühl, angekommen zu sein in Homberg/Efze. Angekommen in unserem neuen Alltag, der so anders ist als der in der Großstadt, obwohl unsere Jobs gleich geblieben sind.

Meinen eigentlichen Arbeitstag habe ich schon hinter mir. Ich habe am Rechner gesessen, telefoniert und geschrieben, so wie ich das im SPIEGEL-Büro an der Ericusspitze die vergangenen zehn Jahre gemacht habe. In der »FachWerkerei« haben viele mittlerweile einen Lieblingsschreibtisch, aber keiner murrt, wenn dieser mal besetzt ist. Wer länger telefonieren oder ein Pläuschchen halten will, verzieht sich in einen der Konferenzräume. Oder wird ermahnt, dies zu tun. Schließlich hat hier jede und jeder Einzelne einen Job zu erledigen, von dem die anderen keine Ahnung haben, und muss sich dafür konzentrieren können.

Für wichtige Termine können die Konferenzräume vorab reserviert werden. Für spontane Anrufe bleibt nur die Flucht vor die Tür. Aber das Modell funktioniert. Die Kollegen und Chefinnen in Berlin, Hamburg, London wundern sich im Videotelefonat höchstens über die rote Backsteinwand hinter dem Schreibtisch, aber die könnte ja auch ein virtueller Hintergrund sein. Den meisten ist es noch nicht mal eine Rückfrage wert.

Der größte Unterschied zum Arbeiten im Firmenbüro sind die Gespräche an der Kaffeemaschine. Mit dem Grafiker plaudere ich über ein Plakat, mit der PR-Managerin über einen Imagefilm, aber oft geht es um Freizeittipps: Warst du dort schon, kennst du das?

Und statt nun auf dem immer gleichen Hamburger Spielplatz den immer gleichen Hamburger Small Talk zu halten, stehe ich jetzt auf diesem Acker im nordhessischen Nirgendwo und hacke auf Disteln ein, während meine zwei Jahre alte Tochter Regenwürmer sucht und das Baby der Gärtnerin Kohl knabbert.

Neben mir schuften zwei andere Homies: Johannes, ein Kommunikationsdesigner aus Hannover, und seine Frau Kerstin, eine Grafikdesignerin. Auch sie sind für den »Summer of Pioneers« nach Homberg/Efze gezogen. Auch sie suchen eine Antwort auf die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben? Eine Frage, die mehr umfasst als nur den Wohnort.

Bei diesem Experiment geht es nicht allein darum, die Großstadt gegen die Kleinstadt zu tauschen. Es geht darum, das Beste beider Welten zu vereinen: die Kreativität, die Innovationskraft und den Elan der Stadt, die Ruhe, die günstigen Mieten und das frische Essen vom Land.

Klingt das überheblich? Kritiker*innen werfen uns das vor.

Aus der Stadt müsse man nichts aufs Land exportieren, es sei doch alles schon da, die Kreativität und die Innovationskraft. Aber wenn ich mir hier die vielen leeren Ladengeschäfte anschaue und die Selbstverständlichkeit, mit der Mitglieder eines Motorradclubs ihr Vereinsheim mit eisernen Kreuzen und markigen »Einig, treu, stolz und stark«-Sprüchen zieren, dann finde ich: Doch, hier muss ein Austausch stattfinden.

Wie kann es sein, dass eine Vision für die Belebung der Homberger Altstadt darin besteht, den wunderschönen, von jahrhundertealten Fachwerkhäuschen umsäumten Marktplatz zum Parkplatz umwandeln zu wollen? Das muss doch auch anders gehen. Nachhaltiger, menschenfreundlicher, zukunftsweisender. Und mit dieser Meinung bin ich nicht allein.

Der Acker gehört Malte Groß, dem Biobauern, bei dem wir jede Woche einkaufen. Er ist einer der vielen Homberger*innen, die uns mit offenen Armen empfangen haben. Einer, der nicht die Nase rümpft, weil wir englische Begriffe verwenden wie Coworking-Space oder Flat White. Einer, der unsere Suche nach einem besseren Leben versteht.

Malte hat Sozialpädagogik studiert. Den Biohof seiner Eltern hatte er nach dem Abi verlassen, um in die Stadt zu ziehen. Aber in Kassel und Darmstadt sagte ihm das Leben wenig zu. »Es fing mit den hohen Mietpreisen an und hörte bei den Parks auf«, sagt er. »Künstliche Natur in Form von Parks anzulegen, ist schon irgendwie sehr suspekt, wenn man vom Land kommt.« Und so kam er zurück, um den elterlichen Hof neu zu erfinden. Aber nicht allein, sondern mit seiner Partnerin und zwei Freunden: Florian, einem weiteren Sozialpädagogen, und Niklas, einem Energieberater und Zimmermann.

Gemeinsam mauerten sie eine neue Fachwerkfassade an die marode Scheune, um Platz für ein Café zu schaffen. Reduzierten die Zahl der Schweine, weil ihnen der Stall zu eng erschien. Experimentierten mit Gemüsesorten, die vom Verschwinden bedroht sind. Bauten das Sortiment des Hofladens aus und setzten auf Direktvertrieb. Lieber gleich an die Kunden verkaufen als erst an den Supermarkt, ist ihre Devise.

Zur feierlichen Übergabe des Biohofs von Maltes Eltern an die nächste Generation saßen wir Homies im Innenhof vor den großen grünen Scheunentoren an Tischen, die mit bunten Blumensträußen aus dem Garten von Maltes Mama geschmückt waren, aßen selbst gebackenen Kuchen und tranken selbst gebraute Limonade. Die Vögel zwitscherten, die Schweine grunzten, unsere Tochter spielte mit anderen Kindern Fangen. Ein Landleben-Idyll wie aus dem Bilderbuch – und wir mittendrin.

Marie, die neue Gärtnerin, führte uns mit dem Baby im Tragetuch durch die Gewächshäuser. »Schau mal, da wachsen die Gurken, die wir dann auf dem Markt bei Florian kaufen«, sagte ich zu meiner Tochter und dachte: Wie großartig, solch einen Satz sagen zu können.

Wenige Tage später kam der Hilferuf von Marie, per E-Mail, mit drei Ausrufezeichen:

»Wir freuen uns über jede helfende Hand!!!«

Das Unkraut sei an einigen Stellen schon über den Kohl gewachsen, und sie käme jetzt gern auf unser Angebot der Mitarbeit zurück, schrieb sie: »Ihr braucht nur Lust auf körperliche Arbeit und gute Laune.« Dahinter ein Zwinkersmiley.

Tatsächlich hatten wir bei ihrer Führung – staunend vor den Feldern voller Salat und Kohlrabi stehend – allesamt versichert, wie sehr wir Gartenarbeit liebten. Meine Mit-Pionierin Anna, Spezialistin für agiles Arbeiten, meldete sich sofort zum Dienst. »Endlich mal ein Hackathon mit Hacke«, kommentierte sie die Hilfemail der Gärtnerin in unserer Slack-Gruppe. Auch Inga überlegte nicht lange. Mit den Händen Pflanzen ausreißen, das sei genau der richtige Ausgleich zu ihrer Onlinefortbildung für einen Kosmetikkonzern.

Ich zögerte zunächst. Ist es nicht absurd, wenn wir den Biobauern, bei dem wir teuer auf dem Markt einkaufen, auch noch mit unserer Arbeitskraft subventionieren? Machen wir Städter*innen uns da nicht lächerlich? Andererseits: Wie kann ich von anderen verlangen, dass sie Gemüse ohne Pestizide züchten, und dann im entscheidenden Moment meine Mithilfe verweigern? Zu wissen, wo die Zutaten für unser Essen herkommen, und die Menschen zu kennen, die jeden Tag dafür arbeiten, fühlt sich gut an – bringt aber auch eine neue Art der Verantwortung mit sich.

Von 20 Leuten besitzt immer jemand das Gesuchte

Wir testen hier nicht nur das Landleben. Wir testen, ob sich all die Worthülsen und Slogans, mit denen wir in der Stadt so gern um uns geworfen haben, mit Inhalt füllen lassen: Im Einklang mit der Natur leben. Ausbeutung und Überproduktion stoppen. Wiederverwerten statt verschwenden. Teilen statt besitzen.

Zumindest beim Letzteren haben wir als Gruppe Erfolge zu vermelden. Ob Wischmopp, Verlängerungskabel oder Bohrmaschine, Tomatensoße oder Wundsalbe – nach drei Monaten ist klar: Von 20 Leuten besitzt immer jemand das Gesuchte.

Auch in Hamburg war ich Teil eines Nachbarschaftsnetzwerks, aber so schnell und unkompliziert wie hier kam die Hilfe nie an. Und anders als in Hamburg beschränkt sich das Teilen nicht mehr nur auf Gegenstände. Ein Programmierer wird gesucht, eine Moderatorin, eine Grafikerin, ein DJ? Die Lösung ist nur eine Slack-Nachricht weit entfernt. Jeder hilft hier jedem, mit Zeit, Know-how, manchmal auch einfach nur mit Zuhören. Und wenn es sein muss, auch mit der Hacke.

Nach zwei Stunden auf dem Acker stellt sich so etwas wie Routine ein. Ich habe keine Angst mehr, aus Versehen einen Spitzkohl abzuhacken. Jede herausgerissene Distel ist ein kleiner Triumph.

Marie erzählt von ihrer Ausbildung und ihrer Liebe zu Gemüse. Arbeitsstunden zu zählen, das ist ihr fremd. Ihr Arbeitsalltag wird nicht von Uhrzeiten oder Wochentagen bestimmt, sondern vom Wetter. In zwei Tagen soll es wieder regnen, bis dahin muss das Unkraut weg sein. Aber gemeinsam kommen wir gut voran, die Reihe lichtet sich schon. Es ist eine Binsenweisheit, aber sie stimmt: Es ist schön, am Ende des Tages das Ergebnis seiner Arbeit sehen zu können.

Als wir die Hacken in den Transporter packen, sagt Johannes, er sehe Spitzkohl nun mit anderen Augen und werde zu Hause nie wieder einen verderben lassen. Das gilt auch für mich. Und noch eine überraschende Erkenntnis eint uns: Die körperliche Arbeit hat Spaß gemacht.

Zwei aus unserer Gruppe sind mittlerweile fast jeden Tag auf dem Biohof. Christina, die früher als Aufnahmeleiterin gearbeitet hat, und ihr Partner Julian, ein Kameramann, leiten jetzt das neue Hofcafé. Für beide steht fest, dass sie nach dem »Summer of Pioneers« bleiben werden. Auch Jörg, Unternehmer aus Darmstadt, hat schon seinen ersten Wohnsitz in Homberg angemeldet. Mein Partner Marian und ich sind noch unentschlossen.

Bevor wir nach Homberg gezogen sind, hatten wir uns eine Liste gemacht mit Plus- und Minuspunkten unseres Wohnorts. Die Hamburger Innenstadt punktete mit ihrer Vielfalt an Restaurants und Veranstaltungen, mit bekannten Wegen und pünktlicher U-Bahn. Aber da waren auch der Lärm und die Autoabgase, das fehlende Grün und die Enge. Nachts bei offenem Fenster schlafen können, das stand auf unserer Wunschliste ganz oben.

Der Wunsch ist in Erfüllung gegangen. In Homberg hören wir nachts das Plätschern der Brunnen auf dem Marktplatz. Unsere Tochter kann nicht an ihnen vorbeigehen, ohne ihre Händchen unter das fließende Wasser zu halten, und immer wieder zaubert das Erlebnis ihr und uns ein Lächeln aufs Gesicht.

Auch über fehlendes Grün können wir uns nicht mehr beklagen. In wenigen Minuten erreichen wir zu Fuß den Wald des Burgbergs mit unserem verwilderten Gemeinschaftsgarten oder die Wiesen am Flüsschen Efze. Und immer wieder laden uns auch Homberger*innen in ihre Gärten ein, einer eindrucksvoller als der andere. Immer gibt es ein Trampolin für die Kinder, selbst gemachten Kuchen mit selbst geernteten Früchten, manchmal auch ein Sonnendeck mit Liegestühlen oder sogar einen kleinen See. Abends wird gegrillt, mit Fleisch vom Hof nebenan. So könnte es bleiben.

40 Minuten für einen Upload