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Magie. Übernatürliches. Nekromantie. Der Hofmagier Weidemar wird von seinem Gebieter mit einem Auftrag betraut: Er soll ein mächtiges Artefakt bergen, das Tote wieder zum Leben erweckt. Zur Hilfe holt sich Weidemar einen Experten für Geisterwesen und dessen Zwillingsbruder. Gemeinsam forschen sie nach einer düsteren Legende und begeben sich in einen heimgesuchten Wald, jenen Ort, an dem das Relikt erschaffen wurde. Dabei wühlen sie die tragische Vergangenheit eines rachsüchtigen Geistes auf. Ihr Auftrag entpuppt sich als gefährlicher als vorerst angenommen und nicht jeder kehrt unbeschadet zurück. Ein fesselnder Dark Fantasy Roman, der weder an atmosphärischem Horror noch an unerwarteten Wendungen spart.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Artefaktdes Todes
1. Auflage
© 2024 C. Gina Riot
All rights reserved.
Lektorat: Angela Huber
Korrektorat: Josephine Awgustow
Cover Design, Karte, Satz & Layout:
LAYOUTRIOT - Agentur für Werbung und Design
(www.layoutriot.at)
www.dienerdesordens.at
Kapitel 1
Die Küche war jener Teil der Festung des Barons Uhlia Fortrest, in dem man die neuesten Informationen als Erster erfuhr. Daher war es nicht verwunderlich, wenn sich die engsten Berater des Barons unten einfanden und mit einfachen Mägden und Knechten beisammensaßen. Weidemar, Hofmagier des Barons, ging mit diesem Beispiel allen anderen voran. Mit einem Krug Kupferbier in der Rechten und seinen Handkarten in der Linken hatte er es sich an dem großen Tisch bequem gemacht und vertockelte sich die Nachmittagsruhe mit einem der Küchenjungen.
»Nun spiel deine Karte schon aus!« Weidemar lehnte sich entspannt in seinem Holzstuhl zurück und platzierte die Stiefel auf der Tischplatte. Dabei schlug er ein Bein über das andere.
Der Küchenbengel wagte es nicht, dies mit einer herabwürdigenden Geste zu schmähen, und versenkte stattdessen den Blick in seine Handkarten.
»Fürchtest du, gegen den Magier deines Herrn zu gewinnen?« Ein Grinsen breitete sich auf Weidemars Gesicht aus. Er führte den Eisenkrug zum Mund und nahm einen tiefen Schluck von seinem Kupferbier.
Der Küchenjunge war dem jungen Magier in Rang und Stellung weit unterlegen. Ebenjene Zurückhaltung übte er auch im Kartenspiel. Vorsichtig zog er eine der Tockenkarten und legte sie vor sich ab. Dann hob er verunsichert den Kopf und blickte Weidemar unter halb gesenkten Lidern an.
»Du spielst also den Trumpf aus? Sodann.« Weidemar stellte den Krug vor sich ab und nahm die Reiterstiefel wieder vom Tisch. Er begab sich in eine konzentrierte Pose, als hinge sein Leben von diesem Tockenspiel ab. »In dem Fall gebe ich klein bei und lege den Tribock offen aus. Du hast gute Karten.« Weidemar schielte zu dem Kroizen, den er gesetzt hatte.
»Nur solange Ihr nicht drei der Art habt.« Der Knabe schickte sich an, nervös zu lächeln, wandte den Blick allerdings schneller wieder von Weidemar ab, als er ihn auf ihn gerichtet hatte.
Weidemar ließ sich nichts anmerken. Er besaß alle drei Triböcke und solange der Knabe nicht einen weiteren Trumpf in seinen Handkarten hielt, würde Weidemar diesen Goldtaler sogleich verdoppeln. »Grisella, bringst du uns deine erlesenen Kohlrabiecken?«, rief er der Küchenmeisterin zu.
»Wonach auch immer es Euch gelüstet«, flötete Grisella.
»Du bist die Beste!«
Der Junge legte eine weitere Karte vor sich offen auf die Tischplatte. »Habt Dank«, murmelte er schier beiläufig, »dass Ihr meine Mutter heiltet.«
»Ist sie wieder bei Kräften, ja?« Mit einem Anflug eines Lächelns schielte Weidemar über seine Handkarten hinweg in das schweißnasse Gesicht des Küchenjungen.
»Ist sie. Und das haben wir nur Euch zu verdanken.«
Weidemar nickte und wollte dieses Gespräch nun für beendet erklären. Etwas Bescheidenheit musste man sich in der Position des einzigen Hofmagiers des Herrn doch bewahren.
»Eure Kohlrabiecken, Magistral!« Grisella stellte einen Tonteller mit herb duftendem frittiertem Gemüse vor Weidemar ab. »Ich habe mir erlaubt, etwas roten Pfeffer in den Teigmantel zu mischen. Eine verbesserte Rezeptur sozusagen. Und Kräuterrahm, da ich weiß, dass Ihr diesen gerne habt, Hofmagier.«
»Du bist wahrlich die Beste«, lobte er die rundliche Küchenmeisterin mit der reinweißen Schürze und dem strohblonden Haar.
Auch sie wagte es nicht, den Blick mit dem seinen zu kreuzen. Zu viel Ehrfurcht, zu großer Respekt trennten ihre Augen von den seinen. »Bei Fegels Mutter habt Ihr wahrhaftig Meisterliches geleistet, wenn Ihr mir diesen Kommentar erlaubt.« Sie setzte zu einer dezenten Verbeugung an. »In Eurer Größe seid Ihr kaum zu übertreffen.«
Weidemar schmunzelte ob ihrer Wortwahl. Für Leibesgröße war er wahrlich nicht bekannt. Seine magischen Fähigkeiten hingegen waren in dieser Festung vom kleinsten Stallburschen bis zur höchsten Instanz, dem Baron, durchaus anerkannt. »Nun schmierst du mir aber Honig ums Maul, Grisella.«
»Wenn das Reich Scór Honig hätte, Herr, so würde ich ihn eher zum Kochen verwenden«, schickte sie sich an zu scherzen.
Weidemar lachte nicht nur aus Höflichkeit.
Während Grisella wieder den großen Raum durchmaß, um auf ihre Kochstelle zuzusetzen, kamen die Reiter der Festung von ihrer Expedition zurück. Sogleich erfüllte neben den würzigen Gerüchen der brodelnden Gerichte auch der Gestank von Pferden den Raum. Schweißgebadet und in voller Reitermontur betraten nun die Festungswächter den Küchensaal. Vier Männer waren es an der Zahl. Voran schritt ihr Anführer Weltor Becht, der erhobenen Hauptes auf die Kochnische zustiefelte, um zu sehen, was Grisella heute gezaubert hatte. Er hob den Deckel von einem der Töpfe und steckte den Kopf in den Dampf. »Riecht mal wieder verführerisch«, lobte er.
»Wie steht es um die Gesundheit Seiner Majestät?«, rief Weidemar ihm von seinem Tisch aus zu.
»Nicht allzu gut. Bedauerlicherweise liegt der König im Sterben.«
»Das ist nichts Neues. Gibt es für ihn keine Heilung?«
»Hätten sie wohl eher einen Hofmagier wie Euch in seinen Dienst gestellt. Dann wäre er wohl heute noch bei reger Gesundheit.«
»Ich bin kein Heiler.«
»Dennoch vollführt Ihr wahre Wunder, Weidemar.« Mit einem Lächeln setzte der Hauptmann der Festungswache auf ihn zu. Stöhnend ließ er sich auf einen der Holzstühle nieder und rieb die Hand über die schweißnasse Stirn. »Scór steht ein neuer Krieg bevor, wenn der König verscheidet.«
»Krieg?«, entgegnete Weidemar, indes er eine neue Karte von seiner Hand offen auslegte. Er entschied sich gegen den Tribock, denn einen Jungen wie den Küchenburschen wollte er nicht um die wenigen Münzen bringen, die er besaß. »Malt Ihr unser Reich nicht etwas zu schwarz mit der Annahme?«
»Ich weiß es nicht.« Abermals stöhnte Weltor und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen. »Aber die Historie unseres Landes gibt uns dieses Schicksal wohl vor. Bei jedem Wechsel der Krone kommt es zu Unruhen und daraus resultiert Krieg.«
»Wir werden sehen.«
Den Helm, den Weltor die gesamte Zeit über zwischen Ellenbeuge und Flanke eingeklemmt hatte, legte er nun auf den Tisch. »Wir werden sehen.« Er schnaubte. Seine Haltung wirkte sowohl angespannt als auch resigniert. Seine Haut glänzte von dem Schweißfilm, der ihm das schulterlange Haar von Haselnuss auf die Stirn klebte. »Wenn Euer Stapel leer ist, fordere ich Euch heraus!«
»Ihr wagt es, gegen mich zu tockeln?« Weidemar entschlüpfte ein Grinsen. »Ich werde Euch jedoch nicht gewinnen lassen.«
»Vermutlich beherrscht Ihr neben den zahlreichen magischen Gaben auch ordinäre Kartentricks«, scherzte der Befehlshaber der Festungswache.
»Seid nicht töricht!«
Fleißige Mägde und Küchenjungen huschten an ihnen vorbei. An den vielen breiten Tischen wurde indes gehackt, gerührt und mariniert. Das Abendmahl für den Baron und seine höchsten Untertanen musste zubereitet werden.
»Wenn du fertig bist, Fegel, dann hilf mir, den Eintopf vom Feuer zu heben!«, rief Grisella durch den großen Saal.
Der Küchenjunge zuckte sofort zusammen. »Ich bin ... gleich ...« Nervös blickte er von seinen Handkarten über die Schulter zu Grisella, dann in Richtung Weidemars, bevor er die Karten achtlos auf den Tisch schmiss und aufsprang, um seine Pflicht zu tun.
»Warte mal!«, rief Weidemar ihm hinterher.
Der Junge wirbelte herum. Die Schamesröte ließ seine Wangen glühen. Schweißperlen tanzten auf seiner Stirn.
»Dein Kroizen.« Weidemar griff sich die Goldmünze, die vor ihm lag, und warf sie dem Jungen in hohem Bogen zu. »Hast sie dir verdient.«
»Aber«, wagte der Junge zu protestieren.
»Kein Aber! Kauf dir davon etwas Schönes!«
Mit einem dankbaren Lächeln auf dem Gesicht setzte der Küchenbursche zu einer Verneigung an, bevor er sich sputete, Grisella mit dem schweren Kessel zu helfen.
Weltor langte nach Weidemars Karten, bog sie auf und linste hinein. »Ihr hättet ihn mit drei Triböcken geschlagen.«
Weidemar zuckte mit einer Schulter. »Ich wage zu behaupten, dass der Bengel es nötiger hat als einer wie wir.«
Schmunzelnd nickte der Festungswächter ihm zu. »Und nun tockeln wir beide gegeneinander? Nach meiner letzten Blamage fordere ich eine Revanche.«
Als Weidemar lachte, warf er den Kopf in den Nacken. »Wenn Ihr nun auch noch Eure Waffe verlieren wollt, gerne. Ich jedenfalls erfreue mich noch immer an dem Gewinn vom letzten Mal.« Demonstrativ legte Weidemar wieder die Beine auf den Tisch, schlug sie übereinander und ließ den Anführer der Festungswache wissen, dass er gerade jene Stiefel trug, die er ihm bei ihrem letzten Tockenspiel abgenommen hatte.
»Weder Schwert noch Speer setze ich in unserem Kartenspiel. Aber etwas anderes habe ich, das für Euch vielleicht von Interesse sein könnte.« Weltor langte über den Tisch.
Weidemar klopfte ihm auf die Finger. »Pfoten weg von meinen Kohlrabiecken!« Er selbst griff sich eines der frittierten Gemüsestücke und steckte es sich in den Mund. »Der rote Pfeffer war genau die Note, die deinen erlesenen Kostbarkeiten gefehlt hat«, lobte er mit vollem Mund.
Grisella warf ihm ein paar Worte des Dankes quer durch den Raum zurück.
Dann wandte sich Weidemar wieder an den Festungswächter. »Was habt Ihr, das für mich von Interesse sein könnte?«
Weltor holte ein kleines Buch hervor und legte es für Weidemar gut sichtbar auf den Tisch. »Dies fiel mir in der Hauptstadt in die Hände und ich musste an Euch und Eure Leidenschaft für alte Legenden aus der Region denken. Vielleicht wird es Euer Wissen nähren. Und wenn nicht, so habt Ihr etwas zum Schmökern.«
»Sehr aufmerksam«, merkte Weidemar dankbar an. Mit leuchtenden Augen griff er sich das kleine rote Büchlein mit dem Ledereinband und schlug es auf. »Es beinhaltet Sagen und Legenden aus den Wäldern Scórs, wie ich sehe. Habt Dank, Weltor, das wird meine Sammlung würdig ergänzen.« Er blätterte kurz darin, ehe er es zuschlug. »Was schulde ich Euch für diese Aufmerksamkeit?«
»Eigentlich sollte mir dies als Wetteinsatz beim Kartenspiel dienen, doch nachdem ich den Glanz in Euren Augen sah, bringe ich es nicht übers Herz. Es möge Euer sein. Ein Geschenk.«
Weidemar vergalt die Großzügigkeit des Festungswächters mit einem Lächeln. »Ihr seid zu gütig.« Er hatte es gelernt, ein Geschenk anzunehmen, ohne sich in falsche Bescheidenheit zu hüllen. Die Freundschaft zwischen Weidemar und dem Anführer der Festungswache bestand ohnehin aus einem Arrangement aus Geben und Nehmen. Und diesmal war eben er an der Reihe, ein Geschenk anzunehmen. Er griff sich das Buch, verstaute es in dem schwarzen Mantel aus dünnem Leinen und wandte sich daraufhin wieder seinem Gegenüber zu. »Und was verwettet Ihr nun im Tockenspiel gegen mich?«
Weltor entließ ein aufrichtiges, herzhaftes Lachen. »An Dreistigkeit fehlt es Euch jedenfalls nicht.«
Weidemar sammelte alle Spielkarten auf dem Tisch ein und begann diese zu mischen, als die Mätresse des Barons die Küche betrat. Augenblicklich verstummten die Gespräche, die an jedem Tisch geführt wurden.
Cirela besaß Schönheit wie Strenge, die beiderseits Ehrfurcht geboten. »Weidemar, der Baron will Euch sehen.«
Weidemar nickte ihr zu, bevor er sich erhob. Er richtete den Blick entschuldigend auf den Anführer der Festungswache. »Wir holen unser Spiel nach«, ließ er ihn wissen, indes er in seine Tasche langte. Heraus holte er das Büchlein mit dem roten Ledereinband. »Habt Dank für Euer lieb gemeintes Geschenk. Im Gegenzug sollen meine frittierten Kohlrabiecken die Euren sein.«
Wieder lachte Weltor herzhaft, ehe er sich die Tonschüssel griff. »Das ist ein Handel, bei dem ich eindeutig besser aussteige.«
Ungeduld lag in dem strengen Blick der schönen Mätresse, als Weidemar noch den übrigen Festungswächtern seine Empfehlung aussprach, bevor er sich anschickte, ihr zu folgen.
Cirela schritt voran. Ihr gewelltes, schwarzes Haar schimmerte wie Seide. Die schmalen Hüften erlagen den Wogen ihres eleganten Ganges. Von den Schultern bis zu den Knöcheln war sie in dunklen Samt gehüllt. Eng lag die Gewandung an ihren weiblichen schlanken Kurven an.
Weidemar folgte ihr hinaus ins Atrium, wo er der Geschäftigkeit der Untertanen seines Herrschers gewahr wurde. Von allen Seiten wurden Grußformeln laut, die allesamt ihm galten. Dem Blick der Mätresse hingegen wichen die meisten von ihnen gekonnt aus. Cirela machte den Anschein, als hätte sie geübt, sich nur an den einen strengen Gesichtsausdruck festzuklammern. Denn mehr als diesen zeigte sie nicht.
»Weidemar!« Ein Knecht rief nach ihm. Lediglich als anerkennende Begrüßung, während er den Arm hob und ihm zuwinkte.
»Hat der Trank gewirkt, den ich deinem Kater gab?«, rief Weidemar im Vorbeigehen.
»Er ist wieder ein ganz neues Kätzchen. Habt Dank, Meister!«
Cirela führte ihn wieder hinein in die Festung. Sie leitete ihn zur Steintreppe, ehe sie ihm ihr gepudertes, makelloses Gesicht zuwandte. »Der Baron erwartet Euch bereits im Flaggenturm.« Sie musterte ihn eisern. Lediglich flüchtig zuckte eine der schlanken dunklen Brauen, ohne dass sie eine Falte in die Alabasterhaut zeichnete.
Weidemar entgegnete lediglich ein knappes Nicken, bevor er die Treppe zum Turm hinanstieg.
Im Kamin des Raumes brannte ein Feuer. Der Baron saß in seinem thronähnlichen Lehnstuhl mit orangefarbenem Samtbezug und hatte das Gesicht zu einer sorgenvollen Miene verzogen. Eine raumeinnehmende Fahne des Landes prangte hinter ihm. Auf schwarzen und orangefarbenen Feldern waren Stickereien von gekreuzten Fackeln und einem Dämonenschädel zu erkennen. Mehrere Legenden hatten sich zu einer zusammengesponnen, die den Ursprung des Wappens Scórs bildete. Und Weidemar kannte sie alle. Die Fahne Scórs flankierten zwei Wappen des Hauses seines Herrn Uhlia Fortrest. Auf glänzendem Schwarzmetall war der kopflose Reiter in bläulich grünen Farben detailliert eingezeichnet. Auch diese Legende, die einst zu dem Wappen des Hauses führte, war Weidemar nicht fremd.
Bevor Baron Uhlia Fortrest den Kopf hob, schnaubte er gedehnt. Etwas brannte ihm auf der Seele, wie Weidemar nur unschwer erkennen konnte.
»Ihr ließet nach mir schicken.« Wenngleich Weidemar diese Aussage völlig sinnbefreit erschien, wollte sie ihm zumindest als Gesprächsöffner dienlich sein.
»Setzt Euch, Weidemar!« Mit einem Brieföffner in der Linken deutete der Baron auf den Stuhl am gegenüberliegenden Ende des massiven Tisches.
»Wie kann ich zu Diensten sein, Freiherr?« Er zog die klobige Bergère an der Rückenlehne zurück und ließ sich nieder.
»Es ist kein Geheimnis, dass König Leonhart im Sterben liegt«, eröffnete Baron Fortrest. Sein Blick schien durch sämtliche Materie hindurchzugleiten. Nach den ersten Worten verharrte er wieder schweigend mit schwermütiger Miene und hochgezogenen Schultern auf seinem Thronlehnstuhl. Das schwarze Haar hatte er sich mit reichlich Öl nach hinten gekämmt. Im Flackern des Feuers aus dem Kamin tanzten rötliche Glanzflecken über den Scheitel. Mit einer flinken Handbewegung warf er sich das brustlange glatte Haar über die Schulter und legte daraufhin den Brieföffner beiseite. Langsam und noch immer mit einem tiefen Seufzen lehnte er sich zurück und faltete die Hände vor seinem Brustkorb. Das kantige Gesicht wies Sorgenfalten auf, die ihm drei tiefe senkrechte Striche zwischen die Brauen malten. Zu lange saß er schweigend vor ihm, sodass Weidemar nichts übrig blieb, als seinen Herrn erwartungsvoll zu mustern. Dabei fiel ihm auf, dass die Nase ein wenig schief war und er sich das Haar womöglich färbte, denn zu hart kontrastierte es zu der aschfahlen Gesichtshaut. Die zusammengepressten, schmalen Lippen umsäumte ein gräulicher Schatten, wenngleich der Baron wie stets säuberlich geschoren war. Die schwarze Robe saß wie angegossen. Ein Stehkragen drängte sich unter dem glatten Haar hindurch und ein kupferner Kettenanhänger hing ihm von der entblößten Kehle, auf der auch schon erste Falten erkennbar waren. Wieder kam ein Seufzen über seine bleichen Lippen. Endlich nahm er das Wort. »Scór ist noch nicht bereit für einen Wechsel der Krone.« Kurz blickte er auf. Seine Augen umspielte ein fahler Glanz.
Weidemar schwieg.
»Seit König Leonharts Hofmedikus an ihm die Hansen‘sche Krankheit konstatierte, vertuschten wir das langsame Sterben unseres Herrschers vor dem Volk. Doch nun ist sein Ende nahe. Wenige Tage sollen den König noch von seinem Todestag trennen. Und der Wechsel der Krone steht Scór unweigerlich bevor.« Abermals setzte Baron Fortrest ein Schnauben nach. »Von dem baldigen Verscheiden gewahrte mittlerweile auch sein Thronfolger und kehrte heim.«
»Daher fürchtet Ihr, Unruhen werden über unser Land fegen, sobald der Nachkomme König Leonharts die Krone annehmen wird?«
»Ja, das fürchte ich. Ich schickte Weltor Becht und seine Mannen in die Hauptstadt, um nach dem Rechten zu sehen. Der Thronfolger ritt flankiert von seiner Armee in die Hauptstadt Nietfonien. Ein Kriegskönig?« Wieder blickte der Baron auf. »Ist es das, was Scór jetzt braucht? Einen Kriegstreiber an der Spitze des Landes?«
»Was gedenkt Ihr zu unternehmen, Herr? Ich kenne Euch. Ihr habt mich gewiss nicht des Rates wegen zu Euch in den Turm zitieren lassen.«
»Wir benötigen mehr Zeit, um die Einigkeit im Volk zu stärken, ehe wir einem neuen Wandel entgegenblicken. Die Gezeiten setzen Scór schon zur Genüge zu. Nahrungsgüter gehen uns aus und die Felder liegen brach. Der letzte Wechsel des Herrschers ist noch nicht lange genug verstrichen und noch immer spüren wir seine Nachwehen. Es ist zu früh, sage ich Euch.«
»Da pflichte ich Euch bei, Freiherr.«
»Ich bin auf einen möglichen Ausweg gestoßen. Und hierbei werdet Ihr mir dienlich sein.« Er lehnte sich vor und platzierte die gefalteten Hände auf der Tischplatte zwischen Tintenfass und Brieföffner. »Zumindest soll uns dieser Deus ex Machina einige Verzögerung einbringen.«
»Worauf seid Ihr gestoßen, Freiherr?«
Nun saßen sie sich Auge in Auge gegenüber. Die Strenge in Baron Fortrests Gesicht verlor sich nicht.
»Ich habe von einem Relikt gehört, das sich tief in den Wäldern nördlich Salves finden lassen soll. Ihr seid bewandert in vielen Legenden, Sagen, Geschichten des Landes, daher lege ich größtes Vertrauen in meine Entscheidung, mich hierbei an den Rechten zu wenden.«
Weidemar schwieg und wartete gebannt auf die weiteren Ausführungen des Auftrages seines Herrn.
»Kennt Ihr die Legende des Jungen mit dem Krähenschädel?«
»Ich entsinne mich nur vage, Freiherr«, gestand Weidemar.
»Ich bin mir sicher, Ihr werdet nähere Informationen in einem Eurer Bücher finden. Es ist eine tragische Geschichte von einem Jungen auf einer Lichtung. Und an jener Stelle wird man ihn finden. Der Geist des Jungen verbirgt ein magisches Relikt, das einem Menschen gewährt, die Toten wieder zum Leben zu erwecken und ihnen sämtliche Krankheiten zu rauben. Das Artefakt verleiht neue Kräfte. Seelisch wie auch körperlich. Wenn es Euch gelingt, dieses Relikt in unseren Besitz zu bringen, so werden wir nach Eintreten des Todes unseres Herrschers auf nekromantische Weise handeln und ihm wieder zu neuem Leben verhelfen.«
Weidemar saß ihm für einen Moment schweigend und nickend gegenüber. Dann sog er die Luft durch die Nase ein und nahm das Wort. »Und wie kann dieses Relikt geborgen werden?«
»Beschwört den Geist des Jungen und bringt das Relikt in Euren Besitz. Alle Einzelheiten werdet Ihr gewiss in Erfahrung bringen, bevor Ihr Euch auf diese Reise begeben werdet.«
»Ich fürchte, für diese Aufgabe nicht der Richtige zu sein«, gestand Weidemar. »Mit Erscheinungen habe ich zu wenig Erfahrung. Die Beschwörung von Geisterwesen ist ein überaus komplexer Prozess, der mir nicht allzu geläufig ist.«
»Diese Antwort ist völlig inakzeptabel. Ich nahm Euch in meine Dienste, weil Ihr als Chaosmagier ein allumfassendes magisches Wissen mitbringt. Und nebenbei seid Ihr überaus bewandert in Nekromantie. Die Beschwörung von Geisterwesen kann sich von der Nekromantie nicht allzu stark unterscheiden.«
»Ich bin untröstlich, Euch widersprechen zu müssen, Freiherr. Die Anwendungen gleichen sich nicht im Geringsten.«
Schnaubend ließ sich der Baron wieder nach hinten fallen. »Es gibt keinen anderen, den ich mit dieser Agenda betrauen kann und werde. Ihr findet gewiss einen Weg, dieses Relikt in unseren Besitz zu bringen.« Baron Fortrest beugte sich wieder zu ihm und schob das Kinn vor. »Das Schicksal des Reiches hängt von Euch ab.«
Augenblicklich fühlte sich Weidemar in die Ecke gedrängt. Es lag ihm fern, sich seinem Herrn zu widersetzen. Dennoch beherrschte er die gewünschten Fertigkeiten nicht.
»Für einen Obligator mit Euren Fähigkeiten sollte es kein Problem darstellen, diesen Auftrag auszuführen«, insistierte Baron Fortrest mit Nachdruck.
Seine Worte bedrängten Weidemar noch mehr. Die Privilegien, die sein Rang mit sich brachte, die Kroizen, die seine Taschen füllten, und die prachtvollen Gemächer wollte er um keinen Preis verlieren. Ebenso wie das Ansehen, das er durch die Stellung in den Diensten des Barons im Volk genoss. Allein schon sein Ehrgefühl verbot es, sich dem Herrn zu verweigern. In seinen jungen Jahren bereits ein Amt als Hofmagier zu bekleiden, erfüllte ihn mit Stolz.
»Stellt Euch ein Aufgebot von Obligaten zusammen, wenn es nötig sein soll. Doch ich dulde keine Verweigerung.«
Weidemar riss den Kopf hoch. »Ihr bringt mich auf eine Idee, Freiherr.« Erleichterung bezog sein Gemüt. »Ein einstiger Studienkollege und guter Freund hat sich auf dieses Gebiet spezialisiert. Mit Verlaub würde ich diesen gerne konsultieren. Denn mit vereinten Kräften wird es uns gelingen, das von Euch ersehnte Relikt in unseren Besitz zu bringen, um somit unser Land vor dem Untergang durch Zerwürfnis und Krieg zu retten.«
Ein erleichtertes Lächeln umschmeichelte nun die Lippen des Barons. »Holt diesen Magier in meine Festung und bereitet Euch auf die Reise in die Wälder vor!«
Kapitel 2
Wer kennt die Antwort?« Der Sexualmagiedozent Loras blieb am Kopfende seines Auditoriums stehen und besah sich seine Studenten. Adepten. Gerade keine Novizen mehr, doch noch immer grün hinter den Ohren.
»Bevor wir tiefer in die Materie eindringen, wollen wir das Gelernte aus euren Jahren als Novizen noch einmal wiederholen. Wer also kann mir mehr über das Bannwort erzählen?« Loras umfasste sein Handgelenk hinter dem Rücken und wartete.
Eine Hand hob sich aus dem Meer gesenkter Köpfe. Die geschmeidige Hand des Studenten, der auf den klingenden Namen Lyan hörte.
Der junge Dozent erteilte ihm das Wort.
»Das Bannwort vermag einem Obligator Macht über sein Opfer – auch Betörter genannt – verleihen. Nachdem der Sexualmagier seinem Opfer ein Aphrodisiakum verabreicht, folgt eine Berührung, ein tiefer Blick in die Augen, um eine zärtliche Verbindung herzustellen. Daraufhin taucht das Bannwort im Kopf des Sexualmagiers auf. Es handelt sich hierbei um einen Ausdruck, der ihm zufällt. Man kann dieses Bannwort nicht selbst erzeugen oder erzwingen.«
Eine andere Hand wurde emporgestreckt.
»Em Ka‘a, Ihr habt dem etwas anzufügen?« Loras schmunzelte, als er das erregte Aufblitzen ihrer hellvioletten Augen gewahrte. Wie sich die Röte in ihre Wangen stahl, beim bloßen Klang seiner Stimme.
»Es gibt starke und schwache Bannwörter. Je mächtiger ein Magier ist, desto intensiver ist auch das Bannwort. Und je nachdem, in welchem Umfeld es zum Einsatz kommt, ist es stärker oder schwächer.«
»Das entspricht der Wahrheit, Em Ka‘a.«
Sein Lob brachte ihre Wangen zum Glühen.
Je tiefer ein Obligator in die Materie eintauchte und je mehr Wissen er in seinem Bereich erlangt hatte, desto mächtiger war auch das Bannwort, das ohne sein Zutun in ihm erschien. Auf dass er es bloß noch auszusprechen hatte und sein Opfer würde ihm erliegen.
»Und wisst Ihr auch, wie lange die Ausbrütung andauert, Em Ka‘a?« Kirschrote Wangen. Ja, wie lange dauerte es, bis Euch mein Bannwort betörte? Em Ka‘a. Nur Euren Namen zu hören, bringt in Euch das Blut zum Aufwallen. Ein mächtiges Bannwort. Euer eigener Name.
»Das ist abhängig vom Bannwort und der Verwendung, beziehungsweise abhängig vom Umfeld.« Die Studentin mit dem kinnlangen Haar in der Farbe von sattem Violett war strebsam. Und seit Loras sie zu seiner Betörten gemacht hatte, war sie zudem überaus gefallsüchtig geworden. Besonders in seinem Kursus.
»Wollt Ihr näher darauf eingehen?«
Nun reckte sich wieder Lyans Arm und seine Zunge folgte dem Beispiel von jener Übereifrigkeit, die sein Arm zuvor beschrieben hatte. »Lautete das Bannwort beispielsweise Diener, so würde es bei Hofe, im Dienste eines Königs, häufig fallen. Umso seltener jedoch in der Hütte eines einfachen Bauern. Daher kann dieses Bannwort, dem Richtigen zugetragen, große Macht besitzen oder sich aber auch als wertlos erweisen.«
Und wie wertvoll wäre es, spräche ich das Bannwort Materie vor Euch aus, süßer Lyan? Hier in meinem Auditorium? Auf dass es Euch immer näher zu mir führt, in meine privaten Gemächer. »Ihr habt Euch aus Eurer Zeit als Novize viel gemerkt. Ich schätze es, wenn Ihr, meine Studenten, das Grundwissen der Materie vertieft, bevor Ihr weitere Kenntnisse erlangt.« Loras warf einen flüchtigen Blick auf den schlanken Studenten. Bloß um sich seiner zart geröteten Wangen zu vergewissern.
»Ich vergaß, das Essenziellste der Aussage zu erwähnen.« Wieder fuhr Lyans Hand hoch. Er flehte förmlich nach der Gunst des Gelehrten.
Loras unterdrückte das Schmunzeln, das in ihm aufkeimte. »Und was wäre das?«
»Die Häufigkeit, in der das Bannwort in das Gehör des Betörten fließt, steht in direkter Verbindung zu der Intensität des Fluches.«
»Fluch ist aber ein schmutziges Wort.« Mit gespielter Erheiterung schüttelte Loras den Kopf.
»Die Sexualmagie hat durchaus auch etwas Schmutziges, etwas Ruchloses an sich«, meldete sich eine Studentin zu Wort. »Daher findet das Wort Fluch durchaus in diesem Zusammenhang berechtigterweise seine Verwendung.«
»Fluch«, nahm Loras als Anhaltspunkt für weitere Erörterungen, »wird fürwahr im Zusammenhang mit der Betörung im Bereich der Sexualmagie verwendet. Im Besonderen im Bereich der Aphrodisiaka. In Eurer Zeit als Novizen erlerntet Ihr die Anwendung durch Tränke. Albelat, Rotaton‘sche Liebestränke, S‘wadrón und wie sie nicht alle heißen.« Loras setzte seinen Ausführungen ein Schnauben nach. Tränke waren noch nie sein Spezialgebiet gewesen. Deswegen verweigerte er ihre Anwendung, wo er es konnte. Die Ausbildung der Adepten hingegen brachte ihn dazu, seine Expertise in anderen Bereichen zu lehren. »Nachdem wir die Grundkenntnisse abermals auffrischten, will ich Euch in eine andere Form der Betörung einweisen.« Er legte eine Kunstpause ein, in der er die beiden Adepten, die er vor einigen Wochen bereits mit seiner Magie betörte, in Augenschein nahm. Und zu seiner Überzeugung schenkten ihm sowohl Lyan als auch Em Ka‘a ihre volle Aufmerksamkeit. Glänzende Augen, ein schwärmerischer Blick strahlten ihm entgegen und beflügelten sein Selbstbewusstsein. »Der Blick, die Berührung, das Bannwort. Sehen, spüren, hören. Als Novizen erlerntet Ihr, wie ein Betörter anhand eines weiteren Sinnes gebannt wird. Dem Geschmackssinn. Dennoch birgt dies gewisse Gefahren. Kann mir jemand diese benennen?«
Niemand regte sich.
»Em Ka‘a?«
Zögerlich zog sie die schwarz bekleideten Schultern hoch. Nervös begann sie, an dem grünen Stoff um ihren Hals zu zupfen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht, worauf Ihr hinauswollt, Gelehrter.«
»Aphrodisiaka, die oral eingenommen werden, wirken sofort und besonders heftig. Diese Tränke bestehen aus Elementen, die die Libido anfachen. Ein Anschwellen der Sexualorgane ist keine Seltenheit nach der Einnahme eines sexualmagischen Trankes. Zur gleichen Zeit erfährt auch der Verstand eine starke Beeinträchtigung. Dadurch kann dem Betörten während der Wirkung des Zaubers der eigene Wille geraubt werden. Bei zu hoher Dosierung oder zu häufiger, zu lang andauernder Anwendung kann dies sogar dazu führen, dass der Betörte seinen Charakter umformt, bloß um zu dienen. In den schlimmsten Fällen führt das sogar zum Verlust des Verstandes.« Loras hielt inne, um sich seine Studenten zu besehen. »Ich persönlich bin kein Freund davon, einem Betörten den eigenen Willen zu nehmen, ihn gänzlich zu verändern, bloß um zu bekommen, wonach ich als Sexualmagier verlange.« Wieder verharrte sein Blick auf Lyans Gesicht. Auf den glühenden Wangen und dem Glanz in seinen Augen. »Daher möchte ich Euch in meinem heutigen Kursus in die Anwendung der aphrodisierenden Duftöle einführen. Die Wirkung ist sanfter, einnehmender, betörender, doch schleichender. Das Bannwort entfaltet sich zart, während der Duft des Sexualmagiers noch lange nachwirkt. Und jener Duft agiert ebenso wie das gesprochene Bannwort. Je häufiger es zum Einsatz kommt, desto intensiver nimmt es der Betörte wahr. Er reminisziert unwissentlich seine erste Begegnung mit dem Duft, ohne sich daran zu erinnern, jemals damit betört worden zu sein.«
Die Zunge des Jungen zu Loras‘ Rechten schmeckte süßer als die des Mädchens zu seiner Linken. Auch war er zärtlicher. Weiche Lippen berührten die seinen. Loras nahm seinen Duft in sich auf. Er besaß eine dezent waldige Note. Etwas Harziges. Der Magiestudent mochte wohl gerade von einem Kursus aus den Akademiewäldern zurückgekehrt sein. Sanft wanderten seine Hände über Loras‘ glatte Brust. Finger tanzten über seine Rippen. Sanft und zart. Indes fasste die Sexualmagiestudentin Em Ka‘a an seine Kehle. Gierige Küsse wanderten seinen Hals hinab. Sie presste den schlanken Leib gegen den seinen. Haut an Haut. Kribbelnde Ekstase durchwanderte Loras‘ Nervenbahnen, während er den sanften Berührungen erlag.
»Ihr schenkt Lyan mehr Aufmerksamkeit als mir«, echauffierte sich die Adeptin.
Loras löste die Lippen von Lyans und lächelte schweigend.
Em Ka‘as Finger wanderten zu seinem Kiefer und drehten seinen Kopf herum. Voller Inbrunst begegneten sich ihre Lippen. Willig zog sie seinen Leib enger an den ihren. Loras goutierte das Wechselspiel aus Zärtlichkeit und ungebändigter Lust. Während das Mädchen ihre femininen Hände wild über seinen Körper gleiten ließ, streichelte Lyan ihn zurückhaltend mit den Fingerkuppen und hauchte sanfte Küsse auf seine Kehle.
Als Loras sich wieder von Em Ka‘a löste und den Blick auf Lyan lenkte, begegneten ihm zwei glänzende Augen. Augen, die unter zu tief sitzenden Brauen hervorstrahlten. Zu klein waren, zu dunkel, als dass sie Loras als ansehnlich empfinden konnte. Darüber hinaus war der Körper des Jungen zu mager, die Haltung zu unterwürfig und ein Schatten eines Flaumes verdunkelte die Haut oberhalb der Lippen. Doch genau wie den gekrümmten Rücken oder die spärlich sprießenden Brusthaare konnte er auch den Oberlippenbart ignorieren. Denn was Lyan besaß, waren außerordentlich perfekte Hände. Und dafür hatte der Akademiedozent Loras ein besonders ausgeprägtes Faible. Während er sich wollüstig auf die Unterlippe biss, betrachtete er die makellosen Hände seines Sexualmagiestudenten. Sauber, mit perfekt gefeilten Nägeln, kurz geschnitten, jedoch nicht zu kurz, mit exorbitant geraden Gliedern und haarloser Haut. Loras griff sich diese perfekte Hand, ließ die Finger langsam zwischen jene Lyans gleiten, um sie zu sich zu ziehen. Voller Hingabe setzte er einen Kuss nach dem anderen auf die makellosen Glieder und empfing die zarte Haut an seinen Lippen. Saugte an dem Zeigefinger und ließ die Zunge darübergleiten.
Em Ka‘a indes wurde übereifriger im Kampf um die Gunst des Gelehrten. Geschmeidig, doch aufdringlich schwang sie ihren schlanken Körper auf den seinen und schmiegte sich enger an ihn. »Schenkt mir Zuneigung!«, forderte sie.
Loras‘ Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Behutsam ließ er die Fingerkuppen seiner anderen Hand über ihre Haut gleiten. Sie zuckte zusammen und an ihrer stoßartigen Atmung erkannte er die Erregung des Mädchens. Sacht strich er ihr über die Seite. Dann griff er nach der Halskette, die von ihrer Kehle baumelte, und zog sie ruckartig zu sich.
Gierig verbarg sie die Zunge zwischen seinen Lippen.
Indes zog er Lyan an der Hand näher zu sich und empfing seine weiche Haut die über kantigen Rippen spannte.
»Küsst nur mich!«
Eifersucht. Eine der Schattenseiten seiner manipulativen Künste. Er besaß Fertigkeiten, menschliche Wesen in seinem Umfeld für sich zu gewinnen. Sie zu beschwören, auf dass sie ihm Untertan wurden, ihm dienlich waren, auf dass sie ihm verfielen. Doch welche Gefahren dies mit sich brachte, vergaß der Magiedozent kontinuierlich. Ebenso wie er die Eifersucht seiner Studenten unterschätzte.
»Ihr habt Euch die Zuneigung Eurer Studenten zu eigen gemacht?«
Die Eifersucht der jungen Adeptin hatte Loras direkt in die Räumlichkeiten des Akademieleiters Jak‘Al Ansor geführt.
Die Präsenz Jak‘Al Ansors gebot Ehrfurcht. Erhaben und starr wie eine Statue erhob er sich über den Gelehrten Loras. Er überragte ihn um mehr als zwei Haupteslängen. Das offene helle Haar umspielte das strenge Gesicht. Die Hände hielt er vor dem Brustkorb zu einer Raute gefaltet und sein gnadenloser Blick senkte sich auf Loras hernieder.
Loras wusste nicht, was er entgegnen sollte, daher beschied er zu schweigen.
»Ihr seid an meiner Akademie angenommen worden, um die Studenten auszubilden, nicht um sie in Euer Bett zu locken. Dieses Verhalten ist gänzlich inakzeptabel.«
Loras fasste sich in sein ungebändigtes orangerotes Haar und zerzauste es mit ein paar flinken, geflissentlichen Zügen noch ein wenig mehr. Er hatte nichts zu erwidern. Die Scham kroch ihm den Brustkorb hinan. Selbstredend war ihm bewusst, dass er nicht rechtens gehandelt hatte. Dass ihn seine Gabe, Menschen mittels suggestiver Betörung zu beeinflussen, vielleicht sogar zu hochmütigen Handlungen verleitete. Beschämt senkte er den Kopf und fesselte den Blick an die Hände des Akademieleiters. Die langen Finger endeten in spitz zugefeilten Nägeln. Loras‘ Augen fuhren die einzelnen schwarzen Tätowierungen nach.
»Ihr habt nichts zu Eurem Vergehen zu erwidern?«
»Könnte mich denn ein Geständnis entlasten?« Loras wagte es noch nicht aufzublicken. Die Strenge in Jak‘Al Ansors Mimik war auch ohne sie zu sehen deutlich spürbar. Lastete auf ihm wie ein Fels. »Wäre eine Entschuldigung in der Lage, meine Reputation wiederherzustellen?«
»Mitnichten.«
Abermals kehrte Schweigen ein. Loras wusste nicht, was er entgegnen sollte. Er hielt den Kopf gesenkt. Die Luft im Inneren des hellen Saales wog schwer. Knisterte angespannt. Der weiße Marmor reflektierte das Licht, das durch die hohen Fenster einfiel. Zu dem gesellten sich flackernde Glanzflecke, die durch die Vielzahl an Flammen an den Kerzenständern erzeugt wurden. Diese Hallen in der Akademie Volaik kannte Loras seit mehr als einer Dekade wie seine Wamstaschen. Waren sie doch seit seiner Studienzeit sein Zuhause.
Ein Schnauben seitens des Akademieleiters zerschnitt die Stille. Ließ Loras beinahe zusammenzucken.
»Einem Magiedozenten, der bereits siebenundzwanzig Jahre zählt, hätte ich respektvolleres Verhalten beigemessen. Doch wie ich sehe, irrte ich mich. Ihr habt Euch seit Eurer Studienzeit nicht verändert.«
Loras wagte es nicht, ihm zu widersprechen, wenngleich er anderer Ansicht war. Den Schalk, den er einst als Student an den Tag gelegt hatte, die Streiche und den Schabernack führte er als Dozent jedenfalls nicht weiter. Hätte er sich in den letzten Jahren ebenso verhalten wie zu Studienzeiten, wäre er nach den ersten Tagen vermutlich bereits der Akademie verwiesen worden. Drohte ihm nun ebenjenes Schicksal?
Doch anstelle darum zu kämpfen, weiterhin eine Anstellung in der Akademie für Angewandte Heilung und Magie zu behalten, strich er langsam mit der rechten Hand seinen Körper hinab zu seiner Manteltasche. Er bekam eine längliche Phiole zu fassen. Durch eine flinke Bewegung schnappte der Verschluss auf. Er tränkte die Fingerkuppen mit der Flüssigkeit – einer Duftkomposition, die er sich eigens angefertigt hatte – und träufelte auch ein paar Tropfen des Inhalts in seine Manteltasche, ehe er die Phiole wieder verschloss. Sogleich entfaltete sich der betörende Geruch des Öles im Raum. Umwölkte seine Präsenz. Eine intensive Herznote bot Ylang-Ylang. Dazu mischte sich das erdige, gehaltvolle Bouquet von Vetiver, nebst frischer Minze, rauchigen Pilznoten und einer verbotenen Krautsorte, die Gedächtnisverlust und Wahnsinn hervorrufen konnte, wenn der Geist des Betörten zu schwach war. Zugleich allerdings hatte sich ebenjenes Kraut als essenziell in der Beschwörung seiner Opfer herausgestellt und diente dieser Duftkomposition als liebliche Kopfnote.
»Mit welchen Repressalien habe ich nun zu rechnen?« Loras hob den Kopf in völligem Hochmut. Nun spiegelte sich wieder die Überheblichkeit in seinem Blick. Er zog die Hand aus der Manteltasche und trat einen Schritt auf den Akademieleiter zu.
Wachsamkeit starrte ihm entgegen.
Loras ignorierte all die Zeichen und wagte es, die Finger an Jak‘Al Ansors gefaltete Hände zu legen. Nur flüchtig, während er in falscher Bescheidenheit um Barmherzigkeit bat. Eine rein geflissentliche Bitte, denn diese Gebärde diente lediglich dazu, seinen Duft auf Jak‘Al Ansor zu übertragen. Der erste Schritt, um ihn zu seinem Betörten zu machen. Auf dass auch er ihm Untertan werden würde. Um dem Akademieleiter tief in die Augen zu sehen, musste Loras all seinen Mut zusammennehmen. Ehrfurcht gebot der Meister, wie sie Loras selten erfasste. Doch der Blickkontakt war entscheidend, um ihn in seinen Bann zu ziehen. Dass ihm sein Herz gerade schier aus der Brust zu springen drohte, verdrängte Loras eisern. Wenngleich es ihm die Zunge lahm werden ließ. Während er der völligen Konzentration erlag, die ihm dieser sexualmagische Bann abverlangte, wich der anmutige Akademieleiter einen Schritt zurück.
»Das Palais Volaik ist eine der renommiertesten Akademien der Erdenwelt. Wie, gedenkt Ihr, sollte ich nun mit Eurem frevelhaften Verhalten verfahren, um die Reputation meiner Akademie wiederherzustellen? Der Schaden ist bereits angerichtet. Die beiden Adepten waren nicht die ersten, die Ihr in Eure Privatgemächer gelockt habt, wie mir zu Ohren kam.« Jak‘Al Ansor setzte ein Schnauben an seine Worte nach. »Darüber hinaus vernahm ich, dass Ihr nicht nur Adepten, sondern gar Novizen verführt haben sollt. Das ist unentschuldbar.« Bedrohlich senkte sich die Enttäuschung, mit der er seine Stimme sättigte, auf Loras herab.
Eigentlich sollte Loras nun die Scham bis über beide Ohren kriechen, doch dies entsprach nicht seinem Naturell. Stattdessen entschied er sich, die Dreistigkeit, die er im Begriff war zu begehen, fortzuführen. Mit einem flotten Schritt hatte er zu Jak‘Al Ansor aufgeschlossen und legte nun beide Hände an die seinen. Unverwüstlich stierte er ihm nun ins Antlitz, mitten in die senkrechten, katzenartigen Pupillen, die von einem Aufwallen gelber Flammen umlodert wurden. Das Bannwort, mit dem er gedachte, den Meister, den glorreichen Leiter der renommierten Akademie, den Anführer der Heilergilde, in der mehr als neuntausend Obligaten voll Ehrfurcht zu ihm aufsahen, zu unterjochen, lag ihm bereits auf der Zunge.
»Lichterglanz«, säuselte der Gelehrte Loras. Sinnlichkeit legte er voll Hingabe in dieses Bannwort. Er besaß die Fertigkeiten, Mädchen wie Jungen für sich zu gewinnen. Zahlreich lagen sie ihm zu Füßen. Und er bekam alles von ihnen. Alles, was er begehrte.
Der weiße Marmor färbte sich schlagartig schwarz. Dicht umwölkt krochen rußgesättigte Schwaden an Loras‘ Beinen empor. Das Lichtermeer im Saal verlor sich und wich der Dunkelheit, aus der zwei gelbe Augen hervorstachen. Ein Donnergrollen durchschnitt die Stille und brachte jeden Kronleuchter im Raum zum Erzittern.
»Ihr wagt es, Eure verachtenswerten Praktiken an mir zu versuchen?« Gewaltig hallten Jak‘Al Ansors Worte im hohen Raum wider.
Schockerfasst wich Loras zurück. Er vernahm ein Klirren. Glas zerbarst ungesehen irgendwo nahebei. Am liebsten wollte er die Augen von Jak‘Al Ansor abwenden, doch dies war ihm nicht gewährt. Wie gebannt starrte er in das Flammenmeer aus loderndem Gelb. Die blaue Robe, die Loras einhüllte, wurde schwarz durch all die Nebelschwaden, die an seinem Leib emporkrochen. Seine Glieder versteiften sich und unbarmherzig kalt erfasste ihn ein Zittern. Er gewahrte, wie seine Haut ein Eisfilm überzog, bis er reglos mit dem Marmor zu seinen Füßen zusammenfror. Auch der Atem stockte ihm, bis er glaubte zu ersticken.
»Fehlte mir die Güte, so ließe ich Euch im Beisein aller Studenten im Großen Saal auspeitschen.« Wie Donnergrollen vor dem Einbruch eines Gewitters dröhnten seine Worte durch den Saal. Dann ließ er die Anspannung aus den Lippen weichen und mit dieser Gebärde verlor sich auch die Magie, die er wirkte.
Der Marmor erstrahlte abermals in reinem Weiß. Lichtkegel tanzten über die glatte Oberfläche. Das Eis brach und Loras wurde wieder Herr über seinen Körper.
Röchelnd sog er die Luft in seine Lungen. Dabei senkte er den Blick und nun lag wahre Demut darin.
»Ihr seid hiermit des Palais Volaik verwiesen.«
»Ich werde meine Habe packen und im Morgengrauen abreisen.« Gegen den Meister, der seinen bedrohlichen Blick auf ihn herabsenkte, konnte er nicht ankämpfen.
»Eure Güter wurden bereits für Euch verladen. Ich insistiere, dass Ihr das Gelände mit sofortiger Wirkung verlasst.«
Er hatte nichts in der Hand, daher musste er sich seine Schande eingestehen und akzeptieren, dass dieser Abschnitt seines Lebens fortan unwiederbringlich hinter ihm lag. Er hatte sein eigenes Ende heraufbeschworen.
Kapitel 3
Kerzen flackerten im Studierzimmer des Psychomagiers Dandrian. Erzeugten wilde Lichtspiele, die durch den Raum tanzten. Hinter Dandrian brodelte ein Trank, den er gerade im Begriff war zu brauen. Vor ihm lagen unzählige Folianten aufgeschlagen auf dem Schreibtisch. Schriftrollen, die zu Boden gefallen waren und nun achtlos als Staubfänger fungierten, säumten das Holz unter seiner Sohle. Auf dem Stuhl vor seinem Arbeitstisch lag lediglich sein Schienbein. Auf dem anderen Bein stand er, bereit, seine Position wieder zu verlassen, um nach der Flüssigkeit zu sehen, die neben dem Alchemietisch in seinem Rücken aufbrodelte. Hochkonzentriert beugte Dandrian sich vornüber und tauchte die Feder in die Tinte. Die neumodische Apparatur, die seine Stirn umspannte, vereitelte das Zusammenziehen der Haut, als er zu einem Stirnrunzeln ansetzte. Er senkte die Feder zum Papier und notierte sich seine neuesten Erkenntnisse im Bereich der Materialisierung von Geisterwesen. Der Dampf, der sich durch das Brauen seines Trankes im Raum sammelte, kontrastierte hart zu den eisigen Windböen, die zugig durch die undichten Fenster drangen. Das Zischen, das er hinter sich vernahm, ließ ihn hochschrecken. Er wirbelte herum und gewahrte noch im rechten Augenblick, dass der Trank im Begriff war überzuwallen. Mit einem Satz war er am Alchemietisch und nahm den Stehkolben aus der stampfenden Apparatur. Durch einige flinke Atemzüge rief er sich wieder zur Ruhe. Wenn er besonders angestrengt an einer neuen Entdeckung arbeitete, konnten ihn die leisesten Absonderlichkeiten aus der Fassung bringen. Er stellte den Kolben zum Abkühlen beiseite, um die Flüssigkeit später in einen Flakon füllen zu können. Abermals wirbelte er herum, um den begonnenen Satz zu Ende zu bringen, ehe er seine neuen Forschungsergebnisse einer ersten Probe unterziehen würde.
»Die Essenz aus Totenwurzeln zeigte nicht die gewünschte Wirkung ... nein ...« Das Wispern seiner eigenen Stimme, das plötzlich die Stille im Studierzimmer durchbrach, erschreckte Dandrian selbst. Ein Tropfen löste sich von der Feder und fiel auf das dicke Büttenpapier. In feinen Ästen breitete sich die schwarze Farbe aus, als sie sich in die Fasern sog. Seufzend senkte er den Arm und ließ die Feder zurück auf den Tisch wandern. Er legte Daumen und Zeigefinger an die gläserne Linse, die in die Apparatur aus Kupfer und Silber eingefasst war, und drehte vorsichtig an dem filigranen Rädchen, um ihre Intensität einzustellen. Kreisrund prangte die wundersame Erfindung vor seinem rechten Auge und fungierte als Vergrößerungsglas und intensivierte gleichermaßen die Schärfe. »Die Essenz aus ... das ist widersinnig. Ich sollte mich auf das konzentrieren, was die Forschung vorantreibt, anstatt mich mit jenen Elementen auseinanderzusetzen, die ihre Wirkung nicht entfalteten.« Wieder tauchte er die Feder in das Tintenfass, ohne sie jedoch auf das Papier herabzusenken. Seine Forschung hatte sich in einer Sackgasse verlaufen. Das blockierte seinen Verstand. Ungeduldig erwartete er das Abkühlen der Flüssigkeit, die ihn zu neuen Erkenntnissen führen sollte. Wenn dies ebenso misslingen würde, verlöre Dandrian womöglich den Mut, die Hypothese, eine neue Formel zur Materialisierung von Geistern gefunden zu haben, weiterzuverfolgen.
Plötzlich stach ihm eine Schriftrolle ins Auge, die nahe seiner Stiefel auf dem Boden lag. Er beugte sich hinab und studierte die Zeilen, die er vor einigen Monaten selbst verfasst hatte.
»Wie bei nahezu jeder psychomagischen Suggestion, bei der das Eindringen in Geister Lebender oder Toter erzeugt werden will, bedarf es eines Gegenstandes, zu dem der – in diesem Fall Verstorbene – eine tiefe Verbindung hegte.« Er flüsterte, während er sich das eigens Geschriebene nochmals laut vorlas. Seine Blicke flogen wild über die Zeilen auf seiner Schriftrolle. »Nicht zwangsläufig«, hatte er sich am Ende seines Absatzes notiert. Daraufhin las er einen Abschnitt über die Apparatur, von der er lediglich Skizzen angefertigt hatte. Niemals jedoch hatte er sie gebaut, denn noch bevor er in Versuchung gekommen wäre, die notwendigen Utensilien hierfür zu beschaffen, war ihm bereits eine neue Hypothese gekommen.
Er zuckte hoch, als ihm ein Einfall durch den Geist zischte. Die Feder legte er wieder neben das Tintenfass und suchte seine Umgebung ab. Vor dem Fenster fand er das gewünschte Utensil. Ein knorriger Zweig steckte in einer Befestigung über dem Fenster. An einer daran geknüpften dünnen Hanfkordel baumelte ein kleines Bündel Federn von Vögeln unterschiedlicher Art. Eine Art Angel, die er gebastelt hatte, um seinen Kater mit Tollereien zu erfreuen. Er zupfte eine Daune aus dem Bündel und wandte sich zum Alchemietisch um.
»Es muss auch anders funktionieren, doch einen Versuch will ich wagen«, unterhielt er sich selbst. Er schob die Linse zurück und klappte die Einfassung nach oben, sodass er mit beiden Augen wieder normal sehen konnte. Dann setzte er auf den Alchemietisch zu und fasste nach dem Stehkolben. Die Flüssigkeit war indes abgekühlt. Er ließ die Daune durch die schlanke Öffnung fallen und beobachtete, wie sich der Trank verhielt. Erst sank die Daune bis zum Boden, doch dann zogen sich schier undurchsichtige Fäden vom Grund bis hinauf zum Flaschenhals. Zischend begann die Flüssigkeit zu brodeln. Wie Säure zersetzte sie die Feder im Inneren, bis sie sich restlos aufgelöst hatte. Nur noch feine Partikel waberten in der grünen Flüssigkeit. Dandrian hob den Kolben an und schwenkte ihn, ehe er zu seinem Arbeitstisch zurückkehrte, um sich über den Prozess Notizen zu machen. Wieder schob er die Linse vor sein rechtes Auge und senkte den Blick.
Plötzlich zerschnitt ein gellendes Surren die Luft. So blitzartig, als hätte jemand ein Netz aus Spannungsmagie durchschritten.
Dandrian wirbelte so ruckartig herum, dass er beinahe den Stehkolben umgeworfen hätte.
»Sei mir gegrüßt, Bruderherz.« Mit einem Mal stand sein Zwillingsbruder Loras im Raum. Ein breites Grinsen hatte sich in sein freches Gesicht gestohlen.
Vor Schreck fasste sich Dandrian an die Brust. »Du sollst doch nicht das Portal benutzen!«, brachte er heftig atmend hervor.
Loras ließ ein Bündel fallen, das er in der Hand gehalten hatte. Dann holte er den Seesack von seinem Rücken und warf auch diesen achtlos zu Boden. »Hast du mich vermisst?«
Wortlos wandte sich Dandrian wieder seinen Notizen zu. Er brachte den Satz zu Ende, den er vor Loras‘ unerlaubtem Eintreten begonnen hatte, ehe er das Tintenfass zukorkte und die Feder in ein schimmerndes Behältnis steckte.
»Woran arbeitest du gerade?« Loras machte einen Schritt auf seinen Zwillingsbruder zu.
Dandrian griff sich den Stehkolben und durchmaß das vollgeräumte Studierzimmer. »Ich erforsche gerade die Möglichkeit zur Materialisierung von Geisterwesen.«
»Bedeutet?«
Dandrian sah auf. Direkt in das Antlitz seines Bruders, das seinem in fast sämtlichen Zügen glich. Das kantige Gesicht, die spitzen Ohren, die buschigen Brauen, die kleine Nase, die hohen Wangenknochen. Alles war identisch. Nur in Augen- und Haarfarbe glichen sie einander nicht. »Seit dem Ausbruch der Gezeiten hat sich die Magie gewandelt, wie du gewiss weißt.«
»Dies betrifft deinen Bereich womöglich härter als meinen.«
»Womöglich. Die Gezeiten brachten nicht nur verwüstende Naturschauspiele mit sich und den Wahnsinn, der sich so mancher Menschen leichter bemächtigt, sondern tragen außerdem zu einer Veränderung der Magie bei. Regeln und Anwendungen, nach denen wir seit jeher praktizierten, verlieren ihre Wirksamkeit. Nicht alle, doch einige müssen neu erforscht werden. Und dabei bleibt es nicht, was mein Gebiet noch weiter erschwert. Wesen, die es zuvor niemals gab, tauchen plötzlich in den Wäldern des Schattenlandes auf. Und gewiss auch andernorts.« Dandrian blieb inmitten seines Studierzimmers mit dem Kolben in der Hand stehen. »Ich weiß nicht, Loras ... wurdest du dieser Phänomene auch in den Wäldern Volaiks gewahr?«
»Du magst vermutlich recht behalten. Der Wandel der Erdenwelt ist spürbar, doch wie mir zu Ohren kam, betrifft das wilde Toben der Gezeiten nicht alle Länder. Im Osten, so sagt man, nahm das Erscheinen neuartiger Wesen zu, wohingegen im Weltenzentrum – Thal, Wristangul, Rote Seen ...«
»Was heutzutage ebenfalls wieder zu Wristangul gehört ...«, unterbrach Dandrian.
»Auch wenn du recht hast, Bruderherz, werde ich mich daran nicht so rasch gewöhnen können. Für mich ist das Land der Roten Seen noch immer eigenständig.«
»Wie dem auch sei.« Dandrian wandte sich von Loras ab, um auf einen kleinen Käfig zuzusetzen.
»Aber, um deine Frage auch mit einer Antwort zu würdigen, muss ich gestehen, ist mir rund um Volaik nichts Absonderliches aufgefallen. Aber wie eingangs schon erwähnt, scheinen die Länder im Weltenzentrum von den Gezeiten unberührt zu sein.«
»Ebenso auch wie der Süden, wie mir zu Ohren kam.«
»Wo kommt denn einem Einsiedler wie dir etwas zu Ohren?« Loras entließ ein spöttisches Lachen. »Verlässt du dein Studierzimmer auch mal?«
»Ach, du tust ja ganz so, als lebte ich in einem verlassenen Hüttchen irgendwo im unbetretenen Wäldchen. Einsiedler, nennst du mich.« Dandrian vollführte eine wegwerfende Geste über die eigene Schulter, während er sich anschickte, mit den Augen zu rollen. »Ich lebe in meiner Turmwohnung mitten in der Hauptstadt des Schattenlandes. Wohingegen du auf dieser Insel in einem Akademiegebäude wohnst. Mich nennst du einen Einsiedler?«
»Du hast mir noch immer nicht erzählt, was es mit deiner Forschung auf sich hat. Materialisierung von Geisterwesen?«
»Die Bezeichnung stünde für sich selbst, dachte ich. Aber ich will dich nicht im Unwissen lassen.« Dandrian lächelte seinem Bruder zu. »Einst war es ein Leichtes, Tote heraufzubeschwören. Runenmagie, gekoppelt mit der Form der Blutmagie, die vielerorts gerade noch im Graubereich der Legalität beheimatet war – oder ist – und eben die klassischen Formen der von uns erlernten Psychomagie. Das hat sich ein wenig gewandelt. Zum Einfacheren, wie ich mit Überraschung feststellen durfte. Was sich allerdings erschwerte, ist die Materialisierung von Geisterwesen. Den Toten wieder in eine greifbare Hülle zu verwandeln.«
»Wozu sollte man das wollen?«
»Je nach Geisterwesen haftet ihm zumal eine vernichtende Gefahr an. Wenn es mir gelingt, einen Geist, also einen gewöhnlichen Geist – es gibt so viele Formen –, in seine materielle Form zu verwandeln, so kann dieser auch vernichtet werden.«
»Du forschst also daran, wie man einen Toten töten kann?«
»Wenn du es so ausdrückst, klingt es überaus banal.«
»Das war nicht meine Absicht. Bitte rede weiter!« Entschuldigend hob Loras beide Hände, als kapitulierte er, ehe er sie in seinen Nacken schob und sich das karottenfarbige Haar zerzauste, das ihm ohnehin stets wild zu Berge stand.
»Es gibt so viele Formen von Geisterwesen. Jene die im Volksmund als Demonias bezeichnet werden. Jene die niemals wiederkehren sollten. Selbst Geister von Kreaturen, die niemals geboren wurden. Es ist überaus komplex und ich will dich mit meinem Fachgebiet nicht langweilen.«
»Du langweilst mich bestimmt nicht, Dandrian.«
Obwohl Dandrian den Kopf wieder abgewandt hatte, konnte er hören, dass sein Bruder lächelte.
»Ganz im Gegenteil«, fuhr Loras fort. »Du faszinierst mich. Jedes Mal, wenn ich wieder bei dir auftauche, vertiefst du dich gerade in ein neues aufregendes Forschungsgebiet.«
»Das Gebiet bleibt stets das gleiche. Ich habe mich nach meinem Studium auf Geister spezialisiert und davon weiche ich nicht ab. Aber die Experimente sind immerzu neue.«
»Halte ein, Erbsen zu zählen, und berichte mir, was du mit dem Kolben in deiner Hand vorhast! Was ist das für ein seltsam anmutender Käfig, vor dem du wie eine erstarrte Säule stehen geblieben bist?«
Nun wandte Dandrian ihm wieder den Kopf zu und lächelte sanft. »Wenn du mir versprichst, dass du keinen Spott mit mir treiben wirst, lüfte ich dieses Geheimnis.«
»Ich gelobe es.«
Dandrians Lächeln weitete sich zu einem Grinsen. Wahrlich, er hatte seinen schalkhaften Bruder vermisst, wenngleich er ihm in den wenigsten Charakterzügen glich. »Mein Kater verstarb. Und ich fand eine Möglichkeit, wie ich Geister in Materie festhalten kann.«
»Sag mir bitte nicht, dass du den Geist deiner toten Katze beschworen und in diesen Käfig gesperrt hast.«
»Du gelobtest, nicht zu spotten.«
Loras legte sich die Hand über den Mund, als wollte er im Geheimen kichern. Dann nickte er. »Kein Hohn. Erzähl weiter!«
»Und nun versuche ich, Miekas Geist zu Materie zu formen.«
»Wie verhält sich das Geisterwesen – also in dem Fall Miekas Geist –, solange es nicht sichtbar ist?« Loras trat näher an den Käfig heran und beugte sich hinab, sodass sein Gesicht nur noch einen Daumenbreit davon entfernt war.
»Du meinst, ob Miekas Geist sich in diesem Käfig aufhält, obwohl ich ihn noch nicht beschworen habe?«
»Das ist meine Frage.«
»Genau weiß ich das noch nicht. Ich hinterfrage noch immer die Forschung ob der schwammigen Kenntnisse einer Anderswelt, einer Art Jenseits oder einer Form des Immaterialismus durch Unsichtbarkeit.«
»Unterlag auch dieses Wissen der Veränderung durch die Gezeiten?«
»Nein, in dem Fall ist es eine Frage, die uns Forschende schon seit jeher beschäftigt. Eben weil sich durch eine Séance die Erscheinung diesbezüglich nicht befragen lässt. Sobald ein Geist zu einer Erscheinung wird, kehrt Verwirrung ein. Es wurden bereits unzählige Versuche gestartet, einen Geist zu beschwören und über Einzelheiten seiner Existenz als ebenjenes Wesen auszuhorchen, und niemals resultierte nur einer der Versuche in einem vernünftigen Ergebnis.«
»Und aus welchem Grund beschlossest du, Miekas Geist in diesem Käfig einzufangen?«
»Weil es leichter ist, einen Geist zu beschwören, den man bereits eingefangen hat. Du erinnerst dich noch an die Lehren zu Studienzeiten? Über gebündelte, kanalisierte Magie?«
»Ja, ja.«
»Dann ist jede Erörterung hinfällig und spart uns Zeit.«
»Ich vergaß, wie pragmatisch du sein kannst.« Ein wenig Spott lag nun im Grinsen Loras‘, als er sich wieder aufrichtete. »Verrätst du mir, was es mit dieser seltsamen Apparatur auf sich hat, die dein Auge verbirgt? Die unterschiedlichen Augenfarben muten durch dieses seltsame metallische Ding noch unnatürlicher an. Ich wage zu behaupten, dass es nicht dem Zweck dient, die Wirkung zu verstärken.«
»Treib du nur deinen Spott mit mir. Du, der Vaters Erbkrankheit nicht erlag.« Dandrian klappte die Linse wieder nach oben.
»Auch dein Haar ist mittlerweile gänzlich silbern geworden. Bei meinem letzten Besuch besaßt du zumindest noch eine vereinzelte dicke rote Strähne.«
Dandrian fasste sich in das dichte Haar und strich sich eine Strähne hinters Ohr. »Und deines ist noch immer leuchtend rot geblieben.«
»Brächte diese Erbkrankheit neben den optischen Veränderungen auch gesundheitliche Folgen mit sich, würde ich gewiss keinen Spott mit dir treiben, geliebter Bruder.«
Dandrian wandte sich wieder von Loras ab und ließ nun einen Riegel am Käfig vor sich aufschnappen. Nachdem er mit Mieka eine tiefe und innige Beziehung geführt hatte, sich der Geist des Katers bereits seit wenigen Tagen in diesem Käfig befand, Dandrian seit seiner Studienzeit den Fokus auf sein Fachgebiet gelegt hatte und darin zur Koryphäe geworden war, gelang es ihm, die Séance ohne weitere Hilfsmittel durchzuführen. Sein Verstand reichte aus. Und schon erschien der Geist des verstorbenen schwarzen Katers direkt vor ihrer beider Augen.
»Was trägst du hier in deinem Kolben?«, fragte Loras.
Dandrian steckte den Zeigefinger zwischen die Gitterstäbe. Obwohl ihm bewusst war, dass der Geist seines Katers immateriell war, streichelte er ihm über das Fell, das er nicht spüren konnte.
»Wann ist der Kater denn gestorben?«
»Im letzten Frühjahr.«
»Und was hast du in deinem Kolben?«, wiederholte Loras ungeduldig.
»Einen Trank, an dem ich gerade forsche. Ich langweile dich nicht mit Einzelheiten, denn ich weiß, dass du für Tränke nie viel Interesse hattest.«
»Das ist doch gar nicht wahr.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hattest du zu Studienzeiten meist andere Pläne, als den Kursen beizuwohnen, in denen es um Trankkunde ging.«
»Hör endlich auf abzulenken und antworte mir doch!« Loras lachte kurz. »Du wärst ein fürchterlicher Dozent geworden.«
»Ja, der Umgang mit Menschen liegt mir nicht. Deswegen habe ich mich auf die Forschung gestürzt.«
»Auf die Forschung nach Toten.«
»Jedenfalls mengte ich dieser Flüssigkeit, die genau genommen eigentlich kein Trank ist, eine Daune bei. Die Daune entnahm ich der Katzenangel, die ich zum Tollen mit Mieka zur Anwendung brachte, als er noch lebte. Ihn verbindet etwas mit diesem Spielzeug. Und nun wollen wir erfahren, ob dieses Element die gewünschte Wirkung entfaltet.« Dandrian hob den Kolben über den Käfig. Mit der zweiten Hand löste er einen weiteren Riegel und ließ den Deckel aufschnappen. Noch bevor der Kater darauf reagieren konnte, träufelte er die grüne Flüssigkeit auf das Haupt des Geisterwesens.
»Unmöglich!« Staunend schnappte Loras nach Luft, als der stattliche Kater seine lebendige Ursprungsform wiedererlangte. »Dir ist es gelungen!«
Die Blicke der Brüder begegneten sich und in Dandrians Kehle schwoll ein erheitertes Lachen an. »Es ist wahrhaftig geglückt.«
Mieka sprang mit einem Satz aus seinem Käfig und durchstreifte das Studierzimmer.
Gerührt blickte Dandrian seinem schwarzen Freund nach.
»Nun hast du nichts anderes bewerkstelligt als Nekromantie.«
»In der Annahme liegst du falsch. Nach meinen Berechnungen hält dieser Zustand nicht lange vor. Im Falle der Nekromantie erlangt ein Toter wieder neues Leben. Ich habe lediglich einem Geisterwesen eine Form verpasst.«
»Ist das nicht genau dasselbe?«
»Ist es nicht. Sobald diese Flüssigkeit getrocknet, verdampft oder aufgelöst ist, verliert das Wesen seine Form wieder. Es ist nur ein kurzer Zustand.«
»Wie kannst du dir da sicher sein? Ich glaubte, dir wäre das gerade eben zum ersten Mal geglückt.«
»Ich wünschte, die Materialisierung wäre so einfach zu bewerkstelligen wie Nekromantie.«
»Bedarf es hierfür nicht immer eines Wiedergängers und dieser drei schwarzen Steine?«
»Im Bereich der Nekromantie bin auch ich überfragt. In dieses verbotene Gebiet wagte ich mich niemals vor. Aber wenn du willst, befrage ich unseren alten Freund Weidemar, wenn ich ihm wieder gegenüberstehe.«
»Weidemar!« Erfreut strahlte Loras‘ Gesicht. »Es ist eine Ewigkeit her, dass ich ihn gesehen habe. Wie ich hörte, wurde er zum Hofmagier irgendeines Barons ernannt?«
»Unglaublich, nicht? Ebenso unglaublich, wie dass du es zu einem Dozenten an der Akademie geschafft hast, an der wir alle ausgebildet wurden.« Dandrian folgte dem Kater und bemerkte nicht, dass seinem Bruder dieses Thema gänzlich unangenehm war. Er kniete sich neben Mieka auf den Boden, der bereits neugierig unter den Arbeitstisch geschlichen war und seine Wange an den Schriftrollen rieb. »Bist du zum Meister aufgestiegen? Ich wusste gar nicht, dass du noch immer studierst.«
»Wie kommst du darauf?«
»Deine Robe ... du trägst deine blaue Gewandung nicht, die dich als Gelehrten ausweist. Oder ist es inzwischen erlaubt, die Farbe der Kleider willkürlich zu wählen, wenngleich man den Meisterrang nicht erreichte?«
Loras senkte den Blick auf seine Robe. »Das, was du hier siehst, ist meine blaue Gewandung. Sie ist schwarz ob des Rußes, den Jak‘Al Ansors Zorn hervorrief.«
»Was hast du angestellt?«
»Ach.« Loras setzte einen Fuß vor den anderen und besah sich den Raum. »Bist du neuerdings unter die Jäger gegangen?«
»Wie kommst du darauf?« Wieder streckte Dandrian die Hand nach seinem Kater aus.
Endlich kam er zu ihm geschlichen und stieß ihn mit dem Kopf an. Staub durchsetzte seine Schnurrhaare.
Unmerklich kicherte Dandrian ob der Verzückung, seinen Gefährten wieder streicheln zu können.
»Wegen der Armbrüste dort an der Wand. Eine beachtliche Sammlung für einen, der sie nicht benutzt.«
»Ich bin geübt darin. Verwundert dich das?«
»Im Schießen?«
»Ja.« Dandrian hob den Kopf, während er Mieka an der Kehle kraulte.
Der stattliche schwarze Kater begann augenblicklich zu schnurren und sein Speichel benetzte Dandrians Finger.
»Ich gehe oft allein in die Wälder, um meine Forschung voranzutreiben. Viele spannende Geisterwesen gehen dort um. Und noch andere Bestien, gegen die ich mich selbst schützen muss.«
»Das ergibt durchaus Sinn. Dennoch überrascht es mich, dass mein Bruder, der stets sein Gehirn über den eigenen Körper stellt, das Abfeuern einer Armbrust erlernte.«
Während Dandrian das Fell des Katers kraulte, konnte er spüren, wie die Berührungen surrealer wurden. Allmählich verlor der Geist Miekas seine materielle Form. Schneller noch, als Dandrian es vermutet hatte. Und gerade als er dieses Phänomen gewahrte, hatte sich die Form bereits verloren und nur noch die Erscheinung seines Katers schlich durch den Raum.
»Die Wirkung ist rascher vorüber als angenommen.«
»Du sprichst genau das aus, was ich mir soeben dachte, Loras. Ich brenne darauf, den nächsten Versuch an einem Menschen zu wagen. Allerdings stellt sich dies als weit komplexer heraus als bei einem Tier, das mir sehr ans Herz gewachsen ist.«
»Du meinst, die Wirkung verhält sich anders bei einem Fremden?«
»Ich glaube schon. Und bei einem Menschen allgemein. Unsere Materie ist anders aufgebaut.« Dandrian legte die Hände in den Schoß und stierte in die Leere. Er gebot sich selbst Einhalt, denn es misslang ihm stets, einzuschätzen, ob er seinen Gesprächspartner mit den Inhalten seiner Leidenschaft langweilte. »Nun finde ich es schade, dass diese Forschung noch ein wenig hinausgezögert werden soll.«
»Die Forschung an einem menschlichen Geist?«
»Ja.«
»Woher rührt diese Verzögerung?«
»Ich breche in zwei Tagen nach Scór auf.« Dandrian erhob sich. Er nahm einen Brief von seinem Schreibtisch und reichte ihn an seinen Bruder weiter. »Weidemar ruft mich zu sich in die Festung des Barons. Er hat einen Auftrag, bei dem er mich um Hilfe bittet.«
»Es geht um Geisterwesen, nehme ich an.«
»Natürlich. Worum denn sonst?« Über Dandrians Züge huschte ein Lächeln.
»Ich würde mich gerne anschließen«, sagte Loras, während er den Brief noch zu Ende las.
»Und das Palais Volaik?«
»Ist für mich Geschichte.«
»Du hast den Zorn des Akademieleiters auf dich gezogen. Was hast du verbrochen?«
»Ich wurde dabei erwischt ... nein ... verpetzt trifft es wohl eher ..., als ich meine Studenten zu meinen Betörten machte.«
»Um was zu erreichen?« Dandrian verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Steißbein gegen seinen Schreibtisch.
»Nun, der Beischlaf mit meinen Studenten gilt als frevelhaft.«
Dandrian schüttelte bloß den Kopf und rang sich ein kehliges Lachen ab. Die Augen rollten indes von selbst. »Ist das der Grund, warum du nach so langer Zeit wieder bei mir auftauchst? Brauchst du eine Bleibe?«
»Eine Bleibe und ein wenig Kleingeld.«
»Ich kann dir etwas leihen. Solange ich fort bin, kannst du meine Turmwohnung hüten. Danach sehen wir weiter.«
»Und wenn ich mit dir nach Scór reise? Auch ich habe Weidemar seit Jahren nicht gesehen und würde mich freuen, ihn wieder zu treffen.«
»Ich weiß nicht, Loras.«
»Du bist gut im Umgang mit Toten, ich mit den Lebenden. Unsere beiden Fachgebiete sind nicht so verschieden. Du beschwörst die Toten, ich betöre die Lebenden. Vielleicht wird euch meine Gabe bei diesem Auftrag noch von Nutzen sein.«
»Ich weiß nicht, Loras. Eben hast du deine Stellung als Magiedozent verloren. Dieser Auftrag klingt mir nach einem sehr gefährlichen Unterfangen.« Er glaubte, Loras wäre zu leichtsinnig und von zu vielen Freveln überschattet, um sich in einer ernsten Lage zu bewähren. »Würde dir etwas zustoßen, weil du deinen Schalk nicht zügeln kannst, könnte ich es mir nie verzeihen, dich mitgenommen zu haben.«
