Arzneimittelrecht für Tierärzte - Jürgen Althaus - E-Book

Arzneimittelrecht für Tierärzte E-Book

Jürgen Althaus

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Beschreibung

<p><strong>Immer up to date – der kostenlose Newsletter informiert Sie über alle Änderungen durch die neue TÄHAV. Auch über weitere Gesetzesänderungen und interessante Gerichtsentscheide werden Sie zeitnah informiert.</strong></p> <p>In rund 100 Fragen gibt das Buch alle wichtigen Antworten zu rechtlichen Aspekten der gängigen Praktiken wie Arzneimittelabgabe, Arzneimittelverschreibung, Dokumentation und Haftung.</p> <p>Der Autor ist der Anwalt auf der Seite der Tierärzte: Ihm geht es um mehr als eine reine Auflistung der Rechtsvorschriften. Er beleuchtet, was diese Vorschriften für Sie in der Praxis tatsächlich bedeuten, wie Sie diese angemessen umsetzen, und wie Sie sich im Falle eines Falles gegenüber dem Amt verteidigen können.</p> <p>Dabei werden auch gesetzliche Lücken aufgezeigt und realitätsferne Regelungen diskutiert, bei denen er Handlungsbedarf sieht, z.B. durch die Tierärztekammern.</p>

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EPUB

Seitenzahl: 365

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Arzneimittelrecht für Tierärzte

Praktische Antworten rund um Arzneimittelabgabe, Apothekenprüfung und Haftung

Jürgen Althaus, Julia Laacks,

Vorwort

In den vergangenen Jahren wurde das Arzneimittelrecht für Tierärzte immer wieder verschärft. Das in die 16. AMG-Novelle eingeflossene Antibiotika-Minimierungskonzept hat auf Seiten der Tierärzteschaft zu vielen Fragen und Unsicherheiten geführt. Hinzu kommt, dass die Arzneimittelüberwachungsbehörden – politisch und gesetzgeberisch gewollt – vermehrt Kontrollen der tierärztlichen Hausapotheken und auch von Tierhaltungsbetrieben durchführen. Die Ergebnisse dieser Kontrollen sind in einigen Fällen harmlos und unspektakulär, haben in anderen Fällen jedoch weitreichende strafrechtliche und mitunter sogar approbationsrechtliche Konsequenzen. Der Verlauf und die Ergebnisse von Kontrollen wurden und werden zum Teil in Internet-Foren dargestellt und intensiv diskutiert, was bestehende Unsicherheiten auf Seiten der Tierärzte verschärft.

Diese Unsicherheiten haben sicherlich auch damit zu tun, dass die Überwachungsbehörden die bestehenden arzneimittelrechtlichen Regelungen (insbesondere AMG und TÄHAV) sehr eng oder gar fehlerhaft interpretieren. So ist festzustellen, dass zum Teil sogar die Veterinärbehörden angrenzender Landkreise voneinander abweichende Auffassungen vertreten, wenn es beispielsweise um die Frage geht, wie die Identität behandelter Nutztiere zu dokumentieren und wie der Erfolg einer Behandlung zu kontrollieren ist.

Ich bin im Rahmen der anwaltlichen Arbeit und im Rahmen von Vortragsveranstaltungen oftmals von Tierärzten mit arzneimittelrechtlichen Fragestellungen konfrontiert worden, die deutlich machten, dass ein erheblicher Informationsbedarf besteht. So bin ich mehrfach gebeten worden, Informationen in Form von Antworten auf die häufigsten arzneimittelrechtlichen Fragen einmal systematisch in einem Buch zusammenzustellen. So entstand die Idee zu dem vorliegenden Buch.

Das Buch soll Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, eine praktische Hilfestellung bieten, indem es die häufigsten arzneimittelrechtlichen und in Themenkomplexen zusammengefassten Fragen praxisrelevant und sprachlich möglichst „unjuristisch“ beantwortet. Das Buch soll einen arzneimittelrechtlichen Bogen schlagen von den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Arzneimittelabgabe und einer „ordnungsgemäßen Behandlung“ über den Ablauf einer Apothekenkontrolle bis hin zur Darstellung strafrechtlicher und zivilrechtlicher Folgen. Ich bin mir bewusst, dass trotz der großen Anzahl der in diesem Buch beantworteten Fragen vielleicht immer noch darüber hinausgehende Fragen unbeantwortet bleiben. Die Beantwortung jeder denkbaren Frage aus dem Arzneimittelbereich hätte allerdings den Rahmen und auch das Ziel des Buchs gesprengt. Das Ziel des Buchs besteht darin, die häufigsten und praxisrelevantesten arzneimittelrechtlichen Fragen zu beleuchten und zu beantworten – und zwar aus anwaltlicher Sicht. So soll das Buch einerseits eine Informationsquelle, andererseits eine praktische Hilfestellung und in eventuellen Auseinandersetzungen mit Veterinärbehörden eine Argumentationshilfe liefern. Zu diesem Zweck ist das Buch mit optisch hervorgehobenen Merksätzen, Praxistipps und Fazits und vielen realen Beispielen aus der Praxis versehen.

Das Buch beschreibt die bis zur Drucklegung bestehende aktuelle Rechtslage. Der zu diesem Zeitpunkt vorliegende Entwurf der neuen Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) hat daher noch keinen Eingang in das Buch gefunden. Die Darstellung und Berücksichtigung der in diesem Entwurf vorgesehenen Änderungen (Erfordernis einer klinischen Untersuchung, Umwidmungsverbot für bestimmte Arzneimittel, partielle Antibiogrammpflicht, Dokumentations- und Nachweispflichten u. Ä.) wäre zum einen etwas spekulativ gewesen und hätte zum anderen einen zu großen Raum eingenommen. Sobald jedoch eine neue TÄHAV verabschiedet werden sollte, sollen deren Inhalte und deren Folgen jeder Erwerberin/jedem Erwerber dieses Buchs in Form eines Newsletters – gewissermaßen zur Ergänzung und Aktualisierung des Buchs – zur Verfügung gestellt werden.

Es ist mir bewusst, dass die Tierärzteschaft zunehmend weiblich ist. Ich habe dennoch aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung in diesem Buch meist die Bezeichnung „der Tierarzt“ gewählt, welche ich jedoch als geschlechtsneutrale Berufsbezeichnung verstanden wissen möchte.

Abschließend bleibt mir zu hoffen, dass Sie, verehrte Leserinnen und Leser, Gefallen und einen praktischen Nutzen an dem Buch finden.

Zu guter Letzt möchte ich mich an dieser Stelle bei dem Lektorat und der Redaktion des Verlages für die uneingeschränkte Unterstützung bei der Realisierung dieses gemeinsamen Projekts bedanken.

Münster, im August 2017

Jürgen Althaus

Geleitwort

Für praktizierende Tierärztinnen und Tierärzte stellen die arzneimittelrechtlichen Bestimmungen eine zunehmend wachsende Herausforderung dar. Die Komplexität dieses Rechtsbereiches hat in den letzten Jahrzehnten so zugenommen, dass die Lesbarkeit der einzelnen arzneimittel-, betäubungsmittel- und lebensmittelrechtlichen Bestimmungen für den „Nicht-Juristen“ erheblich eingeschränkt ist. Die Möglichkeiten, medizinisch gerechtfertigte und sinnvolle Therapieoptionen im jeweiligen Einzelfall umzusetzen, werden durch die bestehenden rechtlichen Vorschriften insbesondere im Bereich der Nutztiermedizin zum Teil erheblich eingeschränkt. Entscheidungen über die Behandlung der den Tierärzten anvertrauten Patienten sollen im Sinne des Tierschutzes in erster Linie auf der Basis medizinischen Denkens erfolgen. Sie dürfen nicht so weit eingeschränkt sein, dass sie allein durch die Einhaltung des vorgegebenen Rechtsrahmens bestimmt sind.

Das tierärztliche Dispensierrecht ist aus sehr gutem Grund im Arzneimittelrecht verankert; entsprechende Vorgaben zu Erwerb, Herstellung, Abgabe usw. finden sich in zahlreichen verschiedenen Gesetzesparagrafen und Verordnungen. Die Kenntnis der komplexen Verknüpfung dieser Rechtsbestimmungen ist für das Verständnis der jeweiligen Vorschriften unverzichtbar. In diesem Sinne ist es ein sehr sinnvolles Unterfangen, das Arzneimittelrecht von Juristen für die „rechtsunterworfenen Tierärztinnen und Tierärzte“ zusammenzufassen.

Das vorliegende Buch leistet hier einen besonders wertvollen Beitrag, indem die speziellen Themenbereiche entsprechend dargestellt werden. Beispielhaft sei der Bereich der Arzneimittelabgabe erwähnt. Die auf der Basis der Rechtsvorschriften erfolgende Beantwortung konkreter Einzelfragen (z.B. Was versteht man unter Abgabe auf Vorrat?) führt den Leser sehr rasch zu für den Praxisalltag relevanten Antworten. Dabei wird nicht nur der entsprechende Rechtsrahmen umfassend dargestellt, sondern es werden auch zahlreiche praxisrelevante Beispiele gegeben.

Das vorliegende Buch wird Tierärztinnen und Tierärzte maßgeblich darin unterstützen, aus arzneimittelrechtlicher Sicht korrekt im Sinne der vorgegebenen Rechtsbestimmungen zu handeln. Es ist den Autoren in exzellenter Weise gelungen, die schwierige Rechtsmaterie sehr praxisgerecht aufzuarbeiten. Das Buch stellt somit für praktizierende Tierärzte eine sehr wertvolle Informationsquelle dar. Es wird auch für Studierende der Veterinärmedizin von großem Nutzen sein.

In der Hoffnung, dass wegen der sich recht häufig ändernden Rechtsvorschriften sehr regelmäßige und zeitnahe Aktualisierungen erfolgen, wünsche ich dem Buch eine weite Verbreitung in der Tierärzteschaft.

Prof. Dr. med. vet. Manfred Kietzmann

Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Inhaltsverzeichnis

Fotolia©psdesign1 |

Teil I Arzneimittelrechtliche Grundlagen

1 Wo ist das tierärztliche Dispensierrecht geregelt und was bedeutet es?

2 Wo sind die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Abgabe/Verschreibung/Anwendung von Arzneimitteln geregelt?

3 Welche Voraussetzungen sind an eine rechtmäßige Abgabe/Verschreibung/Anwendung von Arzneimitteln zu stellen?

4 Was versteht man unter einem Therapienotstand?

1 Wo ist das tierärztliche Dispensierrecht geregelt und was bedeutet es?

Jürgen Althaus

Aus § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG ergibt sich, dass Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG, die nicht gemäß § 44 AMG oder der nach § 45 Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind (apothekenpflichtige Arzneimittel), grundsätzlich berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbraucher nur in Apotheken abgegeben werden dürfen.

Merke

Der Gesetzgeber hat den Apotheken für die Abgabe von apothekenpflichtigen Arzneimitteln an Endverbraucher ein Apothekenmonopol eingeräumt.

1.1 Begründung des Apothekenmonopols

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrfach mit der Verfassungsmäßigkeit des Apothekenmonopols beschäftigt und dieses im Ergebnis bejaht, so etwa in der Entscheidung vom 11.06.1958, Az. 1 BvR 596/56. In der zitierten Entscheidung geht das Bundesverfassungsgericht von einem „natürlichen Monopol“ der Apotheken für die Abgabe von Arzneimitteln aus. Auch in späteren Entscheidungen (etwa vom 07.01.1959, Az. 1 BvR 100/97 oder vom 14.09.1994, Az. 1 AZR 761/93) bestätigt das Bundesverfassungsgericht das Apothekenmonopol und begründet dies u. a. damit, dass es notwendig sei, um eine sachverständige Beratung durch den Apotheker hinsichtlich der Auswahl des Arzneimittels und seiner Anwendung zu gewährleisten, einer Tablettensucht vorzubeugen, eine sachgerechte Prüfung der abzugebenden Arzneimittel zu ermöglichen und sicherzustellen und der Apotheke ihre Existenzgrundlage zu erhalten.

Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass eine Apotheke kein Einzelhandel im Sinne des Wirtschaftslebens sei. Dem Einzelhandel fehle der individuelle therapeutische Zuschnitt, dem der Apotheker Rechnung zu tragen habe, sei es aufgrund der ärztlichen Verordnung, sei es aufgrund des rat- und hilfesuchenden Patienten bei der Selbstmedikation. Die Aufgabe einer von einem Apotheker persönlich und in eigener Verantwortung geführten Apotheke ist in der im öffentlichen Interesse gebotenen Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung zu sehen (§ 1 Abs. 1 Apothekengesetz). Der Apotheker soll kraft seiner pharmazeutischen und pharmakologischen Ausbildung bei der Abgabe von Arzneimitteln an den Endverbraucher sicherstellen, dass die Arzneimittel den Verbraucher mit ordnungsgemäßer Qualität erreichen und ihm die Informationen gegeben werden, die er für eine zweckmäßige und sichere Anwendung des Arzneimittels benötigt.

In dem oben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13.02.1964 sieht das Gericht ein Arzneimittel als „eines der wichtigsten Hilfsmittel der ärztlichen Kunst, um Krankheiten zu erkennen, zu heilen und ihnen vorzubeugen, Schmerzen zu lindern und darüber hinaus allgemein die Gesundheit zu fördern.“

Merke

Das in § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG geregelte Apothekenmonopol ist Ausfluss folgender Forderungen:

Sicherheit des Arzneimittelverkehrs

Qualität des Arzneimittels

Beratung hinsichtlich Auswahl und Anwendung des Arzneimittels

1.2 Ausnahme vom Apothekenmonopol: Das tierärztliche Dispensierrecht

Das oben beschriebene Apothekenmonopol erfährt insbesondere eine bedeutsame Ausnahme. Diese ist geregelt in § 43 Abs. 4 AMG. Nach dieser Vorschrift dürfen Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG außerhalb von öffentlichen Apotheken im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke durch Tierärzte abgegeben werden und vorrätig gehalten werden. Durch diese Vorschrift wird das tierärztliche Dispensierrecht als Ausnahme von § 43 Abs. 1 AMG geregelt. Dieses zugunsten der Tierärzte geregelte Dispensierrecht gilt allerdings nicht ausnahmslos, sondern eingeschränkt. So dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel durch die Ärzte ausschließlich „an Halter der von ihnen behandelten Tiere“ abgegeben werden und auch nur zu diesem Zweck vorrätig gehalten werden.

1.2.1 Bedingungen des Dispensierrechts

Aus dem in § 43 Abs. 4 AMG eingeräumten tierärztlichen Dispensierrecht ergeben sich folgende Konsequenzen:

Die Abgabe von Arzneimitteln durch einen Tierarzt ist an den Betrieb einer tierärztlichen Hausapotheke gebunden.

Die Abgabe von Arzneimitteln durch einen Tierarzt darf nur an Tierhalter erfolgen.

Die Abgabe von Arzneimitteln durch einen Tierarzt darf nur an Halter erfolgen, deren Tiere der Tierarzt zuvor behandelt hat.

Das Vorrätighalten von Arzneimitteln darf ausschließlich zum Zwecke der Abgabe an Tierhalter nach vorheriger Behandlung erfolgen.

Die Abgabe und das Vorrätighalten von Arzneimitteln zu einem anderen als dem vorgenannten Zweck sind unzulässig.

Der Erwerb und die Abgabe eines Arzneimittels an einen Dritten (z. B. Ehegatte, Tierarzt-Kollege und Ähnliches) sind unzulässig.

Der Erwerb und die Anwendung eines Arzneimittels zum Zwecke der eigenen medikamentösen Therapie (Selbstmedikation) sind unzulässig.

Die vorstehenden Ausführungen mögen vielleicht geeignet sein, eine Vorstellung davon zu entwickeln, dass es sich bei dem tierärztlichen Dispensierrecht nicht um ein absolutes und unverrückbares Recht der Tierärzteschaft, sondern vielmehr um eine gesetzgeberisch eingeräumte – und somit auch jederzeit gesetzgeberisch abänderbare – Ausnahme von einem ansonsten bestehenden Apothekenmonopol handelt. Dies dürfte auch letztlich der Grund dafür sein, dass mittlerweile seit mehreren Jahren in der Tierärzteschaft besorgt die Diskussion um eine (teilweise) Abschaffung des Dispensierrechts verfolgt wird.

Fazit

Das tierärztliche Dispensierrecht stellt eine Ausnahme des ansonsten bestehenden Apothekenmonopols dar. Es gilt nur unter der Voraussetzung, dass Arzneimittel durch Tierärzte ausschließlich an Halter der von ihnen behandelten Tiere abgegeben und auch nur zu diesem Zweck vorrätig gehalten werden.

2 Wo sind die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Abgabe/Verschreibung/Anwendung von Arzneimitteln geregelt?

Jürgen Althaus

Die Abgabe, Verschreibung und die Anwendung von Arzneimitteln durch einen Tierarzt ist jeweils an sehr strenge Voraussetzungen gebunden. Diese Voraussetzungen sind geregelt in § 56a AMG. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine der Kernvorschriften des Tierarzneimittelrechts. Sie ist von enormer praktischer Relevanz, weil sehr viele (wenn nicht gar die meisten) strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auf dem Vorwurf basieren, ein Tierarzt habe gegen die Regelungen des § 56a AMG verstoßen.

Die Vorschrift des § 56a Abs. 1 AMG dient nach dem gesetzgeberischen Willen dem Ziel, die illegale Abgabe, Verschreibung und Anwendung von Arzneimitteln zu minimieren und bestenfalls auszuschließen, indem der Einsatz von Arzneimitteln bei Tieren auf den therapeutisch erforderlichen Umfang beschränkt werden soll. Arzneimittel dürfen daher nur in einer konkreten Behandlungssituation eingesetzt werden. Damit korrespondiert § 56a Abs. 1 AMG mit einer weiteren im Tierarzneimittelrecht relevanten Vorschrift des § 43 Abs. 4 AMG. Dort wiederum ist geregelt, dass Tierärzte Arzneimittel ausschließlich im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke und des Weiteren ausschließlich an Halter der von „ihnen behandelten Tiere“ abgeben und zu diesem Zweck vorrätig halten dürfen. Auch in dieser Vorschrift wird somit als wichtige Voraussetzung für eine Abgabe das Vorliegen einer konkreten Behandlungssituation genannt.

In den nachfolgenden Ausführungen sollen die in § 56a AMG normierten Voraussetzungen einer rechtmäßigen Abgabe/Verschreibung/Anwendung von Arzneimitteln detailliert dargestellt werden.

Fazit

Für die Abgabe, Verschreibung und Anwendung von Tierarzneimitteln ist eine konkrete Behandlungssituation notwendig. Die Voraussetzungen dafür sind geregelt in den §§ 56a und 43 AMG.

3 Welche Voraussetzungen sind an eine rechtmäßige Abgabe/Verschreibung/Anwendung von Arzneimitteln zu stellen?

Jürgen Althaus

In der praktisch überaus relevanten Vorschrift des § 56 a Abs. 1 Satz 1 AMG wird geregelt, dass ein Tierarzt für den Verkehr außerhalb der Apotheken nicht freigegebene Arzneimittel dem Tierhalter nur verschreiben oder an diesen nur abgeben darf, wenn

sie für die von ihm behandelten Tiere bestimmt sind,

sie zugelassen sind oder aufgrund besonderer Bestimmungen in Verkehr gebracht werden dürfen,

sie nach der Zulassung für das Anwendungsgebiet bei der behandelten Tierart bestimmt sind,

ihre Anwendung nach Anwendungsgebiet und Menge nach dem Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft gerechtfertigt ist, um das Behandlungsziel in dem betreffenden Fall zu erreichen,

die zur Anwendung bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen,

vorbehaltlich des Buchstaben b, verschriebene oder abgegebene Menge verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Anwendung innerhalb der auf die Abgabe folgenden 31 Tage bestimmt ist, oder

verschriebene oder abgegebene Menge von Arzneimitteln, die antimikrobiell wirksame Stoffe enthalten und nach den Zulassungsbedingungen nicht ausschließlich zur lokalen Anwendung vorgesehen sind, zur Anwendung innerhalb der auf die Abgabe folgenden 7 Tage bestimmt ist,

sofern die Zulassungsbedingungen nicht eine längere Anwendungsdauer vorsehen.

Zunächst kann festgehalten werden, dass sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut ausschließlich an Tierärzte („Der Tierarzt darf …“) richtet. Des Weiteren regelt sie, unter welchen Voraussetzungen ein Tierarzt Arzneimittel anwenden, dem Tierhalter verschreiben oder an diesen abgeben darf. Die in der Vorschrift genannten Reglementierungen beziehen sich nicht auf jegliche Arzneimittel, sondern ausdrücklich auf apothekenpflichtige und verschreibungspflichtige Arzneimittel („… für den Verkehr außerhalb der Apotheken nicht freigegebene Arzneimittel …“). Hier ist zu berücksichtigen, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel gleichzeitig immer auch apothekenpflichtig sind. Dies ergibt sich aus der grundsätzlichen, in § 43 Abs. 1 Satz 1 geregelten Apothekenpflicht von Arzneimitteln, somit auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Des Weiteren gelten für verschreibungspflichtige Arzneimittel die Ausnahmen von der Apothekenpflicht (§ 44 AMG) nicht.

Ausschließlich freiverkäufliche Arzneimittel sind von den Regelungen des § 56 a Abs. 1 Satz 1 AMG ausgenommen.

Des Weiteren ist es für das Verständnis der Regelung des § 56 a Abs. 1 Satz 1 AMG bedeutsam zu wissen, dass die in den Nrn. 1 bis 5 geregelten Voraussetzungen kumulativ (vgl. „und“ in Nr. 4) vorliegen müssen.

Merke

Bei Nichtvorliegen einer der genannten Tatbestandsvoraussetzungen sind die gesamten Voraussetzungen des § 56 a Abs. 1 Satz 1 AMG nicht gegeben, sodass von einer rechtswidrigen Anwendung, Verschreibung oder Abgabe ausgegangen werden kann.

3.1 Behandelte Tiere

Arzneimittel müssen für die von dem Tierarzt behandelten Tiere bestimmt sein. Dadurch wird deutlich, dass Arzneimittel nur in einer konkreten Behandlungssituation eingesetzt werden dürfen. In praktischer Sicht ist dieses Tatbestandsmerkmal von sehr großer Bedeutung. Im Zusammenhang mit einer „Behandlung“ ergibt sich eine Vielzahl von Fragen, wie etwa: Was versteht man unter einer „Behandlung“? Wie muss eine Behandlung erfolgen? Was ist ein „angemessener Umfang“? Welche Besonderheiten gelten bei der Behandlung von Tierbeständen? u. Ä. Die mit dem Behandlungsbegriff zusammenhängenden Einzelfragen werden in ▶ Frage 5 ausführlich beantwortet.

3.2 Verkehrsfähigkeit

Von dem Tierarzt anzuwendende, zu verschreibende oder abzugebende Arzneimittel müssen zugelassen sein. Die Zulassung ist in § 25 Abs. 1 Satz 1 AMG geregelt.

Eine Ausnahme gilt für Rezepturarzneimittel, die in einer tierärztlichen Hausapotheke oder einer öffentlichen Apotheke hergestellt werden. Diese bedürfen gemäß § 21 Abs. 2 AMG keiner Zulassung. Eine Ausnahme gilt ferner für Arzneimittel, die in einer Verordnung nach § 36 AMG aufgeführt sind, weil sie insofern von einer Einzelzulassung freigestellt sind. Schließlich bedürfen auch homöopathische Arzneimittel, die von der Möglichkeit der Registrierung nach §§ 38, 39 AMG Gebrauch gemacht haben, keiner Zulassung und können verschrieben und abgegeben werden.

3.3 Zulassung für das Anwendungsgebiet

In Nr. 3 ist das sog. „Primat der Zulassung“ geregelt. Danach darf der Tierarzt dem Tierhalter ein Arzneimittel nur für das Anwendungsgebiet verschreiben oder an ihn abgeben, für das es eine Zulassung besitzt. Grundsätzlich sollen Arzneimittel angewendet werden, die für die zu behandelnde Tierart und das Anwendungsgebiet zugelassen sind. Das zugelassene Anwendungsgebiet kann der Packungsbeilage und der Fachinformation entnommen werden (§ 11 Abs. 1 AMG). Die von dem Tierarzt zu verschreibenden oder abzugebenden Arzneimittel müssen ferner zur Anwendung bei der zu behandelnden Tierart zugelassen sein.

3.4 Behandlungsziel

Die Anwendung des Arzneimittels muss nach Anwendungsgebiet und Menge nach dem Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft gerechtfertigt sein, um das Behandlungsziel in dem betreffenden Fall zu erreichen. Das Erreichen eines Behandlungsziels setzt notwendigerweise zunächst voraus, dass sich das betreffende Tier/der betreffende Tierbestand überhaupt in der Behandlung des Tierarztes befindet. Des Weiteren setzt das Erreichen eines Behandlungsziels voraus, dass eine Zielsetzung erfolgt. Hier kommt zum Tragen, dass der Tierarzt eine Diagnose stellen und eine Therapieentscheidung treffen muss. Richtigerweise muss die Therapieentscheidung auf der Diagnosestellung basieren. Von Bedeutung sind dabei die Regeln der veterinärmedizinischen Wissenschaft.

In Nr. 4 wird allerdings nicht nur die „Erforderlichkeit nach Anwendungsgebiet“ geregelt, sondern auch die „Erforderlichkeit nach Menge“. Die Menge des Arzneimittels muss gerechtfertigt sein, um das Behandlungsziel in dem betreffenden Fall zu erreichen. Es erfolgt somit auch eine Einschränkung hinsichtlich der Dosierung und der Dauer der Anwendung.

3.5 Lebensmittelliefernde Tiere

In Nr. 5 wird die Abgabemenge bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für lebensmittelliefernde Tiere festgelegt. Die Festlegung erfolgt zweigeteilt, nämlich in Buchstabe a (vorbehaltlich des Buchstaben b) auf eine Menge, die zur Anwendung innerhalb der auf die Abgabe folgenden 31 Tage bestimmt ist und in Buchstabe b bei systemisch wirkenden Antibiotika auf eine Menge, die zur Anwendung innerhalb der auf die Abgabe folgenden 7 Tage bestimmt ist. Für beide Einschränkungen gilt, dass Zulassungsbedingungen eine längere Anwendungsdauer vorsehen können. In der Regelung der Ziffer 5 wird somit die „31-Tage-Regel“ bzw. die „7-Tage-Regel“ normiert. Die genauen Inhalte und Konsequenzen der vorstehend nur kurz beschriebenen Mengenbegrenzungen sind in ▶ Frage 12 näher beschrieben.

An dieser Stelle taucht erstmals die Begrifflichkeit „lebensmittelliefernde Tiere“ in diesem Buch auf. Das Arzneimittelrecht unterscheidet die Anwendung von Arzneimitteln bei Tieren im Allgemeinen und den besonderen Fall der Arzneimittelanwendung bei lebensmittelliefernden Tieren. Zu den lebensmittelliefernden Tieren gehören die Tierarten, die in Deutschland üblicherweise zur Gewinnung von Lebensmitteln gehalten werden. Dies sind bei den Säugetieren Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Maultiere und Kaninchen und beim Geflügel Hühner, Enten, Puten, Gänse, Tauben, Wachteln und Strauße, außerdem Nutzfische und Wildtiere in Gehegen. Bei diesen Tierarten ist es unerheblich, zu welchem Zweck sie von ihrem Besitzer gehalten werden. Auch Reitpferde, Rassegeflügel, Ziegen oder Schafe gelten als lebensmittelliefernde Tiere. Die Einordnung eines Tieres ist unter Umständen nicht ganz einfach. So kann ein Kaninchen in einem Fall ein lebensmittellieferndes Tier sein und in einem anderen Fall nicht.

Sofern ein Kleintierpraktiker im Rahmen seiner tierärztlichen Tätigkeit ein Kaninchen behandelt, ist es durchaus denkbar, dass dieses als lebensmittellieferndes Tier anzusehen ist, mit der Folge, dass dann die diesbezüglichen im Buch dargestellten Einschränkungen (z.B. besondere Anforderungen an die Dokumentation gemäß §13 TÄHAV u.Ä.) Geltung erhalten.

Fazit

Einer der wichtigsten Voraussetzungen für eine rechtmäßige Abgabe/Verschreibung oder Anwendung von Arzneimitteln stellt eine vorangegangene Behandlung durch den Tierarzt dar.

4 Was versteht man unter einem Therapienotstand?

Jürgen Althaus

4.1 Rechtliche Grundlagen

Für die Anwendung durch den Tierarzt sowie die Abgabe und die Verschreibung von apothekenpflichtigen Arzneimitteln an einen Tierhalter gelten sehr enge Voraussetzungen. Gemäß dem Regeltatbestand des § 56a Abs. 1 AMG

muss das Arzneimittel zunächst für die von dem Tierarzt selbst behandelten Tiere bestimmt sein,

muss das Arzneimittel für die jeweilige Tierart und für das vorgesehene Anwendungsgebiet zugelassen sein (gemäß § 56a Abs. 1 Nr. 1 AMG) und

muss das Arzneimittel nach dem Anwendungsgebiet und der Menge nach dem Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft gerechtfertigt sein, um das Behandlungsziel zu erreichen (§ 56 a Abs. 1 Nr. 4 AMG).

Die Vorschrift des § 56 a Abs. 1 AMG führt ausdrücklich lediglich die Verschreibung und die Abgabe an einen Tierhalter („Der Tierarzt darf für den Verkehr außerhalb der Apotheken nicht freigegebene Arzneimittel dem Tierhalter … nur verschreiben oder an diesen nur abgeben, wenn …“) aus. Die gesetzliche Regelung gilt allerdings nicht nur für die Verschreibung und die Abgabe an einen Tierhalter, sondern auch für die Anwendung eines Arzneimittels durch den Tierarzt selbst (vgl. dazu Kommentierung in Zrenner/Paintner/Saalfrank/Wesser zu § 56 a AMG; Kommentierung in Kloesel/Zyran zu § 56 a zu Abs. 1). Somit wird durch § 56 a AMG die tierärztliche Verschreibung sowie die Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln durch den Tierarzt an gesetzliche Regeln gebunden.

Der maßgebliche Ansatzpunkt ist die Forderung, dass Arzneimittel nur in einer konkreten Behandlungssituation eingesetzt werden. Des Weiteren sollen die Auswahl des anzuwendenden Arzneimittels innerhalb eines bestimmten Anwendungsgebietes und die Entscheidung über die einzusetzende Menge nach dem Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft gerechtfertigt sein.

4.2 Therapienotstand/Umwidmung

Probleme tauchen in der Praxis häufig dann auf, wenn für die Behandlung kein zugelassenes bzw. für das konkrete Anwendungsgebiet vorgesehenes Arzneimittel zur Verfügung steht und die notwendige arzneiliche Versorgung der Tiere ernstlich gefährdet ist. Tritt dieser Fall ein, so liegt ein sogenannter Therapienotstand vor (§ 56 a Abs. 2 AMG). Das Gesetz erlaubt hier im Einzelfall unter Beachtung gesetzlich festgelegter Sicherheitsmaßregeln eine Abweichung von den oben skizzierten Regelungen des § 56 a Abs. 1 AMG, wenn eine Gefährdung für die Gesundheit von Menschen und Tier nicht zu befürchten ist.

Das Gesetz sieht in § 56 a Abs. 2 AMG für den Fall eines Therapienotstandes eine abgestufte „Kaskaden-Regelung“ („Umwidmungskaskade“) vor. Danach darf ein Tierarzt im Falle der vorerwähnten Voraussetzungen eines Therapienotstandes bei Einzeltieren oder Tieren eines bestimmten Bestandes Arzneimittel nach folgendem Schema verschreiben, anwenden oder abgeben:

1. Stufe der Kaskade: § 56 a Abs. 2 Nr. 1 AMG Soweit für die Behandlung ein zugelassenes Arzneimittel für die betreffende Tierart und das betreffende Anwendungsgebiet nicht zur Verfügung steht, ist ein Arzneimittel mit der Zulassung für die betreffende Tierart und ein anderes Anwendungsgebiet zu verwenden.

2. Stufe der Kaskade: § 56 a Abs. 2 Nr. 2 AMG Soweit ein nach Nr. 1 geeignetes Arzneimittel für die betreffende Tierart nicht zur Verfügung steht, muss ein für eine andere Tierart zugelassenes Arzneimittel gewählt werden.

3. Stufe der Kaskade: § 56 a Abs. 2 Nr. 3 AMG Soweit ein nach Nr. 2 geeignetes Arzneimittel nicht zur Verfügung steht, ist ein zur Anwendung beim Menschen zugelassenes Arzneimittel oder ein in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftraum zur Anwendung bei Tieren (im Falle der Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren für lebensmittelliefernde Tiere) zugelassenes Arzneimittel zu nutzen.

4. Stufe der Kaskade: § 56 a Abs. 2 Nr. 4 AMG Soweit ein nach Nr. 3 geeignetes Arzneimittel nicht zur Verfügung steht, ist ein in einer Apotheke oder durch den Tierarzt nach § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 d hergestelltes Arzneimittel anzuwenden.

4.2.1 Erläuterungen zur Umwidmung

Wenn also im Falle eines Therapienotstandes beispielsweise ein Arzneimittel mit der Zulassung für die betreffende Tierart und ein anderes Anwendungsgebiet (siehe 1. Stufe der Kaskade) zur Verfügung steht, so darf der Tierarzt nicht ein für eine andere Tierart zugelassenes Arzneimittel (2. Stufe der Kaskade) oder ein zugelassenes Humanarzneimittel (3. Stufe der Kaskade) verschreiben, anwenden oder abgeben.

Merke

Die vorbeschriebene Kaskadenregelung ist zwingend einzuhalten.

Die Feststellung des Vorliegens eines Therapienotstandes muss von dem behandelnden Tierarzt für jeden Einzelfall auf Basis objektivierbarer Untersuchungsbefunde (bei Antibiotika z. B. auf der Grundlage eines Antibiogramms) erfolgen. Hier gilt es zu beachten, dass ein Therapienotstand nicht bereits dann vorliegt, wenn ein zugelassenes Arzneimittel für eine bestimmte Tierart nicht vorliegt. Vielmehr muss die notwendige arzneiliche Versorgung der Tiere „ansonsten ernstlich gefährdet“ sein. Daraus folgt, dass eine „ernstliche Gefährdung“ nicht bereits bei leichten Erkrankungen vorliegt, sondern erst dann, wenn die Erkrankung einen gewissen Schweregrad aufweist und eine arzneiliche Alternative nicht vorhanden ist.

Es kann davon ausgegangen werden, dass bei weniger häufig auftretenden Anwendungsgebieten sowie den sogenannten „Minor Species“ (dazu sind alle Tierarten zu zählen, die nicht zu den Hunden, Katzen, Pferden, Rindern, Schafen, Milchkühen, Schweinen und Hühnern gehören) der Therapienotstand häufiger gegeben ist, da wegen ihrer geringeren wirtschaftlichen Bedeutung weniger Arzneimittel zugelassen sind.

Beispiel

In der Kleintierpraxis kommt eine Umwidmung nach der dargestellten Kaskadenregelung häufig bei Augenpräparaten in Betracht. Hier liegen häufig bei bestimmten Augenerkrankungen keine oder nicht ausreichend wirksame Arzneimittel vor, die für Tiere zugelassen sind. In dieser Situation wird dann häufig im Einzelfall auf ein Arzneimittel zurückgegriffen, das für Menschen zugelassen ist (vgl. Stufe 3 der Kaskadenregelung).

4.2.1.1 Umwidmung aufgrund besserer Wirksamkeit

Im Rahmen von Apothekenkontrollen kommt es häufig zu Diskussionen zwischen Amtstierärzten und dem verantwortlichen Tierarzt für den Betrieb der tierärztlichen Hausapotheke über die Anwendbarkeit eines „Therapienotstandes“ in bestimmten Einzelfällen, beispielsweise wenn der Tierarzt bei einem Hund ein für Schafe zugelassenes Arzneimittel mit der Begründung eingesetzt hat, dass dieses wirksamer sei als das für Hunde zugelassene Präparat. Hier wird man dann im Einzelfall zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen des Therapienotstandes („arzneiliche Versorgung der Tiere ansonsten ernstlich gefährdet“) vorliegen.

4.2.1.2 Umwidmung aufgrund anderer Darreichungsform

Ähnliche Diskussionen werden auch geführt, wenn ein zugelassenes Präparat für ein bestimmtes Anwendungsgebiet zwar vorliegt, der Tierarzt allerdings auf ein für ein anderes Anwendungsgebiet zugelassenes Arzneimittel zurückgreift, um dieses in einer anderen Darreichungsform verabreichen zu können. Oftmals wird ein Therapienotstand bei einer anderen Applikationsart bzw. einer anderen Darreichungsform verneint.

4.2.1.3 Umwidmung aus Kostengründen

Ein häufiger Fall ist die Verabreichung eines Humanpräparates, obwohl ein für die Tierart und das Anwendungsgebiet zugelassenes Tierarzneimittel zur Verfügung steht. Dies wird dann häufig damit begründet, dass das Humanpräparat sehr viel preisgünstiger ist, als das Tierarzneimittel. Derartige Kostenerwägungen stellen kein geeignetes Kriterium für die Annahme eines Therapienotstandes dar. In derartigen Fällen ist somit auf das (unter Umständen teurere) Tierarzneimittel zurückzugreifen.

4.2.2 Besonderheiten bei lebensmittelliefernden Tieren

Bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, gelten hinsichtlich der Kaskadenregelung einige Unterschiede. Diese finden sich ab der 2. Stufe dergestalt, dass nicht nur die Zulassung für eine andere Tierart, sondern darüber hinaus auch der Wirkstoff beachtet werden muss. Das Arzneimittel darf nur pharmakologisch wirksame Stoffe enthalten, die in der Tabelle 1 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 aufgeführt sind (§ 56 a Abs. 2 Satz 2 AMG). In der vorgenannten Tabelle 1 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 werden die zulässigen Stoffe, ihre Einstufung und zum Teil deren Rückstandshöchstmengen genannt. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle die Tabelle 2 erwähnt. Hier sind pharmakologisch wirksame Stoffe aufgeführt, für die ein absolutes Anwendungsverbot besteht.

Beispiel

Dies gilt beispielsweise für den Stoff Metronidazol. Es sind Fälle bekannt, in denen Putenbestände von der anderweitig nicht behandelbaren Schwarzkopfkrankheit befallen waren und die auf rechtswidrige Weise mit dem verbotenen Stoff Metronidazol behandelt wurden.

Eine weitere Besonderheit bei lebensmittelliefernden Tieren besteht darin, dass gemäß § 56 a Abs. 2 Satz 2 AMG umgewidmete Arzneimittel nur durch den Tierarzt angewendet oder unter seiner Aufsicht verabreicht werden dürfen. Im Rahmen der 11. AMG-Novelle wurde ein Abgabeverbot umgewidmeter Arzneimittel bei lebensmittelliefernden Tieren in das Gesetz aufgenommen. Dies hat allerdings zu einer Erschwerung der medikamentösen Versorgung der Tiere geführt. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber das strikte Abgabeverbot wieder aufgehoben und durch das aktuelle Gesetz eine Verabreichung durch den Tierhalter unter tierärztlicher Aufsicht ermöglicht. Unter den Begriffen „unter tierärztlicher Aufsicht“ ist allerdings nicht zu verstehen, dass der Tierarzt bei der Anwendung durch den Tierhalter persönlich anwesend sein muss (vgl. dazu: Kommentierung in Zrenner/Paintner/Saalfrank/Wesser zu § 56 a, Seite 220). Danach reicht es aus, wenn der Tierarzt seiner besonderen Verantwortung dadurch gerecht wird, dass er eine konkrete Behandlungsanweisung an den Tierhalter erteilt und sowohl die Arzneimittelanwendung als auch den Behandlungserfolg kontrolliert.

4.2.2.1 Wartezeit bei Umwidmung eines Arzneimittels

Gemäß § 12 a Tierärztliche Hausapothekenverordnung (TÄHAV) hat der Tierarzt den Tierhalter im Falle der Abgabe oder der Anwendung eines Arzneimittels bei lebensmittelliefernden Tieren auf die Einhaltung der Wartezeit hinzuweisen. Bei einer Umwidmung eines Arzneimittels sind jedoch grundsätzlich keine Wartezeiten für die entsprechende lebensmittelliefernde Tierart festgelegt. In diesem Fall gelten daher die in § 12 a Abs. 2 TÄHAV festgelegten Mindestwartezeiten wie folgt:

bei Eiern: 7 Tage

bei Milch: 7 Tage

bei essbarem Gewebe von Geflügel und Säugetieren: 28 Tage

bei essbarem Gewebe von Fischen: die Anzahl der Tage, die sich aus der Division von 500 durch die mittlere Wassertemperatur in Grad Celsius ergibt

bei essbarem Gewebe von Einhufern, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen und bei denen Arzneimittel gemäß § 56 a Abs. 2 a AMG angewendet wurden: 6 Monate

4.2.3 Sonderfall Equiden

Abweichend von der oben dargestellten Regelung des § 56 a Abs. 2 Satz 2 AMG dürfen Arzneimittel für Einhufer, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen und für die nichts anderes in Abschnitt IX Teil II des Equidenpasses festgelegt ist, auch verschrieben, abgegeben oder angewendet werden, wenn diese Arzneimittel Stoffe enthalten, die in der Verordnung (EU) Nr. 1950/2006 (sogenannte „Positivliste“) enthalten sind. Dabei gilt aber weiterhin, dass Arzneimittel, die nicht für Equiden zugelassen sind, nur bei Vorliegen eines oben beschriebenen „Therapienotstandes“ eingesetzt werden dürfen.

Praxistipp

Der Einsichtnahme in den Equidenpass und der Überprüfung der Deklaration eines Pferdes als „Schlachttier“ oder „Nicht-Schlachttier“ kommt eine besondere praktische Bedeutung zu.

Bei Pferden, die nicht geschlachtet werden sollen, ist die Umwidmungskaskade wie für andere nicht lebensmittelliefernde Tiere anzuwenden. Es können daher im Therapienotstand alle erforderlichen Arzneimittel angewendet werden.

Bei Pferden, die zur Schlachtung bestimmt sind, dürfen im Therapienotstand – wie bei allen anderen lebensmittelliefernden Tieren – Arzneimittel mit Wirkstoffen aus Tabelle 1 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 umgewidmet werden. In diesen Fällen gelten die oben genannten und in § 12 a TÄHAV niedergelegten Mindestwartezeiten.

4.2.4 Folgen der Umwidmung

Im Falle einer Umwidmung trägt der Tierarzt die Verantwortung für eventuell aus der Umwidmung resultierende Schäden bei Patienten, Anwendern oder Verbrauchern von Lebensmitteln, die von den behandelten Tieren gewonnen wurden. Im Falle einer Umwidmung kann die Produkthaftung des pharmazeutischen Unternehmers entfallen.

Die Voraussetzungen für einen Therapienotstand und für eine daraus resultierende Umwidmung sind gesetzlich strikt definiert. Es ist daher erforderlich, dass sich ein betroffener Tierarzt intensiv mit den genannten Voraussetzungen, insbesondere mit den sich unter Umständen ändernden Wirkstofftabellen auseinandersetzt, um sich im Falle eines Therapienotstandes rechtstreu verhalten zu können. Die anwaltliche Praxis zeigt, dass die Frage nach dem Vorliegen eines Therapienotstandes und somit nach dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Umwidmung zum Teil Beurteilungsspielräume, gerade hinsichtlich der Gefährdung der arzneilichen Versorgung der Tiere, der Wirksamkeit oder der Darreichungsform eröffnet. Hier gibt es zum Teil unterschiedliche Auffassungen der Veterinärbehörden, die sich gerade im Falle einer Kontrolle der tierärztlichen Hausapotheke in Form unterschiedlicher Ergebnisse niederschlagen können.

4.3 Zusammenfassung

Die erste Wahl muss immer auf ein Medikament fallen, welches für die jeweilige Krankheit des zu behandelnden Tieres bei genau dieser Tierart zugelassen ist.

Voraussetzungen für einen Therapienotstand sind:

Es existiert kein für die Tierart und das Anwendungsgebiet zugelassenes Tierarzneimittel UND

die Gesundheit des Tieres ist ernstlich gefährdet UND

durch die Anwendung des umgewidmeten Arzneimittels ist keine Gefährdung von Mensch und Tier zu befürchten.

Andere Gründe für die Umwidmung sind i.d.R. schwierig zu argumentieren:

Umwidmung aufgrund von Kostengründen ist nicht rechtens.

Umwidmung aufgrund besserer Wirksamkeit ist schwierig (bessere Wirksamkeit muss belegbar sein).

Umwidmung aufgrund anderer Darreichungsformen ist nur in Einzelfällen rechtens.

Die Reihenfolge der Kaskadenregelung ist zwingend einzuhalten.

Besonderheiten bei lebensmittelliefernden Tieren:

Rd./ Schw./Geflügel/Fische: Alle im Arzneimittel enthaltenen Wirkstoffe müssen in Tabelle 1 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 aufgeführt sein. Mindestwartezeiten: nach § 12 a Abs. 2 TÄHAV

Equiden: Alle im Arzneimittel enthaltenen Wirkstoffe müssen in Tabelle 1 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 aufgeführt sein oder in der Verordnung (EU) Nr. 1950/2006 (sogenannte „Positivliste“) enthalten ein. Wartezeit: 6 Monate

Bei Umwidmung trägt der Tierarzt die Verantwortung für ggf. resultierende Schäden(Arzneimittelreaktionen beim Tier, Rückstände im Lebensmitteln, etc.).