Ärzte, Bader, Scharlatane - Anna Ehrlich - E-Book

Ärzte, Bader, Scharlatane E-Book

Anna Ehrlich

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Beschreibung

Die Medizingeschichte Österreichs vom Mittelalter bis zur Gegenwart Warum wandte sich die Bevölkerung mit ihren Leiden früher nur selten an studierte Ärzte? Nach welchen Grundsätzen reorganisierte Maria Theresia das Gesundheitswesen? Durch welche Erfindungen erlangten österreichische Mediziner Weltruhm? Die Historikerin DDr. Anna Ehrlich gibt einen Überblick über Krankheiten und Heilmethoden in Vergangenheit und Gegenwart und beleuchtet sowohl Irrwege wie Erfolge der Medizin. Das Bein des Kaisers Theriak, Mumia und Menschenfett Der Kaiserschnitt des Doktor Cornax Der Scharlatan von Tirol Von lebenden Toten und dem schwarzen Tod War Paracelsus eine »Frau«? Paul de Sorbait, Pestarzt und Held Gerard van Swieten Frauenmord aus Ärztehand Josef Hyrtl, der Anatom aus Eisenstadt Theodor Billroth, der Pastorensohn aus Rügen Freud und die Erkenntnis der Seele Karl Landsteiner, der Entdecker der Blutgruppen Preisgeld für die Nazis Wunderdoktor Höllerhansl Julius Wagner-Jauregg: Wo viel Licht ist … Im Zeichen des Hakenkreuzes Karl Fellinger, der Arzt der Könige u.v.a. Erst im 20. Jahrhundert erfolgte der Übergang von ärztlicher Hilflosigkeit zur modernen Medizin. Ihre rasante Weiterentwicklung wirft neue ethische Fragen auf, die noch der breiten Diskussion bedürfen.

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Anna Ehrlich

Ärzte, Bader, Scharlatane

In dankbarer Erinnerung an meinen VaterMedizinalrat Dr. Richard Ehrlich(1919–1992)

Anna Ehrlich

Ärzte, Bader,Scharlatane

Die Geschichte der österreichischen Medizin

AMALTHEA

Bildnachweis:

Privatarchiv der Autorin.

In einzelnen Fällen konnte der Verlag die Inhaber der reproduziertenBilder nicht ausfindig machen. Wir bitten sie daher, dem Verlagbestehende Ansprüche zu melden.

Besuchen Sie uns im Internet unter:www.amalthea.at

Führungen durch Wien zu diesem Thema buchen Sie unterhttp://www.wienfuehrung.at

1. Auflage Mai 20072. Auflage Oktober 2007

© 2007 by Amalthea Signum Verlag GmbHWienAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wienUmschlagbild: © Geoffrey Clements/CORBISHerstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 11,8/15,7 Punkt New CaledoniaeISBN 978-3-903083-49-3

Inhalt

Zur Einführung

Wie Kaiser Friedrich III. das Bein abgenommen wurde

Von den ganz alten Zeiten

Knochenreste und Idole

Die Römer an der Donau

Die Schriften der Antike

Wein statt Wasser

Der Blasenstein des Kaisers

Die Dame in weißer Seide

Von der Kloster- zur Laienmedizin

Juden und Frauen als Ärzte

Leibärzte und Buchärzte

Lizentiaten und Doktoren

Die Wiener Universität und das lateinische Quartier

Galeazzo de Santa Sofia

Die Leiche lebt

Das Studium der Medizin

Der Arzt am Krankenbett

Die Behandlung: Cura interna und externa

Ein ungeklärter Mord

Die anderen Heilberufe

Von Badern und Scherern

Sorgsam, sauber und geschickt

Kommt herbei, herbey, herbey!

Würzler und Apotheker

Apotheke und Arzneimittel

Theriak, Mumia und Menschenfett

Die Hebammen

Der Kaiserschnitt des Doktor Cornax

Die geschworenen Frauen und die Universität

Die Scharlatane

Die Quacksalber: Empirici und Truffatores

Der Scharlatan von Tirol und der Jude von Linz

Die ersten Spitäler

Von Krankheiten und Wunderheilungen

Von lebenden Toten und dem schwarzen Tod

Heilige und Wunderheilungen

Die hohe Medizin und der große Außenseiter

Kunstkammern und Universalgelehrte

Der große Außenseiter: Paracelsus

Volksbräuche und Aberglaube

Die Volksmedizin

Magische Bräuche und Hexenwahn

Der Erfinder des Anderl von Rinn

Im Zeichen der Pest

Die Medizinische Fakultät in der Neuzeit

Paul de Sorbait

Die Pestepidemie von 1713

Gelehrte, Wehmütter und Feldscher

Die Medizinische Fakultät Innsbruck

Die Entwicklung der Spitäler

Die kaiserlichen Spitalsgründungen

Die Neuregelung des Hebammenwesens

Ein Preußischer Feldscher in Ungarn

Aufklärung und Reform

Gerard van Swieten

Die erste Wiener medizinische Schule

Der ausgestopfte Mohr

Napoleons Leibarzt als Pate der Perkussion

Medizinische Außenseiter

»… der möge sein Jud, Türk, Heid, Katholik«

Josephinismus und Medizin

Zum Heil und Trost der Kranken

Der Bildhauer und die Geister

Die Chirurgenschulen

Stagnation und Cholera

Die Ära Metternich

Die Revolution von

Adelige Wohltäter

Eine Ärztedynastie aus Baden

Bauernbadeln und Salzprinzen

Der wissenschaftliche Aufbruch

Der Paradigmenwechsel

Die Spezialisten

Frauenmord aus Ärztehand

Josef Hyrtl, der Anatom aus Eisenstadt

Der therapeutische Nihilismus

Theodor Billroth, der Pastorensohn aus Rügen

Zeitgenossen und Nachfolger

Die Zahnheilkunde

Die öffentlichen Krankenhäuser

Die Pflege

Eine neue Zeit

Fritz Pregl, Nobelpreisträger und Frauenfreund

»Und das will Medizin studieren!«

Die Erkenntnis der Seele

Der Entdecker der Blutgruppen

Preisgeld für die Nazis

Gefährliche Strahlung

Das rote Wien

Der Heilige von Kittsee

Wunderdoktor Höllerhansl

Wagner-Jauregg: Wo viel Licht ist …

Die Jahre des Grauens und ihre Überwindung

Von der Zwangssterilisation zum Mord

Im Zeichen des Hakenkreuzes

Vom Umgang mit der Vergangenheit

Die Entnazifizierungsgesetze

Die verwaisten Lehrkanzeln

Der Vater der Graugänse

Der Retter des Allgemeinen Krankenhauses

Der Arzt der Könige

Wo stehen wir heute?

Heiler in unserer Zeit

Das Wunder von Innsbruck

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Personenregister

Zur Einführung

Wie Kaiser Friedrich III. das Bein abgenommen wurde

Kaiser Friedrich III. (geb. 1415 in Innsbruck) residierte ab 1489 in Linz, da Wien zur Hauptstadt des Ungarnkönigs Matthias Corvinus (1443–1490) geworden war. Als der Habsburger zur Fastenzeit des Jahres 1493 erkrankte, hatte er längst alle seine Jugendfreunde und die meisten seiner Feinde überlebt. Sein linker Fuß war zuerst unempfindlich geworden, dann nahm er eine bleiche bis bläuliche Färbung an und starb von den Zehen aufwärts ab, schließlich wurden Fuß und Bein bis zur Wadenmitte »so schwarz … als ein kol«, Symp tome von Altersbrand infolge von Durchblutungsstörungen. Man benachrichtigte seinen Sohn König Maximilian, dass die »majestet ye lenger ye swecher werde« und den Fuß wahrscheinlich nicht mehr werde gebrauchen können. Daraufhin schickte der besorgte Maximilian seinen Leibarzt, den Portugiesen Matheo Lupi, nach Linz.

Als der Achtzigjährige müde von der Reise ankam, fand er bereits Meister Hans Suff von Göppingen vor. Dieser war der Leibwundarzt Herzog Albrechts IV. von Bayern-München (1447–1508), der sich erst ein Jahr zuvor mit dem kaiserlichen Schwiegervater ausgesöhnt hatte. Die beiden Männer berieten sich mit des Kaisers Leibarzt Heinrich von Köln und stellten nach langem Hin und Her endlich fest, dass das Leben des Kranken in Gefahr sei. Sie rieten zur Amputation des Beines »zu halber wad«, und der Kaiser stimmte zu.

Am 8. Juni 1493, einem Sonntag, versammelte sich der Hof, vor aller Augen schritt man zur Operation. Die beiden gelehrten Leibärzte, Lupi und Heinrich von Köln, beobachteten das Geschehen, drei Wundärzte, Pflundorffer von Landshut, Meister Erhart von Graz und Meister Friedrich von Olmütz hielten den fiebernden Kaiser fest. Obwohl schwach, fand dieser noch die Kraft für folgende Worte: »Weh dem Kaiser Friedrich III., der den schmählichen Beinamen des Hinkenden bei aller Nachwelt erhalten wird, weil alles, was von seinen Taten in seinen letzten Lebensjahren aufgezeichnet werden mag, unter der Zierde dieses hässlichen Titels geschehen wird.« Die Wundärzte Hans Suff und Hilarius von Passau nahmen danach eine kleine Säge und »schnidten ab dien fuß«. Friedrich soll keine großen Schmerzen empfunden und nicht viel Blut verloren haben. Er wurde verbunden, nahm das eben abgetrennte Gliedin die Hände und bemerkte: »Nun ist dem Kaiser und dem Reich zugleich ein Fuß abgesägt! Auf Kaiser Friedrichs Unversehrtheit gründete sich das Wohl des Reiches. Jetzt ist beiden die Hoffnung genommen, und beide sind nun vom Ruhmesgipfel auf den Unterkörper gefallen.« Die Chirurgen hatten ihre Sache gut gemacht, denn der »stumpp« begann nach sechs Wochen zu verheilen, nach weiteren vier Wochen hatte sich die Wunde fast ganz geschlossen. Zufrieden belohnte der Kaiser alle seine Ärzte und entließ sie alle bis auf zwei. Seine Tage waren jedoch gezählt, er starb am 19. August an einem Schlaganfall, der laut Hans Suff auf des Patienten hohes Alter, die Schwächung durch die Amputation und das Fasten zu Maria Himmelfahrt zurückzuführen war.

Glücklicherweise müssen wir solche Torturen heute nicht mehr über uns ergehen lassen, doch bis dahin war es ein langer Weg: Erst am 27. Februar 1847 wurde der erste Österreicher narkotisiert, und zwar durch den aus Scheibbs stammenden Wiener Professor für Chirurgie Franz Schuh. Und erst 1872 wurde die fatale Zweiteilung der Ärzteschaft in die universitär gebildeten Schulmediziner (früher als Buchärzte, Physici und Medici bezeichnet) und die aus dem Handwerk hervorgegangenen Chirurgen (Wundärzte, Bader, Barbierer, Feldscher) endgültig beseitigt und durch ein einheitliches Universitätsstudium ersetzt.

Ich lade Sie nun auf eine Reise durch die Jahrhunderte der österreichischen Heilkunst ein, folgen Sie mir zu Pestlazaretten, Seziertischen und ans Krankenbett, und lernen Sie dabei die gesundheitlichen Probleme unserer Vorfahren ebenso kennen wie berühmte Arztpersönlichkeiten aller Zeiten.

DDr. Anna EhrlichWien, im Mai 2007

Von den ganz alten Zeiten

Knochenreste und Idole

Nicht zur Medizingeschichte, sondern zur Paläontologie zählt die Untersuchung der Knochenreste, die aus der schriftlosen Zeit unseres Landes stammen. Immer schon versuchten Menschen einander (und ebenso ihren Tieren) bei Krankheiten oder Unfällen beizustehen. Die Chancen, gebrochene oder ausgerenkte Glieder wieder einzurichten, standen nicht einmal schlecht. Überaus erstaunlich ist, dass selbst Operationen am Schädel (Trepanationen) überlebt wurden, die Überlebensrate lag sogar bei siebzig Prozent. Mit verschiedenen Techniken wie Schaben, Bohren, Schneiden wurde das Schädeldach, ohne die Hirnhäute zu verletzen, geöffnet. Man hat solche Schädel in Katzelsdorf, Guntramsdorf und an vielen anderen Orten gefunden. Schmerzzustände, unter anderem als Folge von eitrigen Mittelohrentzündungen, oder Verletzungen am Kopf mögen der Grund für derartige Eingriffe gewesen sein. Es gab dafür spezielle Instrumente, von denen sich Exemplare in unseren Museen befinden. Ausgestanzte kreisförmige Stücke von Schädelknochen mit Löchern darin, die wie Anhänger aussehen, hat man ebenfalls gefunden – wurden sie als Amulette getragen?

Als die Menschen sesshaft wurden, erhöhte sich durch den engeren physischen Kontakt die Gefahr, an Infektionen zu erkranken. Dazu traten durch den Rauch in den Hütten vermehrt Stirnhöhlenentzündungen auf. Mangelkrankheiten wie Skorbut und Rachitis und entzündliche Veränderungen aller Art lassen sich ebenfalls feststellen. Selbst die Haustierhaltung bildete eine Gefahr, da viele Krankheiten vom Tier auf den Menschen übertragbar sind, unter anderem der Milzbrand. Für die Wissenschaft sind es Glücksfälle, wenn ganze Körper gefunden werden, sei es als Moorleichen, Salz- oder Eiskonservierungen. An ihnen lassen sich die Leiden unserer Urahnen erforschen.

Trepanierter Schädel aus Niederösterreich.

Ein solcher Fund war Ötzi – der älteste Tiroler. 1991 fand man ihn am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen (Südtirol) in 3200 Metern Höhe, 3300 Jahre nach seinem Tod. Der Körper wurde an der Universität Innsbruck genau untersucht1: Sein Magen war bitter leer, vor seinem Tod dürfte er stark abgemagert sein. Die Forscher stellten in seinem Darm einen Parasiten, den Peitschenwurm, fest, der ihm häufigen Durchfall beschert haben muss. Er starb an den Folgen eines Kampfes.

Seine Zähne sind abgenutzt, seine Gelenke verformt, er wird wohl sein Leben lang mit schweren Lasten unterwegs gewesen sein. Man entdeckte 57 Tätowierungen, Kreuze und kurze gerade Striche, an Rücken, Handgelenken, Unterschenkeln und Füßen: Wurden sie vielleicht aus therapeutischen Gründen gemacht, um ihn von seinen Gelenksschmerzen zu befreien?

Die Römer an der Donau

Als die Römer zur Zeitenwende an die Donau kamen, trafen sie auf die Kelten, deren Priester, die Druiden, zugleich Heilkundige waren. Diese gaben ihr Wissen nur mündlich untereinander weiter, einige Reste davon haben sich in der Volksmedizin erhalten. Die Römer interessierten sich aber nicht dafür. Bei ihnen war es Sitte, dass die Familienväter ihre Angehörigen und Diener im Krankheitsfall zunächst selbst zu kurieren versuchten, bevor einer der römisch-griechischen Heilkundigen, deren Ausbildung nicht durch römische Vorschriften geregelt und daher recht unterschiedlich war (sie erfolgte in einem Meister-Lehrlingsverhältnis), konsultiert wurde. Diese genossen nicht immer hohes Ansehen, noch Gaius Plinius Secundus (1. Jahrhundert n. Chr.) übte an ihnen heftige Kritik. Reiche Leute, wie zum Beispiel ein gewisser L. Iulius Euthemus aus Carnuntum, hatten den Arzt im Haus, sie hielten griechische Medizinsklaven (servi medici), wie uns der dort gefundene Grabstein des Eucrates beweist. Er ist der älteste namentlich bekannte Arzt von Österreich.

Grabstein des römischen Arztes Eucrates aus Carnuntum.

In den Städten gab es zur Kaiserzeit bereits überall einen Gemeindearzt, den Archiatros, wovon sich das Wort Arzt ableitet. Seine Rechte und Pflichten waren durch ein Edikt Kaiser Constantins aus dem Jahre 321 n. Chr. genau geregelt: Darin finden sich Vorschriften über Ernennung, Verpflichtung zum Unterricht, Befreiung von Abgaben sowie Besoldung, aber ebenso über Absetzung bei Unfähigkeit. Er hatte auch ein Mitspracherecht bei den Vorsorgemaßnahmen wie der Anlage von Wasserleitungen und Kanälen, die halfen, die Ausbreitung von Seuchen einzudämmen. Einen wichtigen Beitrag zur regelmäßigen Gesundheitspflege leisteten die Thermen, die es gleichfalls in jeder Stadt gab. Sie sind zu unterscheiden von den heilkräftigen Quellen, zum Beispiel in Baden bei Wien (Aquae) oder in Bad Deutsch Altenburg (Carnuntum), wo man in eigenen Anstalten Gicht, Rheumatismus und Ischias behandelte. »Schwefelhaltige Quellen stellen die Funktion der Nerven wieder her, indem sie die schädliche Feuchtigkeit erhitzen und durch die Hitze aus dem Körper herausbrennen.2« Gebräuchlich waren sowohl Bade- als auch Trinkkuren.

Das Militär war medizinisch gut versorgt. Bei jeder Legion (vier- bis sechstausend Mann) gab es zwölf bis siebzehn Militärärzte im Offiziersrang. Ihr Sold war hoch, sie waren von anderen militärischen Pflichten befreit. Ihnen unterstanden die Miles Medici als Sanitätsunteroffiziere, die Dienst im Feld zu versehen und die Capsarii zu beaufsichtigen hatten. Letztere nahmen den untersten Rang ein, schleppten unter anderem die Capsae, die Behälter mit den Instrumenten und Arzneien, und waren für Bergung und Erstversorgung der Verwundeten zuständig. Um die Truppen gesund zu erhalten, gehörte die Vorsorgemedizin ebenfalls zu den Aufgaben der Militärärzte. Die tägliche Ration Knoblauch, aber auch Talismane sollten dabei helfen.

Römische Ärzte leisteten nicht ungern Kriegsdienst, denn im Feld bekamen sie Übung im Umgang mit Verletzten und konnten die Leichen von gefallenen Barbaren sezieren, wie aus den Markomannenkriegen bekannt ist3. Die Sektion römischer Leichen war nämlich generell verboten, und wer nicht in einer Gladiatorenschule arbeitete, blieb auf die Untersuchung von toten Schweinen und Affen beschränkt. Ein römischer Militärarzt griechischer Abstammung namens Dioskurides ist bis heute weltberühmt (siehe S. 17).

In jeder Stadt gab es ein Krankenhaus, ein Valetudinarium, das meist an den Sitz des Stadtkommandanten angebaut war. In Österreich hat man einige davon gefunden und erforscht. Das Valetudinarium von Enns-Lorch (Lauriacum) wurde später zum frühchristlichen Bischofssitz ausgebaut. Das Lazarett von Carnuntum war besonders groß, es maß 83,50 mal 79,50 Meter und lag westlich des Legatenpalastes. Seine Gebäude waren um einen Hof herum angeordnet und die einzelnen kleinen Krankenzimmer von dort aus zugänglich. Sie wurden im Winter mit tragbaren Kohlenbecken erwärmt, wie es in den meisten Privathäusern damals üblich war, verfügten also über keine Fußbodenheizung. In Carnuntum wurde in der Spätzeit offenbar ebenfalls eine Kirche in das Valetudinarium hineingebaut. In Vindobona (Wien) dürfte sich ein solches auf dem Areal Maria am Gestade-Stoß im Himmel-Salvatorgasse befunden haben, dort hat man 1951 einen Altar gefunden, den ein Centurio der X. Legion Jupiter, Aesculap und den keltischen Heilgöttern Sirona und Apollo (Grannus) gewidmet hatte. Man stieß in Österreich vielerorts auf Spuren des Aesculap (Asklepios), dem Sohn Apollos und Heilgottes der Griechen, in der Kaigasse von Salzburg, in Carnuntum, in Lauriacum und an etlichen anderen Orten, und auf Spuren seiner Tochter Hygieia.

Medizinische Instrumente aus der Römerzeit finden sich in etlichen Museen, sie sehen nicht viel anders aus als die von heute: Skalpelle, Sonden, Knochensägen und -meißel, Zangen aller Arten, Katheter zur Harn ableitung, Schröpfeisen (cucurbitula, sie galten als Symbol für den ärztlichen Beruf), Schädelbohrer, aber auch Brenneisen, deren Einsatz als ultima ratio galt: »Was Arznei nicht heilen kann, heilt das Eisen; was Eisen nicht heilen kann, heilt das Feuer; was aber das Feuer nicht heilen kann, das muß als unheilbar gelten«, sagte Hippokrates. Die Ärzte stellten Salben und Medikamente aus vielerlei Pflanzen, aus tierischen Grundstoffen und Mineralien her.

Chirurgische Instrumente aus der Römerzeit.

Die Schriften der Antike

Als die byzantinische Prinzessin Juliana Anikia um das Jahr 512 n. Chr. eine Kirche stiftete, schenkten ihr die dankbaren Bürger eine prächtig illustrierte Handschrift, in der das gesamte griechische Wissen auf dem Gebiet der Pharmazie und der angewandten Botanik zusammengefasst war: eine Bearbeitung der Materia medica des griechischen Arztes Pedanios Dioskurides von Anazarba (1. Jahrhundert n. Chr.), der unter den römischen Kaisern Claudius und Nero in römischem Militärdienst stand. Diese Handschrift wurde unter Kaiser Ferdinand I. (1503–1564) von seinem Gesandten, dem Flamen Ogier Ghislain de Busbecq, in Istanbul erworben und nach Wien gebracht4.

Der »Dioskurides« war das bedeutendste Werk der Kräuterheilkunde und diente schon Galen (siehe unten) als Vorlage. Es gliedert sich in fünf Bücher, in denen insgesamt 496 Pflanzen und Tiere naturgetreu, präzise und wunderschön dargestellt und ihre medizinische Anwendung, Wirkung und Dosierung angegeben sind. Das Werk behielt für mehr als ein Jahrtausend seine Gültigkeit.

Für die Medizin von überragender Bedeutung waren die Schriften von Hippokrates, Galen und Celsus, sie wurden in ganz Europa, Nordafrika und im nahen Orient jahrhundertelang gelesen, auswendig gelernt und bearbeitet. Hippokrates aus Kos (460–377 v. Chr.), angeblich ein Nachkomme des Heilgottes Asklepios, unterschied vier Elemente, Feuer,Wasser, Erde und Luft, mit den dazugehörigen Qualitäten heiß, kalt, trocken und feucht. Ihnen entsprachen die Körpersäfte Blut, Lymphe, gelbe und schwarze Galle. Er stellte bereits die Untersuchung des Patienten in den Mittelpunkt der ärztlichen Tätigkeit. Der Hippokratische Eid, der das Verhalten der Ärzte regeln sollte, entstand allerdings erst in späterer Zeit.

Mit dem Aufstieg des Römischen Reiches brachten immer mehr griechische Ärzte ihr Wissen nach Rom. Besonders berühmt wurde Galenus von Pergamon5(130–199), ein unnachgiebiger Kämpfer gegen Scharlatane und gegen Irrwege der Medizin. Er war der Leibarzt Kaiser Marc Aurels (121–180), weigerte sich aber, diesen auf seine letzte Reise nach Vindobona zu begleiten und wachte lieber im sicheren Rom über die Gesundheit des Prinzen Commodus (161–192). In Alexandria hatte er sich sein chirurgisches Können bei den Gladiatoren und sein theoretisches Wissen in der berühmten Bibliothek mit ihren unzähligen Schriften der Schule von Alexandria erworben. Seiner Meinung nach hatte die Natur den Körper auf die zweckmäßigste Weise eingerichtet. Aus der Struktur der Organe las er deren Funktion ab, wozu er zahlreiche Sektionen an lebenden Tieren durchführte. Die so gewonnenen Erkenntnisse übertrug er auf den Menschen, was neben fundamentalen Entdeckungen zu einigen Irrtümern führte. Galen war ein glühender Anhänger des Hippokrates und übernahm dessen Säftelehre: Der Mensch ist gesund, wenn sich Körpersäfte und Lebensenergie (Pneuma) im Gleichgewicht befinden. Geht dieses verloren, so bemüht sich das Pneuma um seine Wiederherstellung, wobei der Arzt nachhelfen darf. Neben Vorschriften für eine entsprechende Lebensweise (Diät, Kleidung, Schlaf) und die Reinigung des Körpers (Bad, Aderlass, Einlauf) können dabei Medikamente, vor allem Heilpflanzen, eingesetzt werden. Galens systematisches Werk gab weit mehr als eineinhalb Jahrtausende lang Antwort auf alle medizinischen Fragen von der Pulslehre über die Humorallehre (Säftelehre) bis zur Chirurgie, Astromedizin und Zubereitung der Arzneimittel (Galenik). Galens Schriften galten den Scholastikern des Mittelalters als Bibel und wurden von Generation zu Generation Wort für Wort auswendig gelernt (inklusive der Irrtümer). Er gab alle therapeutischen Regeln vor und beschränkte die Chirurgie auf die Behandlung von Wunden und Unfallfolgen, und dabei blieb es dann ebenfalls für mehr als eintausend Jahre.

Aulus Cornelius Celsus (25 vor bis 50 n. Chr.) war Römer von patrizischer Abstammung und wird als der größte römische Medizin-Schriftsteller betrachtet. Ob er selbst Arzt war, ist nicht bekannt. Der medizinische Teil seiner Enzyklopädie De medicina libri octo umfasst acht Bücher: Geschichte der Medizin, allgemeine Pathologie, die einzelnen Krankheiten, die Körperteile, Pharmakologie, Chirurgie und Knochenbehandlung. Im Früh- und Hochmittelalter spielte Celsus noch keine Rolle, erst 1436 wurde er wiederentdeckt. Danach galt er neben Galen als eine der wichtigsten Quellen für medizinische Erkenntnisse. Erst seit Paracelsus (= über Celsus stehend, siehe S. 111ff.)6wurden die Theorien der Säftelehre und des Aderlasses von Celsus und Galen zunehmend für überholt angesehen.

Wein statt Wasser

Die hygienischen Errungenschaften der Römer waren nach ihrem Abzug um 500 n. Chr. bald vergessen. In den mittelalterlichen Städten lebte man mit Ungeziefer, Schmutz und Gestank. Der Unrat lag auf den Straßen, dazwischen liefen Schweine frei herum, bei fast jeder Kirche gab es einen Friedhof, dicht daneben die Wohnhäuser mit ihren dürftigen Abtritten und verschmutzten Hausbrunnen, aus denen sich alle mit Trinkwasser versorgten. Auf den Marktplätzen gab es im späten Mittelalter zwar öffentliche Brunnen, aber noch keine öffentlichen Wasserleitungen. Das Abkochen von Wasser als hygienische Maßnahme war unbekannt. Wer gesund bleiben wollte, groß oder klein, trank statt Wasser Wein.

Es gab in Österreich bis weit in die Neuzeit hinein nur eine einzige große Stadt, und das war Wien. Aus diesem Grund wird häufig von dieser Stadt die Rede sein, denn in ihr machten sich Missstände aller Art stärker als anderswo bemerkbar, und man musste früh für deren Bekämpfung sorgen. Die älteste Wasserleitung, die 1553 angelegte Siebenbrunner Hofwasserleitung, versorgte nur die Hofburg und ein paar angrenzende Gebäude mit Wasser, die 1565 angelegte älteste städtische Wasserleitung brachte von Hernals zum Hohen Markt gerade genug Wasser heran, um kleinere Stadtbrände bekämpfen zu können.

Die Abfallbeseitigung war völlig unzureichend, bestenfalls warfen die Bürger den Müll und in den Pestjahren 1348 und 1679 selbst viele Leichen in die Bäche, wie den Wienfluss, den Ottakringer und Alser Bach, die Donau. Vom Graben weg floss ein kleines Rinnsal hinunter zur Donau (heute Donaukanal), wegen der von dieser Möring ausgehenden üblen Gerüche wurde sie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eingewölbt. Für die Reinigung der Abtritte waren Kotkönige (purgatores privete) zuständig, ein eigenes Gewerbe, ihre erste Erwähnung stammt aus dem Jahre 1370.

Zwar bemühte sich die Obrigkeit mittels zahlreicher Anordnungen um mehr Sauberkeit, die Missstände bekam sie jedoch nicht in den Griff. Erst dem tatkräftigen König Ferdinand I. war etwas mehr Erfolg beschieden. Doch noch 1615 beschwerten sich die Stände bei der Regierung: »Und demnach eben in hiesiger Stadt wienn immerwerend ein solcher gestanck und unsauberkeit, darob sich gleich zu entsetzen und verwundern ist, dass die sterbeläuff nicht merers eingerissen haben …«

Die katastrophalen hygienischen Zustände waren verantwortlich für die rasche Ausbreitung von Ruhr, Typhus, Pest und Pocken, denen man völlig hilflos gegenüberstand. Verzweifelt wandte man sich an Gott und die Heiligen um Hilfe oder ergriff die Flucht: Eilends, weit weg und für lange Zeit7. Das konnten sich aber nur Wohlhabende wie der Herzog und sein Hof leisten. Um die Kranken wenigstens von den Gesunden zu trennen, brachte man sie in Siechenhäuser (siehe S. 77) vor der Stadt.

Im Mittelalter war die Lebenserwartung nicht allzu hoch, doch fehlen verlässliche Zahlen. Vor der kleinen Eiszeit und dem Jahrhundert der Katastrophen, dem 14. Jahrhundert, dürfte sie höher gewesen sein als in der frühen Neuzeit. Die Körpergröße der Menschen nahm parallel dazu ebenfalls ab, denn die Versorgung mit Nahrungsmitteln wurde immer schlechter. Auf dem Land lebte man wesentlich gesünder als in den Städten, sofern man nicht in einer der zahlreichen Fehden oder im Krieg ums Leben kam.

Aus Bürgertestamenten aus der Zeit von 1395 bis 1403 lässt sich schließen, dass die Familien nicht besonders kinderreich waren. Im Mittelalter wurde auffallend spät geheiratet. Frauen, die mit dreißig heirateten, bekamen durchschnittlich noch vier Kinder, bei fünfundzwanzigjährigen waren es etwa fünf Kinder und bei zwanzigjährigen etwa sechs Kinder, dazu kamen viele Fehl- und Totgeburten. Beim Adel war die durchschnittliche Kinderzahl höher als beim Bürgertum und den niederen Ständen, denn das Heiratsalter lag tiefer und die Mütter stillten nicht selbst, wodurch ein gewisser Empfängnisschutz wegfiel.

Der Blasenstein des Kaisers

Im Frühmittelalter waren es in Österreich wie in ganz Europa fast ausschließlich Geistliche, Mönche und Nonnen, die sich der Heilkunst widmeten. Ausgangspunkt der Klostermedizin war das Kloster Monte Cassino, dem der weströmische Staatsmann und Gelehrte Cassiodor (Flavius Magnus Aurelius Gassiodorus Senator, 485–580) seine umfangreiche Bibliothek vermacht hatte. Sie enthielt zahlreiche medizinische Werke der Antike, darunter Schriften von Hippokrates, Galen, Dioskurides und Caelius Aurelianus, etliche wurden im Kloster erstmals vom Griechischen ins Lateinische übersetzt. Spätere monastische Enzyklopädisten (Isidor von Sevilla, Walafried Strabo, Beda Venerabilis, Hrabanus Maurus, Hildegard von Bingen) fassten das naturkundliche und medizinische Wissen ihrer Zeit zusammen, ihre Werke dienten der Klostermedizin als theoretische Grundlagen. Die Regel desheiligen Benedikt von Nursia (480–547) machte die Klöster für ihre Kranken verantwortlich: »Kapitel 36:… Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen: Man soll ihnen so dienen, als wären sie wirklich Christus; hat er doch gesagt: Ich war krank, und ihr habt mich besucht (Mt 25,36), und: Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,20). Aber auch die Kranken mögen bedenken, dass man ihnen dient, um Gott zu ehren; sie sollen ihre Brüder, die ihnen dienen, nicht durch übertriebene Ansprüche traurig machen …«.

Seit dem Aachener Konzil von 836 musste jedes Kloster über ein eigenes Spital verfügen. Im Gefolge der Kreuzzüge entstanden eigene Spitalsorden und Ritterorden, die für die Pflege von Kranken und Pilgern zuständig waren. Die Klöster wurden bald zu heilkundlichen Zentren, Mönche und Kanoniker arbeiteten als Ärzte und Apotheker in einer Person, sie schrieben Rezepte, bereiteten Arzneien und nahmen Operationen vor. Ein berühmtes Beispiel ist die Operation eines Blasensteins, der sich der deutsche Kaiser Heinrich II. (973–1024) im Kloster Monte Cassino unterzog. Seine Josefsehe war die Folge, die Sache hätte weit schlimmer ausgehen können. Das Procedere ging auf den Meisterchirurgen Paulus von Aegina (625–690) zurück: Der Chirurg ertastete den Stein über den After, schob ihn zum Blaseneingang und entfernte ihn über einen seitlichen Dammschnitt. Diese Methode wurde übrigens bis ins 17. und 18. Jahrhundert beibehalten. Der hoch stehende Patient war vermutlich vorher in Benommenheit versetzt worden. Dazu tränkte man einen Schwamm mit Säften aus Bilsenkraut, Opium (Mohnsafttränen) oder indischem Hanf und Mandragora-Öl, ließ ihn trocknen, applizierte ihn dann dem Kranken auf die Nase und ließ ihn tief durchatmen.

Die Mönchsärzte begaben sich zur Heilung von Kranken oftmals an Orte außerhalb der Klöster, worunter die religiösen Übungen zu leiden hatten. Aus diesem Grund erteilte das Konzil von Clermont den Mönchen im Jahre 1130 ein Behandlungsverbot (kein Pflegeverbot!), woran sich nicht alle Klöster hielten. Die Klostermedizin bestand zumindest als Kräuterheilkunde vielerorts weiter, und sie fand Eingang in die Kochkunst: Für den Kranken wie für den Gesunden sollen Lebensmittel nach dessen Bedürfnissen je nach Eigenschaft (nass, kalt, trocken, heiß) ausgewählt und im richtigen Verhältnis gemischt werden. Die Natur als Apotheke, die Küche als Laboratorium.

Als Träger der Klostermedizin sind in Österreich wie in anderen Ländern in erster Linie die Benediktiner anzusehen, besonders Stift Admont nimmt eine hervorragende Stellung ein. Es besitzt die größte private Sammlung mittelalterlich-medizinischer Schriften. Der berühmte Scholastiker Abt Engelbert von Admont (1297–1327), der österreichische Albertus Magnus, der in Padua studiert hatte, kann als Käufer, Schreiber, Glossator oder Auftraggeber mit einer Reihe dieser Handschriften in Verbindung gebracht werden. Unter ihnen sind grundlegende Werke antiker, frühmittelalterlicher und arabischer Autoren ebenso vertreten wie Texte von Salerno und von den mittelalterlichen medizinischen Fakultäten. Die Tradition der Klostermedizin wird in Admont durch einen Kräutergarten, in dem über siebenhundert Heil- und Gewürzkräuter gedeihen, bis heute aufrechterhalten. Das erste Spital von Wien lag ebenfalls in den Händen der Benediktiner.

Die Dame in weißer Seide

Die Benediktinerin Hildegard von Bingen (1098–1179) lebte zwar nicht bei uns, die »Hildegard-Medizin« findet aber gerade heute viele Anhänger. Hildegard war eine erstaunliche Frau, sie verstand es, sich in einer Männerwelt durchzusetzen, ohne dabei ihre weibliche Natur zu verleugnen. Sie schuf sich einen Freiraum innerhalb der Kirche. In den beiden von ihr gegründeten Klöstern trugen die Nonnen Kleider aus weißer Seide und Schmuck, aßen gut und waren der Musik ergeben. Werkstätten entstanden, in denen liturgische Gewänder gestickt, Miniaturen gemalt und Arzneien hergestellt wurden.

Für Hildegard waren beide Geschlechter gleichwertig: Gott hatte die Frau sogar aus edlerem Material geschaffen als den Mann, nämlich aus einer Rippe und nicht aus gewöhnlichem Lehm. Die Alleinschuld Evas am Sündenfall im Paradies bestritt sie heftig. Sie stand mit den bedeutendsten Persönlichkeiten ihrer Zeit in Verbindung, selbst Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1152–1190) schätzte sie als Ratgeberin. Um ihre theologischen und philosophischen Aussagen durchzusetzen, berief sich Hildegard auf Visionen. Damit wich sie der damals gültigen Lehrmeinung, dass Frauen aus eigener Kraft zu theologischen Erkenntnissen nicht in der Lage wären, geschickt aus und vermied Auseinandersetzungen mit den Kirchenmännern. Ab 1141 begann Hildegard ihre Vorstellungen niederzuschreiben. Sie entwickelte keine eigenen medizinischen Verfahren, sondern trug bereits bekannte Behandlungsmethoden aus verschiedenen Quellen zusammen. Ihre eigentliche Leistung besteht darin, dass sie die griechisch-lateinischen Traditionen mit der Volksmedizin vereinte und erstmals volkstümliche Pflanzennamen verwendete. Sie verfasste Causae et Curae (Ursachen und Heilungen), ein Buch über die Entstehung und Behandlung von verschiedenen Krankheiten. Ihr zweites naturkundliches Werk heißt Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum (Buch über das innere Wesen der verschiedenen Kreaturen und Pflanzen). In ihrem dritten Werk, dem Liber divinorum operum(Welt und Mensch), erscheint der Mensch als Mikrokosmos, der in all seinen körperlichen und geistigen Gegebenheiten die Gesetzmäßigkeiten des gesamten (Makro-)Kosmos widerspiegelt. Alles ist aufeinander bezogen, wechselseitig miteinander verbunden und in Gott untrennbar vereint.

1228 wurde ein erster Antrag auf Heiligsprechung gestellt, die aber nie erfolgte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde Hildegard in das Martyrologium, das Verzeichnis der Heiligen der Kirche, aufgenommen, womit sie als Heilige gilt. Ein Verfahren zur Anerkennung Hildegards als Kirchenlehrerin befindet sich in der Prüfungsphase.

Von der Kloster- zur Laienmedizin

Das Kloster Monte Cassino unterhielt in Salerno ein Hospital für erkrankte Ordensbrüder. Aus der Gruppe der Heilkundigen, der Civitas Hippocratica Salernitatis, entwickelte sich die erste medizinische Hochschule Europas. Dank der Förderung durch Erzbischof Alfanus und der Übersetzungen griechischer, jüdischer und arabischer medizinischer Texte durch Konstantin den Afrikaner (1020–1087) ins Lateinische blühte die Schule auf. Der islamische Orient war in hygienischmedizinischen Belangen dem christlichen Europa jahrhundertelang weit überlegen. Während im Abendland Krankheiten als Strafe Gottes oder Prüfung angesehen wurden und ihre wissenschaftliche Erforschung somit aus religiösen und moralischen Gründen unterblieb, beschäftigten sich islamische Gelehrte wie Rhazes (Abu Bakr Muhammad ibn Zakariya al-Razi, Augenheilkunde, 865–925), Avicenna (Abu Ali al-Husain ibn Sina-e Balkhi, 980–1037) und Averroes (Abul-Waleed Muhammad ibn Ruschd, 1126–1198) mit den Lehren von Hippokrates und Galen (siehe S. 17), ferner mit dem heilkundlichen Wissen der Inder, Syrer und Perser, und entwickelten die Grundlagen der Medizin weiter. Im Bereich der Hygiene knüpften sie wie die Juden an die antiken Traditionen an.

Die Schule von Salerno erlebte ihre Glanzzeit vom 10. bis 12. Jahrhundert. Sie erhielt 1140 vom Normannenkönig Roger II. von Sizilien (1095–1154) eine erste Medizinalordnung, die von seinem Enkel Kaiser Friedrich II. (1194–1250) im Jahre 1240 bestätigt wurde. Sie ordnete ein dreijähriges Logik-Vorstudium an und legte eine verbindliche Prüfung für angehende Mediziner und Medizinerinnen (!) in Form eines öffentlichen Disputs mit den Professoren als Bedingung für die Berufsausübung fest. Ferner trennte Friedrich II. im Edikt von Salerno (= Edikt von Melfi) die Berufe von Arzt und Apotheker voneinander, was später in ganz Europa übernommen wurde.

Die Hippokratische Gemeinschaft zählte meist um die zwanzig Ärzte und Ärztinnen, darunter etliche jüdischen Glaubens. Frauen waren als Studenten und als Lehrende zugelassen, bekannt sind Abella und Calenda, und vor allem Trotula, Frau des Arztes Johannes Platearius, mit ihrem Werk über Frauenheilkunde. Wie die Äbtissin Hildegard von Bingen arbeitete Trotula mit einfachen, für das Volk erschwinglichen Mitteln und Rezepten und wies darauf hin, dass Frauen Hemmungen hätten, mit Männern über Frauenleiden zu sprechen. Welch weise Erkenntnis – und das zu Beginn des 12. Jahrhunderts!

In der damaligen Zeit übertrugen jüdische, muslimische und christliche Gelehrte in Toledo die Schriften des Aristoteles und weiterer Autoren aus dem Arabischen und Griechischen ins Lateinische und trugen damit zu den geistigen Grundlagen der Universitäten bei. Nach dem Niedergang der Schule von Salerno blieb Italien weiterhin führend in der medizinischen Lehre. Ab 1219 wurden in Bologna Medizin und Chirurgie gelehrt, die Universität von Padua wurde 1222, die von Neapel 1224 gegründet. In Frankreich entstanden in Montpellier und Paris ebenfalls bedeutende medizinische Zentren. Um deren Professoren bemühten sich die Fürsten in ganz Europa anlässlich der Gründung zahlreicher neuer Universitäten. An diesen wurden Frauen allerdings nicht mehr zu Prüfungen zugelassen. Da deren Absolvierung aber Bedingung war, um als »Buchärzte« praktizieren zu dürfen, blieben sie nun vom angesehenen akademischen Arztberuf ausgeschlossen.

Juden und Frauen als Ärzte

Der berühmteste jüdische Arzt des Mittelalters hieß Moses ben Maimon, genannt Maimonides (1138–1204), aus Cordoba. Aus politischen Gründen floh er nach Marokko und gelangte später nach Ägypten, wo er schließlich Hofarzt des großen Sultans Saladin (1138–1193) wurde. 1176 erhielt er den Rang des Nagid, des Oberhauptes der ägyptischen Juden. Seine Schriften vermittelten dem rückständigen Westeuropa antikes und arabisches Wissen und wurden an allen Universitäten eifrigst studiert. Die Aphorismi Rabbi Moysis wurden das beliebteste Repetitorium der Lehre Galens. Das Regimen sanitatis, eine diätetische Gesundheits anleitung, entstand als Antwort auf des Sultans Leiden: Melancholie, Verstopfung und Appetitlosigkeit.

Die Medizin stand für Maimonides im Dienst der Religion, Heilen war göttliches Gebot, denn nur ein Gesunder könne zum jüdischen Ziel der vollständigen Heilung der Welt beitragen. Das Medizinstudium mache den Menschen »demütig, gottesfürchtig und sozial gesinnt«.

Doch zurück nach Europa. Die Jüdin Rebecca Guarna konnte im toleranten Salerno noch ungehindert studieren und sogar Abhandlungen über Fieber, Urin und den Fötus verfassen. Als später an den meisten Universitäten keine Frauen oder Juden mehr zu Prüfungen zugelassen wurden, erwarben sich letztere ihr medizinisches Wissen im arabischen Raum und gaben es dann in Europa untereinander und an ihre Frauen und Töchter weiter. Sie waren in der oft feindseligen christlichen Umgebung äußerst vorsichtig mit ihren Kuren, da Fehlschläge schlimme Folgen für die gesamten jüdischen Gemeinden haben konnten. Seit den Pestepidemien wurde ihnen nachgesagt, dass sich in ihrer Hand Medizin in Gift verwandle und ähnlicher Unsinn mehr.

In Spanien sind 1364 am Hof der Königin Leonor, der zweiten Gemahlin König Pedros IV. von Aragon (1336–1387) zwei jüdische Ärztinnen mit dem Titel Magistra, Ceti und Floreta, nachweisbar. In Sizilien, woher Leonor stammte, praktizierte 1376 ebenfalls eine jüdische Ärztin. Der jüdische Augenarzt Jacob sa Rocha kam auf Befehl König Alfons IV. (1299–1336) 1329 aus Aragon nach Österreich, als dessen Schwester, die unglückliche Königin Isabella, Gattin König Friedrichs (III.) des Schönen (1289–1330) zu erblinden drohte. Sie litt vermutlich am Grauen Star, ihre Zeitgenossen aber waren der Meinung, dass sie ihr Augenlicht durch ihre vielen Tränen verloren hatte.

Als Kaiser Friedrich III. (1415–1493) als junger Herzog der Steiermark in Wiener Neustadt Hof hielt, hatte er 1432 einen jüdischen Leibarzt namens Meister Rubein und in seinen späteren Lebensjahren, bereits als Kaiser, einen weiteren namens Jacob Ben Jehiel Loans (gest. um 1506 in Linz) um sich, den er für seine treuen Dienste in den Adelsstand erhob. Loans unterrichtete den berühmten Gelehrten Johannes Reuchlin in hebräischer Sprache und Grammatik und war vermutlich dessen Vorbild für einen seiner drei Disputanten in seiner Schrift De Verbo Mirifico (Basel 1494).

Dass viele Christen, vor allem die mächtigen, jüdische Ärzte selbst am Sabbat heranzogen, erklärt sich mit dem hohen Niveau der jüdischen Heilkunst. Im römisch-deutschen Reich sind im Mittelalter jedenfalls jüdische Ärzte und Ärztinnen nachweisbar: Sara in Würzburg, Zerlin in Frankfurt am Main, die »Doktorin der freien Kunst der Arznei« Morada in Günzburg. Sie alle waren hoch angesehen! Unter Kaiser Maximilian I. (1459–1519) geriet in Wien um 1517 eine Empirica (über die Empiriker siehe S. 68ff.) namens Rebecca in Konflikt mit der medizinischen Fakultät. Aus dem Umkreis des bekannten Rabbi Isserlein bar Petachja (1390–1460) aus Wiener Neustadt wird über eine Arzttochter berichtet, die hygienische Ratschläge erteilte. Dort gab es ferner ein jüdisches Spital (Allerheiligenplatz 3 und 4), das 1464 erstmals erwähnt wurde. Es ging im Großbrand von 1494 zugrunde. Selbstverständlich gab es in Wien ebenfalls ein Judenspital (Judenplatz), das im Zuge der Ausrottung der Judengemeinde im Jahre 1421 vernichtet wurde.

In Italien gelang es Frauen allerdings immer wieder an Hochschulen zugelassen zu werden. Um 1320 ist in Bologna als Schülerin des begabten Anatomen Mondino eine gewisse Giliani aus San Giovanni in Persiceto nachweisbar. Die jüdische Ärztin Antonia, Frau des Magisters Daniel, war zwischen 1386 und 1408 in die Matrikel der medizinischen Fakultät der Universität Florenz eingeschrieben, 1436 konnte die Christin Dorothea Bocchi in Bologna den medizinischen Doktortitel und einen Lehrstuhl für Medizin und Moralphilosophie erwerben. Es ist anzunehmen, dass die oben erwähnte Frau Morada ebenfalls in Italien studiert hatte. Es gab noch weitere Ärztinnen, sonst wären diese nicht von Papst Sixtus IV. (1474–1487) in seiner für Rom geltenden Regelung zum Ausschluss der Quacksalber8von der ärztlichen Praxis aufgezählt worden: »Niemand, weder Mann noch Frau, Christ oder Jude, er sei denn Magister oder Lizentiat der Medizin, darf wagen, einen menschlichen Körper medizinisch oder chirurgisch zu behandeln.« Für Wien findet sich 1517 eine ähnliche Regelung zugunsten der medizinischen Fakultät, die allerdings die Chirurgen nicht mit erwähnt: »Item ob jemand Man oder Frauen, sonderlich Juden wass stanndt und Weesen die sein, die Leybärtzt und dergleichen genent wollen werden, zu Wienn practicieren und von gemelten Doctoren nit approbiert oder zuegelassen wurden, so soll und mag obberüerte Facultät solches vorgedachten, unnsern Regiment und Vitzdomb zu Wienn anzuzaigen, die alsdann den oder dieselben ungewaigert abschaffen sollen.«

Leibärzte und Buchärzte

Als der siebenunddreißigjährige Babenberger Herzog Leopold V. (1157– 1194) am Weihnachtstag des Jahres 1194 in Graz vom Pferd stürzte, zog er sich einen komplizierten Bruch des Unterschenkels zu. Seine (geistlichen) Leibärzte ließen ihn zur Ader und klebten ihm eine Menge »Heilmittel« auf die Wunde, bis diese nach ein paar Tagen brandig wurde, und er schreckliche Schmerzen litt. Er flehte sie an, ihm das Bein abzunehmen, doch sie weigerten sich. Die Chirurgie war ihre Sache nicht. Da nahm er in seiner Verzweiflung eine Streitaxt, setzte sie selbst auf sein Schienbein und befahl seinem Kammerdiener, mit dem Hammer darauf zu schlagen. Dieser gehorchte, beim dritten Schlag war das Bein abgetrennt. Danach bemühten sich seine Leibärzte wieder mit ihren Salben und Aderlässen um ihn mit dem Ergebnis, dass er am 31. Dezember starb, ein Opfer der fatalen Zweiteilung der ärztlichen Wissenschaft in Innere Medizin und Chirurgie.

Bei der Gründung des Pilgrim-Hauses der Hybernischen Benediktiner (Schotten) durch Herzog Heinrich II. Jasomirgott (1107–1177) waren noch alle Ärzte Geistliche. Seine Frau Theodora Komnena brachte für sich und ihre Familie vermutlich aus Byzanz die ersten Laien ärzte mit, denn in ihrer Heimat gab es bereits gut ausge bildete Mediziner und Krankenhäuser: Das Pantokrator-Kloster war zugleich Spital, Kloster und Grabstätte der Komnenen, es dürfte Heinrich II. als Vorbild gedient haben. 1194 war von diesen byzantinischen Ärzten offenbar aber keiner mehr in Wien.

Erst seit dem 13. Jahrhundert übten bei uns neben den Ärzten geistlichen Standes schon häufiger Laien den Arztberuf aus, wie Meister (magister) Heinrich (1229), der für Herzog Leopold VI. (1176–1230) als Leibarzt und Protonotar tätig war, oder Meister Ulricus, medicinae scholasticus (1287). Einige kamen von den Universitäten Padua, Bologna und Paris und waren ausgebildete »Puechärzte« oder »Buchärzte«, das Wort wurde in verschiedener Schreibweise als Titel und Berufsbezeichnung verwendet, auch die Ausdrücke physicus und medicus bedeuten dasselbe wie ar(c)zt. 1314 besaß Alram medicus ein Hospitium am Graben, ein Spital in unserem Sinn war das nicht. Der erste bedeutendere Arzt war der Dichter Heinrich von (Wiener) Neustadt, der ab 1312 in Wien lebte und mit dem Freisinger Hof am Graben belehnt wurde. Weitere Wiener Buchärzte waren Meister Tyl (1336), Meister Hermann (1342),Ulrich de Burkard (1349), Herdegen (1360), Seiczo (zwischen 1372 und 1384 wiederholt am Kohlmarkt erwähnt) und Meister Haindenrich (gest. 1379). Der Titel Doctor medicinae ist in Wien erstmals um 1415 nachweisbar.

Auch die ersten bekannten Chirurgen und Apotheker in Österreich waren Italiener, so Heinrich Walch (Welich, um 1307 nachweisbar) und Magister Anton von Ala, der seit 1374 im Dienst Herzog Leopolds III. (1351–1386) und weiterer Habsburger stand, oder Mathias Bon aus Venedig, der 1387 als »herzog Albrechts (IV.) ze Österreich apotekker« urkundlich erwähnt wurde.

Kaiser verfügten meist über mehrere Leibärzte und Leibchirurgen, das Amt hieß suae caesareae majestatis personae medicus bzw. suae caesareae majestatis personae chirurgus. In manchen Fällen, vor allem ab der Renaissance, scheint der Titel als Auszeichnung verliehen worden zu sein, ohne dass eine entsprechende medizinische Dienstleistung verlangt wurde. Die Bestellung lag ganz im Ermessen des jeweiligen Landesfürsten.

Als erste Leibärzte werden unter König Rudolf I. von Habsburg (1218– 1291) der Mailänder Magister Landulf, »des künigs arzat«, ferner Peter von Aspelt, der spätere Erzbischof von Mainz, sowie Magister Heinrich von Villingen bezeugt. Die Kuren waren manchmal drastisch. Herzog Albrecht I. (1250–1308) hatte viele Feinde und daher große Angst um sein Leben9. Im Jahre 1295 glaubte er vergiftet worden zu sein. Seine Leibärzte, deren Namen nicht überliefert sind, hingen ihn an den Füßen auf, um das Gift abfließen zu lassen. Danach war er auf einem Auge blind. Ob ein gewisser Magister Gregorius aus Montpellier, der für den Herzog ein Gesundheitsregiment verfasste, an dieser sonderbaren Behandlung beteiligt war, ist nicht bekannt.

Eine ähnliche Geschichte wird über Herzog Albrecht II. (1298–1358) erzählt, der nach der gleichen Prozedur gelahmt haben soll. Inzwischen wurde an seinem Skelett nachgewiesen, dass er an schwerer Arthritis litt. Als Leibarzt dieses Herzogs und seiner Söhne ist ein gewisser Albert Steke von Cremona, Pfarrer von Gars-Eggenburg, überliefert. Er stammte aus Wiener Neustadt und hatte offenbar in Cremona studiert.

Einer der Leibärzte der Brüder Albrechts, Herzog Friedrichs (III.) des Schönen (1289–1330) und Herzog Leopolds I. (1290–1326), war der Geistliche Johannes von Verona. Jakob Engel aus Ulm, der das Lizentiat der Medizin in Paris erworben hatte, war Leibarzt der Herzöge Albrecht III. (1349–1395) und Leopold IV. (1371–1401), er zeichnete sich durch eine Schrift über die Pest und eine weitere über die Kometen aus, beides Themen, die die Menschen damals ungeheuer bewegten. Ein weiterer Leibarzt Herzog Leopolds IV. war Berthold Starck von Basel, er trat später in den Dienst Herzog Albrechts V. (1397–1439), der ihm große Wertschätzung entgegen brachte. Leibärzte, die ihren Titel an fremden Universitäten erworben hatten, pflegten an der neu gegründeten Wiener Universität zu immatrikulieren, um dieser ihre Achtung zu erweisen und Mitglieder des Ärztekollegiums von Wien zu werden.

Heinrich Stoll von Hammelburg wurde 1423 an der Wiener Universität zum Doktor der Medizin promoviert, war Dekan und Rektor. Er war Leibarzt Herzog Albrechts V. und begleitete diesen 1424 auf den erfolglosen Kriegszug gegen die Hussiten, wo sein Herr schwer erkrankte und sich nach der Rückkehr noch lange nicht erholen konnte. Ein Kanoniker von St. Stefan, Rudolf von Heringen, war ebenfalls unter Albrechts Leibärzten. Keiner konnte aber dessen frühen Tod verhindern. Johannes Zeller von Augsburg war der genauso wenig erfolgreiche Leibarzt von Albrechts Gattin Elisabeth von Luxemburg und später ihres Sohnes Ladislaus Postumus. Er stand der Medizinischen Fakultät insgesamt viermal als Dekan vor und kämpfte eifrig gegen die Konkurrenz der Empiriker (siehe S. 68ff.). Im Jahre 1456 ertrank er bei Belgrad, wohin er seinem König gefolgt war, in der Donau. Weitere Fakultätsmitglieder und Leibärzte waren Johannes Petri Gallici de Wratislauia, Johannes Schroff de Valle Eni (vom Inntal) und Galeazzo de Santa Sofia (siehe S. 34ff.).

Lizentiaten und Doktoren

Die Wiener Universität und das lateinische Quartier

Der Habsburger Herzog Rudolf IV. (1339–1365) unterfertigte mit seinen Brüdern Albrecht III. (1349–1395) und Leopold III. (1351–1386) am 12. März 1365 die Gründungsurkunde der Wiener Universität, die Papst Urban V. (1362–1370, Guillaume de Grimoald) drei Monate später bestätigte. Die Stadt Wien gelobte Unterstützung. Rudolf hatte eine eigene »phaffenstat, da die wirdige schul sein und alle maister und schuler wonen sullen« im Viertel um die heutige Minoritenkirche geplant, was wegen seines frühen Todes nicht verwirklicht werden konnte.

Sein Bruder Herzog Albrecht III. (1349–1395) reformierte und erweiterte die Universität im Jahre 1384 durch die Gründung der Theologischen Fakultät und die Stiftung des Collegium ducale, des ersten Wiener Universitätsgebäudes (Postgasse 7–9), ferner der Juristenschule in der Schulerstraße 14. Das päpstliche Schisma von 1378 kam ihm zugute, da es zahlreiche Gelehrte zur Abwanderung aus Paris veranlasste. Einige wählten Wien als neue Wirkungsstätte, darunter die Mediziner Hermann Lurcz aus Nürnberg und Hermann von Treysa aus Hessen.

Die Figur Herzog Rudolfs IV., des Stifters der Wiener Universität, befindet sich am Stefansdom.

Rund um das Collegium ducale entstand ein lateinisches Quartier, wie man das Studentenviertel nannte. Die Burschen lebten in Bursen10, einer Art von Studentenheimen, sie genossen viele Privilegien. Die Universität war nicht nur in vier Fakultäten gegliedert, sondern der Herkunft ihrer Mitglieder nach zusätzlich in vier Nationen, die österreichische, rheinische, ungarische und sächsische. Die Fakultätsmitglieder wählten alle halben Jahre aus ihrer Mitte den Dekan, die Annahme der Wahl war Pflicht. An der Spitze der Nationen standen hingegen Prokuratoren. Das bedeutete eine doppelte Bindung für jedes Universitätsmitglied und führte etliche Male zu Interessenskonflikten. Die Studenten waren bei den Wienern wegen ihres oft schlechten Benehmens nicht allzu beliebt, einige wurden sogar zum Tod verurteilt: Sie hatten das Recht, in diesem Fall nicht gehenkt, sondern »nur« enthauptet zu werden, womit sie ihre Ehre nicht verloren.

Die Beziehungen der Fakultät zu Kirche, Landesfürst und Stadt, ferner zu anderen europäischen Universitäten sind aus den Fakultätsakten (Acta Facultatis Medicae) ersichtlich, die ab 1399 von den Dekanen laufend geführt wurden. Aus ihnen erfährt man viel Wissenswertes über den Alltag an der Fakultät und ihre Rolle im Gesundheitswesen.

Galeazzo de Santa Sofia

Von einer wissenschaftlich-medizinischen Lehre kann in Österreich erst seit 1394 gesprochen werden, als Galeazzo de Santa Sofia aus Padua zum Leibarzt Herzog Albrechts IV. (1377–1404) und an die Universität berufen wurde. Galeazzo hatte vorher zum Ärztekollegium von Padua gehört, wo schon sein Großvater Nicolo und sein Vater Giovanni als angesehene Mediziner gewirkt hatten. Die Familie Santa Sofia verfügte über einen Hausschatz an Rezepten, ihr Einfluss auf die Ärzteschaft ganz Europas darf nicht unterschätzt werden.

Damals und in den folgenden Jahrhunderten wurde Österreich immer wieder von der Pest heimgesucht, der die Ärzte hilflos gegenüberstanden. Aderlass, Abführmittel und eine Handvoll Kräuter war alles, was sie dagegen verordnen konnten. Einen besseren Erfolg erzielten die Chirurgen durch Aufschneiden und Ausbrennen der schmerzhaften Pestbeulen. Galeazzos Vater (oder er selbst) verfasste eine Schrift über die Pest, Consilium tempore pestilentiae, in der er gegen den Aderlass als Therapie auftrat, womit er damals ziemlich alleine stand. Er sah einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und der wiederholten Heuschreckenplage und hielt die Fäulnis der im Meer umgekommenen Heuschrecken und den schlechten Stand der Gestirne für die Ursachen der Pest. Doch wies er auch bereits auf die Gefahr einer Einschleppung durch den Handel hin. Bis dahin hatte man geglaubt, dass die Krankheit stets an Ort und Stelle »durch verderbte Luft« (Miasmen) entstünde.

Der Hof brachte sich bei jeder Epidemie aufs Land in Sicherheit. Galeazzo behandelte den Herzog, dessen Familie und hochgestellte Mitglieder des Hofes bei mancherlei Leiden, er rettete der Überlieferung nach den sechsjährigen Albrecht V. vor dem Tode. Er erkannte, dass das Studium der Pflanzen nicht aus Büchern, sondern am Objekt erfolgen musste und unternahm mit seinen Studenten Herbulationen