Hexen, Mörder, Henker - Anna Ehrlich - E-Book

Hexen, Mörder, Henker E-Book

Anna Ehrlich

0,0

Beschreibung

Die Kriminalgeschichte Österreichs vom Mittelalter bis zur Gegenwart Welche Delikte waren früher mit dem Tode bedroht? Nach welchen Regeln wurden Angeklagte gefoltert und verurteilt? Wie sah das Alltagsleben der Henker aus? Die Historikerin und Juristin DDr. Anna Ehrlich ging der Geschichte der Kapitalverbrechen und der Todesstrafe nach und beleuchtet damit eine unbekannte Seite der österreichischen Geschichte. Die Ermordung der Familie Reisner Das Blutgericht von 1310 Der Hostienfrevel von Enns und die große Geserah Zwei Bürgermeister in den Händen des Freimanns Schnapphähne und Heckenreiter Zauberjackl, Lauterfresser und Blumenhexe Teufelsaustreibung und Hexenverbrennung in Wien Ein Teufel namens Hansl Die Blockhäuser von Graz Bauernaufstände und Strafgericht Die Henker von Tirol Die Hinrichtung eines Angolaners Die Jakobinerprozesse Ein Mörder aus gutem Haus Der 14. Tote vom Galgenhof NS Henker Reichhart und sein trauriger Rekord Die Kremser Hasenjagd Der Engel mit der Fleischmaschine Waffennarren und Terroristen u.v.a. Neben spektakulären Prozessen und ihren Hintergründen erfährt der Leser Wissenswertes über Ehrenstrafen, Hinrichtungsarten, Gesetze, Kerker, Gerichtsgebäude, Polizei, Richter und Henker – und wird so manchen Ort in Hinkunft beim Vorübergehen mit Schaudern betrachten … Mit einem Vorwort von Justizministerin a.D. Karin Gastinger

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 388

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anna Ehrlich Hexen · Mörder · Henker

Anna Ehrlich

HEXEN MÖRDER HENKER

Eine Kriminalgeschichte

Amalthea

Bildnachweis

Alle Abbildungen stammen aus dem Archiv der Autorin.

Der Verlag hat alle Rechte abgeklärt. Konnten in einzelnen Fällen die Rechteinhaber der reproduzierten Bilder nicht ausfindig gemacht werden, bitten wir, dem Verlag bestehende Ansprüche zu melden.

Besuchen Sie uns im Internet unterhttp://www.amalthea.at

Führungen durch Wien zu diesem Thema buchen Sie unter http://www.wienfuehrung.at

2. Auflage 2007 © 2006 by Amalthea Signum Verlag, Wien Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wien Umschlagillustration: Ansicht von Wien von der Spinnerin am Kreuz, 1843.Aquarell und gouache, Rudolf von Alt, © IMAGNO/Austrian Archives eISBN 978-3-903083-51-6

INHALT

Vorwort

Zur Einstimmung: Der Fall Reisner

1. VOM WERGELDZUR TODESSTRAFE

Wergeld, Gottesurteil und landschädliche Leute – Die Kriminalisierung des Strafrechts – Der Mord am Münzmeister Schlom – Gleiches Recht, doch nicht für alle – Scheiterhaufen überall – Die unwillkommenen Habsburger – Das Blutgericht von 1310 – Der Judenmord von Korneuburg – Die Ketzernester Steyr, Krems und Enns – Der Fall Stibor Chrezzel – Der Wiener Bußgeldkatalog – Der Bofel von Stain und Krembs – Hostienschändung und Blutwunder – Die Tragödie des Bürgermeisters Vorlauf – Der Hostienfrevel von Enns und die Wiener Geserah – Die ungebärdigen Studenten – Inquisitionsprozess und Folter – Richter und Henker – Schwert und Galgen – Ein Fälscherprozess bei Hofe – Ein Bürgermeister wird gevierteilt – Kerker und endlicher Rechtstag – Die ersten Hexenprozesse – Schnapphähne und Heckenreiter – Femegerichte und Freischöffen – Der Ewige Landfriede

2. VONDEN HEXENPROZESSENZUR AUFKLÄRUNG

Die neuen Gesetze – Das Wiener Neustädter Blutgericht – Ketzerprozesse in Wien – Türken und Standrecht – Die Hexenverfolgungen – Die Henker von Tirol – Bauernaufstände und Strafgericht – Das Ende des Grafen Hardegg – Eine echte Hexe – Die ungarische Adelsverschwörung von 1671 – Das missbrauchte Asyl – Die Hinrichtung eines Angolaners – Die ganz banalen Verbrechen – Gefängnisse und Gerichtsgebäude – Der akademische Hinrichtungsplatz – Totenbruderschaft und Armensündergottesacker – Die Nemesis Theresiana – Barmherzig nur zu Frommen – »Die Dinge halb zu tun, das ist nicht meine Sache!« – Mörder aus gutem Haus – Die Polizei – Der Henker von Salzburg

3. VON FRANZBIS FRANZ JOSEF

Ein neues Strafgesetz – eine neue Epoche – Die Jakobinerprozesse – Arbeit für den Henker – Ein neues Haus für die Justiz – Peter von Bohr: Genie und Verbrecher – Die Revolution von 1848 – Schwere Zeiten für den Henker – Die letzte öffentliche Hinrichtung in Wien – Das Gift der »schönen Julie« – Wer ist der Moldaschel Mörder? – Der »arme Sünder« und sein letzter Weg – Francesconi, Schenk und andere Halunken – Hauptmann Pepi mit dem goldenen Wienerherz – Der dreizehnte Mann

4. DIE REPUBLIKUNDIHR UNTERGANG

Neue Zeiten, alte Sitten – Der Todesengel Martha Marek – Gemeine Mörder aus Graz – Das Fallbeil nicht nur für Mörder – Die Denunzianten der Wiener Gestapo – Die Kremser Hasenjagd

5. VOM ENDEDES SCHRECKENSBISHEUTE

Die Bewältigung der Vergangenheit – Die Nachkriegskriminalität – Frauenmörder gehen um – Waffennarren und Terroristen – Die neuen Strafgesetze – Von ihnen spricht man heute noch

NACHWORT

ANMERKUNGEN

AUSGEWÄHLTE TEXTE

HERRSCHERLISTE

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

PERSONENREGISTER

VORWORT

Hexen, Mörder, Henker – Kriminalgeschichte, die fesselt, Grausamkeit der Tat und Abscheulichkeit der Strafverfolgung, spannend anhand von Schicksalen erzählt, die berühren. Aber doch kein historischer Krimi, nein, ein überzeugendes Plädoyer für Humanität und Menschenrechte! Aber nicht nur das, das Kapitel „Ein neues Haus für die Justiz“ zeigt, dass Veränderungen im Umgang mit Strafe und Sühne auch neue Räume brauchen. Die beeindruckende Geschichte des Wiener Landesgerichtes für Strafsachen lässt mich doch eine Parallele zu meinen Bemühungen um Verbesserungen im Strafvollzug ziehen, die uns allen zu Gute kommt. Nur ein Strafvollzug, der sich den Menschen widmet, sie der Gesellschaft wieder zuführt, kann Rückfall vermeiden helfen. Dazu braucht es auch geeignete und passende, einer Großstadt angemessene Bauten.

Das Buch schließt mit der Bemerkung, dass die Menschheit seit dem am Beginn dieser Chronik geschilderten Mord an den Bäckersleuten Reisner vor mehr als fünfhundert Jahren nichts dazugelernt habe. Wer es aufmerksam liest, wird diesen Pessimismus nicht leicht teilen. Als Justizministerin macht es mich stolz, dass Österreich ein System der Gerichtsbarkeit und des Strafvollzugs hat, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Diese Humanität verpflichtet uns, Opfer mit Würde und Anerkennung zu behandeln, aber auch Täter nicht als wertloses Strandgut der Gesellschaft zu sehen. Nach 1873 wird Österreich 2008 über eine völlig erneuerte Strafprozessordnung verfügen, deren Ansprüche an verbesserten Opferschutz und verstärkte Beteiligungsmöglichkeiten von Opfern wie auch von Beschuldigten in Wien in einem neuen Haus zur vollen Entfaltung gelangen werden.

Wer das Buch liest, wird seinem Nachwort jedenfalls mit ganzem Herzen zustimmen: Die Todesstrafe ist und bleibt ein Unrecht. Dieser Erkenntnis und dem ganzen Werk wünsche ich eine große und interessierte Leserschaft.

Maga. Karin GastingerBundesministerin für Justiz

ZUR EINSTIMMUNG: DER FALL REISNER

Wer im Café Central gemütlich seine Zeitung liest, hat meist keine Ahnung davon, dass am 23. November 1500 an dieser Stelle ein schweres Verbrechen geschah. Damals wohnte hier der wohlhabende Bäckermeister Leonhart Reisner zusammen mit seiner Frau, seiner kleinen Tochter, einer Magd und einem Knecht. Er hatte vor einiger Zeit einen Gesellen aus Regensburg aufgenommen, einen kräftigen jungen Mann namens Bartholomäus. Der stellte sich recht geschickt an und gewann bald das Vertrauen der ganzen Familie. Das siebenjährige Töchterlein mochte ihn besonders gern, wenn er die lustigsten Lieder pfiff, damit es seine Puppen tanzen lassen konnte. Was in des Burschen Kopf vorging, bemerkte keiner. Schwarze Gedanken waren es, hatte er doch bemerkt, dass sein Brotgeber immer wieder Münzen in ein Versteck hinter dem Ofen in der Stube tat. »Hätte ich dieses Geld, ich würde mir ein schönes Leben machen«, seufzte Bartholomäus und dachte an nichts anderes mehr, sooft er sich schwitzend an seine Arbeit machte. Der Nürnberger Meistersinger Kuntz Haß hat überliefert, was weiter geschah:

Eines Nachts nahm Bartholomäus ein Beil und schlug damit lautlos dem Knecht, mit dem er das Lager in der Dachkammer teilte, den Schädel ein. Dann stieg er leise die Leiter hinab und schlich in die Schlafkammer der Bäckersleute. Meister Reisner hatte einen leichten Schlaf, er hörte ihn kommen und kroch schlaftrunken aus dem Bett – ein Hieb, und er brach tot zusammen. Die Bäckersfrau ereilte das gleiche Schicksal im Schlaf. Auch die Magd war erwacht, sie eilte herbei, womit ihr Ende besiegelt war. Nun ging Bartholomäus in die Stube und öffnete das Versteck. Ja, da war die Kasse mit den schönen Silberstücken, die nun sein waren! Doch in der Tür stand die Kleine, sah den blutbespritzten Täter ganz erschrocken an und begann zu weinen. »Barthel, tu mir nichts! Ich gebe dir den Schlüssel! Lass mich leben! Ich will dir auch alle meine Puppen geben!« Er aber dachte nur eines: »Sie wird mich verraten, auch sie muss sterben!« Nach dieser letzten Gewalttat reinigte er sich sorgfältig von all dem Blut, zog die guten Kleider seines Meisters an und nahm alles, was von Wert war, an sich. Dann ging er in die Bäckerherberge und ließ es sich gut gehen. Als die Untat entdeckt wurde, saß er noch beim Wein und beklagte dann laut den Tod der Bäckerfamilie. Sogar am Begräbnis seiner Opfer nahm er teil. Anschließend verließ er mit seiner Beute die Stadt, um sich nach Regensburg und in ein, wie er meinte, schöneres Leben zu begeben.

Ganz Wien war entsetzt über die schreckliche Bluttat. Aber wieso war Bartholomäus nicht unter den Opfern gewesen? Und nun war er verschwunden? Ganz bestimmt konnte nur er der Mörder sein. Kaiser Maximilian I. wandte sich persönlich an den Rat von Regensburg, mit einer Beschreibung des Verdächtigen und der Bitte um dessen Auslieferung. Bartholomäus wurde in Ketten geschmiedet auf einem Schiff nach Wien zurückgebracht. Zunächst war er verstockt, gestand dann aber alles auf der Folter. Er wurde vom Stadtrichter Laurenz Hutendorfer zu einem schrecklichen Ende verurteilt. Zuerst wurden ihm die ärgsten Qualen zugefügt: »Man sollt ihm seine zehen Finger ein nach dem andern abhacken und mit haysen Zangen zwacken.« Er soll dabei fürchterlich geschrien haben. Dann schaffte man ihn zum Richtplatz: »Er war gebunden an ein Pferdt und war geschafft an all’ die stat der fuenf Markt, die man zuo Wien hat. Und danach schleifft man fuer das thor.« Ganz Wien war dorthin gelaufen, um zu sehen, was nun kam: »Der Henker ein grossen pfal her nam, damit er in dann yetz spissen.« Doch hatte der Scharfrichter eine derartige Exekution noch nie durchgeführt, so dass der erste Versuch misslang: »Die spiz setzt er im in Wayd darmen und rucket als ein starcker Knecht. Der arm der schreiyt es geht nicht recht. Zeuch aus und stoss in anders ein.« Diesmal machte er es richtig, und die Henkersknechte drückten den Delinquenten so lange nieder, bis ihm der Pfahl beim Hals herausragte. Nun bereute Bartholomäus seine Untat und ertrug seine Schmerzen willig als Sühne für den Mord an dem Kind. Sein Tod trat erst nach fünf Stunden ein.

Diese grausame Form der Todesstrafe sollte später in Österreich nie mehr praktiziert werden. Der Fall Reisner spielte sich am Ende einer Epoche ab, in der das Strafrecht große Veränderungen erfahren hatte.

1. VOM WERGELDZUR TODESSTRAFE

Wergeld, Gottesurteil und landschädliche Leute

Das Strafrecht war ursprünglich kein öffentliches Recht. Jede Sippe übte die Strafgerichtsbarkeit über ihre eigenen Mitglieder aus, der Hausherr und Familienvater übte die Strafgewalt über Ehefrau und Kinder aus, der Herr über seine Unfreien, der Schutzherr über seine Schutzbefohlenen. Delikte, die sich gegen einen Einzelnen richteten, waren Privatangelegenheit der Beteiligten, die Fehde das Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte. Kein König, Herzog oder Graf mischte sich da als Richter ein.

Jeder Täter hatte Anspruch darauf, seine Schuld durch Sühnegeld, das »Wergeld« (wer, lat. vir, bedeutet Mann), an die beleidigte Sippe zu büßen, das heißt abzulösen. Das Geld konnte gerichtlich eingeklagt oder durch feierlichen Sühnevertrag, die Urfehde, außergerichtlich festgelegt werden. Eigene Bußkataloge bestimmten die Höhe. Nur wer ungehorsam war oder gar seine Tat verheimlichte, ein »Neidingswerk« beging, oder aber flüchtig oder »landschädlich« war, beziehungsweise wer Verbrechen gegen die Allgemeinheit verübte, durchschnitt damit das Sippenband und wurde geächtet. Niemand durfte einen solchen Verbrecher aufnehmen, »hausen und hofen«, jeder durfte ihn, den »Wer«wolf, töten. Wurde er vor Gericht gebracht, musste er mit der Todesstrafe rechnen.

Der oberste Richter war stets der deutsche König, nur er konnte anderen Personen das Recht verleihen, über Leib und Leben zu richten, das heißt, er belehnte seine Fürsten und Richter mit dem »Blutbann«. Der österreichische Markgraf, ab 1156 der Herzog, genoss eine Sonderstellung: »der Markgraf dingt bei eigener Huld«. Der König hatte nicht das Recht, sich in die Rechtsangelegenheiten des neuen Herzogtums einzumischen.1 Dreimal jährlich hielt der Markgraf beziehungsweise Herzog an den drei Gerichtsstätten Korneuburg, Tulln und Mautern das »Landtaiding« ab, bei dem unter seinem Vorsitz die »maiores et meliores terrae«, die Großen und Besten des Landes, als Urteilsfinder fungierten. Jedes Strafverfahren war damals öffentlich, wurde mündlich ausgetragen und folgte strengen Regeln.

Auch der Beweis wurde in formaler Weise erbracht und es war Sache des Beklagten, seine Ehre durch den »Reinigungseid« wiederherzustellen. Seine »Eideshelfer«, meist Sippengenossen, hatten zu beschwören, dass der Eid des Beklagten rein sei. Sie setzten sich damit nur für dessen Glaubwürdigkeit als Person ein, ohne den Sachverhalt kennen oder seine Unschuld bezeugen zu müssen. Der Sachverhalt selbst wurde nicht erforscht. Nur im Falle, dass ein freier Mann bei der Begehung einer Tat festgenommen wurde, im »Handhaftverfahren«, hatte der Kläger den Beweis zu führen: auf sein »Gerüfte«, das Zetergeschrei, kamen Leute herbei, die damit seine »Schreimannen« wurden und seinen Eid vor Gericht beschworen.

Der Zweikampf als Gottesurteil folgte bestimmten Regeln.

Neben dem Eid war das Gottesurteil oder »Ordal« als Beweismittel zulässig: Die Götter oder Gott sollten die Unschuld des Beklagten erweisen, etwa durch die »Kreuzprobe«, bei der man einander mit ausgebreiteten Armen gegenüberstand. Wer die Arme früher sinken ließ, galt als schuldig. Auch ließ man den Beschuldigten ein »heißes Eisen« anfassen: heilten die Wunden rasch, war er unschuldig. Oder man warf ihn in reines Wasser: nahm es ihn auf, dann war er unschuldig, schwamm er hingegen, so galt seine Schuld als erwiesen. Die Kirche sah in den Gottesurteilen eine »Versuchung Gottes« und lehnte sie ab, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Jeder Ritter hatte das Recht, Verleumdungen und schwere Beschuldigungen durch Anrufung des Gottesgerichtes zurückzuweisen. In feierlicher Form wurden dann vor Zeugen die Bedingungen des Zweikampfes mit dem Kläger festgelegt. Kranke und kampfuntüchtige Ritter konnten ebenso wie adlige Frauen einen Stellvertreter bestimmen. Vor dem Kampf schworen beide Kämpfer auf ein Kreuz oder eine Reliquie, dass ihre Aussage der Richtigkeit entspreche. Wurde die Klägerpartei besiegt, galt die Unschuld der beklagten Partei als erwiesen. Den Kläger traf nun die gleiche Strafe, die dem Beschuldigten im Falle seiner Niederlage gedroht hätte.

Ein weiteres Ordal war die »Bahrprobe«, bei der die Wunden des Opfers bluten sollten, wenn der Täter beim Schwur die Hand auf den Leichnam legte. Eine solche mittelalterliche Bahrprobe fand noch 1601 in Waidhofen an der Ybbs statt: Als die ledige Dienstmagd Margarete Krämer ein totes Kind geboren hatte, wurde sie des Kindsmords angeklagt. Da sie ihre Schuld selbst auf der Folter leugnete, wurde eine Bahrprobe auf dem Friedhof anberaumt. Man legte das tote Kind auf eine Bahre, die Mutter berührte mit Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand die entblößte Brust des Kindes und wiederholte dreimal mit lauter Stimme den Eid, den ihr der Stadtrichter Matthias Till vorsprach: »Ich Margaretha schwer zu Gott im Himel vnd allen Heiligen, daß ich Mutter am Todt dißes alda liegendten meinem Khindts nicht schuldig bin; da esnicht also ist, so well es ain Zeichen von sich geben, so war mir Gott helff vnd all seine heiligen.« Da kein Zeichen erfolgte, wurde die Magd für schuldlos erklärt. So berichtet das Ratsprotokoll von Waidhofen, das dort im Stadtarchiv aufbewahrt ist.

Die Kriminalisierung des Strafrechts

Bei der Durchsicht der Quellen über Hinrichtungen im österreichischen Raum fällt auf, dass im Mittelalter ganz andere Tatbestände als schwere Verbrechen galten als heute. Landesverrat, Heeresflucht, Homosexualität, Schadenszauber und Majestätsverbrechen an Gott oder am Herrscher galten als besonders strafwürdig. Hingegen verfielen Menschen, die nach heutiger Ansicht Verbrecher waren, keineswegs dem Henker. Blutige Warlords, wie Gamaret Fronauer, die über Jahre hinweg ganze Landstriche tyrannisierten, wurden zur »Befriedung« mit Burgen und Gütern belehnt und so vom Herzog in das herrschende System von Rechten und Pflichten eingebunden, für ihre Untaten also regelrecht belohnt. »Gewöhnliche« Mörder und Diebe wurden verbannt, »geächtet« und dadurch »elend«2, aber hingerichtet wurden sie nicht. Hand in Hand mit der Bevölkerungszunahme und der aufkommenden Stadtkultur im Hoch- und Spätmittelalter stieg die Zahl der Hinrichtungen, denn immer mehr Tatbestände wurden zu todeswürdigen Verbrechen erklärt. Aus dem Vorgehen der Gemeinschaft gegen »landschädliche« Leute entwickelte sich die Verfolgung aller Straftäter »von Amts wegen«. Ein ausgeklügeltes System von Leibesstrafen trat an die Stelle des alten Wergelds.

Gab es ursprünglich nur Freie und Unfreie, so wandelte sich die Gesellschaftsstruktur während des Hochmittelalters grundlegend, da Waffen sehr teuer waren und der Kriegsdienst, zu dem ursprünglich alle Freien verpflichtet waren, viel Zeit kostete. Viele Männer unterstellten sich daher dem bewaffneten Schutz eines Adeligen und traten in seine Grundherrschaft ein, womit sie ihre Freiheit aufgaben, ihr Waffenrecht verloren und sich seiner niederen, nicht für Leib und Leben zuständigen Gerichtsbarkeit gleich unfreien Hörigen unterwarfen. Hingegen trugen ursprünglich unfreie Knechte, die »Ministerialen« des hohen Adels, wegen ihrer persönlichen Kriegsdienste Waffen und verschmolzen mit dem alten Ritterstand zum neuen niederen Adel, der seine Ansprüche durch die Ritterfehde zu sichern verstand. Da die Bevölkerung sehr unter den Fehdehandlungen litt, veranlasste die Kirche deren Einschränkung durch beschworene Verträge, die »Gottesfrieden« (Treuga Dei). Wurden die darin festgelegten Regeln verletzt, so drohte dem Täter der Kirchenbann. Die »Landfrieden« der deutschen Könige verfolgten denselben Zweck. Den ersten Reichslandfrieden verkündete Kaiser Heinrich IV. 1103 auf vier Jahre. Er trug auch in Österreich Gesetzescharakter. Der Mainzer Reichslandfrieden von 1235 legte für das gesamte Reich fest, dass die Fehde nur unter Rittern erlaubt, den Bauern jedoch strengstens verboten war und stets mit einer Ansage, der »diffidatio«, eröffnet werden musste. Ein gerichtlicher Sühneversuch sollte vorausgehen. Die Tötung des Gegners sowie Fehdehandlungen an bestimmten Festtagen, an Sonntagen und den drei letzten Wochentagen wurden verboten. Bestimmte Personen, Kaufleute, Juden, Kleriker, Bauern hinter dem Pflug, aber auch Orte, Plätze und Straßen standen unter einem Sonderfrieden, der »pax«. Wer die Bestimmungen missachtete, galt als Raubritter. Die Landfrieden der Herzöge übernahmen diese Bestimmungen, die somit auch in Österreich galten. So begann die Gesetzgebung das Gewohnheitsrecht allmählich zu verdrängen.

Die Gesetze richteten sich vor allem gegen die zahlreichen Verbrecherbanden, die das ganze Land unsicher machten. Sie hatten ihre Schlupfwinkel im Wald und bei den »ehrlosen Leuten«, fanden aber auch bei den armen Bauern Unterstützung, ein Problem, das trotz aller Bestimmungen bis ins 19. Jahrhundert nicht zu bewältigen war. Eine der letzten berüchtigten Banden war die des »Räuberhauptmanns Hansjörgl«, von Johann Georg Grasel, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Waldviertel ihr Unwesen trieb.

Aus dem alten Handhaftverfahren entwickelte sich das Festnahmerecht, das es im Frühmittelalter noch nicht gegeben hatte. Wurden »landschädliche Leute« vor Gericht gebracht, so verfuhr man gegen sie wie gegen handhafte Täter. Der Kläger brauchte nur mit sechs Eideshelfern im »Übersiebnungsverfahren« ihre Schädlichkeit und Gefährlichkeit zu beschwören, und schon war ihnen der Reinigungseid verwehrt. Dieses Verfahren war in Österreich üblich: »Die landrihter suln vrag haben schedelicher leute und swer ubersagt wirt, uber den sol man richten als recht ist.«3 Die neuen Gesetze drohten mit barbarisch harten Strafen, die aber keine abschreckende Wirkung hatten, sondern immer mehr Menschen in den Kreis der Gewohnheitsverbrecher trieben. Neben die Todesstrafe, für die – auch durch östlichen Kulturimport der »frommen« Kreuzfahrer angeregt – immer grausamere Formen entwickelt wurden, traten Leibes- und Verstümmelungsstrafen wie das Abhacken von Hand oder Fuß, das Ausreißen der Zunge, Ausstechen der Augen, Abschneiden von Nase oder Ohren, das Kastrieren und Brandmarken. Wer durch den Henker verstümmelt oder gebrandmarkt wurde, war gezeichnet und musste weitere Verbrechen begehen, um zu überleben, bis er letztlich am Galgen landete. Mit der immer häufigeren Verhängung von Todes- und Verstümmelungsstrafen, mit dem »Talionsprinzip« Aug’ um Auge, Zahn um Zahn, bekam das mittelalterliche Strafrecht seinen grausamen Charakter.

Gemildert wurde es nur durch das »Asylrecht«: In Kirchen, Klöstern oder an anderen dafür bestimmten Plätzen waren Verbrecher vor der peinlichen Strafe geschützt, um ihnen den Abschluss eines Sühnevertrages zu ermöglichen – vorausgesetzt, sie verfügten über das nötige Vermögen. Da dadurch die Justiz stark behindert wurde, versuchten einige Landesfürsten das Asylrecht einzuschränken. Seit Herzog Rudolf IV. (reg. 1358–1365) war es in Wien nur noch auf dem Areal von Hofburg, Schottenkloster und Stephansdom gültig, doch erst Maria Theresia (reg. 1740–1780) schaffte es mit Patent vom 15. September 1775 völlig ab. Unter ihrem Sohn Josef II. (reg. 1780–1790) verschwanden die letzten Spuren dieses Rechts. In Wien erinnert nur der Name der Freyung noch daran.

Der Mord am Münzmeister Schlom

Der reiche Jude Schlom stand bei Herzog Leopold V. (reg. 1176–1194) in hoher Gunst, er hatte es bis zum Münzmeister, »super officium monetae«, gebracht. Durch seine weitreichenden Verbindungen war es ihm gelungen, den Transport des englischen Lösegeldes für König Richard »Löwenherz« nach Wien perfekt zu organisieren, woraufhin ihn der dankbare Herzog mit der Ausmünzung dieser 50.000 Silberbarren betraut hatte. Auch Leopolds Sohn Herzog Friedrich I. (reg. 1195–1198) schenkte ihm sein Vertrauen und bestellte ihn zu seinem Güterverwalter. Schlom war ein einflussreicher Mann, dessen Amt dem eines heutigen Finanzministers vergleichbar war. Er war sehr wohlhabend und besaß vier Grundstücke auf dem heutigen Areal Seitenstettengasse Nr. 4 bis 6, weitere Grundstücke vor der Stadtmauer im Bereich der heutigen Goethegasse sowie Weingärten in Baumgarten (heute 14. Bezirk). Dort, wo jetzt der Stadttempel in der Innenstadt steht, führte er ein großes Haus und beschäftigte neben jüdischen auch christliche Diener, was das 3. Laterankonzil schon 1179 verboten hatte. Der Kirche und vor allem den Wiener Patriziern war Schlom ein Dorn im Auge, denn der Jude nahm eine Stellung ein, die ihrer Meinung nach einem von ihnen, jedenfalls aber einem Christen gebührte.

Wien glich im Jahre 1196 noch immer einem Ameisenhaufen. Kreuzfahrer aus aller Herren Länder hielten wie schon seit etwas mehr als einhundert Jahren hier längere Rast vor der Weiterreise nach Ungarn. Dabei kamen neben frommen Männern und Frauen auch andere: fanatische Mönche, mittellose Raufbolde, entlaufenes Gesinde(l) und Entwurzelte. Papst Urban II. (Odo de Chatillon, reg. 1088–1099) hatte nämlich bereits 1095 in Clermont gesagt: »Mögen diejenigen, die bis jetzt Räuber waren, Soldaten werden …, mögen diejenigen, die sonst Söldlinge waren um schnöden Lohn, jetzt die ewige Belohnung gewinnen«.4 Aufgestachelt durch Wanderprediger führten sich viele dieser ungebetenen Gäste sehr übel auf: man betete und soff abwechselnd, vor allem aber geiferte man gegen alle Ungläubigen, gegen »Ismaeliten« und gegen Juden, die »Gottesmörder«. So kam es in Wien zu folgendem Zwischenfall:

Ein christlicher Diener Schloms bereute plötzlich, einem Juden unterstellt zu sein und nahm das Kreuz. Das Reisegeld »verschaffte« er sich von seinem Herrn, indem er ihm 24 Mark Silber stahl. Das waren etwa sechs Kilogramm Silber, was nach dem damaligen Wechselkurs dem Wert von einem Kilogramm Gold entsprochen haben dürfte. Keine geringe Summe! Schlom erhob daher Klage gegen ihn und ließ ihn einkerkern. »Der Jude hat den Christen in den Kerker geworfen«, heulte daraufhin die Frau des Diebes in die Menge der Kreuzfahrer. »Tötet den Juden!« Ihr Ruf wurde aufgenommen, von vielen Kehlen weitergetragen, schwoll an und riss das ganze Volk mit sich, voran und immer weiter, bis zum Haus des Schlom und dort hinein. Vergeblich trat der alte Jude mit beruhigender Geste den Tobenden entgegen, vergeblich weinten seine kleinen Enkel. Die ganze Familie und ihre Dienerschaft, insgesamt sechzehn Menschen, wurden in »heiligem Eifer« erschlagen. Dann fielen die Missetäter über Schloms Weinfässer her. Erst jetzt tauchten die Männer des Herzogs auf, zu spät für Schlom. Der Mob stob nach allen Seiten auseinander, aber ein Dutzend Betrunkene wurde vor den Herzog gebracht. Friedrich, vom rüden Benehmen und den vielen Unverschämtheiten der unwillkommenen »heiligen Touristen« seit langem genervt, schäumte vor Wut. Er machte mit den beiden Rädelsführern kurzen Prozess und ließ sie sofort enthaupten, was ihm natürlich Vorwürfe seitens der Kirche eintrug. Die anderen ließ er daher laufen.

Der Fall Schlom war »Chefsache«, denn auf Grund des Judenregals waren die Juden des Herzogs persönliche Knechte und standen unter seinem besonderen Schutz, ganz wie seine anderen Diener auch. Sein Vorgehen war nicht nur eine Strafe für die Untat, sondern Warnung an alle. Denn dass Kreuzfahrer sich an Juden vergriffen, war damals nichts Neues mehr: schon hundert Jahre zuvor, anlässlich des Ersten Kreuzzugs von 1096, war es in den deutschen Städten Speyer, Worms und Mainz und auch in Prag zu schrecklichen Massakern gekommen. »Als sie nun auf ihrem Zuge durch die Städte kamen, in denen Juden wohnten, riefen sie untereinander: Sehet, wir ziehen den weiten Weg, um die Grabstätte aufzusuchen und uns an den Ismaeliten zu rächen, und siehe, hier wohnen unter uns die Juden, deren Väter ihn unverschuldet umgebracht und gekreuzigt haben! So lasset zuerst an ihnen uns Rache nehmen und sie austilgen aus den Völkern, daß der Name Israel nicht mehr erwähnt werde; oder sie sollen unseresgleichen werden und zu unserem Glauben sich bekennen«, berichtet der Zeitgenosse Orderic Vital. Die strenge Botschaft Herzog Friedrichs wurde verstanden, es kam während der Kreuzzüge in Wien zu keinen ähnlichen Ausschreitungen mehr.

Gleiches Recht, doch nicht für alle

Das Wiener Stadtrecht von 1221 ist uns erhalten geblieben, vermutlich war es die Neufassung eines älteren Privilegs. Neben zivil- und handelsrechtlichen Bestimmungen enthielt es auch solche strafrechtlicher Natur: als Verbrechen und Vergehen wurden Totschlag, Körperverletzung, Schläge, Beschimpfungen, Hausfriedensbruch (»Heimsuche«), Schändung, Gotteslästerung, falscher Eid sowie die Verwendung von falschem Maß und Gewicht angeführt. Zur Strafe war vorgesehen: bei den schwersten Verbrechen die Todesstrafe, bei Körperverletzungen Talion (spiegelnde Strafen), bei Gotteslästerung und falschem Eid Ausreißen der Zunge, ferner noch die Acht, also Stadtverweisung, und Geldstrafen. Der Beweis musste bei Totschlag durch das Gottesurteil des glühenden Eisens erbracht werden, was zu dieser Zeit schon recht altertümlich war. Im Ennser Stadtrecht von 1212 war hingegen bereits die Reinigung durch Eideshelfer vorgesehen.

Von »gleichem Recht für alle« konnte damals keine Rede sein: zwischen Bürgern, Fremden und Knechten wurden Unterschiede gemacht, ebenso zwischen Reichen und Armen. Wer in Wien fünfzig, in Enns dreißig Pfund besaß, blieb selbst im Fall eines Totschlags auf freiem Fuß. Das Haus eines Bürgers galt als Freistatt, Hausfriedensbruch führte zu schweren Strafen, wobei neben dem Gottesurteil des heißen Eisens auch die Wasserprobe zulässig war. Fremde hatten natürlich mindere Rechte.

Herzog Friedrich II. (reg. 1230–1246) erneuerte 1244 Wiens Privilegien, ersetzte das Gottesurteil durch den Zeugeneid, verschärfte die Bestimmungen gegen Notzucht und erleichterte die Heirat von Bürgerinnen mit Rittern. Gleichzeitig erweiterte er das Judenprivileg Kaiser Friedrichs II. von 1238. Die Juden sollten gut verdienen, um dem Herzog durch Abschöpfung Geld zu bringen. Sie sollten in erster Linie den Adel mit Darlehen gegen hohe Zinsen versorgen. Die Zinssätze betrugen zehn Prozent für längerfristige und acht Pfennige vom Pfund pro Woche für kurzfristige Anleihen. Als Gegenleistung für ihre ständigen hohen Abgaben an ihn gewährte der Herzog den Juden Schutz von Leib und Gut und auch vor der Zwangstaufe, gab ihnen Handelsrechte und verfügte die Einsetzung eines eigenen christlichen Judenrichters, der ihm direkt unterstand. Vergehen von Christen gegen Juden wurden mit harten Strafen belegt, was der babenbergischen Tradition entsprach. Noch unter Przemysl Ottokar II. (geb. 1233, gest. 1278) bekleideten zwei Juden das Amt des Kammergrafen, nach der Synode von 1267 blieben jedoch Ämter aller Art ausschließlich Christen vorbehalten. Das friedliche Zusammenleben zwischen Juden und Christen wurde seither durch zahlreiche Bestimmungen erschwert.

Scheiterhaufen überall

»Lamparten waere selten riche – Hiet si den Herrn von Osterriche – Der die Ketzer sieden kann. – Er vand ain schoene geriht daran – Er will nieht, daz der valant – zebreche sin zende sehant – swenner si ezze, davon heizzet er – Si siden unde braten er.«5

Herzog Leopold VI. von Österreich (reg. 1198–1230), später der »Glorreiche« genannt, entschloss sich als erster österreichischer Herrscher scharf gegen »Ketzer«6 vorzugehen, da er sich dafür vom Papst die Erhebung Wiens zum Bistum erhoffte. Die Ketzer »beleidigten« die Majestät Gottes und »verfälschten« das Wort des Herrn, daher sollten sie wie Majestätsverbrecher und Fälscher behandelt werden und ihre Vergehen im Feuer sühnen. Bei den Ketzern handelte es sich um »Waldenser«, eine christliche Laienbruderschaft, die der französische Kaufmann Petrus Waldes um 1170 in Lyon gegründet hatte. Sie hielten sich streng an das Evangelium, führten nach dem Vorbild Jesu ein Leben in Armut und predigten als Laien das Evangelium. Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1155–1190) und Papst Lucius III. (der Zisterzienser Ubaldo Allucingoli, reg. 1181–1185) beschlossen 1184 ein gemeinsames Vorgehen gegen alle Ketzer und legten mit der Bulle »Ab olendam« den Grundstein für die spätere Inquisition. Ketzer waren nun automatisch exkommuniziert und wurden auf eigenen »Ketzerkreuzzügen« massenweise getötet. Petrus Waldes selbst soll nach Böhmen geflohen sein, wo er zwischen 1184 und 1218 starb. Überlebende Anhänger mischten sich mit Resten der ebenfalls verfolgten Sekten der »Humiliaten« und »Katharer«, nach der Stadt Albi auch »Albigenser« genannt, und verbreiteten ihre Lehre über ganz Europa bis nach Österreich, wo 1210 Herzog Leopold VI. zahlreiche Ketzer in einer ersten Verfolgungswelle verbrennen ließ. Die Wirkung der Verfolgung war jedoch nicht groß: zwanzig Jahre später werden Ketzergemeinden in Wien und Wiener Neustadt erwähnt; nach dem Tod des letzten Babenbergerherzogs Friedrich II. (gest. 1246) sollen nicht weniger als vierzig Ketzergemeinden, waldensische »Leonisten«, aber auch »Ortlieber«,»Runcarier«, »Siegfrieder«, »Geißler« und »Brüder vom freien Geist« im heutigen Nieder- und Oberösterreich existiert haben.

König Ottokar II. von Böhmen ging als Herzog von Österreich ebenso erfolglos gegen die Ketzer vor, nachdem sie den Pfarrer von Nöchling erschlagen hatten. Da er sich im Grunde bewusst war, dass die »Abtrünnigen« in mancher Hinsicht Recht hatten und es in der Amtskirche zahlreiche Missstände gab, setzte er verbrecherische Geistliche ab, wie etwa 1250 den Pfarrer Leopold von Wien. Diesem wurden der gleichzeitige Besitz zweier Pfründen, Totschlag, Ehebruch, Simonie, Meineid und Ketzerei vorgeworfen. Zum neuen Pfarrer ernannte der König seinen Vertrauten Gerhard, einen gebildeten Mann von untadeliger Lebensführung und großer Energie. Die Provinzialsynode von Wien 1267 sollte eigentlich Übelstände in der Kirche beseitigen, um den Zulauf der Menschen zu den Ketzern zu verhindern. Etliche ihrer Bestimmungen richteten sich stattdessen jedoch gegen die Juden. Nun wurde diesen eine eigene Kleidung vorgeschrieben und der Besuch der Gast- und Badehäuser verboten. Die Christen sollten in Zukunft ihren Hochzeiten fernbleiben und sie nicht zu Tisch laden. Wurde hingegen das Sakrament an jüdischen Häusern vorbeigetragen, so mussten deren Besitzer Fenster und Türen schließen. Während der christlichen Fasttage durften die Juden kein Fleisch über die Gasse schaffen, sie durften mit Christen weder über den Glauben disputieren noch kranke Christen besuchen oder gar kurieren. Den Pfarrern, in deren Gemeinde sie wohnten, hatten sie den »Zehnten« zu zahlen. Und sie sollten weder den Mauten vorstehen noch überhaupt ein Amt bekleiden.

Die unwillkommenen Habsburger

Durch König Ottokars Landfrieden wurde der Graben zwischen freien und unfreien Adeligen weitgehend eingeebnet, da nun für beide das Hofgericht zuständig war. Dies weckte den Widerstand der großen Grundherren. Der Landrichter Otto von Maissau verschwor sich mit dem unzufriedenen böhmischen Bruderpaar Baron Benesch und Baron Milota von Diedicz (Rosenberg) gegen Ottokar, weshalb dieser die Brüder 1265 köpfen ließ. Die »Erbbürger« Wiens waren Ottokar hingegen dankbar: sie waren nun den Rittern gleichgestellt und lehensfähig. Reiche Bürger traten an die Spitze der Landesverwaltung, wie Paltram Vatzo von Wien und Gozzo von Krems, sie verbanden sich Ottokar durch einen Treueschwur.

Nach der Wahl Rudolfs von Habsburg (reg. 1273–1291) zum deutschen König verließen allmählich viele seiner Gefolgsleute den Böhmenkönig. Die Geheimagenten Rudolfs, Minoriten und Dominikaner, verbreiteten die Nachricht darüber gewissenhaft im ganzen Land, um auch die Übrigen zum Treuebruch zu bewegen. Einige dieser Mönche wurden von Ottokars Leuten abgefangen und als Spione gerädert oder gehängt. Bald hielt nur noch Wien, und da vor allem Paltrams Familie, die Vatzonen, treu zu Ottokar, und auch sein Schwiegersohn, der Landmarschall Heinrich von Kuenring, verriet ihn nicht. Erst nachdem sich König Rudolf verpflichtet hatte, die Stadt nicht für ihre Anhänglichkeit an den Böhmenkönig büßen zu lassen, sondern ihre alten Freiheiten zu bestätigen, öffnete Wien dem Sieger die Tore. Die Versöhnung Rudolfs mit Ottokar hielt aber nicht lange: In Wien arbeiteten die Vatzonen weiter für den Böhmenkönig, beim österreichischen Adel taten dies die Kuenringer, doch wurde die Verschwörung entdeckt. Nun wurden die Güter der Kuenringer und der Vatzonen konfisziert, Paltram, sein Bruder und seine sechs Söhne zum Tode verurteilt. Sie ergriffen jedoch rechtzeitig die Flucht. Da sich die Stadt von ihnen nicht zum Abfall hatte verleiten lassen, erneuerte Rudolf zum Dank ihre Privilegien im »Rudolfinum«, machte diese aber davon abhängig, dass in Hinkunft niemand mit der geächteten Familie Paltrams Verbindungen anknüpfte. Jeder Kontakt galt hinfort als Hochverrat. 1282 belehnte der König seine Söhne mit Österreich und verließ das Land für immer.

Der neue Herzog, Rudolfs Sohn Albrecht I. (reg. 1282–1308), soll niemals gelächelt und sogar ausgesprochen grimmig ausgesehen haben, nachdem er eines seiner Augen verloren hatte. Er nahm die Wiener, die noch an den lebenslustigen und liebenswürdigen Ottokar gewöhnt waren, gar nicht für sich ein, und die Schwaben, die ihm nach Österreich gefolgt waren, machten sich ebenfalls rasch unbeliebt. So brach 1287 in der Stadt ein Aufruhr los, an dessen Spitze Konrad von Breitenfeld stand. Sogar der »Povel«, der Pöbel, war aufgewiegelt und rottete sich vor der Hofburg zusammen. Der Herzog zog sich in die Festung auf dem Leopoldsberg zurück und schnitt der Stadt die Versorgung ab, worauf die Handwerker die patrizische Partei zum Nachgeben zwangen. Am 18. Februar 1288 mussten sich Richter, Bürgermeister, Ratsherren und Geschworene und die ganze Gemeinde der Stadt Wien urkundlich verpflichten, dem Herzog Gehorsam zu leisten und jegliche Verschwörung zu unterlassen. Die 29 Führer der Bewegung, darunter etliche, die sich bereits 1281 zur Treue verpflichtet hatten – vor allem Verwandte Paltrams –, mussten besondere Treuebriefe ausstellen. Sie verzichteten damit auf die Reichsunmittelbarkeit der Stadt. Albrecht zeigte nun sowohl auf Grund der Bitten seiner Frau Elisabeth von Görz und des Schottenabtes Wilhelm II. als auch der eigenen Neigung und Vernunft folgend unerwartete und erstaunliche Milde: niemand wurde hingerichtet. Er verzichtete auf jede Rache, zerriss aber die alten Urkunden. Am 12. Februar 1296 erhielt Wien ein neues Stadtrecht, das bis 1526 die Grundlage der Stadtverfassung bildete. Wien war nicht mehr »des riches hauptstat in Osterrich«, sondern »ein houbet und ein behalterinne unseres fuerstentumes«. Kein Wunder, dass es insgeheim in der Stadt weiter gärte.

Das Ende Albrechts I. erschütterte ganz Europa. Johann, der Sohn Rudolfs, des verstorbenen Bruders von Albrecht, fühlte sich um sein Erbe geprellt und erschlug gemeinsam mit vier anderen Unzufriedenen nach dem Flussübergang bei Brugg seinen Onkel. Heute steht dort das Kloster Königsfelden. Dem Königs- und Verwandtenmörder Johann, deshalb Parricida genannt, seinen Freunden Rudolf von Palm, Walter von Eschenbach und Konrad von Tegerfeld gelang die Flucht; die Habsburger, allen voran Albrechts Witwe Elisabeth und seine zarte Tochter Königin Agnes von Ungarn, führten unbarmherzig blutige Rachefehde gegen die Angehörigen der Täter. Der fünfte Beteiligte, Rudolf von Wart, der selbst nicht die Hand gegen Albrecht erhoben hatte, wurde gefasst und am Tatort aufs Rad geflochten. Seine Frau Gertrud kletterte zu dem Sterbenden hinauf, um ihm viele Stunden lang Beistand zu leisten. Ihr verzweifelter Wunsch, mit ihm zu sterben, ging nicht in Erfüllung, sie fand später Aufnahme in einem Baseler Kloster.

Das Blutgericht von 1310

Albrechts Sohn Herzog Friedrich III., (»der Schöne«, reg. ab der Königswahl seines Vaters 1298–1330) war froh, dass ihm der neue deutsche König (Kaiser) Heinrich VII. von Luxemburg (reg. 1308–1313) zumindest seine Erbländer ließ. Denn die den Habsburgern schlecht gesinnten Wittelsbacher, zu denen viele Unzufriedene und ehemalige Anhänger Ottokars aus Österreich geflohen waren, intrigierten heftig gegen ihn und seine jungen Brüder. Die Schwäche der jungen Fürsten wurde sofort vom österreichischen Adel und den Wiener Patriziern ausgenützt: Die Herren von Pottendorf und Zelking stellten sich an die Spitze der Adelspartei, und in Wien trat an die Spitze der Verschwörer der Schützenmeister und Stadtrichter Berthold, unterstützt von den alten Parteigängern Paltrams. An einem bestimmten Tag planten sie frühmorgens den fünfhundert angerückten bayrischen Bewaffneten die Stadttore zu öffnen und sich der Hofburg und der beiden kleinen Herzöge Heinrich und Otto zu bemächtigen. Der herzogliche Hubmeister Konrad der Haarmarkter entdeckte und vereitelte jedoch die Verschwörung mit Hilfe der Handwerker. Den meisten Verschworenen gelang die Flucht, nur einige Mitläufer fielen in des Herzogs Gewalt, der sie zu schrecklichen Strafen verurteilte. Einer, Hans der Stadlauer, wurde an den Schweif eines Pferdes gebunden, um die Stadt geschleift und sodann gerädert. Zwei andere, Gottfried der Sohlenschneider (Soleator) und Wilhelm, vermutlich dessen Bruder, wurden geblendet und ihrer Zunge beraubt. Auf dem Land sorgte Ulrich von Wallsee für Ruhe: Die Burgen der aufständischen Kuenringer und ihres Anhangs wurden erobert und ihre Wehranlagen zerstört, die Güter konfisziert. Darunter war auch das Haus des Otto Haymo von Neuburg, das der Herzog 1316 versöhnlich der Stadt Wien als Rathaus (heute Wipplingerstraße Nr. 8) schenkte. Ganz konfliktfrei gestaltete sich das Verhältnis Wiens zu den Habsburgern jedoch auch in Zukunft nicht.

Der Judenmord von Korneuburg

Bis ins 14. Jahrhundert wurden Ketzer von der Kirche und den Herrschern als wesentlich gefährlicher und schädlicher angesehen als Juden, denn sie waren ja Christen und versuchten aktiv, ihre »falsche« Lehre zu verbreiten, wogegen die Juden nur passiv in ihrem ursprünglichen Glauben verharrten. Doch seit den Kreuzzügen richtete sich die öffentliche Meinung zusehends immer mehr gegen die Juden; schon unter den ersten Habsburgern wurde ihnen Schlimmes unterstellt: 1293 sollen Kremser Juden einen Christen zu rituellen Zwecken ermordet haben und 1294 wurde den Juden in Laa an der Thaya eine »Hostienschändung« vorgeworfen. Der österreichische Herzog handhabte den Judenschutz jedoch energisch, so dass die in Klosterannalen überlieferten Vorwürfe zu keinen Ausschreitungen oder Verfolgungen führten.

Die Wiener Hofburg um 1400, umstrittener Sitz der Habsburger

Weite Kreise zog 1305 eine Hostienschändung in Korneuburg, derentwegen zehn Juden von den Bürgern verbrannt wurden. Die Legende berichtet: »Im Jahre 1302 wurde von zwei Juden eine Hostie eingehandelt, die nach Schändungen in einen Brunnen geworfen, aber, da dieser kein Wasser mehr gab, wieder herausgezogen wurde, worauf man sich ihrer entledigte. Am 17. September 1305fand sie durch eine übernatürliche Stimme und Macht bewogen ein Bäckerjunge blutend in einem Tüchlein im Hause des Juden Zaerklin und legte sie auf die Türschwelle. Nach der Hinrichtung der beiden Juden wurde das Haus Zaerklins in eine Kapelle verwandelt und die Hostie, das Tüchlein und die steinerne Schwelle in ihr aufbewahrt. Diese Kapelle umschloß auch den Brunnen, in den man die Hostie geworfen hatte.«

Im Jahr darauf führte eine Hostienschändung in St. Pölten zu einer Judenverfolgung, die von Albrechts Sohn Herzog Rudolf III. (reg. 1298–1307) mit großer Strenge bestraft wurde.

Die Ketzernester Steyr, Krems und Enns

Unter Herzog Friedrich III. kam es von 1315 bis 1318 neuerlich zu Ketzerverfolgungen. In Steyr erfolgten 1311 einige Hinrichtungen und in Krems wurde einem Ketzerbischof, der nach seinen eigenen Angaben bereits fünfzig Jahre lang im Amt war und seinen Sitz wahrscheinlich in Anzbach bei Neulengbach hatte, samt seinen Anhängern der Prozess gemacht. Vermutlich handelte es sich wieder um Waldenser; die hohe Zahl der Opfer ist nicht genau überliefert. Etwas mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung sollen damals der »Irrlehre« angehangen sein. Enns und vor allem Steyr stehen auch im Mittelpunkt der nächsten Verfolgungswelle von 1336: Verarmte Bauern, Raubritter und wanderndes Raubgesindel hatten sich unter dem Namen »Judenschläger« zusammengefunden und ermordeten wahllos Ketzer und Juden. Und in den Jahren 1395 und 1397 sollen allein in Steyr über tausend Personen als Ketzer verhört und über hundert verbrannt worden sein.

Der Fall Stibor Chrezzel

Stibarius Chrezzel (Kreßl) war eine in Wien viel beneidete Persönlichkeit, hatte er es doch zum »Kuchlmeister« Herzog Albrechts II. (reg. 1330–1358) gebracht. Als er eines Abends seinem Herrn, dessen fröhlichem Bruder Herzog Otto und ihren Frauen, den Herzoginnen Johanna von Pfirt und Elisabeth von Niederbayern, ein Fischgericht (?) vorsetzte, konnte er die Folgen nicht ahnen. Die reizende junge Elisabeth starb qualvoll, Albrecht geriet in Lebensgefahr und auch Otto fühlte sich sterbenselend. Nur Johanna, die nicht davon gegessen hatte, blieb gesund. Der ganze Hof, die ganze Stadt war überzeugt, dass Gift im Spiel war und natürlich war der Kuchlmeister verdächtig. Albrecht ließ ihn sofort in den Kerker werfen und ihn ohne weitere Anhörung zum Tod verurteilen, denn er war restlos von seiner Schuld überzeugt. Das hatte ein Feind des Kuchlmeisters, »ain pfaff von Swaben zewegen bracht mit falschen priefen«.

Christus als Richter, Detail vom Riesentor St. Stephan

Wie durch ein Wunder stellte sich knapp vor der Hinrichtung die Unschuld Chrezzels heraus. Ein Kind soll die Verleumdung entdeckt haben. Nun geschah dem Brieffälscher das, was sonst Chrezzel erlitten hätte. Auf dem Hohen Markt stellte man auf eine hohe Säule eine Art Vogelhaus, dort »setzte man den armen Sünder hinein und darin lag er wol vierzehn tag«, dann nahm man ihn heraus und »vermauerte ihn in datz Sand Stepfan auf dem Freithof. Do starb er auch kurczleich darnach in einem stokch.« Zum Dank für seine Errettung stiftete Chrezzel die rechte Chorkapelle der Michaelerkirche. Bis zum heutigen Tag aber ist nicht bekannt, ob es ein Anschlag und wer dafür verantwortlich war. Vielleicht die Herzogin Johanna? Der Volksmund bemächtigte sich des Stoffes, aus dem eine Wiener Sage entstand.

Der Wiener Bußgeldkatalog

Albrecht II. verlieh der Stadt Wien am 24. Juli 1340 ein Stadtrechtsprivileg, das die Bestimmungen des Rudolfinums vom 24. Juni 1278 weitgehend übernahm und ergänzte. Die Privilegien enthalten zahlreiche strafrechtliche Bestimmungen, die in ähnlicher Form überall im Land und in den anderen Städten galten.

Als Gerichtsort war ausschließlich die »Schranne« (von Schranken) am Hohen Markt bestimmt. Erbbürger, die innerhalb des Grabens und der Stadtmauer ein Vermögen im Wert von mindestens fünfzig Pfund besaßen, waren, wie schon erwähnt, vor willkürlicher Verhaftung geschützt. Die Zahl der Eideshelfer wurde auf vier beschränkt. Anders als in früheren Zeiten drohte dem Täter nun bei Mord und bei Ehebruch unter Verheirateten die Todesstrafe. Nach einer Hinrichtung wurde das Vermögen des armen Sünders aber nicht angetastet, bei Verbannung hingegen wurden dreißig Pfund seines fahrenden Vermögens eingezogen, alles andere stand Frau und Kind sowie den übrigen Erben zu.

Den Menschen wurde ein unterschiedlicher Wert zugeschrieben: Wurde ein Erbbürger getötet, verletzt oder geschlagen, so kam dies den Täter weit teurer zu stehen als ein Vergehen am weniger ehrbaren Mann oder gar einem eigenen Diener. Reiche hatten für ein Verbrechen mit Geld, Arme mit Leib und Leben zu zahlen. »Ob aber ain purger dem andern ein hant, einen fuez, ein ouge oder ein nase oder dhain ander lid abslecht, der geb dem richtter zehen phunt, und dem, der den schaden hat, als vil. Mag aber der den schaden getan hat der phenning nicht gehaben, der richtter richt von im, als daz recht ervindet und ertailt also: ein oug wider ein oug, ein hant wider ein hant, und also von den andernliden.«7 Der Täter hatte das Bußgeld meist doppelt zu zahlen, einmal dem Opfer und noch einmal denselben Betrag dem Richter, in manchen Fällen sogar ein drittes Mal der Stadt. Hier als Beispiel einige »Tarife«, in Klammer sind die Strafen für den Nichteinbringungsfall gesetzt:

Bei einer Verletzung an einem Glied, die zur Lahmheit führt, zweimal fünf Pfund (oder Zufügung der gleichen Wunde); bei absichtlicher Blendung dreimal zwanzig Pfund und Verbannung (oder Blendung); bei einfacher Verwundung ohne Dauerfolgen zweimal zwei Pfund (oder Häuten und Kahlscheren). Die bewusste Aufnahme eines Geächteten kostete zehn Pfund (oder Handabschlagen), im Wiederholungsfall verfügte der Richter über Leib und Gut. Bei Schlagen mit dem Stecken waren zweimal zwei Pfund zu zahlen. War das Opfer Knecht oder Diener des Täters, so kam die Sache überhaupt nicht vor Gericht, kostete also gar nichts. War der Geschlagene aber jemand, der innerhalb der Stadt über ein Vermögen im Wert von mindestens dreißig Pfund verfügte, so betrug die Buße zweimal fünf Pfund. War das Opfer hingegen ein »leichter Mann«, der den Schlag verdient hatte, »so soll dieser noch drei Schläge dazu bekommen«. Interessanterweise kosteten Ohrfeigen mit der flachen Hand mehr als Prügel mit dem Stecken: an Knecht und leichtem Mann zweimal sechzig Pfennig, hatte es das Opfer aber »verdient«, dann bekam der Geohrfeigte nichts, der Richter jedoch ein Pfund.

Auf Vergewaltigung stand, sofern die Frau geschrien und innerhalb von 14 Tagen Anklage erhoben hatte, die Enthauptung, ebenso auf Geschlechtsverkehr eines Knechts mit den weiblichen Verwandten seines Herrn. Merkwürdig mutet die Regelung für Ehebruch an: tötete ein Ehemann die beiden Ehebrecher auf frischer Tat, wurde er gar nicht bestraft. Tötete er nur den Mann und ließ seine Frau absichtlich leben, so musste er dem Richter den hohen Betrag von dreißig Pfund bezahlen! Ließ er aber beide gefangen nehmen, bestimmte der Richter ihr weiteres Schicksal, im schlimmsten Fall wurden sie in eine Grube gelegt und mit einem Pfahl durchstoßen. Ging jedoch ein Ehemann mit einer unverheirateten Frau fremd, war der Pfarrer für den Fall zuständig und verhängte eine Kirchenstrafe, der Richter trat nicht in Aktion.

Falsches Zeugnis zu geben kostete zehn Pfund an den Richter und Wiedergutmachung des Schadens (oder Abschneiden der Zunge), der Täter wurde übersiebnet. Bei Verspottung Gottes und Marias wurde die Zunge abgeschnitten, eine Ablösung der Strafe durch Geld war nicht erlaubt. Diese Bestimmungen finden sich im Gesetz bunt gemischt mit straf-, privat- und handelsrechtlichen Vorschriften, was Sinn machte, denn der Stadtrichter war ohnehin für alle Rechtsfälle zuständig. Die angeführten Tarife blieben übrigens vom Rudolfinum bis zu Kaiser Maximilian I. gleich, erst dieser passte sie an den inzwischen eingetretenen Wertverlust des Geldes an und erhöhte sie um hundertfünfzig Prozent. Die mittelalterliche Währung war erstaunlich stabil.8

Der Bofel von Stain und Krembs

Im Jahre 1338 wurden die Juden in der niederösterreichischen Ortschaft Pulkau beschuldigt, eine Hostie geschändet zu haben: Die Hostie, die angeblich vor dem Haus eines Juden gefunden wurde, soll »pflichtgemäß« geblutet und Wunder gewirkt haben. Daraufhin wurde die jüdische Bevölkerung Pulkaus ermordet, was in den nächsten Jahren eine regelrechte Welle von Judenverfolgungen auslöste, der nicht nur in Niederösterreich, sondern auch im angrenzenden Böhmen und Mähren zahlreiche Juden zum Opfer fielen. Neben Pulkau erwähnen die Quellen jüdische Opfer in Eggenburg, Retz, Horn, Zwettl, Raabs, Feldsberg, Falkenstein, Hadersdorf am Kamp, Gars, Rastenfeld, Mistelbach, Weiten, Emmersdorf, Tulln, Klosterneuburg, Langenlois, St. Pölten, Laa und Drosendorf; in Mähren werden Znaim, Erdberg, Jamnitz, Fratting, Trebitsch und Mährisch Budweis genannt, in Böhmen Neuhaus. Zahlreiche kleine jüdische Gemeinwesen verschwanden damals, in der Folge konzentrierten sich jüdische Ansiedlungen auf große Gemeinden, wo man sich sicherer fühlte.

Das 14. Jahrhundert war reich an großen Katastrophen wie Klimaverschlechterung, Erdbeben, Bergrutschen, Missernten, Feuersbrünsten, Überschwemmungen, Heuschreckenschwärmen, Hungersnöten und Mutterkornvergiftungen. Die schlimmste Geißel aber war die Lungenpest. In ganz Europa suchte man nach Schuldigen und glaubte, sie in den Juden und den Aussätzigen gefunden zu haben, die man grausam umbrachte. 1349 erreichte die Pest auch Wien. Es war nicht die erste Pestepidemie, die Stadt und Land heimsuchte, es hatte schon 888, 1096, 1133, 1197 und 1271 zahlreiche Opfer der Krankheit gegeben. Doch 1349 wütete die Pest besonders schlimm und die Aggression gegen die vermeintlichen Verursacher kannte keine Grenzen. Am 29. September kam es in Krems, Stein und Mautern zu einem Pogrom, das in ein Blutbad ausartete und das Kremser Ghetto in Flammen aufgehen ließ. »der bofel von Stain und Krembs«, heißt es in einer zeitgenössischen Chronik, »griffen dye juden an gewältichleich, und sluegen dye Juden alle ze tod, und prachen ihre hewser auf, und trugen aus alles das, das sy funden, also, daß sy ausprachen eisnem tür und gater und stangenn aus den Venstern.« Die meisten Bewohner verbrannten bei lebendigem Leib: »Da zundten die Juden sich selbst an und verbrunnen, und ihre Häuser verbrunnen, dass (wobei doch) nur ein Christenhaus verbrannt. Aber die besten (reichsten, vornehmsten) Juden kamen auf die Burg (zu Krems) und genasen leider«, das heißt, sie kamen mit dem Leben davon. Herzog Albrecht II. bestrafte diese Gräuel streng. Er sandte seinen Hofmeister mit Anweisungen zum Herrn von Maissau, dem Hauptmann und Pfleger der landesfürstlichen Burg zu Krems, worauf dieser die umliegenden Dörfer Rohrendorf, Weinzierl, Straßing und Loiben besetzte. Deren Bewohner und auch etliche Bürger von Krems ließ er in die Turmverliese von Rechberg und Stein werfen, »darin mancher todt lag (starb)«, wobei sich viele loskauften. Drei der Anführer ließ er an die zwischen Krems und Stein errichteten zwei Galgen hängen, »den Juden zur Besserung (Genugtuung)«. Die beiden Städte mussten dem Herzog viertausend Pfund Strafe zahlen.

Die Vertreibung der Juden aus Wien unter Kaiser Leopold I. um 1670

Durch diese Demonstration der Stärke hielt der Herzog zumindest die Wiener von ähnlichen Ausschreitungen ab. Diese nützten aber gleich die günstige Gelegenheit und verlangten als Gegenleistung für den Schutz der Wiener Juden eine Zinssenkung, die Herzog Albrecht II. und sein Bruder Otto widerwillig gewährten, da sie selbst ja durch »Abschöpfung« die Nutznießer der hohen Zinsen waren.

Hostienschändung und Blutwunder