Ascheherz - Nina Blazon - E-Book

Ascheherz E-Book

Nina Blazon

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Beschreibung

Ihr Kuss meint Tod, ihre Liebe Leben

Seit einem Unfall ist Summers Gedächtnis wie ausgelöscht. Sie weiß nur eines: Der Blutmann, der sie in ihren Albträumen verfolgt, ist nun in ihr Leben getreten und will sie töten. Und er scheint nicht der Einzige zu sein, der sie verfolgt. Der geheimnisvolle, engelhaft schöne Anzej rettet ihr das Leben. Auf ihrer gemeinsamen Flucht in das ferne Nordland muss Summer erkennen, welchen Verrat sie vor Jahrhunderten begangen hat: Einst gehörte sie zu den Zorya, deren Kuss den Sterblichen den Tod bringt. Doch einem Mann mit sanften Augen, der in ihren Armen sterben sollte, schenkte sie die Ewigkeit. Nun fordert Lady Mars, die Herrin des Todes, das Leben zurück, um das sie betrogen wurde. Kann Summer den Tod ein weiteres Mal überlisten oder muss sie ihre Liebe opfern, um selbst Lady Mars tödlichem Kuss zu entgehen?

Aufregende Mischung aus moderner Welt und zeitloser Todesmystik.

Romantisch und düster, fesselnd und geheimnisvoll.

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Seitenzahl: 740

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Nina Blazon

Ascheherz

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© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe cbt/cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
KK ∙ Herstellung: AnGSatz: Uhl + Massopust, Aalen
 
ISBN: 978-3-641-05284-3V003
 
www.cbt-jugendbuch.de
»Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: dem Tod zu entrinnen.«J. R. R. Tolkien
 
 
»Wer vor dem Tode flieht, läuft ihm nach.«Demokrit
Teil I
traum und wirklichkeit
der blutmann
In den Nächten, die dem Blutmann gehörten, wagte Summer kein zweites Mal einzuschlafen. Je mehr sie sich fürchtete, desto öfter suchte er sie heim. Nie sah sie sein Gesicht, nur seine Hände nahm sie wahr. Allerdings konnte sie lediglich erahnen, wie kräftig sie waren. Schwarze Handschuhe, gegerbt von Blut, verbargen sie. Doch aus der Spannung der Finger, die den Schwertgriff umklammerten, sprach eine Entschlossenheit, die sie schaudern machte. Aus den Augenwinkeln nahm sie den dunklen Glanz des Schwertes wahr: schmal und scharf genug, um einen Kopf ohne viel Kraftaufwand vom Körper zu trennen. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie das Pochen ihres Blutes in ihren zusammengepressten Lippen spüren konnte. Sie schloss kurz die Augen und ergab sich dem verstörenden Geruch nach Metall und der Erkenntnis, dass Lady Tod sie schon mit eisenkaltem Mund auf den Nacken küsste. Zart berührte die Schneide ihre Haut und hob sich dann leicht, wie Atem holend. Der Schatten der Waffe schwebte vor ihr auf dem Boden, entfernte sich, je höher der Blutmann das Schwert hob. Summer krümmte sich und spürte, wie ihre Knie sich noch fester in die feuchte, halb gefrorene Erde drückten. Weißer Atem legte einen Schleier vor ihre Augen. Erst am tiefsten Punkt ihres Atems lichtete er sich und ließ die Welt wieder grausam klar werden. Als sie blinzelte, erkannte sie, dass das gleißende schräge Winterlicht auf ihre bloßen Arme fiel. Benommen betrachtete sie die noch frischen Fesselspuren, tiefe Rillen, ein grotesker roter Schmuck, der sich um ihre Handgelenke wand.
 
Das war jedes Mal der Moment, in dem sie sich losriss: Sie holte keuchend Luft, kämpfte sich aus dem Schlaf hoch und floh in die schützende Dunkelheit der Wirklichkeit, floh aus dem Bett, auf bloßen Füßen durch das Zwielicht der Nacht zu dem Waschbecken neben der Tür. Erst als sie kaltes Wasser im Gesicht spürte, ließ die Angst ein wenig nach. Benommen trat sie dann auf den schmalen Balkon, der hoch über dem Ozean der Stadtlichter dahintrieb. Dort betastete sie immer und immer wieder ihre Handgelenke und vergewisserte sich, dass sie makellos waren – ohne Wunden und auch ohne alte Narben.
theater der nacht
Mit den Raubkatzen war in dieser Nacht nicht zu spaßen; die Dompteure hatten alle Hände voll zu tun. Ein gutes Zeichen, denn es bedeutete nicht nur, dass der Zuschauerraum voll war, sondern auch, dass vor und hinter den Kulissen eine besondere Anspannung herrschte. Es war gut für das Stück, das vor allem vom Auftritt der Tiere lebte, und gut für das Spiel der menschlichen Darsteller. Denn jetzt, in den ungewöhnlich heißen Tagen eines schläfrigen Herbstes, drohte sich auch bei der Theatertruppe eine gewisse Trägheit einzuschleichen.
»Ist er endlich da?«, flüsterte Mort Summer zu. Obwohl der alte Theaterdirektor versuchte, seine Nervosität zu verbergen, musste Summer nur auf seine vernarbten Hände schauen, um zu wissen, wie ihm zumute war: Schmerzhaft straff lag die Haut über jeder Knöchelwölbung und jeder Sehne, so fest umklammerte er die Peitsche und den Schlangenstock.
Summer wandte rasch den Blick von seinen Händen ab und trat zu dem Sichtspalt im Vorhang. Inzwischen war die Stimmung da draußen auf eine fast aggressive Art angeheizt – ein Funkenregen von Emotionen, der Summer einhüllte wie ein warmer Mantel. Die Lücke im Vorhang gab den Blick auf die mittleren Zuschauerreihen frei. Noch war die Beleuchtung hell genug, dass Summer die Besucher gut erkennen konnte – es waren viele Stadtgesichter, glatt, weißhäutig, die Männer sorgfältig rasiert, die Frauen mit hell gepuderter Haut. Der betont gleichgültige Gesichtsausdruck ließ sie einander ähnlich werden wie Geschwister. Aber es drängten sich auch viele Fremde im Theater, die in diesen Tagen zum ersten (und vielleicht zum letzten) Mal eine so große Stadt wie Maymara kennenlernen durften. Seit einigen Wochen schon überschwemmten sie die Stadt: Abenteurer, Verlorene oder einfach Leute, die sich von den Gerüchten über irgendeinen fernen Krieg hatten zur Küste locken lassen. Diese Gäste verrieten sich allein schon durch die Art, sich neugierig den Hals zu verrenken und ständig ihre Nebensitzer in die Rippen zu stoßen, um sie auf Besonderheiten aufmerksam zu machen – auf das riesenhafte Halbrund der Bühne, die von einem Sonnensymbol gekrönt wurde, und die beiden Nebenbühnen an den Seiten, deren einziger Schmuck weiße Leinwände waren. Beim Anblick der vielen offenen Münder musste Summer lächeln. Es war noch nicht lange her, da hatte sie ebenso über Maymaras Attraktionen gestaunt.
Mitten im Gedränge nahm gerade der Ehrengast dieser Nacht Platz: Bator Sel, der reichste Reeder der Stadt. Summer hatte einen kräftigen, beeindruckenden Mann erwartet, nun aber war sie etwas enttäuscht, einen schmächtigen, farblosen Alten zu sehen, dem sein teurer Mantel zu groß schien. Nur die ehrfurchtsvollen Blicke der Einheimischen und das Schiffswappen auf seiner Schulter verrieten seinen hohen Stand. Summer war noch nicht lange bei der Schauspieltruppe, aber selbst sie wusste, dass das Theater der Nacht manche Geldflaute nur deshalb überstanden hatte, weil Bator Sel das Futter für die Tiere bezahlte. Die Mehrzahl der Raubtiere gehörte ohnehin ihm, schließlich waren sie auf seinen Schiffen aus fremden Ländern gekommen, einzig und allein zu dem Zweck, hier vorgeführt zu werden. Aber es gab auch einige Chimären aus den versteckten Laboren in der Vorstadt: Missgestalten wie der zweiköpfige Fuchs, der dem Publikum besonders gefiel, und die Stute mit Tigerfell.
»Was ist jetzt?«, drängte Mort. »Ist Bator da?«
Summer trat vom Vorhangspalt zurück und nickte dem alten Mann zu. Inzwischen war ihm der Schweiß ausgebrochen, das schüttere blauschwarz gefärbte Haar klebte über seiner Halbglatze. Schweißperlen sammelten sich über gewaltigen Augenbrauen, die Mort selbst wie eine Bestie erscheinen ließen, wenn er finster dreinblickte. Doch Summer ließ sich durch seine Grobheit nicht täuschen. Er war zwar mürrisch und geizig und hätte seine Schauspieler am liebsten wie seine Tiere mit Peitsche und Stock über die Bühne getrieben. Aber um das altmodische Theater, das er vor einigen Jahren mit den Ersparnissen eines ganzen Lebens gekauft hatte, bangte er Abend für Abend wie um einen geliebten Menschen.
»Bator hat seinen Platz eingenommen«, raunte ihm Summer beruhigend zu. »Wir können anfangen.«
Als wäre ihr Flüstern ein Schlachtruf gewesen, reckte Mort die Peitsche in die Höhe. Augenblicklich wallte hinter der Bühne Bewegung auf. Bühnenarbeiter rannten zu ihren Plätzen, was die Schneekatzen zum Fauchen und die zahmen Vögel zum Flattern brachte. Helferinnen eilten zu den Kleidertruhen. Eine Leiter knarzte, während der dickliche Lichtmeister in den Bühnenboden hoch über ihren Köpfen kletterte. Und aus dem Augenwinkel sah Summer, wie Mort zu seinem Glücksbringer trat – eine Gesichtsmaske aus schwarzem Stoff, die an einem Stützbalken aufgehängt war. Als einziger Schmuck prangte auf der Stirn ein silberner Katzenkopf, der von Morts allabendlicher Berührung schon ganz blank gerieben war.
»Summer, trödel nicht herum, komm her!«, rief Spring. Aufgeregt winkte sie Summer zu. Wie immer war sie auch heute die Erste, die ihr Kostüm und sogar ihre Maske bereits trug. Aber auch tagsüber, wenn sie das Frühlingskostüm aus rosenfarbenen Schuppen, die vielleicht Blütenblätter, vielleicht auch Schlangenhaut darstellen sollten, noch nicht angelegt hatte, schien sie zu leuchten: ein etwas rundliches strohblondes Mädchen mit der marktschreierischen Schönheit einer Sirene. Im wirklichen Leben hieß Spring allerdings Ana und stammte aus Kamsí, einem kleinen Bergdorf irgendwo im Osten des Landes.
»Eine Sekunde noch!«, flüsterte Summer zurück.
Sie wandte sich wieder zum Vorhang um, schloss die Augen und stand einfach nur da. Ruhig und geborgen im Auge des Sturms konnte sie die Menge spüren, als stünde sie selbst inmitten der Schaulustigen: das Vibrieren ihrer Atemzüge, das heiser-schleifende Geräusch von Sohlen, die ungeduldig über den Boden scharrten, knarrende Stühle, ein Lachen hier und da. Das war der Augenblick, der nur ihr gehörte. Unsichtbar im Schatten zu stehen und allem doch so nahe zu sein, Haut an Haut mit Hunderten von schlagenden Herzen, Schicksalen und Träumen – auch wenn viele dieser Träume sich um Wein und Weiber drehten und keinen zweiten Blick wert sein mochten.
Einer der Panther fauchte. Der Raubtiergeruch aus den Käfigen der Nebenbühne stach Summer heute besonders deutlich in die Nase, aber da war auch der Duft von teurem Parfüm, durchsetzt vom scharfen Aroma von Schweiß und dem Branntwein, der in den Hafenkneipen ausgeschenkt wurde. Vermutlich reizte dieser Geruch die Katzen.
»Na, hast du schon Lampenfieber, Schöne?« Wie immer hatte Finn sich lautlos angepirscht. Sie spürte seine Worte als warmen Luftstrom an ihrem Hals, noch bevor seine Hände sich auf ihre Schultern legten. Bei seiner Berührung zuckte sie zusammen, doch dann musste sie doch lächeln. Behutsam entwand sie sich ihm. Im staubigen Streiflicht, das durch den Vorhangspalt fiel, zeichnete sich Finns rechte Gesichtshälfte scharf gegen den dunklen Hintergrund ab. Er war geschminkt, goldene, graue und schwarze Schattierungen gaben seinem sanften Gesicht die kantigeren Heldenzüge von Geron Sonnensohn, den er auf der Bühne verkörperte. Das glatt zurückgekämmte helle Haar verstärkte diesen Eindruck noch. Nur das Lächeln, Finns verschmitztes Lächeln, wollte nicht zu der tragischen Figur passen.
»Los! Zur Bühne!«, befahl der Lichtmeister von oben.
Finn kümmerte sich nicht darum.
»Soll Bator doch warten«, raunte er Summer verschwörerisch zu. »Für einen Kuss haben wir alle Zeit der Welt. Also?«
Als er sich vorbeugte, unterdrückte sie den Impuls, ihm auszuweichen. Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Versuch dein Glück bei Ana oder Charisse, Geron Herzensdieb.«
Als sie flink zur Seite glitt und im Bogen an ihm vorbeieilen wollte, schloss sich seine Hand plötzlich um ihre rechte. »Kalte Hände, kaltes Herz«, flüsterte er mit der dramatischen Wehmut, die er auf der Bühne besonders gut beherrschte. Er überrumpelte sie damit, dass er ihre Hand an die Lippen zog und sie mit einer Sanftheit küsste, die Summer verharren ließ. »Eigentlich solltest du meine Wintergeliebte spielen, nicht Charisse. Dein Eis ist wenigstens echt.«
»Hier ist doch gar nichts echt, Finn«, erwiderte Summer spöttisch und entwand ihm mit einer schnellen Drehung ihre Hand. »Das hier ist nur ein altes Rumpelkammertheater aus dem letzten Jahrhundert. Du bist kein Held und ich nicht deine Geliebte. Aber spielen wir nicht alle stets die Rolle am besten, die uns am fremdesten ist?«
»Autsch!« Er grinste. »Na, freu dich nicht zu früh, heute küsse ich dich!«
»Und hoffentlich haut Summer dir dafür eine runter«, fuhr Mort ihn an. »Mach, dass du auf die Bühne kommst oder ich treibe dich mit der Ochsenpeitsche raus!«
Auf Morts Wink wurde das Licht im Zuschauerraum dunkel. Das Publikum verstummte schlagartig und die Bühne erstrahlte im knatternden Licht des alten Filmprojektors, der einen schwarzweißen Himmel auf die Leinwände zauberte. Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge. Über der Bühne setzte sich die hölzerne Sonne in Bewegung und sank von unsichtbaren Seilen gezogen dem Boden entgegen. Summer wusste, dass die beiden Männer, die dafür zuständig waren, die beiden Sonnenstiere auf die Bühne zu treiben, jetzt zu schwitzen begannen. Flötenmusik setzte ein, überlagerte das Stampfen der Stierklauen. Die klagende Melodie untermalte den Sonnenuntergang.
Summer wich gerade noch rechtzeitig zurück, bevor der Vorhang aufschwang, und beeilte sich, zu den anderen hinter die Kulisse zu kommen. Draußen begann der Rezitator die Geschichte von König Licht zu erzählen, der mit seiner Sonnenkrone auf dem Haupt nach einer Schlacht vom Himmel stürzte.
Charisse, die Gerons Wintergeliebte verkörperte, stand beim Schneekatzenkäfig und stimmte die Tiere auf sich ein. Sie hielt das Bündel toter Tauben weit von sich, um ihr helles Kostüm nicht mit Tierblut zu beschmutzen, und fütterte die Katzen mithilfe des Hakenstocks an – genug Futter, um die größte Gier der Raubtiere zu stillen, aber zu wenig, um sie satt und träge werden zu lassen. Als Summer in einem möglichst großen Bogen an ihr vorbeieilte, blitzte Charisse ihr ein schnelles Lächeln zu, dann war sie wieder ganz bei den Tieren. In ihrem silberweißen Kostüm wirkte sie noch heller und durchscheinender als sonst. Eine schlanke Frau mit unglaublich langen Beinen, die durch den geschlitzten Rock besonders gut zur Geltung gebracht wurden. Weißer Pelz schmiegte sich an ihr Kinn und betonte Augen in der Farbe von Lapislazuli. Natürlich war diese Farbe nicht echt – ebenso wenig wie das lichtlose Schwarz ihres Haars. Wer im Theater der Nacht arbeitete, musste bereit sein, mit Haut und Haaren jemand anderes zu werden.
»… in die Umarmung von Lady Tod sank König Licht«, fuhr der Rezitator fort. »Hinab in die Unterwelt, die darauf lauerte, das Feuer seiner Sonnenkrone auszulöschen …«
Das war das Stichwort für die fünf Panther, die nun auf die linke Nebenbühne getrieben wurden, wo sie auf die beiden Stiere treffen würden. Jeder Sprung und jeder Prankenhieb waren tausendmal geprobt, und dennoch war der Kampf zwischen den Sonnenstieren und den Raubkatzen eines der schwierigsten Dressurstücke. Das Brüllen der Raubkatzen ließ auch die Schauspieler hinter der Bühne atemlos verharren. Summer schloss die Augen und spürte dem Widerhall der rauen Katzenstimmen nach. Der Boden bebte unter dem Gewicht der Stiere. Im Publikum kam vorsichtige Unruhe auf, vermutlich überlegten die ersten Zuschauer bereits, ob es eine gute Idee gewesen war, sich die »Mitternachtsmonster« anzusehen. Doch niemand wagte es, sich zu rühren und den Theaterraum zu verlassen.
»… aber König Licht war mutig und rang mit der ewig Dunklen. Zwei Tage und drei Nächte dauerte ihr Kampf, doch weder Licht noch Dunkelheit unterlagen. Am Morgen des dritten Tages hielten Todesfrau und Sonnenmann inne. Unbesiegt standen sie einander gegenüber, und ihnen gefiel, was sie sahen …«
Künstlicher Donner brachte die Raubtiere zum Fauchen. Die Schneekatzen hinter der Bühne stimmten mit ein und liefen im Käfig hin und her. Der Silberstaub, den Mort ihnen über das weiße Rückenfell gestreut hatte, glitzerte wie frischer Schnee, aber solange die Katzen noch im Käfig saßen, wirkte der Zauber der Illusion nicht. Hier waren sie nicht die Begleiter der Winterfrau, sondern nur alte, schlecht gelaunte Raubtiere, denen der Geruch nach Menschen auch nach so vielen Jahren noch zu schaffen machte. Oft betrachtete Summer Morts Bestien bei Tag, wie sie in ihren Käfigen schliefen, sah zuckende Pfoten und Lefzen, hörte das traumverlorene Knurren und fragte sich, ob sie vielleicht im Schlaf ihr wahres Leben führten. Ob sie jagten und rannten und dachten, das Theater sei der Albtraum, aus dem sie sich jede Nacht zu erwachen mühten?
»… und aus der Umarmung der Dunkelsten und des Hellsten entsprang … Geron, Sonnensohn!«
Finns Auftritt. Eine Trommel setzte ein und gab den ruhelosen Füßen da draußen endlich etwas zu tun. Pfiffe und Stampfen erklangen aus dem Zuschauerraum. Das war der Moment, als Summer endgültig in den Strom des Stücks gerissen wurde. Ihre Wangen glühten vor Lampenfieber und der Erwartung, sich endlich in ihre Rolle fallen zu lassen und alles andere zu vergessen.
Sie stolperte im Halbdunkel, als sie zu dem Verschlag mit den Kostümen eilte. Mia, die hagere, sommersprossige Herbstfrau, hatte sich ihr rotes Kostüm übergestreift und zurrte die Stützbandagen an den Handgelenken ungeduldig mit den Zähnen fest.
»Lass mich das machen!« Summer sprang zu ihr. Mias Hände waren sehnig und die Handflächen voller Schwielen. Sie war die Einzige, die ihre Rolle an Seilen hängend in der Luft spielte – eine windige Herbstgeliebte, die mit den Blättern am Himmel tanzte.
Summer durfte am Boden bleiben, doch ihr Kostüm war das aufwendigste von allen: grün und prächtig wie der Sommer selbst. Blätter aus Samt schlossen sich um Schultern und Brüste, die wasserfarbene Seide des Unterkleides umfloss ihre Beine. Teurer Libellenschmuck musste in einem komplizierten Muster in ihr Haar gewunden werden. Zwei Helferinnen sprangen herbei und zupften und zerrten an Summers Haaren, kämmten die rotblonden Wellen zu glatten Strähnen und flochten und drehten, bis jedes der Metallinsekten seinen Platz gefunden hatte. Die Zeit begann zu fliegen – und während Summer noch damit beschäftigt war, die letzten Knoten an ihren Ärmeln und dem Rock zu knüpfen, war es bereits Zeit für den Auftritt von Spring, der Frühlingsgeliebten.
Ein leiser Pfiff von Mort und alles erstarrte – nur Ana öffnete den Schlangenkäfig, ging in die Hocke und trommelte mit den Fingernägeln einen schnellen Takt auf den Boden. Die riesige Sumpfviper – Symbol des in der Wärme erwachenden Frühlings – nahm züngelnd Witterung auf und glitt aus dem Käfig und an Anas Arm hinauf. Behutsam trug die junge Schauspielerin das Reptil auf Händen und Schultern, während sie zur Bühne eilte. Oben im Bühnenboden polterte es, als die kleineren Schlangen aus den Kisten gelassen wurden. Die Behälter unter der Bühne würde Mort über einen Seilzug selbst öffnen.
»Mein Vater ist König Licht, doch meine Mutter die blinde, grausame Lady Tod, die ihre eigenen Kinder verschlingt«, sprach Finn. »Mit schwarzen Klauen trachtet sie danach, all das Schöne zu zerreißen …«
»Los, los, in den Mantel!«, zischte Mia Summer zu. Das schwere Kleidungsstück bestand aus Holzstöcken und Ästen, die wie ein Kragen hinter Summers Kopf aufragten. Das Gewicht drückte sie im ersten Moment nieder, dann streckte sie die Knie durch und bemühte sich um eine aufrechte Haltung. Sie mochte den Mantel nicht, er machte sie unbeweglich, aber sie würde ihn zum Glück nicht lange tragen müssen. Helferinnen huschten um sie herum, zurrten und knoteten und führten schließlich alle dünnen Fixierleinen an Summers Handgelenken zusammen. Ein Ruck daran genügte und sie wäre wieder frei.
Pfiffe und Applaus ertönten, als draußen der Frühling zu tanzen begann. Summer spürte die Vibration von Anas Sprüngen unter ihren Sohlen und sah die Szene vor sich, als könnte sie durch die Kulisse blicken: Anas Tanz mit der Sumpfviper, der die Männer im Publikum zum Schweigen und zum Starren brachte. Manch einem brach beim Anblick dieser giftigsten aller Schlangen der Schweiß aus. Doch Männern, die sich fürchteten, erschienen Frauen besonders schön und ihre Liebe besonders kostbar. Es war sicher kein Zufall, dass gerade Ana und Charisse, die mit den gefährlichsten Tieren auftraten, von Verehrern geradezu verfolgt wurden.
Summer zählte Anas Schritte mit, bis diese aus der schnellen Drehung wieder zum Stehen kam und bewegungslos verharrte.
Das war das Zeichen.
Das Aufschnappen der Kisten, die Mort nun öffnete, hörten nur die Eingeweihten. Im selben Moment erloschen alle Lichter. Überraschte und entsetzte Schreie erklangen, als vier Dutzend Schlangen vom Bühnenboden herabfielen – im Dunkeln glomm die Zeichnung auf ihren Rücken. Sie waren Sternschnuppen auf Irrwegen, die auf Glatzen, Schultern und Schößen landeten, sich blitzschnell auf den Boden und unter Stuhlbeinen entlangschlängelten und über zurückzuckende Schuhspitzen glitten. Weitere Schlangen krochen unter der Bühne hervor. Jetzt begann der Saal zu kochen. Irgendein Mann schrie wie am Spieß. Gepolter ertönte, Stühle fielen um, schwere, flüchtende Schritte ließen den Boden beben, Türen fielen donnernd ins Schloss.
Feixend stieß Mia Summer an. Und auch Summer musste lachen, als sie das angstvolle Stöhnen der Männer hörte. Spätestens jetzt wäre jedem klar gewesen, dass der Großteil der Zuschauer aus der Fremde kam. Jeder Einwohner von Maymara wusste, dass die kleinen Sumpfvipern, die Mort ins Publikum ließ, keine Giftzähne mehr hatten.
»Es wird Nacht, Geliebter«, rezitierte Ana ungerührt. »Die Schlangen streben zum Firmament, ich folge ihrem Schein.«
Ein erneutes Aufstöhnen ging durch die Menge, als Ana mit der großen Viper von der Bühne sprang und durch das Publikum wirbelte. Das war der Moment, in dem auch Summer den Atem anhielt und hoffte, dass keiner im Publikum nach Kaninchen roch oder die riesige Schlange im falschen Augenblick erschreckte. Sie hatte als Einzige ihre Giftzähne noch.
»Geh nicht!«, rief Geron Sonnensohn seiner Geliebten Spring klagend hinterher. »Warum küsst du mich, um mich dann wieder zu verlassen? Das Herz reißt du mir aus der Brust!«
Wie immer an dieser Stelle bekam Summer eine Gänsehaut. Sie konnte nicht anders, als Finn für die Wehmut und den Schmerz in seiner Stimme tatsächlich zu lieben. Das Theaterstück war pathetisch und die Geschichte übertrieben und grell wie ein Jahrmarktsstück, die Schauspieler nur lebende Staffage für die Auftritte der Tiere. Doch Finn spielte Gerons Rolle, als gäbe es nichts anderes. Jedes Wort war echt. Ein Edelstein inmitten von Glasschmuck, dachte Summer. Du bist an Mort verschwendet.
»Was soll ich denn mit deinem Herzen?, erwiderte der Frühling mit einem spöttischen Lachen. »Behalte es, mir hat es lange genug gehört. Erkennst du mich immer noch nicht, Geron? Ich bin deine Jugend. Mich kannst du nur ein einziges Mal in deinem Leben besitzen, ein zweites Mal teile ich dein Lager nicht.«
In der Dunkelheit klopfte Mort mit dem Dressurstock sachte auf den Boden – ein komplizierter Befehl aus Morsezeichen, die nur seine Reptilien verstanden. Keine zehn Sekunden später folgte die erste Schlange aus dem Zuschauerraum diesem Ruf und glitt hinter die Kulissen – ein sich bewegendes, glimmendes Muster, das wie eine lebendig gewordene Schmuckkette in den Käfig kroch. Eine zweite und eine dritte Schlange kehrten aus dem Zuschauerraum zurück. Und dann ein weiteres Dutzend, das sich hinter den Maschen eines großen Käfigs sammelte. Schließlich schlüpfte auch Ana hinter die Bühne. »Lauter Betrunkene«, flüsterte sie atemlos und nahm die silberne Maske vom Gesicht. Die Sumpfviper, die wie die kleineren Schlangen mit Leuchtpulver eingestäubt war, ließ ihre Wangen und ihr Haar im Dunkeln leuchten. »Zwei Stühle sind zerbrochen. Und mindestens dreißig Leute sind geflüchtet.«
Musik setzte wieder ein, begleitet von Hufgeklapper auf der kleinen Nebenbühne, wohin der zweite Tierführer die Tigerstute dirigierte.
»Geld hin oder her – ich warte nur darauf, dass diese Idioten von Ausländern mir alle Schlangen zertrampeln«, knurrte Mort, während er Ana das Reptil abnahm und behutsam im Käfig verstaute.
Das Licht zuckte, als der Filmprojektor wieder zu laufen begann. Summer hörte, wie einige Zuschauer die Luft einsogen, und war sicher, dass sich so mancher an seinem Stuhl festhielt. Vor der Leinwand tänzelte die Tigerstute mit Finn auf dem Rücken auf der Stelle, doch für das Publikum sah es vor der bewegten Kulisse so aus, als würden sie gemeinsam mit Geron mit unglaublicher Geschwindigkeit über den Himmel getragen.
Mort machte sich eilig daran, die Vögel freizulassen. Das war Summers Zeichen. Vorsichtig bewegte sie sich in ihrem Astmantel zur Bühne. Sie hatte ihre Rolle schon mehr als fünfzigmal gespielt, doch so kurz vor dem Auftritt zitterten ihr jedes Mal die Hände. Lass die Löwen heute ruhig sein, bat sie im Stillen. Sie wusste nicht, warum, aber weder die Raubtiere noch das Pferd mochten sie. Nur die Vögel zeigten sich ihrer Nähe nicht aggressiv oder ängstlich.
Im Spiegel, der seitlich in der Kulisse angebracht war, konnte sie in den Zuschauerraum sehen. Lange Lücken in den Sitzreihen und einzelne leere Stühle zeugten von Anas Auftritt. Auch der Stuhl links neben Bator Sel war leer.
Mort scheuchte die Zierschwalben und die Pirole aus der Voliere. Im nächsten Moment stand Summer mitten in einem Schwarm. Flügelspitzen streiften ihre Wange. Der Luftzug bauschte die Seidenbänder an ihrem Rock. Das Stakkatolicht des Projektors warf zitternde Lichtstreifen auf die Vögel und ließ ihren Flug in hundert Momentaufnahmen erstarren.
»Fünf… sechs… sieben…«, zählte Mort ihr vor. Summer setzte hastig die Schmetterlingsmaske aus Kupfer auf und atmete durch. Das war der kleine, flirrende Moment des Glücks, für den sie lebte: die Sekunde, in der sie sich selbst verlieren durfte.
»… und los!«
Umschwirrt vom federweichen Flügelschlag überschritt sie die Grenze zu einem anderen Sein. Der Sog des Flackerns nahm sie mit sich, löste Schicht um Schicht ihres Lebens, bis nichts mehr von ihr selbst zurückblieb. Sie lächelte und die Maske schmiegte sich kühl an ihre Wangen, erwärmte sich dann in Sekundenschnelle und wurde zu einem Teil von ihr.
Die Schwalben huschten dicht über den Köpfen der Zuschauer durch den Raum, als die Königin des Sommers auf die größte Lichtung des Waldes trat – ein Wald, in dem es vor Leben wimmelte: Hunderte von Vögeln, die auf jedes ihrer Zeichen reagierten, Kreise zogen und die Richtung wechselten. Auf der Bühne waren alle Sommertiere vor der Kulisse gemalter Bäume versammelt: zwei Mähnenlöwen und ein Dutzend seltener gescheckter Affen, Streifenwild von den fernen Inseln, Baumkröten und Papageien. Inmitten der Fülle wirkte Geron Sonnensohn noch einsamer. Die Sommerfrau befahl ihm mit herrischer Stimme, ihren Wald zu verlassen. In irgendeinem Winkel ihres Selbst fragte sich Summer in solchen Augenblicken verwundert, ob sie jemals jemand anderes gewesen war als jetzt und ob sie wirklich von Angst getrieben von Ort zu Ort gehetzt war.
Der Mantel drückte auf ihre Schultern, als sich mehr als fünfzig Pirole in den Ästen niederließen. Noch fünf, sechs Schritte trug sie würdevoll die Last, dann entledigte sie sich mit einem Ruck an den Reißleinen des Kleidungsstücks, ließ es stehend als Sammelplatz für die Vögel zurück und ging auf den Krieger zu. Mit einem Mal war alles leicht, jeder Schritt war wie Fliegen, jeder Atemzug wie ein Lachen. Hier zuckte sie nicht vor Berührungen zurück und der Anblick von Händen bereiteten ihr kein Unbehagen. Sie flirtete mit Geron Sonnensohn und schlüpfte ihm immer wieder aus den Armen.
»Besiege mich, wenn du kannst«, rief sie. »Doch ich warne dich: Sklaven magst du erbeuten, aber kein Sommer gehört dir für immer. Wer mich besitzt, lernt zu verlieren!«
Anfeuerungsrufe ertönten im Publikum, als der größere Löwe auf Geron zustürzte. Der Kampf mit der Bestie sah beängstigend echt aus. Die Sommerfrau lachte und die Zeit glitt weiter.
Geron und sie lebten ihre Geschichte: Es gab eine Zeit des Kämpfens und der Feindschaft, eine Zeit des Kräftemessens und eine des Respekts. Und dann einen Tanzschritt lang das erste Lächeln. Als sie schließlich zueinanderfanden, war Gerons Blick so aufrichtig, dass sie keinen Moment an seiner Liebe zweifelte.
Bis … er sie plötzlich an sich zog, sie fester in die Arme nahm, als es das Stück verlangte, und sich viel zu dicht über sie beugte.
»Was machst du, verdammt!«, zischte sie, doch selbst unter der Schminke erahnte sie Finns diebisches Grinsen.
»Die Wetten stehen eins zu zehn«, raunte er ihr für die Zuschauer unhörbar zu und … versuchte sie tatsächlich zu küssen! Der letzte Zauber verflog. Jetzt war sie nur noch ein Mädchen mit einer Maske inmitten von Bühnengerümpel und bedauernswerten Tieren. Die Wut war wie ein kalter Wasserstrahl – scharf und ernüchternd. Blitzschnell wandte sie den Kopf zur Seite und trat Finn mit aller Kraft gegen das Schienbein. Er keuchte auf und ließ sie sofort los, aber er überspielte den Schmerz gut. Summers weiter Rock hatte den Tritt verborgen. Dennoch lachte im Zuschauerraum jemand schadenfroh auf und die Affen nutzten die Gelegenheit und fingen an zu kreischen. Nun wurden die Löwen tatsächlich unruhig, als würden sie Summers Zorn spüren. Hinter der Kulisse konnte Summer Mort fluchen hören. Sie riss sich zusammen und versuchte, von der kurzen Pause abzulenken, indem sie sich von Geron entfernte und ihren Vogelschwarm herbeirief. Bevor sie in ihrem Text fortfuhr, warf sie einen Seitenblick ins Publikum. Bator lehnte mit verschränkten Armen in seinem Stuhl. Auf seinen Lippen lag ein amüsiertes Lächeln. Er musterte Summer so interessiert, als wäre sie auch eine der Raubkatzen, für die er das Futter bezahlte. Aber das war es nicht, was ihr plötzlich das Gefühl gab, trotz Maske und Kostüm völlig nackt zu sein. Die Bühnenbeleuchtung verwandelte sich in Eislicht, das sie frösteln ließ, während sie den leeren Stuhl zu Bators Linken anstarrte.
Auf der Lehne: Handschuhe. Finger, die sich tief in das Leder des Bezugs gruben.
Reiß dich zusammen!, schalt sie sich selbst. Es gibt immer und überall Männer, die Handschuhe tragen. Aber heute hörte ihr Herz nicht auf ihren Kopf. Und das, was sie mehr fürchtete als alle Raubkatzen des Theaters zusammen, holte sie mit einem Wimpernschlag ein. Das Theater verblasste und die Wirklichkeit ihrer Nächte kam ihr so beängstigend nah, dass sie nach Luft schnappte. Ihr rasender Puls hämmerte ihr mit jedem Schlag das Bild ein, dem sie glaubte entflohen zu sein: Er.
»Summer?« Finns Flüstern an ihrem Ohr. Sein Arm lag fest um ihre Taille. Sie musste sich zur Seite bewegt haben, ein, zwei große Schritte, als wollte sie fliehen. Wann hatte sie versucht, die Bühne zu verlassen? Die Vögel umschwirrten sie immer noch, die Zuschauer begannen zu murmeln.
»Der Tod …«, zischte ihr Mia den Text aus der Kulisse zu. »Der Tod und die Liebe …«
Summer blinzelte und versuchte, den Mann zu erkennen, der die Handschuhe trug. Doch er saß im Schatten der nächsten Reihe, sie erahnte nur seinen Umriss. Ehe sie genauer hinsehen konnte, schwenkte das Licht auf sie und blendete sie.
»Der Tod …«, flüsterte Mia mit noch mehr Nachdruck.
Summer schluckte. Sie musste sich räuspern, bis sie endlich ihren Satz herausbrachte.
»Der Tod und die Liebe sind Nachbarn«, schloss sie hastig, ohne Feuer, ohne Tiefe, so kläglich, dass eine Zuschauerin in der ersten Reihe kicherte. »Doch der … der Abschied wohnt in beiden Häusern.«
Während sie sich von Finn losriss und von der Bühne flüchtete, ohne den Rest ihres Textes zu sprechen, blickte sie ins Publikum. Keine Hände, kein Blutmann. Der Stuhl neben Bator war unberührt, und auch der Stuhl dahinter war leer.
Mort brüllte schon, seit der letzte Zuschauer das Theater verlassen hatte. Und Summer konnte es ihm nicht einmal verübeln. »Ausgerechnet heute so ein Patzer!«, donnerte er. »Was, wenn Bator das Stück missfallen hätte? Du hättest beinahe alles verdorben! Du …«
»Beinahe«, fiel ihm Charisse ins Wort. »Aber es hat doch niemand bemerkt.«
»Ich habe es gemerkt!«, brauste Mort auf und schlug sich mit der Faust auf die Brust. »Ich!«
»Schon gut, Mort«, schaltete sich nun auch Finn ein. »Aber Bator hat das Stück gefallen, er hat uns sogar Geld für Wein dagelassen. Außerdem war es meine Schuld. Ich habe den Text verändert.«
»Und die Wette verloren«, murmelte Ana, die gerade die Verschnürungen an Summers Kostüm löste. Man konnte hören, dass sie bei diesen Worten feixte.
Mort schnaubte verächtlich. »Text hin, Text her, Summer hätte reagieren müssen. Wenn ich will, dass jemand seine paar Sätze nur hilflos herunterstammelt, dann hätte ich auch irgendeine aus dem Hafenviertel auf die Bühne stellen können.«
Mia rollte genervt mit den Augen. Diesen Spruch kannten sie alle zur Genüge.
»Dann such dir eben eine aus dem Hafenviertel«, brauste Summer auf. »Immerhin hätten die betrunkenen Idioten da draußen dann etwas zu gaffen. Und nur darum geht es doch in diesem Stück, oder nicht?«
An manchen Tagen fiel es ihr leicht, ihre Rolle zu spielen: das allzu stolze Mädchen von den südlichen Inseln, das sich nichts bieten ließ. Doch heute fiel ihr sogar diese einfache Übung unendlich schwer. Viel zu verstört war sie selbst noch. Es hat nichts zu bedeuten, wiederholte sie wie ein Gebet. Es war nur der Anblick der Handschuhe. Eine kurze Irritation. Dennoch wunderte sie sich immer noch, wie sie den Rest der Vorstellung hinter sich gebracht hatte. Während der Abschlussverbeugung hatte sie die Maske nicht abgenommen und fieberhaft jede Reihe abgesucht. Doch der Mann blieb verschwunden. Natürlich. Es war irgendein Zuschauer, der gegangen ist. Vermutlich hat er sich beim Aufstehen auf der Lehne aufgestützt, und du hattest das Pech, genau in diesem Moment hinzusehen. Das klang gut. Vernünftig. Aber warum beruhigte es sie nicht?
»Auch noch frech werden!«, brüllte Mort. »Ich weiß überhaupt nicht, wofür ich dich bezahle! Du müsstest mir eine Entschädigung bezahlen, dafür, dass du mein Stück verschandelt hast!«
»Nimmst du auch Trinkgeld? Bei dem, was du mir bezahlst, würde die Entschädigung nämlich ziemlich gering ausfallen.«
»Wenn das alles ist, was du am Theater in Kanduran gelernt hast, dann bezahle ich dir noch viel zu viel!«
Summer schnaubte. »In Kanduran wurde jedenfalls darauf geachtet, dass keine Verrückten in der vorderen Reihe sitzen. Sag bloß, du hast den fetten rothaarigen Kerl nicht gesehen, der mich angestarrt hat wie ein Wahnsinniger? Und weißt du, was? Er hatte ein Messer unter seiner Jacke versteckt! Da würde euch auch der Text im Hals stecken bleiben!«
Ana verging das Grinsen auf der Stelle, und sogar Mort wurde blass. Finn sah so erschrocken aus, dass Summer die Augen niederschlug. Lügen kann ich immer noch am besten. Manchmal war es ihr ein Rätsel, wie leicht sie die Leute dazu bringen konnte, ihr Glauben zu schenken.
Sie wollte sich eine Strähne hinter das Ohr streichen, doch als sie bemerkte, wie sehr ihre Hand zitterte, ließ sie es bleiben. Stattdessen stand sie auf, zerrte sich das Überkleid von den Schultern und zupfte sich die goldenen Libellen grob aus dem Haar. »In Kanduran war ich Schauspielerin«, rief sie mit genau der richtigen Portion Gekränktheit. »Hier dagegen sind wir doch alle nur deine Marionetten, Mort – Darstellervieh und Freiwild für das sogenannte Publikum.«
Obwohl Mort knallrot anlief und schon Luft holte, um sie anzubrüllen, spürte sie, dass sie längst gewonnen hatte.
»He, es reicht jetzt wirklich!«, mischte sich Mia nun auch prompt ein. »Lasst es doch endlich gut sein. Ihr beide! Fehler passieren. Auch dir, Mort. Mir. Finn. Uns allen.«
Mort stieß einen wüsten Fluch aus und wischte sich unwillig mit dem Handrücken über die Stirn. »Nicht heute«, sagte er heiser. »Nicht heute!« Mit einem Mal sah er müde und faltig aus und Summer fragte sich, wie viel es den alten Dompteur wohl kosten mochte, Nacht für Nacht den strengen, mürrischen Direktor zu spielen. So viel, wie es mich kostet, mich zu Tode zu fürchten und es nicht zu zeigen?
Mort stritt nun mit Mia über die Kontrollen an der Tür herum, doch seine Wut machte langsam der Erschöpfung Platz. Die Truppe musterte ihn aufmerksam. Sorge spiegelte sich in ihren Zügen, den zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelten Stirnen. In diesem Augenblick liebte Summer all diese Menschen so sehr, dass es schmerzte. Sie mochten sich streiten, sich hassen und gekränkt sein, aber in dem kleinen Kosmos ihrer verbundenen Leben ging niemand verloren. Sie sind eine Gemeinschaft. Noch während sie diese Worte im Kopf formte, fiel ihr auf, dass sie nicht länger wir dachte. Doch noch konnte und wollte sie sich nicht eingestehen, was das bedeutete.
Sie verschränkte die Arme und drückte die Fäuste in ihre Achselhöhlen, um das Zittern zu verbergen. Charisse, die diese Geste falsch deutete, legte ihr beruhigend den Arm um die Schulter. »Keine Angst, Summer. Wir sorgen dafür, dass der Kerl nicht mehr ins Theater darf!«
Es war einer der seltenen Momente, in denen Summer eine Berührung zuließ. Charisses Augen hatten wieder ihr eigenes verwaschenes Blaugrau, ihr fein gezeichnetes Gesicht war auch ohne Schminke schön, gewöhnlicher zwar, aber auch vertrauter. Und Summer hätte alles dafür gegeben, sich einfach in diese Umarmung schmiegen zu können, in das Wir, das bereits zu verblassen begann.
»Hört auf und lasst uns endlich feiern!«, sagte Mia.
»Ja, ja, Wein, Geld und Feiern – etwas anderes interessiert euch ja doch nicht!«, knurrte Mort.
»Ich bin müde«, murmelte Summer und entzog sich Charisse sacht. »Und mir … mir ist heute nicht nach Feiern zumute.« Sie vermied es, Finn anzusehen, obwohl er die ganze Zeit schon ihren Blick suchte, und nahm ihre Stofftasche von der Truhe. Bevor jemand auf die Idee kam, sie zurückzuhalten, sprang sie von der Bühne und durchquerte mit hoch erhobenem Kopf den Theaterraum. Sobald sie die Türschwelle überschritten hatte, begann sie zu rennen.
Fünf, sechs Straßen lang flogen ihre Sohlen über den Boden. Erst als sie vom schnellen Lauf Seitenstechen bekam, blieb sie an einer Straßenecke stehen und schnappte nach Luft. Ein stickiger, träger Herbst, der um jeden Preis ein Sommer sein wollte, lag über der Stadt. Aber wenn man das von Körpern aufgeheizte, mit abgestandenem Atem gefüllte Theater verließ, erschien die Nachtluft trotzdem leicht und angenehm kühl. Obwohl es schon weit nach Mitternacht war, trug der Wind Musik und Gelächter mit sich – vom Hafen, wo Reisende jede Stunde vor der Abfahrt ihres Schiffes noch auskosteten. Nur ein paar Schritte noch und Summer könnte sich in den warmen Schutzmantel aus Stimmen und Licht hüllen. Doch sie presste ihre Tasche an sich und lehnte sich an eine Hauswand. Grober Putz drückte gegen ihren Rücken. Die meisten Häuser in Maymara waren mit blassblauer Farbe gestrichen. Im Licht des Mondes, der wie eine Leichenfratze über der Stadt hing, leuchteten sie, als seien sie lediglich die Gespenster von Behausungen.
Es hat nichts zu bedeuten, wiederholte Summer immer wieder in Gedanken. Ich werde nicht wieder von ihm träumen. Das liegt hinter mir! Doch eine andere Stimme sagte ihr, dass sie sich selbst etwas vormachte. Vier Monate in trügerischer Sicherheit, ohne Träume, mit dem Gefühl, endlich das richtige Versteck gefunden zu haben: Maymara, die Stadt der Masken, wo Identitäten im Tagestakt wechselten und Touristen im ständigen Strom an- und abreisten. Und nun? Wieder auf der Flucht? All das verlassen für eine neue Stadt und hoffen, dass er mich dort nicht einholt? Die Antwort auf diese Frage kannte sie nur zu genau.
Ein scharrendes Geräusch riss sie jäh aus ihren Gedanken. Sie fuhr herum – und sah nur eine Katze. Eine Sekunde lang starrten sie sich an – beide in der Bewegung eingefroren, beide misstrauisch und auf der Hut. Dann floh das Tier in den Schatten und Summer hätte beinahe über sich selbst gelacht. Eine streunende Katze, wie ich. Neun Leben und mehr.
Aber noch war die Panik nicht da, sie hatte noch ein paar Tage, vielleicht sogar eine Woche, bevor er sie wieder jede Nacht heimsuchen würde.
Summer schnürte die Tasche fest um die Taille und bog in die Straße ein, die zur Altstadt am Hafen führte. Und entdeckte eine Gestalt am Ende der Straße. Natürlich wollte ihr verrücktes Herz ihr sofort weismachen, dass es der Mann mit den Handschuhen war, aber das Licht einer flackernden Laterne legte einen Streifen Glanz auf zerzaustes hellblondes Haar. Finn! Beinahe hätte sie gelächelt. Betont lässig lehnte er am Laternenpfahl.
»Was ist? Hat Charisse dich heute versetzt?«, rief sie ihm herausfordernd zu. Sie wusste sehr wohl, dass er nur so oft mit Charisse ausging, weil er hoffte, Summer würde eifersüchtig werden. Doch heute ging er nicht auf ihre Stichelei ein.
»Na ja, ich dachte, du vermisst sicher deine Schuhe«, antwortete er ohne eine Spur von Spott. Erst jetzt wurde Summer bewusst, dass sie barfuß war. Und als sie an sich heruntersah, entdeckte sie zu allem Überfluss, dass sie immer noch das seidene Unterkleid trug, das zu ihrem Kostüm gehörte. Sie war froh, dass Finn nicht erkennen konnte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Wie kopflos war sie gewesen, einfach im Kostüm wegzulaufen?
Finn näherte sich ihr so vorsichtig, als fürchtete er, sie würde weglaufen, und blieb zwei Armlängen entfernt von ihr stehen. Er hatte sich hastig abgeschminkt, an seiner Schläfe schimmerte noch etwas Goldfarbe. Die Körpersprache des Helden hatte er abgelegt und seine Miene hatte wieder die sanfte, beinahe schüchterne Freundlichkeit, die Summer so an ihm mochte.
»Eigentlich wollte ich mich entschuldigen«, sagte er. »Für die Wette mit dem Kuss. Es war eine blöde Idee. Und der falscheste Zeitpunkt. Aber sag mal, der Kerl im Publikum – er hatte wirklich ein Messer?«
»Ja«, log Summer, ohne zu zögern. »Ich dachte, er würde jeden Moment auf die Bühne springen. Hast du ihn wirklich nicht gesehen?«
Finn schüttelte den Kopf. »Ist er dir vorher schon mal aufgefallen?«
»Allerdings! Er … er scheint es auf mich abgesehen zu haben.«
Finn biss sich auf die Unterlippe. Er sah so zerknirscht aus, dass es Summer wieder einmal leidtat, ihm Märchen zu erzählen.
»Dann hättest du schon viel früher etwas sagen müssen. Dafür ist die Truppe doch da – wir beschützen einander. Mort hat uns versprochen, einen Türsteher einzustellen. Und wenn er nicht dafür sorgt, werde ich es tun.«
Es wäre einfach gewesen, ihn auszulachen und wieder das scharfzüngige Mädchen zu sein, in das Finn sich aus unerfindlichen Gründen verliebt hatte. Aber hier, im Halbdunkel der Gasse, hätte sie sich am liebsten in seine Umarmung geflüchtet.
»Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Summer«, fuhr er noch leiser fort. »Ich habe dich heute auf der Bühne kaum wiedererkannt. Der Ausdruck in deinen Augen … diese Angst … So kenne ich dich nicht.«
»Schon gut, kein Grund, ein Drama daraus zu machen«, antwortete sie etwas zu schroff. »Aber danke, dass du mir die Schuhe gebracht hast. Und jetzt muss ich wirklich los.«
Er verstand den Wink, hakte den Beutel von seinem Gürtel los und warf ihn ihr zu. Summer fing ihn auf, holte ihre Sandalen hervor und streifte sie hastig über. Es gab Dinge, an die sie sich nie gewöhnen würde. Schuhe gehörten dazu. Sie dankte Finn mit einem knappen Nicken und wollte davoneilen. »Summer, ich habe noch etwas für dich!«
Zögernd drehte sie sich wieder zu ihm um.
Er lächelte und holte eine Handvoll Scheine und Geldstücke aus seiner Hosentasche. »Willst du dir Bators Bezahlung wirklich entgehen lassen? Und …« – seine Stimme bekam einen dunklen, lockenden Klang – »… im Hafen spielt Musik.«
Summer schüttelte den Kopf. »Ich … muss wirklich nach Hause, Finn.« Die wievielte Lüge an diesem Tag?
Finn verschränkte die Arme und zog die linke Augenbraue hoch. »Zu deinem Freund, den du vor mir verheimlichst? In deinen Palast, wo du in einem vergoldeten Bett schläfst, unter schwarzen Seidendecken, die schöner glänzen als das Meer bei Nacht?«
»Ja, genau in diesen Palast«, erwiderte sie ebenso ironisch. »Wo tausend Kakerlaken im Flügelfrack nur darauf warten, ihre Herrin ehrerbietig zu begrüßen.«
Finns Miene hellte sich auf. »Ich sehe, wir wohnen in der gleichen Gegend.«
Jetzt musste sie plötzlich doch lachen. Mit Finn zu reden, war wie tanzen. Ließ man sich auf den ersten Schritt ein, war man schon mitten drin in der nächsten Drehung. Und das Schlimme war: Sie liebte diesen Tanz und konnte auch jetzt kaum widerstehen. Die Sehnsucht danach, einfach nur ein Mädchen zu sein, das mit einem Mann flirtete, überkam sie so jäh, dass sie sich mit einem entschuldigenden Schulterzucken abwandte und die Straße entlanglief.
»Weißt du was? Dann bringe ich dich wenigstens nach Hause«, rief Finn ihr hinterher.
»Nein. Ich finde allein heim!«
Doch so einfach ließ er sich nicht abschütteln. Im nächsten Moment lief er schon neben ihr her. »Das weiß ich. Aber du bist ganz schön leichtsinnig, allein in den Gassen herumzulaufen. Stell dir vor, was passiert, wenn der Rothaarige mit dem Messer dir tatsächlich auf den Fersen ist. Er sollte wissen, dass ein Held an deiner Seite ist.«
»Ein Held, der nur mit dressierten Ungeheuern kämpft«, spottete sie. Doch ganz bestimmt hörte er das Lächeln in ihrer Stimme.
»Gut, wenn du mir nicht zutraust, dich zu beschützen, sollten wir wohl doch lieber unter Leute gehen. Mal sehen …« Mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers schnippte er im Laufen eine der Münzen hoch in die Luft und fing sie mit dem Handrücken auf. »… Kopf: Sie lässt mich stehen. Zahl: Sie tanzt mit mir.« Ohne hinzusehen, hielt er ihr die Hand hin. »Zahl, stimmt’s?« In seinen Augen blitzte trotz seiner Schüchternheit wieder das Schaustellerlachen. »Komm schon, Summer! Eine Stunde deiner Zeit, vielleicht auch nur eine halbe. Eine Runde Tanzen, ein Glas Wein. Danach begleite ich dich, wohin du willst. Und wenn du sagst: Hau ab!, dann werde ich gehen.« Summer war stehen geblieben und sie waren einander so nah, dass er mit einem gestohlenen Kuss leichtes Spiel gehabt hätte. Doch hier, ohne die Maske, wahrte er den Abstand. Und Summer stellte fest, dass es ihm wirklich ernst war. »Du hast mich schon so oft versetzt, dass ich dich kein weiteres Mal fragen werde«, sagte er. »Eine halbe Stunde nur – ist das wirklich zu viel verlangt?« Als hätte ein Bühnenmeister den Einsatz gegeben, erklang eine altertümliche Flötenmelodie aus einer Kneipe. Ein paar Leute brachen in Gelächter aus und sangen die erste Strophe des ältesten Maymarer Liedes mit – ein musikalischer Ausflug in die Vergangenheit der Stadt, der Touristen jedes Mal aufs Neue begeisterte:
Mein Lieb’ hat einen Karpfenmund,’ne Nase wie ein Meereshund.
katzenleben
Maymara glich einem leichten Mädchen, das tagsüber hochgeschlossene Kleider trug und so tat, als wäre es eine brave, sparsame Alles in dieser Stadt erfüllte einen Zweck. Die Häuser waren schmucklos, schmal und hoch gebaut, mit winzigen Fenstern und massiven Wänden, die den Sturmfluten im Winter und den Überschwemmungen trotzten. Die Wohnhäuser der Hafenarbeiter waren mit dem billigen, hellen Blau gestrichen, das aus weggeworfenen Muschelschalen gewonnen wurde. Die Häuser der Reichen zierte dagegen die teure Steinfarbe, die sich mit der Temperatur der Luft veränderte – morgens eisblau war, mittags in der Sonnenhitze rotbraun. Geräumige Lagerhallen säumten die inneren Stadtbezirke und den buchtartigen Hafen wie gestrandete Wale.
Aber es gab auch das pulsierende, wilde Herz der Stadt, die nachts ganz anders war, als sie sich tagsüber gab: Auch heute trug das kleine Altstadtviertel am Hafen ein Festgewand aus Laternen und Bannern. Wetten liefen an jeder Ecke. An Ständen gab es geröstete Kalmare, Schnaps – und Perlmuttmasken für die Leute, die lieber nicht in diesem Viertel erkannt werden wollten. Summer und Finn traten zu einer kleinen Gruppe von Musikern, die direkt am Hafenrund unter freiem Himmel aufspielte. Frauen mit Sirenenmasken sangen lauthals und trunken mit, während die Männer den Takt klatschten. Summer sah sich ein letztes Mal beunruhigt um, doch niemand hier beachtete sie, niemand trug Handschuhe, nichts erinnerte sie mehr an ihren Traum.
Es blieb nicht bei einer halben Stunde. Und auch nicht bei einer ganzen. Sie verließen den Hafen erst, nachdem der letzte Musiker seine Gitarre eingepackt hatte. Summers Welt tanzte immer noch und der Nachgeschmack des schweren Weins ließ jeden Atemzug süß schmecken. Finn und sie hielten sich an den Händen. Und seltsamerweise war es in dieser Nacht einfach, sich in diese Vertrautheit fallen zu lassen. Hier und jetzt waren sie nur ein Paar, das durch die Gassen schlenderte – nach Hause vielleicht, oder in ein fremdes Bett, das wenig kostete.
»Wohin jetzt?«, fragte Finn. Je mehr sie sich vom Hafen entfernten, desto leiser sprachen sie, bis sie schließlich flüsterten. Summer deutete nach Süden, wo sich die schäbigen Hochhäuser des äußersten Stadtbezirks vor den Uferbergen erhoben. Finn pfiff leise durch die Zähne. »Du wohnst ja wirklich in einer Gegend, in die nicht mal Mort einen Fuß setzen würde.« Irgendwo hinter ihnen durchstöberten einige streunende Katzen offenbar die Mülleimer, doch diesmal erschrak Summer nicht. Vielleicht lag es am Wein, aber der Traum war zu einem Schatten verblasst, der Mond keine Leichenfratze mehr, eher ein müde lächelnder Mann, der mit sachtem Spott die letzten Nachtschwärmer betrachtete.
»Komm«, raunte Summer Finn zu. »Nehmen wir die Abkürzung. Da ist es sicherer als auf der großen Straße.«
Ihr Schritt war lautlos, als sie in den Schleichweg einbogen, der sie im Bogen zu ihrem Wohnviertel führen würde. Unter ihren Sohlen spürte sie die Rillen, die die Austernkarren in den Asphalt gegraben hatten.
»Ich habe mich immer gefragt, was du gegen Schuhe hast«, flüsterte Finn ihr zu. »Ist es auf den Inseln üblich, barfuß zu gehen?«
»Auf meiner Insel schon. Meine Mutter sagte immer, wer sich in Schuhe zwängen lässt, dem kann man auch einen Maulkorb umbinden, ohne dass er sich beschwert.«
»Das erklärt jedenfalls deine scharfe Zunge. Von welcher Insel stammst du genau?«
»Tuvaló. Die südliche Ecke. Bator Sel fährt den Hafen an und kauft dort den roten Bernstein für die Schmuckmacher.«
»Roter Bernstein.« Sein Tonfall bekam etwas Versonnenes. »Ein bisschen wie dein Haar, aber deine Augen erinnern eher an Rauchquarz.«
»Das Haar von meiner Mutter, die Augen von meinem Vater, dem Fischhändler.« Obwohl der Wein ihre Gedanken schwer und wolkig werden ließ, musste sie keine Sekunde über die richtigen Antworten nachdenken. So betrunken konnte sie überhaupt nicht sein, dass sie die Details ihrer eigenen Lügen vergaß. Viel zu sehr wünschte sie sich, sie wären wahr.
»Wirklich? Dein Vater ist nur ein einfacher Fischverkäufer? Und ich hätte schwören können, du stammst aus einer reichen Familie.«
»Wie kommst du denn darauf?«
Aus den Augenwinkeln erahnte sie ein schattiges Schulterzucken. »Naja, du hast manchmal eine etwas … direkte Art, mit Leuten zu reden. So, als seist du gewohnt zu befehlen. Außerdem: Es gibt wenige Menschen, die stolz darauf sind, Schauspieler zu sein, so wie du. Die, die es aus Armut werden müssen, beschweren sich darüber. Nur diejenigen, die sich aus freien Stücken dafür entscheiden, lieben es. Und die kommen normalerweise aus reichem Haus und denken, sie hätten nun die Freiheit gefunden.«
Summer lächelte. Es war das einfachste Spiel, die Bilder zu nehmen, die ihr Gegenüber ihr anbot, und daraus ein Ich zu formen.
»Wer sagt, dass Fischverkäufer arm sein müssen?«, flüsterte sie. »Meine Eltern beschäftigen in der Fischhalle dreißig Arbeiter.«
»Dann habe ich also recht und du bist ein reiches Mädchen?«
»Zumindest war ich es. Geboren in einem Marmorhaus. Ich hätte das Leben einer Vorstadtprinzessin führen können, aber ich liebte schon als Kind das Theater. Also ging ich nach Kanduran, obwohl meine Familie dagegen war.«
Die Gestalt, die sie da beschrieb, schien im Gleichtakt mit ihr den Weg entlangzugehen, in Gesellschaft der vielen anderen Mädchen, die sie ebenfalls schon gewesen war. Nur schemenhaft und kaum vorhanden erkannte sie inmitten dieser Fantasiegeschöpfe sich selbst: die Unbekannte, die ihr völlig fremd war. Blutend, mit Schürfwunden und leerem Blick, mit dieser Furcht im Herzen, die sie von Stadt zu Stadt trieb.
»Wie alt warst du, als du Tuvaló verlassen hast?«, wollte Finn nun wissen.
Summer verlangsamte ihre Schritte. Wenn es um Zahlen ging, hieß es, vorsichtig zu sein. »Warum willst du das wissen?«
»Mort hat dir tatsächlich abgekauft, dass du fünfundzwanzig bist. Aber ich …«
»So! Du hältst mich also für eine Lügnerin?«
»Psst! Willst du das Ungeziefer anlocken? Nein, aber du bist jemand, der sehr genau weiß, was er will und wie er es bekommt. Das gefällt mir ja so an dir.«
Summer zuckte mit den Schultern. »Mort wollte eine Schauspielerin in Mias Alter. Und ich wollte die Rolle unbedingt haben. Was hättest du getan?«
Finns Hand schmiegte sich fester um ihre, so als hätten sie eben einen Pakt geschlossen. Auch das war etwas, was sie immer wieder von Neuem erstaunte: Dass manchmal das Geständnis einer Lüge besser dazu diente, ihre Glaubwürdigkeit zu untermauern, als wenn sie empört auf ihrer Version bestanden hätte.
»Und … wie alt bist du wirklich?«, fragte er nach einer Weile.
Ein Jahr und vier Monate, Finn. Fünf- hundertelf Tage Katzenleben.
»Siebzehn«, antwortete sie. Und vielleicht stimmte das sogar?
»Ja, das passt besser zu dir«, erwiderte er mit einem Lächeln in der Stimme. »Ein Jahr jünger als ich, und ich bin schon sehr früh zur Bühne gegangen. Na ja, meine Familie war so arm, dass sie mich sobald wie möglich wegschicken musste …«
Mit der bedeutungsvollen Pause, die nun folgte, öffnete er ihr die Tür zu seinem Leben. Natürlich erwartete er, dass sie über die Schwelle trat und sich umsah, doch Summer biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Jede Frage und jede Antwort schufen ein neues Band und eine Zukunft, die es nicht geben würde. Schon jetzt zählte sie die Schritte, die ihnen noch blieben, bevor sie allein weitergehen würde. Unmerklich wurde sie langsamer, kostete jeden Atemzug seiner Gegenwart aus und kam sich dabei vor wie eine Diebin.
»Und … hast du Mort auch dazu gebracht, zu glauben, dass du wirklich Summer heißt?«, fuhr Finn nach einer Weile fort.
»Ich heiße so! Ich trage immer den Namen meiner Rolle. Das …«
»Aber wie ist dein richtiger Name? Der, den deine Eltern dir gegeben haben?«
Die letzte Wärme des Weins verflog. Es war immer dasselbe. Für einige Wochen vergaß sie ihre Einsamkeit und sogar die Tatsache, dass sie niemand war. Wochen, in denen sie zu jemandem wurde, in denen sie »wir« sagte, als wäre es nichts Besonderes. Bis sie begannen, Fragen zu stellen. Und Fragen stellten sie immer.
»Was ist mit dir? Heißt du wirklich Finn, oder ist das dein Schauspielername?«
Abrupt blieb er stehen und hielt sie zurück. Am Kreuzungspunkt zwischen Gasse und Querstraße verharrten sie.
»Siehst du? So geht es immer.« Plötzlich schwangen Ungeduld und Ärger in seinem Tonfall mit, Regungen, die sie an ihm nicht kannte. »Früher oder später lenkst du ab und bringst die Leute zum Reden, bis sie vergessen, was sie von dir wissen wollten.«
Sie lachte leise. »Die Leute reden nun mal am liebsten über sich.«
»Ich nicht! Wenn ich eine Frage stelle, dann meine ich es ernst. Und bei dir meine ich es ernster als bei allen anderen. Immerhin weiß ich, dass du Wein trinkst, als hättest du ihn noch nie gekostet, und so vorsichtig tanzt, als würdest du nicht wagen, glücklich zu sein. Und ich weiß, dass du Leute wie Mort mehr magst, als du jemals zugeben würdest, auch wenn du dich über alles und jeden lustig machst. Aber deinen Namen weiß ich nicht. Ich meine die Frage also völlig ernst: Wie heißt du?«
»Er klingt ganz ähnlich wie mein … mein Bühnenname.«
»Sunija? Sumal? Sag schon!«
»Sulamar«, antwortete sie auf gut Glück. Ist das überhaupt ein Inselname?
Doch Finn schien ihr zu glauben. »Sulamar aus Tuvaló also. Und … was ist dir zugestoßen, Sulamar? Warum hast du das berühmte Theater verlassen, um ausgerechnet nach Maymara zu gehen?«
Sie wollte ihm ihre Hände entziehen, doch er hielt sie fest – sanft, aber mit Nachdruck. Seine Augen konnte sie nur erahnen: ein nächtliches Meer, unter dessen glatter Oberfläche glänzende Fische schwammen.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, fuhr sie ihn an. »Soll das ein Verhör werden? Vielleicht war es nur die Sehnsucht nach einem Abenteuer. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet bei Mort …«
»Du bist eine Abenteurerin?« Jetzt war es an Finn, spöttisch zu klingen. »Ich sehe etwas anderes, wenn ich dich beobachte: eine junge Frau, die sich häufig umblickt und es selbst nicht bemerkt. Sie scheint ständig auf der Hut zu sein. Sie lässt sich nicht gern berühren und sie hatte heute Angst vor einem Mann mit einem Messer. Ist sie von der Insel geflohen? Vor einem Geliebten? Einem Bräutigam? Einem Mörder?«
Die letzte Schicht der Lüge, an die sie selbst am innigsten glauben wollte, löste sich auf.
»Vielleicht«, sagte sie zögernd. »Vielleicht ist es, wie du sagst, und vielleicht auch ganz anders.« Und ob du es glaubst oder nicht, Finn, das ist zur Abwechslung mal die Wahrheit.
»Sulamar«, flüsterte Finn mit einer Zärtlichkeit, die ihr die Kehle zuschnürte. »Was auch immer dir zugestoßen ist – du sollst wissen, dass du mir vertrauen kannst.«
Bisher hatte Summer sich noch eingeredet, dass sie Zeit haben würde, sich zu verabschieden. Aber nun erkannte sie, dass sie längst zu weit gegangen war. Sie konnte nicht bleiben. Keine Woche mehr und auch keinen Tag. Die Zeit bei Mort endete für sie hier und heute. Die Einsamkeit unzähliger Nächte und Tage fiel auf sie zurück. Jeder Abschied, jede Minute, in der ihr bewusst geworden war, dass sie verloren war, lebendes Treibgut der Städte. Es war so leicht, jemand zu werden, und so schwer, jemand zu bleiben. Früher oder später zerrannen ihr die eigenen Gestalten zwischen den Fingern. Und zurück blieben Rauch und die Asche einer verbrannten Existenz.
Die Gasse schien dunkler geworden zu sein, schäbiger, die Geräusche nackter. Aber noch hing das Glück der letzten Stunden in der Gasse wie Rauch, kurz davor, zu vergehen. Die letzten Sekunden, in denen sie tatsächlich ein Mädchen aus Tuvaló war, das ins Abenteuer aufgebrochen war und sich hier in einen sanften, aufrichtigen Mann verliebt hatte. Es gehört mir!, begehrte sie mit einem wütenden Trotz auf. Dieser Moment noch!
»Ist … habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte er zaghaft. »Bist du traurig? Willst du …«
»Hör endlich auf zu fragen«, flüsterte sie. Sie trat an ihn heran und legte die Hände um sein Gesicht. Finn holte überrascht Luft, doch er umarmte sie nicht und er drängte sie auch nicht, als sich ihre Lippen seinem Mund näherten. Er war zwar hoch gewachsen, doch er musste sich nicht zu ihr herunterbeugen, damit sie ihn küssen konnte. Der staubige Duft nach Theaterpuder hing immer noch in seinen Haaren. Sein Atem traf auf ihre Lippen, warm und verlockend, und ihr ganzer Körper sehnte sich nach diesem Kuss. Doch sie konnte nicht anders, als innezuhalten, unfähig, die letzte Distanz zu überbrücken. Aber ich bin doch in ihn verliebt, dachte sie irritiert. Oder nicht?
Mit jeder Faser ihres Körpers wusste sie, dass sie in ihrem Leben schon jemanden (oder vielleicht auch viele?) geküsst hatte. Es war nichts Neues, nichts, wovor sie sich fürchtete, aber warum stolperte ihr Herz dann, als würde die Angst nach ihr greifen? Und warum war ihr plötzlich kalt? Sie konnte Finns Anspannung fühlen, seine Sehnsucht, eine Aura von Wärme und Erwartung. Jeder Herzschlag ein Ruf nach ihr, der in ihrem Körper einen Widerhall fand.
Summer blinzelte. Und in der nächsten Sekunde wusste sie, warum sie zögerte. In der Ruhepause zwischen zwei Herzschlägen stand die Zeit plötzlich still, und in dieser Leere entfaltete sich eine Blüte aus Schatten und … Erinnerung! Angestrengt tastete sie danach. Doch es war ein Wiedererkennen ohne Bilder, ein Splitter nur, ohne Anhaltspunkt, wozu er gehörte. Sie fühlte fremde Lippen auf den ihren, obwohl sie Finns Mund noch gar nicht berührt hatte. Vor langer Zeit (wie lange?) hatte sie einen Mann geküsst! Aber es war keine romantische Erinnerung. Es war …
Erschrocken zuckte sie zurück und riss die Augen auf. Der Kuss aus der Vergangenheit brannte immer noch auf ihrem Mund. Er schmeckte nach Hitze, nach Rauch und … nach Verlust.
Ein weiterer Eindruck zwischen zwei Herzschlägen: Finns Enttäuschung, die Frage, die sich schon in seinen Gedanken formte.
Fieberhaft suchte sie nach einer Erklärung, die ihn nicht verletzen würde, während ihr Puls raste und ihre Knie nachzugeben drohten. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen …
Und dann zersplitterte jeder Gedanke.
Finns Gestalt zersprang in Lichtblitze, und zurück blieb grelles, schmerzhaftes Rot. Es blieb ihr nicht einmal Zeit, aufzuschreien. Fast verwundert nahm sie wahr, wie ihr Kopf jäh zur Seite gerissen wurde, ihre Zähne durch die Wucht eines Aufpralls gegeneinanderschlugen. Im Fallen erst blitzte ein stechender Schmerz an ihrer Schläfe auf. Jemand hat mich erschossen!, schrie es in ihrem Kopf. Finns erschrockener Ruf gellte in ihren Ohren, während sie stürzte. Hart kam sie auf der Straße auf, ihre Handflächen rieben über den Asphalt.
»Sulamar!« Schon war Finn bei ihr, richtete sie auf und zog sie an sich. Ein grelles Brennen pochte in ihrer Schläfe und etwas Warmes rann über ihr Jochbein. Ein Stein rollte vor ihnen auf der Straße aus, schaukelte einmal und blieb liegen. Benommen tastete sie nach ihrer Stirn und fand nur eine kleine Platzwunde. Es war also kein Schuss aus einer Waffe gewesen. Aber jemand hatte sehr genau gezielt und mit dem Stein gut getroffen. Ganz bestimmt war ihnen der Angreifer schon vom Hafen aus gefolgt: der Frau im festlichen Seidenkleid und dem Mann, der blind vor Verliebtheit und trunken vom Wein war – leichte Beute für jeden, der Geld brauchte und nichts zu verlieren hatte.
Finn legte den Arm um ihre Taille und riss sie hoch, mühsam kam sie auf die Beine. Etwas schepperte, und diesmal waren es keine streunenden Tiere, die Lärm machten. Im Dunkel bewegte sich etwas, eine Gestalt – oder zwei? Und wir sind unbewaffnet!
»Verschwindet!«, brüllte Finn, doch sehr überzeugend klang es nicht. Nun schnappte er sich den Stein vom Boden und schleuderte ihn in die Schatten. Eine Scheibe zerbrach – und ein paar Straßen weiter begann ein Hund zu bellen. Fenster hätten nun aufgehen sollen, Menschen aus den Häusern stürzen, aber dafür war es offenbar der falsche Teil der Stadt.
Finn packte Summer am Arm. »Weg hier!«
Im nächsten Augenblick rannten sie die größere Querstraße entlang. Blitzartig überschlug Summer die Möglichkeiten. Die Leute, die in der Straße wohnten, hielten sich offenbar lieber raus, aber ganz in der Nähe war ein Hotel, das einen bewaffneten Wachmann bezahlte. Sie verlor fast das Gleichgewicht, als sie um die Ecke