Ashmadi - David Henry Wilson - E-Book

Ashmadi E-Book

David Henry Wilson

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Beschreibung

Die Ratte Robert ist ein nachdenkliches Geschöpf, das sich von Anfang an von dem Rest der Rattenfamilie unterscheidet. Durch Zufall macht Robert die Bekanntschaft Ashmadis, einer Küchenmagd, in die er sich verliebt. Als die gute Fee Mara, Ashmadis Patin, ihr hilft, zum Ball in den königlichen Palast zu fahren, verwandelt sie einen Kürbis in eine Kutsche und Robert in den Kutscher. Zwar wird er um Mitternacht wieder zur Ratte, aber die Rückverwandlung ist unvollständig, denn er hat anstelle der Rattensprache die menschliche Sprache behalten. Die anderen Ratten, mit denen er sich nicht mehr verständigen kann, stoßen ihn aus … Eine phantastische Mixtur aus Märchen, Fabel, Allegorie, Zeitkritik und Melodrama. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 264

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David Henry Wilson

Ashmadi

Roman

Aus dem Englischen von Annemarie Böll

FISCHER Digital

Mit sieben Federzeichnungen von Claus-Dietrich Hentschel

Inhalt

Die HauptpersonenFür LisbethPrologIIIIIIIVVVIVIIVIIIIXXXIXIIXIIIXIVXVXVIXVIIXVIIIXIXXXXXIXXIIXXIIIXXIVXXVXXVIXXVIIXXVIIIXXIXXXXXXXIXXXIIEpilog

Die Hauptpersonen

Robert

Ratte und Mensch, ein Wanderer zwischen den Welten

Ashmadi

Aschenputtel

Mara, die Lichtfrau

eine gute Fee

Der Prinz

Ashmadis Gatte

Dr. Richter

ein skeptischer Gelehrter

Jenkins

ein menschen- und rattenfreundlicher Gelehrter

Devlin

ein Revolutionär, der zum Tyrannen wird

John

Hauptmann der Palastwache

Fred Biggs

ein Rattendompteur

Dr. Erasmus

ein mitleidiger Arzt

Für Lisbeth

Prolog

Die folgende Geschichte wurde mir von einem Mann diktiert, der unter dem Namen Robert bekannt ist. Wie es kam, daß er sich in meiner Obhut befand, wird sich am Ende der Erzählung herausstellen, ich muß indessen betonen, daß ich, außer was die letzten Augenblicke betrifft, nicht in der Lage bin, für die Wahrheit der Ereignisse, die hier berichtet werden, zu garantieren. Wie Dr. Richter bin ich ein Mann der Wissenschaft und muß einen Sinn für Objektivität wahren. Indessen war ich vom Ernst und der Lauterkeit meines Patienten so beeindruckt, daß es mir nur recht und billig scheint, daß seine Geschichte bekannt wird, und ich veröffentliche sie, weil ich sie für ein bemerkenswertes und wertvolles Dokument halte, mag sie nun wahr oder erfunden sein.

 

Dr. J. Erasmus

I

Ich habe immer gewußt, daß ich irgendwie anders war. Es stimmt, ich sah genau aus wie meine Brüder und Schwestern, und von außen betrachtet, benahm ich mich, daran zweifle ich nicht, genau wie sie, aber im Innern wußte ich: Ich war ich, und auf der ganzen Welt gab es niemanden sonst, der so war wie ich.

Ich habe sechs Brüder und Schwestern – oder vielmehr, ich hatte sie, denn gewiß sind sie jetzt tot. Wir wohnten in den Abwasserkanälen unter der Market Street. Aus meiner frühen Kindheit ist mir nur die ständige Futtersuche in Erinnerung. Meine Eltern zeigten mir, wie man Mülltonnen plündert, sich durch Hindernisse hindurchnagt, bei dem Herannahen einer Gefahr zur Reglosigkeit erstarrt, angreift, wenn man in die Enge getrieben wird, kämpft, beißt und frißt, immerzu frißt. Hüte dich vor Katzen, hüte dich vor Hunden, und vor allem, hüte dich vor Menschen. Menschen, so sagte man mir, waren die Geißel der Erde.

»Kein Tier«, sagte mein Vater, »ist so zerstörerisch wie der Mensch. Erbarmungslos schlachtet er sein eigenes Geschlecht ab, erwarte daher von ihm kein Erbarmen. Er wird dich jagen, dir Fallen stellen, dich vergiften – aber wenn du klug bist, kannst du ihn überlisten und dich von ihm ernähren. Laß dich nie von ihm sehen. Und wenn er Futter für dich auslegt, so lauf davor weg, denn es würde dich töten. Vor Katzen und Hunden muß man sich fürchten, wenn man sie sieht, aber den Menschen muß man immer fürchten, ob er sichtbar oder unsichtbar ist. Der Fluß fließt schnell und ist gefährlich und wird dich augenblicklich verschlingen, aber wenn du die Wahl zwischen dem Menschen und dem Fluß hast, dann wähle den Fluß.«

Selbst als ich noch sehr jung war, erregten die Berichte über dieses Ungeheuer meine Einbildungskraft. Wie mußte der Mensch sein, um solche Macht zu besitzen? Würde ich selber jemals diese Macht zu Gesicht bekommen? Konnte er mich wirklich töten? In jenen Tagen konnte ich mir nicht vorstellen, daß ich sterben könnte, und der Tod war deshalb weit entfernt. Selbst jetzt kann ich nur schwer glauben, daß dieses Ich einmal verschwinden wird. Aber mein Vater sagte uns immer wieder, daß der Tod uns jeden Augenblick treffen könnte, und daß mit größter Wahrscheinlichkeit der Mensch es sein würde, der ihn herbeiführte. Eines Nachts kam er von der Futtersuche nicht mehr nach Hause. Wir wollten nach ihm suchen, aber meine Mutter hielt uns zurück.

»Wenn er nach Hause kommen kann«, sagte sie, »wird er es tun. Wenn er es nicht kann, so ist es besser für uns, wenn wir ihn nicht sehen.«

Nächte- und tagelang brannte ich darauf zu erfahren, was mit ihm geschehen war. Ich schäme mich zu sagen, daß der Grund dafür nicht nur Liebe und Sorge waren, wenn ich ihn auch wirklich vermißte. Nein, das Gefühl, das alles andere dabei überwog, war die Neugierde. Schließlich mußte ich die Frage stellen, die mir keine Ruhe ließ:

»Mutter, war es der Mensch, der meinen Vater getötet hat?«

Sie sah mich eine Weile an, als versuche sie, den Grund für meine Fragen zu erraten, dann sagte sie ganz leise:

»Ich weiß es nicht. Es kann auch eine Katze oder ein Hund gewesen sein. Aber ich glaube, nur der Mensch kann klug genug gewesen sein, um ihn zu fangen.«

Ich hätte mich fürchten müssen, aber ich tat es nicht. Immer wenn wir auf Jagd gingen, hoffte ich, den Menschen zu sehen. Aber wenn ein Mensch sich näherte, zwangen meine Angehörigen mich immer, mit ihnen davonzulaufen, wenn ich auch gern geblieben wäre. Wollte ich das wirklich? Vielleicht wollte nur ein Teil von mir bleiben.

Als ich heranwuchs, begann meine Mutter sich meinetwegen große Sorgen zu machen, und meine Brüder und Schwestern lachten immer über mich und nannten mich einen Träumer. Futter suchen, beißen, fressen, kämpfen – diese Dinge langweilten mich. Es gab auf der Welt ein Geschöpf, das tausend andere Dinge tun konnte, die mich und meine Gefährten klein und unbedeutend erscheinen ließen. Es hatte die Städte erbaut, von denen wir lebten, und war so in gewissem Sinne für uns ein Lebensspender, aber es konnte uns auch das Leben nehmen und tat dies häufig. Es war ehrfurchtgebietend. Es war seine Welt, in der ich zu sein wünschte.

Ich magerte ab. Niemand wußte, was er mit mir anfangen sollte. Einige sagten, es würde sich auswachsen, andere sagten, es sollte aus mir herausgeprügelt werden, und noch andere meinten, man solle mich in Ruhe lassen und abwarten, ob ich es überlebte. Aber ich achtete nicht auf sie. Denn sie verstanden mich nicht. Sie waren sie, und ich war ich, und ich war anders.

Eine Zeitlang weigerte ich mich sogar, den Kanal zu verlassen, denn der Anblick der großen Gebäude, die der Mensch errichtet hatte, beunruhigte mich und machte mich unzufrieden. Nie würde ich ihm gleich sein oder mich ihm anschließen können, daher zog ich es vor, mich zu verstecken. Ich wäre gewiß gestorben, wenn meine Mutter mich nicht gefüttert und umsorgt hätte. Aber dann sah ich selber ein, daß es so nicht weitergehen konnte. Ich wälzte und wälzte in meinem Gehirn die Gedanken, bis eine neue Vision zum Durchbruch kam und neue Möglichkeiten sichtbar wurden.

Ich schloß mich meiner Familie wieder an, und besonders meine Mutter war überglücklich, zu sehen, wie ich mit den andern jagte und grub und herumschnüffelte. Sie dachte, ich wäre krank gewesen und wieder gesund geworden. Vielleicht immer noch sonderbar, aber doch gesund. Mein Fell wurde glatter, mein Körper strammer. Äußerlich war ich wieder wie alle andern – aber innerlich, verborgen hinter den Wänden meines Schädels, plante ich, bereitete mich vor. Immer wieder fragte ich: »Wie fängt der Mensch uns, wie tötet er uns? Was sind seine Schliche?« Und die Antworten kamen von denen, die mehr Erfahrung hatten als ich – Antworten, die ich in meinem Kopf hortete. Ich hörte von den Giften, die der Mensch auslegte, von seinen Gewehren und seinen Fallen, vor allem von seinen Fallen. Immer wieder stellte ich Fragen, die die Fallen betrafen. Und niemand kam auf den Verdacht, warum ich dies tat. Alle dachten, ich hätte Angst.

Die Menschen stellen verschiedene Arten von Fallen her, und sie erfinden immer wieder neue, aber sie arbeiten alle nach einem Grundprinzip: Das Opfer wird mit Futter angelockt und dann entweder getötet oder lebendig gefangen. Der Rat meines Vaters wegen des Futters, das ausgelegt wurde, war vernünftig: Je leichter man es fand, desto näher war die Falle. Es liegt etwas Teuflisches in diesem Prinzip. Aber was ich mir vor allem einprägen mußte, war der sichtbare Unterschied zwischen den Fallen, die töten und denen, in denen man lebendig gefangen wird. Erst wenn ich die beiden unterscheiden konnte, durfte ich handeln. Glücklicherweise gab es viele ehrwürdige Seelen, die bereit waren, mich zu unterrichten, und da meine Neugier allgemein bekannt geworden war, zeigte man mir viele Beispiele. Der Anblick eines Mitgeschöpfs, dessen Rückgrat gebrochen oder das von der Stahlfeder zu einer blutigen Masse zerquetscht worden war, flößte mir Angst ein. Diese Fallen mußte ich um jeden Preis vermeiden. Aber die Falle, die das Opfer lebend fing, war etwas ganz anderes: Es war ein Käfig, und wenn das Opfer hineinging, um sich den Köder zu holen, fiel eine kleine Tür herunter, so daß es von allen Seiten eingeschlossen war. Einmal blieb ich zum Entsetzen meiner Familie und meiner Freunde zurück, um zu beobachten, was mit einem solchen Opfer geschehen würde. Ich versteckte mich und verhielt mich ganz still, und am frühen Morgen (denn ich machte meine Erkundungsgänge bei Nacht) kam ein Mann in einem weißen Mantel und hob die Falle auf. Ich folgte ihm die Straße hinunter und sah, wie er noch zwei oder drei andere Fallen aufhob. Dann kletterte er in eine Kutsche, und ich konnte ihm nicht weiter folgen.

Er hatte etwas Zielstrebiges an sich, das ihn mir verdächtig machte. Aber es war klar: Er hätte keine solche Falle benutzt, wenn er keinen besonderen Grund dazu gehabt hätte, und dieser Grund mußte mit allen Fallen dieser Art zusammenhängen. Aber was für ein Grund war das? Eins war sicher: Ich wäre nicht gern von diesem Mann mitgenommen worden. Es genügte also nicht, die Falle zu kennen. Man mußte auch den Eigentümer der Falle kennen.

Ich begann meine Futtersuche immer weiter auszudehnen. Manchmal lief ich so weit, daß ich nicht vor Tagesanbruch zum Nest zurückkehren konnte. Dann versteckte ich mich in einem Loch oder einer dunklen Ecke, bis es Abend wurde. Besonders meiner Mutter bereitete meine Abwesenheit zu Anfang Sorge. Aber wie es mit allen Unternehmungen so ist, je häufiger sie vorkommen, desto weniger Unruhe verursachen sie. Wahrscheinlich riefen meine Ausflüge schließlich nur noch ein Schulterzucken hervor.

Wonach war ich auf der Jagd? Ich wußte nur eins: Wenn ich es fand, würde ich es erkennen.

Meine Suche dauerte Monate. Systematisch durchforschte ich jedes Haus in jeder Straße, suchte die Umgebung unseres Kanals nach allen Richtungen hin ab. Später setzte ich diese Suche von den Punkten aus, die ich vorher schon erreicht hatte, fort. Sorgfältig prägte ich meinem Gedächtnis den Standort einer jeden Falle ein, und wenn ich die richtige Falle wiedergefunden hatte, wartete ich auf den Eigentümer und beobachtete sein Gesicht und seine Bewegungen. Aber in meinem Herzen wußte ich, daß diese Bemühungen unnötig waren.

Meine Suche fand an einem Sommerabend ihr Ende. Ich hatte mich in die Spülküche eines großen alten Hauses geschlichen, das in einigem Abstand von der Straße hinter einem Gitter und einem schmiedeeisernen Tor lag. Das Haus machte einen düsteren Eindruck, und ich betrat es ohne Hoffnung auf Erfolg. Hätte ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht, jede Möglichkeit zu prüfen, würde ich diesen trostlosen Ort bestimmt übergangen haben, aber so trat ich ein, wobei ich mich immer dicht an den Wänden und den Fußleisten hielt. Die Fallen wurden gewöhnlich in den Spülküchen ausgelegt, und diese fand ich ohne viel Mühe. Die Sauberkeit des Raumes überraschte mich, und noch mehr überraschte mich die Falle, die neben der Speisekammertür aufgestellt war. Es war ein Käfig, in dem sich das Opfer fing, ohne verletzt zu werden.

Ich starrte diese Falle an, und es kam mir der Gedanke, wie wenig sie mit der finsteren Feindseligkeit des Hauses in Einklang zu stehen schien. Da öffnete sich die Tür, und in diesem Augenblick sah ich das vor mir, was ich gesucht hatte.

II

Ein Mädchen trat in die Spülküche. Es weinte, und ich beobachtete, wie es sich an den Tisch setzte und den Kopf in die Hände stützte. Nun ist es für gewöhnlich schwierig, menschliche Wesen voneinander zu unterscheiden, aber ich hatte auf den ersten Blick nicht nur erkannt, daß es sich um ein weibliches Wesen handelte, sondern auch, daß es eine Sanftmut ausstrahlte, wie sie bei ihrer Gattung ebensowohl wie bei der meinen nur zu selten vorkommt. Die junge Frau weinte still vor sich hin, und ich sah tatsächlich, wie ein paar Tränen ihr durch die Finger rannen und auf das Holz des Tisches fielen. Ich hätte sie so gern getröstet, aber wie konnte ich das?

Nach einer Weile hörte sie auf zu weinen, trocknete sich die Augen mit einem winzigen Spitzentüchlein und fing an, Gemüse zu putzen. Sie hatte langes blondes Haar, das ihr auf die Schultern fiel, und ihre Augen waren blau, und in ihren Bewegungen war eine Anmut, wie ich sie oft bei Katzen bewundert habe, aber niemals bei Menschen. Von Zeit zu Zeit seufzte sie, aber sonst arbeitete sie, ohne ein Geräusch zu machen.

Plötzlich wurde die Tür der Spülküche aufgerissen, und zwei weitere menschliche Wesen kamen herein. Das eine von ihnen sprach mit lauter, harter Stimme zu dem Mädchen, und als dieses sich umwandte, konnte ich sogar den Kummer auf seinem Gesicht erkennen. Was diese beiden zu ihm sagten, weiß ich nicht, da ich kein Wort der menschlichen Sprache verstand, aber der Ton ließ deutlich erkennen, daß sie es beschimpften, und das Mädchen fing wieder an zu weinen. Doch als es antwortete, stellte ich fest, daß seine Stimme sanft war und melodisch. Seltsamerweise erinnerte sie mich an meine Mutter.

Der Anblick dieser beiden Ungeheuer ließ mich einen Augenblick lang daran zweifeln, ob mein Instinkt mich richtig geleitet hatte und dies wirklich der Ort für mich war. Indessen war es offensichtlich, daß diese hochmütigen Geschöpfe sich nie dazu herablassen würden, sich um eine Falle zu kümmern, und tatsächlich verließen sie die Küche, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Nein, die Falle fiel bestimmt unter die Zuständigkeit des Mädchens, und bei ihm würde ich so sicher sein, wie man es in menschlichen Händen nur sein konnte.

Ich wartete, bis das Mädchen nach draußen gegangen war, dann verließ ich die Küche und rannte nach Hause.

Als ich meiner Mutter erklärte, was ich vor hatte (und ich mußte es ihr erklären, weil ich sie möglicherweise nie mehr wiedersehen würde), war sie sehr unglücklich.

»Man wird dich töten«, sagte sie.

»Nein, das glaube ich nicht«, sagte ich. »Das Mädchen scheint freundlich und sanft. Ich glaube nicht, daß es irgendein Wesen töten würde.«

»Aber warum willst du es tun?« fragte meine Mutter. »Es ist Wahnsinn! Du kannst dich ihnen nicht anschließen. Du kannst nicht einer von ihnen werden. Wenn du sie beobachten willst, warum tust du es dann nicht aus einem sicheren Versteck?«

»Das genügt mir nicht«, sagte ich. »Ich will ihre Macht kennen lernen. Wie kann ich das, wenn ich ihnen nicht die Gelegenheit gebe, sie mir zu zeigen?«

»Sie werden dir zeigen, wie sie dich töten!« rief meine Mutter.

»Das kann ich dir sagen. Mit einem Messer, einer Axt oder einem Hund. Ich hatte gedacht, du wärst von diesem Unsinn geheilt. Warum kannst du nicht mit uns andern zusammen ein normales Leben leben?«

»Hör mir zu, Mutter«, sagte ich. »Ich habe alles gesehen, was ein normales Leben mir bieten kann. Noch bevor ich ganz erwachsen war, hatte ich schon alles erfahren, was ein normales Leben bieten kann, und das genügt mir nicht!«

»Du hast noch keine Familie großgezogen«, rief sie. »Du hast noch kein eigenes Nest gebaut!«

»Aber ich habe in einer Familie gelebt«, sagte ich. »In einer glücklichen Familie. Aber du weißt, was mit dem Vater dieser Familie geschehen ist. Er ist verschwunden. Warum? Weißt du es? Werden wir es je wissen? Das Schicksal meines Vaters ist das einzige Geheimnis in unserem Leben. Vielleicht ist er jetzt in einem Paradies! Vielleicht ist er nicht zurückgekommen, weil er eine neue Welt entdeckt hat. Was sonst könnte geschehen sein? Er wurde getötet. Nun, wenn er getötet wurde, so war das schließlich das einzige, worauf sein Leben hinauslaufen konnte. Jagen, Futter suchen, Kinder in die Welt setzen und irgendwie sterben. Das ist nicht das, was ich will.«

»Du weißt nicht, was du willst«, sagte sie.

»Die Chance«, sagte ich, »die Chance zu etwas Besserem.«

»Es gibt nichts Besseres«, sagte sie.

»Gerade das muß ich herausfinden.«

Sie merkte, daß ich entschlossen war, aber sie konnte mich nicht verstehen, und es war sinnlos, daß ich immer wieder versuchte, es ihr zu erklären. Ich nahm Abschied von ihr. Meine Mutter sah mir lange nach, als ich ging, und obgleich sie mir leid tat, war ich frohgemut und erleichtert, als sie mich nicht mehr sehen konnte. Ich hatte das Gefühl, auf dem Weg zu einer Entdeckung zu sein, die meinem ganzen Leben einen neuen Sinn geben würde. Wenn ich getötet wurde … aber nein, ich hatte nicht das Gefühl, daß ich sterben würde. In der Gegenwart dieses Mädchens hatte ich nur das Gefühl von Leben gehabt. Aber was würde es tun?

Ich muß gestehen, daß sich, während ich durch die Straßen huschte, Zweifel meldeten. Wenn nun meine Mutter doch recht hatte? Was konnte dieses Mädchen tun? Vielleicht war das Leben meiner Mutter das beste und auch das einzige Leben, das wir führen konnten, und das Mädchen würde keine andere Wahl haben, als mich zu töten oder mich zurückzuschicken. Warum dann sollte ich mich in diese Gefahr begeben?

Aber wenn es das einzige Leben ist, so verteidigte ich mich vor mir selbst, und dieses mir nicht genügt, dann hält die Zukunft für mich nur das Unglück bereit. Eine Chance, eine Chance, ich muß mir selbst eine Chance geben.

Und so lief ich weiter, bis ich das düstere Haus hinter dem Tor und dem Gitter erreicht hatte. Schnell hatte ich den Weg in die Spülküche gefunden. Niemand war dort. Aber in der Ecke neben der Tür zur Speisekammer stand die Falle noch so, wie ich sie verlassen hatte. Hinten darin lag ein Stückchen Speck. Einen Augenblick lang bedauerte ich, daß man mich für ein so dummes Tier halten konnte, denn die Gefahr war auch für ein ganz ungeübtes Auge offensichtlich. Aber dieses Aufflammen von Eitelkeit unterdrückte ich sofort wieder. Ich trat in die Falle hinein, ging auf den Speck zu und stieß mit meiner Schnauze daran, denn zum Fressen war ich viel zu aufgeregt. Sofort hörte ich hinter mir ein lautes Klicken. Ich wandte mich um und sah, daß die Tür zugeschnappt war und ich fest in der Falle saß. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Eine Zeitlang geschah gar nichts. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, vielleicht, daß eine Glocke anschlug und das Mädchen hereinstürzte; daß das Haus erbebte. Jedenfalls nicht diese Stille. Ich glaube, meine eigene Welt drohte zu zerspringen, und ich erwartete, daß die Außenwelt darauf antwortete. Aber als einige Zeit vergangen war und meine Glieder aufgehört hatten zu zittern, schaffte ich es sogar, etwas von dem Speck zu fressen. Dann schnüffelte ich in allen Ecken des Käfigs herum, um festzustellen, ob es lose Gitterstäbe gab. Nicht daß ich hätte entfliehen wollen. Ich mußte mich nur unbedingt beschäftigen. Die Stäbe waren nicht lose, und als ich alle geprüft hatte, stand ich wieder vor dem gleichen Problem – ich mußte die Wartezeit ausfüllen. Auf keinen Fall wollte ich nachdenken, und die einzige Art, wie man Nachdenken verhindern kann, ist schlafen oder etwas tun, und beides war mir nicht möglich. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den Raum, in dem ich mich befand, betrachtete abwechselnd die Schränke, den Tisch, den Ausguß … Es war töricht gewesen, so früh in die Falle zu gehen. Ich hätte meine Untersuchungen fortsetzen können, bis das Mädchen kam – dann hätte ich mich gefangen geben können. Warum hatte ich es jetzt schon getan? Vielleicht war das Mädchen gar nicht im Haus. Vielleicht waren nur die beiden anderen menschlichen Wesen da, und eins von ihnen konnte hereinkommen, mich sehen, und … verrückt, verrückt.

Was war das? Geräusche. Ja, im Haus waren deutlich Geräusche zu hören. Eine dieser harten Stimmen rief. Sie waren da. Jetzt wurde die Stimme noch lauter, sie kam nicht näher, klang aber wütender. Schritte … aber sie kamen nicht auf die Spülküche zu. Die Treppe hinauf. Leise antwortete die klangvolle Stimme der scharfen … zwei scharfe Stimmen, beide gleichzeitig. Ich hätte aus der Falle herausbleiben sollen. Dann hätte ich sehen können, was vor sich ging. Noch mehr Schritte, mehr Geschrei. Warum durften diese harten Geschöpfe über das sanfte herrschen? Daheim in unserem Kanal hatte niemand seinesgleichen beherrscht … Nein, das stimmte nicht. Einige waren stärker als andere. Einige setzten sich durch. Aber niemand befahl. Diese beiden Ungeheuer befahlen dem sanften Mädchen. Wer regierte dann die Welt? War der Mensch selbst eine gespaltene Rasse?

Ich hätte soviel mehr erfahren können, hätte ich nur Geduld gehabt. Ich hätte ungesehen in diesem Haus leben und das menschliche Verhalten beobachten können. Meine Mutter hatte es gesagt: Versteck dich in einer Ecke und beobachte. Aber ich hatte die Macht spüren wollen. Ist es ein Fehler der Jugend, daß sie alles will, nie nur einen Teil? Jetzt, da ich älter und von einer zweifelhaften Klugheit, einer zweifelhaften Vorsicht bin, neige ich dazu zu glauben, daß eine solche Unbesonnenheit weder ein Fehler noch eine Stärke ist. Sie ist nur sie selbst und kann gleichermaßen zum Untergang wie zum Triumph führen. Die Jungen sind töricht, wenn sie versagen, und heldenhaft, wenn sie Erfolg haben. Wir, die wir alt und vorsichtig geworden sind, erleben beides nicht mehr, und unser Leben ist leer.

Aber damals verfluchte ich mein überstürztes Handeln. Ich hätte gern gewußt, was draußen geschah, und ich hatte mich selbst eingeschlossen. Ich rüttelte an den Gitterstäben, aber sie gaben nicht nach! Dann war plötzlich von weitem Klappern und Rattern zu hören. Von oben kamen durchdringende Schreie, dann trappelten eilige Schritte die Treppe hinunter. Dieses Klappern und Rattern hatte ich früher schon in den Straßen gehört. Eine Kutsche mit Pferden davor. Jetzt wurde an der Haustür geklopft. Wieder Stimmen. Scharf, scharf. Das Knallen der Tür … was ging da vor? Ein Klappern, Rattern, das sich entfernte – die Kutsche fuhr davon. Ich lauschte angespannt: Das Geräusch erstarb. Waren sie alle weg? Gewiß waren die Ungeheuer weg, aber was war mit dem Mädchen?

»Laß sie jetzt hereinkommen, während sie weg sind«, sagte ich.

»Komm herein, komm herein!«

Eine Tür schloß sich. Es war also noch jemand da. Aber niemand kam in die Spülküche. Horch, horch! War dieser Laut ein Schluchzen? Ich war nicht sicher. Seltsam. Es war, als schiene das Licht durch die Ritzen der Tür – aber weder eine Lampe noch eine Kerze gaben ein solches Licht. Ich rieb mir die Augen. Es war immer noch da, aber es bewegte sich. Und jetzt wieder Stimmen: eine sanfte Stimme, und eine andere, ebenso klangvolle, die ich aber zuvor noch nicht gehört hatte. Wer sonst war denn noch im Haus? Oh, sie war so freundlich, diese neue Stimme, so beruhigend und so fürsorglich und liebevoll. Meine Eltern hatten unrecht gehabt: Die Menschen waren keine Ungeheuer, wenn sie so sprechen konnten. Aber vielleicht waren sie wie wir: Einige waren gut und einige schlecht, einige freundlich und einige grausam. Ich hätte gern das Gesicht dieses Wesens mit der liebevollen Stimme gesehen. Und das Licht? Woher kam dieses Licht, das durch die Tür hindurchdrang und sogar einen entfernten Raum mit seinem Glanz erfüllte? Ich wollte mit aller Macht, daß sie hereinkamen, aber statt dessen entfernten sich die Stimmen. War das die Haustür, die sich da öffnete?

Plötzlich kamen eilige Schritte auf die Spülküche zu. Starr vor Erwartung drückte ich mich an die Gitterstäbe. Die Tür ging auf, und das Mädchen kam herein.

»Hier bin ich«, rief ich, »hier in der Ecke!«

Aber es beachtete mich nicht. Statt dessen öffnete das Mädchen die Tür zum Garten und lief hinaus. Einen Augenblick später kam es zurück, eine große runde Frucht in der Hand. Ich hatte solche Früchte schon früher gesehen, hatte aber ihren Namen nie erfahren. Das Mädchen trug die Frucht wieder zur Küchentür hinaus, und wieder hörte ich die liebevolle Stimme. Die Küchentür stand jetzt offen, und gewiß war auch die Haustür offen, da die Stimmen jetzt deutlicher zu hören waren. Das Mädchen schien plötzlich den Atem anzuhalten, so als habe es etwas Überraschendes erblickt. Dann sprach wieder die liebevolle Stimme, und wieder kamen eilige Schritte auf mich zu.

»Ich bin in der Ecke«, schrie ich. »Schau her, schau hierher!«

Das Mädchen kam ganz nah, so nah, daß es den Käfig beinah mit seinem nackten Fuß berührte, aber es sah mich immer noch nicht. Statt dessen öffnete es die Tür der Speisekammer und verschwand nach drinnen. Dann kam es wieder mit einer Falle heraus, die doppelt so groß war wie meine, und darin waren sechs weiße Mäuse, die erschrocken quiekten. Das Mädchen sprach freundlich auf sie ein, aber sie waren zu dumm oder so in Panik, daß sie es gar nicht merkten. »Laß uns raus!« kreischten sie. »Rette uns! Hilf uns!« Ich hätte sie angeschrien, wäre das Mädchen nicht hinausgegangen, bevor ich es mir überlegen konnte, was ich schreien sollte. Dann wieder Stimmen, wieder dieses überraschte nach Luft Ringen. Da draußen mußte etwas Erstaunliches vor sich gehen, und ich verfluchte diese Mäuse, die daran teilnahmen, während ich hier in meiner Ecke gefangensaß und mich danach sehnte, daß man mich fand.

Die liebevolle Stimme sprach wieder. Die Schritte kamen eilig näher. War es diesmal soweit? Oh, komm, komm, komm! Und sie kam. Direkt in meine Ecke, direkt zu meinem Käfig. Sie hob mich mit der Falle auf, und einen Augenblick lang schauten wir einander an. Eine solche Bläue habe ich nur am strahlendsten Sommerhimmel gesehen. Wieder erklang die sanfte Stimme, so als wolle sie mich beruhigen. Aber ich hatte keine Angst. Ich zitterte am ganzen Körper, aber vor Aufregung, nicht vor Angst. Und sie brachte mich aus der Spülküche hinaus und trug mich durch einen dunklen Flur. Die Haustür stand tatsächlich offen, und davor erstrahlte das Licht, das bis in die Spülküche hinein geleuchtet hatte. Was auch immer sich vor dieser Tür befand, es würde mich in die neue Welt bringen, die ich gesucht hatte.

III

Der Anblick, der sich mir bot, war atemberaubend: Vor dem Haus stand eine Kutsche aus purem Gold, und sechs Pferde von reinem Weiß waren davorgespannt. Neben der Kutsche stand, von Licht umflossen, ein menschliches, weibliches Wesen. Ich hätte nicht sagen können, ob diese Frau jung oder alt war, ich wußte nur: Dies war das schönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte. Das Licht allein erfüllte mich mit Frieden und Liebe, und wenn sie etwas murmelte, so war es, als flösse ihre Stimme über mich und mache mich rein. In der Hand hielt sie einen kleinen Stock, an dessen Spitze sich ein Stern befand, und ich weiß noch, als sie auf mich zukam, dachte ich, dieser Stock würde mich vielleicht töten. Und ich wünschte getötet zu werden. Wie kann ich das erklären? In ihrer Gegenwart erlebte ich Vollkommenheit, und ich wollte, es würde nie zu Ende sein. Zu sterben war die einzige Möglichkeit, um diesen Augenblick festzuhalten.

Aber ich sollte nicht sterben. Statt dessen berührte sie mich mit dem Stab, und sofort spürte ich, wie ich in die Höhe wuchs und anschwoll. Es war, als würde ich gespalten, und ein neues Ich träte aus mir heraus – ein Wesen, das unendlich viel größer und stärker war.

»Das hätten wir«, sagte die Lichtfrau. »Jetzt hast du eine Kutsche, Pferde und einen Kutscher, der dich zum Ball bringen wird.«

Ich blickte sie erstaunt an. Sie hatte gesprochen, und ich hatte sie verstanden! Ich verstand ihre Sprache!

»Danke, liebe Mara«, sagte das Mädchen. »Aber in diesen Lumpen kann ich nicht gehen.«

»Natürlich nicht«, sagte die Lichtfrau. »Da!«

Dann berührte sie das Mädchen mit dem Stab, und die Lumpen verwandelten sich in Seide und Juwelen.

»Aus der Küchenmagd ist eine Prinzessin geworden«, sagte die Lichtfrau. »Und nun kannst du zum Ball gehen.«

Das Mädchen war wirklich zur Prinzessin geworden. Und ich? Ich sah an meinem Körper herunter, der in einer prächtigen Uniform mit goldenen Knöpfen steckte. An den Füßen hatte ich glänzende schwarze Stiefel. Ich stand auf zwei Beinen, ich war größer als das Mädchen, in der Hand hielt ich eine Peitsche, und in meinen Ohren klangen Worte, menschliche Worte, die ich verstehen und sogar sprechen konnte.

»Höre«, sagte die Lichtfrau. »Laß dich warnen. Du mußt den Ball vor Mitternacht verlassen. Denn beim letzten Schlag der zwölften Stunde bist du wieder die Küchenmagd, und all dies wird sein, was es gewesen ist. Vergiß das nicht, Ashmadi.«

»Ich werde es nicht vergessen, liebe Mara«, sagte das Mädchen.

»Und hab Dank, vielen Dank.«

»Robert.« Die Lichtfrau wandte sich an mich. »Fahre Ashmadi zum Ball.«

»Ja, gnädige Frau«, sagte ich. »Aber ich kenne den Weg nicht.«

»Die Pferde werden dich hinbringen«, sagte sie.

Ich half Ashmadi in die Kutsche und schwang mich dann auf den Kutschbock. Ich hatte schon viele Kutscher gesehen und wußte, was sie taten. Ich nahm die Zügel in meine Hand und rief den Pferden zu: »Hü! Zum Ball! Hü, Hott!«

Und los ging’s. Durch das offene Gittertor und mit Gerumpel und Getrappel über das Kopfsteinpflaster der Straße. Die Leute drehten sich nach uns um. Wir mußten einen herrlichen Anblick bieten: eine goldene Kutsche, von sechs weißen Pferden gezogen, gelenkt von einem prächtigen Kutscher in purpur-schwarz-goldener Uniform. Ich spähte immer wieder in schattige Ecken, in der Hoffnung, meine Brüder oder Schwestern zu sehen, aber entweder ließen sie sich nicht blicken, oder meine menschlichen Augen waren nicht scharf genug, sie zu erkennen. Immer weiter ging’s, durch eine Straße nach der andern, bis wir plötzlich über eine Brücke donnerten. Hier war ich nie zuvor gewesen. Unter uns war der Fluß, den mein Vater gefürchtet hatte, und selbst in diesem Dämmerlicht konnte ich das schnell fließende Wasser glitzern sehen. Dann galoppierten wir eine breite Allee entlang, und bald kam das großartigste Gebäude in Sicht, das man sich vorstellen kann. Es hatte weiße Mauern und Türme, und eine breite, steinerne Freitreppe führte zu einem goldenen Tor. »Der Palast des Prinzen«, murmelte ich vor mich hin.

Vor dem Palast standen Dutzende von Kutschen, und von innen drangen die Klänge der Musik – fröhliche Rhythmen, die zum Tanz verlockten.

Wir hielten am Fuß der Treppe, und zwei Diener kamen zum Kutschenschlag geeilt und halfen Ashmadi beim Aussteigen. Ich sah, wie sie anmutig den Fuß vom Trittbrett auf den Boden setzte, dann kam sie nach vorn und schaute zu mir auf. Wieder sah ich das Blau ihrer Augen, die vor Erwartung strahlten.

»Ich danke dir, Robert«, sagte sie. »Wirst du auf mich warten?«

»Ja, gnädiges Fräulein«, sagte ich.

Ashmadi lächelte mir zu, dann schritt sie, fast schon tanzend, die Stufen empor und durch das goldene Tor hindurch.

»Bringen Sie bitte die Kutsche dort hinüber«, sagte einer der Diener und wies auf eine Lücke zwischen zwei anderen Kutschen.

Ich fuhr in die Lücke hinein und stellte dort den Wagen ab.

»Das ist vielleicht eine Kutsche, die du da hast«, sagte eine tiefe rauhe Stimme. Ich drehte mich nach dem Eigentümer der Stimme um – einem großen, rotgesichtigen Mann auf dem Kutschbock des Wagens zu meiner Rechten. »Ich bin Jack«, sagte er. »So eine Kutsche habe ich noch nie gesehen – nicht einmal der Wagen des Prinzen kann sich damit messen.«

»Nein, es ist auch eine besondere Kutsche«, sagte ich.

»Hab sie noch nie gesehen, und dich auch nicht«, sagte Jack.

»Nein, wir sind von auswärts«, sagte ich.

»Aber einen Namen hast du doch?«

»Robert.«

»Freut mich, Robert.«

Er beugte sich zu mir, und wir schüttelten uns die Hand.

»Nein«, sagte er. »Hier in der Gegend werden solche Kutschen nicht gebaut. Darf ich sie mir mal ansehen?«

»Aber gewiß«, sagte ich.