Assistierter Suizid aus Sicht der Pflege - Angelika Feichtner - E-Book

Assistierter Suizid aus Sicht der Pflege E-Book

Angelika Feichtner

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Beschreibung

Seit 2022 ist die Beihilfe zum Suizid auch in Österreich legal. Der assistierte Suizid stellt nicht nur eine rechtliche, ethische und medizinische Herausforderung dar, sondern auch eine pflegerische. In allen Ländern, in denen Suizidassistenz legalisiert wurde, sind Pflegende in unterschiedlicher Weise in assistierte Suizide involviert. In diesem Buch wird der assistierte Suizid aus Sicht der Pflege beleuchtet und es werden die Hintergründe der Suizidassistenz und internationale praktische Erfahrungen beschrieben.

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Angelika Feichtner

Assistierter Suizid aus Sicht der Pflege

Angelika Feichtner, MSc

Diplom in Palliative Care der International School of Cancer Care in Oxford, langjährige Pflege- und Lehrpraxis im Bereich von Palliative Care und Hospizarbeit.

Eine geschlechtergerechte Schreibweise wird in diesem Buch vorwiegend durch die Verwendung der Schreibung mit Stern * realisiert. Ist eine korrekte, alle Endungen berücksichtigende Schreibung auf diese Weise nicht möglich oder erfordert sie Ergänzungen, die den Lesefluss hemmen, so wird – stellvertretend für beide Geschlechter – die männliche Form gewählt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Buch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr,

eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung

sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

1. Auflage 2022

Copyright © 2022 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Verlag, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich

Umschlagbild: © itthinksky, Close-up of frosty leaves, istockphoto.com

Lektorat: Laura Hödl

Satz: Wandl Multimedia-Agentur, Groß Weikersdorf

Druck und Bindung: Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Printed in Austria

ISBN 978-3-7089-2213-3

E-ISBN 978-3-99111-538-0

Inhaltsverzeichnis

1Assistierter Suizid aus Sicht der Pflege

1.1Entwicklung in Österreich

1.2Definition und Begriffe

1.3Phänomenologie der Sterbe- und Suizidwünsche

1.3.1Mögliche Hintergründe von Sterbe- und Suizidwünschen

1.3.2Vorübergehender oder anhaltender Sterbewunsch

1.3.3Umgang mit Sterbewünschen

1.3.4Vier Schritte bei der Mitteilung eines Sterbe- oder Suizidwunsches

1.3.5Praktische Empfehlungen für Gespräche über Sterbe- und Suizidwünsche

1.4Suizidalität

1.4.1Daran denken, danach fragen, darüber sprechen

2Der assistierte Suizid

2.1Definition – Assistenz: Was beinhaltet Hilfe beim Suizid?

2.2Die Sterbeverfügung

2.2.1Ablauf eines assistierten Suizids im Überblick laut Sterbeverfügungsgesetz

2.2.2Willensfreiheit und Entscheidungsfähigkeit

2.2.3Selbstbestimmung

2.3Die Frage der Würde

2.4Der Einfluss des Bindungsverhaltens

2.5Das Suizidmittel

2.5.1Natrium-Pentobarbital

2.5.2Alternative Mittel für den assistierten Suizid

2.6Auswirkungen des assistierten Suizids auf die professionelle Pflege

2.7Die Bedeutung der eigenen Position

2.8Leiden

2.8.1Unerträgliches Leiden

2.9Assistierter Suizid – Das Erleben der Angehörigen

2.9.1Ein guter Tod?

2.9.2Sterben nach Plan

2.9.3Die Trauer nach einem assistierten Suizid

3Beispiele internationaler Praxis der Suizidassistenz

3.1Assistierter Suizid und MAiD in Kanada

3.1.1Voraussetzungen für die Zulassung zu MAiD

3.1.2Durchführung von MAiD und Suizidassistenz

3.1.3Kontrolle und Verhinderung von Missbrauch

3.2Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen in den Niederlanden

3.2.1Voraussetzungen für Zulassung zu assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen

3.2.2Tötung von Neugeborenen und Säuglingen

3.2.3Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen bei Demenz

3.2.4Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen aufgrund von Leiden am Leben

3.2.5Lastwillpill als Lösung?

3.2.6Das Expertisezentrum Euthanasie

3.2.7Die Praxis

3.3Assistierter Suizid in der Schweiz

3.3.1Aufgaben der Ärzt*innen und Pflegepersonen beim assistierten Suizid

3.3.2Durchführung des assistierten Suizides

3.3.3Transparenz und Kontrolle

3.3.4Der Altersfreitod

4Assistierter Suizid und Ökonomie

5Mögliche künftige Entwicklungen

5.1Assistierter Suizid bei Demenz

5.2Assistierter Suizid bei Strafgefangenen

5.3Organ- und Gewebetransplantation nach assistiertem Suizid

5.4Auseinandersetzung mit den Vorstellungen vom guten Sterben

6Alternativen zum assistierten Suizid

6.1Therapiebegrenzung

6.2Palliative Sedierung als Alternative zur Suizidassistenz?

6.3Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit – Eine Alternative zum assistierten Suizid?

6.3.1Der FVNF – Keine Alternative für alle Suizidwilligen

6.4Palliative Care und assistierter Suizid – Ein Widerspruch?

7Perspektiven

Literaturverzeichnis

Verwendete Abkürzungen

1Assistierter Suizid aus Sicht der Pflege

In den letzten 20 Jahren zeigte sich ein deutlicher Wandel in der gesellschaftlichen Einstellung zum Tod, insbesondere, was die Zeit des Sterbens betrifft. Während dem Sterbeprozess in der Pflege zunehmend mehr Aufmerksamkeit zukommt, besteht in der Gesellschaft allgemein die Haltung, dass diese Phase des Lebens am besten nicht bewusst erlebt oder sogar abgekürzt werden sollte. Das Wissen um die Bedeutung dieser letzten Lebenszeit scheint verloren gegangen zu sein.

Hinzu kommen eine zunehmende Liberalisierung und die Ausweitung der individuellen Rechte, die Forderung nach mehr Selbstbestimmung und Autonomie bis hin zur Entscheidung, wann und wo der Tod eintritt. Die Vorstellungen eines „guten“ Todes haben sich verändert. Es gilt nicht länger der Wunsch nach einer guten Sterbestunde, für viele Menschen im westlichen Kulturkreis ist ein guter Tod heute ein selbstbestimmter Tod. Für moderne Menschen scheint das „Geschehen-Lassen“, im Sinne des sich Einlassens auf das, was im Sterben geschieht, keine Option zu sein. Die unterschiedlichen Vorstellungen von einem erstrebenswerten Sterben sind jedoch ebenso zu respektieren wie die individuellen Vorstellungen von einem guten Leben. Die Bedingungen des Lebens und auch des Sterbens sind eng mit den Konzepten von Würde verbunden. Auch diesbezüglich bestehen unterschiedliche Haltungen zu dem, was als würdig oder unwürdig wahrgenommen wird.

Mit der Phrase vom „würdigen“, weil selbstbestimmten Sterben wird jedoch impliziert, dass ein Sterben aufgrund einer schweren Erkrankung, verbunden mit Pflegebedürftigkeit und Angewiesenheit, an sich schon eine Verletzung der individuellen Würde darstellt. Das weist auch darauf hin, dass Würde in unserer Gesellschaft eng an Selbstständigkeit, Leistungsfähigkeit und Autonomie geknüpft ist.

Angewiesenheit auf die Unterstützung anderer ist jedoch ein Wesensmerkmal des Menschen. Besonders am Beginn und am Ende unseres Lebens sind wir auf die Hilfe und Fürsorge anderer angewiesen. Diese dem Menschsein immanente Angewiesenheit als Würdeverlust zu werten, ist nur schwer nachzuvollziehen. Denn implizit würde damit allen pflegebedürftigen und schwerkranken Menschen die Würde abgesprochen werden.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Debatte über den assistierten Suizid im Spiegel dieses derzeit herrschenden Würdekonzeptes des gesunden, selbstständigen und unabhängigen Menschen zu sehen. Es wird vermittelt, dass die Entscheidung zu einem assistierten Suizid auf rationalen Überlegungen beruht. Dabei bleibt meist unberücksichtigt, dass jedem Sterbe- und Suizidwunsch tiefe Ängste zugrunde liegen. Es ist vor allem die Angst vor Kontrollverlust, davor, auf die Unterstützung anderer angewiesen zu sein und auch die Angst vor möglichem künftigem Leid. Die Entscheidung für einen assistierten Suizid ist damit weit weniger eine rationale Entscheidung, sondern immer auch von Ängsten geprägt.

Diesen Ängsten und Befürchtungen kann mit dem Angebot von Palliative Care wirksam begegnet werden. Und die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass der Wunsch nach Suizidassistenz selten stabil ist, sich nach verbesserter Symptomlinderung und umfassender palliativer Betreuung sehr oft auflöst und die Patient*innen sich wieder dem verbleibenden Leben zuwenden können. Ein Suizidwunsch bedeutet meist auch nicht, dass die Patient*innen sich den Tod wünschen, sondern dass sie an Grenzen des Ertragbaren gekommen sind und unter den momentanen oder befürchteten, künftigen Bedingungen nicht mehr leben wollen oder nicht mehr leben können. Bei der Betrachtung des assistierten Suizids besteht also ein Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach Linderung körperlicher und seelischer Leiden und der Wahrung der Würde einerseits und der Tatsache, dass der (assistierte) Suizid eine Flucht aus schwierigen und beunruhigenden inneren und unbewussten Konflikten darstellt, andererseits (Briggs et al., 2022).

Die mit der Legalisierung der Suizidassistenz veränderten rechtlichen, sozialen und ethischen Rahmenbedingungen haben beträchtliche gesellschaftliche Implikationen und wirken sich auch auf die Arbeit der Gesundheitsberufe aus. Sie sind einerseits gefordert, sich mit ihren persönlichen Einstellungen, Überzeugungen und Werten hinsichtlich einer nun möglichen Suizidassistenz auseinanderzusetzen, andererseits aber auch damit, den Patient*innen mit anderen Vorstellungen von einem erstrebenswerten Leben und Sterben mit Achtung und Respekt zu begegnen.

Auch wenn Pflegepersonen aufgrund ihrer berufsethischen und eigenen moralischen Haltung den Wunsch von Patient*innen nach Suizidassistenz nicht unterstützen können, gilt doch die ethische Verpflichtung, das Leid des Patienten bzw. der Patientin mit Suizidwunsch bestmöglich zu lindern und mitmenschlichen Beistand zu bieten. Wenn Patient*innen einen Wunsch nach assistiertem Suizid anvertrauen, berührt dies immer auch eigene Ängste vor dem Tod, vor Angewiesenheit und vor Verlusten. Bernstein (2001) sieht darin ausgeprägte Übertragungs- und Gegenübertragungsgefühle und er konstatiert, dass „die Quelle der Schwierigkeiten, die wir haben, wenn wir anderen erlauben, aus eigenem Entschluss zu sterben, in der Tatsache liegt, dass wir nicht wollen, dass sie sterben, weil ihr Ableben Auswirkungen auf uns haben wird“ (Bernstein, 2001, S. 246).

Wenn Menschen ihr Leben vorzeitig beenden wollen, berührt und verstört das nicht nur die ihnen Nahestehenden, sondern auch die professionell Betreuenden, denn die Entscheidung zu einem assistierten Suizid wird immer aus einer inneren Notlage getroffen. Die häufige Argumentation, dass der Entschluss zu einem assistierten Suizid aufgrund einer bilanzierenden, rationalen Überlegung getroffen wird, ist ein theoretisches Konstrukt. Die Entscheidung für einen assistierten Suizid wird meist vor dem Hintergrund von unerträglich gewordenen Leidenssituationen oder von Ängsten vor möglichem künftigem Leid getroffen.

Mit dem Wissen, dass eine umfassende Palliativbetreuung viele der Nöte schwerkranker Menschen mit einem Wunsch nach Suizidassistenz zufriedenstellend lindern kann, ist es nicht hinnehmbar, dass diese Art der Versorgung nur wenigen Menschen zur Verfügung steht. Wird nicht nur der Bedarf terminal erkrankter Menschen an palliativer Versorgung, sondern auch der Palliative-Care-Bedarf alter und demenzkranker Personen berücksichtigt, haben derzeit etwa 10 % der Patient*innen in Österreich Zugang zu Palliative Care. Nach Übereinkünften der Vereinten Nationen, der European Association for Palliative Care, der International Association for Palliative Care, der Worldwide Palliative Care Alliance und Human Rights Watch ist der Zugang zur Palliativversorgung als ein Menschenrecht zu betrachten. Es mutet daher geradezu zynisch an, dass es derzeit in unserem Land vielerorts leichter ist, eine Zulassung zum assistierten Suizid zu erhalten, als eine angemessene palliative Betreuung. Es wäre daher nicht nur wünschenswert, sondern auch sinnvoll gewesen, den seit Jahrzehnten vonseiten der Politik versprochenen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich noch vor der Legalisierung der Suizidassistenz umzusetzen.

1.1Entwicklung in Österreich

Anders als zum Beispiel in den Niederlanden, wo die Strafbarkeit der Suizidassistenz erst nach einem breiten, öffentlichen, über 30 Jahre andauernden Diskussionsprozess aufgehoben wurde, gab es in Österreich kaum einen öffentlichen Diskurs. Erst durch die Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Sterben in Würde“ im Jahr 2014 wurden die Fragen zur Suizidassistenz erstmals in strukturierter Form von Expert*innen und Betroffenen diskutiert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes veröffentlichte im Jahr 2015 unter dem Titel „Sterben in Würde“ eine Stellungnahme mit Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und den damit verbundenen Fragestellungen. Diese Stellungnahme enthielt unter anderem auch die Empfehlung, eine eventuelle ärztliche Hilfeleistung beim Suizid in bestimmten Fällen zu entkriminalisieren (Bioethikkommission, 2015).

Bis 2022 galt § 78 „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahren zu bestrafen“. Nach einer von vier Privatpersonen eingebrachten Klage entschied der Verfassungsgerichtshof am 11.12.2020, dass das „ausnahmslose Verbot“ der Hilfestellung beim Suizid ab 1.1.2022 aufgehoben werde und der Passus „oder ihm dazu Hilfe leistet“ ersatzlos gestrichen wird. Dadurch ergab sich die Notwendigkeit einer Neuregelung durch den Gesetzgeber. Zugleich wurde im Regierungsprogramm 2020–24 (ÖVP, Grüne) das Ziel formuliert, Hospiz- und Palliativversorgung auszubauen und auch in die Regelfinanzierung zu überführen. Auch soll die Palliativversorgung bei der Entwicklung einer künftigen Pflegeversicherung berücksichtigt werden.

Im April 2021 wurde vom Justizministerium ein viertägiges „Dialogforum Sterbehilfe“ abgehalten. Ziel des Dialogforums war es nicht, Empfehlungen für eine Neuregelung des § 78 StGb hervorzubringen, sondern Expert*innen anzuhören, um auf dieser Grundlage weitere Schritte in Umsetzung des VfGH-Erkenntnisses zu setzen.

Im Juni 2021 präsentierte das Markt- und Meinungsforschungsinstitut FOCUS Austria eine wissenschaftlich fundierte Studie zur „Sterbehilfe”. Diese repräsentative und differenzierte Abfrage zu den verschiedenen Formen von „Sterbehilfe“ wurde durchgeführt, ohne den Fokus auf das Urteil des VfGH zu legen. Im Unterschied zu anderen, früheren Befragungen wurde in dieser Studie zwischen bereits legalen Formen, wie z. B. Beenden lebenserhaltender Maßnahmen, der Gabe von Medikamenten auch mit dem Risiko der Lebensverkürzung etc., und assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen klar differenziert.

Die Ergebnisse dieser Studie unterscheiden sich daher von anderen bisher durchgeführten Befragungen. So gaben lediglich 11 % der Befragten an, sich „sehr gut“ über „Sterbehilfe“ informiert zu fühlen. Nur 35 % waren der Meinung, dass Beihilfe zum Suizid in Österreich erlaubt sein sollte, eine Legalisierung von Tötung auf Verlangen wurde von 31 % der Befragten befürwortet. Ein bemerkenswertes Detail dieser Studie ist, dass 73 % der Befragten erwarten, dass es trotz einer gesetzlichen Regelung des assistierten Suizids zu Missbrauch kommen wird.

Der öffentliche Diskurs zum assistierten Suizid war nach der Erkenntnis des VfGh im Dezember 2020 vergleichsweise gering, was zum Teil auch an dem vorherrschenden Thema der Covid-Pandemie lag. In der medialen Auseinandersetzung mit dem Thema zeigte sich wiederholt, dass die Begriffe aktive und passive „Sterbehilfe“ sowie Tötung auf Verlangen und assistierter Suizid oft synonym oder missverständlich interpretiert werden. Das muss als Hinweis auf einen eklatanten Mangel an Information betrachtet werden.

Am 23.10.2021 wurde ein erster Ministerialentwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Dieser Gesetzesentwurf enthielt ein Verfahren zur Errichtung einer Sterbeverfügung, die die Suizidhilfe rechtssicher und missbrauchsgeschützt regulieren sollte. Damit verbunden waren auch erforderliche Änderungen im Strafgesetzbuch zu den Grenzen der legalen Suizidhilfe. Während der äußerst kurzen Begutachtungsfrist von nur 3 Wochen wurden zahlreiche Stellungnahmen eingereicht. Sie führten jedoch nur zu geringfügigen Anpassungen der Finalversion der Gesetzesänderung, die nach dem parlamentarischen Verfahren wie geplant am 1.1.2022 in Kraft trat.

Die Tötung auf Verlangen bleibt in Österreich weiterhin ein Straftatbestand. Rechtlich, medizinisch und ethisch besteht ein gravierender Unterschied zwischen der Tötung einer anderen Person auf deren Verlangen und ihrer Unterstützung bei der freiverantwortlichen Selbsttötung. Bei der Tötung auf Verlangen stirbt eine sterbewillige Person durch die Tat einer anderen Person, während bei der Beihilfe zum Suizid die Tatherrschaft (Handlungskontrolle) bei der sterbewilligen Person bleibt.

Die Hilfeleistung beschränkt sich auf die physische Unterstützung der sterbewilligen Person bei der Durchführung lebensbeendender Maßnahmen, z. B. bei der Beschaffung des Suizidmittels. Die ärztliche Aufklärung oder die Mitwirkung an der Errichtung einer Sterbeverfügung stellt jedoch keine Hilfeleistung zum assistierten Suizid dar.

Der VfGH betont in seinen Erläuterungen mehrfach den Aspekt der freien Selbstbestimmung. Der Entscheidung zum assistierten Suizid müsse ein „aufgeklärter und informierter Willensentschluss“ zugrunde liegen. Da die freie Selbstbestimmung jedoch durch soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird, habe „der Gesetzgeber Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst“ (Parlament Österreich, 2021).

Es kann jedoch keine Verpflichtung zur Hilfeleistung beim Suizid geben, hält der VfGH fest, die Beihilfe zum Suizid kann nur durch eine Person erfolgen, die dazu bereit ist. Da also keine Verpflichtung zur Hilfeleistung zum Suizid besteht, kann es auch keinen Anspruch auf Beihilfe zum Suizid geben. Laut § 2 des StVfG darf keine natürliche oder juristische Person wegen einer Hilfeleistung (§ 3 Z 4), einer ärztlichen Aufklärung, wegen der Mitwirkung an der Errichtung einer Sterbeverfügung oder wegen der Weigerung, eine Hilfeleistung zu erbringen, eine ärztliche Aufklärung durchzuführen oder an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken, in welcher Art auch immer benachteiligt werden.

Es sind unterschiedliche Gründe, die dazu führen, dass Menschen einen assistierten Suizid erwägen. Neben den individuellen Motiven könnte auch die Tatsache, dass Erfahrungen mit dem Sterben nicht mehr Teil der Lebenswirklichkeit sind, von Bedeutung sein. Angstvolle Vorstellungen von dem, was in der Zeit des Sterbens geschieht, führen zur Forderung nach einem „selbstbestimmten“ Sterben in „Würde“. Dabei scheint die Option, über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Sterbens verfügen zu können, für viele Menschen entlastend und angstreduzierend zu wirken.

Dabei ist bemerkenswert, dass die seit langem erlaubten und auch verfügbaren Möglichkeiten der Selbstbestimmung, wie z. B. eine Patientenverfügung, eine Therapiebegrenzung oder der Freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, bislang nur sehr begrenzt genutzt werden.

Beim Wunsch nach „selbstbestimmtem“ Sterben scheint es aber nicht nur darum zu gehen, das Leben zu beenden, sondern auch darum, dem Sterben zuvorzukommen und damit den eigenen Sterbeprozess nicht erleben zu müssen. Die Zeit des Sterbens, diese allerletzte Lebensphase, scheint an Bedeutung verloren zu haben. Das Leben zu Ende zu leben, ist zunehmend weniger erstrebenswert.

Und wie die internationale Praxis zeigt, werden, mit Ausnahme von Oregon (USA), jene Formen lebensbeendender Maßnahmen bevorzugt, bei denen die Durchführung an andere Personen „delegiert“ werden kann. So wird etwa in den Benelux-Staaten die Tötung auf Verlangen deutlich häufiger durchgeführt als ein assistierter Suizid.

Es ist bemerkenswert, dass die Forderungen nach assistiertem Suizid oder auch nach Tötung auf Verlangen meist mit dem Recht auf Selbstbestimmung begründet werden. Bei allem Respekt vor dem Leid, das zum Wunsch nach vorzeitiger Beendigung des Lebens führt, ist es dennoch eine Tatsache, dass das Herbeiführen des eigenen Todes durch die Hilfe anderer zugleich das Ende jeglicher Selbstbestimmung bedeutet.

Ebenso wie es höchst unterschiedliche, individuelle und kulturell geprägte Vorstellungen von einem erstrebenswerten Leben gibt, bestehen auch verschiedene Vorstellungen von einem „guten“ Sterben, die selbstverständlich zu achten sind. Mit den Möglichkeiten von Palliative Care und Hospizarbeit und damit einer konsequent patient*innen- und bedürfnisorientierten Betreuung hat sich ein neues „Sterbe-Ideal“ entwickelt. Dazu gehören, zumindest im westlichen Kulturkreis, weitgehende Schmerzfreiheit, das offene Anerkennen der Todesnähe, das Sterben zu Hause in Anwesenheit von Familie und Freund*innen, inklusive der Lösung persönlicher Konflikte und unerledigter Angelegenheiten, persönliches Wachstum sowie die Berücksichtigung der persönlichen Vorlieben (Streeck, 2016). Diesem hehren Ideal zu entsprechen, wird nur wenigen Menschen gelingen und die Anforderung, das eigene Lebensende selbstbestimmt zu planen, zu gestalten, d. h. umfassend vorzusorgen, wie Schneider es beschreibt (Schneider in Schnell et al., 2014, S. 130), gerät leicht zur Überforderung der Patient*innen.

Der hohe Anspruch von Palliative Care und an eine vielleicht idealisierte Vorstellung von einem erstrebenswerten Sterben, muss sich daher stets an der Lebenswirklichkeit und an den individuellen Bedürfnissen der Patient*innen orientieren und jede Vorgabe vermeiden. Palliative Care ist immer nur als Angebot zu verstehen und es ist selbstverständlich zu respektieren, wenn ein Patient bzw. eine Patientin dieses Angebot oder Teile davon ablehnt.

Zudem ist es eine Tatsache, dass diese Form der Betreuung am Lebensende noch längst nicht allen, die es wünschen, zur Verfügung steht. Derzeit muss davon ausgegangen werden, dass in Österreich nicht einmal 50 % der Menschen, die eine palliative Versorgung benötigen, Zugang zu dieser Betreuungsform haben. Noch immer berichten Angehörige von traumatischen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Sterben eines nahestehenden Menschen. Daher sind die angstvollen Bilder vor einem „fabrikmäßigen“ Sterben, wie es Rainer Maria Rilke vor hundert Jahren beschrieben hat, noch immer wirkmächtig (Rilke, 2009). Es ist noch immer die Angst vor Abhängigkeit, Bevormundung, unerträglichen Leiderfahrungen und Isolation, die ein selbstinitiiertes Sterben durch assistierten Suizid als die bessere Alternative erscheinen lassen. Das Empfinden eines globalen Kontrollverlustes oder die Wahrnehmung, für andere eine Last oder ihnen ausgeliefert zu sein, sind häufige Motive für den Wunsch nach einem vorzeitigen Tod. Die Erfahrung, die Kontrolle verloren zu haben oder nicht in der Lage zu sein, die eigenen Körperfunktionen zu beherrschen, kann grundlegend von der Anwesenheit und der Einstellung der Menschen geprägt sein, die einem am nächsten stehen (Chochinov et al., 2009). Sich als Belastung für das Umfeld wahrzunehmen, kann dazu führen, dass das Leben scheinbar keinen Wert mehr hat. Und wenn die individuelle Autonomie eine besonders wichtige Rolle spielt, kann der Verlust der Unabhängigkeit als unvereinbar mit dem Leben selbst angesehen werden (Chochinov et al., 2007).

Wie viel Würdigung, Achtung und Wertschätzung kranke und pflegebedürftige Menschen erfahren, hängt nicht zuletzt von der Qualität der Pflege ab. Eine achtsame, würdebewahrende Pflege kann ganz entscheidend dazu beitragen, dass Patient*innen, die sich in ihrer Würde verletzt fühlen, wieder Selbstachtung und Selbstwert erfahren. Wir alle werden sterben, wir werden auch mit hoher Wahrscheinlichkeit der Pflege und Unterstützung anderer bedürfen. Dann werden wir auf gesellschaftliche Solidarität angewiesen sein und darauf, dass Pflegebedürftigkeit und Angewiesenheit nicht als „unwürdig“ betrachtet werden. Solidarität als gesellschaftliche Praxis, die Art von intersubjektiven Beziehungen, die erforderlich sind, um die Struktur der modernen Gesellschaft intakt zu halten, ist unverzichtbar (Houtepen et al., 2000). Schwerkranke, pflegebedürftige und sterbende Menschen müssen darauf vertrauen können, dass die Gesellschaft der derzeit Gesunden, Starken und Selbstständigen ihnen diese Solidarität nicht verweigert.

1.2Definition und Begriffe

In der Auseinandersetzung mit den Fragen um Suizidassistenz und Tötung auf Verlangen ist es wichtig, dass die verwendeten Begriffe unmissverständlich und klar sind. Der häufig verwendete Begriff „Sterbehilfe“ ist euphemistisch, zweideutig und missverständlich. Kommen dann noch Differenzierungen wie „aktiv“ und „passiv“ hinzu, führt das unweigerlich zu Unklarheiten. Daher sollte dieser Begriff grundsätzlich vermieden werden und stattdessen die eindeutigeren Begriffe „assistierter Suizid“ bzw.„Suizidassistenz“ oder „Tötung auf Verlangen“ verwendet werden (Bioethikkommission, 2015).

Der früher gebräuchliche „Sterbehilfe“-Begriff sollte nicht mehr verwendet werden, da er missverständlich, unpräzise und missbrauchsanfällig ist.

International ist der Terminus Euthanasie gebräuchlich, wobei dabei oft nicht zwischen Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen unterschieden wird. Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff Euthanasie historisch belastet, daher wird stattdessen von Tötung auf Verlangen gesprochen. In den Beneluxstaaten wird mitunter auch zwischen freiwilliger und nicht freiwilliger Euthanasie unterschieden (Mroz et al., 2020). Nach österreichischer Rechtsprechung würde die Verabreichung von tödlichen Medikamenten ohne ausdrücklichen Wunsch der Patient*innen dem Straftatbestand der Tötung entsprechen.

Assistierter Suizid bzw. Beihilfe zum Suizid ist eine Handlung, die mit der Absicht erfolgt, einer Person auf deren freiwilliges und überlegtes Verlangen hin die eigenständige Selbsttötung zu ermöglichen. Dies geschieht, indem eine tödliche Dosis eines Medikamentes zur Selbstverabreichung bereitgestellt wird. In Abgrenzung zur „Tötung auf Verlangen“ kommt es hier darauf an, dass die suizidwillige Person den Akt des Suizids selbst ausführt.

Tötung auf Verlangen ist eine Handlung, die mit der Absicht erfolgt, eine Person auf deren freiwilliges und angemessenes Verlangen hin zu töten, indem eine entsprechende Medikation verabreicht wird (Radbruch et al., 2016).

International wird zwischen assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen mitunter kaum unterschieden, oft werden Sammelbegriffe wie Euthanasie, ESAS, Voluntary Assisted Dying (VAD) oder Medical assistance in dying (MAiD) für beide Formen lebensbeendigender Maßnahmen synonym verwendet.

Therapieziel-Änderung bzw. Sterben zulassen ist ein legaler und oft auch gebotener Therapieverzicht bei aussichtsloser Prognose bzw. die Beendigung aussichtsloser Maßnahmen. Die Therapieziel-Änderung bedeutet, dass der Fokus nicht mehr auf einer Lebensverlängerung, sondern primär auf dem Wohlbefinden des/der Kranken liegt. Es wird dafür auch der Begriff „Sterben zulassen“ verwendet (Bioethikkommission, S. 23).

Sterbewunsch ist eine Äußerung, dass die Person sich einen baldigen Tod wünscht. Dabei ist zwischen einem vorübergehenden, situativ ausgelösten Wunsch zu sterben und einem dauerhaften, anhaltenden Sterbewunsch zu unterscheiden. Ein Sterbewunsch bedeutet nicht zwingend, das Sterben beschleunigen zu wollen und er ist auch nicht dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid gleichzusetzen. Es ist daher zwischen einem allgemeinen Wunsch zu sterben dem Wunsch, der Tod möge eher kommen, dem Wunsch, das eigene Sterben zu beschleunigen und der (vielleicht präventiven) Anfrage um Suizidassistenz zu unterscheiden.

Suizid im rechtlichen Sinn ist, wenn jemand vorsätzlich und freiwillig den Tod an sich selbst unmittelbar verursacht (Birklbauer, 2019). Es handelt sich dabei also um die beabsichtigte Beendigung des eigenen Lebens.

1.3Phänomenologie der Sterbe- und Suizidwünsche

Da für die Auseinandersetzung mit dem assistierten Suizid eine nähere Betrachtung und ein differenziertes Verständnis der Hintergründe und Motive von Sterbewünschen grundlegend sind, wird diese Thematik als Ausgangspunkt dargestellt. Bei schwerer Erkrankung, bei Pflegebedürftigkeit und intensiven Leiderfahrungen sind Sterbewünsche der Patient*innen keineswegs selten, selbst bei bester Palliativversorgung. Hospiz- und Palliative Care-Mitarbeiter*innen werden regelmäßig mit derartigen Wünschen konfrontiert.

Auch Suizidgedanken sind in palliativen Situationen nicht ungewöhnlich und vor allem für Patient*innen in terminalen Erkrankungsstadien können sie eine Form der Entlastung oder eine Art Ventil darstellen. Der Wunsch zu sterben ist eine Reaktion auf das erlebte Leid im Zusammenhang mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung. Die Beschleunigung des Sterbeprozesses kann als einziger Ausweg erscheinen (Balaguer et al., 2016).

Wie häufig Sterbewünsche auftreten, lässt sich aus den bisher publizierten Studien nicht genau festlegen. Die Angaben variieren zwischen 8 und 22 % (Wilson et al., 2016) bis hin zu 44,5 % (Chochinov et al., 1995). Die Praxis lässt jedoch ein deutlich häufigeres Auftreten von Sterbewünschen vermuten, da die Konfrontation mit Sterbewünschen der Patient*innen beinahe zu den Alltagserfahrungen in der Pflege zählt.

Obwohl Mitarbeiter*innen in der Betreuung von terminal kranken Patient*innen in der Praxis häufig mit Sterbe- und Suizidwünschen konfrontiert werden, besteht oft große Unsicherheit, wie diesen Wünschen begegnet werden soll. Es besteht die Sorge vor aufbrechenden Emotionen vonseiten der Patient*innen oder dass die Gespräche über den Sterbewunsch zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass diese Gespräche nicht nur die Möglichkeiten bieten, mehr über die Hintergründe des Sterbewunsches zu erfahren, sondern auch, dass bereits das Sprechen über den Wunsch für die Patient*innen eine gewisse Entlastung bietet.

Der Sterbewunsch ist ein komplexes subjektives und soziales Phänomen, das sich in der Zeit der Interaktion ändern kann und selten anhaltend ist (Ohnsorge et al., 2014b). Der Wunsch zu sterben kann durchaus gleichzeitig mit einem intensiven Wunsch zu leben bestehen und das weist auch darauf hin, dass sich die meisten der Patient*innen weniger einen baldigen Tod wünschen, sondern vielmehr eine Reduktion der als untragbar erlebten Belastungen.

Darauf weist auch die Tatsache hin, dass die meisten Sterbewünsche unbeständig und fluktuierend sind, abhängig von der Intensität der Leiderfahrung. Sterbewünsche können mit unterschiedlicher Dringlichkeit geäußert werden, es kann ein eher allgemein formulierter Wunsch zu sterben sein, wie z. B. „Hoffentlich hat das bald ein Ende“. Der Sterbewunsch kann aber auch bereits mit konkreten Vorstellungen verbunden sein, das eigene Sterben zu beschleunigen, etwa durch einen Therapieverzicht, dadurch, dass Essen und Trinken eingestellt werden oder auch durch Bestrebungen, einen assistierten Suizid durchzuführen.

„Neben der Akzeptanz des baldigen Todes im Sinne einer „Lebenssattheit“ ohne suizidalen Handlungsdruck kann ein Todeswunsch das Hoffen auf einen baldigen Sterbeprozess bis hin zu einem Auswegplan und akuter Suizidalität umfassen“

(Kremeike et al., 2019).

Damit können sich Sterbewünsche allgemein und vage auf ein baldiges Sterben beziehen oder auf eine konkrete Beschleunigung des Sterbeprozesses. Sie reichen von der Annahme des bevorstehenden Todes im Sinne von Lebenssattheit und dem Hoffen auf einen baldigen Tod bis hin zum Wunsch nach aktiver Initiierung des Sterbeprozesses. Damit wird deutlich, dass auch jeder assistierte Suizid seinen Anfang in einem Sterbewunsch nimmt (Streeck in: Hilpert et al., 2015).

Sterbe- und auch Suizidwünsche werden von den Patient*innen oft nur zögerlich mitgeteilt. Sie vermeiden es oft, mit ihren Angehörigen und Bezugspersonen darüber zu sprechen und auch ihren behandelnden Ärzt*innen gegenüber äußern Patient*innen die Wünsche eher selten. In den meisten Fällen sind Pflegepersonen die ersten Adressat*innen von Sterbe-und Suizidwünschen. Häufig entsteht der Wunsch zu sterben aus einer bestimmten Situation heraus, etwa dann, wenn die krankheitsbedingten Verluste und Einschränkungen von den Patient*innen besonders bewusst und schmerzlich wahrgenommen werden. Oder auch, wenn sich, wie bei pflegerischen Maßnahmen, eine besondere Nähe ergibt.

Wenn Patient*innen einen Sterbewunsch mitteilen, kann das von den Betreuenden mitunter als Aufforderung zur Beihilfe zum Suizid fehlinterpretiert werden. Wird von einer Patientin oder einem Patienten ein Sterbe- oder Suizidwunsch anvertraut, ist das vor allem als Ausdruck einer dramatischen Überforderung der Person zu betrachten. Der Sterbewunsch macht deutlich, dass die derzeitige Situation die Bewältigungsstrategien der Patient*innen übersteigt und er zeigt die Not, die Angst und die Verzweiflung deutlich, in der sie sich befinden. Damit kann die Mitteilung eines Sterbewunsches auch als ein Appell an das betreuende Team zur Linderung des Leidens zu verstehen sein (Feichtner et al., 2022).

Gespräche über den geäußerten Sterbe- oder Suizidwunsch können aber auch ein Signal dafür sein, dass der Patient, die Patientin über das Sterben sprechen möchte. Wird diesen Gesprächen Raum gegeben, besteht die Chance, mehr über die Ängste und Befürchtungen der Patient*innen zu erfahren und die Ursachen des momentanen Leidens zu erfassen.

Die Mitteilung eines Sterbe- oder auch eines Suzidwunsches ist immer auch als Ausdruck des Vertrauens zu verstehen. Wenn Patient*innen ihren Wunsch zu sterben, ihren Wunsch, den Sterbeprozess zu forcieren oder auch den Wunsch nach Suizidassistenz anvertrauen, so geschieht das im Vertrauen auf eine tragfähige Basis. Gespräche über diese Wünsche sind oft einmalige Chancen, werden sie genützt, bieten sie die Möglichkeit, mehr über die Hintergründe des Sterbewunsches zu erfahren und das Vertrauen der Patient*innen zu stärken.

Leidende Patient*innen befinden sich in einer äußerst verletzlichen Situation, sie brauchen die Sicherheit einer verlässlichen, kompetenten und auch mitfühlenden Pflege und Betreuung. Sie brauchen professionellen und vor allem auch mitmenschlichen Beistand durch Personen, denen sie vertrauen können und die dazu in der Lage sind, ihrem Leid, ihrem Klagen und auch ihrer Verzweiflung standzuhalten.

Wie eingangs erwähnt, lässt sich das Auftreten von Sterbewünschen auch durch eine optimale palliative Versorgung nicht immer verhindern. Es ist daher wichtig, dass die Mitteilung eines Sterbe- oder Suizidwunsches bei den professionell Betreuenden nicht zu einer narzisstischen Kränkung führt, sondern als Chance wahrgenommen wird. Sind Pflegepersonen aufgrund mangelnder kommunikativer Kompetenz nicht bereit, mit den Patient*innen über einen mitgeteilten Sterbewunsch zu sprechen, befinden sich die Patient*innen in einer sehr einsamen Situation, was zu einer Intensivierung des Sterbewunsches beitragen kann.

In der Praxis zeigt sich, dass bereits die Gespräche über einen mitgeteilten Sterbewunsch eine Entlastung der Patient*innen bewirken können. Das erlebte Leiden mit einer empathisch zugewandten Person teilen zu können, einer Person, die nicht bewertet, sondern vor allem zuhört, wird von den Patient*innen oft als sehr erleichternd wahrgenommen.

Die Mitteilung eines Sterbewunsches ist nicht mit einem Wunsch nach assistiertem Suizid gleichzusetzen.

Sterbewünsche sind nicht primär als Suizidwünsche, sondern als Ausdruck einer existenziellen Not zu verstehen.

Sterbewünsche können einen Hilferuf darstellen. Es ist entscheidend, wie die ersten Adressat*innen darauf reagieren.

1.3.1Mögliche Hintergründe von Sterbe- und Suizidwünschen

Während noch vor einigen Jahrzehnten davon ausgegangen wurde, dass ein geäußerter Sterbewunsch mit akuter Suizidalität gleichzusetzen ist, werden Sterbewünsche heute differenzierter betrachtet. Auch ist inzwischen widerlegt, dass jedem Sterbewunsch eine manifeste und behandlungsbedürftige Depression zugrunde liegt. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass depressive Syndrome bei Patient*innen mit terminalen Erkrankungen relativ häufig auftreten.

Depression

Die Zusammenhänge von Sterbewunsch, Hoffnungslosigkeit sowie Depression und Demoralisation wurden in mehreren Studien untersucht und das Vorhandensein einer Depression gilt als wesentlicher Einflussfaktor für die Entstehung eines Sterbewunsches. Darüber hinaus erweisen sich Depressionen auch als stärkster Risikofaktor für eine hohe körperliche Symptomlast. Im Umkehrschluss zeigt sich aber auch, dass eine Verringerung der körperlichen Symptomlast, beispielsweise durch eine adäquate Schmerztherapie, die Lebensqualität der Patient*innen verbessern kann und so möglicherweise auch eine Depression verringert (Kremeike et al., 2019). Es ist wichtig, zwischen Traurigkeit und Depression zu unterscheiden und eine eventuell vorliegende Depression frühzeitig zu erkennen. Die Behandlung einer Depression gilt, speziell in der Palliativmedizin, als Priorität (Parpa et al., 2019), denn es geht um die bestmögliche Erhaltung der Lebensqualität in der ohnehin begrenzten verbleibenden Lebenszeit.

Psychosoziale, existenzielle und spirituelle Faktoren

Belastungen durch körperliche Symptome führen deutlich seltener zu einem Sterbe- oder Suizidwunsch, es sind vielmehr psychosoziale, existenzielle und spirituelle Faktoren, die zur Entwicklung dieser Wünsche beitragen. Ein Sterbe- oder Suizidwunsch repräsentiert stets auch den Zusammenbruch der Fähigkeit der Patient*innen, mit den Herausforderungen durch die Erkrankung umzugehen. Der Wunsch, das Leben möge ein Ende finden, ist eine Reaktion auf die Gesamtheit des erlebten physischen, psychischen und spirituellen Leidens der Patient*innen.

Die Mitteilung eines Sterbe- oder Suizidwunsches kann auch als ein Signal verstanden werden, dass der Patient, die Patientin, so nicht mehr leben will oder auch nicht mehr weiterleben kann. Diese Wünsche beruhen also weniger auf einer bilanzierenden Entscheidung, sie sind hingegen eine geradezu gesunde Reaktion auf das erlebte Leid.

Im Verlauf einer schweren, lebensbedrohenden Erkrankung kann es wiederholt zu Phasen existenzieller Verzweiflung kommen. Und wir müssen davon ausgehen, dass durchschnittlich 30 Prozent der Palliativpatient*innen unter existenzieller Verzweiflung leiden (Gabl, 2020). Bei einem derart häufig auftretenden Phänomen ist es bemerkenswert, dass es darüber bislang nur relativ geringes Wissen unter den Gesundheitsberufen gibt.

Existenziell leidende Menschen verlieren jeglichen Halt, sie machen die Erfahrung eines Sturzes ins Bodenlose, in abgrundtiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit. Sämtliche bisher tragende Strukturen können zusammenbrechen, bisherige Bewältigungsmechanismen und Sinnkonzepte können versagen und es kommt zu einem emotionalen Zusammenbruch.