At home - Savannah Lichtenwald - E-Book

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Savannah Lichtenwald

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Beschreibung

Was aussah, als hätte es Liebe werden können, entpuppt sich für Marvin Brandt als Gefängnis. Sein Freund Angelo kontrolliert jeden seiner Schritte, verhält sich von Tag zu Tag besitzergreifender, bis Marvin ihn verlässt. Doch Angelo akzeptiert die Trennung nicht und verfolgt ihn hartnäckig. Als die Situation eskaliert und sein Exfreund ihn mit einem Messer bedroht, muss Marvin flüchten. So lernt er Steven Cooper kennen, der ihm Zuflucht bietet. Steven ist ein Kollege seiner Schwester, arbeitet als Bodyguard und lebt auf der Überholspur, denn auch er hat ein Problem: Seine Vergangenheit. Als er auf Marvin trifft, holt ihn diese unbarmherzig ein. In nur fünf Tagen ändert sich das ganze Leben - für beide. Gay Romance mit ca. 27.000 Wörtern. Die Teile der "At home"-Reihe sind chronologisch aufgebaut, können jedoch unabhängig voneinander gelesen werden: At home - Für 128 Jahre Not - At home At home - with you

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Savannah Lichtenwald

At home

Für 128 Jahre

„Es kommt für jeden der Augenblick der Wahl und der Entscheidung: Ob er sein eigenes Leben führen will, ein höchst persönliches Leben in tiefster Fülle, oder ob er sich zu jenem falschen, seichten, erniedrigenden Dasein entschließen soll, das die Heuchelei der Welt von ihm begehrt.“ Oscar WildeBookRix GmbH & Co. KG80331 München

Wolkenbruch

„Du gehörst mir! Hast du verstanden? Mir!“ Angelo stand zwei Stufen unter ihm und schäumte vor Wut, die dunklen Locken verschwitzt, die braunen Augen schleuderten Blitze. Marvin dachte fieberhaft nach - sollte er jetzt die Treppe hinauf oder hinunter laufen? Mehr Optionen hatte er nicht.

 

„Du kannst mich nicht verlassen! Du brauchst mich! Wer ist er, verdammte Scheiße, sag´ mir, wie er heißt, ich schwöre dir, ich bringe ihn um!“

 

Angelo schrie so laut, dass es im ganzen Treppenhaus widerhallte. Leider kam niemand, um nach dem Krach zu sehen. Dörings ganz oben waren voll auf Karriere-Trip und arbeiteten fast rund um die Uhr und die alte Dame im Erdgeschoss hörte nicht mehr gut.

 

Marvin blaffte zurück: „Es gibt keinen anderen und ich gehöre dir nicht.“ Er schnaubte aufgebracht. „Ich bin doch kein Haustier. Und du gehst mir tierisch auf die Nerven, wenn du mich ständig verfolgst. Deine verdammte Eifersucht kotzt mich an. Das habe ich dir gesagt, immer wieder. Es tut mir leid, aber ich kann das nicht …“.

 

„Das werden wir ja sehen!“, zischte Angelo und zog ein Messer aus der Jackentasche.

 

Marvin schluckte trocken, die zitternde Hand steckte er in die Jackentasche - jetzt bloß nichts anmerken lassen. Sein Puls raste, die Gedanken hasteten durch seinen Kopf auf der Jagd nach dem rettenden Einfall.

 

„Wenn ich mit dir fertig bin, dann kommst du schon zurückgekrochen.“ Was für ein gruseliges Grinsen. „ Dein Süßer ist dann nämlich weg. Wer will im Bett schon ein Gesicht mit Narben!“

 

Scheiße, der war ja komplett irre! Panisch sah Marvin sich um. Treppe rauf: Langer Weg, Wohnung mit altersschwacher Tür. Treppe runter: Angelo, groß, bullig, kurz vorm Kollaps. Verdammte Hacke, was jetzt? Marvin war nicht besonders sportlich, hatte sich auch vor dem Fußball im Sportunterricht oft erfolgreich gedrückt, aber seine einzige Chance führte über das Geländer ins Erdgeschoss. Besser ein verstauchter Fuß, als Löcher im Gesicht.

 

Bevor er über die Konsequenzen zu lange nachdenken konnte, sprang er über das alte Holz und landete unsanft auf der Kehrseite. Schnell rappelte er sich hoch und flüchtete durch die noch offen stehende Haustür.

 

Wie passend - es regnete es in Strömen. In der Straßenrinne floss das Wasser so schnell, als wollte es unbedingt heute noch das Meer erreichen. Marvin stand zwei Straßen weiter und atmete hektisch ein und aus, seine Hände flatterten. Rund um das Haus, in dem er wohnte, fing die Straßenbeleuchtung schon an zu glühen. Vorsichtig sah er sich um und überlegte, wohin er jetzt gehen sollte, während ihm das Wasser den Nacken hinunterlief.

 

Mama und Papa waren für eine Woche zu Oma nach Schweden gefahren. Kay und Hendrik wohnten noch zu Hause. Ihre Eltern wären sicher ganz begeistert, den schwulen Kumpel ihrer Söhne für mehrere Tage aufzunehmen.

 

Zur Polizei zu gehen war sinnlos - Zeugen hatte Marvin nicht und objektiv betrachtet war ja nichts passiert. Noch nicht. Nur, dass sein Ex die Trennung nicht akzeptierte und ihm Stalker-mäßig das Leben zur Hölle machte. Ihm Jammer-Mails schickte und Liebesbriefchen in seinen Briefkasten warf. Angelo lauerte auf der anderen Straßenseite, wenn Marvin abends aus dem Büro kam und sandte ihm eine SMS nach der anderen. Ans Telefon ging er kaum noch.

 

Vier Wochen hatte er durchgehalten, wollte sich nicht weichkochen lassen, wieder die erstickende Enge ertragen. Der Ton der Texte war jedoch immer schärfer geworden, die Abstände zwischen den Mails und SMS immer kürzer und heute dieser Treppenhaus-Horror. Damit war der Punkt erreicht, an dem Marvin nur noch seine Haut retten wollte, buchstäblich.

 

Angelo – was für eine Ironie. An dem Kerl war nichts Engelhaftes. Marvins Bedürfnis nach Nähe hatte ihn zwei Monate ausharren lassen. Sein Wunsch nach Geborgenheit, sich einmal anlehnen zu können, Blindheit verursacht. Wann hatte sich sein Gehirn verabschiedet, ihm nicht bewusst gemacht, wie gestört der Mann war?

 

Marvins Gedanken rotierten, wanderten zu seiner älteren Schwester, die ihn gleich am Anfang wissen ließ, dass sein neuer Freund unheimlich sei. Ha, Lara, perfekt. Hoffnungsvoll zog er mit klammen Fingern das Handy aus seiner Jackentasche und wählte ihre Nummer. Dieser Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Bitte versuchen … Mist, doch nicht perfekt. Lara arbeitete im Büro einer Security-Firma und machte jetzt bestimmt Überstunden. Freitagnachmittags erledigte sie die Aktualisierung der Kunden- und Personaldaten.

 

Lara war temperamentvoll und weichherzig und ihr Freund Mario lag ihr zu Füßen. Bei den beiden würde er ein paar Tage überbrücken können, bis Angelo sich beruhigt hatte. Jetzt begann das Wochenende und Marvin hatte einen großzügigen Chef. Als Programmierer könnte er vielleicht auch ein paar Tage von zu Hause aus arbeiten.

 

Das Wasser aus dem Gesicht wischend rannte er zur nächsten Haltestelle und stieg in einen dort wartenden Bus. Es war nicht der richtige, egal, dann halt mit Umsteigen. Wenigstens konnte Marvin hier in Ruhe trocknen und seinen Adrenalinspiegel wieder senken. Er mochte sich kaum hinsetzen. Alles war klamm, die Hose klebte an seinen Beinen fest, in seinen Schuhen schwamm Wasser.

 

Bedrückt verfolgte er die Tropfen am Fenster, wie sie aufprallten, zusammenfanden und schneller nach unten rollten. Angelo machte ihm nicht nur Angst - Marvin bedauerte ihn auch. Was war das für eine Auffassung von Liebe? Er gehörte diesem Mann nicht. Obwohl Marvin da nicht ganz aufrichtig war. Er wollte ja jemandem gehören, zu einem Menschen gehören, der ihn liebte, der ihm vertraute. Ohne Vertrauen ging jede Beziehung in die Brüche. Das hatte Angelo nicht begriffen und das würde er wohl auch nie.

 

Anfangs war alles prima gelaufen. Gemeinsam waren sie in der Kunstgalerie herum geschlendert und hatten am Wochenende die Bars unsicher gemacht. Fast unmerklich hatte sich diese Besessenheit herangeschlichen. Das war doch krank. Marvin schüttelte sich. Hatte er Angelo überhaupt geliebt? Es hatte Spaß gemacht, mit ihm Zeit zu verbringen, hatte sein eigenes Ego gefüttert, dass dieser gutaussehende Mann neben ihm ging, aber Liebe? Nein. Nein, das war es nicht.

 

Eine Stunde später stieg Marvin aus und lief zu dem großen Gebäude im Industriegebiet. Es schüttete immer noch wie aus Eimern, überall bildeten sich tiefe Pfützen und so langsam machte sich Müdigkeit in ihm breit. Der fette Angstknoten in seinem Magen war auch noch da. Laras Firma befand sich im 2. Stock, leider ohne Aufzug. Durch die Glastür sah er noch Licht brennen und klopfte gegen die Scheibe.

 

 

Steven gammelte vor dem Bildschirm herum und grübelte. Die Listen waren fertig, eigentlich hatte er nichts mehr zu tun. Daheim allerdings auch nicht. Er war in Gedanken versunken und so nahm er das Klopfen erst verzögert wahr. Verblüfft öffnete er die Tür. Die Kunden von „Schneidmann Security“ waren überwiegend Business-mäßig gekleidet oder zumindest teuer und die meisten Mitarbeiter hatten eine Ausstrahlung wie Türsteher.

 

Der hier sah allerdings aus wie frisch aus der Badewanne gezogen – mit Klamotten. Aus den braunen Strähnen tropfte Wasser, die etwas längeren Haare im Nacken klebten auf der Jacke und der Stoffrucksack hing ziemlich formlos über der Schulter. Der leicht gehetzte Blick machte den Eindruck auch nicht besser. Der Mann sah aus, als könnte er einen bequemen Polstersessel und ein Kaminfeuer gebrauchen.

 

„Hi, kann ich was für dich tun?“, fragte Steven freundlich.

 

Erschöpft blickte ihn der Fremde an und fragte: „Ist Lara Brandt noch da? Sie ist meine Schwester und ich muss sie dringend sprechen.“ Aha, dringend. Genau so sah er aus.

 

Bedauernd antwortete Steven: „Sorry, aber Lara ist für einen Last-Minute-Urlaub ein paar Tage nicht da. Kann ich dir irgendwie helfen?“

 

„Nein … nein, ich denke nicht.“ Bei dem unglücklichen Gesichtsausdruck war das Problem wohl größer.

 

„Na komm schon, was ist los?“, hakte Steven nach.

 

Der Mann sah ihn zweifelnd an. Schließlich gab er sich sichtbar einen Ruck und sagte: „Ich heiße Marvin und mein … Exfreund ist ausgetickt. Ich hab´ gehofft, ein paar Tage bei Lara bleiben zu können.“ Marvin steckte die Hände in die Hosentaschen und zog verlegen die Schultern hoch. „Klingt jetzt feige, oder?“

 

Dieser Kerl sah ja nicht gerade aus wie Arnold Schwarzenegger in seinen besten Zeiten. Zwar war er höchstens fünf Zentimeter kleiner als Steven mit seinen ein Meter vierundachtzig, aber schlank und kein Muskelpaket.

 

„Nein, nicht feige, nur umsichtig“, widersprach Steven.

 

„Wenn du das so sagst, klingt es schon besser.“ Das kleine Lächeln mit dem Grübchen auf einer Seite ließ Marvin echt nett aussehen.

 

Steven überlegte kurz – ach, was soll´s, einmal Samariter und zurück. „Hm, ich denke, ich mach´ jetzt hier Schluss und dann fährst du erst mal mit zu mir. So kannst du draußen nicht rumlaufen, du holst dir ja den Tod. Ich bin übrigens Steven, habe ein Gästezimmer und Bier im Kühlschrank. Wie klingt das?“

 

Marvins Erleichterung war deutlich sichtbar. „Macht dir das wirklich nichts aus? Ich will nicht stören, deine Familie oder Freundin oder so.“

 

„Da ist niemand, ist also kein Thema. Lara schuldet mir sowieso einen Gefallen und ich habe nichts Besonderes vor.“ Außer an einer Bar den Charmeur spielen. Immer das Gleiche, oberflächlich, bedeutungslos. Zur Abwechslung könnte er heute zu Hause sitzen und sich einfach nur unterhalten. Wäre ja mal was ganz Neues.

 

„Okay, cool. Dann vielen Dank. Ich fühle mich echt miserabel. Es wäre auch nur für eine Nacht.“ Er lächelte und Steven war überzeugt, dass Marvin mit diesem leicht schiefen Lächeln und den glänzenden, blaugrauen Augen in die Werbung gehen sollte, für Schäfchenwolle oder Partnerschaftsagenturen oder wo man sonst so ein Lächeln gut gebrauchen konnte.

 

 

Marvin atmete tief durch - wenigstens für heute brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Die Fahrt dauerte mit dem blauen BMW nur zehn Minuten. Steven fuhr, als wäre der Teufel hinter ihm her und Marvin krallte sich ins Sitzpolster. Sein Herz klammerte sich verzweifelt an den Brustmuskeln fest, bis sie anhielten und er aus dem Auto steigen konnte.

 

Die Straße war gesäumt von kleinen Einfamilienhäusern, teilweise winzig, wohl aus den Sechzigern, mit gepflegten Vorgärten und der passenden Herbstdekoration an den Türen. Das Haus, vor dem sie standen, sah ähnlich aus, nur ohne Dekoration und mit Unkrautbüscheln davor. Die drei Stufen zur Haustür waren wie leergefegt. Bei den anderen standen hier Blumenkübel. Steven schloss auf und ließ ihn vorgehen. Der kleine Flur wirkte recht kahl. Es gab nur vier Haken an der Wand und zwei Paar Sportschuhe lagen in der Ecke.

 

Nachdem Marvin seine Jacke aufgehängt hatte, folgte er Steven ins Wohnzimmer. Hier war es auch nicht gemütlicher. Zwei dunkelblaue, alte Sofas, ein Flat-Screen auf einem niedrigen Tisch, ein Laptop daneben, ein Regal mit Büchern und zwei Flaschen Whiskey dazwischen. Sonst nichts. Kein Teppich auf dem Laminat, keine Bilder an der Wand. Es fehlte auch der übliche Schnickschnack, den jeder normale Mensch daheim herumliegen ließ, wenn man mal von der Sportzeitung neben der Couch absah.

 

„Du hast nicht gerade viel Zeug, oder?“, wandte er sich an Steven.

 

Der zuckte mit den Schultern und antwortete gelassen: „Wozu? Ich ziehe öfter mal um. Das Haus konnte ich billig mieten, weil die Heizung kaputt ist und die Möbel waren schon da. Ich hab´ nicht vor, die nächsten hundertachtundzwanzig Jahre hier zu bleiben. In zwei Wochen fahre ich für einen Auftrag nach Hamburg und bleibe dann dort. Willst du was trinken? Ich habe Bier da, Whiskey, Cola und Wasser, nimm dir, was du möchtest. Die Küche ist gleich auf der anderen Seite vom Flur. Ich hole dir schon mal was zum Umziehen und ein Handtuch.“

 

Mit den letzten Worten drehte Steven sich um und ging in Richtung Flur. Marvin sah ihm nach, bewunderte den knackigen Hintern und den kurzen, mittelblonden Zopf, der Steven über den Nacken hing. Mit den breiten Schultern in dem weißen T-Shirt und den schmalen Hüften passte er eigentlich genau in Marvins Beuteschema. Der leichte amerikanische Akzent, der ab und zu durchblitzte, war was Besonderes und nett war der Kerl auch noch.

 

Wer nahm schon einen fremden Mann mit nach Hause, nur weil er der Bruder einer Kollegin und in Schwierigkeiten war? Die meisten Menschen hätten zu viel Angst. Mal ganz abgesehen davon, dass Hetero-Männer einen Riesenbogen um Schwule machten. Wenn man Glück hatte. Wenn es schlecht lief, musste man mit blöden Sprüchen oder einer gebrochenen Nase rechnen. Als wenn er im Gebüsch lauern und freilaufende Männer anfallen würde. Haha, sehr witzig. Marvin war schon froh, wenn ihm einer einen zweiten Blick zuwarf. Dafür hatte er jetzt diesen Vollpfosten Angelo an der Backe.

 

Nachdenklich ging er über den Flur zur Küche und goss sich dort ein Glas Cola ein. Auch hier gab es nur Schränke, den Kühlschrank, einen Herd. Keine Vorhänge, kein Kleinkram, nichts.

 

Im Wohnzimmer setzte er sich auf die Couch und wartete auf Steven. Der kam mit Jeans, Shirt und Handtuch zurück und erklärte: “Hier, die Sachen sind wahrscheinlich zu groß, aber dafür trocken. Neben der Küche ist ein Gäste-WC, das Bad ist oben, wenn du duschen willst.“

 

Marvin stellte das Glas auf den Boden, stand auf und fühlte sich schon aufgewärmt. Lächelnd erwiderte er: „Danke, ich bin gleich wieder da.“

 

Auf dem Weg ging ihm durch den Kopf, dass diese Augenfarbe auf dem Index stehen sollte. Blau wie die Sofas im Wohnzimmer oder wie Kornblumen. Aber das Blau der Sofas war absolut unmodern, Kornblumen verwelkten schnell und solche Augen waren entweder hetero oder vergeben. Ach Mist.

 

Das Bad im ersten Stock sah aus wie die spartanische Küche, das halbleere Wohnzimmer und der karge Flur. Außer der Badezimmerkeramik gab es eine Zahnbürste, Rasierer, Aftershave, Handtuch. Sonst nichts.

 

Wieder zurück im Erdgeschoss ließ Marvin sich auf der Couch nieder und nahm sein Glas vom Boden. Entspannt saß Steven mit einem Whiskey auf dem anderen Sofa und musterte ihn interessiert. „Na dann erzähl´ mal, warum du jetzt nicht in deiner Wohnung bist.“

 

Marvin drehte das Glas in seiner Hand und überlegte, ob er überhaupt etwas erzählen wollte. Dann schüttelte er leicht den Kopf und sagte: „Lieber nicht, ich will dir nicht die Ohren vollheulen. Ich bin froh, wenn ich einfach eine Nacht hier bleiben kann. Ist ja nicht dein Problem, sondern meines.“

 

„Bullshit! Der Abend hat erst angefangen und mir ist langweilig. Betrachte es als Bezahlung für ein Hotelzimmer“, sagte Steven und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Reden auf.

 

Der Mann hatte ihn aufgenommen, also war er ihm wohl eine Erklärung schuldig. Marvin atmete einmal tief durch und fing an: „Mein Ex-Freund heißt Angelo. Ich habe ihn im `Crazy Universe´ kennengelernt. Er sah heiß aus und er war witzig. Nach ein paar Wochen war es nicht mehr witzig. Alle paar Stunden rief er an und fragte, wo ich bin. Jeden Tag hat er mich im Büro abgeholt und heimlich mein Handy kontrolliert. Ich habe ihm gesagt, dass er mir mit seiner extremen Eifersucht auf die Nerven geht, aber das hat nichts genutzt.“ Fahrig strich er mit den Fingern durch die Haare und sah zum Fenster.

 

Steven lachte trocken auf. „Klammern ist lästig. Viel zu viel Stress.“

 

„Nein, das ist es nicht. Ich hatte die Schnauze voll von One-Night-Stands ohne … na ja, ich wollte jemanden, der bis zum Frühstück bleibt und mich anlächelt.“ Frustriert sah er Steven an und verzog das Gesicht. „Ja ja, ich weiß, Kitsch as Kitsch can. Und jetzt steht Angelo mit einem Messer in meinem Hausflur, weil er denkt, ich hätte einen anderen. Wann hätte ich den denn aufreißen sollen!“ Marvin schnaubte unwillig. „Über das Treppengeländer musste ich springen. Ich hab´ schon meine Schwester im Ohr: Supi, Marvin, die Sportskanone. Meine Leute sind im Urlaub und meine beiden Kumpels haben … konservative Eltern. Die ganze Situation ist komplett verfahren. Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.“

 

Steven betrachtete ihn mitleidig und sagte: „Du bist jedenfalls erst mal hier und dein Ex kann sich draußen den Hintern abfrieren. Wenn du willst, kannst du auch ein paar Tage bleiben, das Haus ist groß genug. Morgen gehe ich ins `Charleston´, das ist eine Cocktailbar. Du kannst gerne mitkommen, das bringt dich auf andere Gedanken.“

 

Marvin sah ihn zweifelnd an und erwiderte unsicher: „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Angelo kennt hier alle Clubs, Bars und Kneipen. Die nächsten Tage will ich ihm nicht über die Füße fallen.“

 

Steven schmunzelte, die schmalen Lippen zu einem wundervollen Schwung verzogen. „Ist klar, aber er weiß nicht, dass du jetzt einen Bodyguard hast. Komm schon, nicht nachdenken – machen.“

 

Vielleicht war das gar nicht so verkehrt. Die letzten Wochen hatte Marvin die Abende nur noch in seiner oder in Angelos Wohnung verbracht, weil der bei jedem Blick von anderen explodiert war. Außerdem war diese Bar sicher kein Gay-Club, das Risiko also relativ gering. Nach stiller Diskussion mit seinem inneren Angsthasen war Marvin einverstanden.

 

Den Rest des Abends hing jeder auf einer Couch und quatschte sich den Mund fusselig. Sie saßen da und fühlten sich wohl, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. Beide hatten sie eine Schwäche für Playstation-Rollenspiele (in Maßen), für Erdbeermarmelade (in Unmaßen) und für schräge Witze (maßlos).