Atlan 18: Die Folterwelt (Blauband) - Clark Darlton - E-Book

Atlan 18: Die Folterwelt (Blauband) E-Book

Clark Darlton

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Beschreibung

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Das Große Imperium der Arkoniden steht trotz des galaxisweiten Krieges mit den Methanatmern in der Blüte seiner Entwicklung. Von der traumhaften Kristallwelt Arkon aus regiert Orbanaschol III. über Zigtausende von Planeten. Seinen Thron erlangte der Imperator dadurch, dass er seinen Bruder Gonozal VII. durch einen fingierten Unfall beseitigte. Allerdings überlebte der Sohn des ermordeten Imperators den Anschlag. Atlan wuchs auf dem Randplaneten Gortavor auf, wo ihn der geheimnisumwitterte "Bauchaufschneider" Fartuloon erzog. Jahrelang wusste Atlan nichts von seiner Herkunft, nicht einmal, dass Orbanaschol fieberhaft nach ihm, dem jungen Kristallprinzen, fahnden ließ. Als die Häscher doch auf die Spur Atlans kamen und seine Freundin Farnathia entführten, klärte Fartuloon den jungen Mann über seine Bestimmung auf. Auf der Welt Largamenia wurde Atlans Extrasinn aktiviert, von dort aus ging es weiter auf die geheime Stützpunktwelt Kraumon. Nach der erfolgreichen Flucht wissen Atlan und seine wenigen Verbündeten, dass sie jetzt aktiv werden müssen. Ihr Ziel sind die Kralasenen, die blutrünstigen Helfershelfer des Imperators, die vom Blinden Sofgart angeführt werden. Ein wichtiger Stützpunkt ist Ganberaan, die sogenannte Folterwelt, auf der Tausende von Gefangenen auf ein ungewisses Schicksal warten. Dort halten die Kralasenen auch Farnathia fest, Atlans Freundin - und wenn der Kristallprinz sie befreien will, muss er direkt in die Hölle vorstoßen ... Enthaltene ATLAN-Heftromane Heft 104: "Krieg der Gespenster" von Clark Darlton Heft 108: "Der Kopfjäger" von Klaus Fischer Heft 112: "Der Kristallprinz und der Meuterer" von H.G. Ewers Heft 116: "Welt der tausend Foltern" von Ernst Vlcek Heft 120: "Im Reich des Folterkönigs" von Clark Darlton

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Nr. 18

Die Folterwelt

Vorwort

Der Arkonide Atlan wuchs auf der wilden Welt Gortavor am Rande des Imperiums auf. Angeblich war er ein Waisenkind, dessen sich der geheimnisvolle Bauchaufschneider Fartuloon angenommen hatte. Als sein Pflegevater ließ dieser dem jungen Atlan eine hervorragende Ausbildung zukommen, war ebenso Lehrmeister wie Freund. Erst mit dem erfolgreichen Abschluss der ARK SUMMIA auf der Prüfungswelt Largamenia, die in der Aktivierung des Logiksektors gipfelte, erfuhr Atlan, wer er wirklich war: Mascaren da Gonozal, Sohn und designierter Nachfolger des vierzehn Arkonjahre zuvor von seinem Halbbruder Orbanaschol und dessen Helfern ermordeten Imperators Gonozal VII.

»Die Schicksalskugel rollt«, sagte Fartuloon am 24. Prago des Messon 10.497 da Ark, einem Datum der arkonidischen Zeitrechnung, das dem Frühjahr des Jahres 8023 vor Christus entsprach. »Freunde, jetzt beginnt der eigentliche Kampf: auf Leben und Tod! Für Atlan und Arkon!«

Es hatte vielleicht etwas zu melodramatisch geklungen, entsprach jedoch der vollen Wahrheit. Für Atlan begann ein ganz neues Leben, denn er war der Kristallprinz – erbittert verfolgt von den Häschern des Brudermörders, zum Leben im Untergrund gezwungen, aber fortan bemüht, das ihm zustehende Erbe anzutreten und den Tyrannen vom Kristallthron zu stürzen. Kein leichtes Unterfangen, stand dem Imperator doch die volle Macht des in Zehntausende Welten rechnenden Großen Imperiums zur Verfügung, ein gnadenloser Geheimdienst unter dem Befehl Offanturs oder die »Bluthunde« der Kralasenen-Truppe des Blinden Sofgart.

Nicht zu vergessen, dass Atlans Freundin Farnathia, die Tochter des Tatos von Gortavor, im Verlauf der Flucht von dem Exilplaneten in die Hände des Blinden Sofgart fiel und über ihr Schicksal nichts bekannt war. Für Atlan mischten sich also persönliche und politische Interessen, als eines seiner ersten Ziele Die Folterwelt war. Ehe er jedoch dorthin gelangte, galt es, sich eine Basis zu schaffen, und hierzu hatte Fartuloon den Stützpunkt auf der Welt Kraumon auserkoren, ohne zu wissen, dass dort bereits Probleme ganz anderer Art warteten …

Mit dem 17. Buch dieser »Blauband«-Reihe wurden die Kapitel von Atlans Jugendzeit aufgeschlagen, jene schillernden Abenteuer, die in den Jahren 1973 bis 1977 unter dem Titel ATLAN-exklusiv – Der Held von Arkon in insgesamt 160 Heftromanen erstmals veröffentlicht wurden. Trotz meines Bemühens, den Originalen und ihrem Flair recht nahe zu kommen, lässt sich nicht vermeiden, dass viele Passagen bearbeitet, andere gekürzt, gravierende Fehler korrigiert und Überleitungen hinzugefügt werden müssen, damit aus fünf Einzelheften jeweils ein geschlossener Roman entsteht.

Ich hoffe, dass mir auch diesmal die mitunter gar nicht so leichte Gratwanderung zwischen alt und neu gelungen ist – schlagen doch, wie wohl bei jedem Leser, der die alten Hefte kennt, zwei Herzen in meiner Brust: Begeisterung an den Stories aus der »Nur-Fan-Zeit« ringt mit dem Anspruch, nun ein Werk vorzulegen, dem man seine ursprüngliche Aufsplitterung einschließlich der damit fast zwangsläufig verbundenen kleinen und großen Unstimmigkeiten möglichst nicht mehr anmerkt. Ob es gelungen ist, entscheiden die Leserinnen und Leser.

Für das vorliegende Buch 18 wurden, ungeachtet der notwendigen, wo immer es geht, sanften Eingriffe, folgende Romane zusammengestellt: Band 104 Krieg der Gespenster von Clark Darlton, Band 108 Der Kopfjäger von Klaus Fischer, Band 112 Der Kristallprinz und die Meuterer von H. G. Ewers, Band 116 Welt der tausend Foltern von Ernst Vlcek, Band 120 Im Reich des Folterkönigs von Clark Darlton sowie im Epilog eine kurze Passage aus Band 126 Der Bio-Parasit von Dirk Hess. Wie schon in Buch 17 gibt es als Anhang ein Kleines Arkon-Lexikon und zur Veranschaulichung der Schauplätze die Karten.

Und auch diesmal bedanke ich mich bei den Helfern im Hintergrund, die wie stets mit Kritik und Anregungen das Entstehen begleiteten: Michael Beck, Heiko »Mr. Jahrmillionenchronik« Langhans und Michael »Mr. Zeitraffer« Thiesen – sowie Sabine Bretzinger und Klaus N. Frick.

Viel Spaß – ad astra!

Prolog

Wof Marl Starco und Riarne Riv-Lenk:

AUFSTIEG UND NIEDERGANG

DES ARKONIDISCHEN IMPERIUMS

(bibliophile Kostbarkeit; aus dem Arkonidischen Anno 2114 n.Chr. ins moderne Interkosmo übersetzt und veröffentlicht; nachbearbeitet von Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, für die ANNALEN DER MENSCHHEIT, 3565 n.Chr.)

Das arkonidische Imperium erreichte im neunten Jahrtausend v.Chr. eine Blütezeit …Die Jahrhunderte waren gekennzeichnet durch permanente Intrigen des feudalistischen Herrschaftssystems, den Krieg gegen die methanatmenden Maahks und bizarre Kabalen des Hofstaates um den Imperator.

Der Sohn des Imperators Gonozal VII. und der Imperatrix Yagthara, Kristallprinz Mascaren Gonozal, wurde am 35. Dryhan 10.479 da Ark (entspricht dem Jahr 8045 v.Chr.) als designierter Nachfolger des Imperators geboren. Erst später erhielt er auf Wunsch seiner Mutter den Namen Atlan.

Vier Arkonjahre danach, nach der Ermordung des Vaters Gonozal VII. durch dessen Bruder Orbanaschol III., rettete Fartuloon, der sogenannte Bauchaufschneider des Imperators, den jungen Prinzen, sorgte dafür, dass er offiziell »Atlan« genannt wurde, und löschte die Individualdaten Mascarens aus den Speichern des Robotgehirns der Kristallwelt. Fartuloons intensive Erziehung des jungen Prinzen gipfelte im dritten Grad der ARK SUMMIA auf der Prüfungswelt Largamenia (Atlans Tarnname: Macolon).

In den ersten Jahren auf Gortavor, Fartuloons »Exilplanet«, Endpunkt der Flucht, übernahm Imperatrix Yagtharas jüngere Schwester Merikana Atlans Erziehung. Über ihr Schicksal existieren keinerlei Aufzeichnungen; als 10.496 da Ark der Blinde Sofgart auf Gortavor erscheint, lebte Merikana nicht mehr auf diesem Planeten.

Atlan wurde von den Schergen Orbanaschols ebenso gnadenlos wie erfolglos gehetzt und verfolgte gleichzeitig seinerseits die Mörder mit erbitterter Hartnäckigkeit …

Aus: Biographie Atlans (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, Provcon-Faust, 3565

Je mehr Einzelheiten aus Atlans Leben im Laufe der Zeit bekannt wurden – sei es durch seine eigenen Berichte oder durch Hinzuziehen anderer Quellen –, desto auffälliger wurde die maßgeblich prägende Rolle Fartuloons. Pflegevater, Lehrmeister, Freund: Ohne die Ausbildung und Hilfe des offensichtlich äußerst langlebigen, wenn nicht gar potentiell unsterblichen Bauchaufschneiders wäre Atlan sicherlich nicht zu dem geworden, als den wir ihn kennen.

Wenn wir uns jedoch näher mit diesem Geheimnisvollen beschäftigen, der sich selbst als »letzter Calurier« bezeichnete, fällt auf, dass die maßgeblichen Informationen über ihn fast ausschließlich von Atlan stammen und dass selbst diesem nicht möglich war, die mit Fartuloon verbundenen Rätsel zu lösen. Fest steht, dass er zu jenen wenigen Personen gehörte, denen Atlan bedingungslos vertraute, und das ungeachtet aller mit ihm verbundenen Fragen und Ungereimtheiten. Bei seinem Auftreten als Fartuloon oder später als Ottac gefiel er sich stets in der Rolle des geheimnisumwitterten Mannes. Er verkörperte perfekt den Lebemann, der an keiner schönen Frau achtlos vorbeigehen konnte, den Gourmet, für den Speise und Trank ein Teil seines Lebensinhaltes waren. Zweifellos spielte er diese Rollen deshalb so gut, weil sie irgendwie seinem Charakter entsprachen. Und doch war dies nur eine Maske, nicht die wahre Persönlichkeit.

Fartuloon war als Bauchaufschneider nicht nur Arzt, Wissenschaftler und Philosoph, sondern von seiner ganzen Art ebenso ein hervorragender Kämpfer, der durch den Brustharnisch und das Schwert Skarg die Nähe zur Tradition der Arkon-Ritter betonte, der Dagoristas, auch Tron’athorii Huhany-Zhy genannt. Angeblich machte er keinen Hehl daraus, dass er erfolgreich als Gladiator gekämpft und offenbar sogar an den KAYMUURTES teilgenommen hatte.

Er lebte unter Arkoniden und wurde von diesen akzeptiert, war selbst jedoch keineswegs ein Angehöriger dieses Volkes, vermutlich nicht einmal von kolonialarkonidischer Abstammung. Dies belegten seine korpulente Statur und die gelben Augen ebenso wie seine eigene Aussage, zwar an der ARK SUMMIA teilgenommen und diese bestanden zu haben, nicht aber über einen aktivierten Extrasinn zu verfügen. Insbesondere sein Auftreten als Ottac – erstmals offensichtlich im Jahr 2048, später dann um 2840 – sowie der Hinweis auf die Verwendung von»Körpermasken« erschweren die Beurteilung noch mehr. Fest steht nur, dass auch unter Berücksichtigung altarkonidischer, akonischer und lemurischer Quellen kein Volk der Calurier bekannt ist, ja dass nicht einmal ein Planet namens Calur oder ein Land Calurien zu existieren scheinen.

Das Wissen und die Kenntnisse Fartuloons verblüfften Atlan stets aufs neue, und seine Möglichkeiten standen dem mit Blick auf seine Geheimstationen, weitsichtigen Vorbereitungen und die Nutzung der sonderbaren OMIRGOS-Kristalle keineswegs nach. Selbst Kontakte oder Verbindungen zur Superintelligenz ES wurden diesem Mann nachgesagt; eine Bestätigung in dieser Hinsicht konnte nicht einmal Atlan liefern.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Biographie Atlans hat sich somit unter dem Strich das Rätsel Fartuloon im Grunde eher vergrößert als verkleinert. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine Befragung des Prätendenten insofern ergebnislos blieb, als Atlan nicht bereit war, seine eigenen Vermutungen und Überlegungen preiszugeben. Für ihn war und ist Fartuloon der Freund, dessen Eigenheiten und Geheimnisse er als gegeben akzeptiert. Das wiederum müssen wir akzeptieren – in der Hoffnung, dass vielleicht die Zukunft noch die eine oder andere Facette dieser bemerkenswerten Persönlichkeit offenbart.

Denn auch das sei an dieser Stelle festgehalten: Aus der gesamten Art und Weise, wie Atlan weiterhin von Fartuloon spricht, lässt sich problemlos heraushören, dass er davon überzeugt ist, seinem alten Lehrmeister und Pflegevater nicht das letzte Mal begegnet zu sein, dass dieser vielmehr weiterhin lebt und über kurz oder lang abermals seinen Weg kreuzen wird …

1137. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren, gegeben aus Anlass der dritten entscheidenden Phase. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende Hochenergie-Explosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 1. Prago des Tedar, im Jahre 10.497 da Ark.

Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Ungeduld, dein Name ist Jugend! Alter ist zwar kein Verdienst, aber es bringt jenes Maß von Erfahrung mit sich, das sich nie durch jugendlichen Elan ersetzen lässt: Seit Atlan über ein aktiviertes Extrahirn verfügt und seine wahreHerkunft kennt, gelingt es mir kaum noch, seinen Tatendrang zu bändigen.

Dreizehn Pragos nach Arkon-Zeitmaß sind vergangen, dass Atlan den Medien gegenüber seinen Thronanspruch verkündete und auf diesem Weg dem Brudermörder und Tyrannen Orbanaschol III. seine Kampfansage zukommen ließ – immerhin hatte das arkonidische Trivid anlässlich des diesjährigen Abschlusses der ARK SUMMIA mindestens dreißig Aufnahmemannschaften mit den bekanntesten Berichterstattern des Tai Ark’Tussan zur bedeutendsten der fünf Prüfungswelten geschickt. Noch immer befinden wir uns in dem Geheimstützpunkt tief unter den Felsmassen eines Gebirges, das seinerseits von der Energiekuppel einer Simulationsanlage überwölbt wird und die Anpeilung unseres Transmitters verhindert. Während Atlans ARK SUMMIA-Schulungszeit ist es mir gelungen, knapp hundert zuverlässige Leute auf Largamenia zusammenzuziehen.

Schon am 18. Prago des Messon traf jedoch Mascant Offantur, der Chef der Tu-Gol-Cel, mit 20.000 Mann ein und verhängte eine totale Blockade über den Planeten; mindestens tausend Schiffe des Orbys-Nukara-Geschwaders riegelten den Raum ab. Unter diesen Bedingungen war an eine Abreise nicht zu denken. Unsere Planung sah ohnehin anders aus, obwohl wir auch – durchaus einkalkulierte – Rückschläge zu verzeichnen hatten.

Tanictrop, Naturwissenschaftler, verschwiegen, geistvoll, hat seinen hohen persönlichen Mut mit dem Leben bezahlt: Als sein Sohn Macolon getarnt, bestand Atlan als einer von neun aus 342 Hertasonen die dritte Stufe der ARK SUMMIA; die Kralasenen des Blinden Sofgart fassten Tanictrop kurz vor seiner vorbereiteten Flucht und erschossen ihn unter einem fadenscheinigen Grund. Am 24. Prago des Messon wurde Dreisonnenträger Tormanac da Bostich vom Chef des TGC persönlich inhaftiert und der Beihilfe an Atlans gelungener Flucht bezichtigt.

Blockade, Übergriffe der TGC, Admiral Tormanacs Verhaftung, unsere Flugblätter mit Atlans Lebensgeschichte und der Wahrheit über Imperator Gonozals VII. Tod und letztlich Atlans persönlicher Auftritt als Gos’athor des Großen Imperiums vor den Robotkameras hatten nicht nur auf Largamenia eine Stimmung des Aufruhrs zur Folge. Selbstverständlich stritt Offantur Atlans Ausführungen als Lüge ab, stellte ihn als Schwindler hin und erklärte die Beweise für gefälscht – doch schon die mutigen Berichterstatter wagte er nicht zu inhaftieren, sondern verwarnte sie nur in scharfer Form.

Inzwischen haben Orbanaschol und Offantur natürlich ihre Propagandamaschinerie anlaufen lassen, eindeutige »Beweise« für Gonozals Jagdunfall vorgelegt und Atlans »Lügen« weiter entkräftet, um dann durch erfolgreiche Frontberichte des sich »plötzlich verschärfenden Methankriegs« von dieser Thematik abzulenken. De-Keon’athor Tormanac ist inzwischen zwar wieder auf freiem Fuß, wurde jedoch – abermals mit Hinweis auf seine Beinprothesen – als Vorsitzender der »Kleinen Runde« und Chef der Faehrl von Largamenia abgesetzt, steht noch unter Hausarrest und soll in den nächsten Pragos auf eine unbedeutende Kolonialwelt in den »wohlverdienten Ruhestand« abgeschoben werden.

Es ist unausweichlich, dass Geheimdienste und Sofgarts Kralasenen verstärkt nach Atlan und allen, die ihm vielleicht helfen könnten, fahnden. Somit verbietet sich nicht nur eine Kontaktierung Tormanacs, sondern die Planeten Gortavor und Zhoyt samt den dortigen Stationen sind für uns »verbrannt«, eine Rückkehr aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Aber das Imperium ist groß, Zehntausende Welten und Hunderte Milliarden Bewohner kommen uns zugute. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, zunächst eine sichere Basis zu schaffen – hinsichtlich Ausstattung, Personal, organisatorisch wie logistisch.

Wir, die Getreuen des ermordeten Imperators und Verbündeten des Kristallprinzen, können auf die in den letzten Jahren ausgearbeiteten Pläne zurückgreifen, dennoch wird es ein mühsamer und langwieriger Weg werden, um Orbanaschol aus dem Kristallpalast zu vertreiben. Vor allem die Unterstützung der Khasurn zu erhalten, ohne deren Rückhalt weder ein Machtwechsel noch die Inthronisation des Gos’athor als Imperator Gonozal VIII. zu realisieren sein wird, ist ein langfristiges Vorhaben mit vielen Unwägbarkeiten, das viel Diplomatie und Fingerspitzengefühl erfordert.

Andererseits sind Atlans Ungeduld und Tatendrang jedoch ebenfalls zu berücksichtigen – nicht zuletzt seine überaus verständliche Sorge um Farnathia Declanter, die fast 16jährige Tochter des Tatos von Gortavor, die sich seit unserer Flucht von diesem Planeten am 27. Prago der Coroma 10.496 da Ark in den Händen des Blinden Sofgart befindet. Zu Recht hat Atlan darauf verwiesen, dass dem Chef der Kralasenen mit ihr eine Geisel zur Verfügung steht, deren Schicksal ihm persönlich am Herzen liegt und ihn letztlich erpressbar macht. Die Kenntnis von Sofgarts Psychogramm lässt mich befürchten, dass er genau dieses plant, und ich kenne meinen Ziehsohn zu gut, als dass erbereit wäre, Farnathia einer zwar logisch fundierten, aber zutiefst brutalen Erwägung, wie sie der Begriff »Staatsräson« ausdrückt, zu opfern. Nach reiflicher Überlegung habe ich deshalb beschlossen, unser Vorgehen zu forcieren: Gemeinsam mit Atlan, Eiskralle und Tirako Gamno werde ich Largamenia über die vorbereitete Transmitterstrecke verlassen. Die einzelnen Zwischenstationen sind allesamt gegen Ortungen abgeschirmt, so dass es möglich sein wird, die bereitstehende Diskusjacht, nach Atlans ehrenwertem Herrn Vater GONOZAL getauft, unbeobachtet zu erreichen.

Unsere Aufgabe wird die eines Vorauskommandos sein: In den Jahren um 10.475 da Ark wurde auf Befehl Seiner Erhabenheit, Imperator Gonozal VII., eine ganze Reihe von über das Große Imperium verstreuten Stützpunkten geschaffen, die dem Zhdopanthi, seiner Familie und seinem Regierungsstab im Notfall Unterschlupf und Sicherheit gewährleisten sollten. Die Anlagen sind allesamt für eine halbe Ewigkeit konserviert, unzugänglich für unberechtigte oder zufällige Besucher. Ich habe mich für jene auf dem Planeten Kraumon entschieden, deren relative Nähe zum galaktischen Zentrum, 22.130 Lichtjahre vom Kugelsternhaufen Thantur-Lok und Arkon entfernt, uns ein Höchstmaß an Sicherheit verspricht.

1.

Aus: Biographie Atlans (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, Provcon-Faust, 3565

Bezogen auf die Ausgangsbedingungen muss dem jungen Atlan und seinen Freunden nicht nur beachtliches Selbstvertrauen, sondern ein fast ans Naive grenzender Optimismus unterstellt werden. Nach dem als »Jagdunfall« dargestellten Tod Gonozals VII. und der Machtübernahme Orbanaschols III. gingen zwar viele Gonozal-Treue in den Untergrund und dürften später zu jenen Vertrauten gehört haben, auf die Fartuloon setzen konnte, aber im Vergleich zum Machtapparat des Imperators wäre selbst eine nach Millionen zählende, bestens organisierte Untergrundorganisation objektiv gesehen im Grunde nicht der Rede wert gewesen. Doch selbst von einer solchen war in jener Zeit der Kreis um den Kristallprinzen lichtjahreweit entfernt.

Atlans über die Arkonmedien verbreitete »Kampfansage« an Orbanaschol nach der erfolgreichen Aktivierung seines Extrasinns kann durchaus als die konsequente Ausnutzung der sich bietenden guten Gelegenheit betrachtet werden. Zu einer Umsetzung war er jedoch zu diesem Zeitpunkt keinesfalls in der Lage; Anspruch und Wirklichkeit klafften in katastrophalem Maße auseinander. Mehr noch: Als von offizieller wie inoffizieller Seite Verfolgter und Gejagter war für Atlan vielmehr das Abtauchen angesagt, um zunächst den vielen Häschern zu entkommen – verbunden mit dem Ziel, jenen von Fartuloon ausgewählten Planeten zu erreichen, von dem aus vielleicht spätere Einzelaktionen gestartet werden konnten.

An Bord der GONOZAL: 4. Prago des Tedar 10.497 da Ark

Fartuloons Geheimniskrämerei ging mir langsam, aber sicher auf die Nerven. Pflegevater hin, Pflegevater her, er handelte weiterhin, als sei ich der Junge auf Gortavor und nicht der rechtmäßige Nachfolger Imperator Gonozals VII., den mein Onkel Orbanaschol heimtückisch ermordet hatte. Statt meiner saß nun der Mörder auf dem Kristallthron der Arkoniden. Ich hatte geschworen, für mein Recht zu kämpfen, und mir zur Seite standen meine Freunde: Fartuloon selbst, der Chretkor Eiskralle und der junge Arkonide Tirako Gamno, der wie ich an der ARK SUMMIA teilgenommen hatte. Farnathia, mit der mich mehr als bloße Freundschaft verband, war schon bei unserer Flucht vor nunmehr sechs Arkon-Perioden auf Gortavor in die Hände der Kralasenen gefallen. Meine Angst um sie wuchs ebenso wie meine Ungeduld von Tag zu Tag. Ich hatte mir fest vorgenommen, sie baldmöglichst zu befreien. Vorbereitung und Teilnahme an der ARK SUMMIA hatten die Sorgen in den Hintergrund gedrängt, nun traten sie um so stärker hervor.

Kraumon hieß unser Ziel – viel mehr war bislang aus dem Alten nicht herauszulocken gewesen. Bis zu einem gewissen Grad verstand ich ja seine Art der Verschwiegenheit; ebenso, dass er die Transitionsberechnungen stets alleine durchgeführt hatte. Dennoch wurde es Zeit, dass er Klartext redete. Nachdenklich starrte ich auf die Anzeigen und Instrumente der Zentrale. Die Transparenz der flach gewölbten Panzertroplonkuppel des Schiffes war durch die doppelte Polarisation der Zwischenschicht aufgehoben. Im Band der Panoramagalerie ergänzte sich die normaloptische Projektion mit den Parametern von Ortung und Tastung zum positronisch simulierten Bild.

Vom Endpunkt der Transmitterstrecke aus waren wir mit der bereitstehenden GONOZAL gestartet. Es war eine von Kolonialarkoniden besiedelte Welt gewesen, die im Gegensatz zu den Kugelsternhaufen Thantur-Lok und Cerkol schon zum Nebelsektor der Öden Insel gehörte – also Teil der galaktischen Hauptebene war. Wie dieser Planet hieß und wo er sich befand, hatte Fartuloon natürlich nicht gesagt. Nach acht Transitionen schätzte ich, dass die Distanz zum galaktischen Zentrum nur noch zehn- bis zwölftausend Lichtjahre betragen konnte: Die Sterne standen in dichten Konstellationen, selten mehr als ein Lichtjahr voneinander entfernt; vielfarbig leuchteten Wasserstoffwolken, und vom Hintergrund hoben sich die unregelmäßig geformten, dunklen Bereiche von Staubballungen ab. Keine drei Lichtjahre entfernt dehnte sich die regenbogenfarbige Struktur eines planetaren Nebels, etwa halb so weit loderte der blauweiße Überriese, der Fartuloon offensichtlich als Orientierungspunkt gedient hatte.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich im Antigravschacht das typische Scheppern des alten Brustharnischs hörte, den der Bauchaufschneider nur zum Schlafen ablegte. Er gehörte zu ihm wie das Schwert Skarg, das er fast ständig trug. Seine massige Gestalt schwebte aus der Schachtöffnung in die Zentrale, in der ich Tirako vor zwei Tontas nach der letzten Transition abgelöst hatte. Wieder einmal versuchte ich, Einzelheiten der silbrig schimmernden Knauffigur des Dagor-Breitschwerts zu erkennen – und wieder einmal schienen ihre Konturen bei näherem Hinsehen zu zerfließen. Fartuloon war nur mittelgroß und wirkte auf den ersten Blick recht korpulent. Doch das vermeintliche Fett waren harte und zugleich geschmeidige Muskeln. Er lächelte mit den gelben Augen, die hinter den Wülsten seines breiten Gesichts kaum zu sehen waren. Als Ausgleich für den Kahlkopf war es von einem schwarzen gekrausten Vollbart umwuchert.

»Na, mein Sohn«, sagte er jovial und setzte sich in einen der Kontursessel, »wie kommst du mit dem Schiffchen zurecht?«

Ich musste grinsen. Das »Schiffchen« war eine schnelle diskusförmige Jacht der LEKA-Baureihe mit ausgezeichneten Flugeigenschaften, einem tadellos funktionierenden Ferm-Taàrk-Transitionstriebwerk und allen nur denkbaren technischen Einrichtungen, die man von einem tüchtigen Kleinraumer verlangen konnte – bei fünfzig Metern Durchmesser und zwanzig Metern Höhe.

»Deine Frage ist überflüssig, Fartuloon. Natürlich komme ich zurecht, und ich muss sagen, es ist ein sehr guter Raumer. Möchte wissen, wie du und deine … hm, Vertrauten da herangekommen seid. Kostet doch mindestens eine Million Chronners. Oder gehörte die GONOZAL meinem Vater?«

Fartuloon grinste zurück. »Wer viel redet, der verrät auch viel. Ich ziehe es nun mal vor, mich mit Geheimnissen zu umgeben – auch meinen Freunden gegenüber.«

Dafür hat er unseren markigen Wahlspruch geprägt: Für Atlan und Arkon – auf Leben und Tod! »Warte nur«, drohte ich scherzhaft, »bis ich erst Imperator bin. Dann lasse ich dich mit Psychostrahlern berieseln, bis es keine Lügen und Ausreden mehr gibt. Vielleicht erfahre ich so endlich die ganze Wahrheit.«

»Alles zu seiner Zeit.« Fartuloon starrte gedankenverloren auf das Band der Panoramagalerie. »Mit der nächsten Transition sind wir da.«

»Kraumon? Ich nehme an, es handelt sich um einen Planeten, der nicht in den Sternenkarten verzeichnet ist.«

»Ganz richtig. Kraumon ist der einzige Planet einer namenlosen Sonne. Das hat gewisse Vorteile, was die Ortung sich nähernder Schiffe betrifft. Auch ist das einer der Gründe, warum ich diesen Planeten wählte. Dort sind wir wohl vorerst sicher und können die nächsten Schritte in aller Ruhe angehen.«

»Eiskralle fiebert danach, dem Blinden Sofgart seine Krallen um den dürren Hals legen zu können. Wir müssen Farnathia befreien! Du kennst meine ständige Sorge um sie!«

Eiskralle war ein Chretkor und sah so aus, als bestünde er aus transparentem Eis. Da er meist unbekleidet war, konnte man seine Organe, Nervenstränge und Adern deutlich erkennen. Mit nur 1,35 Metern Größe und einer ansonsten durchaus arkonoiden Gestalt war seine Hauptschwäche die ständige Angst, bei zu großer Hitze zu zerfließen oder bei zu großer Kälte zu erstarren. Aber wehe, er gab einem Lebewesen, das er nicht mochte, die Hand – das war eine fürchterliche Waffe, die uns schon aus mancher Klemme befreit hatte.

»Ihr wird nicht das kleinste Haar gekrümmt werden, darauf kannst du dich verlassen, Atlan. Wenn ich da nicht sicher wäre, säßen wir jetzt nicht hier und hielten weise Reden … Was hältst du eigentlich von deinem neuen Freund Tirako Gamno?«

Sein plötzlicher Themenwechsel überraschte mich. Wir hatten uns schon oft genug über Tirako unterhalten, wozu also die Frage? Ich war froh, ihn als Verbündeten, Mitstreiter und Freund gewonnen zu haben. Tirako war hochgewachsen, sah aber zerbrechlich aus, hatte einen scharfen Verstand, war schöngeistig, aber alles andere als ein Feigling und mit der Gabe des feinen Spottes ausgestattet; sein Vater, der Chef einer Handelsraumschiffsflotte, galt als kaltherziger Geschäftsmann.

»In erster Linie ist er für mich das Symbol der jungen Generation, die den verhassten Diktator loswerden möchte. Schon das macht ihn vertrauenswürdig. Er gehört zu den Leuten, die instinktiv in Orbanaschol den Verräter und Verbrecher wittern und ihn stürzen wollen.«

»Junge Leute wollen immer etwas umstürzen.«

»Sicher, aber diese junge Generation hat eine gute Alternative anzubieten. Das ist der Unterschied. Einfach das Alte zerstören, ohne bessere Lösungen anzubieten, das kann jeder Dumme und Hitzkopf. Tirako kennt die volle Wahrheit, er hat es damit leichter als seine Altersgenossen, die ihrem Instinkt folgen und keine Beweise haben. Er stammt aus gutem Kelch, und ich bin sicher, dass wir uns auf ihn verlassen können.«

»Da bin ich auch sicher, sonst hätten wir ihn nicht mitgenommen. Ich zeige nicht jedem meine Stützpunkte.«

Eine Weile schwiegen wir. Fartuloons Bemerkung zur vermeintlichen »Sicherheit« Farnathias hatte mich keineswegs beruhigt. Im Gegenteil! Verstärkt stiegen die verdrängten Sorgen auf. Woher nimmt er diese Gewissheit?, fragte ich mich. Würde ich ihn nicht besser kennen … Was ich bisher vom Blinden Sofgart weiß, deutet keineswegs darauf hin, dass er ihr »nicht das kleinste Härchen krümmt« – schon im Tarkihl hat er versucht, sich an sie heranzumachen! Erfreulicherweise bescherte ihm diese Begegnung recht intensive Kopfschmerzen.

Inzwischen weiß Sofgart um ihre Beziehung zu dir, dem Kristallprinzen!, meldete sich der Extrasinn mit in meinem Gedankenhintergrund flüsternder Stimme. Das verändert die Lage: Er wird versuchen, sie gegen dich als Druckmittel einzusetzen oder um dich in eine Falle zu locken.

Fartuloons auf unergründlichen Wegen gesammelte Informationen besagten, dass Sofgart in den letzten Arkon-Perioden an Bord seines Flaggschiffs CELIS im Sternenmeer der Öden Insel unterwegs gewesen war und voraussichtlich erst gegen Ende des Tedar entweder zur Welt der Kralasenen, Trumschvaar, oder seiner Folterwelt Ganberaan zurückkehren wollte. Für mich ein Zeitpunkt, an dem spätestens Handeln angesagt war; wie im Einzelnen, musste sich noch herausstellen.

Automatisch fuhren die Impulstriebwerke rumorend hoch und beschleunigten den Diskus, so dass der Sprung knapp unterhalb der Lichtgeschwindigkeit stattfinden würde: Das Programm für die neunte und letzte Transition war berechnet; jetzt kontrollierte Fartuloon nochmals den Strukturfeld-Konverter, der die Ferm einleiten würde, verbunden mit dem unvermeidbaren Entzerrungsschmerz. Das musste in Kauf genommen werden, wollten wir in Bruchteilen einer Millitonta viele Lichtjahre zurücklegen.

»Kraumon ist ein mondloser Planet mit 10.399 Kilometern Durchmesser. Sieht bedeutungslos aus. Die Atmosphäre ist dünn, aber auch ohne Verdichtermasken atembar. Der größte Teil der Oberfläche hat wüstenartigen Charakter. Nur am Äquator und am Rand der Poleiskappen gibt es eine reichhaltige, teilweise üppige Vegetation – riesige Wälder und Steppen, auf denen das Gras mannshoch wächst. Es gibt Gebirge und geschützte Täler, die noch nie der Fuß eines intelligenten Lebewesens betreten hat. Die Fauna ist artenarm. Der Stützpunkt liegt am Äquator in einem großen Tal mit Wäldern, Seen und Flüssen. Kraumon hat eine Schwerkraft von 0,66 Gravos, die mittleren Temperaturen liegen bei etwa 25 Grad, und die Dauer der Rotation beträgt 22,5 Tontas, ist also länger als ein Standardprago. Nennenswerte jahreszeitliche Wechsel gibt es nicht, weil die Achsneigung nur drei Grad beträgt.«

»Ich habe nicht vor, auf Kraumon zu faulenzen.« Ich sah ihn fragend an. »Was planst du genau? Das hast du uns noch nicht gesagt.«

Fartuloon lächelte. »Zuerst müssen wir den ›schlafenden‹ Stützpunkt aktivieren. Er wurde Jahre vor deiner Geburt errichtet und für den Notfall konserviert. Nun soll er unsere Einsatzbasis werden, in der sich nach und nach die Vertrauten und Helfer einfinden, die mir zur Seite standen und auf dich eingeschworen sind, Kristallprinz. Die Zeit, bis die Anlagen und der ebenfalls dort stationierte Leichte Kreuzer in Betrieb genommen sowie das Gros unserer Leute eingetroffen sind, ist eine kritische Phase. Nicht nur der Blinde Sofgart ist auf unserer Spur, sondern auch die TGC und private Kopfjäger, die von Orbanaschol angeheuert wurden. Würde mich nicht mal wundern, wenn der Tierbändiger Corpkor ebenfalls dazugehört; diesem ist angeblich noch nie ein Opfer entwischt. Nun, auf Kraumon sind wir hoffentlich sicher. Ich glaube nicht, dass noch jemand von der Existenz dieses Planeten am Rand der Zentrumsballung weiß. Und wenn, müssen wir ihm einen heißen Empfang bereiten.«

Ich blieb skeptisch; das Sternenmeer der Öden Insel war zwar gewaltig, aber unser Ziel war ja nicht, sich auf eine Welt zurückzuziehen und im verborgenen auf den Lebensabend zu warten, sondern der aktive Kampf gegen Orbanaschol und seine Schergen. Und dazu müssen wir das vermeintlich sichere Versteck verlassen und an die Brennpunkte des Großen Imperiums gelangen!

Die Automatik gab Alarm und leitete die Transition ein. Der Entzerrungsschmerz des Ferm-Taàrk kam jäh mit dem hochgespannten und dann vollständig geschlossenen Strukturfeld: Dem zunächst dreidimensionalen hyperenergetischen Kugelfeld mit variablem, aber begrenztem Radius wurde durch die gleichzeitig initiierte Stoßfront eine Unstetigkeit aufgezwungen. Verbunden damit war die Transformation zur Hypersphäre. Augenblicklich nahm deren konventioneller Inhalt das höhergeordnete Strukturmuster an, und wir wurden für unbestimmte Zeit samt Schiff entstofflicht und durch den Hyperraum ans Ziel geschleudert. In Abhängigkeit vom Abstoßimpuls des Stoßfrontvektors, der in Richtung und Betrag durch Zielanpeilung und Koordinatenberechnung konfiguriert wurde, erfolgte die zwangsläufige materielle Rekonstituierung.

Meine Sympathie für diesen rabiaten Vorgang war nicht besonders groß, und ich fragte mich, ob irgendjemand in der Zukunft eine andere Art des Antriebs entwickeln würde. Es muss doch möglich sein, den Hyperraum ohne totale Auflösung zu überwinden! Oder zumindest die Nebenwirkungen zu dämpfen – sie belasten Besatzung und Material und sind übergroße Distanz anzumessen!

Nachdem wir rematerialisiert waren, konnte ich mich mit einem Blick auf die normaloptische Rundumsicht und die automatisch erstellten Daten der Passivortung davon überzeugen, dass die Ferm geglückt war. Vor uns glühte eine einsame rote Sonne. Rund 100 Millionen Kilometer von uns entfernt erkannte ich die rötlichgrün hervorgehobene Welt. Das musste Kraumon sein. Fartuloon war mit der recht nahen Wiederverstofflichung das Risiko eingegangen, dass sich die Strukturerschütterung auf den Planeten und seine tektonische Stabilität auswirkte. Normalerweise hatten Transitionen außerhalb von Sonnensystemen stattzufinden, in ausreichender Sicherheitsdistanz.

Eiskralles zerbrechlich wirkende, gläserne Gestalt schwebte aus dem Schacht in die Kommandozentrale. »Sind wir endlich da?«, fragte er Fartuloon, nachdem er mir zugenickt hatte. »Das ist also Kraumon?«

»Ja«, bestätigte der Bauchaufschneider.

Der Chretkor betrachtete die Reliefprojektion. »Sieht aus wie jeder andere Planet auch.«

»Die Ortungsauswertung läuft«, brummte Fartuloon. »Die ersten Messungen … Ich weiß nicht, aber ich habe ein komisches Gefühl.«

Ich warf ihm einen forschenden Blick zu. Wenn Fartuloon »komische Gefühle« hatte, bedeutete das zumeist nichts Gutes, gelinde gesagt. Die lautlose Stimme meines Extrasinns ergänzte: Eher eine mittlere bis große Katastrophe!

Es erfüllte mich weiterhin mit Stolz, dass ich einer von wenigen gewesen war, die auf Largamenia die Reifeprüfung bestanden und die ARK SUMMIA Dritter Stufe errungen hatten. Das war nicht nur eine ideelle Auszeichnung, sondern mit der Aktivierung meines Extrahirns verbunden gewesen – für mich von unschätzbarem Wert. Richtig gewöhnt hatte ich mich zwar noch nicht an die plötzlichen Einflüsterungen, aber von Tag zu Tag entdeckte ich mehr Möglichkeiten, die mir der Logiksektor und das mit ihm verbundene photographische Gedächtnis boten.

Die Orterschirme zeigten stark vergrößert Teile der Oberfläche Kraumons. Gleichzeitig erschienen die Daten von Masse-, Energie- und Strukturtastung. Fartuloon studierte sie aufmerksam. Ich sah ihm zu und stellte fest, dass sein Gesicht immer nachdenklicher wurde und schließlich einen besorgten Ausdruck annahm. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

Er gab nicht sofort Antwort. Sorgfältig verglich er die Daten mit Aufzeichnungen eines Positronik-Pads, das er aus dem Panzerschrank unter den Navigationskontrollen genommen hatte. Er runzelte die Stirn, sagte aber noch immer nichts. Ich nutzte die Zeit, mir Kraumons Bilder und Daten anzusehen. Fartuloons Beschreibung stimmte: Ich sah riesige Waldflächen am Äquatorgürtel, große Seen und breite, lange Ströme, die das Land bewässerten. Dazwischen gab es Gebirge, zerschnitten von vegetationsreichen Tälern. Dann wiederum erstreckten sich fruchtbare Ebenen und Grasflächen über Hunderte von Kilometern, um abermals von Wäldern und Gebirgen und großen Seen abgelöst zu werden. Meere gab es auf Kraumon keine, obwohl die größten Seen tausend und mehr Kilometer Durchmesser erreichten.

Die Positronik erstellte aus den Messwerten Karten, die bei Bedarf ausgedruckt werden konnten, vorerst aber nur auf diversen Bildflächen dargestellt wurden. Geringe Streuemissionen und eine größere Ansammlung von Arkonstahl an nur einem Ort waren die einzigen Anzeichen für Erzeugnisse einer Zivilisation auf dem ansonsten unberührten Planeten. Weil wir wussten, wonach wir zu suchen hatten, war die Interpretation kein Problem – einem zufälligen Besucher entgingen sie vermutlich sogar.

Fartuloon veränderte die Empfindlichkeit der Orter und projizierte das Bild eines Monitors auf die Panoramagalerie. Weitere Einzelheiten der Oberfläche waren zu erkennen. Obwohl der Planet noch weit entfernt war und wir uns ihm mit hoher Geschwindigkeit näherten, erschienen die Ausschnitte der uns zugewandten Oberfläche, als schwebten wir nur wenige hundert Meter über ihr.

Endlich brach mein Lehrmeister das Schweigen: »Der Stützpunkt in Gonozals Kessel muss jeden Augenblick optisch erkennbar werden, es ist früher Morgen im Tal. Es sind insgesamt siebenundvierzig Gebäude. Ich habe den Identifizierungskode abgestrahlt und die positive Rückmeldung erhalten; die Basisaggregate laufen an.«

Eiskralle hatte sich gesetzt und betrachtete ebenfalls die Bilder. Ich musste ehrlich gestehen, dass ich in diesen Augenblicken mehr als nur gespannt war. Oft genug hatte Fartuloon den Planeten erwähnt, ohne jedoch Einzelheiten zu verraten. Tirako kam gähnend in die Zentrale, und ich bedeutete ihm, sich zu setzen und ruhig zu sein: Fartuloon wollte jetzt nicht gestört werden. Gebannt starrten wir alle auf die Bildschirme. Aus der Dunkelheit am Rand des Planeten kroch allmählich ein Gebirge hervor, durch den Kontrast überaus plastisch zu erkennen. Ein ausgedehnter grüner Talkessel wurde sichtbar, mit Flüssen, Seen und Wäldern, von Bergen begrenzt, ganz wie Fartuloon es geschildert hatte.

»Gonozals Kessel«, murmelte Eiskralle kaum verständlich. »Bei der Namensvergabe warst du auch schon phantasiereicher, Alter.«

Der Bauchaufschneider winkte ab. Und dann sahen wir den Stützpunkt: Gebäude nahe der Mitte des paradiesisch anmutenden Tals; sieben davon waren große Kuppelbauten, achtzehn flache Rundgebäude, jeweils als Dreiergruppe angeordnet. Hinzu kamen drei Türme mit diversen Ortungs- und Funkantennen, und der Rest bestand aus rechteckig geformten Lagerhäusern. Messketten und Beschriftungen wurden eingeblendet. Die Hauptkuppel im Zentrum erreichte hundert Meter Durchmesser, die wenige hundert Meter entfernten sechs Nebenkuppeln – als Eckpunkte eines gleichseitigen Sechsecks angeordnet – immerhin noch fünfzig. Die neunzehn Hallen, meist in Dreierreihen zwischen und neben den Kuppeln angeordnet, maßen fünfzig zu fünfundzwanzig Meter, als Höhe der Funk- und Ortungstürme wurden 150 Meter angegeben. An das fast einen Kilometer große Areal schloss sich im Süden ein Landefeld von fünfhundert Metern Durchmesser an – und auf diesen stand der erwähnte Leichte Kreuzer.

Tirako brach das Schweigen und meinte lakonisch: »Sieht so aus, als hätte jemand den Stützpunkt entdeckt.«

An einigen Kuppeln und Lagerhallen waren beachtliche Beschädigungen zu erkennen, so als habe jemand versucht, gewaltsam in ihr Inneres einzudringen. Fartuloon lehnte sich zurück und starrte zur Panoramagalerie. »Im Zuge der Konservierung wurde er weitgehend energetisch stillgelegt; eine Entdeckung war also nur durch Zufall möglich. Die offensichtlichen ›Beschädigungen‹ gehören zur Tarnung. Allerdings zeigen die Massetaster geringere Werte an. Das bedeutet, dass Material fehlt. Kann alles sein – Gebäudeteile, Einrichtungsgegenstände, Aggregate, Waffen … eben alles. Die Gebäude sind noch vorhanden, genau siebenundvierzig; der Kreuzer gehört zum Stützpunkt. Aber in den Bauten und subplanetarischen Lagerräumen muss etwas fehlen. Es waren Diebe auf Kraumon!«

Ich saß ganz ruhig da und betrachtete die Anzeigen, auf denen ich nichts Verdächtiges feststellen konnte, während Eiskralle gedehnt sagte: »Was für Diebe? Unsere Feinde können es nicht sein, denn sie hätten doch wahrscheinlich den ganzen Stützpunkt vernichtet. Oder sie sind noch dort und haben eine Falle für uns vorbereitet, aus der es kein Entrinnen mehr gibt? Hm, nein, dann müsste ja eine größere Masse angezeigt werden.«

Langsam schüttelte der Bauchaufschneider den kahlen Kopf. »Außerdem hätten unsere Orter und Taster ein fremdes Schiff angemessen. Nein, außer dem Kugelraumer befindet sich kein anderer auf Kraumon, das steht fest. Es war jemand hier, aber er ist wieder fort. Und er hat eine Menge mitgenommen, wenn ich den Daten trauen kann, sogar eine erhebliche Menge. Wir müssen feststellen, was gestohlen wurde.«

»Piraten!«, vermutete Tirako. »Vielleicht waren es Piraten?«

Ich sagte: »Könnten die Unbekannten im Ortungsschutz der Sonne auf uns warten?«

»Nein – seit Abflug der Bautrupps vor einundzwanzig Jahren war hier niemand.« Er zeigte auf die Bildfläche des Hyperfunkempfängers. »Die Rückmeldung des Stützpunktrechners ist eindeutig; es wurden keine Strukturerschütterungen von Raumschiffen registriert. Nicht eine einzige! Darüber hinaus ist die Station gegen fremden Zugriff abgesichert. Niemand kann sie betreten, ohne einen Alarm auszulösen. Die Lagerräume sind selbstverständlich positronisch abgesichert. Allerdings …« Er gab sich einen Ruck. »Leite das Landemanöver ein, Atlan, wir wollen keine Zeit verlieren. Ich muss wissen, was da unten geschehen ist – oder noch geschieht. Tirako, du übernimmst die Feuerkontrolle.«

Eiskralle hob den Arm. »Und was soll ich machen?«

»Du bleibst ruhig sitzen, bist still und hörst auf, mit deinen Glasknochen zu klappern!« Fartuloon knurrte gereizt. »Auf Kraumon wirst du angenehme Temperaturen vorfinden. Ich muss gestehen, einigermaßen beunruhigt zu sein. Was oder wer erwartet uns da unten?«

Ich konzentrierte mich auf meine Aufgabe, während Fartuloon sich abermals um die Orter und Taster kümmerte, um so viele Werte wie möglich zu erhalten. Ich erhöhte die Geschwindigkeit, Kraumon kam schnell näher. Tirako überprüfte die Kontrollen für die Energiegeschütze und den Schutzschirm, während Eiskralle in seinem Sessel hockte, den Beleidigten spielte und mürrisch reagierte: »Niemand, schätze ich! Sofern da überhaupt jemand war, ist er längst wieder fort. Sonst hätten wir ja, wie du selbst behauptest, das fremde Schiff orten müssen.«

Der Bauchaufschneider reagierte nicht. Ich hatte ihn selten so besorgt gesehen: Der von ihm ausgewählte Stützpunkt war entdeckt worden!

Vibrationen der Impulstriebwerke durchzogen den Diskus, rasch wurde der Planet in der realoptischen Darstellung größer. Ich bremste die GONOZAL schließlich ab, zog sie in eine halbe Umkreisung Kraumons und ging direkt in den Landeanflug über. Ein Feuerschweif zog sich hinter uns her, während vom hochgespannten Prallschirm die Luft ionisiert und abgestoßen wurde. Mit der Morgensonne im Rücken näherten wir uns der Oberfläche.

Ich drosselte die Geschwindigkeit weiter und glitt in geringer Höhe über eine endlos wirkende Steppe nach Westen. Die Berührung einer Sensorfläche reichte, um die doppelte Polarisation der Zentralekuppel aufzuheben. Bald musste das äquatoriale Gebirge mit dem Tal am Horizont auftauchen. Eiskralle klapperte nun deutlich hörbar mit den Zähnen. Ich kannte ihn und wusste, dass das lediglich ein Zeichen seiner Erregung war und nichts mit Angst zu tun hatte. Tirakos rechte Hand lag über den Schaltflächen der »Feuerorgel«. Fartuloon ließ die Panoramagalerie und die eingeblendeten Ortungsdaten nicht aus den Augen.

Das Gebirge wurde schnell größer. Fartuloon gab mir einige navigatorische Anweisungen, ich korrigierte den Kurs. Wir wollten uns dem Tal von Osten her nähern, die Sonne stieg hinter uns höher. Gonozals Kessel erreichte mindestens fünfzig Kilometer Durchmesser. Mehrere der Seen waren durch Flussläufe verbunden. Saftige Wiesen wechselten mit Wäldern ab, die auf den Randhügeln und den Bergfüßen immer dichter wurden.

»Langsamer!«, befahl mein Lehrmeister. Ein letzter Hügel wurde im Tiefflug überquert, dann bremste ich den Diskus bis zum Schwebezustand ab. »Dort – wir landen neben dem Kreuzer. Ich halte es unter den gegebenen Umständen für angebracht, dass wir die Kampfanzüge anlegen. Bei einem möglichen Angriff können wir uns dann besser zur Wehr setzen.«

»Und der Diskus?« Tirako sah besorgt in die Runde. Das Gelände des Stützpunkts lag leer und verlassen unter uns. Ich konnte keine Bewegung erkennen, und selbst im Tal außerhalb der Station entdeckte ich kein Leben. Die vier Teleskopstützen fuhren aus, sanft setzte die GONOZAL auf dem Landefeld neben dem Leichten Kreuzer auf und kam zum Stillstand.

»Wird positronisch gesichert.« Fartuloon schüttelte mehrmals den Kopf, als könne er das alles nicht begreifen, aber er wirkte wieder ruhig und gefasst und schien sich mit der Tatsache abgefunden zu haben, dass Unbekannte die Station gefunden und teilweise ausgeraubt hatten. Der Antrieb verstummte. »Ich schlage vor, dass du an Bord bleibst und uns gegebenenfalls Rückendeckung gibst.«

»Einverstanden.«

Dein Lehrmeister macht sich Vorwürfe!, teilte der Logiksektor kühl mit. Er hat Kraumon ausgewählt – wurde der Stützpunkt entdeckt, bringt dich das unter Umständen in Gefahr und wirft die weitere Planung über den Haufen. Der Diebstahl von Material ist nicht der Kernpunkt.

Ich schaltete die Systeme herunter. »Schutzschirm?«

»Tirako ist an Bord. Außerdem schaltet er sich bei positronischer Sicherung automatisch ein, sobald jemand den Versuch unternimmt, gewaltsam ins Schiff einzudringen.« Fartuloon stand auf und verließ als Erster die Kommandozentrale. Wir folgten ihm zur Ausrüstungskammer.

Arkonidische Transport-, Kampf- und Schutzanzüge gab es in diversen Ausführungen, von leichter bis zu schwerer. Normale Bordkombinationen hatten kaum mehr als Aggregatgürtel, gepanzerte Druckkombis für den Einsatz auf Gasriesen klobige Rückenaggregate und muskelkraftverstärkende Gestänge in Exoskelettfunktion, massive Raumrüstungen schützende Protectorschalen und Harnische aus Arkonstahl, der sogar durch Kristallfeldintensivierung aufgeladen und zusätzlich verstärkt werden konnte. Wir wählten Transportanzüge der leichten, flugfähigen Ausfertigung, ausgestattet mit zu Nackenwülsten zusammenrollbaren Folienhelmen und Aggregatgürteln, in die Antigrav- und Individualfeldprojektoren integriert waren. Als Bewaffnung dienten Kombistrahler mit wahlweiser Thermostrahl-, Desintegrator- oder Paralysatorwirkung; robuste und praxiserprobte Handwaffen aus der seit Jahren verwendeten TZU-4-Serie.

Wenig später verließen wir die GONOZAL durch die Bodenschleuse. Der Druckmesser hatte mir gezeigt, dass die Luft in der Tat ein wenig dünn war. Obwohl sich unsere Lungen bald an die veränderten Atembedingungen gewöhnt haben würden, hatten wir dennoch zur Vorsicht die Klarsicht-Fächerhelme unserer Anzüge geschlossen und auf Innenklimatisierung geschaltet, um in der körperlichen Aktivität nicht behindert zu werden. Fartuloon warf dem Kugelraumer nur einen kurzen Blick zu, ehe er sich an die Spitze unserer Gruppe setzte und losmarschierte. Den TZU-4 hielt er schussbereit. Während der Landung hatte ich mir den Kreuzer angesehen. Soweit ich auf den ersten Blick beurteilen konnte, war er unversehrt. Die Diebe – wenn es sich wirklich um Diebe handelte – schienen an ihm kein Interesse gehabt zu haben. Eiskralle ging seitlich hinter Fartuloon her, während ich den Abschluss bildete.

Ich fragte mich, ob Kraumon unter den gegebenen Umständen wirklich geeignet war, eines Tages die Hauptbasis für unsere Operationen gegen das Große Imperium zu sein, wie es meinem Lehrmeister zweifellos vorschwebte. Langsam näherten wir uns den ersten Gebäuden; im Westen stieg das von Wald bedeckte Gelände rasch an und wellte sich zu Hügeln. An Fartuloon und dem Chretkor vorbei, auch ein bisschen durch Eiskralle hindurch, suchte ich den kleinstadtgroßen Komplex ab. Ich versuchte, irgendeine Bewegung zu erkennen, aber ich bemerkte nichts. Schon regte sich in mir die Hoffnung, dass Fartuloon sich getäuscht hatte, obwohl mehrfache Überprüfung gezeigt hatte, dass die Orterinstrumente ebenso in Ordnung waren wie die Massetaster. Als wir noch hundertfünfzig Meter von der südwestlichen Nebenkuppel entfernt waren, geschah etwas Phantastisches, was alle weiteren Spekulationen überflüssig machte, wenigstens soweit sie die Frage betrafen, ob jemand den Stützpunkt entdeckt hatte oder nicht.

Fartuloon stieß plötzlich einen Schrei aus und blieb wie angewurzelt stehen. Langsam hob er den linken Arm und zeigte nach Westen. Und dann sahen wir es auch. Oder vielmehr: Wir sahen den Arkoniden im Schutzanzug eines Raumsoldaten am Rand des Landefeldes stehen. Er musste genauso überrascht sein wie wir, denn er war wie erstarrt und rührte sich nicht. Für einen Augenblick stieg in mir die Frage hoch, wo er hergekommen war. Bis zum Wald waren es mehr als sechshundert Meter, und zwischen diesem und der Station und dem Landefeld gab es keine Deckungsmöglichkeit. Dennoch war es von ihm bis zum ersten Gebäude der flachen Rundbau-Dreiergruppe eine beachtliche Strecke.

Fartuloon hielt seinen Strahler schussbereit, schaltete die Anzugaußenlautsprecher ein und rief: »He, wer sind Sie? Was suchen Sie hier? Wo kommen Sie her?«

Der Fremde hatte den Bauchaufschneider zweifellos gehört, denn er beugte sich wie lauschend vor. Anscheinend hatte er jedoch die Frage nicht verstanden. Er ließ seinen Impulsstrahler im Gürtel stecken und hob die linke Hand, als wolle er durch Zeichen antworten, aber noch während er die Hand hob, wurde sie langsam transparent.

Ich hielt unwillkürlich die Luft an, während Eiskralle über Helmfunk flüsterte: »Er hat den Deflektorschirm eingeschaltet.«

Deflektoren konnten unsichtbar machen, doch wenn sie richtig funktionierten, sah der Effekt ganz anders aus. Der Mann vor uns verwendete keinen Deflektorschirm, denn inzwischen war zwar der winkende Arm fast bis zum Ellbogen verschwunden, aber er wirkte seltsam verstümmelt, ohne verwundet zu sein. Der Arkonide rührte sich nicht, und noch während wir ihn anstarrten, wurden auch seine Beine durchsichtig. Eiskralle knurrte verblüfft, obwohl er den Anblick eines transparenten Körpers besser kannte als jeder andere von uns. Das hier war jedoch etwas ganz anderes. Offensichtlich ohne Einsatz technischer Hilfsmittel wurde ein Arkonide unsichtbar und verschwand vor unseren Augen. Der Extrasinn fragte: Aber geschieht es freiwillig?

Mir kamen in dieser Hinsicht ebenfalls Zweifel, als ich das Gesicht des Mannes sah. Es war vor Angst und Wut verzerrt. Und dann stellte ich fest, dass es innerhalb weniger Augenblicke blasser und glasiger wurde, bis vor uns nur noch ein mit Waffengurten behängter Rumpf mit einem sinnlos winkenden halben Arm in der Luft schwebte.

»Verdammt!«, stieß Fartuloon hervor. »Das gibt es doch gar nicht!«

Der Raumsoldat verschwand abrupt. Fartuloon justierte den Gürtelantigrav und flog hinüber, tastete mit den Händen suchend in der leeren Luft herum und bückte sich schließlich, um den Boden zu untersuchen. Nach allen Seiten sichernd, folgten wir ihm. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht ernst. »Die Spuren sind real, also war es auch der Mann. Sein Gewicht erzeugte Fußabdrücke. Merkwürdig ist nur, dass keine Spuren hierherführen. Seht, nur die Eindrücke, wo er gestanden hat, das ist alles. Er muss also eigentlich geflogen sein.«

»Unsichtbar?« Eiskralle schüttelte sich. Im sandigen Boden waren die Fußspuren deutlich zu sehen – unverkennbar Abdrücke von Profilsohlen eines Schutzanzugs.

»Muss wohl, denn ich habe ihn erst im letzten Augenblick entdeckt. Aber mir ist noch etwas aufgefallen. Er trug einige Auszeichnungen, die Orbanaschol längst abgeschafft hat, weil sie noch von Gonozal verliehen wurden. Dieser Mann aber trug sie, obwohl das Verbot bereits seit vierzehn Jahren in Kraft ist.«

Ich räusperte mich. »Willst du damit sagen …?«

»Es ist der logische Schluss, Atlan. Der Soldat kämpft noch immer für deinen Vater. Er muss den Kontakt zur Flotte verloren haben. Hinzu kommt allerdings sein plötzliches Auftauchen und Verschwinden.« Er schüttelte den Kopf. »Sonderbar.«

Scheu sahen wir uns nach allen Seiten um, während wir zu Fuß unseren Weg zur Station fortsetzten. Der Zwischenfall war meiner Meinung nach mehr als mysteriös. Selbst wenn der Raumsoldat noch immer für meinen längst toten Vater zu kämpfen glaubte, blieben alle anderen Begleitumstände ein Rätsel. Immer mehr setzte sich bei mir die Überzeugung durch, dass der Mann nicht freiwillig handelte, sondern dazu gezwungen wurde. Sein verzweifeltes Gesicht, als er langsam unsichtbar wurde, ging mir nicht aus dem Sinn. Kann es sich um eine Art Raum-Zeit-Verschiebung handeln?

Ehe ich weiter darüber nachzudenken konnte, erreichten wir die unversehrt wirkende Hauptkuppel und folgten dem Bauchaufschneider zu dem Schott einer Mannschleuse. Er öffnete die Klappe eines Schaltfelds, griff in seine Beintasche und holte einen winzigen Gegenstand hervor, den er ins Loch für positronische Schlüssel steckte. Anschließend tippte er über den Nummernblock des Schaltfelds einen Kode ein und legte die Hand auf eine benachbarte Sensorfläche. Erst danach öffnete sich die ovale Außenpforte. Nach Eiskralle betrat ich die Schleuse, die von indirekten Lichtquellen hell erleuchtet wurde. Die Pforte schloss sich hinter mir. Nachdem das Innenschott aufgeschwungen war, sah ich mich um. Der leere Raum erinnerte an eine Empfangshalle. Lediglich ein paar Gänge mündeten in ihn, das war alles.

Fartuloon mochte meine Gedanken erraten haben. »Von hier aus kann man in jedes der anderen Gebäude gelangen. Man muss nur den richtigen Weg kennen.«

Eine halbe Tonta später saßen wir in der Zentrale der Hauptkuppel. Fartuloon hatte die Hauptpositronik hochgefahren, sich als berechtigt identifiziert und musterte mit uns die Bilder der internen Überwachungsanlage. »Es war jemand hier, das steht unzweifelhaft fest, und wir müssen herausfinden, ob er noch hier ist. Der geheimnisvoll verschwundene alte Soldat ist nicht allein für die Veränderungen verantwortlich. Aber wer sonst?«

In den Ausrüstungskammern der Lagerhallen und Kuppeln waren Waffen, Lebensmittelvorräte und technische Geräte gestapelt, mit denen man eine kleine Flotte hätte ausrüsten können. Kampfanzüge gab es zu Hunderten oder Tausenden, hinzu kamen stillgelegte Kampfroboter, Arbeitsmaschinen und alles, was zu einem Stützpunkt dieser Größenordnung gehörte. Fartuloon war sicher, weitere Hinweise auf das Wirken der unbekannten Eindringlinge zu erhalten. Wir hatten ihre Spuren vor allem in einer der zahlreichen Waffenkammern gefunden: Wahllos und offensichtlich in größter Hast waren Kampfanzüge aus ihren Wandhalterungen gerissen und mitgenommen worden. In den Regalen fehlten ganze Reihen Impulsstrahler, Kisten mit Ersatzmagazinen waren aufgebrochen oder entwendet worden. Fartuloon betrachtete das Werk der Diebe mit gerunzelter Stirn.

»Wenn es ihnen gelungen ist, in die Station einzudringen, hätten sie eigentlich von den Wachrobotern aufgespürt und vertrieben werden müssen. Einige von ihnen wären mit Sicherheit verletzt oder getötet worden, aber wir haben noch keine einzige Leiche gefunden oder sonstige Spuren eines Kampfes. Fast wirkt es so, als seien Geister hiergewesen, Körperlose und Unsichtbare, die aber verdammt real sein können – so wie draußen der Raumsoldat.«

»Vielleicht sind es Geister«, murmelte Eiskralle beklommen und dachte wohl an jene des Tarkihl. Natürlich glaubte niemand von uns wirklich an »echte« Geister, aber jeder von uns wusste, dass es seltsamste Phänomene im Universum gab.

Fartuloon hatte mir vor vielen Jahren einmal von der Geschichte eines Forschungsschiffes berichtet, die noch zu Zeiten meines Vaters großes Aufsehen erregt hatte. Es war in einen Hypersturm geraten und passierte dabei im Unterlichtflug Koordinaten, an denen sich zwei verschiedene Bezugsebenen der Zeit schnitten oder überlappten, so dass sich die unglaublichsten Effekte ergaben. Plötzlich existierte der Raumer nämlich zweimal und wäre fast mit sich selbst kollidiert. In Wirklichkeit existierte er nur einmal, war aber durch eine zeitliche Versetzung verdoppelt worden: Eine um etwa eine zehntel Tonta getrennte Version des Schiffes wurde offensichtlich auf die Bezugsebene der jüngeren zurückgeschleudert, so dass es zu dieser Selbstbegegnung kommen konnte. Zum Glück blieb es bei dieser einmaligen Verdopplung.

Der Kommandant des Schiffes sagte später bei der Untersuchung des Vorfalles aus, er habe zunächst beim Funkkontakt seinen Doppelgänger gesehen, bis dieser plötzlich nur noch verschwommen zu erkennen gewesen und dann allmählich unsichtbar geworden war – wie auch das andere Schiff. Und anschließend habe sich für ihn die Situation mit umgekehrten Vorzeichen nochmals abgespielt, da er selbst nun plötzlich zu dem Doppelgänger wurde und sein früheres Ich kontaktierte, bis dieses ebenfalls plötzlich verschwand.

War es im Fall des Raumsoldaten ähnlich? Lag der Planet Kraumon im Schnittpunkt einer solcher Überlappung, deren Natur bis heute nicht vollständig geklärt worden war? Fartuloon kontrollierte die automatische Aufzeichnung, verglich die Zeitangaben.

Dann drehte er sich zu uns um. »Es hat sonderbare Ortungen gegeben, aber sie waren stets von sehr kurzer Dauer. Den Daten nach zu urteilen, haben die Geräte zwar etwas angemessen, was in der Nähe Kraumons aus dem Hyperraum rematerialisierte, aber sofort wieder in Transition ging. Das ist jedoch kaum möglich, denn selbst Notsprünge beanspruchen ein Minimum an Zeit. Ich muss das eingehender prüfen, ehe ich mehr dazu sagen kann. Raumschiffe waren das allerdings in keinem Fall!«

Ich verzichtete auf einen Kommentar, aber meine Vermutung hinsichtlich eines zeitlichen Phänomens schien sich immer mehr zu bestätigen. Ein Wunder, dass Fartuloon nicht von selbst darauf kam. Wir gingen hinüber in den eigentlichen Rechnerraum, der neben der Zentrale lag.

Fartuloon setzte sich ans Hauptpult, rief gespeicherte Daten ab, verglich sie und murmelte nach eingehendem Studium der Aufzeichnungen: »Der Stützpunkt wurde bekanntlich konserviert. Die Automatikschaltung der internen wie externen Überwachung lief die ganze Zeit im gedrosselten Zustand, um eine zufällige Entdeckung zu vermeiden. Deshalb können die Selbstschutzprogramme nur auf spezifische Situationen reagieren – beispielsweise bei einem gewaltsamen Versuch des Eindringens. Zu diesem ist es aber gar nicht gekommen. Die Automatik registrierte zwar, dass mehrmals unvermittelt innerhalb der Station Bewegungsalarm ausgelöst wurde, aber die Wachroboter, die an die betreffenden Stellen entsandt wurden, entdeckten niemals Eindringlinge. Sie meldeten nur das Fehlen von Gegenständen. Die Ortungen außerhalb der Station waren stets von extrem kurzer Dauer, innerhalb der Station dagegen dauerten sie bis zu einer halben Tonta, was bedeutet, dass sich die Fremden unsichtbar gemacht haben müssen, weil den Robotern kein Zugriff gelang. Es gibt keine Erklärung, es sei denn, die Diebe sind … hm, Teleporter, denn nur dann wären sie in der Lage, jederzeit und nach Belieben die Position oder gar von einer Dimension in die andere zu wechseln, und das war hier offensichtlich der Fall. Zumindest war es ein verwandter Vorgang.«

»Würde jedenfalls zu den Ergebnissen der Strukturtaster passen«, sagte ich. Wir rätselten noch eine Weile herum und diskutierten die merkwürdigen Ereignisse, dann gaben wir es auf.

»Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, das Phänomen zu klären«, sagte mein Lehrmeister. »Wir müssen nach der Aktivierung der Station zu ihrer vollen Kapazität warten, bis wieder Alarm gegeben wird, und dann hoffen, dass wir den entsprechenden Ort schnellstens erreichen. Zumindest die nun aktivierte optische und akustische Dauerüberwachung sämtlicher Räume, Hallen, Korridore und Antigravschächte muss bei einem erneuten Eindringen der Unbekannten Ergebnisse liefern.«

Mir war aufgefallen, dass nahezu in allen Räumen und auf den Gängen in regelmäßigen Abständen ein Lageplan der gesamten Station einsehbar war: Auf einer Bildfläche des Interkoms waren die Gebäude und Gänge eingezeichnet und mit Nummern versehen.

»Interne Überwachung«, antwortete Fartuloon auf meine Frage. »Wenn an irgendeiner Stelle Alarm ausgelöst wird, leuchten für Berechtigte nach der Identifizierung die Karten auf. Wo immer wir uns auch zu dieser Zeit gerade aufhalten, wir sehen dann sofort, wo etwas nicht in Ordnung ist, und sind in der Lage, den betreffenden Ort auf schnellstem Wege zu erreichen. Auf der Karte ist dieser Weg eingezeichnet und wird automatisch angezeigt.«

»Wie sehen die nächsten Schritte aus?«, fragte Eiskralle.

Der Bauchaufschneider kratzte sich den Bart und lächelte kühl. »Die Station erwacht zum Leben. Nacheinander fahren die Reaktorblöcke hoch, so dass uns sämtliche Anlagen einschließlich des Schutzschirms zur Verfügung stehen. Die ersten fünfzig Kampfroboter sind aktiviert und stehen bereit. Ich habe in die Haupt-KSOL unsere Individualmuster eingegeben, sie hat uns als die einzigen Zugriffsberechtigten registriert. Bis sämtliche Räumlichkeiten in einen wohnlichen Zustand versetzt sind, wird noch eine ganze Weile vergehen – die Wartungs- und Servoroboter beginnen soeben mit der Arbeit. Wir richten uns deshalb zunächst nur in einem Teil der Hauptkuppel häuslich ein. Ihr könnt euch mit dem Stützpunkt vertraut machen, während ich mich weiter mit den Messdaten beschäftige.«

»Tirako?«, erkundigte ich mich knapp.

»Bleibt vorerst an Bord der GONOZAL.« Fartuloon wiegte den Kopf. »Sicher ist sicher.«

Während er sich wieder dem KSOL-Terminal zuwandte, riefen Eiskralle und ich die Grund- und Aufrisse des Stützpunktes auf und studierten die Pläne. Die Überwachungsanlage lieferte überdies die gewünschten Bilder dazu, unter anderem von dem Unterkunftsteil im oberen Bereich der Hauptkuppel, in dem sich Hunderte luxuriöser Suiten über mehrere Etagen rings um eine Reihe von Gemeinschaftsräumen gruppierten, zu denen neben einem Atrium mit einem Schwimmbad eine Turnhalle und auch eine automatische Küche mit angeschlossenem Speisesaal gehörten.

Eiskralle grinste gläsern. »Wir brauchen dort nur zu wählen, und bereits nach wenigen Zentitontas wird die gewünschte Mahlzeit geliefert. Auch Getränke in jeder Form sind vorhanden, wie ich an Hand der Einlagerungsliste sehe.«

Die Unterkünfte waren mit allem nur denkbaren Komfort ausgestattete Räume. Zwar hatten sie keine Fenster, aber Bildwände waren mehr als nur ein Ersatz. Auf einen Knopfdruck oder akustische Befehlsgebung hin entstand dort jede gewünschte Landschaft, von der Hauptpositronik generiert. Während der Chretkor weiter die Stationsinfos durchsah, ging ich zu Fartuloon in den Rechnerraum und sagte: »Ein beachtlicher Stützpunkt, alter Geheimniskrämer!«

Er grinste, aber das Lächeln verschwand sofort von seinem Gesicht. »Ich mache mir Sorgen, Atlan. Jemand hat die Station entdeckt und treibt hier sein Unwesen. Wir müssen ihn finden!«

»Du sagst es. Aber wie jagt man ›Geister‹?«

Er schüttelte den Kopf. »Der alte Raumsoldat war real und lebte! Geister hinterlassen keine Fußspuren und räumen auch keine Waffenlager aus. Die Diebe scheinen förmlich aus einer anderen Dimension zu kommen …«

Ich wollte etwas antworten, kam aber nicht mehr dazu. Ein sirenenähnliches Geheul ließ mich hochfahren. Fartuloon musterte die Projektion der Alarm-Leuchtkarte. »Oben in der Turnhalle!«, rief er und rannte los. »Schnell! Du bleibst hier in der Zentrale, Eiskralle!«

Die »Turnhalle« – ein Saal mit vielfältigen Trainingsmaschinen – war nur wenige Dutzend Meter entfernt und über den Antigravschacht schnell erreicht. Ich holte den Bauchaufschneider vor der Tür ein. Fartuloon öffnete sie langsam und vorsichtig, bis ein ausreichend breiter Spalt entstand, dass wir in den Saal sehen konnten. Wir trauten unseren Augen nicht: Mindestens zehn schwerbewaffnete Raumsoldaten hatten sich in einer Ecke zusammengedrängt und schossen mit ihren Impulsstrahlern auf etwas, das wir nicht erkennen konnten, weil es rechts von uns in der anderen Ecke sein musste. Die grellen Energiebündel rasten durch die Halle, setzten mehrere Turngeräte in Brand und ließen die gegenüberliegende Wand aufglühen. Ein fürchterlicher Hitzeschwall brodelte uns entgegen; Kunststoffverkleidung schmolz, warf Blasen oder verdampfte gar.

»Diese Idioten!«, knurrte mein Lehrmeister wütend. »Sie zerstören ja alles! Was soll der Unsinn?«

Ohne zu überlegen, schloss ich den Helm meines Schutzanzuges und beugte mich vorsichtig vor, um herauszufinden, worauf die Veteranen so wütend schossen. Ich sah die beiden Fremdwesen, deren Aussehen ich aus den Kriegsberichten kannte – zuletzt auch Teil der ARK SUMMIA auf Largamenia, so dass automatisch ein Informationsschwall in mein Wachbewusstsein strömte.

Sie waren zweieinhalb Meter groß und anderthalb breit, die Körper an Schwerkraftverhältnisse zwischen 2,9 und 3,1 Gravos gewöhnt. Ihr schulterbreiter Wulstkopf war fest mit dem Rumpf verwachsen. Die vier Doppelaugen im schmalen Grat ermöglichten ihnen, nach vorne und hinten gleichzeitig zu sehen; sie waren rund, erreichten den Durchmesser einer Faust und hatten Schlitzpupillen. Der zwanzig Zentimeter breite Mund war extrem dünnlippig. Nur am Kopf war das schmutzige Grau der fingernagelgroßen Schuppen zu erkennen, die Körper selbst waren in schwere Schutzkombinationen gehüllt und von transparenten Individualfeldern zusätzlich geschützt.

Kurze, stämmige Beine sowie extrem lange, tentakelartige Arme vervollständigten den Eindruck – es handelte sich tatsächlich um Maahks. Zwar gab es angeblich Tausende Arten der »Methans« genannten Spezies, doch die Maahks galten als die beherrschende und größte. Sie lebten auf Wasserstoff-Ammoniak-Welten bei Temperaturen zwischen fünfundsiebzig bis sechsundneunzig Grad; die Bezeichnung »Methans« oder »Methanatmer« bezog sich hierbei auf atmosphärische Verunreinigungen, da diese Geschöpfe in Wirklichkeit Wasserstoff ein- und Ammoniak mit Methanspuren ausatmeten.

Schon zur Regierungszeit von Imperator Arthamin I. vor über hundert Arkonjahren gab es erste militärische Auseinandersetzungen zwischen uns und ihnen im Taponar-Sektor. Die inzwischen Methankrieg genannte Eskalation begann vor vierzig Arkonjahren – am 34. Prago der Prikur 10.457 da Ark wurde das Iskolart-System im Bereich der gleichnamigen Dunkelwolken von Methans erobert. Die Monde der Gasriesen waren reich an Hyperkristall-Fundstätten und wurden von uns wie ihnen beansprucht; es war unsere erste Niederlage gegen diese Wesen. Im Kampf galten sie als wahre Ungeheuer, fast unverwundbar, wenn man sie nicht richtig traf.

Und die Methans schossen auf die Arkoniden in der Turnhalle. Fartuloon riss mich zurück. »Bist du übergeschnappt? Wenn sie uns bemerken, sind wir erledigt.«

»Was …?«

»Die Arkoniden und Methans bekämpfen sich, wenn mich nicht alles täuscht, mit Waffen, die aus meinem Arsenal stammen. Das sind also die Diebe: Versprengte des Methankrieges.«

Ich dachte an die vorangegangenen Ereignisse und die geheimnisvollen Umstände, mit denen wir konfrontiert worden waren. Ganz so sicher war ich nicht, dass mein Lehrmeister Recht hatte. Aber mir blieb jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Einer der arkonidischen Soldaten erhielt einen tödlichen Treffer mitten in die Brust. Sein Kampfanzug verkohlte sofort, aber noch ehe der Mann den Boden berührte, löste er sich auf und war verschwunden. Alles, was er in der Hand gehalten hatte, verschwand ebenfalls. Zwei andere Arkoniden begannen sich ebenfalls zu verflüchtigen, aber sie waren nicht verwundet oder gar tot. Sie feuerten so lange aus ihren Waffen auf die beiden Maahks, bis sie total entstofflicht und verschwunden waren. Die anderen blieben und kämpften weiter, wurden dann jedoch ebenfalls einer nach dem anderen unsichtbar.

Nun konnte mich Fartuloon nicht länger zurückhalten. An ihm vorbei sprang ich in die Halle. Ich wollte sehen, was mit den Methans war, ohne an die Gefahr, die mit meiner Neugier verbunden war, zu denken. Einer wurde eben unsichtbar. Er hatte das Feuer eingestellt, da er keinen Gegner mehr sah. Mich schien er nicht zu bemerken. Sein Kopf unter dem transparenten Helm entstofflichte. Dann folgten der gewaltige Körper und die säulenförmigen Beine. Der andere Maahk blieb eine Weile stabiler, obwohl auch seine Entstofflichung einsetzte. Fartuloon, der mir entsetzt gefolgt war, sah ebenso fasziniert wie ich dem verzögerten Verschwinden zu. Außer den Zerstörungen blieb nichts zurück, was die beiden Geistergruppen mitgebracht hatten. Aus der gegenüberliegenden Tür kamen die ersten Wach- und Wartungsroboter; letztere begannen sofort mit den Aufräumungsarbeiten. Der Bauchaufschneider kümmerte sich nicht darum. Wortlos verließ er den Turnsaal und kehrte mit mir in die Zentrale zurück.

Er setzte sich und rieb sich die fleischige Nase. »Die Sache nimmt allmählich äußerst bedenkliche Formen an«, murmelte er verstört, weil er offensichtlich noch immer keine wissenschaftlich brauchbare Erklärung hatte. »Maahks und Arkoniden sind gleichermaßen betroffen! Sie halten sich offensichtlich nur unter Zwang in unserer Existenzebene auf und werden immer wieder in die ihre zurückgeholt, ob sie das wollen oder nicht. Aber bei uns sind sie real, sonst könnten sie nicht mit den Waffen des Stützpunkts kämpfen. Merkwürdig ist nur, dass auch diese verschwinden, zusammen mit den Pseudogeistern. Das ist es, was ich einfach nicht begreife.«

»Könnten sie aus der Vergangenheit stammen?«, fragte ich, denn ich hatte auch bei einigen der zehn Raumsoldaten im Turnsaal die alten Gonozal-Auszeichnungen gesehen.

»Da steckt mehr dahinter.«

»Und wie erklärst du dir die Begleitumstände? Ihr plötzliches Auftauchen aus dem Nichts, mitten in der Station, und ihr ebenso plötzliches Verschwinden?«

»Überhaupt nicht«, gab Fartuloon ärgerlich zurück. »Ich muss nachdenken und weitere Messdaten auswerten, ehe ich mehr sagen kann. Die Alarmanlage informiert uns, sollten die Kerle abermals auftauchen.«

2.

Aus: Manual of Science and Technology, Datenbestand des Terrania Institute of Technology

In den ersten Jahren – um nicht zu sagen Jahrzehnten – nach 1971 gab es auf Terra nur wenige, die sich überhaupt in der Hyperphysik auskannten oder sie gar beherrschten, doch mit Konstituierung des Solaren Imperiums begann eine intensivierte Schulung vor allem an der Universität von Terrania, und parallel dazu nahm die Forschung kaum weniger Raum ein: Bei genauerer Betrachtung hatte sich nämlich gezeigt, dass das »arkonidische Erbe« bemerkenswert lückenhaft und unvollständig war, weil den in Jahrtausenden bewährten Aggregaten der Anwendungsseite ein vergleichsweise »dürftiger« Background gegenüberstand.

Grundsätzliche Schwierigkeit war, dass die Arkoniden pragmatisch handelten und ihre Hyperphysik rein phänomenologisch blieb: Beobachtete hyperphysikalische Ereignisse wurden mit einer »Erklärung« versehen und in der Praxis bezüglich der Brauchbarkeit