Auf Augenhöhe? -  - E-Book

Auf Augenhöhe? E-Book

0,0

Beschreibung

"Deutschland sucht den Superstar", "Germany's next Topmodel" oder "Die Super Nanny" – was macht diese Sendungen so interessant? Geht es um Voyeurismus oder Schadenfreude, wenn untalentierte Kandidaten von Dieter Bohlen bloßgestellt werden? Dient die Fokussierung auf das Optische bei Heidi Klum der Fixierung auf ein bestimmtes Körperideal? Sind Coachingformate wie "Die Super Nanny" ein Alptraum oder moderne Lösungen für Hilfesuchende in scheinbar aussichtslosen Situationen? All diese Formate stehen seit Jahren bei den Zuschauern hoch im Kurs, werden aber auch heftig kritisiert. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis geben Einblick in den aktuellen Diskurs und stellen die Ergebnisse der neueren Forschung zum Thema vor. Eine Studie zu den Sehmotiven und Verarbeitungsformen bei Kindern und Jugendlichen zeigt: Junge Zuschauer gehen mit Castingshows und Coachingssendungen nicht selten ganz anders um als erwartet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 411

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alltag, Medien und Kultur

Herausgegeben von Joachim von Gottberg, Lothar Mikos, Elizabeth Prommer, Claudia Wegener

Band 10

In dieser Reihe werden in erster Linie empirische, aber auch theoretische Arbeiten veröffentlicht, die den Zusammenhang von Alltag, Medien und Kultur aus der Perspektive der gesellschaftlichen Akteure, der Mediennutzer thematisieren. Mit ihrer mediensoziologischen Orientierung und interdisziplinären Ausrichtung trägt die Reihe zum Dialog zwischen Medienpraxis, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Medienpädagogik und Jugendschutz sowie zur Diskussion um die gesellschaftliche Bedeutung der Medien im 21. Jahrhundert bei.

Inhalt

Joachim von Gottberg

Einleitung

Teil I: Perspektiven auf Reality-TV

Lars Gräßer/Aycha Riffi

»The (Casting-) Show Must Go On …« Ein Fernsehformat in der Diskussion

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Ute Biernat

»Mein oberstes Gebot ist gute Unterhaltung« – »Deutschland sucht den Superstar« aus Sicht der Produzentin

Claudia Mikat

Casting- und Coachingformate aus Sicht des Jugendmedienschutzes

Bernhard Pörksen/Wolfgang Krischke

Die Gesellschaft der Beachtungsexzesse

Friedrich Krotz

Reality-TV: Unterschichtsfernsehen oder rationale Vorbereitung auf eine Gesellschaft, die immer mehr zwischen oben und unten spaltet?

Teil II: Empirische Befunde

Maya Götz/Johanna Gather

Die Faszination »Castingshow« – Warum Kinder und Jugendliche Castingshows sehen

Daniel Hajok/Olaf Selg

Bohlens Sprüche, Klums Tipps – Der Umgang Heranwachsender mit Castingshow-Jurys

Achim Hackenberg/Daniel Hajok

Orientierung auf Augenhöhe? Der Blick junger Zuschauer auf die Castingshow-Kandidaten

Achim Hackenberg/Olaf Selg

Mehr als eine Live-Bühne – Castingshow-Formate als mediale Bedeutungsangebote für junge Zuschauer

Daniel Hajok/Antje Richter

Vorlage für Erfolg oder ›nur‹ nette Unterhaltung? Zwei individuelle Zugänge zu Castingshows

Tanja Thomas/Miriam Stehling

»Germany’s next Topmodel« – Dilemmata und Ambivalenzen aus Sicht von Zuschauerinnen

Margreth Lünenborg/Claudia Töpper

Skandalisierung in Castingshows und Coachingsendungen

Ulrike Prokop/Anna Stach

Neucodierung von Weiblichkeit in den Sendungen »Germany’s next Topmodel« und »Die Super Nanny«

Achim Lauber

Zuschauen ja, mitmachen nein – Wie Kinder und Jugendliche Coachingformate wahrnehmen

Jan Keilhauer

Eine echte Autorität? Wie sich Heranwachsende die Erziehungsmodelle der Sendung »Die Super Nanny« aneignen

Maren Würfel

Chaos, Normalität und Ideal – Orientierungssuche zwischen dem eigenen Leben und den Problemfällen der Coachingformate

Karin Schleider/Gesa Argow/Olaf Selg

Konzepte und Methoden der Elternbildung in der Coachingsendung »Die Super Nanny«

Autorinnen und Autoren

Einleitung

Joachim von Gottberg

Mit den Talkshows der 1990er-Jahre nahm eine Entwicklung ihren Anfang, bei der nahezu jeder, der vorher nur als Zuschauer am Fernsehen teilnahm, eine Chance bekam, selbst vor der Kamera aktiv zu werden. Während in der Tradition des öffentlich-rechtlichen Fernsehens fast ausschließlich Politiker, Stars aus Film, Musik oder Sport sowie eloquente Experten zu sehen waren, traten nun vor allem im privaten Fernsehen immer häufiger auch Menschen auf, die in ihrem ›echten‹ Leben eher am unteren Rand der Gesellschaft zu finden sind. Nicht mehr Spielfilme oder Fernsehserien mit ›ausgeklügelten‹ Geschichten und Dialogen, umgesetzt von ›begabten‹ Regisseuren und ›begnadeten‹ Schauspielern, wurden bevorzugt zur Unterhaltung eingesetzt, sondern die Konflikte und Probleme des Alltags, authentisch dargestellt von denen, die sie auszufechten haben. Schon damals war allerdings die Realität erst dann wirklich interessant, wenn das Verhalten oder die beteiligen Personen selbst jenseits des gesellschaftlichen Regelfalls lagen. Für die Fernsehakteure heißt das: Früher war Berühmtheit eine Voraussetzung, um im Fernsehen mitwirken zu können, heute ist der Auftritt im Fernsehen eine Voraussetzung, um berühmt zu werden.

Wer die Gesetzmäßigkeiten erfolgreicher Fernsehprogramme kennt, weiß, dass Menschen mit ihren alltäglichen Problemen und Konflikten kaum jemanden interessieren, wenn man deren reale Lebenssituation ohne Inszenierung und Kommentierung eins zu eins dokumentiert. Die Normalität, die jeder Mensch jeden Tag selbst erlebt, ist als Fernsehunterhaltung eigentlich ungeeignet. Würde man beispielsweise bei der Castingshow »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) vornehmlich solche Kandidaten auftreten lassen, die durchschnittlich – also weder besonders gut noch besonders schlecht – singen, wäre das in etwa so interessant wie die Teilnahme an einer Probe des örtlichen Gesangvereins. Die Realität ist nicht per se interessant. Notwendig sind vielmehr eine professionelle Auswahl der teilnehmenden Personen und ihrer Geschichten, ein formatinternes Regelsystem, das Differenzen oder Konflikte zwischen den teilnehmenden Personen provoziert, und eine Moderation oder ein Kommentar, der das Geschehen bewertet und für den Zuschauer unterhaltsam aufarbeitet. Interessant ist demnach nicht der Regelfall, sondern die Besonderheit. Wichtig dabei ist, dass es sich um Themen und Personen handelt, die auf möglichst vielen Ebenen einen Bezug zum Leben der Zuschauer bieten. Sowohl bei DSDS als auch bei »Germany’s next Topmodel« (GNTM) geht es um mehr als um den besten Sänger bzw. das beste Model. Es geht auch um die Fragen, wie die Kandidaten mit der Kritik von Dieter Bohlen oder Heidi Klum umgehen, wie sie sich kleiden, welche Art der Präsentation zum Erfolg führt und wie sie mit Erfolg oder Misserfolg umgehen.

Natürlich gab und gibt es auch jenseits von »Popstars«, DSDS oder GNTM Popmusiker oder Models, die gecastet werden. Diese Castings laufen vermutlich ebenso wenig sensibel und diplomatisch ab wie das, was in den Zusammenschnitten der Castingshows mit den zum Teil markigen Kommentaren der Juroren im Fernsehen zu sehen ist. Aber sie finden in einem geschlossenen Raum statt, sodass sich die Anzahl der Zuschauer in engen Grenzen hält. Bei DSDS werden aber nun gerade das Scheitern und der Erfolg als Fernsehunterhaltung für ein Millionenpublikum inszeniert. Wer ›nur‹ einigermaßen singen kann, ist uninteressant. Von Interesse ist vielmehr, wer durch seinen Gesang und sein Showtalent wirklich gute Chancen im Wettbewerb hat oder wer von seinem Talent oder seiner Person her komplett ungeeignet ist, aber dafür auf andere Weise Unterhaltungswert besitzt – zum Beispiel indem er sich besonders ›gut‹ als Opfer heftiger Kritik eignet.

Wie wird sich nun jemand fühlen, der vor einem Millionenpublikum von Dieter Bohlen als die »personifizierte Talentfreiheit« bezeichnet wird oder dessen Gesang »ein Echo« abgesprochen wird, denn das »hat auch Geschmack«? Mit welcher Häme und Schadenfreude muss er rechnen, wenn er in sein soziales Umfeld zurückkehrt? Oder wird er auch bewundert, weil er es geschafft hat, im Fernsehen aufzutreten?

GNTM folgt einem anderen Muster. Die jungen Frauen nehmen an der Sendung teil, weil sie Model werden möchten, und haben bereits aufgrund eines entsprechenden Äußeren eine Vorauswahl überstanden. Es kommt also weniger auf ein bestimmtes Können oder Nichtkönnen an als vielmehr auf eine ansprechende äußere Erscheinung und die Fähigkeit, sich möglichst ›anschaulich‹ zu präsentieren. Während sich Dieter Bohlen in seiner Kommentierung als Juror über die Talentfreiheit der Kandidaten lustig macht, geht es Heidi Klum bei GNTM um ernst gemeinte Kritik, die letztlich eine Botschaft hat: Streng dich an und sei zu allem bereit, um dein Ziel zu erreichen! Was heißt das für die Zuschauer und hier besonders für die Zuschauerinnen? Wird hier die Persönlichkeit einer Frau auf ein möglichst perfektes Äußeres reduziert? Und wie nehmen Jugendliche diese strikte Fixierung auf Aussehen und Präsentation in der Öffentlichkeit wahr? Die Frage, wie viel Intimität einem Millionenpublikum geboten werden kann, wird gegenwärtig im gesellschaftlichen Diskurs verhandelt. Dass dies kein isoliertes Phänomen ist, zeigt der Erfolg sozialer Netzwerke im Internet, in denen Menschen in erstaunlicher Freizügigkeit intimste Informationen und Bilder aus ihrem privaten Leben zur Verfügung stellen. Die öffentliche Wahrnehmbarkeit wird offenbar als wichtiger empfunden als das Risiko, sich zu blamieren oder Persönliches preiszugeben, das andere für ihre Zwecke missbrauchen können.

Ein anderes, aber im Grunde ähnliches Problem findet man bei Coachingformaten wie »Teenager außer Kontrolle« oder »Die Super Nanny«. Wo die Supernanny ins Haus geholt wird, dort ist das Verhältnis zu den Kindern meist so zerrüttet, dass die Situation aussichtslos erscheint. Kinder beschimpfen ihre Eltern, Eltern demütigen ihre Kinder, es wird geschrien und geschimpft, Verständigung oder gar Zuneigung sind nicht zu erkennen. Zum Teil grenzt das Verhalten – meist der Mutter – an körperlicher oder psychischer Misshandlung. Anhand von Videomaterial, das ein Kamerateam über eine Woche lang in der Familie aufgenommen hat, arbeitet sich die Supernanny Katharina Saalfrank in die Situation ein. Da offenbar alle Beteiligen das Aufnahmeteam bald zu vergessen scheinen, erhält sie so einen realistischen Eindruck von der Art und Schwere des Konflikts. Das erklärte Ziel der Supernanny ist es, in gemeinsamen Gesprächen mit allen Beteiligten Regeln zu verabreden, die zu einer Verbesserung der Situation in der Familie führen. Darüber hinaus versucht sie, den Ursachen für die Konflikte und die auftretenden Verhaltensweisen, beispielsweise in nicht verarbeiteten Erfahrungen der Mutter während ihrer Kindheit, auf die Spur zu kommen. Die Supernanny löst Konflikte ohne Gewalt oder Demütigungen. Sie versucht, gegenseitiges Verständnis zwischen Mutter und Kind herzustellen und auf dieser Basis Regeln für ein besseres Miteinander festzulegen. Wie in einem Drama ist sie die gute Heldin, die eine zunächst ausweglos erscheinende Situation meistens doch noch zu einem Happy End führt. Dadurch kann bei manchen Zuschauern, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, die Hoffnung geweckt werden, auch für sie sei Hilfe möglich.

Dass die in der Sendung erreichte Befriedung lange anhält, mag mancher Therapeut, der weiß, wie schwer und langwierig es ist, verfahrene familiäre Konflikte zu bearbeiten, für unwahrscheinlich halten. Aber die Sendung kann auch keinen umfassend dokumentierten Therapieverlauf zeigen. Zum einen wäre das in den etwa 50 Minuten, die durchschnittlich für die Darstellung eines Falls zur Verfügung stehen, kaum möglich. Zum anderen muss der Sender darauf achten, dass der Unterhaltungseffekt erhalten bleibt. Und dazu ist es notwendig, die richtige Mischung von Szenen hinzubekommen, die durch schockierende oder Empathie erzeugende Bilder Aufmerksamkeit schaffen, und solchen, die den therapeutischen Weg zumindest halbwegs transparent machen. Es ist gut vorstellbar, dass die Kritik, die Sendung sei zu sehr auf extreme, fernsehtaugliche Bilder fokussiert und in Bezug auf den Therapieverlauf zu wenig transparent, auch der Diplom-Pädagogin Katharina Saalfrank bewusst ist und dass es hier vielleicht sogar mit den Produzenten zu Auseinandersetzungen um das richtige Maß zwischen Unterhaltungseffekt und pädagogischer Transparenz kommt.

Die große gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die durch das Format hergestellt wird, hat nicht zuletzt auch dazu geführt, dass Erziehungsprobleme nicht mehr tabuisiert, sondern öffentlich thematisiert werden. Die Zuschauer können sich je nach eigener Situation mit der gezeigten Problemlage vergleichen. Kinder, die zu Hause Ähnliches erfahren, ziehen möglicherweise den ermutigenden Schluss: Dir geht es nicht allein so und Veränderung ist möglich. Andere Kinder und deren Eltern können zumindest für einige typische Problembereiche Strategien lernen, um sie in gegenseitigem Einvernehmen zu bewältigen.

In der öffentlichen Diskussion wird vor allem die Frage gestellt, wo die Grenzen in der Darstellung von Demütigungen oder gar Misshandlungen von Kindern liegen. Die Bilder von leidenden Kindern erzeugen bei fast allen Menschen eine große Empathie, sodass der Einfühlungsstress oft bis zur Unerträglichkeit steigt. Starke Gefühle erzeugen Aufmerksamkeit, und deshalb wird dem Sender vorgeworfen, er würde diese Bilder bewusst einsetzen, um die Quote und damit den wirtschaftlichen Erfolg zu erhöhen. Von der nach dem Gesetz zuständigen Aufsicht über das Privatfernsehen, der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), wird vor allem bemängelt, dass besonders erschütternde Bilder nicht nur einmal in der Sendung selbst, sondern wiederholt in den Programmankündigungen beziehungsweise am Anfang der Sendung zur Steigerung der Aufmerksamkeit gezeigt werden. Der Sender wiederum argumentiert, nur durch die emotionalen, starke Empathie provozierenden Szenen sei es möglich, den Zuschauern die Tragik und Dramatik des Leidens der Kinder nahezubringen und sie zu motivieren, in ihrem Umfeld – z.B. gegenüber den eigenen Kindern oder den eigenen Eltern – gegenseitigen Respekt, Gewaltfreiheit sowie Konfliktlösung durch Gespräche als Umgangsweisen im Miteinander anzuerkennen und so weit wie möglich umzusetzen.

Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) geht in einem offenen Brief an den Chefredakteur von RTL, Peter Kloeppel, so weit, die Absetzung der Sendung zu fordern. Es sei nicht hinnehmbar, dass ein Kamerateam Schläge und Demütigungen gegenüber Kindern aufnehme, ohne einzuschreiten. Diese Kritik ist auf dem ersten Blick gerechtfertigt, doch darf sie nicht dazu führen, dass eine Dokumentation des Leidens von Kindern nunmehr komplett unterbleibt. Das würde letztlich zu einer Verharmlosung der Lage solcher Kinder führen, denn ihre öffentliche Wahrnehmung verleiht ihnen eine Stimme, die Eltern, aber auch die Ämter zu mehr Aufmerksamkeit und Sensibilität aufruft. Verstöße gegen die Würde des Kindes beendet man nicht, indem man sie ignoriert. Sie müssen öffentlich thematisiert werden.

Die schon im Zusammenhang mit DSDS gestellte Frage, welche Auswirkungen es auf die Beteiligten hat, in Situationen gezeigt zu werden, die nach allgemeinen Maßstäben als peinlich und unangenehm gelten, spielt im Rahmen der »Super Nanny« eine noch größere Rolle, da es sich um Einblicke in sehr intime Beziehungskonflikte handelt. Noch schwerer wiegt, dass Kinder daran beteiligt sind. Was bedeutet es für sie, wenn solche oftmals demütigenden Szenen öffentlich gezeigt werden und sie damit rechnen müssen, dass ihr belastetes Verhältnis zur Mutter im Kindergarten oder in der Schule über das Fernsehen bekannt wird? Über diese Frage lässt sich nur spekulieren, eine aussagefähige Forschung ist längst überfällig. Allerdings ist bisher in der Öffentlichkeit wenig darüber publik geworden, dass sich Menschen nach der Ausstrahlung entsprechender Szenen beschwert haben.

Für die Rezeptionsforschung spielt die Frage nach dem Umgang mit den Teilnehmern vor allem unter einem Aspekt eine Rolle: Was bedeutet es für die Zuschauer, wenn sie sehen, wie das Fernsehen mit ›echten‹ Menschen umgeht? In Bezug auf DSDS heißt dies: Wenn Dieter Bohlen einem offensichtlich untalentierten Kandidaten bis an die Grenze zur Beleidigung klarmacht, dass weder seine Fähigkeiten noch seine Persönlichkeit ›Superstar‹-tauglich sind, könnte man vermuten, dass dies den Lerneffekt hat, es sei normal und gesellschaftlich akzeptiert, Schwache zum Zweck der Belustigung und Schadenfreude öffentlich vorzuführen. Über diese Frage gab es, zum Beispiel bei Jugendschutzbewertungen, in der Vergangenheit unterschiedliche Positionen. Die einen befürchteten, die Jury, allen voran Dieter Bohlen bei DSDS und Heidi Klum bei GNTM, seien die Identifikationsfiguren. Deshalb sei davon auszugehen, dass ihr Verhalten eine Imitationswirkung habe. Andere meinten, Wirkungsprozesse liefen nicht linear, sondern interaktiv ab, sodass sich gerade bei Überschreitung ethischer Grenzen durch die Kritik der Jury die jungen Zuschauer gegen die Jury wenden würden. Darüber hinaus wurde immer wieder vermutet, in den Sendungen spiegle sich das Leistungsprinzip der Gesellschaft wider und es sei wichtig für Jugendliche, zu lernen, dass man nur mit Begabung und harter Arbeit Superstar oder Topmodel werden kann. Über die Frage also, welche Werteorientierungen Bohlen und Klum den jungen Zuschauern bieten, konnte bisher nur spekuliert werden. Bei den Coachingformaten, allen voran »Die Super Nanny«, gingen die Auffassungen ebenfalls auseinander. Die einen meinten, hier würden Menschen in Not vorgeführt, um über die Befriedigung des Voyeurismus Quote und Gewinn zu machen, andere sahen darin eher hilfreiche Angebote für Lösungsstrategien in schwierigen Situationen.

Diese Fragen, die auch im Bereich des Jugendmedienschutzes kontrovers diskutiert wurden, haben die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) veranlasst, die Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM), einen Verbund von Medienwissenschaftlern und Pädagogen, zu beauftragen, eine Untersuchung zur Rezeption von Casting- und Coachingformaten durch Kinder und Jugendliche durchzuführen. Neben den für den Jugendschutz relevanten Fragen sollte untersucht werden, welche Motive und Erwartungen solche Formate so interessant und damit letztlich erfolgreich machen.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass der Erfolg von Castingshows und Coachingsendungen im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen, individueller Erfahrungen und Interessen sowie der Verhandlung von gesellschaftlichen Werten und Erziehungsidealen zu sehen ist. Darauf verweisen auch unter anderen Schwerpunkten durchgeführte Untersuchungen zu den beiden populärsten Formatvertretern des Reality-TV. Auf diesen empirischen Zugängen liegt der Fokus des vorliegenden Buches. Während im ersten Teil Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis Einblick in den aktuellen Diskurs geben und die Formate in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft und den Jugendmedienschutz betrachten, sind im zweiten Teil ausgewählte Ergebnisse der AKJM-Studie und anderer Untersuchungen zum Thema versammelt. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird hier vor allem der Frage nachgegangen, wie Castingshows und Coachingsendungen von den jungen Zuschauern wahrgenommen und verarbeitet werden und welche Bedeutung diese Sendungen letztlich für ihr Leben haben.

TEIL I: PERSPEKTIVEN AUF REALITY-TV

»The (Casting-) Show Must Go On …« Ein Fernsehformat in der Diskussion

Lars Gräßer/Aycha Riffi

Sie stehen für hohe Einschaltquoten im Fernsehen: Castingshows. Bei jeder Ausstrahlung einer neuen Staffel von »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS), »Germany’s next Topmodel« (GNTM), »Popstars« oder »X Factor« sind die Shows Thema in unterschiedlichen öffentlichen Diskursen – in den Medien, in der Medienkritik und im Jugendmedienschutz.

Aber der Reihe nach: Was sind überhaupt Castingshows? Wie entwickeln sie sich (weiter)? Bevor es um die Diskurse gehen wird, soll zunächst ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte dieses erfolgreichen Formats geworfen werden.

Eine kurze Geschichte der Castingshow

Castingshows sind keine Erfindung des Privatfernsehens, auch wenn sie sich hier zu dem populären Format entwickelt haben dürften, das wir heute mit dem Begriff verbinden. Castingshows sind hybride Formate, die sich nicht mehr nur im Fernsehbereich finden.

Vom Talentwettbewerb zum Unterhaltungsformat

Einige Schlaglichter der Entwicklung: 1952 organisierte die ARD erstmals den »Musikwettbewerb«, der fortan jährlich wiederholt wurde (br-online.de). 1966 folgte im SÜDWESTFUNK der »Talentschuppen«, der erst rund 20 Jahre später (1984) wieder eingestellt wurde. Im DDR-Fernsehen ging derweil die »Talentebude« auf Talentefang, übrigens u.a. moderiert von Inka Bause – heute Moderatorin der RTL-Dokusoap/Casting-Kuppel-Show »Bauer sucht Frau« (mekonet 5/2011).

Um die Jahrtausendwende entdeckte das Privatfernsehen die Castingshows, stark inspiriert durch Vorbilder im englischsprachigen Raum, wie zum Beispiel »Star Search« (USA 1983–1995). Im Jahr 2000 wurde »Popstars« erstmals von Tresor TV für RTL II produziert, ab 2003 für PROSIEBEN (Wikipedia 2011a). Das Format wurde von dem Neuseeländer Jonathan Dowling konzipiert und nach großen Zuschauererfolgen in Neuseeland und Australien für den deutschen Markt lizenziert (ebd.). Im Herbst 2002 ging bei RTL »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) auf Sendung und erzielte über Wochen Rekordquoten (Döveling et al. 2007). DSDS basiert auf der britischen Fernsehshow »Pop Idol«, die in eine Vielzahl weiterer Länder exportiert wurde (ebd.). Ende 2006 erfolgte auf PROSIEBEN die Erstausstrahlung von »Germany’s next Topmodel« (GNTM), moderiert von Heidi Klum, deren eigene Modelkarriere einst in der Show »Gottschalk Late Night« (RTL) begann, nachdem sie dort als 19-jährige Schülerin den Wettbewerb »Model ‘92« gewonnen hatte. GNTM ist eine Adaption des US-amerikanischen Formats »America’s Next Top Model« und läuft dort bereits in der 16. Staffel.

Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen ging mit Castingshow-Formaten an den Start: Thomas Gottschalk suchte auf dem ZDF den »Musical-Showstar 2008«. Der Anspruch war, nicht nur eine Show zu produzieren, sondern ein nachhaltiges Sprungbrett für junge Talente zu bieten. So bekamen der Gewinner und die Gewinnerin ein Angebot für die Hauptrollen im Bochumer Musical-Dauerbrenner »Starlight Express«. Siegerin Anna-Maria Schmidt verzichtete später allerdings auf ihren Preis:

»Weil sie sich überfordert fühlte, hat sie die Proben zum Musical nach zehn Wochen abgebrochen. ›Aus Respekt vor den hohen künstlerischen Anforderungen gerade im tänzerischen Bereich‹ sei sie ›schweren Herzens‹ zu diesem Entschluss gekommen, heißt es in einer Erklärung der Starlight Express GmbH« (Brandes 2008).

»Musical-Showstar« wurde nicht wiederholt. 2010 zeigte das ZDF die Adaption der preisgekrönten kanadischen Show »Canada’s Next Great Prime Minister«, unter dem Titel »Ich kann Kanzler«. Die Jury suchte ein junges Politiktalent; zu gewinnen gab es ein »Kanzlermonatsgehalt« sowie einen Praktikumsplatz im »Zentrum der politischen Macht«. Die Show moderierte der heutige Regierungssprecher Steffen Seibert. Auch diese Show wurde nicht fortgesetzt. Seitdem sind in Mainz keine weiteren Castingshows produziert bzw. gesendet worden.

2010 kam es erstmals zu einer innovationsträchtigen Kooperation von ARD und PROSIEBEN für die Show »Unser Star für Oslo«. Stefan Raab suchte zusammen mit DAS ERSTE und PROSIEBEN den deutschen Teilnehmer bzw. die deutsche Teilnehmerin für den »Eurovision Song Contest 2010« in Oslo (Grimme-Institut 2011). »Unser Star für …« wird in dieser Kooperation weitergehen. Auch der öffentlich-rechtliche Kinderkanal hat sich für eine Castingshow entschieden, bei der ein Nachwuchskomponist gesucht wird: »Dein Song« wird von KIKA und ZDF TIVI produziert (CastingShow-News 2011a).

Aktuell listet die Online-Enzyklopädie WIKIPEDIA 20 Castingshows im bundesdeutschen Fernsehen auf (Wikipedia 2011a). Im Herbst 2011 ist PROSIEBEN mit »The Voice of Germany« gestartet. Als besonderer Clou sitzen die Juroren mit dem Rücken zur Bühne: Sie können die Kandidaten nur hören, aber nicht sehen. Anfang 2012 wird die mittlerweile neunte Staffel von DSDS starten, nachdem die achte Staffel mit durchschnittlich knapp 6,4 Millionen Zuschauern zur erfolgreichsten in der DSDS-Geschichte zählt.

Ein moderner Hybride: »Castingshow goes Soap«1

Eine Castingshow im Fernsehen ist kein einfacher Talentwettbewerb, in dem das musikalische Können oder die Modeltauglichkeit der Kandidaten im Vordergrund stehen. Es ist ein Showformat. Das Ziel ist Unterhaltung. Talent kann wichtig sein, muss aber nicht. Mangelndes Talent erweist sich für die Orchestrierung an der einen oder anderen Stelle sogar als nützlich – für die Macher. Ausschlaggebend ist fast immer die Telegenität oder dramaturgische Qualität der Teilnehmenden: das ›Gesamtpaket‹. Seitens der Senderverantwortlichen wird das auch gar nicht geleugnet. Ein exemplarisches Beispiel: In der DSDS-Staffel 2009 spaltete die Kandidatin Annemarie Eilfeld sowohl die DSDS-Zuschauerschaft als auch die professionelle Medienkritik in Fans und Feinde. RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger erklärte im Interview dazu:

»Annemarie Eilfeld ist fantastisch im Storytelling dieser Staffel. Zehn nett aussehende, nett singende, sich nett behandelnde Konkurrenten wären die Entdeckung der Langeweile. Das ist nicht die Vision, die ich von einem Fernsehprogramm habe. Das ist dann ein schöner Musikwettbewerb, den kann man aber woanders machen und wahrscheinlich auch nicht mit 30 Prozent« (Voß 2009).

Die Konstruktionsbedingungen der Castingshows sind vielfach transparent oder werden zumindest nicht verschwiegen. So gibt es nicht wenige Zuschauer, denen die Inszenierung bewusst ist, die diese sogar kritisch begleiten und trotzdem zum regelmäßigen Stammpublikum gehören. Dies gilt bestimmt nicht für alle Zuschauer und alle Kandidaten. Die Teilnehmer von DSDS, GNTM oder »X Factor« sind Teil einer riesigen Unterhaltungsmaschinerie, in der wenig dem Zufall überlassen wird. Daher müssen sie Vertragswerke abschließen, mit öffentlicher Kritik umgehen und den stetig zunehmenden Medienrummel verarbeiten.2

Medienwissenschaftler beschreiben Castingshows als »performatives Realitätsfernsehen« (Lünenborg et al. 2011, S. 21 f.; Keppler 1994, S. 8).3 Eingegriffen wird in das Leben von ›realen‹ Menschen – nicht von Schauspielern. Die Kandidaten werden gezielt nach Typen ausgewählt und im Verlauf der Sendungen systematisch Stresssituationen ausgesetzt. Gekonnte Schnitte tun ein Übriges für die Charakterzeichnung. Es geht schließlich um »Quote« und »Storytelling« (vgl. Voß 2009). Drehbuchartig wird eine Geschichte von Aufstieg und Fall erzählt, bei der die Grenze zwischen Authentizität und Inszenierung für die Zuschauer (ARD-Forschungsdienst 2011) – und wohl auch für die Akteure – teilweise verschwimmt (Kurotschka 2007). Der Übergang zu Scripted Reality und Soap ist bei vielen Castingshows fließend:

»Der Trend in der Unterhaltung geht zum verdichteten Erzählen: In Shows wie ›Deutschland sucht den Superstar‹ oder ›Das Supertalent‹ werden Ausschnitte mehrmals gezeigt, in Zeitlupe gesendet, mit Musik unterlegt oder mit Comic-Elementen ausgestattet. So lässt sich nebenbei auch viel Sendezeit mit wenig Geld füllen« (Eck 2010, S. 7).

Die Zuschauer kennen diesen Erzählstil aus Soapformaten bzw. gewöhnen sich so mehr und mehr an ihn. Besonders deutlich wird der Stilwechsel bzw. der Formatübergang in den Einspielern, den ›Homestorys‹. Dabei handelt es sich um Fotoalben, nachgespielte Familienszenen – teilweise in Schwarz-Weiß-Ästhetik gedreht – und/oder Zeitlupen. Sie werden gern unterlegt mit tragischen Klavierklängen, zusammengesetzt aus O-Tönen und Herzklopfgeräuschen. Prominentes Beispiel ist wieder einmal DSDS:

»Die Castingshow ›Deutschland sucht den Superstar‹ hat sich zu einer verkappten Doku-Soap entwickelt, in der die soziale Herkunft eines Kandidaten fast so wichtig ist wie sein stimmliches Talent« (Wick 2010, S. 17).

Kennzeichnend sind auch die häufige Vermischung mit Comedy-, Coaching-und anderen Formaten sowie dem Musikfernsehen (vgl. auch mekonet 7/2011). Castingshows sind »hybride Formate« (Lünenborg et al. 2011, S. 17 f.). Damit einher geht eine hohe inhaltliche Vielfalt: Mal geht es um einen Gesangswettbewerb, mal um Model- oder Kochtalente, aber auch Lehrstellenkandidaten wurden schon gekürt.4 Oftmals trifft bei Castingshows eine Fachjury Vorauswahlen und/oder deren Mitglieder treten als beratende Experten für das Bildschirmpublikum auf. Vielfach ist das Zuschauervotum gefragt, also etwa die Abstimmung per SMS oder Telefon (Televoting): Castingshows sind häufig interaktive Formate, der ›Rückkanal‹ ist nicht nur die Zuschauerquote.

Die crossmediale Vermarktung entlang der gesamten Wertschöpfungskette gehört für viele Castingshows dazu, beispielsweise durch die Sendung begleitende Print- und Onlinepublikationen, den CD-Verkauf oder vertragliche Vereinbarungen mit den Gewinnern (Döveling et al. 2007, S. 111). In der Regel bedienen die Sieger weniger die Marktbedürfnisse als vielmehr die Vermarktungsbedürfnisse des Unterhaltungsformats.5 Anders gesagt: Weder die Musikindustrie noch die Mode- oder Textilindustrie haben die Castingshows erdacht, um gezielt Nachwuchstalente zu rekrutieren.

Casting(show) goes online: Medienkonvergenz

Abseits der crossmedialen Vermarktung zeigt sich bei den Castingshows in besonderem Maß die Tendenz zur Medienkonvergenz, also die Verschmelzung mit dem Onlinebereich – auf der Produktions- und auf der inhaltlichen Ebene.

Unterhaltungsspezialist Endemol produziert nicht nur die Online-Castingshow »Secret Talents« (www.youtube.de/secrettalents) für die Video-Community YOUTUBE. Die Unterhaltungsprofis unterstützen die »geheimen Talente« auch in der vierwöchigen Coachingphase bei der Optimierung ihrer Performance. Die Fortschritte werden für die Web-Community in zweiminütigen Beiträgen dokumentiert. Darüber hinaus überträgt Endemol das Wettbewerbsfinale in Echtzeit im YOUTUBE-Kanal (endemol.de 2011). Die Bewertungsmöglichkeiten der Video-Community scheinen hierbei in idealer Weise das Showformat zu ›bedienen‹ und machen ganz andere Formen der Kandidatenkür und Partizipation möglich (vgl. auch mekonet 7/2011).

Die Castingshow-Macher wissen, dass ein Großteil ihrer Zuschauer und auch Teilnehmer im Netz unterwegs sind. Da ist es naheliegend, die ›Talentsuche‹ im Internet zu beginnen und so an die Mediennutzungsgewohnheiten der (oftmals jungen) Zielgruppen anzuschließen, die sich immer häufiger in sozialen Online-Netzwerken einbringen.

Auch die Castingshow »The Voice of Germany« beginnt im Internet. Auf der Website THEVOICEAUDITION.PROSIEBEN.DE können Teilnahmewillige ihre Stimmen in einem Trainingscenter trainieren und/oder kurze Clips ihrer Performance hochladen. Dort werden sie dann von einer Jury und den Usern bewertet. Wer es im Netz schafft, kommt schließlich in die Show.

Noch lässt sich auf diesem Weg für die Produzenten und Sender kein Geld verdienen, es ist aber dennoch ein profitabler Schritt, der die Zuschauerbindung an den Sender stärken soll.

Der Castingshow-Nachwuchs: Zuschauer werden zu Kandidaten

Das Publikum von Castingshows – sieht man von Differenzierungen bei einzelnen Sendungen einmal ab – ist insgesamt eher weiblich und häufig jung. Dabei sind es gerade die jüngeren Mädchen, die sich von diesem Format faszinieren lassen, wie eine Analyse des Sehverhaltens von 10- bis 15-jährigen Mädchen ergab: Während im Jahr 2000 noch 44 Folgen der Daily Soap »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« unter den 50 meistgesehenen Sendungen eines Halbjahres rangierten, war im Vergleichshalbjahr 2010 überhaupt keine Soap mehr in den Top 50 vertreten (vgl. Seiler 2011). Es dominierten GNTM, DSDS und einige Filmproduktionen. Castingshows sind das Thema unter Jugendlichen (mekonet 5/2011).

Mit Blick auf den hybriden Charakter kann man allerdings anmerken: Einerseits verdrängen die Castingshows die Soaps, andererseits übernehmen sie Elemente der Soaps. Gegenüber der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärte Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend-und Bildungsfernsehen (IZI): »Castingshow-Helden sind gefühlsmäßig näher dran an den Zuschauerinnen […], sie bieten ein größeres Identifikationspotenzial und damit den besseren Gesprächsstoff« (Seiler 2011). Diese ›Helden‹ waren vor Kurzem selbst noch Zuschauer. Nicht selten erzählen die Kandidaten, dass sie jede bisherige Staffel verfolgt haben und nun ihr Traum wahr werde, endlich selbst dabei zu sein. Die Protagonisten der Shows sind in der Regel eher Medienlaien:

»Wie in vielen Medienbereichen ist auch hier der Konsument zum Akteur geworden: Die Kernzielgruppe gestaltet ihr Programm selbst […]. Da wird einer wie Pietro Lombardi, der wenig kann und dies zeigt, von der Zuschauergemeinde heißen Herzens empfangen. Schließlich ist er einer von ihnen. Man darf sagen: Noch nie in einer Wahl zum DSDS-Sieger war das RTL-Publikum so sehr bei sich« (Weihser 2011).

Das Internet ist der Ort, an dem Nutzer zu Anbietern werden. Der User Generated Content wird in allen Qualitätsabstufungen auf einigen Websites nach seinen eigenen Regeln geschaffen. Zuschauer, die sich an einer Castingshow beteiligen, haben sich hingegen den Richtlinien des Senders unterzuordnen. »tv total« betitelte aus diesem Umstand 2007 einen Wettbewerb mit »SSDSDSSWEMUGABRTLAD«: Stefan sucht den Superstar, der singen soll, was er möchte, und gern auch bei RTL auftreten darf (prosieben.de 2011).

Castingshows in der Diskussion

Castingshows sind Thema in unterschiedlichen öffentlichen Diskursen – im Jugendmedienschutz, im Qualitätsdiskurs (der Medienkritik) und im Alltag. Dabei haben sie eine bemerkenswerte ›literarische‹ Wirkung erzeugt und sich in die Alltagssprache vor allem junger Menschen eingegraben.

Jugendmedienschutz oder: »Du bist dick, du hast dich nicht weiterentwickelt, du bekommst heute kein Foto.«

Im Jahr 2007 beanstandete die Niedersächsische Landesmedienanstalt fünf Ausgaben der Castingshow DSDS wegen Verstößen gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, was ein Bußgeld von 100 000 Euro für RTL nach sich zog (vgl. Mantel 2009). Seitdem haben die Produzenten allerdings dazugelernt. Die auf Bitten von RTL von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) erarbeiteten Richtlinien (FSF 2008) und die Vorabsichtungen – der Castings, nicht der live ausgestrahlten Mottoshows – zeig(t)en Wirkung (Mantel 2009). 2010 wurde lediglich der Jurykommentar zu einem vermeintlichen Urinfleck auf der Hose eines Teilnehmers seitens der FSF moniert, was allerdings keine Konsequenzen für den Sender nach sich zog (Gottberg 2011, S. 1).

Aktuelle Studien verzeichnen bei einzelnen Formaten wie bspw. DSDS einen starken Anstieg von Provokationen, die aber gerade jugendliche Medienkonsumenten immer besser einordnen könnten: »[D]ie Sorge um den moralischen Verfall der Jugendlichen durch Reality-TV kann man, jedenfalls in dieser so schlichten Form, aus der Welt schaffen« (Lünenborg 2011, S. 81), lautet das Urteil von Margreth Lünenborg, Mitautorin der von der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenen Studie »Skandalisierung im Fernsehen«. Lünenborg weiter: »Jugendliche, die regelmäßig Formate des Reality-TV schauen, lassen keine Formen der Abstumpfung erkennen« (ebd., S. →).

Grundsätzlich scheinen Jugendliche Castingshows anders zu rezipieren als Erwachsene: Im Fokus des Interesses stehen weniger die Jurymitglieder (und ihre teils markigen Kommentare) als vielmehr die Kandidaten. Letztere werden aus einer gleichberechtigten Perspektive auf Augenhöhe bewertet und mit dem eigenen Selbstbild verglichen (vgl. Hackenberg et al. 2011).

Kritisch diskutiert wird weiterhin das in manchen Castingshows (etwa bei »Germany’s next Topmodel«) präsentierte »Frauenbild voller Klischees und Stereotype«, das »ein normiertes Schönheitsideal« propagiere (Flimmo 2011). Es stellt sich die Frage, ob die körperbetonten Darstellungen zu einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führen. Kausale Wirkungsbeziehungen sind jedoch nicht so einfach herzustellen.6

Teilweise klagen die Institutionen der Berufsberatung oder -orientierung über die in Castingshows kommunizierten gesellschaftlichen Erfolgsmuster, die eine ›Abkürzung‹ auf dem Weg zu Ruhm und Geld ohne eine fundierte Ausbildung zu versprechen scheinen (mekonet 5/2011).

Verbraucherschützer kritisieren Castingshows als Dauerwerbesendungen, als Herausforderungen für die Werbekompetenzerziehung, monieren das Product-Placement oder beschreiben die Abstimmung per SMS als versteckten Kostentreiber (ebd.). Eine Berliner Firma versuchte mithilfe einer Internetseite, arglose DSDS-Fans ›abzuzocken‹: Auf TOPSTAR777.DE konnten Fans für ihre Favoriten abstimmen – und verpflichteten sich gleichzeitig zur Übernahme eines kostenpflichtigen Abonnements (verbraucherschutz.tv 2011).

Über Qualität lässt sich streiten oder: »Von mir bekommst du ein Ja.«

Als Unterhaltungsformat haben es die Castingshows geschafft, ein Massenpublikum anzusprechen, einige sogar auf höchstem (Unterhaltungs-) Niveau: 2005 wurde Stefan Raab für die Casting-Alternative »Stefan sucht den Super Grand Prix Star« mit einem Grimme-Preis geehrt. Endlich gab es eine Castingshow, die ruhigen Gewissens gesehen werden durfte. So heißt es in der Preisbegründung über Stefan Raab:

»In seiner Reihe ›Ein Lied für Istanbul‹ ist es ihm als Einzigem in Deutschland gelungen, dem Genre Castingshow wirkliche Qualität abzugewinnen, ja, diesem Sendetypus regelrecht Wiedergutmachung angedeihen zu lassen« (Grimme-Institut 2005).

Die Jury beließ es nicht nur beim Lob, sondern teilte auch gehörig gegen DSDS aus:

»Hier steht tatsächlich das musikalische Handwerk im Mittelpunkt, […] während etwa bei ›Deutschland sucht den Superstar‹ das Prinzip der Dekonstruktion vorherrschte: Eitle Juroren labten sich an ihren präpotenten Strafreden. Dies konterkariert Raab schlicht und einfach, indem er die Kandidaten ernst nimmt« (ebd.).

2011 wurde auch »Unser Star für Oslo« für den Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung nominiert – wieder mit Stefan Raab.

Die Qualitätskritik im Medienjournalismus richtet sich besonders gegen die beiden erfolgreichsten Formate »Deutschland sucht den Superstar« und »Germany’s next Topmodel«. Das liegt nicht unerheblich an den beiden Chef-Castern Dieter Bohlen und Heidi Klum. Auch wenn es in jeder Staffel kleine Veränderungen gibt und gern auch die Kojuroren ausgetauscht werden: DSDS ohne Dieter Bohlen ist nicht denkbar und steht für Produktionsfirma und Sender nicht zur Debatte. Warum auch? DSDS ist nicht trotz Bohlen, sondern mit Bohlen so erfolgreich. Er ist zu einer Marke geworden, und in jeder Sendung hält Bohlen sein Markenversprechen: Bekannt für seine Beleidigungen und Demütigungen verkündet er, was die Show so besonders macht: »Das Leben ist hart, aber diese Show ist härter.«

Die Topmanagerin Klum hat sich selbst gleich im Titel der Sendung verewigt: »Germany’s next Topmodel by Heidi Klum«. Wie keine andere propagiert Frau Klum ihr Leistungsprinzip: Alles geben und immer lächeln.

»Heidi Klum ist wie bisher die Domina vom Dienst. ›Ich würde auch gerne ja sagen, aber ich sage leider nein‹, zischt sie einmal natterhaft einer Kandidatin zu, und da klingt schon viel von der Strenge der Konzernchefin durch. Frau Klum hat halt einiges zu verwalten. Vor allem sich selbst« (Hoff 2011).

Beide, Bohlen und Klum, stehen für ein Ausleseprinzip, in dem nicht einfach nur die Besten gewinnen, sondern diejenigen, die sich den Gesetzen des Formats am besten unterordnen. Unbestreitbar ist aber ebenso, dass jedes Jahr wieder Tausende von jungen Menschen bereit sind, sich der Jurymeinung auszusetzen. Dies nutzen Medienprofis wie Bohlen und Klum gern für ihre Show aus und haben neben Prüfungen, die neudeutsch »Challenges« heißen, die eine oder andere Demütigung für ihre Kandidaten parat. Natürlich gut begründet, denn wer im Business etwas werden will, muss was aushalten können: »Knie nieder«, sagt dann schon mal ein Dieter Bohlen, und bei GNTM schreit der Fotograf: »Stay in your fucking position« (zit. nach Kissler 2011). Die Unterhaltungsbranche weiß, dass DSDS und GNTM wahre Grenzgänger des noch Vertretbaren sind, dies aus ihrer Marktperspektive auch sein müssen:

»Kritik wird aber beim Kluminator, wie sie sich selbst auch mal nennt, von vorneherein eingeplant. Gäbe es die Einwände und Proteste nicht, würde nicht immer wieder jemand aufstehen und das, was bei GNTM mit den Kandidaten passiert, erregt problematisieren, wäre die Show wohl nach drei Staffeln beendet worden. Das hätte sich dann möglicherweise auf Klums Marktwerk ausgewirkt, der ihr jetzt noch jede Menge Auftritte beschert« (Hoff 2011).

Sieht so modernes Brand-Management im Fernsehbereich aus?

»Das ist meine allerletzte Chance«: Die Verinnerlichung der Castingshow-Sprache

Zehn Jahre Castingshows scheinen in der Zielgruppe (Zuschauer und Kandidaten) auch für sprachliche Verinnerlichung gesorgt zu haben: »Ich muss heute alles abliefern«, »Meine Performance war schlecht«, »Ich stelle mich der Challenge«. Bis vor Kurzem sprach so kein Mensch. Für die Zuschauer der Castingshows ist es aber mittlerweile ein ganz normales Vokabular, das in die Alltagssprache übergegangen ist. Das wäre nicht weiter schlimm, doch die permanenten sprachlichen Endzeitszenarien verändern den Blick der Teilnehmer auf ihr eigenes Leben. Sätze wie: »Dies ist meine letzte Chance. Kein Plan B. Nach DSDS gibt es für mich nichts mehr«, sind in den Sendungen häufig zu hören. So macht sich die Show selbst zum alleinigen Heilsbringer über das Leben der 16- bis 30-Jährigen. Wer so in einen Wettbewerb geht, ist unweigerlich zu (fast) allem bereit.

Es ist schwer zu entscheiden, wie die Kandidaten aus Castingshows herausgehen: unbeschadet oder gedemütigt, erfolgreich oder als Verlierer? Die Mehrheit aller Teilnehmer durchläuft ihr Casting von der Öffentlichkeit unbemerkt, denn nur ein kleiner Teil schafft es auf den Fernsehschirm. Aber auch mit einer Ausstrahlung im Fernsehen werden nach zehn Jahren DSDS und sechs Jahren GNTM die meisten Gesichter schnell vergessen. Daran ändert auch das Internet nichts, denn dort lässt das Überangebot selbst die »Zehn Besten des Jahres aus ganz Deutschland« im Meer anderer Castinghelden versinken. So bleibt es bei den berühmten zehn Sekunden Ruhm oder zehn Sekunden Demütigung.

Das macht natürlich keine Demütigung harmloser. Schließlich gibt es für jeden Kandidaten auch ein Leben in der nicht medialen Welt. Wie vergesslich oder erinnerungsstark diese ist, zeigt sich nur im Einzelfall.

Fazit

Castingshows haben eine beträchtliche Entwicklung hinter sich. Im Privatfernsehen haben sie sich zu dem populären Format entwickelt, das wir heute mit dem Begriff verbinden. Das hat auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beeindruckt, der sich ebenfalls des Formats bedient.

Und: Das Casting geht weiter. Scheinbar brauchen wir noch mehr Sänger, Tänzer und Sieger in Koch-, Design- und anderen Wettbewerben. So werden die erfolgreichen Produktionen weiterlaufen, und es ist anzunehmen, dass an den Konzepten von DSDS und GNTM nicht viel verändert wird: Es werden auch in den neuen Staffeln Aufstieg und Fall von zum Teil noch sehr jungen Menschen, mal mit Musik, mal in Zeitlupe und mit vielen Wiederholungen inszeniert. Aber es scheint sich auch der Versuch zu etablieren, ein wenig zurück zum »braven Gesangswettbewerb« zu gehen. Neuer Chefjuror bei »Unser Lied für Baku« wird im Frühjahr 2012 Thomas D. von den Fantastischen Vier. Für die Show »The Voice of Germany« werden voraussichtlich Nena und Xavier Naidoo im Jurysessel sitzen. Alle drei Künstler haben sich in der Vergangenheit oft gegen Castingshows ausgesprochen. Nun sind sie selbst in einer. Beide Shows verstehen sich als Gegentrend zu DSDS. Das »Gesamtpaket«, wie es von Bohlen immer gefordert wird, soll hier wieder fokussiert werden auf den Gesang.7 Auch dies ein Schritt ›zurück nach vorn‹ in Richtung Talentwettbewerb?

Castingshows sind mehr und mehr hybride Formate, die sich nicht mehr nur im Fernsehbereich finden. Der Trend geht in Richtung Internet – nicht einfach im Sinne eines neuen Ausstrahlungskanals (IPTV), sondern im Sinne des interaktiven Hybridfernsehens: Die Bewertungsmöglichkeiten bzw. Kommentarfunktionen sozialer Online-Netzwerke scheinen hierbei in idealer Weise mit dem Showformat zu korrespondieren und machen ganz andere Formen der Kandidatenkür und Partizipation möglich. Diese Entwicklung dürfte noch spannend werden – auch in Hinblick auf den Jugendmedienschutz. Wie wird dieser auf die zunehmende Medienkonvergenz reagieren?

Stichwort Jugendmedienschutz: Nach rund zehn Jahren Castingshows zeigen Jugendliche ein medienkompetenteres Verhalten; sie wissen immer besser über die formatspezifischen Konstruktionsbedingungen Bescheid. Die ›Abzocke‹ am Rande verbleibt als Problem. Hier sollten Verbraucherschutz und Medienkompetenz Hand in Hand gehen.

Als ungeklärtes Problemfeld erweisen sich – vor allem für die Teilnehmer – der rustikale Umgangston im Casting und die Folgen der Bildschirmpräsenz, egal ob positiv oder negativ motiviert, also resultierend aus der individuellen Eignung oder exponiert zur Schau gestellter ›Talentfreiheit‹. Mediennutzerschutz und Medienkritik sollten sich vielleicht gemeinsam mit der Frage beschäftigen, ab wann Kandidaten geschützt werden müssen (siehe dazu vertiefend Klass 2011). Hier gibt es eine übergreifende moralische Verantwortung – auch jenseits rechtlicher Vorgaben. Es muss sichergestellt sein, dass die Teilnehmer, die meist keine Kinder mehr sind, aber doch Medienlaien bleiben, ausreichend über die Formatvorgaben informiert werden. Doch vor allzu wohlgemeinter Entmündigung darf ebenso gewarnt werden.8

Für die Medienkritik scheint die ›Sache mit den Castingshows‹ hingegen geklärt: Gut muss die Show sein. Sie soll unterhalten, interessante Talente hervorbringen, keine Verbalattacken und keine Zeitlupen beinhalten – und kein Fremdschämen auslösen.

Literatur

ARD-Forschungsdienst (2011): Unterhaltung im Spannungsfeld von Realität und Fiktion. In: Media Perspektiven, 5/2011, http://www.media-perspektiven.de (Abruf: 15.08.2011)

Baumann, Eva (2010): Mediale Körperbilder – Bilder mit Gewicht? In: Medienkompetenz-Netzwerk NRW, 29.01.2010, http://www.mekonet.de (Abruf: 08.07.2011)

br-online.de: ARD-Musikwettbewerb – Talentschmiede seit 1952. In: http://www.bronline.de (Abruf: 03.05.2011)

Brandes, Michael (2008): ZDF-»Musical-Showstar 2008« verzichtet auf Gewinn. In: tv wunschliste, 21.07.2008, http://www.wunschliste.de (Abruf: 08.07.2011)

CastingShow-News (2011a): Dein Song – Der Kinderkanal sucht Nachwuchskomponisten. In: CastingShow-News, 11.03.2011, http://www.castingshow-news.de (Abruf: 03.05.2011)

CastingShow-News (2011b): GNTM. Rebecca: Modemodel oder Medienmodel? In: CastingShow-News, 01.07.2011, http://www.castingshow-news.de (Abruf: 4.07.2011)

Döveling, Katrin/Kurotschka, Mara/Nieland, Jörg-Uwe (2007): »Deutschland sucht den Superstar«. Hintergründe einer Erfolgsgeschichte. In: K. Döveling/L. Mikos/J.-U. Nieland (Hrsg.): Im Namen des Fernsehvolkes. Neue Formate für Orientierung und Bewertung. Konstanz: UVK, S. 103–116

Eck, Sigrid (2010): Kreativität und Sparsamkeit. Die TV-Produzenten nach der Krise. In: Tendenz. Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, 1/2011, S. 7

Endemol.de (2011): TV meets Web: Entertainment-Haus Endemol produziert für das Online-Casting »YouTube Secret Talents«. In: Endemol News, 04.04.2011, http://www.endemol.de (Abruf: 01.08.2011)

Flimmo (2011): Castingshows – Der Traum vom Ruhm? In: Flimmo. Programmberatung für Eltern, 29.03.2011, http://www.flimmo.de (Abruf: 01.08.2011)

FSF (2008): Richtlinien zum Umgang mit Castingshows und vergleichbaren Formaten. Ergebnis der AG »Deutschland sucht den Superstar« des FSF-Kuratoriums (Sitzung vom 19.09.2008), http://www.fsf.de (Abruf: 03.05.2011)

Gottberg, Joachim von (2011): Alles wird schlimmer. Medien profitieren von Tabubrüchen und Skandalisierung – die Aufsicht aber auch. In: tv diskurs, 15, 2/2011 (Ausgabe 56), S. 1

Götz, Maya/Gather, Johanna (2010): Wer bleibt drin, wer fliegt raus? In: TelevIZIon, 23/2010/1, S. 52–59

Grimme-Institut (2005): Stefan Raab. Begründung der Jury. In: Grimme-Preis, http://www.grimme-institut.de (Abruf: 03.07.2011)

Grimme-Institut (2011): Unser Star für Oslo (ProSieben/NDR/ARD). In: Grimme-Preis, http://www.grimme-institut.de (Abruf: 03.05.2011)

Hackenberg, Achim/Hajok, Daniel/Selg, Olaf (2011): Orientierung auf Augenhöhe. Nutzung und Aneignung von Castingshows durch Heranwachsende. In: JMSReport, Ausgabe 1/2011, S. 2–7

Hoff, Hans (2011): Germany’s Next Topmodel. Man stürzt nicht nur einmal. In: sueddeutsche.de, 03.03.2011, http://www.sueddeutsche.de (Abruf: 02.07.2011)

Keppler, Angela (1994): Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung. Frankfurt a. M.: Fischer

Kissler, Alexander (2011): Einführungsvortrag des Panels »Wetten dass …? In allen steckt ein Dschungel-Model«. Medienforum NRW am 21.06.2011. In: http://www.medienforum.nrw.de (Abruf: 07.07.2011)

Klass, Nadine (2011): Unterhaltung ohne Grenzen? Der Schutzbereich der Menschenwürde in den Programmgrundsätzen der Medienstaatsverträge. Berlin: Vistas

Kurotschka, Mara (2007): Verschwimmende Grenzen von Realität und Fiktion. In: K. Döveling/L. Mikos/J.-U. Nieland (Hrsg.): Im Namen des Fernsehvolkes. Neue Formate für Orientierung und Bewertung. Konstanz: UVK, S. 117–154

Lünenborg, Margreth (2011): Skandalisierung als Geschäftsmodell: Tabubrüche im Reality-TV. In: tv diskurs, 15, 2/2011 (Ausgabe 56), S. 76–81

Lünenborg, Margreth/Martens, Dirk/Köhler, Tobias/Töpper, Claudia (2011): Skandalisierung im Fernsehen. Strategien, Erscheinungsformen und Rezeption von Reality TV Formaten. Berlin: Vistas

Mantel, Uwe (2009): RTL klagt nicht mehr wegen DSDS-Beanstandung. In: Medienmagazin DWDL.de, 25.08.2009, http://www.dwdl.de (Abruf: 03.05.2011)

mekonet (5/2011): mekonet kompakt: Castingshows auf einen Blick. In: Medienkompetenz-Netzwerk NRW, http://www.mekonet.de (Abruf: 02.07.2011)

mekonet (7/2011): mekonet kompakt: Musik im Netz auf einen Blick. In: Medienkompetenz-Netzwerk NRW, http://www.mekonet.de (Abruf: 02.07.2011)

prosieben.de (2011): tv total, http://tvtotal.prosieben.de (Abruf: 07.07.2011)

Schwarz, Claudia (2007): »Der ist der Fescheste«. In: K. Döveling/L. Mikos/J.-U. Nieland (Hrsg.): Im Namen des Fernsehvolkes. Neue Formate für Orientierung und Bewertung. Konstanz: UVK, S. 155–178

Seiler, Sascha (2011): Was ist los mit den Daily Soaps? Castingshows laufen Soaps den Rang ab. In: sueddeutsche.de, 29.01.2011, http://www.sueddeutsche.de (Abruf: 03.05.2011)

Verbraucherschutz.tv (2011): topstar777.de kostet Geld. In: verbraucherschutz tv, 18.04.2011, http://www.verbraucherschutz.tv (Abruf: 03.07.2011)

Voß, Jochen (2009): Sänger über Sänger. Castingshow goes Soap: Der Faktor Annemarie. In: Medienmagazin DWDL.de, 26.04.2009, http://www.dwdl.de (Abruf: 07.08.2011)

Weihser, Rabea (2011): Deutschland bleibt die Stimme weg. In: Zeit Online, 13.05.2011, http://www.zeit.de (Abruf: 07.07.2011)

Wick, Klaudia (2010): Auf dem Sonnendeck. Womit Produzenten erfolgreich sind. In: Tendenz. Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, 1/2011, S. 17

Wikipedia (2011a): Castingshows. In: http://de.wikipedia.org (Abruf: 03.05.2011) Wikipedia (2011b): Imam Muda. In: http://de.wikipedia.org (Abruf: 03.05.2011)

1   So der Titel eines Beitrags von Jochen Voß (2009).

2   Sollte ihrem Willen etwas zuwiderlaufen, dürften die Handlungsspielräume der Teilnehmer eher gering ausfallen. Bei DSDS wohnen die Teilnehmer nicht nur zusammen, sie sind in einen streng durchgeplanten Tagesablauf »eingeschnürt« (vgl. Kurotschka 2007).

3   Im Gegensatz dazu steht das »narrative Realitätsfernsehen«, das die Zuschauer mit nachgestellten Bildern und Szenen einer tatsächlich erlebten Katastrophe unterhält. Keppler bezeichnet die Daily Talkshow als Vorreiter des performativen Reality-TV (vgl. Keppler 1994, S. 8).

4   Im malaysischen »Imam Muda« sucht man per Castingshow sogar nach modernen Religionsführern (Wikipedia 2011b).

5   Castingshow-Absolventen schaffen es in der Regel nicht, sich dauerhaft in den Charts oder auf den Laufstegen zu etablieren. So werden »Modemodels« zu »Medienmodels« (vgl. Casting-Show-News 2011b).

6   »Zwar gibt es auf internationaler Ebene eine beachtliche Zahl empirischer Studien, die darauf hindeuten, dass die Nutzung bestimmter Medieninhalte bei bestimmten Personen mit einem gestörten Körperbild und Essverhalten zusammenhängt, jedoch lassen sich die Befunde nicht zu einem eindeutigen und in sich schlüssigen Bild integrieren« (Baumann 2010). Und der ARD-Forschungsdienst führt mit Blick auf US-amerikanische Studien aus, dass letztlich die Kausalrichtung der gefundenen Zusammenhänge ungeklärt bleibt: »Führt die Nutzung der Fernsehangebote zur Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, oder sind mit ihrem Körper unzufriedene Personen eher motiviert, sich solchen Sendungen zuzuwenden – aus welchen Gründen auch immer« (ARD-Forschungsdienst 2011).

7   Auf der Internetseite von PROSIEBEN heißt es zu »The Voice of Germany«: »Die Scouts sind im ganzen Land unterwegs, um herausragende Stimmtalente und die unentdeckten Juwelen der deutschen Musiklandschaft aufzuspüren. Wolfgang Link, Senior Vice President Entertainment PROSIEBENSAT.1 TV Deutschland: ›Wir freuen uns auf viele großartige Künstler und Talente, die uns Gänsehaut verursachen. Ganz egal, ob sie 18, 28 oder 38 sind – das Alter spielt keine Rolle. Bei The Voice of Germany gibt es nur ein einziges Kriterium: Die Stimme‹« (http://www.prosieben.de, Abruf: 07.07.2011).

8   Das belegt der Blick in andere gesellschaftliche Bereiche: Bei der Bremer Bürgerschaftswahl 2011 durften 16- und 17-Jährige wählen gehen; seit 2011 dürfen 17-Jährige Auto fahren, wenn eine erwachsene Begleitperson dabei istt; ein Modellprojekt in Mecklenburg-Vorpommern probt das begleitete Autofahren mit 16-Jährigen (und gutem Erfolg).

»Mein oberstes Gebot ist gute Unterhaltung« – »Deutschland sucht den Superstar« aus Sicht der Produzentin

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Ute Biernat

Ob Schuldnerberatung, Erziehungshilfe oder Castingshows: Die Stars aus Film, Musik oder Sport, die Politiker oder die bildungsbürgerlichen Experten sind im Fernsehprogramm auf dem Rückzug. Stattdessen wird es immer wahrscheinlicher, den Nachbarssohn im Fernsehen dabei zu beobachten, wie er wegen mäßiger Gesangskunst von Dieter Bohlen fertiggemacht wird oder seine Schwester von Heidi Klum eine Standpauke erhält, weil sie ihr erotisches Outfit noch nicht hundertprozentig als das Wichtigste im Leben akzeptiert. Das sei übelster Voyeurismus, ahnungslose Menschen würden missbraucht, um für die Sender die Quoten hochzutreiben – so die Kritik an diesen Formaten. Besonders die RTL-Show »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) und »Germany’s next Topmodel« (GNTM) auf PROSIEBEN stellten Leistung und Erfolg als wichtigsten menschlichen Wert auf. Wer den Kriterien nicht entspricht, werde rücksichtslos niedergemacht. Wie sehen das diejenigen, die für die Planung und Herstellung solcher Programme die Verantwortung tragen? Joachim von Gottberg sprach darüber mit Ute Biernat, Geschäftsführerin von Grundy Light Entertainment in Köln und unter anderem Produzentin von »Deutschland sucht den Superstar«.

Die Grundy Light Entertainment produziert die Castingshow »Deutschland sucht den Superstar«. Wie sind Sie zu diesem Format gekommen?

DSDS ist eine Erfindung unseres Mutterhauses FremantleMedia in London und Musikmanager Simon Fuller, der unter anderem die Spice Girls groß rausbrachte. Fuller hat zusammen mit dem damaligen President of Worldwide Entertainment FremantleMedia Alan Boyd an einem Konzept für eine solche Castingshow gearbeitet – sie wollten etwas mit jungen Leuten machen, ihre Träume und Wünsche erfüllen. Die Sendung ging 2001 in Großbritannien erstmalig on air. Mir kam dann die Aufgabe zu, dieses Produkt in Deutschland zu verkaufen. Das Problem war: Keiner wollte es haben! Inzwischen gab es Fassungen in Südafrika und in Polen, und als man schließlich sah, dass die amerikanische Version erfolgreich war, wurden auch die Deutschen hellhörig. Gerhard Zeiler, der damalige Geschäftsführer von RTL und großer Befürworter der Show, hat dann Dieter Bohlen für die Show gewinnen können, und zusammen mit RTL haben wir die anderen Jurymitglieder ausgesucht. Die große Angst bei dem Projekt war immer, dass Musik im deutschen Fernsehen eigentlich ein Abschalter ist. Eine Popmusikkultur gibt es in unserem Land nicht, und es war bekannt, dass die Zuschauer bei Musik-Acts in diversen Shows wegschalten. Das war unsere Basis vor zehn Jahren, mit der wir ganz klein angefangen haben. Die Castingsendungen starteten im Herbst – richtig erfolgreich waren wir dann mit den ersten Liveshows. Ich werde nie vergessen, wie unsere Top Ten beim Neujahrsspringen von Günther Jauch anmoderiert wurde und alle dahin geschmolzen sind, als sie »We have a dream« gesungen haben. Von da an sind unsere Quoten in den Himmel geschossen.

Es gab zum damaligen Zeitpunkt schon die »Popstars«. War das eine direkte Konkurrenz?

Nein, es gab und gibt keine Konkurrenz, weil es sich hierbei um ein komplett anderes Konzept handelt. Es gibt ja auch hundert verschiedene Quizsendungen und hundert verschiedene Talkshows. Das Genre Castingshow hat mit »Popstars« und DSDS begonnen, dann haben alle angefangen, damit zu arbeiten. Trotzdem laufen alle diese Shows unterschiedlich ab und haben eine etwas andere Ausrichtung.

Hätten Sie damals bei der ersten Sendung schon gedacht, dass dieses Format so lange und so erfolgreich laufen wird?

Als wir den starken Quotenanstieg bei den ersten Mottoshows hatten, dachten wir, dass eine Staffel noch gehen würde. Dass es noch zehn Jahre laufen würde, darauf hätte ich ehrlich gesagt nicht gewettet. Es ist uns allen erst unterwegs klar geworden, dass das Konzept viel länger funktionieren wird. Jeder, der heute sagt, er habe das schon von Anfang an gewusst, der schummelt.

Innerhalb dieser zehn Jahre wurden Dinge auch variiert, wie zum Beispiel die Frequenz der Staffeln …

Das stimmt, wobei wir schon mit der zweiten Staffel versucht haben, einen regelmäßigen Rhythmus zu schaffen. RTL wollte nicht mehr über den Jahreswechsel hinweg senden, denn so ging uns aufgrund der Weihnachtsferien die Spannung aus der Dramaturgie verloren. Der Sender hat dann entschieden, die zweite Staffel von Januar bis April zu senden.

Bisher ist noch keiner der Gewinner ein wirklich großer ›Superstar‹ geworden. Trotzdem bewerben sich jedes Jahr mehr Jugendliche für die Sendung. Wie lässt sich das erklären?

Zum einen bewerben sich immer mehr junge Menschen, weil die Show einen kleinen Ausschnitt der Kultur junger Leute widerspiegelt. Wir befriedigen ihre Bedürfnisse in einem kleinen Segment. Sie wollen Chancen haben, sich entwickeln, Karriere machen, aus ihrem gewohnten Rahmen ausbrechen und ihr soziales Umfeld verändern. Ich glaube, die Show bedient die Träume von jungen Menschen, aufzufallen und rauszukommen. Die Wahrnehmung, keiner der Gewinner sei erfolgreich gewesen, stimmt so nicht. Pietro Lombardi zum Beispiel wurde sowohl für seine Single als auch für sein Album mit Platin ausgezeichnet. Er konnte 125 000 Downloads in 26 Stunden verbuchen, ein Rekord, den bisher noch kein Künstler in Deutschland geschafft hat. So erfolgreich wie er und Sarah war kaum jemand. Die beiden treten überall auf, alle reißen sich um sie und alle lieben sie. Auch sehr erfolgreich war Mark Medlock, der sich immer noch gut verkauft. Alexander Klaws dürfte inzwischen Millionär sein. Darüber redet nie jemand, weil sie natürlich alle ihre eigenen Karrieren weiterverfolgen und dabei nicht unbedingt im Popmusik-Segment bleiben. Elli Erl ist heute Lehrerin und macht offiziell kaum noch Musik. Diese persönliche Entscheidung muss aber auch jedem gestattet sein. Wenn man es vergleicht, dann würde ich sagen, dass wir genauso erfolgreich sind wie die amerikanischen Kandidaten. Wir müssen dabei berücksichtigen, dass unsere Kandidaten natürlich nie eine Chance in Amerika haben, aber das hat Robbie Williams auch nicht. Man darf also nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Es scheint aber keinen Zusammenhang zwischen dem Erfolg eines DSDSGewinners und dem Interesse an der nächsten Staffel zu geben.

Ich glaube, den Zuschauern geht es auch nicht vordergründig darum, wie viele ›Superstars‹ in die Welt rausgehen und wie weit sie fliegen können, sondern es geht ihnen mehr um die Entwicklung, die die Kandidaten durchmachen. Es geht um die Spannung, wer sich für die nächste Staffel