Auf dem Pfad der Götter - Marc Short - E-Book
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Auf dem Pfad der Götter E-Book

Marc Short

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Beschreibung

Geschichte wiederholt sich, diesmal nur in einer anderen Dimension. Der junge Mann Tibor ist zum Kommandant des Drachenschiffs HAITHABU auserkoren. Mit ihm geht er einen Weg und in einen Kampf, der ihn zwischen die Fronten der Götter treibt. Doch was ist das Geheimnis des Drachenschiffs? Und wer ist dieser geheimnisvolle Wikinger namens Liftar, der sich als Einherjer bezeichnet? Es ist der Beginn einer langen Reise, einer, die direkt hinein in die nordische Mythologie führt ....

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Seitenzahl: 220

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Marc Short

Auf dem Pfad der Götter

1. Teil: Das Drachenschiff

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Der letzte Held

2. Tibor

3. Liftar Masir

4. Die Norne

5. Der Schiffsgeist

6. Vidar

7. Helheim

8. Zwiegespräch

9. Duell

10. Am Abgrund

11. Vali

12. Balders Schiff

13. Schicksalsspeer

14. Schicksalsfaden

Glossar

Nachwort

Weitere Veröffentlichungen

Impressum neobooks

1. Der letzte Held

Zitat 1. Buch: „Im Hafen ist ein Schiff sicher, aber dafür wurde es nicht gebaut.“ Seneca

Kyrijas bernsteinfarbene Augen blickten auf ihn, den letzten Helden, der noch verblieben war: Liftar Masir. Der einstige Wikinger bekam in diesem Moment die Chance, wieder auf Erden zu wandeln und damit die Möglichkeit, die Welt der Lebenden noch einmal zu betreten. Doch der Einsatz dafür würde hoch sein. Zu hoch für einen Menschen, zu hoch auch für einen Helden Walhalls?

Die Walküre breitete die langen, schmalen Arme aus. Aufgerichtet zur vollen Größe von über zwei Metern und geschmückt wie an einem Festtag, stand sie vor dem toten Helden. Golden fließender Stoff umschmeichelte ihren Körper in Wickeloptik, gehalten von Perlmuttfibeln. Arm- und Beinschienen zeigten sich bei ihren Bewegungen in glanzvoller Form. Ihr Haar war zu Zöpfen geflochten, die sich nach oben türmten und in einem Dutt endeten. Spangen und Haarnadeln gaben dem Kunstwerk halt. Liftar Masir begegnete ihrem Blick und er ließ ihre hell funkelnden Augen selbst dann nicht los, als die seinen zu verbrennen drohten. Als sie mit volltönender Stimme zu sprechen begann, sah er die Bilder zu ihren Worten in ihren Augen. Ob Einbildung oder nicht, war egal. Was er darin erblickte, zählte.

„Bei Ragnarök, der Götterdämmerung, kam es zum letzten Kampf der Unsterblichen. Die Götter und die Riesen kämpften, bis die Welten im Chaos untergingen. Im Weltenbrand, der den Weltenbaum bis auf eine letzte Wurzel vernichtete.

Asgard, die Welt der Götter und Midgard, die Welt der Menschen verbrannten. Die Götter schlachteten sich in Zweikämpfen mit Lokis Kindern und den Riesen ab. Tod und Blut waren, was am Ende blieb. Der Abgrund, das Totenreich Hel, öffnete sich und verschlang die letzten Überreste der Toten.

Asgard, das einstige Land der Götter, verschwand in den Urwassern und man dachte, damit sei es für ewig getan. Doch eine neue, unschuldige Welt erhob sich.

Das Leben und die Lebenskraft, so sagt man, hatten den Kampf in Urds Brunnen unter dem Weltenbaum überlebt. Und sie wurden die Gründer der Neuen Welt, Vater und Mutter der Menschen. - Und du mein letzter aller Helden weißt, dass dies wahr ist.“

Bei den letzten Worten riss sich Liftar Masir vom Blick der Walküre los. Der Mann, ein Hüne von Gestalt, der in seinem früheren Leben das Amt eines Stammesführers der Wikinger geführt hatte, nickte stumm und in sich versunken. Er wusste, warum sie ihm das erzählte, weswegen sie ihn zu sich gerufen hatte. Sie, eine Walküre aus der alten Zeit.

„Ja, du ahnst, worauf es hinaus läuft. Was ich dich frage, wird dir eine große Bürde auferlegen. Doch es ist meine letzte Bitte.“

„Meine oberste Schildjungfer, konnte ich dir je einen Wunsch abschlagen?“

Er erinnerte sich an die Walküre und an die Überlieferung, die ihm sein Vater einst erzählt hatte: Nach einer großen Schlacht ritten die Walküren über das Kampffeld und wählten die tapfersten der Krieger aus, um sie nach Walhall zu geleiten. In dieser Zeit spiegelte sich das Licht des Mondes in ihren Rüstungen und schuf so das Polarlicht. Als Nordlicht hatte er seine Schildjungfer in der Nacht eines im nahen Norden tobenden Krieges gesehen und gewusst, dass die Geschichte seines Vaters wahr war. Er schickte ein Gebet zu Himmel, für den tapferen Krieger, der in dieser Schlacht gefallen war.

Am Tag vor seinem Tode hatte er sie wieder gesehen – als Schatten war sie durch den Nebel geritten und hatte ihm zum ersten Mal ihren Namen geflüstert, der seine Kraft und seinen Mut stärken sollte. Liftar und die Seinen erweiterten in der kommenden Zeit ihre Siegeszüge. Über den Rhein waren sie bis nach Frankreich vorgedrungen und hatten wichtige Handelsplätze überfallen. Dann war die Zeit für ihn gekommen: Im Jahre 845 nach Christus war er in der großen Schlacht bei Paris im Westfrankenreich gefallen. Als das Schwert des Gegners sein Herz durchbohrte, hatte sie begonnen ihren Namen zu singen: Kyrija. Sie hatte seine Seele aufgefangen und nach Walhall geführt. Dank seinem und vieler anderer Opfer waren sie wiederholt siegreich gewesen. In Valhöll hatte ihm die Walküre dies erzählt und dass zum ersten Mal das Danegeld – in Höhe von 7.000 Pfund Silber - erhoben worden war. Damit hatte er seinen Teil zur Entstehung der Schutzgelderpressung beigetragen. Er wusste nicht, ob er darauf stolz sein sollte und seine Augen verengten sich, als die Erinnerung bildhaft wurde. Aus der Vogelperspektive sah er das Geschehen und kämpfte gegen die feuchte Regung in seinen Augen. Kyrija, dachte er. Sie musste fühlen, was er fühlte, sehen was er sah, doch sie sprach weiter, als wäre das nicht der Fall.

„Dir allein obliegt die Entscheidung, ob du meiner Bitte nachkommst, um sie zu erfüllen, oder ablehnst“, sagte die Walküre. „Wisse dabei: Du bist der Einzige, den ich noch fragen kann. Der letzte Held. Alle anderen haben versagt und die, die verblieben sind, würden versagen. Es ist dein Blut, das die Entscheidung bringen wird. So haben die Nornen es mir geflüstert, so wird es sein. Nur, in diesem Fall können die Nornen die Geschichte nicht schreiben. Das ist das Besondere, das andere, ich würde sagen, das Unerklärliche und Gefährliche. Du musst sie also selbst schreiben, diese Geschichte auf Midgard, auf Erden.“

"Warum sollte ich diese Aufgabe übernehmen, warum nicht eine deiner Schildmaide, die es auf Midgard gibt, die dort Wache halten?", fragte der Einherjer. Widerstand war gut, Widerstand war wichtig, dass gebot allein seine Position.

"Weil du der richtige bist. Es ist deine Blutlinie, die über Sieg oder Niederlage entscheiden wird", antwortete Kyrija. "Und weil du damit die einmalige Möglichkeit bekommst, so du eine Heldensaga schreibst, nach Folkwang kommen darfst, Freyas Wohnsitz. In den Saal Sessrumnir - du weißt, was dies bedeutet."

„Sagt mir, wie ich das tun soll.“ Liftar Masir hatte sich längst entschieden und diese unfassbare Möglichkeit festigte seinen Entschluss endgültig. Dadurch erhielt der die Möglichkeit, mit seiner Schildmaid in Fleisch und Blut zusammen zu sein. 

„Geschichte wiederholt sich“, setzte die Walküre fort. „Nur in einer neuen Dimension. Du weißt, dass einige Kinder der Unsterblichen überlebt haben, darunter Thors Söhne und die Odins. Aber auch die Zwillinge Baldur und Hödur leben; sie kehrten wieder aus Hel!“

„Und damit vermutlich noch andere, dunkle Gestalten“, ergänzte der letzte Held.

„Das ist der Grund, warum ich dich zu mir bat“, sagte Kyrija. „Du musst schnellstens jenen finden, der die alte Macht jungen Blutes vereinen kann, jenen aus der heutigen Welt der Menschen, der deiner Linie entstammt. Er wird letztlich der sein, der die Schlacht am Ende dieser Tage unter dem Mond dieser Sterne entscheidet. Und du wirst ihn im sich anbahnenden Krieg führen, um die Schatten endgültig von dieser Welt zu verbannen.“ Der Monolog der Schildjungfer stoppte.

Sie ist die erste Tochter von Frigg, dachte Liftar. Der Gemahlin Odins. Wenn nicht sie, wer dann dürfte eine solche Forderung stellen?

„Jedoch mein letzter Held: So wie wir, wissen auch Lokis Anhänger davon.“, wandte sich die oberste Walküre wieder an ihn.

„Der Gestaltwandler und seine Kinder. Du glaubst, sie existieren noch?“, hakte er nach.

„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es“, erwiderte Kyrija. „Und der Eine oder die Andere wandelt vielleicht auf der Welt des Jungen.“

„Lokis Kinder waren die Midgardschlange, die Totengöttin Hel und Fenrir, der Wolf aller Wölfe“, erinnerte sich der ehemalige Wikinger. „Sie alle sind der Legende nach im Weltenbrand untergegangen.“

„Sei es, wie es sei“, tadelte die Walküre. „Wenn auch nur einer von Ihnen, oder aus ihrem Gefolge, den Jungen vor dir findet, Liftar, so werden sie ihn töten! Ihn und andere.“

„Und du meine Schildjungfer, weißt du, was wir diesem Menschen damit antun?“, fragte Liftar. „Welche Bürde wir ihm auferlegen? Auf meine kommt es nicht an, meine Seele ist längst in deinem Licht gewandert. Aber seine, sie kann nicht nur zerbrechen, sie kann auch zerstört werden. Er ist wie ein Bauer unter Kriegern. Und wir verwenden ihn für unsere eigenen Zwecke.“

Die Walküre legte den Kopf zur Seite. Die Creolen in Halbmondform klimperten und ihm war, als würden sie ein Lied singen. Er versuchte, sich davon nicht vereinnahmen zu lassen, als sie weitersprach. „Das ist deine Sicht der Dinge. Das Schicksal flüstert mir, dass bei diesem Jungen noch mehr ist. Außerdem: Wenn wir nicht eingreifen, wenn wir ihn nicht auf den Weg führen, den die Schicksalsweber für ihn vorgesehen haben, wird auch seine Erde über kurz oder lang untergehen wie einst die unsere.“

„Ein Mensch soll also Gott spielen? Und ich soll ihn dabei unterstützen?“, brummte Liftar. Er presste die verschränkten Arme vor seiner Brust noch fester zusammen.

„Sieh mich nicht so an. Auch du warst einst ein Mensch, bevor du wurdest, was du warst und noch heute bist.“ Kyrijas Blick bekam bei den letzten Worten etwas Zärtliches. So hat sie mich früher angesehen. Damals, als sie mich zu sich in diese Hallen holte.

„Ja Liftar, du warst einer der Glorreichsten und Stärksten, nur deshalb bist du jetzt hier, nur deshalb komme ich noch einmal mit einem Auftrag auf dich zu. Vergiss niemals, dein Blut fließt in ihm. Du wirst es spüren, wenn du vor diesem Menschen stehst.

Liftar, ich weiß wie du, dass viele in seinem Land sich als Gott sehen, manche in der Geschichte sich so bezeichneten und auch heute Menschen diese Aufgabe nur zu gern übernehmen würden. Doch diese Menschen handeln eigensinnig, ihre Methoden sind schlecht und ihre Art unberechenbar. In gewisser Weise sind sie wie Loki, nur immer in ein und derselben Gestalt. Du aber warst anders und auch der Junge ist es. So war es und so wird es sein, zumindest für uns. Ich glaube an ihn, so wie ich an dich glaubte, als ich dich zum ersten Mal wahrnahm und von da an beobachtete, unter Friggs stillem, duldenden Blick.“

Er wusste, was das bedeutete. Die Göttin hatte akzeptiert, dass ihre obereste Walküre ihre Wahl getroffen und ihn erwählt hatte. Eine Pause entstand, in der beide Odins Gemahlin gedachten, die einmal gewesen war, aber nicht mehr ist, auch wenn sie unsterblich gewesen war.

„Nun gehe. Ich habe Dir bereits zu viel gesagt“, sagte die Schildjungfer irgendwann, für die Zeit im endlichen Sinne keine Rolle spielte. „Gefühle in Worten wiederzugeben ist für unsereins im Normalfall ein Tabu.“

„Welche Tabus werden wir noch brechen müssen, um zu erreichen, was wir wollen?“, fragte der Einherjer. „Sind wir wirklich besser als diese Menschen, als Loki und seine Nachkommen?“

Liftar wusste, dass sie keine Wahl hatten, als den Jungen zuerst zu finden. Junge. Bei dem Gedanken stahl sich ein feines Lächeln auf sein Gesicht. Dieser Junge war längst ein Mann, zumindest wenn man ihn in Jahren maß. Und er selbst war alt, uralt, wenn man die Jahre zählte. Ob er überhaupt noch mit Menschen umgehen konnte, vor allem mit jenen aus der neuen Zeit?

Es ist nur einer, sagte er sich. Ich werde ihn finden, besser finden lassen. „Gebt mir ein Schiff und schickt eine Norne, eine Schicksalsweberin auf den Weg, die mich führt. Dann werde ich ihn vor den Schattenkindern finden und zu Euch bringen.“

„Nicht zu mir, nein. Sein Weg ist der deine“, sagte Kyrija. „Und euer Weg ist es, die jungen, noch übrig gebliebenen Götter alten Blutes zum letzten Kampf gegen die dunklen Mächte zu sammeln. Denn jener Eine ist zurückgekehrt.“

„Loki“, sagte der ehemalige Wikinger. „Jener gewiefte Taktiker, der die Kinder des Unheils zeugte und am Ende im Zweikampf durch und mit Heimdall, dem Wächter der Regenbogenbrücke Bifröst starb. Der Gestaltwandler, von dem wir schon sprachen.“

„Gewiss, ja, und doch scheint er zurück zu sein.“ Die Walküre hielt inne, trat nahe zu Liftar und sah tief in seine Augen. „Findet zunächst den Jungen und die Söhne der Götter, dann findet Mimirs Brunnen, dort erhaltet ihr Antwort auf die letzten Fragen, die noch zu klären sind. Und nun geht! Die Zeit drängt, mein großer und liebster aller Krieger.“

„Ich werde den Menschen und die Söhne Thors wie Odins finden. Ich werde eure Botschaft als meine kundtun. Gebt ihr mir die Befähigung, für diesen Auftrag jedes Schiff zu erwählen, das ich wünsche?“

„Habe ich eine Wahl?“, fragte Kyrija. „Von euch beiden hängt das Leben dieser neu entstandenen Welt und das der Göttersöhne ab. Viel Glück also.“

Und dann war sie weg, die oberste Walküre, die ihn sonst nicht nur bewirtete. Die er zuvor noch gerne an ihrer schwungvollen Hüfte gepackt und auf seinen Schoss gehoben. Doch das war seit dem Jahrestag, an dem sie immer gemeinsam die Erde besucht hatten, nicht mehr geschehen. So vieles war dort unten möglich, in der Welt der Menschen. Vielleicht war es gut, dass er wiederkehrte, er, der letzte Wikinger, der zum Einherjer geworden war, um nochmals Geschichte zu schreiben. So verließ er die Ruhezone Walhall, die einstmalige Stadt der toten, lebenden Helden. Liftar Masir dachte an sein Schiff. Er hoffte, dass es ein Wiedersehen mit Freude werden würde, hatten sie doch für lange Zeit eine schlagkräftige Einheit gebildet.

2. Tibor

„Komm nicht zu spät zurück, Tibor!“

„Nein, nur ein, zwei Fische für heute Abend will ich noch angeln. Dann bin ich wieder da. Versprochen!“ Tibor drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und fügte hinzu: „Außerdem bin ich keine siebzehn mehr, Emilia! Da sind inzwischen zehn Jahre hinzugekommen.“ Dann zwängte er sich durch die schmale Eingangstüre hinaus. 

Heute war Sonntag und da ihre Häuser nicht weit auseinander lagen, hatten sie eingeführt, an diesem Tag miteinander zu speisen. Für ihn war es gut, so konnte er seinem Alleinsein, das ihn aber wenig störte, entfliehen. Seine Mutter aber, das wusste er, würde ohne ihn kaum mehr zurechtkommen, da sie in noch größerer Einsamkeit lebte als er. Zurückgezogen und in Abgeschiedenheit, wie sie es bevorzugte, nach dem Tod ihres Mannes.

Wenig wusste er von seinem Vater, nur dass er sie frühzeitig und unfreiwillig verlassen hatte. Seine Mutter wollte nie darüber sprechen. Und ganz bestimmt nicht an einem Sonntag. Wohl auch nicht bei geräuchertem, selbst gefangenem Fisch, dachte er. In sich aber spürte Tibor, dass er eines Tages die Wahrheit erfahren würde. Vielleicht konnte er Emilia dann richtig und ganz verstehen. Sie und ihr ewiges Schweigen. 

Die See an der Küste Schleswig-Holsteins war ruhig an diesem Tag. Beinahe zu ruhig. Ohne Schwierigkeiten steuerte Tibor den Fischkutter seines Vaters, die NORDLICHT, hinaus aufs Meer. Nach einer viertelstündigen Fahrt stellte er den Motor ab. Das Bootsnetz kam heute nicht zum Einsatz. Stattdessen holte sich Tibor eine Angel. Er verließ das Steuer und lehnte sich, wie er es an Sonntagen an Board des Schiffes gerne tat, an die hölzerne Reling. Dann warf er die Angel aus und das Warten begann. Sein Blick schweifte den Horizont entlang. Wie schön sie doch war, diese ewig glitzernde Weite. Dazu das schillernde Meer. Seine Gedanken schweiften zum Wochenanfang, als er eine größere Gruppe zu den Seehundbänken mitgenommen hatte. Im Anschluss daran folgte das Schaufischen. Die Gäste hatten Fotos von dem Fang gemacht und seinen Erklärungen über Seestern, Makrelen und Dorsch gelauscht. Würde sein Vater stolz auf ihn sein, wenn er sehen könnte, was Tibor aus der NORDLICHT gemacht hatte? Würde er den grünen Anstrich und die Runensymbole akzeptieren? 

Plötzlich verdunkelte sich der Horizont. Nebel wallte auf, Dunkelheit zog heran, bäumte sich auf und drohte über dem Kutter zusammenzubrechen. So schnell. Selten hatte er so ein Schauspiel erlebt. Und er war schon lange zur See unterwegs, sehr lange, ja schon seit er denken konnte und einmal auch mit seinem Vater. Einmal – damals, als alles noch gut gewesen war und das Schiff einen weiß vergilbten Anstrich hatte. Der Namenszug war bereits verblichen gewesen. Damals, dachte er und sah in den aufkeimenden Sturm. Damals war meine Mutter noch redselig und glücklich. Da kochte sie für drei und zauberte die besten Gerichte der ganzen Nordsee auf den Tisch. Es war ihm nicht vergönnt weiter darüber nachzusinnen. Er musste die Angel einholen. Womöglich würde der Sturm nicht so schnell verschwinden, wie er sich aufgebaut hatte und sein Kutter war alt. Er würde einer längeren Gewitterschlacht nicht standhalten, nicht wenn er sich im Zentrum befand. Verdammt, er würde sich wirklich bald ein neues Boot suchen müssen! Eines das mehr aushielt, das sicherer war und … er wusste nicht, was er noch erwarten sollte, besser konnte. 

Da ertönte ein Klicken an der Angelrute. Etwas hatte angebissen. Im letzten Moment, kurz bevor das Gewitter losging. Nordwind kam auf, an Deck wurde es unangenehm. Dennoch besah sich Tibor, was er geangelt hatte: Glänzende Schuppen bedeckten einen windenden, unterarmlangen Fischkörper. Ein ordentlicher Brocken. Erster Regen setzte ein und in der Ferne blitzte es. Er wollte den Fisch von der Angel nehmen und wieder zurück ins Nordmeer lassen, um sich zurück ans Steuer zu begeben, um den Kutter heimwärts zu lenken, als er das Leuchten der Schuppenhaut sah. Ein Fisch, der außergewöhnlich schillerte – nicht grau, nicht blau, nicht normal! Weder Makrele, Hering noch Thunfisch sahen so aus. Das bunt schillernde Schuppenkleid, dessen Grundton ein Bernsteinweiß zu sein schien, war eine Besonderheit. Es erinnerte ihn an eine Frau in einem weißen Kleid, dessen Glanz je nach Lichteinstrahlung wechselte. Die seitlichen Flossen, wie auch die Schwanzflosse wirkten filigran. Eine Delikatesse. Und so sah sein Fang auch aus, wie etwas Besonderes, ganz und gar nicht Alltägliches. „Wie viele von deiner Art mag es geben?“ Er murmelte die Frage leise und hatte dabei das Gefühl, als könne ihn dieses Fischwesen verstehen. Als er die kristallweißen Augen anstarrte, deren schwarzen Pupillen einen Hauch von Bernsteinfarbe in sich trugen, durchlief ihn ein Kribbeln. Wie kann mich ein Fisch nur derart berühren?, fragte er sich. Dann aber musste er schlucken – nur die Augen rollten noch, der Fischleib selbst zuckte nicht einmal mehr. Tot? 

Im selben Moment noch, da ihn diese Frage durchzuckte, streckte er seine Finger nach dem Tier aus und berührte das Schuppenkleid. Sanft strich er darüber – keine Bewegung. Er fuhr von den Kiemen an der Bauchunterseite weiter bis zur Schwanzflosse. Ein wärmendes Gefühl breitete sich in ihm aus, durchwanderte seinen rechten Arm und zog weiter bis hin zu seinem Herz, wo es sich festkrallte. Tibor gab keuchende Lauten von sich. Seine Augen wurden feucht. „Wie du mich berührst! Was hat es nur mit dir auf sich? Bist du, was du scheinst?“ Er wusste einfach, dass dieser Fisch noch lebte. Er nahm ihn von der Angel, während der Wind immer stärker an ihm zerrte, und wand sich dem Bug zu. Plötzlich ging ein Zucken durch den Körper, den er zwischen den Händen hielt wie einen kostbaren Edelstein. Er hatte die Spitze des Schiffs erreicht und warf einen letzten Blick auf dieses Fischwesen, sah noch einmal in dessen Augen. Tibor hatte dabei das Gefühl, als würde das Wesen blinzeln. Er entließ den Fisch zurück in sein lebenswichtiges Element. „Schwimm, mein Fisch. Schwimm und erreich dein Ziel, wo auch immer es liegt“, rief der junge Mann zum Abschied. Tibor winkte mit verträumtem Blick hinterher, bis er sich dieser Tatsache bewusst wurde. Dann drehte er sich um, seltsam benommen und sich fragend, woher er diese Worte genommen hatte. Er fragte sich ebenso, wie er hatte den Sturm vergessen können. Regen, Blitz und auch Donner hatten ihn nicht gestört, eher war das Gefühl gewesen, als wäre eine schützende Glaskuppel über ihm und dem Fischkutter gewesen. Er musste über sich selbst lachen. Bei einem beiläufigen Blick auf die jetzt so leeren Hände, nahm er eine Schuppe wahr. Sie stammte ohne Zweifel von dem Fischwesen. Ein letzter, zurückgebliebener Teil, wie ein Andenken. Tibor bemerkte, dass sie bereits getrocknet und hart geworden war, und ließ sie mit einem Schulterzucken in seiner Hemdtasche verschwinden. 

Dann beschleunigten seine Schritte. Die Sekunden zwischen Blitz und Donner wurden immer weniger. Tibor ließ die Maschine anlaufen, die Schiffsschraube sprang an und die NORDLICHT setzte sich in Bewegung. Schaukelnd und wankend wie ein betrunkener Elefant entfernte sich der Kutter vom Gefahrenherd. Vielleicht kam er noch ungeschoren aus dem Gröbsten heraus, das Unwetter würde ihn dennoch eine Weile begleiten. Wiederholt fragte er sich, woher diese Sicherheit kam. Ein Lächeln spiegelte sich auf seinen Lippen, als er über die Schuppe in seiner Hemdtasche strich.

3. Liftar Masir

Der Sturm legte sich. Als Tibor den Hafen ansteuerte, begann die Abenddämmerung einzusetzen. Die Hände fest um das Steuer gelegt stand er da. Emilia, du wirst nicht glauben, was ich dir heute zu erzählen habe, dachte er. Nein, was ich getan habe, verbesserte er sich. Und da schloss der junge Mann die Augen, genoss das Schlagen der Wellen gegen den Schiffsrumpf, den landeinwärts treibenden Wind und die salzige Luft der See. So ähnlich musste sich sein Vater gefühlt haben, von dem er diesen Kutter erhalten hatte; das zumindest hatte ihm seine Mutter über ihren Mann erzählt.

Als er die Augen wieder öffnete, warf er einen Blick über die Schulter. Hinter dem Kutter sammelte sich der Nebel zu einer undurchsichtigen Wand. Ich muss mich beeilen, wurde Tibor klar, sonst holt mich die trübe Suppe noch ein. Er wollte sich gerade umwenden, da fiel ihm dieser Umriss auf, der ihn an die Saga um Siegfried erinnerte. Dort, inmitten des dichten Weiß ragte der Schatten eines Ungetüms in die Höhe. Ein sperriges, weit geöffnetes Maul mit langen, dolchartigen Zähnen, schob sich ihm und seinem Kutter entgegen. „Der Kopf eines Drachen“, rief Tibor aus. „Was hat das zu bedeuten?“ Sein Puls beschleunigte und Neugierde erwachte. Das Abenteurerherz schlug höher, im selben Takt wie der Wind an Stärke zunahm. Die NORDLICHT drohte zu kippen, neigte sich wie eine Waage immer weiter zur Seite. Tibor krallte sich mit den Fingern ans Steuerrad, dennoch wurde sein Körper unsanft herumgeworfen.

Immer weiter schob sich der Drache aus dem Nebel, sein Rachen wirkte wie in Stein gemauert. Fehlt nur noch, dass eine Feuerlohe auf mich zukommt, dachte Tibor.Er schallte sich im nächsten Moment einen Narr. Unsinn, in dieser Welt gibt es keine Drachen nur … Drachenschiffe! Natürlich, das musste es sein. An einem Sonntag war es durchaus möglich, dass die Stadt Schleswig-Holstein ein Museumsschiff zur See lies und dieses sogar für Besucher frei gab. Eine Schiffsführung der besonderen Art. Schade, dass er nicht der Kapitän war!

Aus dem Grau in Grau schälte sich ein bauchiger Rumpf, das geöffnete Maul mit den Zähnen wuchs immer weiter in die Höhe. Etwas seltsam fand er das goldene Wetterleuchten, dass vom Segel ausgehen musste.

Für einen Moment vergaß Tibor die Zeit und sein Vorhaben, den Ankerplatz zu erreichen. Als er sich in Fahrtrichtung drehte, baute sich das Bild des Hafens in voller Größe auf. Seine Anlegestelle kam in Sicht. Er sog die Lunge voll Luft, dann drehte er sich nochmals um und … atmete erleichtert, aber irgendwie auch enttäuscht auf. Das Drachenschiff blieb im Nebel zurück. Löste sich darin auf. Wie seltsam. Aber es war gut; Tibor wollte sich nicht weiter damit befassen. Denn er wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Schiff von keinem Menschen gesteuert worden war. Wie das Geisterschiff aus dem Film Ghost Ship. „Unsinn! Genug.“, rief er laut aus. Da ging ein Ruck durch den Fischkutter und Tibor sprang vom Schiff auf dem Steg. Fast hätte er dabei sein Gleichgewicht verloren. Er schüttelte verwirrt den Kopf und strich im nächsten Moment behutsam über seine Hemdtasche. Dann sah er auf seine Hände, die stärker Zittern als es die Situation erforderte. Er zuckte mit den Schultern. Gut, dass er heute nichts Ausladen musste. So konnte er die NORDLICHT gleich festmachen, ohne noch den Umschlagplatz anzusteuern. Bis zur nächsten Ausfahrt, dachte er mit einem Lächeln und wand sich den Gebäudeblöcken der Stadt zu.

Die Sonne war beinahe untergegangen, als er bei dem kleinen Häuschen seiner Mutter ankam. Seltsam, die Türe war gar nicht verschlossen. Hatte sie geahnt, dass er bald kommen würde? Oder war er gar so laut gewesen, dass Emilia ihn gehört hatte? Seinem Atem zufolge war das gar nicht so abwegig. „Mom“, sagte er. „Ich muss mich entschuldigen! Aus den ein bis zwei Fischen ist nicht einmal einer geworden. Aber du wirst mir nicht glauben, was-“

Tibor brach mitten im Satz ab. Diese Stille, sie kam ihm seltsam vor. Er betätigte den Lichtschalter. Gedimmte Helligkeit empfing ihn. Er spürte, wie sein Herz gegen die Brust schlug. Neben dem halbstündigen Fußmarsch lag das an der Ungewissheit. „Emilia? Mom?“, rief er nochmals, während er den Lichtschalter drehte und die Helligkeit zunahm. „Mom? Was ist denn nur los?“

Er hätte lieber nicht gesehen, was in sein Blickfeld geriet. Feuchtigkeit bildete sich in den Augenwinkeln. Die Knie wurden ihm weich, als er näher trat. Dort lag jemand mitten im Flur auf dem Boden und bewegte sich nicht. „Nein! Bitte. Wer, wer würde so etwas tun? Sag, dass das ein Scherz ist! Mom!“ Er schob sich langsam zu dem reglos vor ihm liegenden Leib, fühlte sich dabei schwer wie ein Stein und ungelenk wie jener. Der Körper lag in einer roten Lache, mit einem Tuch bis zum Kinn bedeckt. Tibor hob die Decke an, zog sie mit letzter Kraft weg und erstarrte. Da lag nicht seine Mutter. Da lag ein Unbekannter, ein Ungeheuer! Sein Körper war hünenhaft, das lange Haar silbergrau – nicht blond! Eine geflochtene Strähne hing dem Unbekannten ins Gesicht – nicht ihr wunderbarer Zopf! Die Decke hatte all das wunderbar verborgen gehalten, hatte die Gestalt kleiner gemacht, als sie tatsächlich war.

Tibor warf die Hände in einer Geste der Verzweiflung von sich. Durch den Tränenschleier, der jetzt durch Zorn und Wut in seinem Bauch entstand, suchte er die Umgebung ab, blickte in jeden Winkel des Zimmers. Wer hatte das getan? Wollte man ihm einen Mord anhängen? „Wo bist du? Zeig dich!“, schrie er.

Als keine Antwort kam, ballte er eine Faust und schwang sie über dem fremden Körper hin und her. Über dem Gesicht des schlafenden Toten hielt er inne. „Und wer bist du?“, fragte er, mit einer Stimme, die nur noch ein Flüstern war. Da hoben sich die Lider und ein Blick aus silbergrauen Augen traf ihn, ging ihm durch und durch.

Er lebt,