Auf dem Weg nach Surinam - Marianne Sägebrecht - E-Book

Auf dem Weg nach Surinam E-Book

Marianne Sägebrecht

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Beschreibung

'Ich komme aus Surinam, Mama. Da wartet jede Nacht ein Regenwald mit vielen Tieren und Menschen in allen Farben auf mich', sagte die kleine Marianne ihrer Mutter. Die antwortete: 'Tja, nun hat der Himmelspapa dich von weither halt zu mir geschickt.' Das Leben von Marianne Sägebrecht ist auf besondere Weise mit Maria Sibylla Merian (1647–1717) verknüpft. Diese lebte als Malerin und Naturforscherin längere Zeit in Surinam. Jetzt wagt sich Marianne Sägebrecht zusammen mit Maria Sibylla Merian auf ganz außergewöhnliche Erinnerungspfade ihrer eigenen Geschichte. Sie verzaubert uns dabei mit Philosophischem, schenkt uns Erkenntnisse aus der Urwaldmedizin und wohltuende Rezepte aus ihrem bayerisch-surinamischen Zauberkessel. Weiblich, kraftvoll und erfrischend herzlich: das neue Buch von Marianne Sägebrecht.

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Seitenzahl: 280

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www.nymphenburger-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2015 nymphenburger in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten

Schutzumschlag: atelier-sanna.com, München unter Verwendung eines Motivs von der Photo- und Presseagentur GmbH Focus

Satz und eBook-Produktion: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-485-06116-2

INHALT

Prolog: Ich träume mein Leben – Sehnsucht nach Surinam

1 Alles hat seine Zeit, sagt Salomon

2 Ein Herz und eine Seele sein

3 Sieh her und bleibe deiner Sinne Meister

WANDLUNG 1: Das stand in den Sternen

WANDLUNG 2: Man lebt nicht, um zu essen, sondern man isst, um zu leben (Euripides)

WANDLUNG 3: Eine schöne Menschenseele finden ist Gewinn (Johann Gottfried Herder)

4 Das ganze Leben ist ein Theater

1. AKT: Der Neid muss es beschwören (Friedrich Schiller)

2. AKT: Was der Schöpfer plant, muss das Leben halten (Rainer Maria Rilke)

3. AKT: Seelische und körperliche Nahrung lassen die Welt zum Leben erwachen

5 Verborgene Pfade nach Surinam

6 Regenwald – Treibhaus der Natur

1. STATION: Reisen ist leben – Leben ist reisen (Jean Paul)

2. STATION: Menge den Tod mit dem Leben und teile beides in Augenblicke (Marcel Schwob)

3. STATION: Patiencya ist ein gut Kräuterlein (Maria Sibylla Merian)

4. STATION: Viele wunderlich rare Sachen, die noch nie ans Licht gekommen (Maria Sibylla Merian)

Epilog

Danke sagen

Quellen

Bild- und Textnachweis

Fange den Wind in den Segeln – Forsche Träume.

MARK TWAIN

Nach zweijähriger Reifungs- und Gärungszeit, ausgefüllt mit publikumsbejahenden Leseabenden, einer unvergesslichen Omamamia-Filmpremiere und erfüllenden Dreharbeiten für ein Petterson und Findus-Filmprojekt, finde ich mich plötzlich, nach kräuterumflorten, kommunikativen Gezeiten, von meinem schon seit Jahren auserkorenen Schreibplatz am Gartenfenster magisch angezogen. Die Essenzen zu meinem neuen Buchprojekt Ich träume mein Leben – Auf dem Weg nach Surinam wurden mir seit Kindheitstagen geheimnisvoll, aus tiefen Seelengründen in mein Tagesbewusstsein eingeträufelt, von Weltenlicht getauft, um bis zum heutigen Tage in einem kontinuierlichen Prozess zu einem einmaligen Gebräu zu reifen, das ich Ihnen heute mit heißem Herzen kredenzen darf.

»Ich komme aus Surinam, Mama. Da wartet jede Nacht ein Regenwald mit vielen Tieren und Kokosnüssen auf mich. Viele Flüsse laufen herum und ein großes Meer und viele freundliche Menschen mit schwarzer Haut, gelber Haut und weißer Haut. Du, ich besuche mein Traumland jede Nacht«, zwitscherte ich, fünfjährig und siegessicher, bei einer Morgenwäsche auf den akkuraten Scheitel meiner Mutter hernieder, während sie meine Stiefeletten mit selbst gemixter Kohlepaste auf Vordermann zu bringen versuchte.

»Natürlich kommst du aus Surinam, mein kleiner Engel, aber jetzt hat dich der Himmelpapa von ganz weit her zu mir geschickt, und dein Vater ist im Krieg geblieben«, antwortete sie und hüllte mich zärtlich in ein adrettes Lodenmäntelchen, von Muttern selbst geschneidert, versteht sich! Ja, in nächtlichen Träumen residierte ich damals zusammen mit Menschenkindern aus China, Indien, Afrika und dem westlichen Kontinent in einem fernen Land am Meer mit einem großen Regenwald. Exotische Pflanzen und Tiere, würzige Speisen tauchten da in vielen Traumweltnächten in meiner Anderwelt auf. Schon in den ersten Wochen meiner Schulzeit vertraute ich meine surinamischen Traumerlebnisse meinem hochverehrten Herrn Pfarrer an und versprach ihm, dieses Geheimnis, wegen der zu erwartenden Befremdlichkeit, niemals vor meiner Schülerrunde preiszugeben.

Geliebtes Kind trägt viele Namen. (Russisches Sprichwort)

Mit einem Jahr im schützenden Biotop der Großfamilie

Auf einem alten, dickbäuchigen Globus zeigte er mir mein Regenwald-Traumland Surinam, auch Dutch Guyana genannt, an der atlantischen Küste Südamerikas. »Holland hatte diese Kolonie, mit vielen Bodenschätzen und einer üppigen Vegetation ausgestattet, im Jahre 1667 im Tausch mit New Amsterdam, dem heutigen New York, erhalten. Ein Großteil der Bevölkerung war, als Sklaven aus allen Teilen der Welt nach Surinam verschleppt, an die holländische Regierung übergeben worden. Bis zu ihrer Befreiung im Jahre 1863 wurden diese unterdrückten Menschen, in China, Afrika, Indien, den Südseeregionen geraubt, immer noch sträflichst behandelt«, wusste der Priester einem staunenden Mädchen mit bebenden Nasenflügeln zu berichten.

»Die Menschen, denen ich in meinen Träumen begegnen darf, sind jetzt alle ganz frei«, rief ich aufgeregt, die roten Wangen glühend vor Eifer.

»Marianne, du hast bestimmt eine ganz alte Seele, die in einen bayerischen Körper hineingetaucht ist, vielleicht sogar aus einem früheren Leben in Surinam, und bestimmt aus freiem Entschluss.« So sprach ein katholischer Pfarrer, man stelle sich das heute vor. »Du bist anders als die anderen, Marianne, das wird nicht leicht werden auf deinem Lebensweg. Solange ich am Leben bin, werde ich dir mit Rat und Tat zur Seite stehen.« So sprach er tröstlich und hielt dieses Versprechen auch tatsächlich ein.

Bis zu meinem 15. Lebensjahr behielt ich das surinamische Geheimnis tapfer für mich, dann teilte ich es schon einmal mit meinen Mitschülerinnen der Realschule, ausgesuchten Lehrern und Freunden. Ein graues Haar zu meiner angeblich alten Seele war nicht zu entdecken. Mit neunzehn Jahren entdeckte ich im Ärztewartezimmer meines Lehrherrn ein Buch über die Dichterin, Biologin und Malerin Maria Sibylla Merian, Die Reise nach Surinam 1699.

Seitdem verehre ich die Naturforscherin und Tochter des berühmten deutschen Malers und Kupferstechers Matthäus Merian aus Frankfurt am Main aus tiefstem Herzen. Im Jahre 1699 hatte sie, zusammen mit ihrer Tochter, couragiert eine Forschungsreise nach Surinam angetreten, um die Metamorphosen, die stetige Verwandlung der Insekten, vor allem auch der Schmetterlinge des Regenwaldes, zu studieren und durch Malen und Beschreiben zu dokumentieren – und das schon hundert Jahre vor dem legendären Forscher Alexander von Humboldt!

Liebe Leser, in diesem Buch werde ich unter anderem diese verehrte Künstlerin vor Ihren Augen in vollem Glanz auferstehen und Sie im Siebenjahreszyklus an geheimnisvoll verwobenen Berührungspunkten unserer beiden Biografien und der meines Sehnsuchtslandes Surinam teilnehmen lassen.

Delikate exotische Rezepte mit Gewürzen aus dem Multikulti-Zauberkessel des Landes, kombiniert mit meiner bayerisch-surinamischen Küchentradition, werden Ihr Herz erwärmen und Ihre Gaumen verwöhnen. Hinzu kommen die geheimnisvolle Urwaldapotheke der eingeborenen Maroons und der Tiriyo-Indianer des surinamischen Regenwaldes. Schmetterlinge, verehrte Geschöpfe göttlicher Wandlungen, werden Ihnen ihre Aufwartung machen.

Lassen Sie sich auch von meinen aktuellen Gedankengängen und Erkenntnissen überraschen, die ich nun mit siebzig Jahren auf dem beschwerlichen Weg zum Palast der Weisheit täglich schöpfen will.

Ich lade Sie hiermit zusammen mit meiner Seelenschwester Maria Sibylla Merian von Herzen auf eine abenteuerliche Reise in die sehnsuchtsvollen Gefilde meines Traumlandes ein.

Aloha!

So viel vermag die Fülle der Natur

ihren Liebhabern auszurichten,

dass sie ihre Beschauung höher

als ihre gesammelten Schätze achten.

MARIA SIBYLLA MERIAN

Dampfende Nebelschwaden, von einem satten tropischen Umfeld ausgeschwitzt, haben sich nach einem Gewitterregen über dem großen Strom am Fuße eines tiefen Regenwaldes versammelt. Schon brechen die ersten Sonnenstrahlen durch die üppige Vegetation und vermählen sich mit vielen Regentropfen, die auf sattgrünen Blätterdächern um die Wette blitzen. Rhythmisches Vogelgezwitscher und -gezeter übernimmt nun in einer Klangfarben-Fontäne das Zepter, der Taktstock des Konzertmeisters ist wohl im brüllenden Wolkenbruch enerviert über Bord gegangen. Während ein Heer von Insekten seine Propeller anschmeißt, um summend und brummend auf Bestäubungs-Route oder Betäubungs-Raubzug aufzubrechen, kommt wieder Leben in eine Lichtung nahe des Flussufers, an dem sich der bedrohlich erhöhte Wasserspiegel gurgelnd zur Stelle meldet.

Der Häuptling einer einheimischen Maroons-Familie geht zur erloschenen Feuerstelle, auf deren Gitterstäben ein angerösteter Totenkopfaffe auf der Flucht vor Blitz und Donner zurückgelassen wurde. »Tapamahoni!« Vergebens versucht der Sippenvater den aufgebrachten Strom mit großen Gesten zur Räson zu bringen, und sein angenässter Blasebalg vermag das erloschene Feuer nicht mehr zu entfachen.

In der Familienhütte seiner Hauptfrau, aus Palmenstämmen erbaut, mit Palmen- und Bananenblättern eingedeckt, sitze ich auf einer der Kokosmatten, die den lehmigen Boden der Behausung bedecken. Meine Hand spürt kräftige Stöße beim Streicheln des prallen Bauchs von Aloha, der blutjungen, hochschwangeren Tochter des Hauses, die ihren schmerzerfüllten Leib einer brüchigen Hängematte anvertraut. »Der Name Aloha steht für Achtung, Respekt vor dem Leben und ist eine Verneigung vor der universellen Liebe, die alles durchströmt. Ich bleibe an deiner Seite, Aloha, bis das Weltenlicht dein frischgeborenes Kind begrüßt«, verspreche ich der werdenden Mutter, die meine Sprache nicht teilt, aber mit dem Herzen versteht und mit einem plötzlichen Aufschrei meine freie Hand ergreift. »Das Kind wird bald kommen, wo sind all die Frauen, die Kinder, die Männer der Sippe abgeblieben? Wir müssen Wasser abkochen, Tücher, wo sind die Tücher?«, bitte ich Alohas Mutter, die nicht reagiert und auf der Hüttenkochstelle völlig gelassen einen bitteren Kräutersud für das Kraftfeld ihrer Tochter bereitet. Der brodelnde Sud domestiziert den überhitzten Hüttenraum gerüchlich, eine Batatensuppe gibt ihre Duftnote dazu.

»You have watch, I have time«, entgegnet die zahnlose Frau, holt aus einer Kiste sechzehn Tierknochen, wirft diese kreisförmig auf den Boden, um einem Orakel ein gutes Gelingen für die anstehende Niederkunft abzutrutzen.

»Jetzt ist’s an der Zeit, Marianne, bring mich nach Hause, dein Großvater wartet mit einem Boot am Mangroven-Delta auf uns. Ich will raus aus deinem Surinam«, verschmilzt die Stimme meiner Mutter Agnes, die völlig erschöpft und durchnässt in einem Korbsessel am Hütteneingang auf mich wartet, mit dem ersten Schrei eines neuen surinamischen Erdenbürgers. Im Nu hat sich ein großes Menschenrund formiert, um die Ankunft eines kräftigen Knaben für die Auffrischung des Stammes zu zelebrieren. Männer trommeln ekstatisch, Frauen und Kinder tanzen, singen, jaulende Hunde, gackernde Hühner und trillernde Papageien beschallen das dicht bewaldete Urwaldrund.

Meine Mutter sitzt schon selbstversunken im Bug, die kräftige Hand des Großvaters erleichtert mein Einsteigen in ein geschnitztes Holzboot, das auch meinem abschiedsschweren Herzen Asyl zu gewähren gedenkt.

»Nawimi dimi suhugu«, singen die tanzenden Frauen im Chorus.

»Gott segne euch«, umhüllt mein Abschiedsruf das traurige Antlitz der zurückgebliebenen Aloha, die in der Hütte ihren neugeborenen Sohn im Arme wiegt. Dem Maroons-Stammesfürsten kommt meine Abreise aus seiner auferlegten Bannmeile sichtlich ungelegen. Wild entschlossen, unsere Fluchtpläne zu durchkreuzen, hat der Herr über fünfzehn Ehefrauen am Uferstreifen Position bezogen, während mein Großvater das entliehene Boot, im Pfeilregen des vor Wut schäumenden Patriarchen, mit kräftigen Paddelschlägen aus dieser Gefahrenzone zu manövrieren versucht und plötzlich stoppt.

»Schaut euch diese Mangrovenbäume an. Auf ihrer Rinde wachsen Pflanzen, deren Früchte schon am Baum die neue Wurzel treiben. Die Schnecken auf den Wurzeln sind endemisch, lebenslang an einen Platz gebunden«, erklärt er wie in alten Kindheitstagen, die Gefahr gänzlich ignorierend. »Lebenslang, lebenslang«, äfft eine krächzende Papageienstimme in unseren Rücken. »Lebenslang an einem Platz, nichts für mich«, ergießt sich meine Antwort auf die Wasserfläche, die den Umriss meiner eingeschlafenen Mutter spiegelt. »Marianne, schau dir die traumhaften Korallenbänke an, jahrhundertelang von Schöpferhand gestaltet«, ermuntert mich Großvater gelassen.

Interessiert rücke ich an den Bootsrand, um seinem Rat zu folgen. Der Abgesandte eines Pfeilregiments verpasst sein anvisiertes Ziel und passiert mit einem schmerzhaften Riss meine Hüfte. Kopfüber ins Wasser gestürzt, finde ich mich, erstarrt vor Schreck, in der ausufernden Wurzelhöhle eines riesigen Mangrovenbaums. Ich sehe mich im Fokus eines gelbgrünen Augenpaars, dessen halb geschlossene, schläfrige Lider nichts Gutes verheißen. Ich stelle mich erst mal tot, bis mich ein nötiger Atemholer wieder an die Wasseroberfläche zwingt. Unfassbar, das Boot mitsamt Mutter und Großvater ist nicht mehr auf der Wasserfläche auszumachen! Meine angeritzte Hüfte brennt schmerzhaft, meine Hilferufe reiten verzweifelt über Wellenkämme, rufen aber nur das bis dahin dösende Krokodil auf den Plan, das sich jetzt zielgerichtet in Bewegung setzt.

Meine Hände ziehen an dem geblümten Kleid, das ich verzweifelt, nackt wie Gott mich schuf, aus dem miefigen Rachen des Tieres ziehe. Mit einem Eckzahn weniger zieht Kroko erst mal Leine. »Kleid alt, loslassen, schwimmen!«, erschreckt mich eine herrische Stimme, die im zahnlosen Schnäuzchen eines Krokodilbabys Wohnung bezogen hat. Mit einem Salto verabschiedet sich das naseweise Kerlchen wendig in Richtung Muttertier. Ich lasse los und kraule stromaufwärts um mein Leben. Mein altes Kleid wird von einer Strömung mitgerissen, als ich jäh aus unheilvollem Schlaf erwache. Noch immer mit der Angst im Nacken, finde ich mich auf meiner bauchigen Chaiselongue wieder. Meine abgerutschte Angoradecke wärmt nun den kalten Boden, mein Ischiasnerv rebelliert schmerzhaft.

Die im Schlaf abgerissene, geblümte Gardine, die in meiner verkrampften Hand um ihr Überleben ringt, wird umgehend begnadigt und in Freiheit entlassen.

TRÄUME SIND SPRACHE DER GÖTTER, IN IHNEN WENDET SICH DIE SPIRITUELLE WELT AN UNS MENSCHEN

Die Traumbotschaft meiner Mutter und meines Großvaters, die beide schon das Zeitliche gesegnet haben, signalisiert mir ihre schützenden Impulse nur bis zu einem bestimmten Punkt. »Alte Seelenmuster aus der Vergangenheit sollten durch Erkennen der Zusammenhänge aufgelöst werden. Du musst neuen Lebensräumen, die schon in einer Warteschleife harren, durch couragierte Eigeninitiative Platz machen, aber nur wenn es an der Zeit ist«, höre ich immer noch die Ermahnung meines medizinischen Ausbilders aus frühen Lehrjahren.

Eigeninitiative übernehmen! Welche Domäne wäre jetzt vorrangig angesagt? In der vernachlässigten Ich-Du-Zone müsste ich alte Jungfrau-Oma nach Jahrzehnten durch die Single-Häfen strolchen, um mir ein männliches Fossil zu angeln. »Lebenshungriger, angegrauter Wassermann angelt alteingesessene Nixenmatrone und verkauft sie als Schafschererin an einen neuseeländischen Sklavenhändler.« So geschehen in einer früheren aufregenden Traumsequenz. Spaß beiseite, die Single-Märkte haben mich, dank meines runden Körpers, seit mehr als dreißig Jahren erst gar nicht gelistet und kommen sehr gut ohne mich aus. »My face was never in this book, my body was never in this shape and my heart is always open for everyone«, gab ich vor ein paar Wochen bei einem internationalen Interview für den aktuellen Doku-Spielfilm aus der Schweiz, Der Kreis, zu Protokoll, der im Oktober 2014 in Deutschland startete und gerade weltweit auf internationalen Festivals Furore macht.

Lebenslauf, ich warte auf dich. (Marianne)

Meine freudig erwartete Einschulung im sechsten Lebensjahr

Wieder bahnt sich hier ein Mirakel an, das glückhaft von den Inspiratoren der Milchstraße getragen und gefördert wird. Im Laufe der letzten Jahre konzentrierten sich meine kontinuierlichen Aufgaben auf meine Arbeit als Buchautorin, mit Leseabenden und deren musikalischer Bereicherung, auf meine propagierte Rückkehr auf die Kinoleinwand im Jahr 2012, mit der einmaligen Komödie Omamamia, und auf engagierte Kinderfilme wie Frau Holle und Petterson und Findus, dessen zweiter Teil, eine Weihnachtsgeschichte, schon bald wieder in der Abteilung Kinderfilm brillieren darf. Die Liebe des Publikums umflort mich seit über dreißig Jahren. Mein Herz sagt zu einem neuen Projekt nur dann Ja, wenn sich Seele und Körper, gepaart mit einer humanen Botschaft, garniert mit einer kräftigen Prise Humor und Selbstironie, in das Zelluloid eines Filmstoffes eingießen oder auf die Bretter einer Bühne ergießen dürfen. Ich nenne diese filmische Sparte »Abteilung Dramödie«, eine Mischung aus Drama und Komödie. Bei den meisten Angeboten aus der Filmbranche, o ja, da gibt’s noch manchmal Futter für mich neunundsechzigjährige Matrone, dreht sich der Spieß oft herum: »Alte Hebamme foltert schwangere Mädchen«, »Ultrarechtsgesinnte Bäuerin beleidigt türkische Familie und lässt deren Haus in die Luft fliegen«. »Laborbesitzerin einer fiktiven Weltbeherrschungs-Elite produziert Designer-Babys für eine Organspenden-Mafia!«

Diese letztere angebotene Rolle wäre sogar in einem Londoner Filmstudio auf meine immer noch strammen Beine gestellt worden. »This is an exciting fiction-movie and a very funny part for you too«, übermittelte mir die englische Casting-Direktorin enthusiastisch. In diesem Film bezahlt der mir angebotene weibliche Charakter militante Jugendgruppen dafür, alte Menschen in Rollstühlen die Treppen zu U-Bahnhöfen hinabzustürzen. Auf ihren geschwungenen Fahnen prangt der Spruch: »You old people eat our future, go to hell!«

Ich habe die eingeschleuste Botschaft schon begriffen, die dieser Film dem jugendlichen Publikum vermitteln will. Diese Rolle würde sich in mehreren Komponenten an meiner ethischen Grundhaltung versündigen, die ich seit meiner frühesten Jugend im Zusammenleben mit meinen Mitmenschen praktiziere und die im Laufe meines Lebens immer mehr gewachsen und gereift ist. Dieses Angebot kam, trotz schwieriger wirtschaftlicher Situation, für mich damals nicht in Frage. »Nur über meine Leiche«, erkläre ich meiner besorgten Tochter am Telefon meine Absage.

»Aber deine Rente ist so karg, Marianne, denk an deine Tiere, die Miete, Krankenkasse, Versicherungen. Du stemmst das alleine, die meisten deiner älteren Kolleginnen parken ihr Mutterschiff durch Partnerschaften in einem sicheren Hafen, aber du hast ja alles verschenkt, du nennst ja nicht mal einen Ruderkahn dein Eigen.«

»Ich werde wieder Eigeninitiative übernehmen und den schon in meinem letzten Buch vorgestellten kulturellen Platz das Licht der Welt erblicken lassen«, lege ich meiner Tochter enthusiastisch dar. Ein Platz für meine Lese- und Tafelrunden, eingesäumt von feinsten musikalischen Klängen, bereichert durch delikate Speisen und edle Getränke, mit einem Zugang zu einem Überlebens-Kräutergarten: »Condo survivo«.

»Dieser Platz soll circa hundert Gästen Raum bieten, ein Sponsor müsste aufgetan werden«, höre ich mich Tage später bei einer Theaterprobe begeistert in das Ohr meines Künstlerkollegen platzieren.

»Unter vierhundert Plätzen fängt doch ein Sponsor erst gar nicht an, ich hab da meine Erfahrungen. Also vergessen wir’s. Einen Sponsor für eine Kapazität von hundert Leut’, in Zeiten wie diesen. Wachen wir mal a bisserl auf, Frau Sägebrecht. Ein Sponsor für den Sport, ja, da läuft ja des ganze Geld hin, auch beim Fernsehen werden nur noch Krimis und Sport gesponsert, für die Kleinen Künste gibt’s gar nichts mehr. Vergiss es, vergiss es, Freundin, geh stempeln wie ich«, kontert er.

Ich hab in meinem Leben noch nie gestempelt, Herr Kollege. Der Versuch des Schauspielkollegen, mir mit seiner Tirade den Wind aus meinem frisch aufgetakelten Lebensschiff-Segel zu nehmen, schlägt gründlich fehl. »Was der Schöpfer plant, muss das Leben halten«, diesen tröstlichen Satz des Dichters Rilke rezitiere ich in unserer Runde, wie so oft in den letzten Monaten, halblaut vor mich hin.

»Wos host g’sagt?«, antwortet ein älterer Kollege, ein bayerisches Urgestein, mit stocksteifem Gamsbart bestückt.

»Nix hob i g’sagt, nur laut denkt«, springt’s sogleich aus meinem Mund. Ich beschließe, künftig meinen Zukunftsentwurf für mich zu behalten und erst wieder etwas über meinen existenziellen Lebensplan über meine Lippen zu lassen, wenn man bei mir tafeln und spielen und kommunizieren kann. Aber Sie, liebe Leser, werden es aktuell erfahren!

Jetzt darf ich Sie erst einmal mit auf vergangene Stationen meiner Lebensreise ins Jahr 1976 mitnehmen. Nach vier Jahren wurde das von uns in Starnberg aufgebaute, erfolgreiche, legendäre Spinnradl-Lokal mit Kleinkunstbühne vom Besitzer, unter trauerbeflaggtem Protest der Stammgäste, verkauft. Wir, mein Ex-Ehemann und ich, fungierten damals als leidenschaftliche Geschäftsführer. Mein Aktions- und Lebensraum wurde danach, auch nach meiner Ehescheidung, in die Metropole München verlagert. Künstlerfreundin Cosy, vielgeliebte Ex-Schwabinger Künstlerwirtin, operierte mit Engelszungen, und schwupps agierte ich, diesmal ohne Ehegespons, wieder als Geschäftsführerin des geschichtsträchtigen Künstlerlokals Mutti-Bräu, das mitten in Schwabing über die Jahre seinen Platz verteidigte. Ehe ich michs versah, war ich als Art-Direktorin mit Leidenschaft wieder verantwortlich für Musik, Entertainment, Ausstellung, Speis und Trank, schon war ich, geschützt und umringt von liebevollem Freundesrund, wieder mittendrin in einem herrlichen Lebenskarussell.

Muse Cosy, jetzt als Malerin erfolgreich, war aus dem Zentrum des Geschehens nicht wegzudenken. Molekül beflügelte Molekül. Viele Künstler traten damals in mein Leben, die ersten Mitglieder des André-Heller-Zirkus Roncalli, die Künstler des Grand Magic Circus, geleitet vonJérômeSavary. Konstantin Wecker in der Blüte seiner Jahre und der singende und steppende Tommy Piper, unsere unvergessene Manuela Riva tauchten und traten mit vielen anderen Überraschungsgästen in unserem Mutti-Bräu-Künstlerdomizil auf. Der Dichter Martin Sperr und der Schauspieler Peter Kern wurden für mich, in dieser Ära 1976/77, gute Freunde und künstlerische Mitstreiter. Percy Adlon entdeckte mich 1979 in einem Theaterstück von Martin Sperr, um mir danach schicksalhaft und zukunftsträchtig drei maßgeschneiderte Filmrollen auf den barocken Leib zu komponieren. Die Bestattungsinstitut-Angestellte namens »Zuckerbaby« – die Dreharbeiten fanden übrigens 1984 in München statt – wurde in Tokio und New York von den Verleihern und Kinogängern ins Herz geschlossen, um erst danach das heimische Publikum zu gewinnen. Schon zwei Jahre später lud »Jasmin Münchgstettner« einen cineastischen Besucherstrom weltweit zur Stippvisite ins legendäre Bagdad Cafe. In Vollendung des Dreigestirns trat die große Schwester »Rosalie«, peace-time war-bride mit amerikanischem Pass und bayerischer Geburtsurkunde, auf den Plan. »Wenn du zwanzigtausend Mark Schulden bei der Bank hast, hast du ein Problem, wenn du eine Million Mark Schulden bei der Bank hast, hat deine Bank das Problem«, schreibt Rosalie an den pinkfarbenen Zelluloid-Shoppinghimmel, ertrutzt sich dank Computermanipulation einen Millionenkredit von einer Bank ihres Vertrauens, erwirbt damit für ihren arbeitslosen Ehemann einen kleinen Flughafen inklusive eigenem Flugzeug. Jetzt kann er sich selbstständig machen, was sich das Drehbuch nicht zweimal sagen ließ. Eigeninitiative »at its best«! – wieder von einem weltweiten Publikum freudig begrüßt.

Alle drei Filme zeichnen lebensbejahende, moderne Märchen, in denen es charakterstarken, couragierten Frauen gelingt, über ihren Schatten zu springen und ein selbstbestimmtes Leben mit neuer Lebensqualität zu erkämpfen – unser Zelluloid war hingabefähig, elastisch und empathisch. Das berufliche Glück blieb mir all die Jahre hold. Viele heiße Kastanien wollten in heißen Zeiten von Managements für mich aus den glühenden Feuern der internationalen Produktionsstätten und Werbegesellschaften geholt werden. Durch mein besonnenes Jasagen und instinktives Ablehnen landeten so nur vom Schicksal bestimmte Filmprojekte, mit glückhafter Schicksalslinie, auf meiner Lebensbahn. Der Rosenkrieg mit Michael Douglas zieht bis heute, zusammen mit Out of Rosenheim, international Bagdad Cafe, seine markante Spur am Firmament und beschenkt mich seit Jahren mit Michael Douglas’ freundschaftlicher Treue.

Bis heute habe ich mich für jede angebotene Rolle frei entschieden und ließ ich mich, zum Leidwesen eines speziellen Anwärters, partout in kein Management-Netzwerk flechten. »Ohne Netz kein doppelter Boden, ohne Netz kein roter Teppich, Frau Sägebrecht. Unsere heißen Maroni werden nur noch im Netz angeboten, ansonsten ist in Zeiten wie diesen der Kuchenboden weg, wenn Sie wissen, was ich meine«, signalisierte er mir und machte zusammen mit seiner Lobby sein Versprechen wahr. Die genauen Zusammenhänge und -spiele werde ich Ihnen in einigen Jahren auffächern, wenn wir gemütlich in meinem geplanten Überlebensgarten – »Condo survivo« –, an einer meiner geplanten Tafelrunden oder im Rahmen einer inszenierten Lesung oder Theateraktion an meinem lebendigen Platz zusammenkommen.

Also, wie wäre es, zu meinen zukünftigen Garten-Ideen, neben der Geburtshilfe für mein Buch Auf dem Weg nach Surinam, das mich für die nächsten Monate innig in Beschlag zu nehmen gedenkt, eine eigene Filmproduktion »Surinam Film« zu gründen? Filmtitel hab ich schon: »Gegen den Strom heim nach Surinam«. Treatment verfassen, Drehbuch schreiben, Fernsehsender suchen, Finanzierung auf die Beine stellen, Kreditanfrage bei der Botanica-Bank, Förderung beantragen.

Mir wird ganz schwummerig bei dem anfallenden Initiativen-Plansoll einer angehenden Jung-Filmproduzentin und amtierenden Rentnerin. Das können meine Traum-Schutzpatrone nicht gemeint haben, das ist auch nicht im Sinne meiner Tochter Daniela, die den jüngsten Kopf-Flausen ihrer Mutter eine mentale Nahrung verweigert.

Nach der Fertigstellung meines Buches für den Verlag meines Vertrauens, mein Mutterhaus, wie ich es gerne nenne, eine eigene Filmproduktion ins Leben zu rufen, nach Surinam zu reisen, den Film in eigener Regie und Verantwortung, ohne jahrelanges Know-how einer Produktionserfahrung auf die Beine zu stellen, und das mit fast siebzig Jahren auf dem Buckel, das findet Dani abgefahren. »Schreib dein Buch und nimm uns so mit auf die Reise in dein surinamisches Seelenland. Karl May hat seine großen Reisen und Abenteuer nur auf mentalen Ebenen im Knast absolviert. Surinam mit seinem schwül-feuchten Klima, Malaria, Krokodile, Menschenhändler, das ist gefährlich, Mam«, beschwichtigt sie mich mal wieder besorgt, als sich dieses Thema zum wiederholten Male zum Nachtisch eines Dinners gesellt.

»Aber Leni Riefenstahl hat noch mit siebzig Lenzen im afrikanischen Nuba-Kral der mitgebrachten Waschmaschine den Marsch geblasen und für ihre Unterwasserfilme blutrünstigen Haien Kopf und Kragen angeboten«, befinde ich mich immer noch im Verteidigungsstand. Später höre ich Ähnliches in einer neuerlichen Traumsequenz: »Setze keinen Fuß auf Surinams Urwaldgrund im Hier und Jetzt, solange die heutigen Berater deines Maroon’schen Häuptlings deine Wege kreuzen, du weißt schon, was ich meine«, vernahm ich vor ein paar Tagen die geliebte Stimme meiner Mutter aus dem Mündchen eines wunderschönen, blaufarbschillernden Schmetterlings, der im Gewächshaus eines botanischen Gartens auf meiner Schulter saß. Flamboyant-Bäume, die in den Himmel wachsen, Schmetterlingsreiche, wilder Hibiskus, gefiederte Akazien, aus der Tiefe des Meeres gestiegene Vulkane, Voodoo-Priester, Red Snapper, indisches Basilikum, ein Schwein in Bananenblättern gebraten, Kokosöl, Süßholz, Orchideen und Bambuswälder – all diese Bilder tauchten jahrelang beim Erklingen des Wortes »Surinam« vor meinem inneren Auge auf. Seit meiner intensiven Traumsequenz hat sich eine geheimnisvolle seelische Leuchtspur aus vergangenen Zeiten in den Themenplot mit eingegossen. Meine historischen und naturphilosophischen Recherchen brachten, neben der Freude über die erhaltene Selbstbestimmung des Landes und die erkorene Regenwald-Schutzzone – durch Bestimmung zum Weltkulturerbe möglich gemacht –, auch dunkle Wolken, die sich um Verletzung der Menschenwürde durch die Gräueltaten in der Zeit der unseligen Sklavenhaltung und die Ausbeutung der Naturreservate gebildet haben.

Gleichzeitig entstanden in diesem multikulturellen Konglomerat delikate Rezepte, von denen ich in diesem Buch eine interessante Mixtur auftischen werde. Indische, chinesische, ghanaische, brasilianische und kreolische Küche, in bezwingender Eintracht mit meiner bayerisch-surinamischen: ein schon fast orgiastisches Unterfangen. Seit der Erhebung des Landes zum Weltkulturerbe gibt es bei mir, wegen der zu erwartenden Stabilisierung und Sicherheit, ernsthafte Überlegungen, dieses Fleckchen Erde baldigst in Augenschein zu nehmen und das surinamische Geheimnis meines gewurzelten Seelenrefugiums zu lüften. Doch nach weiterem In-mich-Gehen habe ich meinen Lebensplan nun vernunftbezogen neu ins Visier genommen. Erst nach Erscheinen des Buches werden meines Schusters Rappen für eine aufregende Wanderung in meinem Regenwald-Morgenland gesattelt, eingehüllt in den Schutzmantel eines erfahrenen Fernsehteams – ist doch klar wie Hechtsuppe, Daniela, signalisiere ich meiner Tochter, deren Blick sich gerade auf meinen Buchstaben festgesaugt hat.

Morgen früh mache ich mich mit einem Holunderblütensaft-Mix zum Assoziieren und Wachträumen auf den Weg zum Bachlauf meiner Kindheit, von dem aus ich siebenjährig mein kleines Boot auf eine Welten-Reise nach Surinam geschickt habe. Ich wünsche eine gute Nacht bis morgen früh, ich gehe schon mal wieder träumen.

Übrigens, vorhin brachte ein Telefonanruf die frohe Botschaft: Die Verwirklichung des surinamischen Filmprojekts wird ein erfahrenes Produktionsteam unter seine Fittiche nehmen. Ich darf das Drehbuch mitschreiben, und einen interessierten Fernsehsender gibt es auch schon. Meine Tochter strahlt und ist dabei, wieder freudig auf den Zug mit aufzuspringen. Doch Hand aufs klopfende Herz, Mariannchen, »one after the other«. Zuerst die Vollendung des Buches, dann der Film mit dem realen Reise-Abenteuer, und der Kreis kann endlich geschlossen werden.

Wer seinen Traum verwirklichen will, wartet nicht darauf, dass die Dinge passieren. Er sieht die Probleme von gestern als Möglichkeit von heute, um sich neu zu orientieren.

PAULO COELHO

Gerade bin ich dabei, mich zur Erstarkung meiner traumverzehrten Lebenskräfte an meiner angesetzten Apfel-Rettich-Holunderblüten-Mixtur, mit Vanille-Essenzen veredelt, zu laben. Mein wohlschmeckendes Kartoffelbrot wartet schon neben einer Glasschüssel, in der sich seit dem Vortage eingelegte Tofu-Scheiben mit Zimt, Koriander, Ingwer, Chili, Minze und grünem Pfeffer vermählt haben, um gleich einen warmen bayerischen Fenchelsalat, mit Birnenspalten umlegt, zu krönen. Gleich habe ich eine gute Idee: Während ich vor unserem bezaubernden Spaziergang an das Bachufer meiner Kindheit – Sie kommen doch mit? – eine Schnabulier-Pause einlege, werde ich Ihnen hurtig die beiden Rezepte erstellen und Ihrem bestimmt schon reichhaltigen Rezeptarchiv liebevoll anvertrauen.

Beinahe hätte ich’s jetzt verschwitzt. Durch einen Vorfall, der sich als Zufall ausgab, kommunizierte ich eine Woche nach meiner kostenfreien Surinam-Traumreise, die sich im Nachhinein mit einer schmerzhaften Entzündung des Ischiasnervs verabschiedete, mit der Mutter eines guten Freundes, Psychologin und Traumdeuterin, über die umfassende Auslegung des Geträumten.

»Unsere Träume weisen uns oft auf seelischen Pfaden den Weg in frühere Lebensgefilde und -abläufe, die sich in geheimnisvollen Musterungen im Hier und Jetzt eines neuen Lebens wiederholen. Deine Mutter hatte sich auf seelischer Ebene schon in den surinamischen Bereich begeben, um dich dort abzuholen. Dein Großvater hatte als Stammesfürst seiner Ahnenreihe die Aufgabe, dich schützend bis zu einer bestimmten Markierung zu geleiten. Bei deinem Sturz hast du nach meinem psychologischen Erfahrungskatalog in deinem letzten Leben das Leben verloren, und deine Seele wurde vor Ort von deiner Mutter empfangen. Deshalb war sie auch bei deinem Auftauchen nicht mehr auf der Spielfläche, ebenso hatte ja auch dein Großvater seine Aufgabe souverän eingelöst und glänzte danach ebenfalls durch Abwesenheit. Die erlittene Verletzung durch den Pfeil deines Besitzers, dessen Sklavin oder eine der Ehefrauen du gewesen sein konntest, kann sich durchaus durch den verletzten Feinstoff im neugeborenen Körper wieder zu Worte melden, was auch vom medizinischen Aspekt her interessante Schlüsse zulassen würde. Auch das Lebensmuster einer patriarchalen Übermacht trieb bestimmt für Jahrzehnte, bis zu einer schicksalhaften Wandlung, sein Unwesen in deinem Lebensmodell. In meiner lebensphilosophischen Betrachtung begegnet man sich wieder, um eine nicht erlöste Beziehung zu versöhnen und dadurch die Nachkommen der Familienstämme von karmischen Wiederholungen zu befreien, falls man dazu vom Bewusstsein schon über die richtige Reife verfügt. Das Orest-Syndrom mit seinen Rachegöttern, im Zeitgeist von hohen Interessensträgern in die medialen Arenen verpflichtet, liegt ja konstant auf der Lauer, um sein Gift in das Schicksalsgefüge der Menschen zu träufeln. Bei dir habe ich keine Sorge, ich kenne und akzeptiere deine christliche Lebensart, die zwar nicht meine ist, sich aber Gott sei Dank nicht nur rhetorisch äußert, sondern sich auch auf dein gelebtes Leben erstreckt.«

Ein stilles, zustimmendes Lächeln war bei ihren weisen Auslegungen über mein Antlitz gehuscht, und meine Gänsehaut mochte allerdings vor Schreck über das Vernommene ihre Position erst mal gar nicht mehr verlassen.

Nach so viel Philosophie ist’s jetzt an der Zeit, mein schon angepriesenes, seelenaufbauendes Erfrischungsgetränk auf einem Holunderblüten-Urgrund zu brauen und Ihnen dabei in einem Handstreich mein Rezept zu vererben.

Frau Holles Morgentau

1 Rettich

200 g Bienenhonig

1 Sträußchen Thymian

FÜR DEN HOLUNDERBLÜTENSIRUP:

1,5 kg brauner Zucker

2 l Wasser

1 Vanilleschote

1 Zitrone (Bio)

1 TL Ascorbinsäurepulver

30 Holunderblüten

1,5 kg Zucker mit 2 Liter Wasser aufkochen, das Mark der Vanilleschote, die in Scheiben geschnittene Zitrone, das Ascorbinpulver und die Holunderblüten dazugeben, leise köcheln lassen, schon steigt die erste Duftnote verführerisch in unsere Nase. Nach etwa 20 Minuten durch ein Sieb gießen, das mit einem sauberen Tuch ausgelegt ist, schnurstracks in ausgespülte Flaschen füllen, gut verschließen und nicht länger als 6 Monate aufbewahren. Dieser aromatische Sirup stellt das Mark des beliebten Longdrinks »Hugo« dar, der zu seinem Auftakt in angesagten Bars die durstigen Kehlen illustrer Gäste überraschte. In hübsche, beschriftete Flaschen gegossen, eignet sich der Sirup vorzüglich für eine persönliche Morgengabe, z.B als Mitbringsel für liebevolle Einladungen.

Kleines Geheimnis, unser Rezept steckt den etablierten Hugo in die Tasche. Hugo kusch, jetzt ist Frau Holle dran!

Im Vorfeld haben wir einen Rettich ausgehöhlt, mit feinem Bienenhonig aufgefüllt, mit einem kleinen Sträußchen Thymian bestückt, danach in eine Glasschüssel gelegt, diese mit Alufolie abgedeckt. Nach einer Woche laden wir einen Teil des sich bildenden köstlichen Safts ein, sich unserem Mix anzuvertrauen.

Der Rest wird in ein Glas abgefüllt und dient, in kleinen Portionen eingenommen, als prima Hustenstiller!

Jetzt geht’s ans Eingemachte!

FÜR DEN APFEL-HOLUNDERBLÜTEN-SAFT:

2 l trüber Apfelsaft

2 EL Rettich-Honig

Saft und Schale von 2 Zitronen (Bio)

250 ml Holunderblütensirup

1 kräftige Prise Zimt

10 Zitronenminzeblätter

1 l Mineralwasser mit Kohlensäure

1 Apfel für Deko-Apfelspalten

In ein großes Glasgefäß geben wir 1 Liter des natürlichen Apfelsafts, die andere Hälfte dieses Safts geben wir in einen Topf, erhitzen ihn ganz vorsichtig, geben 2 Esslöffel von dem angesetzten Rettich-Honig, den ausgepressten Zitronensaft, ein bisschen von der Zitronenschale, den Holunderblütensirup, eine Prise Zimt zu und lassen alles einmal kurz aufwallen, bevor man den Topf zur Seite zieht, die Hälfte der Zitronenminzeblätter zufügt und das Ganze in Ruhe abkühlen lässt.

Dann ist’s an der Zeit, diese gesättigte, duftende Mischung durch ein Sieb abzugießen und mit der sehnsüchtig wartenden, zweiten unbehandelten Hälfte des Apfelsafts zu verschmelzen. Vor dem endgültigen Genuss gesellt sich noch das kalte Mineralwasser dazu. In die Gläser geben wir jeweils einen Eiswürfel, übergießen mit der fertigen Mixtur, steuern noch ein paar frische Zitronenminzeblätter und eine saftige Apfelspalte dazu, das Mineralwasser kann man auch, je nach Stimmung oder für Party-Gäste, gegen einen spritzigen Prosecco eintauschen.

Liebe Leser, bevor ich Sie gleich zu einem geheimen Fleckchen Erde, an einen Bachlauf meiner Kindheit mitnehme, will ich schnell noch einen Gewürzsud um meinen Tofu gewanden, den ich heute Abend einer guten Freundin ans Herz und auf die Zunge legen will: nämlich mit einer Spinat-Koriander-Petersilien-Sauce, durch Kokosmilch veredelt, mit einem frischen Melonen-Mango-Paprika-Gurken-Salat mit Spinat und Brennnesselblättern. Läuft Ihnen auch schon das Wasser im Munde zusammen wie mir, oder können Sie sich dieses bayerisch-surinamische Gemisch noch gar nicht vorstellen? Bei meinem kürzlichen Besuch in Tokio, im Schlepptau meines Films Omamamia, der sich zurzeit anschickt, wie der Film Bagdad Cafe, eine Weltreise anzutreten, gab es in einem Park in der Stadtmitte eine aufregende Begegnung mit einem Schmetterlingsblütler-Strauch, der mich mit vielen violett-weißen Blüten, in Kompanie mit schon ausgewachsenen Bohnenhülsen, begrüßte. Die Bohnen glänzten in ihrem Inneren in weißem, braunem, gelbem und schwarzem Farbenspiel. Mein pflanzlicher Empfangschef war ein Sojastrauch in seiner ganzen Schönheit, von Schmetterlingen umworben. Wissen Sie es schon? Eine Sojabohne trägt ca. 35 Prozent pflanzliches Eiweiß in sich, das weitaus gesünder und bekömmlicher als tierisches Eiweiß ist, welches bei zu hoher Dosis den Körper übersäuert und Fäulnisstoffe bildet. Nach Aussage eines erfahrenen Arztes baut sich in so einem Falle sogar eine kausale Ausgangsposition für rheumatische Beschwerden und Herzerkrankungen auf. Nach seinen Erfahrungen besteht durch den Schwerpunkt, der auf eine einseitige tiereiweißhaltige Ernährung gelegt wird, die Gefahr einer konstanten Eiweißvergiftung, die unser Gehirn in Mitleidenschaft ziehen und als mutmaßlicher Mittäter einer Demenz-Erkrankung in Frage kommen könnte.

Ist doch eine interessante Theorie und für mich als gelernte medizinisch-diagnostische Assistentin durchaus nachvollziehbar.

Da lobe ich mir meine geliebte Sojabohne, die als zusätzliches Geschenk auch noch Lecithin enthält, ein Balsam für den Zellenaufbau des Körpers. Gepresst wird die Sojabohne zu verträglicher Milch, diese dann durch natürliche Gärung in einen wohlverdaulichen Quark verwandelt, der in Japan auf den uns bekannten Namen »Tofu« getauft wurde. Weitgereist, weltgewandt und rundum gesund, wartet mein »Tofito«, so nenne ich meinen verquarkten Herzensbuben, im Kühlschrank bis zu seiner rituellen Einverleibung wieder auf das Abenteuer einer würzigen Einlegung.

Tofu-Würzmischung: gemahlen oder gemörsert!

1 TL Chilipulver

1 TL Ingwer

1 TL Koriandersamen

1 TL Kurkuma

1 TL Minze, getrocknet

1 TL grüner Pfeffer

1 TL Zimt

300 g Tofu

2 frische Borretschzweige mit Blüten

7 EL Sonnenblumenöl

Die gemahlenen duftenden Gewürze in einem Steingutgefäß versammeln. Den Tofu in Scheiben schneiden, in der Würzmischung wenden, mit den Borretschzweigen bedeckt in eine mit Sonnenblumenöl eingestrichene Alufolie legen und für einige Stunden dem Kühlschrank zur Einwirkung anvertrauen.

Für die Salat- und Saucen-Beilage lege ich mir schon die Zutaten bereit, um aus ihnen nach unserer Rückkehr eine aufregende, schmackhafte Gaumenfreude zu zaubern.

Sauce Aloha – Salat Surpriso

250 g Spinat

25 g Butter

1 Knoblauchzehe

1 Frühlingszwiebel

5 Stängel Koriandergrün

5 Stängel Petersilie

150 ml Kokosmilch

½ TL brauner Zucker

2 EL Zitronensaft

1 gelbe Paprika

1 Salatgurke

1 Honigmelone

1 Mango

50 g junge Brennnesselblätter

Salz, Zucker

3 TL Himbeeressig

3 EL Sonnenblumenöl

DIE SALATSAUCE:

Den Spinat putzen, abspülen, 100 g davon für die Sauce bereitstellen, den Rest für den Salat verwenden.

Die Butter in einem Topf auslassen, darin die geschnittene Knoblauchzehe und die Frühlingszwiebel andünsten. Spinat, die Hälfte der Korianderblätter und Petersiliengrün zugeben, mit Kokosmilch aufgießen, Zucker und Zitronensaft zugeben, kurz aufkochen lassen und zum Auskühlen von der Platte ziehen.

DER SALAT: