Auf den Schwingen der Fantasie - Marlies Lüer - E-Book

Auf den Schwingen der Fantasie E-Book

Marlies Lüer

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Beschreibung

Es gibt so viele Möglichkeiten, im Quell der Fantasie zu tauchen! Die Schätze, die hier dargeboten werden, sind so vielfältig und bunt wie eine blühende Sommerwiese.

Originelle Texte erzählen von Lavendelpferden, naiven Fledermäusen in Menschengestalt, Roseneinhörnern, philosophierenden Lampen und Treppen und noch mehr ... auch keltisch inspirierte Märchen sind dabei.

Lassen Sie sich verzaubern! Am besten am Kamin mit einem Glas Rotwein. Oder im Liegestuhl im Garten - oder auch in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit.

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Inhaltsverzeichnis

Auf den Schwingen der Fantasie

Vorwort

Lavendelpferd und Roseneinhorn

Der Backblech-Elf

Die Geschichte vom Eichhörnchen, das anders war

Die wundersame Geschichte von Celia, die durch ein Tor ging

Der zwölfte Glockenschlag

Die Treppe

Weltbetrachtung einer Nachttisch-Lampe

Die Sanduhr

Ian und die Brownies

Die drei Tore

Auf den Schwingen der Fantasie

Von Marlies Lüer

Erstveröffentlichung März 2014

2. Auflage 2021

Cover: Isabell Schmitt-Egner

Impressum: M. Lüer, Esslinger Str. 22, 70736 Fellbach

Vorwort

Es gibt so viele Möglichkeiten, im Quell der Fantasie zu tauchen.

Die Texte, die hier dargeboten werden, sind so vielfältig und bunt wie eine blühende Sommerwiese. Originelle Texte erzählen von Lavendelpferden, naiven Fledermäusen in Menschengestalt, Roseneinhörnern, philosophierenden Lampen und Treppen – auch keltisch inspirierte Märchen sind dabei.

Lassen Sie sich verzaubern!

Vielleicht im Liegestuhl im Garten. Oder am Kamin mit einem Glas Rotwein. Auch in der S-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit.

Lesen ist immer ein Gewinn.

Lavendelpferd und Roseneinhorn

Es war einmal vor langer Zeit eine kleine Prinzessin, gar lieblich anzuschauen. Sie war des Königs Augenstern und das Herzblatt der Königin. Die Untertanen des Reiches lebten satt und zufrieden in ihren Dörfern und Städten, waren fleißig und ehrbar und litten nur selten Not. Die Natur bot reichlich Nahrung für den Körper und Schönheit fürs Gemüt.

Es hieß im Volksmund, die kleine Prinzessin mit dem goldenen Haar sei nicht nur schön wie die Sonne selbst, sondern sie wäre auch der Garant für des Volkes Wohlergehen, denn seit ihrer Geburt vor acht Jahren hatte es keine Überflutung, keine wilden Stürme und auch keine Dürren mehr gegeben. Volk und Regenten priesen ihr Glück und fühlten sich innerhalb der Grenzen ihres Landes so sicher, dass sie nicht mehr auf die umliegenden Nachbarländer achteten. Und so kam es, dass sie nicht bemerkten, wie groß die Not und der Neid im kleinen Land hinter den schroffen Bergen im Westen war. Die Menschen dort hungerten oft, denn Dürre und Heuschrecken hatten ihre Ernte zu oft vernichtet. Wölfe und Vielfraße trieben ihr Unwesen und rissen immer wieder Schafe und Ziegen. Der Herrscher dieses Landes war ohne Weib, ohne Kind. Einsam und bitter war sein Leben im Schloss. Sein einziger Trost war der Garten gewesen, den seine Fürstin im Jahr bevor sie im Kindbett starb, angelegt hatte. Damals, als er noch lachen konnte. Damals, als sein Leben noch Sinn und Ziel hatte. Doch selbst der Garten verlor mit der Zeit seinen Reiz, und er verkümmerte ohne Pflege, denn der Fürst hatte allen verboten, ihn zu betreten und er trug den Schlüssel immer bei sich.

Sein Volk klagte und jammerte. Sie sprachen heimlich zueinander, der Fürst trage die Schuld am Elend allenthalben, denn seit Jahren blase er Trübsal. Immer größer wurde die Unzufriedenheit, immer lauter knurrten die leeren Mägen, so dass es klang, als lebten keine Menschen, sondern brummige Bären im Land. Eines Tages wurde ihre Wut so groß, ihre Verzweiflung so übermächtig, dass sie sich zusammenrotteten und am Schlosstor lauthals Einlass begehrten.

„Der Fürst soll zu uns sprechen und sich nicht länger hinter schwarzen Fenstern verbergen! Er muss uns helfen, oder wir jagen ihn davon!“ Männer und Frauen drohten mit emporgereckten Heugabeln, Messern und Knüppeln und schrien gar laut. Alle Vögel im Umkreis des Schlosses flogen erschrocken auf und flatterten auf und davon.

Der Hauptmann der Wache eilte zum Kanzler und erstattete Bericht. Dieser rief nach dem Hofmagier und zu dritt eilten sie in den Thronsaal und verneigten sich tief vor ihrem Fürsten. „Herr, vergebt uns bitte die Störung, aber das Volk steht lärmend vor dem Tor und verlangt nach Euch.“

Der Fürst, dessen Augen so finster umschattet waren wie die großen Fenster von verstaubten, schwarzen Vorhängen verdunkelt, blickte auf und starrte den Kanzler, den Hofmagier und seinen Hauptmann verständnislos an. „Was will das Volk von mir? Es soll mich nicht in meiner Trauer stören. Weiß es nicht, dass seine geliebte Fürstin zu den Ahnen gegangen ist?“. „Herr“, so sprach der Kanzler, „gewiss teilen die einfachen Menschen Eures Landes die Trauer in Eurem gebrochenen Herzen. Doch sie hungern und darben auch. Das Glück hat dieses Land vor acht Jahren mit der Fürstin verlassen, und die Not wird größer und größer. Sie brauchen Eure Hilfe!“ Der Fürst dachte kurz nach. Dann schloss er ermattet seine Augen und sprach: „Ich kann mir nicht mal selbst helfen.“ Dann hüllte er sich in Schweigen.

Kanzler, Magier und Hauptmann verneigten sich vor ihrem Herrscher und verließen rückwärtsgehend den Raum. „Was sollen wir nur tun“, sprach der Kanzler und rang verzweifelt die Hände. Der Hofmagier, ein spindeldürrer alter Mann mit buschigen, eisengrauen Augenbrauen und schmalen Lippen, machte ein grimmiges Gesicht. „Ich weiß, was zu tun ist“, sprach er leise. „Hauptmann, dafür brauche ich Eure Hilfe.“ „Was habt Ihr vor, Magier?“ fragten Kanzler und Hauptmann wie aus einem Munde. Doch der Alte schwieg und lächelte auf so finstere Weise, dass dem Kanzler angst und bange wurde. Der Hauptmann der Wache aber war ein mutigerer Mann. Mit ruhiger Stimme sagte er: „Was Ihr auch vorhabt, Magier, wenn es dem Volke zum Wohle gereicht, bin ich Euer Mann. Befehlt, und ich werde gehorchen.“

Und so kam es, dass am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, an der Spitze eines bis an die Zähne bewaffneten Reitertrupps, der alte Magier und der junge Hauptmann einträchtig nebeneinander ritten. Der Magier auf einem nachtschwarzen Rappen, der Hauptmann auf einem großen Braunen. Drei Tage und drei Nächte ritten sie bergauf und bergab, überquerten den großen Fluss und schlugen sich durch wilden Wald, bis sie ins Land der Sonnenprinzessin gelangten.

Als sie sich dem Schloss näherten, auf dessen Zinnen fröhlich die gelben und himmelblauen Fahnen im Wind flatterten und knatterten, warf der Hofmagier einen Verberge-Zauber über die kleine Streitmacht, so dass sie ungesehen und unbehelligt bis an die Mauern des Schlosses gelangten. Das Burgtor stand weit offen, die Zugbrücke war herabgelassen. Der Hauptmann wählte nun leise die drei geschicktesten Soldaten aus, um die Prinzessin zu rauben. Denn das war die Absicht des bösen Zauberers. Der alte Hagestolz übernahm die Führung und leise, leise schlichen sie über den Burghof in das Schloss und huschten durch die verwinkelten Gänge. Es dauerte nicht lang, da hatten sie das Gemach der kleinen Prinzessin gefunden. Eine Sonne war kunstvoll in das Holz der Tür geschnitzt. Sie stahlen das Kind bei Beginn der Morgendämmerung aus seinem Bettchen heraus. Der Magier hatte sie in einen Zauberschlaf fallen lassen, und so merkte sie nicht, was ihr Furchtbares zugestoßen war. Seine schwarzmagische Kraft war nun fast erschöpft, und sie waren erleichtert, als sie wieder auf ihren Pferden saßen und das Burgareal verließen. Der Hauptmann hielt das schlafende Kind im Arm und hüllte es fürsorglich in eine warme Decke.

Als wenige Stunden später das Verschwinden der Prinzessin bemerkt wurde, war der Reitertrupp längst am Fuße der schroffen Westberge angelangt. Der Hofmagier befahl eine kurze Rast, damit er mit letzter magischer Kraft einen weiteren Zauber wirken konnte: einen Verwirr-Zauber, damit niemand den Eingang in die Schlucht finden könne, denn dies war der einzige Weg zum Pass, die Westberge zu überqueren. Er legte einen Kreis aus Steinen, in einem archaischen Muster roher Magie, zeichnete Runen darauf und murmelte in uralter Sprache Zauberwörter und Flüche. Kein Angehöriger eines anderen Volkes als das der Kleinländer würde nun den Weg wiederfinden können.

Unterdessen erhob sich im Schloss der Sonnenprinzessin ein großes Ach und Weh. Das Königspaar und alle Bediensteten suchten und suchten, aber sie fanden das Kind nicht. „Vielleicht ist sie in den Brunnen gefallen?“ „Aber nein, seht doch, er ist abgedeckt.“ „Vielleicht hat sie sich im Stall versteckt um mit ihrem Pony zu spielen?“ „Aber nein, seht doch, alle Pferde sind auf der Weide.“ „Vielleicht ist sie in der Speisekammer um frische Kuchen zu naschen?“ „Aber nein, seht doch, alle Kuchen stehen hier auf dem Tisch.“ Und so ging das den ganzen lieben langen Tag, bis alle erschöpft waren von der Suche. Und alle Frauen im Schloss weinten große Tränen, und alle Männer schworen Rache für den Raub. Denn der letzte Strahl der untergehenden Sonne hatte sein Licht auf einen abgerissenen Knopf geworfen, der im Burghof im Sande lag: auf ihm das Wappen des Kleinen Landes hinter den Westbergen. Nun wussten sie, wer hinter dieser ruchlosen Tat steckte. Die Garde des Königs sattelte die Pferde, bewaffnete sich bis an die Zähne und entzündete große Laternen, um den Weg zu erhellen. Sie schlugen am Fuße der Westberge ihr Lager auf und mussten die Nacht abwarten. Denn es war eine Neumondnacht und große, regenschwere Wolken hatten das Funkeln der Sterne verhüllt.

Doch am nächsten Morgen verzweifelten der König und seine Männer. Der Weg zur Schlucht war unauffindbar. Sie konnten den Bergpass nicht erreichen. Es war wie verhext!

Verhext? Oh ja!

Wochen und Monate zogen ins Land. Der König hatte eine hohe Belohnung ausgesetzt für denjenigen, der den Weg über die Berge finden würde. Viele kamen, viele gingen. Nicht einer hatte Erfolg. Und so kam es, dass die Prinzessin viele Tränen der Trennung weinen musste. Bis sie eines Morgens den Entschluss fasste, nicht länger zu weinen, sondern zu handeln. Sie schwor sich selber, nie den Glauben an ihre Rettung zu verlieren. Eines Tages würde sie ihre Eltern wiedersehen.

„Wenn ich schon in dieser finsteren Burg bei diesem traurigen Fürsten leben muss, so will ich das Beste daraus machen.“ So sprach sie und kämmte ihr goldenes Haar, bis es glänzte. Ihr Kleid war schlicht, der Umhang aus grober Wolle, denn sie trug heute das Gewand der Tochter ihrer Dienerin. Ihr Prinzessinnenkleid war in den Händen der Waschfrau. Mit kindlicher Entschlusskraft ging sie in die Halle des Fürsten und befahl mit piepsiger Stimme der Dienerschaft, die schwarzen Vorhänge zu entfernen und die Fenster zu putzen! Der Fürst staunte über ihren Elan und gab nickend seine Zustimmung. Die Kleine weckte allmählich seine Aufmerksamkeit. Er hatte nie wirklich verstanden, weshalb der Magier und der Hauptmann das Königskind in seine Burg gebracht hatten. Das Glück solle mit ihr einziehen, hatten sie behauptet. Alle Probleme des Landes würden sich allein durch ihre Anwesenheit in Luft auflösen. Aber dem war nicht so. Das Volk darbte und murrte nach wie vor.

Dann baute sie sich vor dem Fürsten auf, stemmte ihre Ärmchen in die Hüften und sagte laut: „Ich will nicht einen Tag länger in diesen finsteren Hallen verbringen. Es ist, als würden hier Tod und Verderben sich die Hände schütteln. Zuhause war Licht und Freude und ich hatte ein Pony und viele schöne Kleider! Ich will zurück zu meinen Eltern! Lasst mich bitte gehen.“

„Ich kann dich nicht zurückgehen lassen, du sollst das Glück in mein Land bringen. Sag, ist es dein herrliches Haar, das das Glück anzieht? So schneide es ab, und du kannst ziehen. Oder sind es deine strahlenden Augen? Dein Lachen? Sag, auf welche Weise hast du deinem Volk und Land solchen Segen gebracht?“

Die Prinzessin verstand seine Fragen nicht. „Ich will nach draußen und dort spielen, bitte erlaubt mir, an die frische Luft zu gehen.“

„Nun, vielleicht ist es auch dein fröhliches Spielen, welches das Glück anzieht. Wer weiß? Hauptmann! Er komme zu mir!“

Die Diener raunten von einem zum andern, der Hauptmann solle zum Fürsten kommen. Als dieser das hörte, eilte er herbei, erfreut über den Befehl. Alles war besser als das Schweigen seines Gebieters. So stürmte er in die Halle des Thrones und blinzelte. So viel Licht war seit acht Jahren nicht in diesen Räumen gewesen. Die Vorhänge waren weg! Wenn das kein Funken Glück war?

„Mein Herr, wie lautet Euer Befehl für mich?“

„Die kleine Dame will spielen. Draußen an der frischen Luft. Geht mit ihr und bewacht sie mit eurem Leben. Am Abend soll sie wieder ins Schloss gebracht werden.“

Und so kam es, dass Aurelia, denn das war der Name der Prinzessin, am Ende des Tages das Tor zum Garten entdeckte. „Öffnet dieses Tor für mich, Hauptmann“, verlangte das Kind. „Ich will sehen, was dahinter ist.“

Der Hauptmann, der wegen der Entführung ein schlechtes Gewissen hatte, mochte ihr die Bitte nicht abschlagen, wenngleich er damit das Gebot des Fürsten übertrat. Seit acht Jahren hatte niemand mehr den ummauerten Garten der Fürstin betreten. Doch so sehr er es auch versuchte, das Tor ließ sich nicht öffnen. Aber dann sah er ein Kätzchen, welches einer Maus nachjagte und beide verschwanden ein paar Schritte weiter unter der Mauer. Dort hatte der Frost von vielen Wintern das Mauerwerk beschädigt. Mit seinem Soldatenstiefel trat er fest dagegen und vergrößerte das Loch. Jauchzend schlüpfte Aurelia hindurch und verschwand im hohen Gras. „So wartet doch auf mich, kleine Prinzessin. Ich muss Euch vor allem beschützen!“ Doch so sehr er sich auch bemühte, der Rest der Mauer hielt stand. Der Mann war einfach zu groß und konnte ihr nicht in den Garten folgen. So blieb ihm nichts als zu warten und zu hoffen.

Aurelia fühlte sich in eine andere Welt versetzt. Hier war es so schön! Und so herrlich verwildert! Büsche mit roten und blauen Beeren, mit Blüten in vielen Farben, und Blumen, ach so viele Blumen! Richtige Meere in allen Farben des Regenbogens. Und erst die Bäume! Ach, und dort war gar ein Springbrunnen, doch sprudelte er nicht. Vergnügt lauschte sie dem Zirpen der Grillen und dem Zwitschern der vielen Vögel. Stunde um Stunde spielte sie. Am Brunnen war eine Sitzbank aus Stein. Smaragdgrünes Moos polsterte weich die Sitzfläche. Die kleine Prinzessin nahm dort selig Platz und vergaß für einige wundervolle Minuten, dass sie Opfer einer infamen Entführung war. Langsam sank die Sonne, sie verschwand gerade hinter der Mauer. Es wurde kühler und sie fröstelte nach einiger Zeit, denn ihren Wollumhang hatte sie beim Krabbeln durch das Loch in der Mauer verloren. Sie öffnete ihre Augen und atmete noch einmal tief ein und genoss die vielfältigen Düfte. Als sie sich anschickte, zum Hauptmann zurückzukehren, war ihr, als raschelte es im Farn hinter ihr. Rasch drehte sie sich um, doch da war nichts. Nur der Farn bebte ein wenig. Da sie auch hungrig war, eilte sie zum Ausgang und kroch wieder durch die Lücke im Mauerwerk. Der Hauptmann war heilfroh, sie unversehrt ins Schloss zurückbringen zu können. „Morgen will ich wieder dorthin“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Von nun an verbrachte sie Tag für Tag trostreiche Stunden des Spiels und des Tagträumens im verwunschenen Garten. Vom Hauptmann, der ihr längst ein Freund und Beschützer geworden war, hatte sie sich Gartengerätschaften erbeten. Was er heimlich entwenden konnte, gab er ihr. Mit viel Liebe und Hingabe pflegte sie nun unermüdlich die Beete, befreite die duftenden Rosen von wuchernden Schlingpflanzen, lockerte die Erde und schnitt das Gras. Und jeden Tag raschelte es im Gebüsch. Längst hatte sie es gesehen, das kleine Pferd, nicht viel größer als ihre Hand. Geduldig, wie nur eine Sonnenprinzessin es sein kann, wartete sie darauf, dass es voller Vertrauen zu ihr kommen möge. Und schließlich war es soweit. Neugierig trabte es zu ihr und stupste sie an. Es wieherte fröhlich und scharrte mit seinen kleinen Hufen. Es war schneeweiß und duftete nach Lavendel!

„Wer bist denn du, Pferdchen?“ Aurelia streichelte zart mit einem Finger über das Fell. Es fühlte sich wie Samt an. Das Lavendelpferd schmiegte sich für einen kurzen Moment in ihr Händchen und galoppierte dann davon in Richtung Rosenbeet. Vorsichtig folgte die Prinzessin dem wunderlichen Geschöpf und setzte achtsam ihre Schritte. Inmitten der roten Rosen ließ sie sich nieder und sog dankbar deren Duft ein. Das Pferdchen umkreiste auffällig eine bestimmte, niedriggewachsene Rose. Neugierig geworden steckte Aurelia ihre kleine Nase in die schönste Blüte dieses Rosenbusches. Au! Etwas hatte sie gepiekst. Aber das war kein Dorn gewesen. Die Blüte öffnete sich weit und das wunder-wunder-allerwunderschönste Geschöpf, das jemals auf Erden gesehen worden war, stieg anmutig heraus und sprang Aurelia in die Hand. Mit großen Augen starrte die Prinzessin es an, sie wagte kaum zu atmen. „Du musst ein Roseneinhorn sein! Denn du bist ein Pferdchen mit einem Horn, das golden und silbern schimmert, schöner als der Vollmond, also bist du ein Einhorn, und du duftest nach Rosen, so wie das andere Pferdchen nach Lavendel duftet. Ihr seid wahrlich zauberhafte Geschöpfe. Wie kann das sein, dass Wesen wie ihr in der Nähe des armseligsten Schlosses leben, das es auf dieser Welt gibt? Der Fürst ist ein wahrer Trauerkloß, sein Volk lässt er hungern und darben. Und mich hat er entführen lassen, und nun lebe ich fern als Gefangene, fern meiner lieben Eltern!“

Die kleine Prinzessin schluchzte gar bitterlich. So sehr sie auch im Garten glücklich war, jetzt brach die Erinnerung an ihr Zuhause durch und sie hatte solche große Sehnsucht nach Mama und Papa und ihrem zotteligem Pony.

„Du liebes Kind, trockne deine Tränen. Die Zeit deiner Gefangenschaft geht zuende.“ Verwundert hörte sie auf zu schluchzen und hickste ein, zwei Mal und schaute sich um. Wer hatte zu ihr gesprochen? Es war, als würde der ganze Garten mit einer Stimme zu ihr sprechen, aber nicht ihre Ohren hörten die Worte, sondern die Worte waren in ihr!

„Das ist das Herzenhören. Sei nicht bange. Bevor der Mond wieder voll wird, wirst du zuhause sein. Vertraue, liebes Kind. Ich bin der gute Geist dieses Gartens, der durch seine Geschöpfe spricht. Versprich mir, dass du das nächste Mal den Fürsten mitbringst. Es bleibt ihm nur wenig Zeit, sich und sein Volk zu retten. Aber sage niemandem ein Wort von uns. Sie würden dir nicht glauben.“

„Ich will es versuchen. Ja, ich verspreche es dir!“ Das Roseneinhorn sprang von der Hand und begann vor Freude zu tanzen. Aus seinem Horn stiegen buntschillernde Blasen empor, hauchzart. Sie schwebten durch die Luft und jedes Mal, wenn sie etwas berührten, zerplatzten sie mit einem Harfenklang. Ei, wie da die Prinzessin lachte und nach den Regenbogenblasen haschte!

Als sich der Abend ankündigte und die Sonne ihr Licht zurückzog, verabschiedete sich Aurelia vom Lavendelpferd und dem Roseneinhorn, tauchte noch einmal ihr Näschen in ihre duftenden Felle und verschwand dann durch das Loch in der Mauer.

„Du strahlst ja heller als die Sonne“, meinte der Hauptmann, der getreulich Wache gehalten hatte.

„Ich darf wieder nach Hause! Der Garten hat es mir gesagt.“

„Ich würde dich vermissen, kleine Prinzessin. Aber ich wünsche es dir sehr, dass der Fürst dich bald in deine Heimat zurückschickt. Es hat ja alles keinen Sinn gehabt. Dich Sonnenkind zu entführen, hat die Lage im Land nicht verbessert. Es muss wohl einen anderen Grund dafür geben, dass dein Land hinter den Bergen gedeiht und unseres hier darbt und vergeht.“

„Sei nicht traurig, lieber Hauptmann, alles wird gut.“

Am nächsten Tag riefen der Kanzler und der Magier den Hauptmann zu sich. Sie schickten ihn, verkleidet als Handwerker, in das Land hinter den Bergen, in die Heimat der Prinzessin. „Dein Auftrag lautet: Finde heraus, warum das Land immer noch das Glück für sich gepachtet hat. Und gehe auch ins Schloss und beobachte König und Königin. Halte Augen und Ohren offen, ob sie ahnen, dass wir es waren, die ihr Kind stahlen. Dann kehre vor dem nächsten Vollmond zurück und erstatte Bericht.“ Der Magier hieß ihn noch, am Schutzkreis der magischen Steine besonders vorsichtig zu sein. „Du darfst nicht gegen einen Einzigen treten, sie dürfen ihre Position nicht durch Menschenhand oder -fuß ändern, denn sonst erlischt der Verwirr-Zauber. Merke dir das!“ Der Hauptmann nickte ernst und machte sich auf den Weg. Drei Tage und drei Nächte ritt er auf seinem Braunen bergauf und bergab, überquerte den großen Fluss und schlug sich durch den wilden Wald, bis er in das Land der Sonnenprinzessin gelangte.

Als er tagelang durch die Ebenen und Felder ritt, sah er wie beim ersten Mal fleißige Bauern und Handwerker, gesundes Vieh und blühende, ertragreiche Felder. Offenbar war das Glück dem Königspaar und seinen Untertanen immer noch hold. Doch warum? Entschlossen, dieses Geheimnis zu lüften, ritt er bis zum Schloss. Wieder flatterten die gelben und himmelblauen Fahnen im Wind. Doch sahen sie anders aus. Der Hauptmann erkannte als er näherkam, dass in jede Fahne eine Sonne gemalt war. Er kehrte in eine Schänke ein und bestellte sich ein gutes Mahl. Das Reisen hatte ihn hungrig gemacht. Sein treues Pferd hatte er im Stall der Schänke untergestellt und ihm ein gutes Maß an Hafer spendiert. „Sag an, Herr Wirt. In den Fahnen des Königs ist eine Sonne gemalt, warum?“ Der Wirt schaute ihn seltsam an. „Mein guter Mann, habt Ihr in den letzten Monaten unter einem Stein gehaust? Ein jedes Kind weiß, dass die Sonne die Hoffnung darstellt, dass das Sonnenkind des Königs gefunden wird.“ „Gefunden? Ging sie denn verloren? In der Tat war ich lange auf Reisen, bin übers Meer gereist um dort mein Glück zu finden, aber dann hatte ich doch zu viel Heimweh und bin zurückgekehrt.“ Der Wirt stellte dem verkleideten Hauptmann einen Krug Bier auf den Tisch. „Nun, wenn ihr vom Meer kommt, dann habt Ihr ohne Zweifel das große Kriegsschiff gesehen, das der König bauen lässt. Der Weg durchs Gebirge ist versperrt, böse Flüche haben ihn verborgen. Man weiß, dass Männer des Kleinen Landes hinter den schroffen West-Bergen am Tag des Verschwindens in der Burg gewesen sind. Ein verlorener Knopf tat Kunde davon. Und da der Weg über den Berg versperrt ist, wird der König den Weg über das Meer nehmen und mit einer Streitmacht dort einfallen. Nicht einen Moment lang hat das Königspaar die Hoffnung aufgegeben. Mit all ihrer Kraft lenken sie die Geschicke des Landes und die ihrer eigenen Familie. Sie sind wirklich bewundernswert und ich bin ein zufriedener, stolzer Untertan.“ „Darauf hebe ich meinen Humpen“, sprach der Hauptmann. „Dann wird das Kind schon bald bei seinen Eltern sein.“ Mit Bedauern schüttelte der Wirt seinen Kopf. „Vom Schiffsbau versteht Ihr wohl nichts? Erst nach dem Winter wird das Schiff zu Wasser gelassen werden können.“

In der Nacht, die der Hauptmann in der Schänke zubrachte, fasste er einen Entschluss.

Hinter den schroffen West-Bergen im Kleinen Land aber, ging etwas vor sich. Die Prinzessin hatte ihr Wort gehalten und den Fürsten in den Garten mitgenommen. All ihre Überredungskraft war erforderlich gewesen, all ihr Trotz und viel Schmeichelei, bis der Fürst darob gleichermaßen ermüdet wie belustigt ihrem Drängen und Verlangen nachgab und an ihrer kleinen Hand zum Tor ging. Mit einem tiefen Seufzer hatte er den großen Schlüssel unter seinem Wams hervorgeholt, den er in all den Jahren immer über dem Herzen getragen hatte. Denn dies hier war das Reich seiner lieben Frau gewesen. Als er das Tor geöffnet und durchschritten hatte, glaubte er sich in die Vergangenheit versetzt. Alles war so wunderschön und gepflegt, wie damals, als seine Herzensdame noch lebte. War hier die Zeit stehen geblieben? Dort war die Schaukel, die er für sie gebaut hatte! Und dort hinten der Springbrunnen, dessen Düsen gereinigt waren, und er sprudelte und plätscherte vor sich hin, als sänge er ein Lied aus Wasser. Wie war das möglich? Sprachlos vor Glück schlenderte er durch das frische Grün, naschte von den Beeren und roch gedankenverloren an den Rosen. Dann sah er Aurelia, wie sie mit kindlichem Ernst und Eifer am anderen Ende des Gartens die Beete pflegte. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sein Herz klopfte laut und lebendig. All die Jahre hatte er das Andenken an seine Frau vernachlässigt. Er hatte der Trauer erlaubt, ihm seinen Lebensmut zu rauben. Von nun an ging er Tag für Tag in den Garten und schöpfte dort neue Kraft. Er ließ seine Burg von oben bis unten putzen und durchlüften. Und als wäre seine Lebensfreude in das Land selbst eingesickert, so gedieh nun das Getreide auf den Feldern der Bauern vorzüglich, das Gemüse verfaulte nicht mehr, das Vieh erstarkte und die Kinder hatten wieder rote Wangen.

„Du hast nun endlich das Glück in mein Land gebracht, Sonnenprinzessin!“ Doch die kleine Aurelia verstand nicht, was sie damit zu tun hatte und spielte lieber mit den Schmetterlingen. Sie schwieg beharrlich über das Roseneinhorn und das Lavendelpferd, denn sie hatte es so versprochen.

Der Fürst rief am nächsten Tag den Kanzler und den Magier zu sich. „Ich will, dass ihr das Kind seinen Eltern zurückbringt. Und ihr werdet all mein Gold und Silber als Entschädigung mitnehmen. Wir haben der Königsfamilie großes Unrecht getan, das Kind zu stehlen. Das Glück eines Landes ist vom Glück im Herzen seines Herrschers abhängig und vom Fleiß und Mut des Volkes. Wir sind schwach gewesen! Das habe ich nun erkannt.“

„Nein, nein. Das kann nicht sein. Lassen wir das Kind lieber hier! Wer weiß, was der König und seine Krieger uns antun werden?“

Doch der Fürst blieb bei seinem Entschluss. „Schickt den Hauptmann zu mir. Er soll morgen schon aufbrechen und Aurelia über die Berge zurückbringen.“

„Wir können nicht den Hauptmann rufen. Als Spion schickten wir ihn in das Land der Sonne. Ohne euer Wissen, Herr.“

Da öffnete sich die Tür zum Thronsaal. „Und doch bin ich hier!“ Der Hauptmann beugte vor seinem Gebieter das Knie und senkte den Kopf. „Vor wenigen Minuten kehrte ich zurück von meinem Auftrag. Ich muss Euch sagen, dass das Glück diesem Land auch ohne die Prinzessin hold war. Der König und die Königin blieben stark im Herzen und der Hoffnung. Es macht keinen Sinn, das Kind noch länger seiner Familie und Heimat zu berauben.“

„So schweige er“, riefen der Kanzler und der alte Magier, denn sie fürchteten sich vor der Rache der Sonnenländer. Aber es war zu spät. Die Krieger waren längst unterwegs, denn der Hauptmann hatte die Anordnung der Zaubersteine zerstört und so den Weg wieder freigegeben.

Und so kam es, dass Aurelia beim nächsten Vollmond wieder zuhause war. Ihr Vater, überglücklich über ihre Unversehrtheit, verzichtete auf Rache. Nach einem langen Gespräch mit dem Fürsten traf er sogar eine Übereinkunft, bei der nächsten großen Not seiner Nachbarn nicht wieder selbstzufrieden die Augen und Ohren zu verschließen, sondern Hilfe zu leisten. Der Kanzler und der Magier aber wurden des Landes verwiesen. Man schickte sie übers Meer in ein anderes Land, sie sollten dort ihr Glück versuchen und in Zukunft klüger und mitfühlender sein.

Der Fürst ging nun Tag für Tag bei Sonnenaufgang in den Garten, sommers wie winters. Er lauschte der Stimme des guten Geistes, der im Garten wohnte und durch seine Geschöpfe zu ihm sprach. Schnell erlernte der Fürst das Herzenhören und wenn er in Harmonie mit sich und seinem Land war, dann zeigten sich ihm das Roseneinhorn und das Lavendelpferd. Und er stellte sich vor, sie seien die Boten seiner Frau und seines ungeborenen Kindes.

Wer weiß, vielleicht war es ja wirklich so?

Und der Fürst lebte lang und heiratete erneut und das Land gedieh unter seiner Fürsorge.

-ENDE-

Der Backblech-Elf

Zur Ausbildung der ganz jungen Engel gehört es, wenigstens für 1000 Erdenjahre in der Himmelsbäckerei zu arbeiten. Also nur kurz. Es gibt viele, viele junge Engel, die müssen alle mal ans Backblech ran.

Mmh! Wie es dort duftet!

Es wird geknetet, gerührt, abgewogen und geprüft, geformt, sortiert und genascht. Der Backofen wird ordentlich eingeheizt mit Sternenbriketts. Die Kekse sehen alle mehr oder weniger gleich aus, sogar unscheinbar, wenn ich es recht bedenke.

Doch lassen wir uns davon nicht täuschen!

Auf den Inhalt kommt es an. Und der hat es in sich. Das könnt ihr mir, dem alten Backblech-Elf, ruhig glauben, liebe Kinder. Denn die Engel backen ihre Wünsche und Ideen in die Kekse mit ein.

Es gibt viele Sorten von Keksfüllungen. Besonders beliebt sind die Füllungen Glück, Freude, Segen, auch Kindersegen, Lachen, Freiheit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, vor allem aber die Liebesfüllung. „Liebeskekse“ waren die beste Erfindung seit dem Anbeginn der Himmelsbäckerei! Es heißt, der Herrgott selbst hat den ersten Keks dieser Art gebacken.

Manchmal aber klemmt die Backofentür. Wo steckt eigentlich dieser Hausmeister-Elf, wenn man ihn braucht? Dann gibt es verbrannte Kekse. Aber weil von den himmlischen Zutaten und Gaben nichts verschwendet werden darf – das ist Gesetz –werden auch diese Kekse unter den Menschen verteilt. Die verbrannten Exemplare schmecken dann nach Pech, Armut, Kummer, Unfrieden, Einsamkeit, und wenn es noch etwas länger dauert, die Ofentür zu öffnen, dann sind einige Kekse gefüllt mit Schmerz, Trauer und Tod. Diese Kekse mögen die jungen Engel gar nicht gern auf der Erde verteilen. Aber der Erzengel, der über die Ausbildung des Bäckernachwuchses wacht, schaut seinen jungen Bäckern dann mit Güte und Mitgefühl in die jungen Augen und sagt: „Auch das gehört zur Seelenspeise der Menschen. Ihr mögt es jetzt noch nicht verstehen, aber auch diese Kekse haben ihren Sinn, ihren göttlichen Auftrag.“

Seufzend legen dann die kleinen Engel die verbrannten Kekse zu den schönen Keksen in den Korb. Sie alle haben schon einmal versucht, diese Kekse verschwinden zu lassen, wegzuwerfen, gegen das Gebot Gottes, aber im Himmel gibt es keine Mülleiner und keine guten Verstecke.

Wollt Ihr Menschen nun wissen, wie das mit der Verteilung funktioniert?

Kommt näher und hört!

Immer, wenn Euch unerwartet geholfen wurde, dann habt Ihr einen Keks bekommen.

Immer, wenn Ihr geküsst und umarmt werdet, dann habt Ihr einen Keks bekommen.

Immer, wenn das Glück Euch ins Gesicht lacht, dann ist das ein duftender Himmelskeks …

Himmelskekse essen macht Appetit auf mehr!

Doch denkt daran, die Kekse sehen alle gleich aus, nur die Füllung ist verschieden und das Verbrannte bröselt ab auf dem Weg vom Himmel zur Erde. Übrigens: Wenn Ihr einem anderen Menschen helft, ihn küsst, umarmt und Glück in sein Haus bringt, dann bekommt Ihr eine ganze Schachtel guter Kekse vom Himmel in Eure Herzens-Vorratskammer gestellt. Nie, nie wird sie leer sein!

Im Himmel klettert immer wieder mal ein kleiner Engel auf den Schoß vom Backstuben-Erzengel und kuschelt sich an ihn an. Lange sitzen Sie so da und genießen den herrlichen Ausblick auf den blauen Planeten, der wie eine hübsche Murmel um die Sonne kreist.

Manchmal fragt ein kleiner Engel den Erzengel, warum es denn in der Backstube keinen Mülleimer für die verbrannten Kekse gibt.

Dann streicht der Erzengel dem Kleinen über seine rosablauen Haare und sagt: „Das ist Gesetz, Gottes Backzutaten dürfen nicht verschwendet werden.“

Dem Engelchen sträuben sich dann die Haare und er sieht aus wie ein kleiner, wilder Punker.

„Aber wenn ich doch die Menschen so lieb habe und ich ihnen keine verbrannten Kekse schenken will!“

Dann lächelt der Erzengel wehmütig und sagt: „Ich will dir ein Geheimnis verraten. Komm, ich flüstere es dir ins Ohr: So oft es geht, essen wir großen Engel die verbrannten Kekse. Aus Liebe zu den Menschen. Das hat Gott uns erlaubt. Und sobald du deinen ersten, verbrannten Keks gegessen hast, wirst du ein großer Engel sein. Aber wir Engel dürfen nicht alle dunklen Kekse essen, sonst können die Menschen nicht wissen, wie gut die anderen Himmelskekse schmecken und achten die Gaben nicht mehr, und vergessen möglicherweise Gott und den Himmel. Und das darf nicht geschehen. Wie sonst sollen ihre Seelen zu uns zurückfinden, wenn sie nach dem letzten Atemzug den Menschenkörper verlassen? Denn Gleiches geht zu Gleichem.“

Die meisten kleinen Engel rutschen dann vom Schoß herunter und flitzen in die Backstube, um nach einem verbrannten Keks zu suchen. Ach, das habe ich, der Backblech-Elf, schon so oft erlebt, und jedes Mal wärmt es mir mein altes Herz, wenn plötzlich ein neuer großer Engel vor uns steht, gewandet in ein Kleid aus Licht.

(aufgeschrieben von einer alten Dame, die einst Besuch hatte vom Backblech-Elf, der diese Geschichte an einem langen Winterabend erzählte.)

Die Geschichte vom Eichhörnchen, das anders war

Es war einmal ein Eichhörnchen, das hatte einen kerzengeraden, starren Schwanz. Dieser Schwanz war buschig und das Fell war rotbraun, aber – er war stocksteif. Seit der Geburt war das so. Mama und Papa Eichhorn waren sehr erschrocken und traurig. Ein solches Eichhornbaby hatte es noch nie in der Familie gegeben! Oma Eichhorn war auch sehr traurig und auch die Geschwister dieses Babys.

Mama und Papa Eichhorn brachten ihr Kind gleich am zweiten Lebenstag zu Doktor Eule. Dieser Doktor Eule war schon sehr alt und weise. Er würde sicher helfen können, dachten die Eichhorneltern. Als er das Baby mit dem kerzengeraden Schwanz sah, wiegte er bedächtig den Kopf, seufzte ab und zu und dachte lange nach. Schließlich sagte er: „Wir werden seinen Schwanz fest binden müssen. Jeden Tag ein wenig mehr, bis er eines Tages rund und biegsam ist, wie es sich für ein richtiges Eichhornbaby gehört.

---ENDE DER LESEPROBE---