Auf der Terrasse - Thomas Schulte - E-Book

Auf der Terrasse E-Book

Thomas Schulte

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Beschreibung

Acht heitere Erzählungen aus dem Leben des Autors, überraschend pointiert. Nach der Fertigstellung der ersten beiden Geschichten schrieb ihm der unvergessene Hellmuth Karasek: »Lieber Herr Schulte, Ihre beiden Kurzgeschichten habe ich gerne gelesen. Besonders hat mir der arme Rasierpinsel gefallen, der seine Haare verliert. Ich glaube, man kann Sie mit gutem Gewissen ermuntern weiterzumachen. Herzlich Ihr Hellmuth Karasek«

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Thomas Schulte, Jahrgang 1946, erinnert sich in seinem zweiten Buch gerne an eine familiäre Tradition, die unausgesprochen den Unterschied zwischen einem Bericht und einer Schilderung intendierte. Es hieß zu Kinderzeiten nicht: „Sag’ mal, was war in der Schule los?“, sondern: „Erzähle einmal, was in der Schule los war!“ Dabei lag in der objektiven Genauigkeit kein besonderer Reiz, vielmehr führte die fantasievolle Ausgestaltung eines Tageserlebnisses einschließlich der darin enthaltenen Emotionen zu Verständnis und Anerkennung.

Im Humor, so glaubt der Autor, liegt auch eine heilende Kraft, wenn die Unterschiedlichkeit der Menschen in der Reaktion auf eine Pointe sich in heiteres, solidarisches Verstehen wandelt.

Der Autor ist verheiratet, hat eine Tochter und zwei Enkelkinder.

Thomas Schulte

AUF DER TERRASSE

Heitere Kurzgeschichten

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Flamme

Das Fallrohr

Walter

Der Hund hat Angst im Dunkeln

Das Tulpenbeet

Der Techniker

Willi

Grauer Burgunder

Nachtrag

FLAMME

Leider, das muss ich sagen, waren nur noch drei Gäste auf der Terrasse geblieben: Reinhard, Henning und Tante Friedchen. Dafür waren diese drei aber besonders begabte Zuhörer, was bedeutet, dass ihre Fähigkeit, in eine humorvolle Geschichte einzutauchen, außergewöhnlich spürbar war.

Grete, Hansjörg und Hiltrud waren schon in den Garten gegangen, um nach der Rosenschere von Walter zu suchen, die er glaubte, am Vormittag verloren zu haben.

Flamme, der also selber nicht anwesend war, gehörte zum engen Freundeskreis der Familie und war ein Meister im Erzählen kleiner oder auch größerer missgeschicklicher Ereignisse, die ihm nachweislich passiert waren, wobei seine Frau Gertrud dem Erzähler begeistert durch eifriges Kopfnicken half, auch manchmal mit der Bemerkung: „Mein Flamme sagt immer die Wahrheit.“

Mir blieb also nichts anderes übrig, als so wahrheitsgetreu wie möglich meinen drei Zuhörern von Flammes letztem Erlebnis zu berichten, denn Tante Friedchen hatte noch gar nichts von ihm gehört und Reinhard und Henning hatten nur eine sehr ungefähre Vorstellung von der außergewöhnlichen Persönlichkeit, welche sich hinter dem Namen Flamme verbarg.

Seine Zeit als Stadtbaumeister hatte er schon vor einigen Jahren hinter sich gelassen und sich, wie jeden Sommer, intensiv der Ernte von Kirschen, Stachelbeeren und Äpfeln gewidmet.

Alles, tatsächlich alles, was in seinem Garten reifte, verarbeitete er zu Saft, Marmelade oder Kompott, verschenkte auch das ein oder andere Glas, wenn er zu Besuch kam, aber die Konsequenz, mit der er auch den kleinsten Rest Erdbeeren zu Konfitüre verarbeitete, weist durchaus schon auf eine Sparsamkeit hin, die als wesentlicher Charakterzug bezeichnet werden muss, allerdings noch gar nichts mit seinem wunderbaren Humor zu tun hat.

Selten brannte Licht in seinem Hause: Um Strom zu sparen, gingen Flammes früh schlafen, und schon gar nicht wäre Flamme auf die Idee gekommen, sich um seinen Wagen zu kümmern, der nur zweimal im Jahr benutzt wurde. Einmal im Frühsommer, um damit im benachbarten Solling in einem Waldrestaurant, zusammen mit Gertrud, Apfelkuchen mit Schlagsahne zu essen und Schokolade zu trinken und das zweite Mal im Herbst, um mit dem Auto drei Körbe mit Äpfeln zu transportieren, die in einer nahe gelegenen Mosterei zu einem, wie er sagte, hervorragenden, nein, einmaligen Apfelsaft verarbeitet wurden.

Das mag an sich noch nichts Besonderes sein, allerdings war das Außergewöhnliche der Wagen selber. Es handelte sich um einen Opel Admiral aus der Vorkriegszeit, mit verblichenen Armaturen, einem hohen Kühler und dünnen Reifen, die Fenster klein; die Polster rochen etwas muffig, wenn er nach langem Winterschlaf aus der Garage geschoben wurde.

Unglaublich, aber wahr ist, dass Flamme nach dem Kriegsende anlässlich einer Fahrradtour an der Weser zwei Kanister mit Wehrmachtstarnfarbe am Flussufer gefunden hatte.

Sie enthielten saharagelbe Ölfarbe für die Rommelarmee und selbst Flamme konnte keine Erklärung darüber abgeben, wie sie dahin gekommen waren. Auf jeden Fall waren ihm die beiden Kanister aufs höchste willkommen, denn sie wurden zum Eckpfeiler seiner Sparsamkeitsideologie, wenn er mit ihrer Hilfe begründete, dass selbst achtlos weggeworfene Dinge oder Substanzen weiterreichenden Nutzen haben könnten.

Wieder daheim erschien es ihm naheliegend, mit jener Farbe seinen Opel Admiral zu konservieren und trotz des behutsamen Widerspruchs von Gertrud und weiterer Familienmitglieder machte er sich an die Arbeit, wartete einen Tag trockenen, sonnigen Wetters ab, und beendete nach ungefähr fünf Stunden eine im Prinzip ganz ordentlich gelungene Pinsellackierung, die auch die ehemals verchromten, inzwischen verrosteten Stoßstangen und zwei Zierleisten mit einbezog.

Nur an einigen unbedeutenden Stellen (so sagte er jedenfalls) war etwas Farbe vom oberen Rand über die Seitenfenster heruntergelaufen, leider auch in Fahrtrichtung vorne rechts ein wenig, was Gertrud und andere zu der Bemerkung veranlasste, der Wagen würde einen verweinten Eindruck machen.

Flamme wäre der letzte gewesen, der sich über eine solche Bemerkung geärgert hätte, im Gegenteil, er fand diese Interpretation der äußeren Erscheinung durchaus witzig und korrigierte seine Überlegung sofort, die übergelaufene Farbe, solange sie noch nicht durchgetrocknet sei, mit einem Terpentinlappen zu beseitigen; er ließ sie trocknen und durchhärten und sagte, damit der authentische Eindruck einer insgesamt gelungenen Renovierung nicht verwässert würde, käme ein Beseitigen der Farbtränen nicht mehr in Frage. Gleichzeitig setzte er als Zeichen allerbester Laune ein Grinsen auf, gegen das jeder Widerstand zwecklos war.

Noch heute ist mir unbegreiflich wie jener Opel Admiral nach jahrzehntelangem Winterschlaf jemals die Hürden einer Straßenzulassung hat überwinden können; es muss an Flammes Überredungskunst gelegen haben, vielleicht auch an den Marmeladen und Obstsäften, mit denen Flamme, zumindest nach meiner Vorstellung, die städtischen Beamten der Zulassungsbehörde für sich hat einnehmen können.

Am Mitleidseffekt, der von dem Fahrzeug zweifellos ausging, allein kann es jedenfalls nicht gelegen haben.

Aber ich will nicht vom Thema abkommen; das wesentliche, vor allen Dingen auch für den Fortgang der Geschichte, ist der Eindruck, den der Wagen bei den unvorbereiteten Zeitgenossen, will sagen Verkehrsteilnehmern, gemacht haben muss, auch unter Einbeziehung von zufällig auftauchenden Fußgängern: Was nämlich für die Militärfahrzeuge des zweiten Weltkriegs in Afrika möglicherweise vernünftig war, die Panzer usw. vor einem entsprechend sandleuchtenden Untergrund möglichst unauffällig fahren zu lassen, bewirkte in unser aller Heimat bedauerlicherweise genau das Gegenteil.

Die farbliche Erscheinung des uralten Opels war, und das kann man so drastisch formulieren, ein Schlag ins Gesicht eines in ästhetischer Hinsicht wohl- und gleichtemperierten Bürgertums, das noch keine Vorahnung haben konnte von den revolutionären, maoistischen Auftritten einer Studentengeneration, welche in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre an den Grundfesten eines bürgerlichen Selbstverständnisses zu rütteln anfing.

Mithin blieb für jeden außenstehenden zufälligen Betrachter die Frage vollkommen unbeantwortet, warum denn jemand, und das offenbar in voller Absicht, dieses an sich schon skurrile Fahrzeug durch jene ungeheuerlich farbliche Missgestaltung so unmittelbar in das Zentrum jedweder Aufmerksamkeit katapultieren wolle.

Auch Menschen, die Flamme zu kennen glaubten, verzweifelten an Erklärungsnot; bis auf Walter, der bezüglich der Flammeschen Sparsamkeitsideologie mit seinem Freund eine gewisse Seelenverwandtschaft spürte.

Er hatte uns gegenüber dessen Sparsamkeit lobend erwähnt, wenn Flamme in uralten Vorkriegsanzügen und Krawatten zu Geburtstagsfeiern erschien und Walter bei einigen Familienmitgliedern eine Tendenz erspürte, sich darüber lustig zu machen. Außerdem sei Flamme weder bei der ersten noch bei der zweiten Ausfahrt zur Mosterei von irgendjemand missbilligend angesprochen worden; es gäbe also nicht den geringsten Grund an Flammes grundanständiger Gesinnung irgendeinen Zweifel zu haben.

Damit sollte das Thema, wie Walter sagte, ein für alle Mal erledigt sein. Er konnte noch nicht ahnen, dass es im folgenden Jahr zu einem unglaublich heiteren Höhepunkt kommen sollte, der sich auf einer unerwarteten dritten Ausfahrt ereignete, zu der sich Flamme und Gertrud nach längerer Planung entschlossen hatten.

Die Reise sollte dieses Jahr siebzig Kilometer weit nach Hannover gehen, um dort die Industriemesse zu besuchen.

Die Nachricht von diesem Vorhaben löste bei allen Familienmitgliedern Betroffenheit aus, denn man war sich sicher, dass die technische Zuverlässigkeit des alten Admirals für eine solche Fahrt keinesfalls ausreichte. Aber weder Gertrud noch der getreue Ehemann ließen sich von dem Vorhaben abbringen oder zu einer Bahnfahrt überreden. Vielmehr vertrauten beide den Rettungsangeboten und Ratschlägen, die meine Familie entwickelte, und so setzten sie sich an einem Sonnabend in Bewegung, ausgerüstet mit Reservekanister, Ersatzbatterie, Zündkerzen und einem Abschleppseil. Es war ein herzlicher Abschied, in den sich die Vorfreude mischte auf ein Wiedersehen.

Das ereignete sich schon am nächsten Tag, und um das wichtigste vorwegzunehmen, ohne dass sich auch nur die geringste technische Störung eingestellt hätte.

Ich muss zugeben, dass ich ohne weiteres gerne von einem hustenden Motor, Reifen- oder Zündkerzenwechsel erzählt hätte, von schwierigen Abschleppmanövern, die man am Ende doch bravourös gemeistert hätte, aber nichts von alledem hatte sich ereignet oder wäre nötig gewesen.

„Wir waren“, so erzählte Flamme, „ allen Ernstes schon in zwei Stunden in Hannover“, dabei lockerte er ein wenig die Vorkriegskrawatte und sah heiter zu Gertrud hinüber.

„Und wie war das Wetter?“, fragte Grete, die an technischen Einzelheiten kein Interesse hatte.