Auf leisen Sohlen ins Gehirn - George Lakoff - E-Book

Auf leisen Sohlen ins Gehirn E-Book

George Lakoff

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Beschreibung

80 Prozent unseres Denkens bleiben unbewusst und werden durch Metaphern und Deutungsrahmen geprägt. Unser vermeintlich freies Denken wird durch diejenigen beeinflusst, die bewusst bestimmte Metaphern in die öffentliche Diskussion einführen. Diesen "heimlichen Macht-Habern" sind George Lakoff und Eva Elisabeth Wehling auf der Spur: Welcher Sprache bedienen sich Politiker in öffentlichen Debatten, um in den Köpfen der Menschen die gewünschte "Wirklichkeit" entstehen zu lassen? In lebhaften Gesprächen klären die beiden Wissenschaftler anhand von Sprachschöpfungen wie "Krieg gegen den Terror" oder "Achse des Bösen", wie Menschen denken, wie solche Denkstrukturen unser Gehirn auch physisch verändern und wie wir die Welt begreifen. Dabei werfen sie ein völlig neues Licht auf Fragen der politischen Identität, der Moral und religiöser Werte oder der Rolle von Medien und Berichterstattern. Als Leser lernt man so die Mechanismen seines eigenen politischen Denkens, Sprechens und Handelns besser kennen. Man erfährt, wie stark und gleichzeitig subtil die eigenen politischen Einstellungen durch Metaphern bestimmt sind und was nötig ist, um sich davon zu befreien. "In lebendigem Gespräch gewähren uns George Lakoff und Elisabeth Wehling einen Blick in unser 'politisches Gehirn'." Freimut Duve "Die Komplexität der behandelten Themen aus der kognitiven Linguistik, in der Lakoff die Weltspitze darstellt, haben ihn nicht daran gehindert, sich in einer kristallenen Prosa auszudrücken, ohne Fachausdrücke und mit solide begründeter Argumentation. Dies ermöglicht es Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen und dem allgemeinen Publikum gleichermaßen, die behandelten Fragen zu verstehen, deren philosophische Tragweite zu erkennen und schließlich die Inhalte zu würdigen." aus der Laudatio zur Verleihung des Premio Giulio Preti per il dialogo fra scienza e democrazia 2007 an George Lakoff

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Systemische Horizonte – Theorie der Praxis

Herausgeber: Bernhard Pörksen

»Irritation ist kostbar.«

Niklas Luhmann

Die wilden Jahre des Konstruktivismus und der Systemtheorie sind vorbei. Inzwischen ist das konstruktivistische und systemische Denken auf dem Weg zum etablierten Paradigma und zur normal science. Die Provokationen von einst sind die Gewissheiten von heute. Und lange schon hat die Phase der praktischen Nutzbarmachung begonnen, der strategischen Anwendung in der Organisationsberatung und im Management, in der Therapie und in der Politik, in der Pädagogik und der Didaktik. Kurzum: Es droht das epistemologische Biedermeier. Eine Außenseiterphilosophie wird zur Mode – mit allen kognitiven Folgekosten, die eine Popularisierung und praxistaugliche Umarbeitung unvermeidlich mit sich bringt.

In dieser Situation ambivalenter Erfolge kommt der Reihe Systemische Horizonte – Theorie der Praxis eine doppelte Aufgabe zu: Sie soll die Theoriearbeit vorantreiben – und die Welt der Praxis durch ein gleichermaßen strenges und wildes Denken herausfordern. Hier wird der Wechsel der Perspektiven und Beobachtungsweisen als ein Denkstil vorgeschlagen, der Kreativität begünstigt.

Es gilt, die eigene Intelligenz an den Schnittstellen und in den Zwischenwelten zu erproben: zwischen Wissenschaft und Anwendung, zwischen Geistes- und Naturwissenschaft, zwischen Philosophie und Neurobiologie. Ausgangspunkt der experimentellen Erkundungen und essayistischen Streifzüge, der kanonischen Texte und leichthändig formulierten Dialoge ist die Einsicht: Theorie braucht man dann, wenn sie überflüssig geworden zu sein scheint – als Anlass zum Neu- und Andersdenken, als Horizonterweiterung und inspirierende Irritation, die dabei hilft, eigene Gewissheiten und letzte Wahrheiten, große und kleine Ideologien so lange zu drehen und zu wenden, bis sie unscharfe Ränder bekommen – und man mehr sieht als zuvor.

Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen

George Lakoff/Elisabeth Wehling

Auf leisen Sohlen ins Gehirn

Politische Sprache und ihre heimliche Macht

Vierte, um ein aktuelles Nachwort ergänzte Auflage, 2016

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Friedrichshafen)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Potsdam)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Themenreihe »Systemische Horizonte«,

hrsg. von Bernhard Pörksen

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Vierte, um ein aktuelles Nachwort ergänzte Auflage, 2016

ISBN 978-3-8497-0141-3

© 2008, 2016 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

© 2007 George Lakoff und Eva Elisabeth Wehling

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBookausgabe: ISBN 978-3-8497-8018-0

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69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0

Fax +49 6221 6438-22

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Inhalt

Vorwort

1. Auf leisen Sohlen ins Gehirn: Denken in Metaphern

1.1 Die heimlichen »Machthaber«: Was wir denken, über unser Denken zu wissen

1.2 Metaphorisches Denken ist physisch – So gelangen Metaphern in unser Gehirn

1.3 Metaphorisches Denken ist unvermeidbar: Diskussion ist nicht gleich Diskussion

1.4 Metaphorisches Denken ist unbewusst: Denn sie wissen nicht, was sie denken

1.5 Eine Metapher kommt selten allein: Warum wir Dinge unterschiedlich wahrnehmen

1.6 Das kulturelle Gehirn: Weshalb Menschen nicht gleich denken können

1.7 Geheime Selektoren: Wie Metaphern darüber bestimmen, was wir nicht denken

1.8 Handeln in Metaphern: Denn wir tun, was wir denken

1.9 Auf leisen Sohlen ins Gehirn: Metaphern in der politischen Sprache

2. Die Nation als Familie: »Wenn dein Baby nachts schreit, nimmst du es hoch?«

2.1Reine Gewissen und niedere Taten: Wie Metaphern unser Denken über Moral strukturieren

2.2Vaterland und Haushaltsplan: Die Nation als Familie

2.3 Familienwerte und Politik: »Wenn dein Baby nachts schreit, nimmst du es hoch?«

3. Moralische Politik: Strenge Väter und fürsorgliche Eltern

3.1 Strenge Väter der Nation: Das konservative Familienmodell

3.2 Die Stärksten überleben: Die Fehlinterpretation Darwins

3.3Die »unsichtbare Hand« des Adam Smith: Moralische Märkte

3.4 Fürsorgliche Eltern der Nation: Das progressive Familienmodell

3.5 Moralische Steuern: Das »Commonwealth-Prinzip«

3.6 Idealisierte Realität: Strenge Mütter und fürsorgliche Väter

4. Bi-Conceptuals: Doppelmoral im Gehirn

4.1 Die Physiologie zweier Konzepte: Autorität und Empathie

4.2 Denken in zweierlei Metaphern: Konservative und progressive Weltsicht

4.3 Moral mal zwei: Bi-Conceptuals

5. Rationalismus, Rest in Peace: Warum wir Werte wählen

5.1 Das Reagan-Phänomen: Wie einer auszog, gegen politische Interessen zu gewinnen

5.2 »Alle Mann zurück!«: Warum es keine politische Mitte gibt

5.3 Rationalismus: Der Mythos vom vernünftigen Wähler

5.4 Fakten, Fakten, Fakten: … und warum ihnen der Weg in unser Gehirn verschlossen bleibt

6. Politisches Framing: »Wert-volle« Worte

6.1 Das ignorante Gehirn: Fakten und Frames

6.2 Der Hund, der auch ein Mann ist, aber nie beides: Frames bestimmen, was wir sehen

6.3 »Denkt nicht an einen Elefanten!«: Sprachliches Negieren von Frames

6.4 Lastende Steuern: Der konservative Frame von der »Steuererleichterung«

6.5 Worüber debattieren wir eigentlich?: Issue Defining Frames

6.6 Werte, von denen man wissen muss: Konservativer und progressiver Common Sense

6.7 Das manipulierte Gehirn: Propaganda, politischer Spin und ehrliches Framing

7. Bad Boys und Dad’s Boys: Außenpolitik in Metaphern

7.1 Kinder, hört auf euren Vater: Metaphern und internationale Politik

7.2 Die vernünftige Nation: Außenpolitik aus Eigeninteresse

7.3 Eine Frage des Prinzips: Konservative US-Außenpolitik und die Vereinten Nationen

7.4 Aus den Augen, aus dem Sinn: Die menschenblinde Metapher

8. Die »Achse des Bösen« und ihr Geschwisterkind: Frames der konservativen US-Außenpolitik

8.1 Aus drei mach eins, und mach es böse: Der Frame von der »Achse«

8.2 »Sind Sie mit uns, oder sind Sie mit den Terroristen?«: Eine Frage der Willenskraft

9. Damit ihr euch fürchtet: »Habt bloß keine Angst!«: Wie der Terror in unser Gehirn gelangt

9.1 »Räuchert sie aus ihren Löchern!«: Als Terrorismus in unseren Köpfen zur Seuche wurde

9.2 Der Verbrecher, der in (seiner) Wirklichkeit ein Idealist war: Im Kopf des Terroristen

9.3 Damit ihr euch fürchtet: »Habt bloß keine Angst!« – Die große Wirkung des Wortes »Terror«

9.4 Der Tod der Towers: Wie die Todesflieger vom 11. September 2001 Menschen auf der ganzen Welt »wehtaten«

10. … und plötzlich war es Krieg: Die Erfolgsgeschichte einer Todesmetapher

10.1 Ein Anschlag macht noch keinen Krieg: Die Metapher vom Krieg gegen den Terror

10.2 Eine unendliche Geschichte: Der Krieg, der nie gewonnen werden konnte, weil er keiner war

10.3 Was auch immer Sie tun, sagen Sie niemals: »Ich bin gegen den ›Krieg gegen den Terror‹!«

10.4 Der Diktator aus dem Erdloch: Die Festnahme Saddam Husseins und der Irak-Krieg

10.5 Die Zwillingsgeburt des gerechten Krieges: Wie Krieg zur moralischen Pflicht wird

11. Ihr seid frei: Demokratie im Irak

11.1 Frei, euch um euch selbst zu kümmern: Die neokonservative »Freier-Markt«-Freiheit

11.2 »Father knows best«: Die Disziplinierung des Irak

11.3 Da war doch noch …: Demokratie und Bürgerbeteiligung

12. »God bless America«: Religion und Politik

12.1 »Vater unser …«: Metaphern für Gott

12.2 Moralische Religion: Wie Gottes Gebote in unserem Gehirn entstehen

12.3 Abraham und Isaak: … und die Moral von der Geschicht’?

12.4 Religiöse Politik: Um wessen Gottes willen?

12.5 Gottes bessere Söhne: Die Metapher von der Bibeltreue

12.6 Toleranz und Intoleranz: Eine Frage religiöser Werte

13. Im Land der zwei Freiheiten: Warum wir hören, was wir denken

13.1 Freiheit ist nicht Freiheit: Ein Wort, das keine (einzige) Bedeutung hat

13.2Leere Worte und bedeutungsvolle Texte: Metaphern für Kommunikation

13.3 Realistische Kommunikation: Die Welt in unserem Gehirn

13.4 Der notwendige Ideenstreit: Essentially Contested Concepts

13.5 Im Namen zweier Freiheiten: Essentially Contested Concepts und politische Kommunikation

14. »Es war einmal …«: Das Märchen vom objektiven Journalismus

14.1 Objektive Berichterstattung: Anspruch und Wirklichkeit

14.2 Die Wächter gedanklicher Freiheit: Bewusster Journalismus

Nachwort

Nachwort zur zweiten Auflage

Nachwort zur vierten Auflage

Über die Autoren

Für Kathleen

und

für Eve

Vorwort

Als Beauftragter für die Freiheit der Medien der OSZE habe ich mich sechs Jahre lang für Medienfreiheit und eine unabhängige, pluralistische Berichterstattung in den Mitgliedsstaaten eingesetzt. Augenscheinliche Gefährdungen der freien Berichterstattung gab und gibt es in vieler Form: Wir sehen sie in der Ermordung regimekritischer Journalisten in Russland wie in der Vermengung medialer und politischer Macht in Italien unter dem früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Es wäre aber leichtfertig, zu glauben, die Gefährdung unabhängiger Berichterstattung zeige sich immer in solch unverkennbarer Form. Eine ganz subtile Gefährdung liegt vor allem in dem gezielt der Presse und der Öffentlichkeit angebotenen politischen Sprachgebrauch.

Politischer Sprachgebrauch und Medienfreiheit hängen eng zusammen. Unabhängige Berichterstattung bedeutet nicht nur die institutionalisierte Freiheit der Medien als »vierte Gewalt« im Staat. Sie bedeutet darüber hinaus die Freiheit des Journalismus von den Sprachschaffungen politischer Akteure. Eine solche sprachliche Unabhängigkeit setzt voraus, dass sich Journalisten der in der Politik benutzten Sprache und ihrer weitreichenden Wirkung bewusst sind. Medienfreiheit ist immer auch Freiheit von – vordergründiger oder hintergründiger – politischer »Sprachdoktrin«.

In diesem Buch stellen George Lakoff und Elisabeth Wehling ein theoretisches Rüstzeug vor, mit dem sich die Wirkungskraft politischer Sprache auf unser Denken und Handeln völlig neu erschließen lässt. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema hat es in der Form und Ausführlichkeit in Deutschland noch nicht gegeben. Vieles von dem, was George Lakoffs Analyse leistet, haben wir aber bereits intuitiv begriffen.

Als ich erstmals im Manuskript zu diesem Buch las, sah ich mich in die Zeit nach dem 11. September 2001 zurückversetzt und erinnerte mich an meine Reaktion auf die Ereignisse in New York und Washington, DC. Als ich unmittelbar nach dem 11. September 2001 als Beauftragter der OSZE in die USA flog, sagte ich unseren Mitarbeitern: »Übernehmt nicht die Sprache der US-Regierung, sprecht nicht von ›Terrorismus‹ oder einem ›Krieg gegen den Terror‹. Sprecht stattdessen von einem ›kriminellen Akt‹.«

Ich erinnere mich an ein Zeitungsinterview, das ich zwei Monate später einer französischen Journalistin der Le Monde gab. Damals sagte ich:

»Nach dem 11. September habe ich die Menschen in meinem Wiener Büro gebeten, nicht das Wort ›Terrorist‹ zu gebrauchen. Es ist ein gefährliches Wort: Es kann jeden Beliebigen brandmarken, ganz egal, ob man ihn mit einem kriminellen Akt in Verbindung bringen kann oder nicht. Sie können den Finger auf einen ›Feind‹ richten, ohne ins Detail zu gehen. Jede Ungenauigkeit ermutigt Menschen dazu, alles in dieselbe Schublade zu stecken, und lizenziert Exzesse. Die Medien sind in einem bestimmten Maß mitverantwortlich: Sie hätten bin Laden als einen kriminellen Attentäter bezeichnen sollen, anstatt den ausgelegten Köder mitsamt Leine zu schlucken und die ›Terrorismus‹-Geschichte nachzubeten.«1

Viele von uns wussten also durchaus, welche Bedeutung der Sprachgebrauch für das politische Bewusstsein und die sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten hat – und das auch nicht erst seit dem 11. September 2001. Bisher fehlte aber eine Theorie, die uns die dahinterstehenden Mechanismen deutlich hätte vor Augen führen können. Dies mag übrigens auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die von der Bush-Administration verwendete Sprache nicht konsequent genug hinterfragt und kaum alternative Formulierungen angeboten wurden, weder von der politischen Opposition in den USA noch innerhalb der europäischen Politik oder des professionellen politischen Journalismus. Eine ausreichende öffentliche Diskussion des politischen Sprachgebrauchs fand nicht statt – nicht in den USA, nicht in Europa.

Die OSZE und andere internationale Institutionen haben umgehend nach dem 11. September 2001 begonnen, vor einer Beeinträchtigung der freien Berichterstattung zu warnen. Im Jahrbuch 2002 der OSZE habe ich wiederholt auf die Gefahrenlage für den professionellen Journalismus hingewiesen.

Manche US-amerikanische Journalisten schafften es, trotz des Schocks vom 11. September 2001 eine pluralistische Sicht auf die Geschehnisse und ihre Auswirkungen aufrechtzuerhalten. Andere – und deren zu viele – griffen bereitwillig das von ihrer Regierung verbal erschaffene Kriegsszenario auf. Ein Szenario, das seiner Natur nach oft keinerlei Raum für Differenzierungen bietet. Sobald es einen kollektiven Feind gibt, reduziert sich die Welt auf zwei Lager: »Gut« und »Böse«.

Bis zum heutigen Tage herrscht in der Rhetorik der US-Regierung eine gedankliche Unterteilung der Welt in »Gut« und »Böse« vor, und ihre Kriegspolitik ist zu wesentlichen Teilen – gedanklich und verbal – religiös organisiert. Die Gut-Böse-Haltung entspricht aber nicht einer Demokratie, die von einer Vielfalt an Meinungen lebt.

In der BAWAG-Anthologie2Welt Macht Krieg habe ich mich aus aktuellem Anlass – die USA zogen gegen den Irak in den Krieg – in dem Aufsatz Körpersprache im 21. Jahrhundert zwischen Macht und Herrlichkeit mit diesem Thema befasst:

»Schon in den Moskauer Salons vor zweihundert Jahren wurde der Krieg gegen Napoleon auf den angeblich religiösen Kern zusammengeschmolzen. Tolstoi lässt gleich auf der ersten Seite seines Großwerkes Krieg und Frieden eine Vertraute der Kaiserin gegenüber einem Anhänger Napoleons ausrufen: ›Wenn ihr nicht zugebt, dass der Krieg eine Notwendigkeit ist, wenn ihr fortfahrt, all die Gräueltaten dieses Antichristen – wirklich, ich glaube er ist der Antichrist – zu verteidigen, so kenne ich euch nicht mehr.‹

Präsident Bush hat das vortrefflich auf den Punkt gebracht nach dem 11. September. Da hatten religiös motivierte Kriminelle (wahrscheinlich aus Ägypten und Saudi-Arabien) ein furchtbares Verbrechen begangen: über dreitausend Menschen umgebracht, riesige Gebäude in Schutt und Asche gelegt, eine Stadt geschockt, ein ganzes Land in Schrecken versetzt. Der Präsident zog diese Kriminellen sofort auf die religiöse Augenhöhe uralter Glaubenskriege: Sie waren die Bösen an sich. Aus einem Verbrechen war ein religiöser Krieg geworden, aus den Verbrechern die Vertreter des Bösen.«

In lebendigem Gespräch gewähren uns George Lakoff und Elisabeth Wehling jetzt einen Blick in unser »politisches Gehirn« und zeigen dabei auf, was wir »eigentlich« schon immer gewusst haben: Entscheidend für unser politisches Handeln sind in hohem Maße die Begriffe, in denen wir über Politik denken und sprechen.

Freimut DuveHamburg, im Juli 2007

1 F. Amalou: »Freimut Duve évoque ›un syndrome patriotique post-Vietnam‹ aux États-Unis.« Le Monde, 7.11.2001.

2BAWAG: Bank für Arbeit und Wissenschaft AG, Wien.

1. Auf leisen Sohlen ins Gehirn: Denken in Metaphern

1.1 Die heimlichen »Machthaber«: Was wir denken, über unser Denken zu wissen

Mit den Worten »Metaphern können töten«3 begannen Sie am 18. März 2003 einen Artikel über den bevorstehenden US-amerikanischen Krieg gegen den Irak. Wie kommen Sie dazu, der Metapher – die doch gemeinhin als eine eher harmlose Form poetischer Sprache begriffen wird – derlei Macht zuzuschreiben?4

Es hat damit zu tun, wie unser Gehirn funktioniert. Wir alle begreifen die Welt zu einem großen Teil in Form von Metaphern – und sind uns dessen nicht bewusst. Metaphern können in unseren Köpfen politische »Wahrheiten« schaffen und darüber bestimmen, wie wir – als Individuen oder als Nation – politisch handeln. Und metaphorischer Sprachgebrauch in der politischen Debatte schafft Realitäten in den Köpfen der Hörer, ohne dass sie es bemerken. Die meisten Menschen auf der Welt teilen nämlich ein Problem: Sie haben Annahmen über ihr eigenes Denken und Sprechen, die vollkommen falsch sind.

Metaphern in der politischen Debatte können also bestimmen, was wir denken – weil wir überhaupt nicht wissen, wie wir eigentlich denken?

Genau. Lassen Sie mich Ihnen die vier größten Fehlannahmen über das menschliche Denken nennen.

Erstens: Denken ist ein bewusster Prozess. Falsch! Gut 80 Prozent unseres Denkens sind uns nicht bewusst.

Zweitens: Der menschliche Geist ist eine Instanz unabhängig von unserem Körper. Falsch! Alles Denken ist physisch. Die Form unseres Denkens hängt von den physischen Beschaffenheiten unserer Gehirne ab.

Drittens: Denken ist universell, alle Menschen können gleich denken. Falsch! Menschen begreifen die Welt unterschiedlich, weil unsere Gehirne unterschiedlich geformt sind.

Viertens: Wir können alle Dinge in der Welt gedanklich so erfassen, wie sie an sich existieren. Sprache kann demnach »buchstäblich« sein. Falsch! Wir denken und sprechen jeden Tag hundertfach in Metaphern, ohne uns dessen bewusst zu sein. Abstrakte Ideen zum Beispiel – also all diejenigen Dinge, die wir nicht direkt körperlich erfahren – können nur durch Metaphern begriffen und benannt werden.

Also, um zu verstehen, wie Metaphern unser politisches Denken und Handeln strukturieren – und im Übrigen tatsächlich töten können –, müssen wir darüber sprechen, wie menschliches Denken überhaupt funktioniert. Wie begreifen wir tagtäglich die Welt? Nun, wir begreifen sie zu einem großen Teil in Metaphern.

Und doch erschöpft sich unser traditionelles Verständnis von Metaphern in der Auffassung, sie seien ein Aspekt der Sprache. Schon Aristoteles bezeichnete die Metapher als eine Kunstform der Rhetorik.

Das ist richtig. Metaphern werden von den meisten Menschen als eine Angelegenheit der Worte verstanden. Und das nicht ohne Grund, denn diese Auffassung kennzeichnet immerhin mehr als 2500 Jahre abendländischer Wissenschaft. Nun, in den letzten Jahrzehnten hat es in der kognitiven Wissenschaft bahnbrechende Erkenntnisse über die Mechanismen menschlichen Denkens gegeben. Wir wissen heute, dass Metaphern nicht nur ein Aspekt der Sprache sind, sondern dass sie einen erheblichen Teil unserer Wahrnehmung strukturieren. Wir denken, sprechen und handeln in Metaphern.

Sprechen? Ja. Denken? Vielleicht. Aber Handeln?

Und was wäre die Grundlage unseres Handelns, wenn nicht unser Denken?

Lassen Sie mich Ihnen die Geburtsstunde der Metapherntheorie schildern. Es waren die 70er Jahre, und ich lehrte damals als junger Professor hier am Linguistics Department der University of California, Berkeley. Ich hielt ein Seminar, in dem wir uns mit metaphorischer Sprache beschäftigten. Es war Nachmittag, und es regnete in Strömen, wie so oft hier in der San Francisco Bay.

Als Hausaufgabe hatten die Studenten einige Texte über Metaphern gelesen. Eine Viertelstunde, nachdem das Seminar begonnen hatte, betrat eine meiner Studentinnen verspätet den Klassenraum, entschuldigte sich und setzte sich. Sie wirkte betrübt, versuchte aber, ihre Fassung zu wahren. Wir fuhren mit der Stunde fort, und schließlich kam sie an die Reihe, ihre Hausaufgabe vorzutragen. Nach wenigen Worten brach sie in Tränen aus. Wir fragten: »Was ist passiert?« Sie sagte: »Mein Freund hat sich gerade von mir getrennt. Er hat gesagt, unsere Beziehung stecke in einer Sackgasse.«

Ja, und?

Es war Ende der 70er Jahre, wir lebten in Berkeley und arbeiteten an der Universität, aus der heraus die »Bewegung für Meinungsfreiheit« entstanden war. In den Haights von San Francisco lebten die Hippies, und unsere kleine Stadt Berkeley war der Siedetopf der 68er-Revolte, kurzum: Es waren besondere Zeiten.

Im Geiste der Zeit ließen wir kollektiv die Bücher fallen, vertagten die Besprechung der Hausaufgaben und beriefen spontan eine Sitzung ein, um die Krise der jungen Studentin gemeinsam zu bewältigen. Einer der Studenten sagte irgendwann: »Sieh mal, dein Freund sagt, eure Beziehung stecke in einer Sackgasse. Aber wir wissen doch: Das ist nur eine Metapher. Er meint es nicht so.« »Doch«, erwiderte die Studentin, »das ist ja das Problem: Er sagt es nicht nur, sondern er denkt es!«

Dieser Moment, glauben Sie es oder nicht, revolutionierte das Verständnis von Metaphern und ihrer Rolle für unser Denken, Sprechen und Handeln.

Wollen Sie behaupten, der junge Mann trennte sich, weil er in einer Metapher dachte?

Das ist der Punkt bei dieser Geschichte. Er benutzte nicht nur eine Metapher, um seiner Freundin besonders anschaulich darzustellen, dass die Beziehung nun am Ende angelangt sei. Sondern er dachte in dieser Metapher: Er dachte in einer Metapher, die eine Liebesbeziehung als eine gemeinsame Reise begreift. Und in Einklang mit dieser Metapher begriff er die Beziehung als in einer Sackgasse steckend. Sie kam nicht länger voran – also handelte er dementsprechend. Er stieg aus der Beziehung aus. Er trennte sich.

Was ist aus Ihrer Studentin geworden?

Wir haben noch immer Kontakt zueinander. Sie ist mittlerweile glücklich verheiratet – mit einem anderen Mann.

1.2 Metaphorisches Denken ist physisch: So gelangen Metaphern in unser Gehirn

Wie kommt es dazu, dass wir in Metaphern denken?

Es hat damit zu tun, wie unsere Gehirne funktionieren. Wir lernen automatisch eine Fülle von Metaphern, während wir aufwachsen.

Auf der ganzen Welt und in jeder Kultur findet sich zum Beispiel die Metapher mehr ist oben und weniger ist unten. Wir sprechen davon, dass Preise steigen oder fallen. Aktien können in den Himmel schießen oder in den Keller stürzen. Wir haben nicht die Metapher mehr ist unten und weniger ist oben. Wir würden also nie sagen: »Der Preis ist gefallen«, und damit meinen, dass etwas teurer geworden ist. Wir haben auch nicht etwa die Metapher mehr ist links und weniger ist rechts. Wir sagen nicht: »Endlich gehen die Preise wieder nach rechts«, um zu sagen, dass etwas billiger geworden ist.

Dann steigen Preise nicht in Wirklichkeit, sondern nur in unseren Köpfen?

Korrekt. Preise steigen nur in unseren Köpfen. Was ein Preis tatsächlich macht, ist, dass er mehr wird. Preise sind ein Phänomen der Quantität. Wir begreifen sie als steigend oder fallend, weil wir in der Metapher mehr ist oben denken.

Die interessante Frage ist: Weshalb denken wir überhaupt in dieser Metapher? Nun, der Grund liegt in unseren alltäglichen Erfahrungen in der Welt. Wenn man zum Beispiel Wasser in ein Glas gießt, dann steigt der Wasserspiegel. Je mehr Wasser Sie in den Behälter fließen lassen, desto höher steigt es. Wenn man Bücher auf einem Tisch stapelt, dann steigt der Stapel, je mehr Bücher man hinzufügt. Wir alle teilen diese Erfahrung einer Wechselbeziehung zwischen Vertikalität, also Höhe, und Quantität, also Menge.

Beide Konzepte werden an verschiedenen Orten in unserem Gehirn registriert. Vertikalität wird in einem Bereich registriert, der mit unserer Orientierung in der Welt zu tun hat. Quantität wird in dem Teil unseres Gehirnes erfasst, der mit dem Begreifen von Zahlen und Mengen zu tun hat. Die zwei Bereiche liegen in unseren Gehirnen noch nicht einmal nebeneinander. Dennoch gibt es neuronale Verbindungen zwischen ihnen, also Verbindungen in Form von Nervenzellen.

Ist alles Denken metaphorisch?

Nein. Nehmen wir das Beispiel vom Wasserspiegel, der umso höher steigt, je mehr Flüssigkeit man in ein Glas gibt. Nun, der Wasserspiegel steigt tatsächlich. Wir können sagen: »Der Wasserspiegel ist gestiegen.« Das ist kein metaphorisches Denken. Wenn wir aber sagen: »Die Preise sind gestiegen«, oder: »Trotz meiner Diät ist mein Gewicht nicht runtergegangen«, dann denken und sprechen wir in Metaphern. Unser Gehirn hat sie auf Grund unserer Erfahrungen physisch gelernt.

Also führen unsere Erfahrungen in der Welt zu physischen Veränderungen in unseren Gehirnen?

Genau. Zunächst einmal, alles Denken ist physisch. Wir begreifen die Welt mit unseren Gehirnen, die Teil unserer Körper sind. Alle Denkprozesse sind immer physische Prozesse. Und Metaphern sind physisch im Gehirn vorhanden. Die interessante Frage ist: Was bestimmt die Beschaffenheit unserer Gehirne? Die Antwort auf diese Frage lautet: unsere Erfahrungen in der Welt.

Sehen Sie, wenn wir geboren werden, dann haben wir eine ganze Fülle von zufälligen neuronalen Verbindungen in unseren Gehirnen. Und während wir aufwachsen, zwischen unserer Geburt und dem Alter von etwa fünf Jahren, verlieren wir die Hälfte dieser Verbindungen.

In den ersten fünf Jahren unseres Lebens soll sich unsere Fähigkeit zu denken halbieren?

Das ist nicht der Punkt bei der Sache. Unser Denkvermögen halbiert sich nicht, sondern es formt sich. Die Frage lautet nicht: Wie viel können wir denken?, sondern: Wie werden wir denken?

Wenn wir geboren werden, haben wir also eine riesige Menge zufälliger neuronaler Verbindungen. Unser Gehirn »wimmelt« förmlich von ihnen. Und indem wir aufwachsen, geht uns die Hälfte von ihnen verloren. Das Problem ist: Wer oder was entscheidet darüber, welche Verbindungen bleiben und welche nicht? Die Lösung lautet: unsere Erfahrung. Diejenigen Verbindungen, die im Gehirn aktiviert werden, weil sie zu unseren Erfahrungen passen, werden gestärkt. Die übrigen Verbindungen werden geschwächt.

Vor meinem geistigen Auge entsteht folgendes Bild: Unsere Erfahrungen langen gleich einer unsichtbaren Hand in unser Gehirn und formen es, ohne dass wir etwas davon mitbekämen.

Nun, das ist ein ganz hübsches Bild, das Sie da vorschlagen. Aber in der Realität formen Erfahrungen unser Denkvermögen folgendermaßen: Je häufiger eine Synapse genutzt wird, umso mehr chemische Rezeptoren für Neurotransmitter, den Botenstoff, wandern zu dieser Synapse. Das bezeichnen wir als »Stärkung« der Synapse. Und je »stärker« eine Synapse auf diese Weise geworden ist, desto leichter werden die Neuronen aktiviert.

Wenn nun zwei Bereiche des Gehirns gleichzeitig aktiv sind, wie in unserem Beispiel von Vertikalität und Quantität, so tendieren wir dazu, zwischen beiden eine neuronale Verbindung zu bekommen. Ein Slogan in der Neurowissenschaft heißt: »Fire together, wire together!«, also: Die Neuronen »feuern zusammen« und »verdrahten sich« dadurch.

Und je häufiger eine Verknüpfung aktiviert wird, desto stärker wird die neuronale Verbindung zweier Ideen, je seltener, desto schwächer.

1.3 Metaphorisches Denken ist unvermeidbar: Diskussion ist nicht gleich Diskussion

Zugespitzt dürfte das bedeuten: Wir entscheiden nicht frei über unser Denken, sondern es ist zu einem großen Teil physisch vorbestimmt, auf welche Art zu denken wir überhaupt fähig sind.

Exakt. Kommen wir zurück auf unser Beispiel von der Metapher mehr ist oben. Wir denken in dieser Metapher, weil wir jeden Tag eine Vielzahl von Beispielen erleben, in denen Quantität und Vertikalität zusammen auftreten. Wir lernen eine neuronale Verbindung. Wir werden in dieser Form denken, ob wir es wollen oder nicht.

Wir alle lernen automatisch ein höchst komplexes Metaphernsystem. Manche Metaphern sind einfach. Andere Metaphern sind komplex und setzen sich aus mehreren Metaphern zusammen. Ein Beispiel für das Denken in Form einer einfachen Metapher ist Diskussion ist physische Auseinandersetzung5: Man kann als Überlegener oder Unterlegener aus einer Diskussion hervorgehen. Man kann schlagende Argumente haben. Wir ringen um den Ausgang eines Gesprächs.

Ein Streitgespräch und ein physischer Kampf weisen aber doch tatsächlich Parallelen auf: Einer gewinnt, der andere verliert. Entleihen wir nicht einfach Redewendungen, um möglichst anschaulich über eine Diskussion zu sprechen?

Eben nicht. Wir sprechen über Diskussionen als Kampf, weil wir über sie als Kampf denken. Wie kommen wir zu dieser Metapher? Nun, als Kind argumentieren wir mit unseren Eltern, während oft gleichzeitig ein körperliches Ringen um den Ausgang der Situation stattfindet. Die Eltern wollen, dass das Kind eine bestimmte Sache tut oder an einem bestimmten Ort bleibt. Sie halten es fest und sagen: »Nein, halt, hiergeblieben!« Das Kind ringt mit seinen Eltern und argumentiert dabei: »Ich will aber spielen gehen!«

Die erfahrene Wechselbeziehung zwischen körperlicher und verbaler Auseinandersetzung führt dazu, dass unser Gehirn die Metapher Diskussion ist physische Auseinandersetzung lernt. Eine einfache Metapher, die auf Wechselbeziehungen in unserer direkten Erfahrung basiert.

In dem Buch Leben in Metaphern6sprechen Sie von einer anderen Metapher für Diskussion, nämlich Diskussion ist Krieg. Diese Metapher wurde vielfach zitiert und weltweit schnell zum Paradebeispiel der Metapherntheorie.

Sehen Sie, als Mark Johnson und ich 1980 die Metapherntheorie erstmals skizzierten, da haben wir nicht auf Anhieb alle Metaphern richtig getroffen.

Tatsächlich gibt es die Metapher Diskussion ist Krieg. Wir sprechen zum Beispiel vom Positionieren in Debatten. Man kann sich Wortgefechte liefern. Man kann, metaphorisch, mit Worten schießen. Doch wir wissen heute, dass diese Metapher ein spezieller Fall der einfachen Metapher Diskussion ist physische Auseinandersetzung ist.

Mit Worten zu schießen scheint mir eine weit hergeholte Idee zu sein.

Sie irren sich. Wir alle begreifen Worte metaphorisch als Waffen. Wir sprechen davon, mit Bemerkungen auf etwas abzuzielen. Wir können Menschen mit unseren Worten treffen oder verletzen. Und Sie werden kaum zählen können, wie oft Sie in Ihrem Leben jemanden zum Reden aufgefordert haben, indem Sie sagten: »Schießen Sie los!«

Nun, die komplexe Metapher Diskussion ist Krieg setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Wie begreifen wir Kriege? In Form von Metaphern! In unseren Köpfen ist ein Krieg – metaphorisch – der Kampf zwischen zwei Nationen. Können Nationen tatsächlich physisch miteinander ringen? Nein. Aber wir alle kennen die Metapher Nationen sind Personen: Nationen führen Gespräche miteinander, können freundschaftlich verbunden oder Todfeinde sein. Wir sprechen von Nachbarstaaten und Schurkenstaaten. Das sind nur einige Beispiele für die wichtige Metapher Nationen sind Personen.

Nun, die physische Kraft von Personen wird gedanklich auf die Militärkraft einer Nation übertragen, wir haben die Metapher Militärkraft ist physische Kraft: Einige Länder haben mehr militärische Stärke als andere, ein Land kann durch einen Krieg geschwächt sein.

Ein Krieg ist in unseren Köpfen also ein physisches Ringen zwischen zwei Nationen als Personen. Verbunden mit unserer einfachen Metapher Diskussion ist physische Auseinandersetzung bekommen wir die komplexe Metapher Diskussion ist Krieg.

Wie wäre es mit: Diskussion ist Diskussion?

Versuchen Sie es ruhig einmal damit. Aber versprechen Sie sich keinen allzu großen Erfolg. Der Gebrauch von Metaphern ist unvermeidbar. Wir können uns nicht den physischen Beschaffenheiten unseres Gehirns widersetzen und sagen: »Ich werde nicht in dieser Metapher denken!« Es passiert automatisch.

In unseren Gehirnen ringen wir nun einmal miteinander, wenn wir argumentieren. Das ist der Punkt. Diskussion kann nicht einfach Diskussion sein, genauso wenig wie Quantität einfach Quantität sein kann. Weil wir bestimmte Erfahrungen gemacht haben.

Dennoch geht der Mensch davon aus, dass es möglich ist, Dinge gedanklich so zu benennen, wie sie »an sich« existieren. Ich zitiere John Locke: »Metaphern sind mit Sicherheit in allen Diskursen, die angeben, zu informieren oder zu lehren, komplett zu vermeiden; und wo es um Wahrheit und Wissen geht, können sie nur als großer Fehler verstanden werden, entweder der Sprache oder der Person, die sie benutzt.«

Nun, John Locke ging davon aus, dass es eine Wirklichkeit »an sich« gibt, dass die Welt objektiv erfassbar ist und wir alle buchstäblich denken und sprechen können. Diese Annahme von objektiven Wahrheiten in der Welt ist schlichtweg falsch. Wir begreifen die Welt zu großem Teil durch Metaphern und andere mentale Konzepte. Was tun wir Menschen also, indem wir denken und miteinander kommunizieren? Wir benennen viele Dinge so, wie sie für uns in unseren Gehirnen vorhanden sind: in metaphorischer Form. Unsere gedankliche Realität – das, was für uns »Wahrheit« ist – ist zu einem erheblichen Teil metaphorisch.

Unser Denken über abstrakte Ideen etwa ist ohne Metaphern praktisch nicht möglich. Nehmen wir als Beispiel die Idee von Menschenfreundlichkeit oder Wohlwollen, anders ausgedrückt: Zuneigung. Und schon dies ist ja eine Metapher, wenn man es genau nimmt. Eine Person, die Menschen grundsätzlich besonders zugeneigt ist, bezeichnen wir als warmherzig. Jemand kann ein kaltes Herz haben. Sie können sich für jemanden erwärmen. Menschen können Zeit brauchen, um miteinander warmzuwerden. Diplomatische Beziehungen zwischen zwei Ländern, metaphorisch Personen, können erkalten.

Wir haben also eine Metapher für eine ziemlich abstrakte Idee, die Idee der Zuneigung. Diese Metapher lautet Zuneigung ist Wärme. Weshalb? Nun, wenn wir als Kind von unseren Eltern im Arm gehalten werden, dann spüren wir Wärme. Und wir spüren Zuneigung. Wir erleben also – immer und immer wieder – physische Wärme und emotionale Zuneigung gleichzeitig. Die emotionalen Regionen in unserem Gehirn sind aktiv, und die Regionen zur Erfassung von Temperatur sind aktiv. Sie liegen an verschiedenen Orten im Gehirn. Wir »lernen« Verbindungen zwischen beiden. Es ist keine rationale Entscheidung. Wir merken noch nicht einmal, dass es passiert. Es passiert einfach.

Und ebenso verhält es sich mit der Metapher Diskussion ist physische Auseinandersetzung. Wir entscheiden uns nicht dafür, auf diese Weise über das Diskutieren zu denken. Wir tun es automatisch. Es ist Teil unseres unbewussten Denkens.

1.4 Metaphorisches Denken ist unbewusst: Denn sie wissen nicht, was sie denken

Sie sagen: »Metaphern sind Teil unseres unbewussten Denkens«, und der Leser wird ausrufen: »Meines unbewussten Denkens? Aber ich weiß doch, was ich denke!«

Und ich antworte Ihrem gedanklich herbeigeholten Leser: »Nein, ich muss Sie enttäuschen. Das wissen Sie nicht. Gut 80 Prozent Ihres Denkens sind Ihnen – wie jedem Menschen auf dieser Welt – vollkommen unbewusst.«

Wie kann metaphorisches Denken für unser alltägliches Weltverständnis grundlegend sein, wenn es uns nicht bewusst ist?

Unbewusstes Denken im Sinne der kognitiven Wissenschaft bezeichnet denjenigen Teil unseres Denkens, den wir einfach nicht bewusst wahrnehmen, nicht reflektieren und daher nicht kontrollieren. Sehen Sie, wenn wir denken, dann benutzen wir dazu ein höchst komplexes System von mentalen Konzepten – und zwar ohne zu kontrollieren, wie sie unser Begreifen von Dingen steuern.

Damit wir vernünftig denken können, müsste doch in unseren Gehirnen ein gewisses Maß an Ordnung und Übersichtlichkeit herrschen. Wie kann man einen Gedanken fassen, ohne sich seiner bewusst zu sein?

Die Frage müsste lauten: Wie könnte man es jemals schaffen, sich die mentalen Konzepte hinter jedem seiner Gedanken klarzumachen?

Sie haben mich eben gefragt, wie man einen Gedanken fassen kann, ohne sich die relevanten mentalen Konzepte zu verdeutlichen.

Haben Sie sich dabei bewusstgemacht, dass Sie die Metapher Gedanken sind Objekte benutzen? Und dass Sie, indem Sie »einen Gedanken fassen«, zum Akteur werden, der diese Objekte metaphorisch handhabt? Dass wir auf Grund dieser Metapher darüber sprechen, Gedanken griffig zu formulieren, zu fassen, auszutauschen oder zu begraben? Haben Sie sich bewusstgemacht, dass man Gedanken auch anders begreifen kann, etwa durch die Metapher Gedanken sind Nahrungsmittel, indem wir Gedanken verdauen, ausspucken und daran knabbern? Indem wir uns gegenseitig Feedback geben, was wörtlich ins Deutsche übersetzt »Zurückfüttern« heißt?

Haben Sie überlegt, vielleicht die Metapher Gedanken sind Orte zu benutzen, die dazu führt, dass wir von einem Gedanken zum anderen springen, uns von Gedanken distanzieren oder endlich zu einem guten Gedanken kommen? Und dass wir, manchmal nur Schritt für Schritt, schwierige Gedankengänge nachvollziehen können?

Haben Sie all diese Dinge bewusst durchdacht? Ich glaube, nicht. Wir hätten lange warten müssen, bis Sie Ihre Frage formuliert hätten.