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Beate Baum

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Beschreibung

Erfurt, September 1991. Eine Stadt im Umbruch. Die junge Journalistin Kirsten Bertram kommt aus dem Ruhrgebiet zum neu entstandenen »Tageskurier«. Alltag und Arbeit sind gleichermaßen spannend, und es gibt einen neuen Mann in ihrem Leben, den Privatdetektiv Dale Ingram. Kirstens Kollege Andreas Rönn recherchiert das Verschwinden von unbedarften jungen Frauen bei einer Stripteaseshow. Als er eine heiße Spur hat, wird der Veranstalter umgebracht, und Andreas steht als Verdächtiger dar. Natürlich will Kirsten ihm helfen, aber es ist kompliziert: gerade erst hat sie sich wegen Dale von Andreas getrennt. »Der Roman ist mehr als ein Krimi. Die Nachwendezeit wird noch einmal lebendig.« MDR Thüringen

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Inhaltsverzeichnis

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

Nachwort

Impressum

EINS

»Kirsten, kommst du mal eben? Du hast doch noch einen Moment Zeit, oder?«

»So gerade.« Ich war auf dem Sprung zum Rathaus, was Thomas, der Lokalchef des Erfurter Tageskurier, sehr wohl wusste.

Gemeinsam gingen wir in das Büro der Chefin vom Dienst. Heidrun Graf, »die Gräfin«, tauchte montags immer erst gegen Mittag auf. Der kleine, mit einem Metallschreibtisch, zwei Stühlen und einem Aktenschrank spartanisch eingerichtete Raum war einer der wenigen Orte in der Redaktion, wo man ungestört unter vier Augen reden konnte. Thomas brachte seine hochgewachsene Gestalt auf dem Platz der Gräfin unter, ich setzte mich ihm gegenüber, unbehaglich, weil ich eine Ahnung hatte, worüber er mit mir reden wollte. Die Morgensonne schien warm durch das schmale, hohe Holzfenster auf den Tisch, der mit Unterlagen übersät war. Thomas schob einige Papiere zur Seite, schaute mich an.

»Andreas und du, ihr habt doch heute Mittag diesen Termin mit den PLT-Leuten?«

Ich nickte, wartete ab.

»Andreas hat gerade angerufen und sich krankgemeldet. Magenprobleme.«

Aufmerksam wartete er auf meine Reaktion. Ich wollte das jedoch nicht kommentieren.

»Ich kann da alleine hingehen. Die werden sich sowieso nur aus allem herauswinden«, entgegnete ich. »Dann sehen wir weiter, wenn ich ihr Statement habe.«

Thomas zögerte, wieder taxierte er mich mit seinen braunen Augen, holte dann tief Luft. »So, wie Andreas sich anhörte, ist er nicht krank, sondern hat sich einfach nur fürchterlich volllaufen lassen. Wieder einmal!«

Ich seufzte. Gern hätte ich geraucht, aber das Büro der Gräfin war Nichtraucher-Revier.

»So geht es nicht weiter! Letzte Woche ist er einmal sogar besoffen hier in der Redaktion aufgetaucht.«

Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Das hatte ich nicht mitbekommen.

»Seine Arbeit war in letzter Zeit mehr als schlampig und jetzt das. Ich muss dir wohl nicht erklären, dass man sich so was hier nicht leisten kann.«

Nein, in einer Redaktion, die, was Besetzung und technische Ausstattung anging, nicht im Mindesten gewappnet war, all die Nachwende-Wirren aufzuarbeiten, konnte man sich keinerlei Aussetzer leisten. Ich fragte nicht, warum Thomas mir diesen Vortrag hielt; ich war ja froh, dass er mir nicht die Schuld an Andys Zustand zu geben schien, deutete ein zustimmendes Schulterzucken an und hoffte, dass ich damit entlassen war, aber Thomas war noch nicht am Ende.

»Diese Prostitutionsgeschichte war von Anfang an seine Story, vielleicht kann ihn das ja aus seinem Sumpf herausholen.«

»Vielleicht, ja.« Ich blickte auf meine Armbanduhr.

»Also bitte, sprich mit ihm und wenn möglich, nimm ihn mit zu dem Termin. Er soll sich gefälligst zusammenreißen.«

Ich gab ein vage zustimmendes Geräusch von mir und beeilte mich, aus dem Büro zu kommen.

Im Rathaus stellte Oberbürgermeister Manfred Ruge einer großen Gruppe Journalisten die geplanten Veränderungen in der Innenstadt vor. Nach der Wende waren sämtliche West-Medien gen Osten aufgebrochen, und mir kam es manchmal vor, als seien die meisten Vertreter in Thüringen gelandet. Auf einem wackligen Holzstuhl zwischen dem Kollegen einer großen Wochenzeitung und der Redakteurin des ehemaligen SED-Bezirksblattes an einem Tisch eingeklemmt, machte ich mir Notizen. Dabei dachte ich, dass Ruge, mit seinem Rauschebart ein echter Vorzeige-Bürgerrechtler, eigentlich an etwas anderem als den Blumenkübeln, die er da ankündigte, gelegen sein musste. Ich verzichtete jedoch darauf nachzuhaken. Es schien überall das Gleiche zu sein: Obwohl die Konflikte nach wie vor brodelten, alles noch in Bewegung war, versuchte man, einen Status quo zu schaffen.

*

Viel zu schnell hatte ich die kurze Strecke vom Fischmarkt zu dem großen Plattenbau am Juri-Gagarin-Ring zurückgelegt. Vor dem Gespräch drücken konnte ich mich nach Thomas’ Anordnung kaum, und es telefonisch zu erledigen, war leider auch nicht möglich. Andreas hatte kein Telefon in seiner Wohnung – niemand schien hier einen Privatanschluss zu haben, er musste sich für die Krankmeldung zu einer Telefonzelle geschleppt haben.

Auf dem Klingelschild stand »Marberg«. Fast alle Westdeutschen, die ich hier kannte, wohnten in schwarz weitervermieteten Wohnungen. Ich hatte mich mit dem Nötigsten in einem Studentenwohnheim einquartiert – selbst das unter der Hand. Alle waren wir auf der Suche nach einer richtigen, schönen Wohnung, die wir legal mieten konnten. Doch die eigentlich herrlichen Altbauten waren größtenteils in einem Zustand, der einen auch mit geringen Ansprüchen davor zurückschrecken ließ, dort einzuziehen, und sonstige Wohnungen waren nur mit Beziehungen zu bekommen. Die wir nach der kurzen Zeit in der Stadt natürlich nicht hatten.

Nach dem zweiten Klingeln drang eine raue Stimme aus dem Lautsprecher:

»Ja?« Es klang mürrisch, abweisend.

»Ich bin’s, Kirsten. Lass mich rein.«

Der Türöffner summte, und ich stand in der stickigen, überheizten Eingangshalle. Zwar war es an diesen ersten Herbsttagen morgens und abends schon recht kühl, warum aber pünktlich am 22. September die Fernwärme auf volle Leistung geschaltet wurde, begriff ich nicht. Da an den einzelnen Heizkörpern keine Regler waren, hatte ich schon am Vorabend in meinem Appartement im T-Shirt geschwitzt, während das Fenster weit offen stand. Und hier wurde sogar der Hausflur beheizt!

Scheppernd trug mich der Aufzug in den neunten Stock. Vor Andreas’ Wohnungstür musste ich noch einmal klingeln. Als er öffnete, sah ich gegen das Halbdunkel der Wohnung zunächst nur seine Silhouette. Die Vorhänge der großen Fenster waren zugezogen.

»Bei einem Krankenbesuch bringt man Blumen mit. Hat deine Mutter dir das nicht beigebracht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und kehrte zurück in den Wohn-Schlafraum.

Ich folgte ihm. Alle diese Appartements waren vom gleichen »sozialistischen« Zuschnitt. Direkt neben der Wohnungstür lag das Bad, dann führte ein schmaler Flur zur Kochnische und in das Zimmer. Andreas hatte bis auf einen Korbstuhl am Fenster und den Esstisch alle Möbel seines »Vermieters« in den Keller geschafft, eigene Regale angebracht, eine breite Matratze auf den Boden gelegt und knallrote Klappstühle an den Tisch gestellt. An der einen Wand hing ein großformatiges Poster von Rosa Luxemburg, der Albert Einstein von gegenüber die Zunge herausstreckte.

Auch hier war es sehr warm, und es stank wie in einer Kneipe am Sonntagmorgen: abgestandener Alkohol und kalter Rauch. Ich schob die Ärmel meines Sweatshirts hoch.

Andy hatte sich an den Tisch gesetzt und eine Zigarette angesteckt. Er war in einem erbärmlichen Zustand, das sah ich sogar in dem diffusen Licht. Die blonden Haare wirr und strähnig, das Gesicht unrasiert, es wirkte aufgedunsen. Seine Augen, unter denen sich dunkel-violette Schatten abzeichneten, konnte ich nicht sehen, da er den Blick starr auf den Aschenbecher gerichtet hielt. Er war ein halbes Jahr jünger als ich, am ersten August hatten wir mit einem Rausch sondergleichen seinen 25. Geburtstag gefeiert. An diesem Vormittag hätte ihn jeder für weit über 30 gehalten.

Ich war unentschieden stehengeblieben, widerstand der Versuchung, Vorhänge und Fenster aufzureißen. Das Bettzeug lag in einem Knäuel auf der Matratze, der Tisch war vollgestellt mit Geschirr, Gläsern, Flaschen. Auf dem billigen Teppichboden sah ich eine Pizzaschachtel inmitten eines Zeitungsstoßes.

»Warst du beim Arzt?«

»Nein.« Er schaute nicht auf.

»Andy, verdammt noch mal, was soll das?«

»Was das soll?« Jetzt blickte er mich an, die grünen Augen unsicher, aber mit einem wütenden Ausdruck. »Was interessiert es dich? Was willst du überhaupt hier? Hau ab und amüsier dich mit deinem Bullen!«

»Vergiss es!« Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Es hatte ja keinen Sinn, schon wieder zu streiten. »Erstens ist Dale schon seit Jahren kein Polizist mehr, zweitens habe ich noch lange nicht Feierabend und du übrigens auch nicht. Wir beide haben gleich einen Termin bei PLT. Und drittens finde ich es zum Kotzen, wie du dich selbst immer weiter runterziehst.«

»Ach, ja? Also noch mal: Was interessiert’s dich?«

»Überhaupt nicht, natürlich. Es stört mich nur, dass ich für dich mitarbeiten muss.«

»Das ist dein Problem.« Er drückte die Zigarette aus, zog sofort eine neue aus der Packung und steckte sie an.

Er tat mir leid. Und ich fühlte mich schuldig. »Darf ich?«

Schweigend hielt er mir die Schachtel hin, gab dem Feuerzeug einen Stoß, mit dem es in meine Richtung rutschte.

»Andy, ich weiß, dass ich dir wehgetan habe«, sagte ich nach einem tiefen Zug leise. »Aber wir haben das nun schon so oft durchgekaut, dass ich nicht mehr weiß, was ich noch sagen soll. Seit über zwei Wochen streiten wir uns jetzt, während du dich nebenher in Grund und Boden säufst.«

Er wollte etwas sagen, ich ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen.

»Jetzt versuch nicht, mir was zu erzählen! Seit unserer Trennung säufst du dir doch nur noch die Hucke voll. Verdammt, hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geguckt?« Nun war ich doch wieder wütend geworden.

»Da bin ich aber froh, dass ich dir nicht mehr gefallen muss! Dein Ami wird ja wohl einen Astralkörper nach Madames Wünschen haben.«

Ich begann zu kochen. »Als wenn es darum gehen würde!«

Wir starrten uns an, bis er schließlich den Blick wieder senkte. Ich fühlte mich elend. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen. Nein. Am liebsten wäre ich geflüchtet. Raus aus dieser Wohnung, dieser Situation.

Ich machte einen Schritt hinter ihn und umfasste mit beiden Händen seine Schultern. Einen Moment lang drückte er den Hinterkopf gegen meinen Bauch. Ein seltsamer Kompromiss. Keine Umarmung, aber ein bisschen Nähe. Er räusperte sich:

»Heute ist dieser Termin?«

»Ja, aber ich kann da alleine hinfahren. Gönn du dir mal einen freien Tag.«

Thomas hatte Recht, es handelte sich um Andys Geschichte, die ihn vielleicht auch von unserem Beziehungsdilemma ablenken konnte, ich mochte mir aber nicht vorstellen, wie er in seiner momentanen Verfassung das Gespräch durchstehen sollte. Nun war er jedoch entschlossen.

»Auf keinen Fall. Ich stelle mich jetzt unter die Dusche, trink einen Kaffee und dann können wir.«

*

Wir waren spät dran, deshalb registrierte ich erleichtert, dass auf der Wilhelm-Pieck-Straße, dem äußeren Stadtring, wenig Verkehr herrschte. Noch gab es generell weniger Autos als im Westen, und für mich verkörperten die Trabis und Wartburgs, die Ladas und Wolgas mit ihren DDR-Kennzeichen den Reiz eines fremden Landes. Ebenso wie das Kopfsteinpflaster mit den Schlaglöchern, das einen häufig ausbremste. Der äußere Ring war jedoch in gutem Zustand, so dass ich meine Gedanken schweifen lassen konnte, während der Käfer dahinrollte.

Vor gut zwei Monaten hatte ich mit Andreas eine der geschmacklosen Striptease-Shows besucht, die der Privatsender PLT als Werbekampagne veranstaltete, nachdem der Sendestart in Ostdeutschland die Erwartungen nicht erfüllt hatte. Andy hatte mich damals gebeten mitzukommen, nachdem der Verantwortliche für die Organisation der Shows, ein Herr Haffmann, ihm mehrmals jegliche Auskunft verweigert hatte. Da ein solches Verhalten äußerst unüblich war – schließlich bedeutete die Berichterstattung kostenlose Werbung – witterte Andreas irgendwelche Machenschaften.

Auch mir erschien die Show nicht koscher, die Auswahl der Siegerinnen konnte manipuliert sein. Andys Schlussfolgerung allerdings, dass die Mädchen auf den Strich geschickt werden sollten, fand ich sehr gewagt. Als im vergangenen Monat zwei der fünf Preisträgerinnen nicht von dem Urlaub in Marokko, der ihre Siegesprämie gewesen war, zurückkehrten, schien es jedoch, als hätte er den richtigen Riecher gehabt.

Die Eltern der Mädchen gaben eine Vermisstenmeldung auf, und nach einiger Zeit wurden die Mühlen von Interpol in Gang gesetzt. Bisher war noch keine Spur der beiden aufgetaucht, aber die Polizei schien PLT nicht zu verdächtigen, etwas damit zu tun zu haben. Wir hatten im Prinzip nicht mehr in der Hand als vor zwei Monaten, hatten nichts weiter erreicht als diesen Gesprächstermin mit der Geschäftsführung von PLT Ostdeutschland.

Seitdem wir im Auto saßen, hatten wir kein Wort gewechselt. Andreas verbarg seine Augen hinter einer Sonnenbrille und trug ein knittriges Jackett zur hellen Jeans. Er war rasiert, und die Haare hingen ihm nur noch wirr, nicht mehr ungewaschen in die Stirn. Aus den Augenwinkeln sah es für mich so aus, als beiße er die Zähne aufeinander. Als ich am Steinplatz in eine Parklücke eingeschert war, stieg er aus, noch bevor ich die Zündung abgestellt hatte.

Die Verwaltung von PLT Ost residierte im zweiten Stock eines frisch sanierten Backsteingebäudes, das in der Sonne glänzte. Andy ging zügig voran, betrat das Vorzimmer mit einem knappen Gruß an die Sekretärin, schaute sich um, ohne die getönten Gläser abzusetzen.

»Frau Bertram, Herr Rönn?«, fragte die Frau, die fast unter ihren Schulterpolstern verschwand. Sie kündigte uns über eine Sprechanlage an und wies auf eine Tür zu ihrer Linken. »Die Herren erwarten Sie.«

Es waren drei Männer, die uns in dem weiträumigen Büro begrüßten. Manfred Haffmann hätte ich auch ohne Vorstellung aus Andreas’ Beschreibungen erkannt. Ein grobschlächtiger Mann Ende dreißig, mit Bauchansatz und recht feinen, nicht zu seinem sonstigen Aussehen passenden Gesichtszügen. Er wirkte etwas verunsichert. Dem Tonfall nach war er der Einzige, der von hier kam. Sehr gelassen und souverän gab sich der Programmdirektor, Herr Suerth. Er war gute zehn Jahre älter als Haffmann, seinem Aussehen und Auftreten nach hatte er sein gesamtes Berufsleben in der Chefetage verbracht. Der Dritte war der Leiter Ost Produktion und Technik. Er wurde von Suerth mit den Worten »meine rechte Hand, Herr Pohland« vorgestellt. Er hielt sich betont im Hintergrund. Ich schätzte ihn auf etwa vierzig; mit seinem legeren, erdfarbenen Leinenjackett, der etwas helleren Lederkrawatte und dem perfekten Haarschnitt wirkte er wie direkt einem Lifestyle-Magazin entstiegen.

Wir nahmen Platz an einem runden Konferenztisch, auf dem ein kleines Rondell mit Erfrischungsgetränken stand, wurden gefragt, ob wir lieber einen Kaffee hätten, verneinten. Andys Hand zitterte, als er nach einer Apfelsaftflasche griff.

An der strahlend weißen Wand mir gegenüber hing ein Kandinsky, von dem ich nicht hätte sagen können, ob er echt war oder ein sehr guter Druck. Auf dem Boden schimmerte teures Kassetten-Parkett, die Fensterbänke bestanden aus Granit. Der große, mattschwarz glänzende Schreibtisch in der gegenüberliegenden Ecke war, von einer Mappe und einer schmalen Schale mit Stiften abgesehen, leer.

Herr Suerth räusperte sich einmal kurz und begann dann, in einem väterlich-verständnisvollen Tonfall zu sprechen. Er könne ja verstehen, dass dieses unangenehme Vorkommnis unser journalistisches Misstrauen und unsere Sorge erregt habe. Es handele sich hier jedoch mit Sicherheit um familiäre Probleme oder etwas in der Art, wodurch die beiden Mädchen veranlasst worden seien, nicht nach Hause zurückzukehren. Er schaute mir tief in die Augen.

»Frau Bertram, ich habe selbst eine siebzehnjährige Tochter. Ich weiß, welch unangenehme Spannungen auftreten können. Was glauben Sie, wie oft ich mich nach Bekanntwerden dieses Vorfalls gefragt habe, was ich tun würde, wenn meine Sandra einmal so reagieren sollte?«

»In diesen Fällen gab es keine familiären Spannungen«, schaltete Andreas sich ein, bevor ich etwas entgegnen konnte. Seine Stimme klang etwas zu laut. »Ich habe mit beiden Elternpaaren gesprochen, mit ihren Geschwistern, Freunden und so weiter. Beide Mädchen hatten sich auf diesen Urlaub gefreut, für beide stand jedoch außer Frage, dass sie danach ihr Leben hier wieder aufnehmen wollten. Kathleen Breuer sollte am ersten September eine Ausbildungsstelle als Floristin antreten, was erklärtermaßen ihr Traumberuf war, und Cindy Ulmer wollte in diesem Herbst heiraten. Für mich hört sich das nicht nach Situationen an, aus denen junge Menschen flüchten.« Er holte Luft.

»Mein Kompliment, Herr Rönn, Sie haben sorgfältig recherchiert.« Suerth bedachte ihn mit einem souveränen Lächeln. »Aber ist Ihnen auch bewusst, dass PLT die Suche nach den beiden jungen Frauen aktiv unterstützt? Sowohl finanziell als auch mit Sendungen, in denen wir die Bevölkerung um Hinweise bitten. Darüber sollten Sie vielleicht einmal schreiben.«

»Sie brauchen mir nicht zu sagen, was ich schreiben soll!«

Ich legte Andreas, der anscheinend kurz davor war, aus dem Stahlrohrsessel aufzuspringen, eine Hand auf den Oberschenkel, spürte die angespannten Muskeln.

Der Programmdirektor musterte ihn herablassend. »Selbstverständlich nicht, junger Mann. Verzeihen Sie, wenn ich einen falschen Eindruck erweckt habe. Ganz unabhängig davon wissen Sie natürlich, dass wir rein juristisch keinesfalls in Haftung genommen werden können: Die beiden Frauen sind volljährig – ist es nicht so, Herr Pohland?«

Auf den Blick zu seinem Mitarbeiter folgte das bestätigende Nicken. Ich ließ meine Hand vorsichtshalber auf Andys Bein.

Der Stab war weitergereicht. Ich fragte mich, warum Haffmann eigentlich mit am Tisch saß – er sagte kein Wort. Pohland übernahm die weiteren Ausführungen:

»Damit Sie aber sehen, dass in unserem Haus alles seine Richtigkeit hat, haben wir Ihnen sämtliche Unterlagen, diese Veranstaltungsreihe betreffend, fotokopieren lassen.« Er stand auf und holte die Mappe vom Schreibtisch, hielt sie Andreas hin, der nicht reagierte. Daraufhin wandte er sich an mich:

»Hier finden Sie alles von unseren Verträgen mit PLT Köln bis zu den Unterlagen über die Hotels in Marokko.«

»Hochglanzprospekte, falls wir einmal dort Urlaub machen wollen, oder was?« Andreas sprang auf. »Sie hören noch von uns!« Er stürmte hinaus.

Ich nahm Pohland die Mappe ab und verabschiedete mich mit einem Nicken von den Herren. Suerth streckte mir die Hand entgegen.

»Selbstverständlich stehen wir Ihnen für Nachfragen jederzeit zur Verfügung.«

*

»Mein Gott, du bist aber wirklich mit den Nerven runter! Wieso hast du dich von diesem Typ so provozieren lassen?«, fragte ich Andreas, der mit verkniffenem Gesicht vor der Tür rauchte.

»Die Geschichte stinkt doch zum Himmel! Und dieser geschniegelte Anzug erzählt uns was von seiner Tochter Sandra! Die waren viel zu gut vorbereitet, um keinen Dreck am Stecken zu haben. Normalerweise wäre zu einem solchen Termin nur der Haffmann erschienen, oder bestenfalls noch der Pohland. Stattdessen werden wir von einem Triumvirat empfangen, und Cäsar höchstpersönlich hält uns eine Ansprache!«

Ich musste ihm zustimmen. »Aber bisher haben wir keinen neuen Ansatzpunkt. Verrät dir deine humanistische Bildung, wo wir hier ein Café finden?«

Eigentlich hätte ich dringend zurück in die Redaktion gemusst, ich wollte jedoch sichergehen, dass Andy keine Dummheiten machte. Aufgebracht wie er war, hätte ich ihm zugetraut, dass er allein in das PLT-Gebäude zurückkehrte und die Männer bedrängte.

»Café nicht, aber um die Ecke ist eine Kneipe«, sagte er.

Kurz darauf saßen wir in einem rustikalen »Gasthaus«. Ich fragte nicht, woher Andreas es kannte. Er lebte seit über einem Jahr in Erfurt und hatte vermutlich schon jede Kneipe von innen gesehen. Immerhin bestellte er nun ebenso wie ich einen Kaffee.

»Also müssen wir jetzt diese ganzen Unterlagen überprüfen«, sagte ich, als die dampfenden Tassen vor uns standen. Die umfangreiche Mappe mit dem bunten PLT-Aufdruck lag zwischen uns auf dem Tisch. »Eine Menge Arbeit, die wahrscheinlich nichts bringen wird. Sie werden uns kaum etwas überlassen haben, woraus wir ihnen einen Strick drehen können.«

»Volljährig!«Andreas nahm endlich die Sonnenbrille ab, rieb sich die Augen. »Die eine hat am Abflugtag ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert.«

Ich nahm mir eine Zigarette, hielt ihm die Packung hin.

»Trotzdem hat er natürlich Recht. Solange sie keine Gewalt anwenden, können sie Achtzehnjährige zu allem bringen, ohne sich strafbar zu machen.«

»Aber wenn die Shows von Anfang an manipuliert waren, so dass eben die naivsten Mädels gewinnen und dann in Spanien oder sonst wo auf den Strich geschickt werden, ist das schon wieder was anderes.« Er gab uns beiden Feuer.

»Klar.« Ich seufzte. »Aber das müssen wir erst mal beweisen.«

Viele Redaktionsmitglieder warfen Andy bereits vor, weiße Mäuse zu sehen; mir hatten sein Instinkt und sein Einsatz in der Vergangenheit durchaus imponiert, aber nun hatten sich die Dinge für mich eben geändert, und ich konnte und wollte nicht mehr nächtelang mit ihm über die möglichen Hintergründe dieser Geschichte diskutieren.

Um herauszufinden, ob PLT tatsächlich Dreck am Stecken hatte, hätten wir natürlich Dale um Hilfe bitten können. Der hatte in seiner Privatdetektei viel mehr Freizeit als er sich gewünscht hatte, als er vor einem halben Jahr aus New Jersey hergekommen war. Mit seinen Ersparnissen und drei kleinen Aufträgen hatte er sich in diesem Land, das Schnüffler bislang nur im Staatsdienst kannte, durchschlagen können. So langsam holte ihn jedoch auch die Langeweile ein.

Das konnte ich Andreas aber kaum vorschlagen.

Ich drückte meine Zigarette aus, entschuldigte mich und folgte den Hinweisschildern zu den Toiletten im Keller. Durch ein Labyrinth aus rohen Steinen ging es in einen lindgrün gestrichenen Waschraum. Wie häufig hier gab es keinen Spiegel, so dass ich nicht beurteilen konnte, ob mein Gesichtsausdruck meine Gedanken preisgab. Ich wusch mir sorgfältig die Hände, kämmte meine langen rot-braunen Haare mit den Fingern aus.

Als ich an unseren Tisch zurückkam, wirkte Andy abwesend, starrte ins Leere. Ich drängte zum Aufbruch.

*

Am nächsten Tag schien die Welt wieder halbwegs in Ordnung zu sein. Andreas kam früh in die Redaktion, er war nicht verkatert, wirkte sogar einigermaßen ausgeschlafen. Wir gingen sehr vorsichtig miteinander um.

Er stürzte sich in die Arbeit, blieb an diesem und den folgenden Abenden nach Redaktionsschluss noch im Büro, um die Papiere zu überprüfen. Ich war froh, dass er mich nicht um meine Mitarbeit bat; vielleicht funktionierte es ja, dass er mithilfe dieser Story unsere Trennung verarbeitete.

Als ich mich am Freitag von ihm verabschiedete, deutete er jedoch geheimnisvoll an, er habe einen neuen Ansatzpunkt, über den er mir am Montag berichten werde.

»Ich bin auf der richtigen Fährte. Du wirst überrascht sein!«

*

Es war das erste freie Wochenende mit Dale, und ich freute mich wie ein Teenager. Vor knapp drei Wochen hatte ich ihn kennengelernt, bei einem beruflichen Termin. Für die Reihe »Neue Berufe in Erfurt« war ich mit dem ersten Privatdetektiv der Stadt in dem bulgarischen Restaurant verabredet gewesen, dessen Telefonnummer in den Kleinanzeigen angegeben war, die der Detektiv regelmäßig in unserer Zeitung schaltete.

Ich hatte nach meinem Anruf dort einige Tage auf die Rückmeldung warten müssen. Dann erklärte mir eine warme, ruhige Stimme in einem etwas altmodischen, sehr korrekten Deutsch, dass er mir seine Adresse nicht mitteilen werde und sich nicht fotografieren lasse. Nachdem ich zugestimmt hatte, war er bereit gewesen, mich zu treffen.

Ich stellte fest, dass ich das Restaurant kannte – es lag nur fünf Laufminuten von der Wohnung meiner Lieblingskollegin Karla entfernt, und wir waren schon einmal dort gewesen. Ich nickte der Wirtin zu, bestellte einen Kaffee und schaute mich um. Er saß an einem Ecktisch und beobachtete mich aufmerksam.

Ein südländisch aussehender Mann, der älter wirkte als ich – es waren gerade einmal drei Monate, stellte ich später fest – mit pechschwarzen Haaren, dunkelbraunen Augen und einem Lächeln, das mich vom ersten Moment an in seinen Bann zog. Ich wehrte mich dagegen, schließlich hatte ich mich erst vor einem Vierteljahr, als ich nach Erfurt gezogen war, Knall auf Fall in Andreas verliebt und war glücklich mit ihm. Aber ich entkam dem Sog nicht. Hier flogen keine Funken, wie es bei Andy gewesen war, es schien, als berührten wir von Anfang an eine tiefere Ebene.

Ich fragte nach den Dingen, die ich für den Artikel brauchte, ich fragte, weil es mich interessierte; er erzählte in seinem wohlgewählten Deutsch. Seine Mutter hatte alles dafür getan, ihm die bestmögliche Bildung zu verschaffen, und ihn in Trenton, der Hauptstadt New Jerseys, auf die angesehene deutsche Schule geschickt. Kurz nach seinem High-School-Abschluss erlag sie einem Krebsleiden. Der Traum, den sie für ihn gehegt hatte, eine Hochschulausbildung, war damit unmöglich geworden. Er ging auf eine Police Academy und arbeitete danach in Atlantic City, bis ihm seine Vorstellungen von Gerechtigkeit angesichts der Korruption lächerlich erschienen und er sich eine Lizenz als Privatdetektiv besorgte.

Als die Nachrichten von den Umbrüchen in Ostdeutschland Amerika erreichten, beschloss er, ein neues Leben zu beginnen.

Nun war er hier. Stand in der weit geöffneten Wohnungstür und strahlte mich an, als ich am Freitagabend die Treppe hochkam.

»Hallo.« Er nahm mir meine Tasche ab, ließ mich eintreten, und wir küssten uns. »Du siehst gut aus.«

»Danke!« Ich streckte mich noch einmal auf meine Stiefelspitzen für einen weiteren Kuss. Dabei klimperten die langen Ohrringe.

Nachdem ich einigermaßen früh aus der Redaktion hatte aufbrechen können, war ich in Rekordgeschwindigkeit zum Wohnheim im Stadtteil Rieth gerast, um zu duschen und mich umzukleiden. In meinem Lederminirock und der grünen Bluse mit dem breiten Kragen fühlte ich mich sexy; Dales Blick signalisierte, dass ich mich richtig entschieden hatte.

Ihn fand ich umwerfend attraktiv. Auch wenn ich dabei blieb, dass es darum nicht ging, hatte Andreas Recht: Dales durchtrainierter Körper nein, es soll das Zitat wieder aufgenommen werden entsprach genau meinen Vorstellungen; an diesem Abend steckte er in einer Levis 501 und einem verwaschenen, grau-blauen Sweatshirt. Cool und männlich sah er aus. Dabei bekam sein schmales Gesicht, wenn er lächelte, durch zwei Grübchen etwas wundervoll Weiches.

Er hatte zwei Zimmer und Küche in einem unsanierten Altbau am Rand des Andreasviertels, des mittelalterlichen Handwerkquartiers, gemietet und selbst notdürftig renoviert. Zentralheizung gab es ebenso wenig wie ein Bad, die Toilette war auf dem Flur, und er hatte eine elektrische Dusche in einer Ecke der Küche installiert – aber es war eine richtige Wohnung. In der ich bereits viel Zeit verbracht hatte.

Andy und ich hatten in unserer gemeinsamen Zeit mehr oder weniger in der Redaktion gelebt. Er arbeitete völlig undiszipliniert und schrieb seine nicht aktuellen Texte irgendwann zwischen Redaktionsschluss und Mitternacht. Auch ich fand die dann herrschende Ruhe manchmal angenehm. Und da unsere Appartements ohnehin nicht dazu angetan waren, sich auf einen gemütlichen Feierabend zu Hause zu freuen, holten wir uns häufig etwas zu essen und saßen noch an unseren Schreibtischen, wenn wir nicht in eine Kneipe gingen.

Am Tag des Termins mit Dale hatten wir uns nur zwischen Tür und Angel gesehen. Ich arbeitete konzentriert zusammen mit Thomas, dem Volontär Markus und Karla an den Seiten für den nächsten Tag. Andy kam herein, als wir uns dazu beglückwünschten, so zeitig fertig geworden zu sein. Er hatte seine aktuellen Artikel am frühen Nachmittag abgeliefert, als ich nicht in der Redaktion gewesen war, und war nun überrascht, mich im Aufbruch zu sehen. Ich murmelte etwas von einer Verabredung und verließ fluchtartig die Redaktion.

Am nächsten Abend hatten wir dann das erste von vielen unangenehmen Gesprächen; danach besuchte ich Dale erstmals in seiner Wohnung.

»Du hast gekocht.« Ich schnupperte in den Flur hinein.

»Ich habe es versucht.« Er ging voran. »Minestrone nach einem Rezept von meiner Mutter. Aber –«

»Was ist das?«, fragte ich.

Dale schaute mich an, als wollte er sich vergewissern, dass ich keinen Witz gemacht hatte. »Italienische Gemüsesuppe. Kennst du das nicht?«

»Wo ich herkomme, isst man beim Italiener Spaghetti oder Pizza, und zu Hause gab es solide deutsche Küche.«

»Thüringer Rostbratwurst«, sagte Dale, für ihn ein Zungenbrecher.

Ich setzte mich auf das alte Küchensofa an den bereits gedeckten Tisch. Ich mochte Dales Küche. Sie war so groß, dass sie früher bestimmt der ganzen Familie als Hauptwohnraum gedient hatte. Die hohen Wände und die Decke waren weiß gestrichen, den Holzfußboden hatte Dale abgezogen und lackiert. Das Sofa war alt, aber die Polsterung noch fest und solide, es stammte ebenso wie der große Tisch, die Stühle und das meiste Geschirr vom Trödel.

»Das nun gerade nicht, ich bin doch nicht hier aufgewachsen«, erinnerte ich ihn. »Eher«, ich musste lachen, als mir das englische Schimpfwort für Deutsche einfiel, »Kraut.«

Dale rührte in einem großen Topf herum. »Sauerkraut.«

»Genau. Oder Kohl.«

Nun drehte er sich um, schaute mich verwirrt an. »Wie der Kanzler?«

»Ja.«

Ich versprach ihm, mir ein Kohlrezept von meiner Mutter zu besorgen und ihn zu bekochen, er füllte Suppe in die leicht angeschlagenen Teller und goss Wein ein.

»Leider habe ich keine Artischocken bekommen, und die gehören eigentlich unbedingt hinein.« Wir prosteten uns zu. »Für Parmesan habe ich die Chefin des Caminobecirct.«

Das war seltsam, dachte ich. Das Camino war Andys und mein Stammitaliener gewesen, Dale hatte das Restaurant durch mich erst kennengelernt.

»Klasse«, murmelte ich, rieb reichlich Käse über die Suppe und kostete. »Lecker! Mir fehlen die Artischocken nicht.«

Aus irgendeinem Grund hatte ich Dale bisher nichts über die PLT-Geschichte gesagt. Ich hatte nicht gewusst, wie ich anfangen sollte, da ich dann auch mehr von Andreas hätte erzählen müssen, und das Thema wollte ich ausklammern. Dale wusste, dass ich mit ihm zusammen gewesen war, als wir uns kennenlernten, mehr aber auch nicht.

Nun redete ich einfach drauflos. Erzählte alles von Anfang an, in allen Einzelheiten und schloss mit Andreas, wie ich ihn am Montag vorgefunden hatte und mit welcher Energie er nun die Sache von Neuem anging. Als ich zum Ende gekommen war, hatten wir beide die Suppenteller von uns geschoben, und der Rest der Weinflasche war auf unsere Gläser verteilt. Ich zerbröselte ein letztes Stück Weißbrot.

»Espresso?«, fragte Dale zunächst, anstatt auf das Gehörte einzugehen, und machte sich, als ich zustimmte, mit einem Metall-Kocher am Gasherd zu schaffen.

Er stellte Tassen und Zucker auf den Tisch, steckte sich eine Zigarette an und begann dann zu sprechen, die Augen auf die Herdflamme gerichtet:

»Hättest du – hätten wir – nicht ein wenig warten sollen? Ihr wart also sehr ernsthaft befreundet, du und Andreas.«

Ich nahm mir ebenfalls eine Zigarette. »Nein«, sagte ich und musste anfangen zu kichern. Der Wein war mir zu Kopf gestiegen. »Ernst weniger. Chaotisch, wild, verrückt. Das mit uns, das ist ernst.«

Dale stellte das Gas ab und verteilte den tiefschwarzen Sud auf die Tassen.

»Du bist sicher?« Seine Augen fixierten mich.

»Ja«, antwortete ich feierlich.

Wir tranken den Espresso, rauchten und schwiegen. Endlich sagte Dale:

»Ist es nicht möglich, dass bei diesem Fernsehsender wirklich etwas nicht stimmt? Was, wenn Andreas sich allein in eine gefährliche Situation begibt?«

Ich musste an Andys Andeutung vom Nachmittag denken. Ob er an diesem Wochenende etwas unternehmen wollte? Unwillig schüttelte ich den Kopf. »Ich glaube nicht mehr, dass da etwas dran ist«, behauptete ich. »Was meinst du?«

Dale verzog die Mundwinkel sarkastisch. »Ich denke, hier im Osten Deutschlands ist sehr viel möglich. Gerade, was schmutzige Geschäfte angeht.«

ZWEI

Samstag und Sonntag verbrachten wir wie Touristen. Ein wenig fühlte ich mich auch immer noch so. Ich hatte Erfurt kennengelernt, nachdem mir mitgeteilt worden war, dass ich in Dortmund nach meinem Volontariat nicht übernommen würde, die Verlagsleitung mir jedoch eine Redakteursstelle bei der gerade gegründeten Tochterzeitung in Thüringen anbot. Obwohl ich eigentlich das Ruhrgebiet nicht verlassen wollte, war ich schon bei einem Schnupperwochenende von dieser Mischung aus uralter Kultur und Umbruchstimmung fasziniert gewesen. Ohne weiteres Zögern hatte ich nach dem Besuch den Vertrag unterschrieben.

Es tat sich viel in der Stadt, fast zu viel, um auf dem Laufenden zu bleiben; jeder Termin konnte spannend werden. Auf Ratssitzungen wurden Entscheidungen über die Zukunft ganzer Stadtviertel gefällt, die großen Volkseigenen Betriebe lösten sich auf und wurden an mitunter fragwürdige Interessenten verkauft, eine ganz neue Kunstszene entstand. Umbenennungen von Straßen, Plätzen, Einrichtungen verwirrten die Einheimischen wie uns Zugezogene immer wieder aufs Neue, und im Alltag mischten sich die Zeugnisse der DDR-Gesellschaft mit denen des Westens wie die Waren in den Geschäften.

Arm in Arm liefen Dale und ich am Samstagvormittag den Anger hinab. Die mittelalterlichen Handelshäuser entlang dieser innerstädtischen Magistrale waren schon in den siebziger Jahren saniert worden und verliehen der breiten Fußgängerzone Ähnlichkeit mit Städten in Bayern. Ich kaufte Streichholzschachteln und Schuhputzcreme mit Etiketten, die an die fünfziger Jahre erinnerten, sowie einen ganzen Stapel Bücher – Klassiker, die auf dem Ramschtisch gelandet waren, weil ihr Umschlag schlicht beige war, mit einfachem Schriftaufdruck. Ich schüttelte den Kopf.

»Guck dir das an. Eine Mark für Goethes Wahlverwandtschaften. Die schenk ich dir – ich hab sie schon.«

Dale nahm mir eine Tüte ab, damit ich die Hände frei hatte. »Ich auch. Wir haben es in der Schule gelesen.«

Ich nahm das Buch trotzdem mit, ich würde schon jemanden finden, dem ich damit eine Freude machen konnte.

Wir besichtigten den Dom und tranken einen Milchshake im Palast-Kaffee des Interhotels am Bahnhof, wo Willy Brandt einst für Begeisterungsstürme gesorgt hatte.

Am Sonntag spazierten wir bei herrlichem Sonnenschein über das Gelände von Erfurts grüner Lunge, die vor kurzem von iga – »Internationale Gartenausstellung der Sozialistischen Länder« in ega – »Erfurter Garten- und Ausstellungs GmbH« umbenannt worden war. Als wir am frühen Abend zurück in der Innenstadt waren, schaute ich kurz in der Redaktion vorbei.

Die zweite Etage des Hauses am Domplatz lag verlassen da. Hätte mir jemand etwas mitteilen wollen, hätte hier eine Notiz für mich gelegen. Angesichts der fehlenden Telefonanschlüsse spielten solche Kommunikationswege eine große Rolle. Auf meinem Schreibtisch fand ich jedoch nur einen Zettel mit einem am Freitag noch eingegangenen dienstlichen Anruf.

Dale war das erste Mal in der Redaktion und schaute sich neugierig um.

»So klein und eng hätte ich es mir nicht vorgestellt.«

»Na ja, wir sind nicht die New York Times.«

Er hatte natürlich Recht. Mit sechs Schreibtischen, den dazugehörigen Stühlen, einem großen Regal und dem vorsintflutlichen Fotokopierer war der Raum völlig zugestellt. Wenn alle Redaktionsmitglieder gleichzeitig hier waren, was zum Glück eher selten vorkam, herrschten der Lärm und das Gedränge einer Unterstufen-Pausenhalle bei Regen. Die Redaktion in Dortmund war doppelt so groß. Aber ich gehörte eben nun zu den armen Brüder und Schwestern.

»Da sitzt Andreas?« Dale deutete auf den Schreibtisch meinem gegenüber, auf dem sich die Unterlagen türmten. Obenauf lagen einige Zettel mit dem PLT-Logo.

»Ja, er hat anscheinend durchgearbeitet.« Sogar der Rechner war noch eingeschaltet. »Er wird sicher noch einmal zurückkommen.«

Trotzdem verzichtete ich darauf, Andy einen Zettel zu hinterlassen, und wir schlenderten durch das Gassengewirr der Altstadt zur Feuerkugel, einer Gaststätte mit traditionell thüringischer Küche. Dale hatte ein Faible für die hausgemachten Klöße und bestellte eine Rindsroulade, zu der er gleich drei als »Sättigungsbeilage«, wie das hier hieß, bekam; ich wählte das Rostbrätl, ein mariniertes und gegrilltes Schweinenackensteak, mit Bratkartoffeln. Wir dehnten das Essen aus, tranken danach einen Kaffee und beschlossen, noch in die Engelsburg zu gehen, wo es seit kurzem auch sonntags eine Disco gab.

Immer noch waren Erfurts Straßen spätabends wie ausgestorben. Wir sahen keinen Menschen, während wir einen Schlenker über die mittelalterliche Krämerbrücke unternahmen, die man kaum als Brücke wahrnahm, weil sie durchgängig mit Fachwerkhäusern bebaut war. Bei meinem ersten Besuch in der Stadt war ich ein paarmal darübergelaufen, ohne zu realisieren, dass unter meinen Füßen die Gera floss.

In der schummerig-gelben Beleuchtung hatten die hübsch restaurierten Fassaden etwas Unwirkliches, Verwunschenes. Mitten auf der Brücke blieben wir stehen und küssten uns lange.

*

Meterdicke Mauern sorgten dafür, dass aus den Kellergewölben des Studentenklubs in der Allerheiligenstraße kaum ein Laut nach draußen drang. Drinnen schufen die Steinquader eine großartige Atmosphäre. Als wir eintraten, zog gerade ein blassblauer Spot Kreise an den breiten Säulen entlang, die die Tanzfläche einrahmten. Darin fing sich die Musik, herrschte im Moment Prince mit »Play in the Sunshine«.

Ich zog Dale sofort auf die Tanzfläche und begann, mich zu dem schnellen Rhythmus zu bewegen. »I’m feelin’ kind of lucky tonight«, sang Prince, und nach kurzem Zögern strahlte Dale mich an und fasste nach meinen Händen, wirbelte uns beide herum. Ich machte eine Drehung unter seinem linken Arm hindurch und tanzte nah an ihn heran, schob meine Beine in den engen Leggings links und rechts an seinen linken Oberschenkel und presste mein Becken an ihn. Es schien ihm zu gefallen. »Let’s get out of here«, tönte es aus den Boxen, und ich freute mich schon darauf, wieder in seine Wohnung zurückzukommen.

Als wir uns erschöpft, vor Hitze und Verliebtsein glühend in den angrenzenden Raum zurückzogen, sah ich Andreas. Er schwankte, obwohl er an der Wand lehnte, hielt mit beiden Händen sein Glas fest. Trotz des gedämpften Lichts gab es keinen Zweifel: Er war bis zum Stehkragen abgefüllt.

Ich sagte Dale Bescheid und ging hinüber. Auf meine Begrüßung hin schaute er mich nur fragend mit verschwommenem Blick an, stammelte dann mit Verzögerung: »Er ist tot. Ermordet. Er liegt neben seinem Schreibtisch.«

»Was?« Ich hätte fast geschrien und schlug mir auf den Mund. »Wer ist ermordet?«

»Haffmann. Er liegt einfach …« Andy machte eine Pause, schaute an mir vorbei ins Leere, »da.«

Nach und nach bekam ich aus ihm heraus, dass Haffmann mit ihm ein Treffen vereinbart hatte. Um 18 Uhr sollte Andreas in der PLT-Verwaltung sein. Dort hatte er den Showverantwortlichen in seinem Büro aufgefunden. Tot.

»Das Gesicht ist blau angelaufen und er, er –« Andy würgte, als müsste er sich übergeben.

Ich nahm ihm sein Bier ab, hakte ich ihn unter und zog ihn durch den ständig voller werdenden Raum zu Dale hinüber. Zusammen suchten wir einen Platz, an dem wir reden konnten. Schließlich saßen wir am letzten Tisch eines kleinen, abgetrennten Cafés, in dem sich nur sehr wenige Gäste aufhielten. Andreas hatte sich willenlos mitziehen lassen. Nun starrte er Dale ins Gesicht, anscheinend zu benommen, um feindselig zu werden. Ich gab das wenige, was er mir erzählt hatte, wieder.

»Du bist nicht zur Polizei gegangen?«, fragte Dale mit ruhiger Stimme.

Andreas schüttelte den Kopf.

»Was hast du danach getan?«

Er zuckte nur die Schultern. Es war klar: Vielleicht konnte ich noch ein paar Worte aus ihm herausholen, Dale auf jeden Fall nicht. Wir berieten uns leise, während Andy versuchte, sich eine Zigarette anzustecken. Erst als er beide Ellenbogen auf den Holztisch aufsetzte, gelang es ihm.

»Er muss unbedingt zur Kriminalpolizei gehen und Anzeige erstatten. Falls jemand ihn dort gesehen hat, sieht es schlimm für ihn aus. Aber du musst verhindern, dass sie ihn dabehalten. Biete ihnen an, dass er morgen früh für das Protokoll wiederkommt.«

Seltsamerweise wusste ich sofort, was er meinte. »Was willst du tun?«

»Ich fahre hinaus zu dem Büro und sehe mich um. Wer weiß, ob der Mann wirklich ermordet worden ist. Bei einem Herzanfall bekommt der Tote auch ein blaues Gesicht. Wir treffen uns dann in meiner Wohnung.«

»Okay.« Ich nannte ihm die Adresse. »Sei vorsichtig.«

Dale verschwand. Andreas murmelte irgendetwas vor sich hin. Ich beugte mich über den Tisch, um ihn zu verstehen.

»… einfach durchgedreht. Ich bin rausgerannt und hab gedacht, die bringen mich jetzt auch um. Irgendwie bin ich im Museumskeller gelandet. Ich hab mich nicht nach Hause getraut. Ich dachte, die warten da auf mich.«

Ich nickte, unfähig, mir vorzustellen, wie es war, auf einen Toten zu stoßen. »Hattest du das Gefühl, dass in den Räumen noch jemand war, als du Haffmann gefunden hast?«

»Weiß nicht, keine Ahnung, ja.« Er streckte eine unsichere Hand nach dem Bierglas aus, das vor mir stand. Ich schob es zur Seite.

»Du hast genug.«

Andy protestierte nicht. »Irgendwann tauchten im Keller zwei komische Typen auf, und ich hab gedacht, jetzt haben sie mich.«

»Dann bist du hierhin gekommen.«

»Ja. Frag mich nicht, wie.« Er versuchte zu lachen. Seine Gesichtszüge waren verzerrt. »Was soll ich jetzt tun?«

»Wir gehen zu den Bullen und erstatten Anzeige. Das muss sein. Du sagst so wenig wie möglich und überlässt das Reden mir.«

Er machte keine Einwände.

Auf der Straße merkte ich, dass Andreas mich bereits mit seiner Angst angesteckt hatte. Ich wollte möglichst schnell auf den freien Domplatz gelangen, wo ich mich sicherer fühlte als in den schmalen mittelalterlichen Straßen, das war jedoch mit dem betrunkenen Andreas am Arm ein schwieriges Unterfangen.

Endlich hatten wir den ausgestorbenen Platz, an dessen Südwestseite der riesige Dom und die kleinere Severikirche gespenstisch in den Himmel ragten, überquert und die Hauptwache auf der anderen Seite erreicht. An der Pforte döste ein älterer Mann vor sich hin. Ich klopfte an die Trennscheibe, und er schreckte hoch. Als ich ihm erklärte, worum es ging, wies er uns an, in die Eingangshalle zu gehen und dort zu warten. Er betätigte den Türdrücker, und die schwere Eichentür ließ sich aufschieben. Wir standen in einem großen, düsteren Raum, von dem rechts und links je eine Treppe und ein Flur abgingen, durch die helles Licht fiel. Die Holzvertäfelung an den Wänden wirkte fast schwarz, die schwarz-weißen Fußbodenfliesen waren fleckig und schadhaft. Nach kurzer Zeit tauchte ein übermüdet aussehender Uniformierter auf und bat uns, ihm zu folgen.

In dem von grellen Neonröhren erleuchteten Flur krampfte Andys Hand sich schmerzhaft fest um meinen Arm. Endlich öffnete der Polizist die Tür zu einem kleinen Büro, wies mit einer Handbewegung auf die beiden Stühle vor dem massigen Schreibtisch, an dem er Platz nahm und einen Bogen Papier in die Schreibmaschine spannte.

»Hauptkommissar Lubin wird gleich hier sein. Wir beginnen schon einmal mit der Erfassung der Personalien.«

»Ich begleite Herrn Rönn bloß«, erklärte ich.

Andy nannte seinen Namen, sein Geburtsdatum, stockte bei der Anschrift.

Der Beamte sah von der Schreibmaschine auf.

»Sie können uns am besten in der Redaktion des Tageskurier auf der anderen Seite des Domplatzes erreichen«, mischte ich mich ein. Auch ich war unsicher, ob wir die Anschrift der unter der Hand gemieteten Wohnung nennen sollten.

Der Polizist bestand jedoch auf einer Adresse, und Andy nannte Straße und Hausnummer, fügte hinzu: »Bei Marberg«. Seine Stimme klang lethargisch.

Danach trat eine quälende Pause ein. Andreas sank in seinem Stuhl zusammen, ich dachte, er würde einschlafen. Erleichtert entdeckte ich auf der Fensterbank einen Aschenbecher und steckte mir eine Zigarette an. Andy blickte auf, und ich reichte sie ihm, nahm mir eine Neue. Das Nikotin schien eine belebende Wirkung auf ihn zu haben.

Endlich wurde die Tür aufgestoßen und ein vielleicht vierzigjähriger, schmaler Mann in einem grauen Anzug mit Stahlbrille betrat den Raum, reichte uns nacheinander die Hand. »Hauptkommissar Lubin, Morddezernat.«

»Kirsten Bertram, das ist Andreas Rönn. Herr Rönn hat heute Nacht einen Toten gefunden«, begann ich schnell.

Der Kommissar setzte sich zu seinem uniformierten Kollegen hinter den Schreibtisch, forderte mich mit einer Handbewegung auf weiterzusprechen.

Ich erzählte so knapp und präzise wie möglich, während Andy auf seinem Stuhl neben mir wieder zusammensackte. Lubin nickte mitunter, unterbrach mich jedoch nicht.

»Also, Frau Bertram.« Dafür, dass er höchstwahrscheinlich aus dem Schlaf geholt worden war, fixierte er mich mit sehr wachen blauen Augen durch die Brillengläser. Sein Haar war an den Schläfen bereits völlig grau, während es am Hinterkopf noch schwarz glänzte, was ihm einen seltsamen alt-jungen Ausdruck verlieh. »Ihnen ist vermutlich klar, dass wir Ihren Kollegen hierbehalten müssen. Nach Ihrer Darstellung war er derjenige, der den Toten gefunden hat. Anstatt jedoch gleich zu uns zu kommen, betrinkt er sich zunächst, geht dann noch in einen Studentenklub und taucht erst Stunden später in desolatem Zustand hier auf, um Anzeige zu erstatten. Das sieht nicht gut aus.«

»Er hatte einfach Angst, das habe ich doch gesagt. Wir wollten Ihnen nur die Meldung machen.« Ich hielt inne. »Sie können doch jetzt sowieso kein Protokoll aufnehmen, das später Bestand hätte«, behauptete ich. Ich fand, ich hörte mich wie eine Anwältin an. »Herr Rönn übernachtet heute bei mir«, intuitiv hatte ich Dale aus meinem Bericht herausgehalten, »und ich verbürge mich dafür, dass er morgen früh hier erscheint, um alles noch einmal mit ihnen durchzugehen.«

Nach einigem Zögern willigte Lubin endlich ein.

»Dann schauen Sie mal, dass Sie sich von den Aufregungen erholen, Herr Rönn.« Andreas schüttelte mechanisch die ausgestreckte Hand des Kommissars.

»Wir werden uns nun einmal die Bescherung ansehen. Gute Nacht, Frau Bertram.«

Am Ausgang bat ich den Pförtner, uns ein Taxi zu rufen. Zu einem neuerlichen Fußmarsch fühlte ich mich nicht mehr in der Lage.

*

Gott sei Dank, Dale war schon zu Hause. Sein Fiesta stand direkt gegenüber der Haustür. Andreas registrierte erst jetzt, dass wir nicht vor dem Studentenwohnheim im Rieth gelandet waren.

»Wo sind wir?«

»Bei Dale. Hier ist es sicherer.«

Er entgegnete nichts. Seine Apathie begann, mir Angst zu machen.

Ich klingelte, und Dale kam schnell herunter, öffnete das schwere Eingangstor, verriegelte es hinter uns wieder sorgfältig und ging voran in den zweiten Stock. In seiner Küche betrachtete er Andreas einen Moment lang. Dann nahm er eine Flasche Cognac aus dem Regal neben dem Esstisch, schüttete einen kräftigen Schluck in einen Schwenker und reichte ihn Andy.

Der starrte das Glas an. »Besser nicht.«

»Ich bin kein Arzt, aber ich würde sagen, du hast gar nicht so viel getrunken, sondern stehst unter Schock. Also trink!«

Andreas nahm das Glas und stürzte den Inhalt in einem Zug herunter. Dale füllte es neu und goss auch uns etwas ein.

»Der Mann ist wirklich ermordet worden. Erdrosselt«, sagte er leise zu mir, um dann laut zu fragen, wie wir das Verhör auf der Wache überstanden hätten.

Wir setzten uns an den Tisch, und ich berichtete so knapp wie möglich. Andreas, der sich auf das Sofa hatte sinken lassen, wirkte nach dem Cognac tatsächlich etwas mehr im Hier und Jetzt, sagte jedoch nichts.

Als ich zum Ende gekommen war, nickte Dale. »Gut. Lubin habe ich bei meinem ersten Fall hier kennengelernt. Er ist ein fähiger Mann. Er wird gesehen haben, dass Andreas als Täter kaum in Frage kommt.«

»Was? Wieso sollte er mich verdächtigen?« Andy blickte verständnislos von Dale zu mir.

»Überlege doch einmal. Du findest einen Ermordeten und meldest es erst ein paar Stunden später der Polizei. So etwas ist immer verdächtig. Morgen wird er wahrscheinlich erfahren, dass du den Leuten etwas vorgeworfen hast, dass du wütend warst bei eurem Termin … Du kannst schneller in Haft geraten, als du es dir vorstellst.«

Andy schien sich nicht zu wundern, dass Dale die Hintergründe der PLT-Geschichte kannte. Mit zitternden Händen zog er eine Zigarette aus der Packung.

»Die können mich doch nicht einbuchten!«

Falls Dale das Wort nicht kannte, zeigte er es nicht. »Sicher können sie. Aber versuch einfach, ruhig zu bleiben. Ich glaube, Lubin ist fähig, die Fakten richtig einzuordnen. Du solltest dir aber darüber im Klaren sein, dass du morgen wahrscheinlich richtig verhört wirst. Und das ist kein Spaziergang.« Dale blickte ihn ernst an. »Deshalb wollten wir verhindern, dass sie dich heute Abend noch vernehmen.

---ENDE DER LESEPROBE---