Auferstehung -  - E-Book

Auferstehung E-Book

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Beschreibung

Christi Auferstehung, die damit gebrochene Macht des Bösen und die Befreiung des Menschen aus Sünde, Schuld und Unrecht ist die zentrale Botschaft des Christentums. Das Leben und die Liebe haben somit das letzte Wort. Wie diese existenzielle Bedeutung der Auferstehung immer wieder neu gelebt werden kann, behandelt Heft 2/2022 Auferstehung in gewohnt interdisziplinärer Weise.

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Inhaltsverzeichnis

ThPQ 170 (2022), Heft 2

Schwerpunktthema:

Auferstehung

Ines Weber

Liebe Leserin, lieber Leser!

Hans Kessler

Wie Auferstehung denken?

1 Die Ostertexte des Neuen Testaments

2 Wie sind die Erscheinungen zu verstehen?

3 Was heißt „Auferstehung“ und wie ist sie begründet?

Thomas Söding

Vom Tod zum Leben. Die Frauen der Osterevangelien – ein Vergleich, ein Versprechen, eine Verpflichtung

1 Beredtes Schweigen – Das Markusevangelium

2 Doppelter Auftrag – Das Matthäusevangelium

3 Klare Botschaft – Das Lukasevangelium

4 Zarte Worte – Das Johannesevangelium

Oliver Dyma

Von Gottes Hand abgeschnitten?Zwischen Schattendasein und Auferstehungshoffnung

1 Es gehet dem Menschen wie dem Vieh

2 Von der Klage zur Hoffnung (Ps 88)

3 JHWH als Gott des Lebens – auch des Todes?

4 Der Schöpfer ist für die ganze Wirklichkeit zuständig

5 Zwischen Urgeschichte und Heilsvision

Monika Prettenthaler

Befreit und aufgerichtet leben. Tod und Auferstehung Jesu als Thema des Religionsunterrichts

1 Tod und Auferstehung Jesu im Lehrplan

2 Ein Blick auf mögliche Zugänge von Schüler:innen zur Auferstehung Jesu

3 Auf Tod und Leben – wie Auferstehung thematisiert erschlossen werden kann

4 Neues aufgerichtetes Leben und Alltagsauferstehungen?

Erich Garhammer

„Mehr erwarten Sie nicht nach dem Tod?“Auferstehung literarisch

1 „Vorweggenommen in ein Haus aus Licht“: Auferstehung in der Lyrik von Marie Luise Kaschnitz

2 Das Hoffen auf Auferstehung

3 Auferstehung heute und jetzt: Kurt Marti

4 Leben im Altenheim: gegen postmortale Fantasien

5 Auferstehung durch die Fußballsprache: Friedrich Christian Delius

6 Die Bibel hatte die Zunge gelähmt

7 Auferstehungserlebnis durch die Beichte: Helga Schubert

8 Arbeiten an der Auferstehungsgestalt: Irene Mieth

Andreas Peterl

Auf der Suche nach Transzendenz. Musik zu Passion und Auferstehung und ihre Rolle außerhalb der Liturgie

1 Ostern – Jesu Tod und Auferstehung in der Musik außerhalb der Liturgie – eine Spurensuche

2 Fazit und Ausblick

Abhandlung

Helena Stockinger

Konturen einer verletzlichkeitssensiblen Religionspädagogik

1 Bedeutung der Auseinander­setzung mit Verletzlichkeit

2 Kritische Reflexion religiöser Bildung unter Berücksichtigung der Verletzlichkeit

3 Zielsetzung und Gestaltung religiöser Bildung unter Berücksichtigung von Verletzlichkeit

4 Ausblick

ThPQ – nachgelesen

Isaac Kalimi

Frauenfiguren der Hebräischen Bibel im jüdischen Mittelalter. Anmerkungen zu deren Rezeptionsgeschichte

Literatur

Das aktuelle theologische Buch

Besprechungen

Eingesandte Schriften

Aus dem Inhalt des nächsten Heftes

Redaktion

Kontakt

Anschriften der Mitarbeiter

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser!

Manchmal feiern wir mitten im Tag

ein Fest der Auferstehung.

Stunden werden eingeschmolzen

und ein Glück ist da.

Manchmal feiern wir mitten im Wort

ein Fest der Auferstehung.

Sätze werden aufgebrochen

und ein Lied ist da.

Manchmal feiern wir mitten im Streit

ein Fest der Auferstehung.

Waffen werden umgeschmiedet

und ein Friede ist da.

Manchmal feiern wir mitten im Tun

ein Fest der Auferstehung.

Sperren werden übersprungen

und ein Geist ist da.

Das bekannte Kirchenlied (GL 472) bringt auf den Punkt, was Auferstehung auch meint: aufstehen, sich erheben, alte Wege verlassen und neue gehen, widerständig sein, Grenzen sprengen, sich und andere neu ausrichten. Damit ist Auferstehung kein einmaliger Akt, der sich nicht allein auf das Ende der Zeiten oder nur auf eine leibliche Auferstehung nach dem Tod bezieht. Auferstehung geschieht jeden Tag, mitten im Leben, überall dort, wo Menschen ihren Blickwinkel verändern, ihr Verhalten umsteuern, ihre Haltung neu ausrichten, wo sie geheilt und befreit zu neuem Leben aufbrechen. Jesu Sieg über den Tod bleibt so ein sich je neu ereignender Akt liebender, Verwandlung ermöglichender Zuwendung.

Es ist dieser Motivkreis, den unsere Autorinnen und Autoren aus ihrer jeweiligen Fachperspektive in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen rücken. So beleuchten die ersten drei Beiträge vor allem biblische Befunde. Den Auftakt macht der Würzburger Fundamentaltheologe und Dogmatiker Hans Kessler. Anhand der neutestamentlichen Texte – was dort berichtet, erzählt, inszeniert wird – verdeutlicht er, wie Menschen sich trotz oder gerade wegen Jesu Tod bei aller Hoffnungslosigkeit von Gott im Innersten ergreifen, berühren und verwandeln ließen, welch radikalen Bruch sie vollzogen haben und wie total sie umkehrten, um Jesus nachzufolgen und ihn zu verkünden. Dass ein solch vollständiger Wandel durchaus mit Schweigen beginnen kann und das Erzählen von der Frohbotschaft begründet verzögert geschah, zeigt der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding. Er rückt die Frauen als erste Zeuginnen der Auferstehung in den Mittelpunkt, womit er eine neue Perspektive der Interpretation der Auferstehungserfahrung eröffnet. Wie groß die Sehnsucht der Menschen nach Errettung – vor allem aus dem Tod – schon in alttestamentlicher Zeit war, verdeutlicht der Münsteraner Alttestamentler Oliver Dyma. Bestand ursprünglich die Vorstellung, JHWH hätte keinen Zugriff auf das Reich der Toten, so stellte sich nach und nach die Erfahrung Seines rettenden und erlösenden Eingreifens ein, womit Entwicklungslinien der Entstehung einer Auferstehungshoffnung skizziert werden.

Die drei folgenden Beiträge wollen das Schwerpunktthema unseres Heftes im Heute in den Blick nehmen. Dass der Religionsunterricht in der Oberstufe nicht allein bei der Darstellung des Auferstehungsgedankens stehen bleiben muss, führt die Grazer Religionspädagogin Monika Prettenthaler eindrucksvoll vor Augen. Weil das Thema Auferstehung im Unterricht zum Umdenken, zum Neudenken provoziert, weil es aufrüttelt und durcheinanderbringt, kann es für Schüler:innen zum Anstoß eines neuen Lebens, zu einem Auferstehungsereignis werden. Wie solche Erfahrungen im Alltag konkret geschehen, wie einzelne Menschen dadurch angestoßen sowohl körperliche als auch seelische Veränderung erfahren oder ein ganz neues Verhalten entwickeln, beschreibt der Würzburger Pastoraltheologe Erich Garhammer. Indem er der literarischen Verarbeitung des Themas nachgeht, fördert er eindrückliche Zeugnisse sehr persönlicher Auferstehungserlebnisse zu Tage, die unter die Haut gehen. Daran anschließend erläutert der Linzer Diözesan-Kirchenmusikreferent und Lehrer am Konservatorium für Kirchenmusik Andreas Peterl, wie existenzielle Fragen des Menschseins in der Musik verarbeitet werden. Überrascht aufhorchen lässt die Feststellung, zu welchen Jahreszeiten und in welchen Kontexten das Motiv der Auferstehung besser nicht mehr aufgegriffen beziehungsweise in welche Zeiten des Jahres es verschoben wird.

Unser Heft beschließt die Linzer Religionspädagogin Helena Stockinger mit Überlegungen zu Konturen einer verletzlichkeitssensiblen Religionspädagogik. Sie erweitert religiöse Bildung um diese in ihren Augen wichtige Dimension für die heutige Zeit.

Geschätzte Leserinnen und Leser!

„… mitten im Tag ein Fest der Auferstehung …“ – dass sich ein solches ereignet, ist nicht primär Verdienst des einzelnen Menschen. Vielmehr ist es Gnadengeschenk Gottes, das unverdient zuteilwird. Wenn es sich jedoch ereignet, wenn aus Finsternis Licht, aus Tod Leben, aus Verzweiflung Hoffnung, aus Streit Frieden, aus Erstarrung Handeln, aus Sprachlosigkeit Rede, aus Enttäuschung Freude, aus Gefangenschaft Freiheit wird, kann es zutiefst lebensverändernd, heilend, erlösend sein, dazu ermutigen, diese Frohbotschaft zu leben, von ihr zu erzählen und sie damit weiterzugeben.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine befreiende Lektüre.

Ihre

Ines Weber

(Chefredakteurin)

Hans Kessler

Wie Auferstehung denken?1

♦ Eines der größten Verdienste der historisch-kritischen Exegese ist zweifelsohne die Entdeckung und Erforschung der grundlegenden Bedeutung des Zeugnisses an die Auferstehung im Neuen Testament. Mit diesem Zeugnis begann alles und auf ihren Sinn-Horizont ist letzten Endes aller Glaube ausgerichtet. Hans Kessler, Prof. emeritus für Fundamentaltheologie und Dogmatik der Goethe-Universität Frankfurt, gehört zu den Pionieren der theologischen Reflexion von Auferstehung. In seinem Beitrag erschließt er in klarer, kompakter Darstellung die verschiedenen Ebenen der Ostertexte und legt für das vorliegende Themenheft gleichsam das Fundament für ein sachgemäßes Verständnis von Auferstehung. (Redaktion)

Fragen wir zuerst: Die biblischen Oster­texte – was sind das für Texte? Sodann: Wie sind die Erscheinungen zu verstehen? Und drittens: Was bedeutet Auferstehung und wie ist sie begründet.

1 Die Ostertexte des Neuen Testaments

Um nicht auf falsche Fährten zu geraten, muss man zunächst wissen, dass die Ostererzählungen der Evangelien gar nicht so alt sind (sie finden sich erst in der späteren Zeit zwischen 70 und 100 n. Chr.). Deutlich älter sind kurze Osterbekenntnisse, die sich in den ältesten Schriften des Neuen Testaments finden und auch dessen spätere Schriften durchziehen.

Man muss also im Neuen Testament zwei Textsorten über Ostern unterscheiden: 1. frühe kurze Osterbekenntnisse, 2. spätere Ostererzählungen, die dieses frühe Osterbekenntnis erzählerisch inszenieren und veranschaulichen.

1.1 Die frühen Osterbekenntnisse

a) Das älteste historisch greifbare Zeugnis von Ostern ist ein knappes eingliedriges Bekenntnis: „Gott hat Jesus von den Toten erweckt“ oder meistens und ursprünglicher: „Gott, der Jesus von den Toten erweckt hat.“ Wahrscheinlich war die erste Rede von Jesu Auferstehung also Gotteslob, lobpreisende Antwort der Jünger:innen auf ihre Ostererfahrung: „(Gepriesen sei) Gott, der Jesus von den Toten erweckt hat“.

Nun preisen Israeliten/Juden Gott, „der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 115,15 u. a.), „der uns aus Ägypten befreit hat“ (Ex 16,6 u. a.) und „der die Toten lebendig macht“ (Achtzehnbittengebet 2). Genau solche Juden preisen jetzt auf einmal Gott als den, „der Jesus von den Toten erweckt hat“. Sie sagen: „Jesus ist auferweckt“ – von Gott (alles hängt an Gott).

Dieses kurze Bekenntnis geht bis in die Anfänge der Jerusalemer Urgemeinde um 30 n. Chr. zurück und durchzieht das gesamte Neue Testament, von den frühesten bis zu den spätesten Schichten (z. B. 1 Kor 6,14; 2 Kor 4,14; Gal 1,1; Röm 4,24; 8,11; Apg 2,32; 13,33 f.; 17,31; Mk 16,6 par; Joh 2,22; Kol 2,12 f.; Hebr 13,20; 2 Tim 2,8 und viele andere).

Nebenbei: Die Urgemeinde hat die Erweckung Jesu vom Tod von Anfang an nicht als Rückkehr auf die Erde verstanden, sondern als Erhöhung zu Gott, als Eingehen in die Dimension Gottes. Das zeigen andere frühe Aussagen wie „er ist erhöht“, ist „zur Rechten Gottes“ usw.

Wie kommen die Jünger dazu, von dem Jesus, der doch wie ein Aufrührer hingerichtet worden ist, zu sagen: „er ist auferweckt/erhöht“? Die Antwort gibt

b) eine frühe Erweiterung des Bekenntnisses „Jesus ist auferweckt“: „und er erschien dem Kephas u. a.“.

Paulus zitiert (in 1 Kor 15,3–7) dieses erweiterte Osterbekenntnis, das er „übermittelt bekommen“ hat. Wann? Vielleicht im Jahr 32 nach seiner Bekehrung vor Damaskus, in der dortigen Gemeinde (die er eigentlich zerstören wollte), oder drei Jahre später, als er zwei Wochen lang Petrus und Jakobus in Jerusalem besuchte (wie er Gal 1,17–19 berichtet).

In diesem frühen Bekenntnis heißt es: Christus „ist auferweckt“ und er „erschien dem Kephas, dann den Zwölf“, danach dem Jakobus, dann allen Aposteln. Dazwischen schiebt Paulus noch ein: Er erschien über 500 auf einmal (der Urgemeinde?), von denen die meisten noch leben (d. h. ihr könnt sie noch fragen). Und am Ende dieser Liste von Zeugen fügt Paulus hinzu: „zuletzt aber von allen, gleichsam wie der Fehlgeburt, erschien er auch mir.“

Mit diesem „Christus erschien dem …“ wird auf die Erfahrung hingewiesen, die den Osterglauben ausgelöst hat.

Am Anfang steht also ein knappes Bekenntnis, das den Osterglauben auf den Punkt bringt: Gott hat Jesus vom Tod erweckt (zu sich erhöht), und er ist etlichen Zeugen „erschienen“. Ganz knapp, nüchtern, ohne alle Ausmalung.

1.2 Spätere Ostererzählungen

Dieses Osterzeugnis aus der frühen Urgemeinde wird später entfaltet in Ostererzählungen, die wir am Ende der Evangelien finden (zwischen 70 und 100 n. Chr.). Diese Erzählungen mit ihren bunten Details haben die Vorstellungen von Ostern in unseren Köpfen geprägt (und die Darstellungen in der westlichen Kunst seit etwa 1200, bis dahin gab es solche Bilder nicht, in den Ostkirchen gibt es sie bis heute nicht).

Diese Ostererzählungen sind keine historischen Erlebnisberichte, keine Reportagen der Osterereignisse, man darf sie nicht wie Zeitungsberichte lesen. Sie stammen nicht von Oster-Zeugen (denen „Christus erschienen“ ist), sondern sind spätere erzählerische Inszenierungen des alten Osterbekenntnisses „Jesus ist auferweckt“ und „er erschien dem Kephas usw.“.

Die knappe Notiz „er erschien dem Kephas u. a.“ genügte dem Bedürfnis der Menschen nicht, sie wollten sich etwas vorstellen können. Diesem Verlangen geben die Erzählungen nach. Sie veranschaulichen das, was doch wesentlich unanschaulich ist: die Auferstehung und ihr Offenbar-werden.

Es sind sehr unterschiedliche Veranschaulichungen (je nach den Fragen der späteren Gemeinden und den Antwortversuchen der verschiedenen Evangelisten), unterschiedliche Inszenierungen, nach Art von Predigtgeschichten. Keine Erzählung gleicht der andern (man kann keine Synopse herstellen).

Wenn man diese Erzählungen fälschlich als Berichte auffasst, ergeben sich nicht harmonisierbare Widersprüche: bei Mk fliehen die Frauen vom Grab und erzählen niemand etwas, bei Lk (der den Mk-Text doch als Vorlage hat) melden sie alles den Jüngern; bei Lk die Emmausjünger, bei Joh Maria von Magdala und der ungläubige Thomas, bei Mt die Erscheinungen in Galiläa, bei Lk in Jerusalem usw., unvereinbare Szenarien.

Deswegen haben schon antike Christentumskritiker wie Kelsos und Porphyrios geurteilt, dass das alles nicht stimmen könne. Sie haben die predigtartigen Erzählungen eben als angebliche Erlebnisberichte aufgefasst, die einfach nicht übereinstimmen und deshalb nicht wahr sein können.

Hätten die Evangelisten selber ihre Ostererzählungen als historische Berichte aufgefasst, dann hätten sie nie so verfahren dürfen, dass z. B. Lk das Mk-Evangelium, das er ja als Vorlage hatte, derart abändert.

Aber es sind von den jeweiligen Evangelisten geformte predigtartige Erzählungen.2 Das kann man beispielsweise sehr gut sehen, wenn man die drei aufeinander folgenden Erzählungen am Ende des Lk-Evangeliums nicht nacheinander schreibt, sondern nebeneinander (wie eine Synopse), dann erkennt man deutlich die Hand des Lukas in den dreimal wiederkehrenden Stilmerkmalen.

Nun gibt es bei diesen späteren Ostererzählungen zwei Arten: Grab-Erzählungen und Erscheinungserzählungen.

a) Erzählungen von der Osterverkündigung am Grab

Die älteste, auf der die andern fußen, ist Mk 16,1–8 um 70 n. Chr.: Frauen gehen zum Grab Jesu und erleben Unerwartetes: Das Grab ist geöffnet, der Grabstein weggewälzt, sie sehen einen weiß gekleideten jungen Mann oder Engel, der zu ihnen spricht, Schrecken erfasst sie, sie verlassen fluchtartig die Grabhöhle und sagen niemand etwas. Was ist das für ein Text?

Der Dogmatiker Walter Kasper schrieb 1974, dass hier „kein historischer Bericht vorliegt“. Der Wunsch, einen beigesetzten Toten nach Tagen noch zu salben, „ist durch keine geläufige Sitte gedeckt und bei den klimatischen Verhältnissen Palästinas in sich widersinnig. Dass die Frauen erst unterwegs auf den Gedanken kommen, sie hätten eigentlich Hilfe nötig, um den Stein weg zu wälzen …, verrät ein mehr als erträgliches Maß an Gedankenlosigkeit. Wir müssen also annehmen, dass es sich hier nicht um historische Züge, sondern um Stilmittel handelt, die Aufmerksamkeit wecken und Spannung erzeugen sollen. Alles ist offensichtlich in recht geschickter Weise auf das lösende Wort des Engels hinkonstruiert.“3

Die Erzählung setzt die Osterbotschaft voraus und ist auf sie hinkomponiert (mit den Mitteln damaliger Entrückungserzählungen: „suchen“ und „nicht finden“, Schrecken). Ein erzählendes Evangelium muss die Osterbotschaft mit erzählerischen Mitteln verkünden, kann also nach der Erzählung von Kreuzigung und Grablegung nicht einfach ein Glaubensbekenntnis hinsetzen, sondern muss es in Form einer Erzählung umsetzen.

Die Osterbotschaft ist also jetzt dem himmlischen Boten in den Mund gelegt. Wo ein Engel (Bote) auftaucht, geht es um eine Botschaft von Gott her.

Der Deute- oder Verkündigungs-Engel (angelus interpres) ist schon in manchen Texten des Alten Testaments eine literarische Kunstfigur, die Offenbarung von Gott her anzeigen will. Auf diesen Verkündigungs-Engel greifen die Kindheits- und Ostererzählungen der Evangelien zurück, um Offenbarung von Gott her zu signalisieren.

So auch die Graberzählung bei Mk: Sie ist kein Erlebnisbericht, sondern verkündet erzählerisch die Botschaft „Jesus ist auferweckt“. Man darf deshalb nicht von der literarischen Ebene direkt auf die historische Ebene springen und sagen: „Bitte, da steht’s doch! So war’s.“

Wichtig ist: In dieser ältesten Grab-Erzählung löst die leere Grabnische gar nicht den Osterglauben aus (die Frauen fliehen ja erschrocken und sagen niemand etwas). Die Erzählung hält damit fest: Der Osterglaube wurde nicht durch ein leeres Grab ausgelöst, was allerdings spätere Ausgestaltungen in anderen Evangelien (und besonders im apokryphen Petrus Evangelium um 150 n. Chr.) immer mehr annehmen. Sie alle stört dieser abrupte Schluss des Mk-Evangelium: „die Frauen sagen niemand etwas“. Dieser Schluss hat dann im 2. Jh. einen Abschreiber sogar so sehr gestört, dass er aus Stellen in Mt, Lk, Joh einen ihm passenderen sekundären Schluss zusammengefügt hat. Dass der nachträglich an das Mk-Evangelium hinzugefügt ist, geht aus den frühen Handschriften hervor.

Was soll der ursprüngliche Schluss des Mk-Evangeliums „die Frauen sagen niemand etwas“? Er soll die Leser zurückverweisen auf all das, was vorher im Mk-Evangelium über Jesus gesagt ist, nämlich: Dort ist alles Wesentliche gesagt. Es gilt auf ihn zu hören und seine Botschaft zu leben.

Exkurs: Musste das Grab Jesu leer sein?

Immer wieder wird behauptet, mit dem biblischen Verständnis von Auferstehung sei ein volles Grab nicht vereinbar; das Grab Jesu müsse leer gewesen sein.

Doch das trifft nicht zu, wie genaue Untersuchungen zeigen. Die wichtigste von Jürgen Becker kommt zu dem Ergebnis: „Das ständig ungeprüft wiederholte Argument, Christen konnten in Jerusalem Jesu Auferstehung nicht verkündigt haben, ohne Jesu leeres Grab vorzuzeigen, besitzt am frühjüdischen Textbefund keinen Rückhalt.“ Die verbreitete Ansicht, die Bibel habe sich die Auferstehung nur materiell-körperlich vorstellen können, stimme nicht. Denn: „Die übergroße Mehrheit der Texte vertrat die Ansicht, Gott der Schöpfer werde entweder der Toten-Seele einen neuen Leib geben, oder überhaupt nur der Seele Vollendung gewähren.“ „In jedem Fall spielen die Gräber keine Rolle, weil die Auffassung herrscht, dass der irdische Leib endgültig vergeht und Gott an seiner Stelle Neues schafft.“4

Und das Neue, das Gott schafft, muss anders verstanden werden als der materielle Körper, der im Grab verwest (dazu 3.3).

Also: Nach damals verbreiteter Auffassung bleibt der Leichnam im Grab und verwest, und die Person lebt dennoch auferweckt oder erhöht bei Gott. Deshalb hat die Verkündigung der Auferstehung Jesu niemand in Jerusalem auf die Idee gebracht, nachzuprüfen, ob sein Grab auch wirklich leer ist. Im gesamten Urchristentum gab es keine Anzeichen für eine Beachtung und Pflege eines Grabes Jesu; dessen angebliche Entdeckung ist Sache einer späteren Zeit (4. Jh.).

Manche halten das leere Grab für wichtig; das sei ihnen unbenommen. Aber der christliche Glaube an die Auferstehung Jesu erfordert nicht, dass das Grab leer war.5 Das leere Grab gehört auf die Ebene der Erzähllogik und der Metaphorik.

Also nicht „aus dem Grab auferstanden“, sondern im Tod am Kreuz zu Gott erhöht. „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“, lässt Lk 23,43 den Gekreuzigten zum reumütigen Schächer sagen: „heute noch“, nicht erst nach drei Tagen. Der dritte Tag ist seit Hosea 6,2 symbolische Zahl für das rettende Wirken Gottes dort, wo Menschen total am Ende sind.6

Der symbolische dritte Tag (in der Formel „auferweckt am dritten Tag nach der Schrift“) wird dann aber bald chronologisch genommen (nach drei Tagen), und Lk verstärkt diese Chronologisierung: nach drei Tagen Ostern, nach 40 Tagen Himmelfahrt, nach 50 Tagen Pfingsten. Ursprünglich ist das alles zusammen, die zeitliche Entfaltung der Momente ermöglicht es, bei den einzelnen Aspekten länger zu verweilen.

Der Osterglaube wurde nicht durch ein leeres Grab ausgelöst, sondern durch Erfahrungen, die mit dem „er erschien dem Kephas u. a.“ (1 Kor 15,5.6 f.) gemeint sind. Dazu gleich mehr. Zuvor aber zu den

b) Erscheinungserzählungen

Mk hat nur das alte Bekenntnis „Jesus ist auferweckt“ erzählerisch inszeniert. Erst die Großevangelien Mt, Lk und Joh inszenieren auch das „er ist erschienen“ in vielfältigen Variationen. Sie wollen damit nicht beschreiben, was damals (im Jahre 30) an Ostern exakt abgelaufen ist, sondern wollen Antwort geben auf existenzielle Anschlussfragen der Gemeinden ihrer späteren Zeit (zwischen 80 und 100 n. Chr.). Die Texte sprechen von dem Christus praesens, der jetzt mit uns ist (um 80/100 oder heute 2022).

Lukas gibt zum Beispiel mit der Emmauserzählung Antwort auf die Frage seiner Gemeindemitglieder: Wo können wir heute den lebendigen Jesus erfahren? Seine Antwort: Wie mit Kleopas und seinem Begleiter geht der Herr auf unsern Wegen längst mit uns, noch ehe wir es merken. Doch wenn wir zum Herrenmahl zusammenkommen, dann ist er es, der uns die Schrift erklärt und uns das Brot bricht, und dabei können wir seiner Gegenwart innewerden; dabei wird uns bewusst, dass er schon längst da ist. Deshalb kann Jesus in dem Augenblick, wo er von den Emmausjüngern erkannt ist, aus dem Erzählgang einfach „verschwinden“, und dieses Verschwinden löst bei ihnen überhaupt keine Enttäuschung oder Bedauern aus. Es ist das Verschwinden in die Dimension Gottes hinein, aus der er verborgen gegenwärtig ist und bleibt.7 „Herr bleibe bei uns“ (Lk 24,29): Ja, er bleibt bei uns bis ans Ende der Welt (sagt ebenso Mt 28,20).

Oder die Erzählung vom ungläubigen Thomas (Joh 20,24–29): Thomas steht für alle, die nicht dabei waren, als der Herr erschien, also für alle Späteren, auch für uns. Die Erzählung will die Frage beantworten: Waren die Ur-Jünger damals privilegiert, durften sehen und mussten nicht glauben, während wir Späteren glauben müssen, ohne zu sehen? Die Erzählung antwortet nicht: „Selig, die nicht sehen, sondern glauben“, vielmehr antwortet sie: „Selig, die nicht sehen und doch glauben“. Die Ur-Jünger mussten auch glauben, ohne Glauben sahen sie nicht, sagt das Joh-Evangelium, dem es auch sonst um das Sehen mit den Augen des Glaubens geht, und um das Hören auf das Wort Jesu, in dem er heute selbst zu uns „kommt“ (so Joh 14,23 f.).

Diese Erzählungen arbeiten ganz bewusst mit besonderen Stilmitteln: mit der Dialektik von geheimnisvollem Kommen und Verschwinden des Auferstandenen, von seinem Erscheinen und dem Zweifel einiger Jünger, von „leg deine Hand in meine Seite“ und „rühr mich nicht an“. Nirgends heißt es etwa, dass Thomas seine Hand tatsächlich in die Seite Jesu gelegt hat; in der Handlungswelt der realen Vorkommnisse kommt das gerade nicht vor, lediglich in der besprochenen Welt der Symbole, und dort wird es durch das gegenläufige „rühr mich nicht an“ (Joh 20,17) dialektisch aufgefangen.

So in der besonders zarten Erzählung von der Erscheinung Jesu vor Maria von Magdala (Joh 20,11–18). Eine Predigtgeschichte von einer Liebenden voll tiefer Trauer, die durch den Schleier ihrer Tränen hindurch etwas sieht und nicht weiß, was es ist, bis sie ihren Namen hört: Maria! Da kommt es aus ihr heraus: Rabbuni, mein Meister! Und sie hört ihn sagen: „Rühr mich nicht an, such mich nicht festzuhalten“ wie etwas Greifbares, das kannst du nicht und brauchst du nicht, denn ich bin da, bin dir nahe, und nun „geh und sag das auch meinen Brüdern“ (20,18). Eine Predigtgeschichte von der exemplarisch Glaubenden, Liebenden, und von der ersten Apostelin – gegenüber den Männern!

Und was ist mit der an die Emmausgeschichte angehängten Erzählung in Lk 24,36–43, die Jesus vor den Augen seiner Jünger ein Stück gebratenen Fisch essen lässt?

Der Text beginnt damit, dass die Jünger in Furcht und Schrecken geraten, weil sie meinen, einen Geist, ein Gespenst zu sehen. Dazu muss man wissen,8 dass griechisch denkende Menschen sich die Begegnung eines Verstorbenen nur als Erscheinen von dessen Geist vorstellen konnten; und nach griechischem Volksglauben konnten Geister nicht essen. Also macht Lk gezielt eine Geschichte, wo er den auferweckten Jesus vor den Augen seiner Jünger ein Stück Fisch essen lässt, und mit diesem drastischen Materialismus sagt Lk seinen griechischen Lesern: Ihr habt es nicht mit einem bloßen Geist (Gespenst) zu tun, es ist der Herr höchstpersönlich (‚leibhaftig‘), der euch begegnet. Aber vergesst nicht, was ich euch vorher in der Emmausgeschichte gesagt habe: nicht handgreiflich ist er da, sondern verborgen, und beim Herrenmahl geht es euch auf: „brannte nicht unser Herz, wie er uns die Schriften erschloss?“

Aber Buchstabengläubige nehmen die Texte wortwörtlich, sie verkennen die literarische Eigenart der Texte.

Man möchte sie auf die Offenbarungskonstitution des II. Vatikanischen Konzils (1965) hinweisen, die vom Gotteswort im Menschenwort spricht: „Die heiligen Schriften enthalten das Wort Gottes.“ „Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer sorgfältig erforschen, was die hl. Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte.“ „Um diese Aussageabsicht zu ermitteln“, muss man „auf die literarischen Gattungen achten“ (weil „geschichtliche, prophetische oder dichterische“ Texte „je verschiedenen Sinn haben“), und weiter auf die „Bedingungen der Zeit und Kultur“ (Dei Verbum, Nr. 11–12 und 24).

2 Wie sind die Erscheinungen zu verstehen?

2.1 Zwei gegensätzliche Ansichten

Buchstabengläubige und Rationalisten: Beide verfehlen, was gemeint ist.

a) Buchstabengläubige beharren auf sinnlich-physischen Kontakten (die Jünger hätten Jesus mit ihren körperlichen Augen gesehen, seine Wundmale berührt, usw.9). Aber damit verkennen sie die erwähnten Züge der Erzählungen, ihre literarische Gattung.

Es führt also in die Irre, wenn Caravaggio in seinem berühmten Gemälde „Der ungläubige Thomas“ einen fleischigen Jesus malt und einen Thomas, der seinen Finger in die klaffende Seitenwunde schiebt und guckt, ob es geht, und die andern dahinter gucken auch, ob es geht.

Glenn Most hat gezeigt, wie die Thomaserzählung aufgrund einer Fehllektüre mehr als 1.500 Jahre lang missverstanden wurde und wie das künstlerisch großartige, theologisch aber irreführende Gemälde von Caravaggio den Höhepunkt dieses Missverständnisses bildet.10

b) Rationalisten vertreten das gegenteilige Extrem: Sie reduzieren alles, was Ostern geschehen sein soll, auf bloße Trauerverarbeitung der Jünger, die sich schließlich in subjektive Visionen hineingesteigert hätten.

Damit verkennen die Rationalisten, dass die Texte durchweg von nicht selbst-erzeugten Ereignissen sprechen, die den Jüngern plötzlich widerfahren sind. Am deutlichsten wird das durch

2.2 Die Kehrtwendung des Jakobus und des Paulus

a) Der Herrenbruder Jakobus war nach dem Tod des Vaters Joseph und nach dem Weggang Jesu nun der nächst-älteste Sohn Marias (Mk 6,2 f.) und damit das bestimmende Oberhaupt der Familie. Mk 3,21.31 berichten, dass die Mutter Jesu und seine Brüder von Nazaret hinunterkamen zum See Genezaret, um Jesus nach Hause zurückzuholen, weil sie meinten, er sei „verrückt geworden“; hatte man doch gehört, dass er sich als Bringer von Gottes Herrschaft verstand, in Gottes Kraft wirkte, Sünden vergab, sich mit Randexistenzen der Gesellschaft umgab. Die Familie beschloss, ihn zurückzuholen. Doch die Aktion scheitert, man kehrt ohne ihn zurück.

Jesus hatte auf die um ihn Versammelten geschaut und gesagt: „Seht da, meine Mutter und meine Brüder! Wer den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter“ (Mk 3,34 f.). Damit war der Bruch da. Jesu Familie und sein ganzes Heimatdorf Nazaret lehnten ihn ab (vgl. Mk 6,1–6). Deshalb ist vom Familienclan auch niemand in Jerusalem bei Jesu Kreuzigung und Grablegung dabei.11

Doch dann kommt die unerwartete Wende: Jakobus bricht von Nazaret auf, wandert 100 km nach Jerusalem, tritt der Urgemeinde bei. Und das tut nicht nur er allein, sondern mit ihm auch Maria und die andern Brüder Jesu: Sie alle verließen geschlossen die Heimat, gaben ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage auf, zogen hinauf nach Jerusalem und schlossen sich der armen Urgemeinde an (wie Apg 1,14 und 1 Kor 9,5 zu entnehmen ist).

Was hat diese radikale Kehrtwendung des Jakobus (und mit ihm der Mutter und der anderen Brüder) bewirkt? Das urgemeindliche Bekenntnis sagt: Es war jenes „Christus erschien dem Jakobus“ (1 Kor 15,7), es muss eine umstürzende Erfahrung gewesen sein in Nazaret.

b) Und Paulus? Nach seiner eigenen Aussage hat er die frühchristlichen Gemeinden „maßlos verfolgt und zu vernichten gesucht“ (Gal 1,13 f.; Phil 3,5 f.). Wahrscheinlich deswegen, weil er den gekreuzigten Jesus als von Gott „Verfluchten“ ansah gemäß Dtn 21,22 f. (so deutet er Gal 3,13 an; „Gekreuzigte sind Verfluchte Gottes und der Menschen“, heißt es in der Tempelrolle von Qumran). Aber dann hat Paulus auf dem Weg nach Damaskus, wo er die dortige judenchristliche Gemeinde zerstören wollte, ein unerwartetes Widerfahrnis, das bei ihm eine radikale Wende auslöste, so dass er – nach längerem Rückzug in die Wüste und zweiwöchigem Besuch in der Jerusalemer Urgemeinde – fortan den Völkern Jesus Christus verkündigt, rastlos unterwegs in Kleinasien und Griechenland, auf schier endlosen Fußmärschen Hunger, Kälte, Auspeitschungen, Gefängnis usw. erduldet und am Ende in Rom unter Nero den Märtyrertod erleidet.

Man muss sich das alles vor Augen führen, um zu erahnen, was diese radikale Kehrtwendung ausgelöst haben könnte. Es muss eine außergewöhnlich starke Erfahrung gewesen sein, ein Einschlag.

2.3 Was besagt das urgemeindliche „er erschien“?

a) Mit „Christus erschien dem Kephas u. a.“ hat die Urgemeinde wohl zurückgegriffen auf Offenbarungssprache des Alten Testaments: „Gott erschien dem Abraham“ (Gen 12,7; 17,1; 18,1). Was meint dieser Ausdruck?

Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr. – 45 n. Chr.) hat die hebräische Bibel seinen griechischen Zeitgenossen übersetzt und dabei auch das „Gott erschien dem Abraham“ erläutert: „Es ist das Auge der Seele, das die göttliche Erscheinung wahrnimmt“, „ohne sinnliches Licht“ und „nicht mit körperlichen Augen“. Aber der ganze Abraham ist davon erfasst.12

Man darf also bei „Gott erschien dem Abraham“ nicht an etwas äußerlich Wahrnehmbares denken. Es geht um den Einbruch Gottes in das Innere Abrahams, das den ganzen Abraham ergriff und zum Aufbruch brachte; ein ungemein starkes, ganzmenschliches Ergriffen-sein.

b) Diesen Ausdruck „er erschien“ für Gottes Einbruch in das Innere greifen die Ur-Jünger auf, greift die Urgemeinde (1 Kor 15,5–7) auf, um die Oster-Erfahrung zu charakterisieren als ein bis ins Innerste erschütterndes Offenbar-werden: der gestorbene Jesus begegnet ihnen, erweist sich ihnen als gegenwärtig. Er ist von Gott her neu lebendig gegenwärtig: das erfahren sie.

Diese Erfahrung muss ungemein stark und evident gewesen sein, sonst hätte sie nicht den Jakobus in Nazaret zu seiner totalen Umkehr gebracht und vorher schon die untergetauchten Ur-Jünger zurückgebracht in das für sie nicht ungefährliche Jerusalem.

Dass dieses „Christus erschien“ eine außerordentlich starke, zutiefst erschütternde Erfahrung meint, wird bestätigt durch

c) Das Selbstzeugnis des Paulus. Er ist der einzige, von dem wir Selbstzeugnisse über seine Ostererfahrung haben.

Zwar gebraucht Paulus für sich auch das urgemeindliche „er erschien zuletzt auch mir“; er geht also von der qualitativen Gleichheit seiner Ostererfahrung mit derjenigen der Ur-Jünger aus. Er tut das nicht ohne Grund, hatte er doch die wichtigsten Osterzeugen persönlich gekannt und mehrfach mit ihnen gesprochen (wie er Gal 1,18 f.; 2,1–11 berichtet).

Aber von seiner eigenen Ostererfahrung kann Paulus auch anders sprechen: Er sei Verfolger der Gemeinden gewesen, bis es „Gott gefiel, in mir seinen Sohn zu offenbaren, damit ich ihn unter den Völkern verkünde“ (Gal 1,16). Gott gefiel es, in mir (en emoi) seinen Sohn zu offenbaren; viele Übersetzungen lassen das „in“ leider weg.13 Paulus spricht von einer „Offenbarung Jesu Christi“ (Gal 1,12), von einer „inneren Erleuchtung“ (2 Kor 4,6), von der „Erkenntnis Jesu als Christus (Messias)“: „nicht dass ich es schon ergriffen hätte, doch ich bin von Christus Jesus ergriffen worden“ (Phil 3,8.12).

Nirgends spricht Paulus von einem empirisch verifizierbaren Vorgang in der äußeren, handgreiflichen Realität, immer von etwas, was ihn tief in seinem Innersten packte und umwarf.

Lk hat dieses Unanschauliche später in Apg 9 dramatisch ausgestaltet: Paulus sieht eine Lichterscheinung, die ihn zu Boden wirft und blendet, er hört eine Stimme (die auch seine Begleiter hören): Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Paulus fragt: Wer bist du, Herr? Antwort: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Nach Lk ist Paulus drei Tage blind, seine Begleiter müssen ihn nach Damaskus führen, dort kommt es aufgrund von Gesichten zur Begegnung mit dortigen Christen usw.

Bei Paulus selbst geht es immer um einen ihn im Innersten treffenden Offenbarungsvorgang aus der Transzendenz Gottes. Paulus spricht von einer umwerfenden Erfahrung: Er erlebt die völlig unerwartete Gegenwart genau dieses gekreuzigten Jesus, den er (als von Gott verflucht) abgelehnt hatte und dessen Anhänger er verfolgt hatte. Diese evidente, einfach überzeugende, Gewissheit stiftende Erfahrung der lebendigen Gegenwart Jesu war es, die bei Paulus eine radikale Kehrtwendung auslöste. So dass er jetzt sagen kann: „Ich bin mit Christus gekreuzigt, ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,19 f.).

d) Auch beim Herrenbruder Jakobus, der Jesus vor Ostern abgelehnt hatte, hatte das „Christus erschien dem Jakobus“ einen völligen Umschlag hervorgerufen. Und entsprechend müssen wir bei den Ur-Jüngern Petrus, Maria von Magdala usw., die Jesus nachgefolgt waren, annehmen, dass sie nach dem Fiasko des Karfreitags nicht einfach ohne weiteres von ihrem getöteten Herrn sagen konnten: Gott hat ihn auferweckt. Das erklärt sich nicht allein aus dem Fortwirken der starken Erfahrungen, die sie vor Karfreitag mit Jesus gemacht hatten (Jakobus und Paulus hatten solche Erfahrungen mit Jesus ja ohnehin nicht).

Zumal, der Fall Jakobus und der Fall Paulus sprechen dagegen, dass es nach Karfreitag ohne ein neues außergewöhnliches Ereignis zum Glauben an die Auferweckung Jesu gekommen ist.

Und dass sie alle (Maria von Magdala, Petrus, die Zwölf, Jakobus und die andern, später Paulus) mit solcher Entschiedenheit und Einmütigkeit für diesen Jesus Christus und seine Sache ihr Leben einsetzten, das ist ohne ein neues, einfach überzeugendes Widerfahrnis nicht zu verstehen.

Wie das genau war, wissen wir nicht. Aber wissen wir denn, wie es bei anderen starken Intensiv-Erfahrungen zugeht, bei Propheten, bei Mystikern usw., die mit einer transzendenten Wirklichkeit in Berührung kamen und deren Leben umgedreht wurde?

Außenstehenden sind solche Intensiv-Erfahrungen nie zugänglich. Ein persönlich ergreifender Offenbarungsvorgang (aus der Transzendenz) lässt sich doch nicht für distanzierte äußere Betrachter nachvollziehen, man kann ihn nicht aus allgemein zugänglichen Erfahrungen herleiten. Eine Ahnung kann allenfalls bekommen, wer selbst schon eine Intensiverfahrung erlebt hat.

Die Ostererfahrungen kann man nicht unter dem Niveau von anderen starken Intensiv-Erfahrungen verstehen.

2.4 Ein evidentes Widerfahrnis hat den Osterglauben ausgelöst

Alle Oster-Texte sprechen von einem außerordentlichen, unerwarteten und evidenten Neuanstoß. Dieser war es, der nach Karfreitag die Wende auslöste und den geradezu explosionsartigen Neubeginn: Schon zwei Jahre später (im Jahr 32) gibt es in Damaskus und anderswo judenchristliche