Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier - Felix Hartlaub - E-Book

Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier E-Book

Felix Hartlaub

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Beschreibung

Als am 20. Juli 1944 Stauffenbergs Bombe explodiert, ist der Knall in der ganzen Wolfsschanze zu hören. Auch in den Baracken des Sperrkreises II, in denen der Historiker und Obergefreite Dr. Felix Hartlaub am offiziellen Kriegstagebuch der Wehrmacht mitarbeitet. Das Attentat wird für ihn zum Auslöser, insgeheim an seinen in Berlin und im besetzten Paris begonnenen literarischen Aufzeichnungen weiterzuschreiben – »ätzenden Miniaturen der NS-Geselligkeit« (Helmut Lethen), präzisen Innensichten aus der militärischen Befehlszentrale des Dritten Reichs. Darunter ist ein spektakulärer Romanentwurf über die unmittelbaren Nachwirkungen des 20. Juli, der in der Auseinandersetzung mit Stauffenbergs Attentat bislang kaum zur Kenntnis genommen wurde.

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Seitenzahl: 267

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Titel

Felix Hartlaub

Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier

Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Gabriele Lieselotte Ewenz

Mit Fotos

Nachwort von Matthias Weichelt

Suhrkamp Verlag

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp 2022.

Erste Auflage 2022Originalausgabe@ Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text undData Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Umschlaggestaltung nach einem Konzept von Willy Fleckhaus

eISBN 978-3-518-77376-5

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier

»W[erwolf]«

Ein Wirtschaftspionier

Im Dickicht des Südostens

Der Kurier des Zaren

[Der Zug in den Abgrund]

Anmerkungen

Abbildungsnachweis

Nachwort

Lektürehinweise zum Nachwort

Informationen zum Buch

Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier

»W[erwolf]«

Der forstwirtschaftlich mustergültige Kiefernwald – kein Mensch weiss, wo er herkommt. Anscheinend speziell für seine jetzige Verwendung geschaffen, von einem vorausblickenden deutschen Forstmann vielleicht Ende des vorigen Jahrhunderts. Von schmalem, zungenförmigen Grundriss, durch breite, numerierte Schneisen (Schlagbäume davor) nach allen Richtungen erschlossen und durchsichtig. Am Rande in regelmässigen Abständen hohe Eichen, in die jetzt Hochstände eingebaut sind. Der der Strasse abgewandte östliche Teil enthält den Sp[err]k[reis] I1 und ist durch ein übermannshohes Drahtgitter abgetrennt, in der Wiese liegt ein langgestrecktes Stacheldrahthindernis, eine spiralige Wulst. Die Kiefern 20-30 cm dick, viele sind herausgeschlagen, die Schnittflächen der Stümpfe graugrün getüncht. Auf dem Dach des – unbenutzten – würfelförmigen Bunkers sorgfältig arrangiertes Waldstillleben, ebenso auf den zahlreichen Baracken. Seegrasgetüpfelte Tarnnetze etc. Wege schwarze Asche, dicke Hydranten, Schlauchkästen an den Baracken. Die Baracken des Begleitbtls2 mit Geweihen und Laubsägearbeiten ausstaffiert. Der zwischen den Wegen gelegte – gesäte? – Rasen ist nicht richtig angegangen, auf grossen Strecken durch die Sommersonne verbrannt. Kienäpfel, die Schreiber sammeln sie in Papierkörben zum Feueranmachen. Schon im September wird geheizt, jede der langgestreckten Arbeits-Baracken3 schickt Dutzende von senkrechten schmalen Rauchsäulen hoch, das Blau wirkt merkwürdig intensiv in dem mit viel Sonnenflecken durchsprengten Grau-Braun-Grün. Luftschutzgänge, gewunden, die Wände durch Faschinen4 verstärkt, dort viel Spinnenweben und innere Kühle. Butter wird dort in Kochgeschirren kühl aufbewahrt und mitunter geklaut. Die »Anlage« soll im Winter von mehreren tausend Juden gebaut worden sein, das ihnen anschliessend zugewiesene Massengrab sich ganz in der Nähe befinden. In Wirklichkeit waren es Gefangene.5 Viele haben schwere Frostschäden davongetragen, auch von den Wachmannschaften, die gerne bei der Arbeit mit zugefasst hätten. – Ab Mitte September ein ununterbrochener Regen von gebräunten Nadeln. Alte O. ‌T.-Leute,6 z. ‌T. mit Buckeln, schiefen Schultern sind unausgesetzt damit beschäftigt, sie von den Wegen zu harken. Die lange Pfeife hängt ihnen bis an die Brusttasche, sie scheren sich nicht um die Generale; meistens mit penetranter Dialektfarbe. Ein Wasserwagen mit zwei abgetriebenen Pferdchen, das Geschirr besteht aus einem Leinwandstreifen vor der Brust. Ältere Luftwaffenbausoldaten gehen unablässig mit einer Trage voll duftenden Buchenholzscheiten ab und zu. Es stammt aus einem Gutspark jenseits des Flusses, der einem Strassenbau zum Opfer fällt. In den Baracken wird es unter den Pissoirs gestapelt.

An Stellen dichteren Baumbestandes Parkplätze. Am Rande des Gehölzes sichern Spähpanzer unter sonnenverdorrten Tarnnetzen. Pakgeschütze zeichnen sich unter Planen ab. An dem vorderen Herzen der Anlage erheben sich alle Augenblicke Stürme von Gänse- und Entengeschnatter. Das Geflügel zählt nach Hunderten. Verschiedene Tagesbefehle des Kommandanten:7 »Das Halten von Geflügel im Lager hat einen Umfang angenommen, der …«. Termine, bis zu denen alles abgeschlachtet sein soll. Der Oberst[abs]arzt protestiert. Aber erst als der Abreisetermin unwiderruflich feststeht,8 ist eine wirkliche Verminderung festzustellen. An Fenstern, Wäscheleinen hängen dann die kleinen nackten Kadaver, meist recht – mager, die sinnlosen Flügelstummel – scharfen Brustschwerter. Abgehackte Unterschenkel, damit sie besser in die Pakete passen. Die halbgeschlossenen Augen der Gänse, Grösse der Köpfe. Aber auch sonst sind zwei Soldaten tagaus tagein mit dem Zusammentreiben, Sortieren und vor allem Abschlachten des Geflügels beschäftigt. Vor Sonnenaufgang stehen sie auf, liegen mittags in Stiefeln eine halbe Stunde auf dem Strohsack, abends steht ihnen Wodka zur Verfügung. An einer Stelle liegt der Nadelwaldboden voller verdorrter flacher Hühnerköpfe, dröhnende Fliegentrauben bei jedem Schritt. – Jedes Mitglied des Unterstabes besitzt mehrere Stück Geflügel – Schwierigkeiten des Beringens, häufige Verwechslungen. Zum Schlachten und Ausnehmen chartert man sich für ein paar Zigaretten einen der beiden etatsmässigen Schlächter – das Rupfen bleibt dem Einzelnen überlassen. Der Schindanger liegt unmittelbar unter den Fenstern des Mannschaftsspeiseraums. Der Spiess9 mit seiner engeren Suite speist draussen, Stirn und Nacken schwitzen in der weissen Mittagssonne. – Die Hündin des Quartiermeisters10 – langhaariger Terrier – irrt mit ratlosem feuchten Blick durch die Paniken des Federviehs. Die Enten haben sich im Anschluss an eine Feuerwehrübung einen kleinen Tümpel geschaffen, in der zentralen Rasenfläche, schlafen meist, den Schnabel ins Rückengefieder gebettet. Die Gänse manövrieren unruhig am Rande.

Abb. 1 Felix Hartlaub 1942 im Führerhauptquartier Werwolf, am Schreibtisch seines Vorgesetzten Helmuth Greiner

Abb. 2 Führerhauptquartier Werwolf, vor dem Offizierskasino; Helmuth Greiner mit seinen Gänsen

Das kleine Kiesrund am hinteren Ausgang – der langen Arbeitsbaracke – ein Tisch mit Fernsprechanschluss und einigen Stühlen. Hier arbeitet der Gen.11 im Freien – er sitzt wohlgerundet vorne auf der Kante, der volle, etwas untersetzte, aber bauchlose Rumpf straff aufgerichtet, die gepflegte Hand an der bräunlichen glatten Wange. Durchstilisiert und von sich selbst geschwellt wie ein Wappentier. Die ebenholzdunkle spiegelglatte Haarschale, das Scharlachrot und Gold, weisse Sonnenkringel und flacher Baumschatten darüber hingesprenkelt[,] dahinter durch das Gitter der Stämme die weiter flimmernde Agrarsteppe. Nachmittags gibt es dort manchmal Tee und hohen Besuch, Achse, Japse, Abwehradmiräle, Sonderstab F.12 etc. Die Schreiber erhaschen etwas davon beim Blick den weissen Mittelgang hinunter durch die offene Glastüre. – Dem Vorzimmerfeldwebel und seinem Stift wird gepfiffen. –

Waldrand, Vorgelände. Mittags immer der gleiche starke gleichmässige Wind vom Osten, der gleiche Strom zwischen den dürftigen schorfigen Stämmen. Die Hitze – 30, 40 ‌° über Mittag – bedrückt nicht, brennt nicht, durchdringt sich mit dem Wind, scheint dauernd zuzunehmen wie auch das Wehen und bleibt doch immer erträglich. Die Schatten der Stämme schwenken langsam nach Osten, braunrot aufgehellt auf dem glatten Nadelboden, und messen den Ablauf der Siesta. Liegestühle, Decken, unter denen man vorher die Kienäpfel wegräumt. Die Zeitung weht es einem auseinander, das gleissende Buch sinkt bald in den Schoss des Entschlummernden. Körperfreudige Offiziere streifen die Badehose ab – der knabenhaft schlanke 1. Gen.[-]Stabsoffz. der Luftwaffe13 mit dünner sächselnder Stimme, der etwas verdrossene Bauchansatz der Marine,14 der sehr wohlgeformte jugendliche Leib des silbergrauen hakennasigen Bankdirektors.15 Bis ein Befehl des Gen. dem Nudismus ein Ende setzt. Dass dieser zu Beginn der Siesta meist übellaunig aus der Führerbesprechung zurückkehrt,16 seinem Blockhaus zusteuernd, ist nachteilig. Man stellt sich schlafend, wenn er vorbeischwebt – begegnet ihm mit Liegestuhl, Decke, Zeitung, ohne Grussarm. Er scheisst den Posten an, weil er ihn nicht kennt und ihm den Ausweis abverlangt (»Ich bin der Herr des ganzen Ladens hier«) oder den O. ‌T. Mann, der seinen Gaul drischt; in Wirklichkeit meint er aber den ausgiebig sonnenden Stab. Die schwerbekleideten Posten, die über die ausgestreckten nackten Glieder wegsteigen. Auch einzelne Mannschaften liegen dort lang, wohl abgesetzt von den Offz., am Rande der Hörweite, von der Sonne hingeplättet.

Um den Wald meilenbreit Getreidefelder, Kartoffeläcker. Nach Osten weit der Bahnkörper, an dem ein wenig Pappeln aufgereiht sind. Am Rande des Gesichtskreises findet er die Stadt,17 von der man nur ein paar weiss flimmernde Äternitdächer, eine rötliche Chemiehalle und die Masten der Sendestation sieht. Schmale, kompakte Barren von Eichenwäldern. Nach Westen zu senkt es sich unmerklich zum Fluss, das gegenüberliegende Ufer ist steiler. Ährenleserinnen kommen bis hart an den Waldrand, das Korn ist dünn gesät, geht an manchen Stellen unmerklich in Brachland über – kleinblütige struppige Kornblumen (?), Margeriten, Hirtentäschchen. Erntezeit: An vielen Stellen wachsen neben den Dreschmaschinen die riesigen Strohmieten aus der Fläche, mit steiler Stirn und sanft ansteigendem Rücken, auf dem wie von Geisterhand gezogen Strohbälle hochgleiten (mittels einer durch zwei Gespanne betätigten Zugvorrichtung). Gelbe Staubwolken darüber, Menschengewimmel drum herum. Fast noch in Rufweite, aber doch schon weit entrückt durch Flimmern und Wehen die langgestreckten einstöckigen Ziegelbauten einer Kolchose, jetzt von den Rekruten der F. Flakabtlg. belegt und mit hölzernen Geschützaufbauten gesehen. Abends, wenn die Sonne die letzten langen tiefgoldenen Strahlen vom Waldkamm des anderen Bugufers coule, sitzen einzelne bürstende, gewehrreinigende Rekruten im rotgoldenen Stoppelfeld, allein mit ihren riesig gedehnten Schatten. Nach der Flusssenke zu Fahrzeughallen – einmal über Mittag ein Benzinbrand, fettiger schwarzer Qualm quillt stundenlang niedrig übers Feld hin. Ein schlaftrunkener Liegestuhl meint »natürlich Sabotage«, doch zum Aufstehen reicht es nicht. – Der Posten mit dem Feldstecher sieht ein fernes dunkelgrünes Feld eines Mittags weissgeblümt: Lauter Weiber am Arbeiten, stellt sich heraus. Gegen ½ 5 Uhr zieht auf dem tiefausgefahrenen, von Ballonreifen und Raupenketten aus seinen Ufern gedrängten Weg die Kuhherde dorfwärts, von den Hütejungen umschwärmt – wiegende Gehörne, fassrunde trächtige Bäuche. Die Staubwolke setzt sich bald wieder. Danach etwas tausendstimmig Summendes: Die weibliche Dorfbevölkerung – Männer sind ja kaum vorhanden18 – kommt vom Feld heim, kilometerweit vom Dorf entfernt haben sie vom frühen Morgen an geschuftet. Erst die Halbwüchsigen, grossäugend, durcheinanderschwatzend, die langgestielten Rechen über der Schulter, mit blendend weissen Kopftüchern. Ein Köter tobt drum herum. In einigem Abstand dann die Älteren, die kleinen Soldatenwitwen mit mürben Armen und Schultern, herkulische Mägde mit stumpfen glänzenden Gesichtern, und die dürren Alten. Dazwischen einzeln ein Mann, ein verschrumpelter stoppelbärtiger Alter mit weisser Leinwandmütze, oder ein lallender Kretin. Die grossen Füsse spuren im samtigen Staub. An der Kolchose begegnen sie einem handballspielenden halbnackten Soldatenrudel. Immer derselbe gutentwickelte rotbraune Körper – Farbe Zigarrenkiste –, die blaue Turnhose, der kleine goldbemähnte Kopf – heisere Rufsilben fliegen, und die Lederblase der Sonne entgegen. Nur beim Vortrupp der Frauen ein wenig Lachen und Hälsedrehen – auch bei den Soldaten keine Unterbrechung.

Tagaus tagein dasselbe Licht, dieselbe lebendige wehende Hitze – die Sonne ist klein, nicht sehr weit ab die Tiefe des Himmels von feinem glänzenden Dunst erfüllt – erst mit dem Spätherbst wird der Himmel höher, blauer, die Sonne brennt ferner und schärfer.

Abends rührt manchmal ein mächtiger Wind in den Kronen der Kiefern, von einer Wolkenbank geschoben fliesst sehr viel Luft vorbei, dann ist der Himmel des nächsten Tages grau eingelaufen, am Morgen fällt ein wenig Regen, der Wald duftet und dunstet – am übernächsten Tag ist es dann wieder wie immer. Der leichte silberne Schweiss – man merkt nicht, dass man nass wird. Die Bauern klagen über Trockenheit – tatsächlich sind z. ‌B. die Kartoffeln sehr klein, rund wie Tomaten – aber es scheint jedes Jahr fast das Gleiche zu sein.

Zwischen Wald und Fluss ein Streifen kalten, brachen Landes. Zementierte Entwässerungsgräben, einige suspekte Bauernhäuser mit eisernen Bunkertüren und weitem Schussfeld. Leichte Flakgeschütze frei im Feld, kleinköpfige H. ‌G. Figuren dabei beschäftigt. Einzelne Häuschen sind wirklich von früher, vom Dorf über den Fluss geschickt, jetzt evakuiert und von Gardesoldaten bewohnt, numeriert[,] frisch geweisst bis unter die Sohle, kleine Blumenbeete davor, es riecht nach abgeseiften Barackenmöbeln, aus den Hintergärten nach Chlorkalk. Zwei lehmgelbe Beutetanks, die öfter ihren Standort wechseln. Ein Zug Jungens in der Badehose kommt mit geschulterten Schemeln vom Unterricht heimmarschiert, der irgendwo im spärlichen Schatten eines Vorfeldbaumes abgehalten wurde.

Die Strasse, holpriges Katzenkopfpflaster – das richtige Judenpflaster, meint Gen. v. Unruh19 –, sie führt nordwärts nach Kaz[atin], Berd[itschew]. Davon zweigt eine glatte spiegelnde Asphaltstrasse ab, die auf den Wald zueilt, dann dessen Rand erkürt. Schlagbaum, langgestrecktes, vorne mit Stroh gedecktes Wachgebäude. In dem Vorgelände wohnt auch noch ein Fieseler-Storch,20 auf einem schmalen sonnenverbrannten Wiesendreieck. Er rüttelt über die Strasse, wenn prominenter Besuch naht, zieht eine Schleife über die Dorfhütten, jagt eine Viehherde mit seinem Schatten.

Die Strasse nachts. Auto-Scheinwerfer, an den Kurven fahren sie haltlos ins Land hinaus, wecken ein abseits stehendes Haus, ein verschlossenes Stück Waldrand. Auf geraden Strecken reissen sie sich an den mageren Chausseebäumen voran. Gruppen von Autos in rasender Fahrt dicht hintereinander, Klirren, Pfeifen, silberne Mützenschnüre. Einsam rüttelnde Fahrradlampen. Plötzliche Lichtkegel einer Strassenkontrolle, die nackte staubige Beine, faltige Röcke, wattierte Jacken befragen. »Documenti, marsch marsch.« Weiss gestrichene bis in Brusthöhe reichende oben zugespitzte Pfähle begleiten die Strasse, drängen sich ins Scheinwerferlicht; daneben der stellenweise sehr tiefe Strassengraben. Zwischen ihm und der Strassenpflasterung der schmale staubige Pfad der nackten Wanderfüsse, die weissen Stifte umfliesst er auf beiden Seiten. Bis gegen 10 Uhr abends sind dort viele Gestalten unterwegs, eine hinter der anderen, meist wandernde Bäurinnen; den unteren Teil des Kopftuches vor den Mund geschlagen, gegen den Staub. In schweren Jacken, weiten, faltigen Röcken, die unvermeidlichen Strohtaschen über die Schulter gehängt. Ein Hund trottet hinter her, mit heraus hängender Zunge, ein Alter Mann am Stecken mit durchlöcherten Hosen. Kleine Mädchen, sie benutzen das Scheinwerferlicht, um ein Stück vorwärts zu hasten, wieder Anschluss zu gewinnen an die unermüdliche Kruppe der älteren Vordermännin. Es wird tageweit gewandert; vielfach hinunter ins Rumänische (Transnistrien), wo es noch etwas zu essen und zu kaufen gibt. Oder man ist einfach unterwegs, um sich der Werbeaktion zu entziehen.21 Aus einem Dorf in der Nähe von Wi[nniza] machten sich mehrere hundert Mädchen nach Rumänien auf, als sie heim ins Reich befördert werden sollten. Die Schwiegertochter des Marktvorstehers von Str[ihawka], die alle Augenblicke bei ihren Schwiegereltern ist, – Mann Front kaputt –: ihr Wohndorf liegt 30 km ab; vor Morgengrauen wandert sie los. Durch nächtliche Dörfer: an einer Kurve erfasst der Scheinwerfer eine Kette von jungen Mädchen, die sich untergehakt haben und die ganze Breite der Strasse einnehmend mit grossen Schritten vorwärts marschieren. Sie singen, langgezogen, fast schreiend, inbrünstig. Soldat und Mädchen in einer Haustür, ihr geblendetes Gesicht über seiner Schulter. – Hallendes Fuhrwerk, Lampendunst und Pferdeatem. – Für den Radfahrer ist es Nachts schwierig: Auf dem Pflaster rüttelt es ihm die Seele aus dem Leib – im tiefen Sande des Treidelpfades kommen die Räder ins Schwimmen und in bedenkliche Nähe des Strassengrabens; auch die Gefahr, an einem der Pfähle hängen zu bleiben. –

Abb. 3 Felix Hartlaub (rechts) und sein Kriegstagebuch-Kollege Fritz Puhl in der Ukraine

Abb. 4 Felix Hartlaub 1942 im Führerhauptquartier Werwolf

Die Brücke: Kristallisationspunkt deutscher Wertarbeit und einheimischer Fron. Ein flacher Notsteg, neben dem eine hohe Pfeilerbrücke entsteht. O. ‌T. Leute, ihre Baracken auf beiden Ufern. Alte Russlandhengste, betont unzackig. Ein paar ganz junge Burschen dabei, mit kupferbraunem Oberkörper – monatelang halbnackt in der Sonne – und tierhaft dichtem, tief in den Nacken hineingewachsenem weissblondem Haar. Olle mit eisernen Brillen, Pfeifen, schiefer Schulter und »Ast«. Ihre Besitztümer: Viele Kisten, altmodische Handtaschen. Sie sind die eigentlichen nutzniessenden Könige des Dorfes, viel tiefer und dabei unauffälliger verwurzelt als die lauten, stets pressierten und unsteten jungen Landser. Ohne umzuschaun, mit gemächlichem Stöhnen heben sie die Haxen über den Zaunüberstieg, treten zu den Frauen, die in der Tür stehen, tätscheln den Kindern die Köpfe. Jeder hat immer ein paar von den halbwüchsigen »Arbeitern« um sich, leuchtende Zähne, aufmerksame zwinkernde Augen. Die Arbeit besteht aus vielen mit Zigarettenrauch und technischen Überlegungen angefüllten Pausen; dazwischen einzelne vor dem dichten Zuschauerkreis zelebrierte Meisterstücke, aus dem Ärmel geschüttete Kraftleistungen. »Hau ruck.« Kinder sind immer viele dabei, die Jungens tragen Werkzeuge, fahren in den Loren, die Mädchen klauben abgesägte Holzenden in Säcke. Nicht leicht zu sagen, wo die Freiwilligkeit der Dienstleistung in das Arbeitsverhältnis, bezw. die Arbeitspflicht übergeht. (Erfassung landeseigener Zivilarbeitskräfte. Schreiben an Gen. Qu. 12. ‌10. Erlass über den Einsatz deutscher Bauarbeiter im Osten [8.] ‌9. ‌[1942])22

Eine stattliche Weibsperson, in einem wahrscheinlich von den Landsern erhandelten bunten deutschen Dirndl-Sommerkleid, unterhält sich lachend, auf grösseren Abstand, mit einem der kupferroten Weissmähnigen, der bei irgendeiner nebensächlich betriebenen gebückten Arbeit seine Rückenmuskulatur spielen lässt. Ehering und Goldzahn. Ein O. ‌T. Mann, der abends, wenn sich der Staub, den das letzte heimkehrende Pferde- oder Rindsrudel aufgewirbelt hat, mit der Dämmerung vermischt und der graurote, noch trübe Mond hinter dem historischen Kiefernwald aufgeht, mit einem Knüppel unterm Arm das eine Ende der Brücke bewacht.

Die einheimischen Arbeiter sind grösstenteils mit der Zufahrt am anderen Ufer beschäftigt, wo ein stattliches Stück Steilufer weggeschaufelt und der entstehende Abhang befestigt werden muss. Immer kommt Erde nachgeflossen, die Schaufelblätter müssen endlos Glätten, Festklatschen, Verteilen. Bei einzelnen Buchen des Gutsparkes, in dem das Arbeiterlager liegt, liegt das Wurzelwerk bloss, sie müssen gefällt werden. Jungens klettern hinauf, um die Trosse zu befestigen, mit der dem Baum die richtige Fallrichtung gegeben wird. Sehr jung sind sie alle, meistens um 16, 17 Jahre herum, diese »ukrainischen Wanderarbeiter«, die wenigsten aus dem Ort – auf dem Dorfplatz abends stehen sie in Haufen für sich, ohne Beziehung zu den promenierenden Mädchen. Löcherige, zerwaschene Hemden und Trikots, schmale Schultern, kakhifarbene Militärhosen mit schlackernden Seitenflügeln. Atemlos, mit nasser Stirn über die langen Spatenstiele gekrümmt, flink und fahl neben der gelassenen Muskelpracht der Deutschen. Eine stinkende kleine Benzinlokomobile zieht den Lorenzug, von einem grüngrauen Bayern bedient. Dahinter duftet mächtig das aufgeschlossene Erdreich, die gekappten Wurzelstränge. – Der Lehrer aus der geschlossenen, von d[eutschem] Militär belegten Schule, der mit zu den Schippern eingeteilt ist; eines Tages hat er sich aufgehängt. (Dorferzählung, beim Eierhandeln gehört.)

Abb. 5 Felix Hartlaub mit Fritz Puhl und Walter Dietz (vorn) auf dem Bug

Kleinere Viehherden werden durch den langen dröhnenden hölzernen Engpass – nur eine Wagenbreite – getrieben. Magere Rinder, sie verfallen in Galopp, dann wieder in steifen zögernden Schritt, verstopfen die Brücke. Ein Kübelwagen mit Flakoffizieren kommt hinterher, aufgebracht hupend, muss vor der sich nur langsam verschiebenden Mauer von mageren Hinterteilen und pendelnden Schwänzen halten. Ein Inspektor – Eichenbruch auf grünem Spiegel, ohne Bremsklötze – springt mit rotem Kopf heraus, tritt der nächstliegenden Kuh in die Weichen, ruft mit den Armen und unartikuliertem Gebrüll die gerade auf der Brücke befindlichen bäuerlichen Passanten herbei, die sich auch gehorsam gegen die Hinterfront der Herde werfen. Flüche, bittendes Zureden, klatschende Hiebe – Hunde fahren bald den Tieren, bald den Treibern an die Beine. Kleine Hütejungen recken sich aus der Mitte der Herde hoch, schwingen Arme[,] Knüppel, um dem bösen Auto zu zeigen, dass sie tun, was sie können. Ganz langsam kommt Bewegung in den nickenden Wald der Gehörne, die Schwänze schlagen durcheinander, massloses Gepolter; die Hufe der Tiere, die nackten Sohlen der Treiber – die Brücke ist ein Dröhnen. Dazu fängt auch das Auto wieder an zu hupen, der Motor stuckert und röchelt, jetzt geht auch noch ein Schuss los. Einzelne Tiere werden ans Geländer gedrängt, heben sich brüllend gegen das Fahrzeug. Endlich zeigt eine Staubwolke, dass das Auto die Brücke verlassen hat. Einer der Insassen hat sich auf die Füsse gestellt und schimpft nach rückwärts gewandt in die Herde hinein, die sich, schon wieder in Schritt verfallend[,] über die Breite der Strasse und die Böschungen hin auflöst.

Weiterer Brückenverkehr: Landser, Packtaschen voll Eier am Arm. Einmal kontrolliert ein Feldpolizist23 – man lässt sich ein paar hundert Meter weiter stromaufwärts von einem Fischer übersetzen. Ein Traktor mit Spornrad, sechs Jünglinge mit Ballonmützen aufgesessen, er zerfetzt die Balken der Brücke, läuft wie auf brechenden Stelzen. Fohlen mit struppigem feuchten Fell, mit eifrig nickendem Kopf hinter der angeschirrten Mutter her. Lastwagen der O. ‌T. voll Bauernmädchen, die zu irgendwelchen Erd- und Strassenarbeiten »herangezogen« werden. Sie stehen breitbeinig, hoch aufgerichtet, halten sich gegenseitig an den Schultern, die vordersten am Fahrerhäuschen, durch dessen rückwärtiges Fenster hindurch ihnen der Beifahrer an den Beinen hinaufsieht. Mitten auf der Brücke hält der Wagen mit einem Ruck, sie fallen mit Gelächter und Geschrei durcheinander, dazu klirren die Spaten, Schubkarren, die sie mit sich führen. Der »U. ‌v. ‌D.« einer der im Dorf liegenden Einheit, mit Stahlhelm, Trillerpfeife und gelber »Affenschaukel«, er knabbert Sonnenblumenkerne. – Von dem Verkehr der grossen Strasse fliesst nur wenig über die Brücke ab. – Neben der Brücke eine Art Furt. Jeden Mittag steht dort dieselbe dichtgedrängte Herde schwarzer Schafe, die Spitze im Wasser, sie legen sich gegenseitig die Köpfe auf den Rücken. Pferde werden von nackten Soldaten gewaschen, blaue glänzende frisch abgespülte Lkws' stehen bis an die Kotflügel im Wasser. Auf den runden, vor Generationen abgetretenen Granitklippen, die bis in die Mitte des Flusses reichen, stehen einzelne Wäscherinnen. Sie schlagen die Wäschestücke gegen die Steine, tauchen sie dann wieder ins Wasser, Seife gibt es nicht, einige haben Waschhölzer. Nur selten richten sie sich auf, ziehen sich das Kopftuch zurecht, rühren mit den Zehenspitzen im Wasser. – Auf den Uferwiesen schweifen viele magere, unausgewachsene Pferde, wohl meist ehemalige Militärpferde von den Rückzugstrassen des vorigen Sommers; zwischen ihnen manövrieren die Gänse. – Im Oktober beginnt der Fluss zu schrumpfen. Der schlammige, bald steinharte Rand seines Bettes kommt zum Vorschein, von hunderten von Hufen und Gänsefüssen gezeichnet. Das erste dünne weisse Eis überzieht sie. Der obere Teil eines einst von der Brücke gestürzten Wagens ragt aus dem Wasser. Die Eisbrecher vor den Brückenpfeilern sind fertig geworden, die hölzernen Verschalungen werden mit Granitbrocken aus dem nahen Steinbruch gefüllt. Das Weidengebüsch weiter stromaufwärts, in dem sich im Sommer die Badenden verbargen, ist kaum noch auszumachen, der Blick stösst geradewegs auf die kahlen braunen Äcker, die vom Dorf den kurzen Uferhang herabströmen. Im Sommer trugen sie Kartoffeln, übermannshohe schwernickende Sonnenblumen, Tabakpflanzen mit rosa-weissen Blütenkelchen, Maisstauden und goldene Kürbisse und Melonen. – Eine kreischende Säge, das Stuckern der Benzinlokomotive und aus dem Steinbruch weiter stromabwärts gedämpftes silbernes Picken und Hämmern.

Abb. 6 Felix Hartlaub mit drei ukrainischen Frauen, Katja, Dunja und Anja

»Als unser Bataillon ganz allein hier war, im Frühjahr, da war noch was los. Da haben die ganzen jungen Weiber hier aus dem Kaff mittags splitterfasernackt im Bug gebadet, da gab's noch was zu peilen. Natürlich durfteste nich mit'm ganzen Haufen kommen, dann war der Bart gleich ab. Nee, schon allein und ganz sachte, als kämste rein aus Zufall vorbei. Nen Brief oder ne Zeitung rausgeholt und Dich daneben ins Gras gelegt, da konnteste Dir die ganze Herrlichkeit in aller Ruhe betrachten. Ich kann Dir sagen, da sind Dir manche gebaut wie Du's im ganzen Reich nicht hast, wie die Statuen: Sone Stehpietzen, schneeweiss und fest, da kannste 'n Floh drauf knacken, sowas kennt man bei uns überhaupt nicht. Und einen Gang, und einen Rücken … Wenn sie so daher kommen, in den ollen dreckigen Klamotten, da guckste überhaupt nich hoch; aber sowie se die Brocken wegschmeissen, Junge, da biste im Nu geil. Die Kerle baden auch mittenmang, ohne was an, genieren sich überhaupt nicht … Aber seit die O. ‌T. da is und die Feldpolizei und die ganzen geilen Böcke, die sich im Kreis drumherumstellen und glotzen, isses aus. Die haben auch die ganzen Eierpreise verdorben, zahlen alles, was verlangt wird … Ob was mit den Weibern zu machen is? Schlecht, will ich Dir sagen. Da haste schon welche, da hinten nach der Vorstadt zu, die machen jeden Blödsinn mit, die kannste kitzeln und petzen da und da – aber weiter unten: Aus der Traum, da sind se ganz eisern. Und immer die Mutter oder die kleinen Schwestern drum rum oder die Freundin – die gehen ja nie alleine. Welche von uns, ein Korporal und drei Mann, die haben Monatelang ganz allein in sonem Dorf gelegen, ganz abgelegen, sonst kein Landser weit und breit. Und keiner, ob Dus mir glaubst oder nicht, hat auch nur einmal einen weggesteckt. Höchstens sone alte Kriegerwitwe haste hier, die hat aber bestimmt schon ihre Vierzig druff, morgen auf'm Markt kann ich se Dir zeigen. Der kaufste 'n paar Jeikas24 ab und dann sagste, Du hättest nur grosses Geld. Wenn der Markt alle is, gehste mit ihr nach Haus, haust die Gören aus der Bude raus und legstse übern Tisch, sonst haste nämlich nicht viel Mobiliar …[«]

Abb. 7 Auf dem Bug, Hartlaubs Bekanntschaften Anja und Dunja

Also ein schmucker junger Oberschütze aus dem Begleitbat., der sein Angelgerät zusammenpackt; dann kämmt er sich mit Hilfe eines runden Taschenspiegels[.] Von den idyllischen Badezuständen ist tatsächlich wenig übrig geblieben, wie ein abendlicher Gang den Fluss entlang beweisst. Der volle Mond hängt noch trüb, riesenhaft vergrössert im Hütten- und Barackendunst. Auf der Brücke trödeln Pferde heim, das braune Fell gibt in der Dämmerung ein tiefes, sattes Rot. Über den Uferwiesen ganz leichter Dunst. Den verwachsenen Uferpfad entlang, Brennesseln schlagen an die lederverschalten Beine, kleine Kletten siedeln am Knie. Nach dem Wasser zu Weidengebüsch, auf der anderen Seite bis zu den Dorfhütten Mais-Kartoffelfelder. Einzelne mächtige, aber schwer lädierte Pappeln, mit abgeschlagenen oder abgestorbenen Hauptästen. Viele dicke durchsichtige gutmütige Mücken, man muss sie vor dem Gesicht aus der Luft räumen, bekommt sie in Mund und Nase. Der Mond hat dauernd Mücken, Motten im Gesicht. Grosse Käfer orgeln schnurgeraden Flugs daher, prallen irgendwo an, der Ton ist abgeschnitten. Im Fluss lebhaftes Fischespringen. Von einer niederen abgerundeten Granitklippe, die ein Stück in den Fluss hineinragt, Balalaikageklimper, Männer- und Mädchenstimmen, Wasser, das laut gegen den Stein platscht. Grosse weisse weibliche Gestalten steigen dem runden Granitrücken nach langsam in den Fluss, halten sich gegenseitig an den Schultern, gedämpftes Lachen, einzelne volle tönende Silben über dem Wasserspiegel. Aber weisser noch sind die Höschen und Büstenhalter, mit denen sie angetan sind. Einzelne Köpfe von Schwimmenden draussen im Fluss, man hört ihren Atem, nasses schwarzes Haar hängt in die breiten Gesichter. Der Fluss ist an einzelnen Stellen glatt, wie geschliffen, an anderen von dunklen, bis an die Oberfläche hinauf flutenden Wasserpflanzenwäldern durchwölkt. Seerosenblätter fangen mit ihren Rändern schon ein wenig Mondlicht ein. Auf der Klippe stehen rauchende Landser, Luftwaffensoldaten in ihrer flotten Sommeruniform – helle, graublaue Hemden mit aufgekrempelten Ärmeln, kurze dunkelblaue Leinwandhose. Der goldene Haarflaum um die braunen Knie und Unterarme leuchtet eigentümlich. Sie sehen in den Mond, ihrem Zigarettenrauch nach, auf ihre wippenden Stiefelspitzen, lassen sich nicht in ein Gespräch ziehen. Anscheinend wurden sie in einer sich gerade anbahnenden harmlosen Balgerei und Wasserschlacht mit den badenden Panjenkas25 gestört. Weiter abseits im Maisfeld eine, die mit abgewandtem Gesicht langsam und unbeholfen in ihre Kleider steigt; zwei Landser haben sich neben ihr niedergelassen und scheinen ihr irgendwelche Offerten zu machen. Jetzt dreht sich ihnen eine flache, leere Stirn zu, ein halboffener Mund. »Ist das nich die Bekloppte, die wir neulich so gekniffen haben?« fragen sich die Raucher auf ihrem granitenen Postament. Einer trägt eine dicke helle Hornbrille; lauter hochqualifiziertes Nachrichtenpersonal. Plötzlich sind die Balalaikas wieder da. Erst jetzt entdeckt man in einer Felsmulde eine dunkle Masse, riesige Schulterpolster, Ballonmützen, an einer Stelle hängt ein unförmig grosser Schuh an einem dünnen Jungenbein über den Felsenbord hinab und bewegt sich im Takt. Eine Gruppe Dorfjungen, die jüngeren Brüder der Badenden und ihre Kumpane. Bei weiterem Näherkommen spürt man ihre unerbittlich gespannten, drohenden und auch wieder einladenden Blicke, die ohne Wimpernschlag an den Landsern haften. Sie schaffen eine schwer durchschreitbare Zone zwischen ihnen und den Mädchen und stellen gleichzeitig eine Beziehung her. – Der Mond steigt höher, wird kleiner, dichter und beginnt, scheinbar in unregelmässigen Stössen Licht zu werfen. Die Soldaten heben die Armbanduhr ans Gesicht und machen sich einzeln wortlos davon. In einem schmalen, einbaumartigen Boot, an dessen Ende ein zusammengekrümmter, dunkel vermummter Fischer mit einem kurzen Ruder Mondsilber aus dem Wasser schöpft, lassen sie sich weiter flussabwärts einzeln, aufrecht stehend über den Fluss setzen. Kräftiger wird jetzt in die Balalaikas gegriffen, statt dem schläfrig-wachen, ab und zu durch eine von den Soldaten spendierte Zigarette neu belebten Dahinklimpern ist plötzlich ein Lied da, die Jungens haben geübte, ganz unbelegte Stimmen; ein Mädchen singt überm Wasser mit: Soldatki, Matroski … anscheinend irgendein rotes Soldatenlied. Vom anderen Ufer [ein Wort unleserlich] plötzlich ein unverdunkeltes Fensterviereck herüber, aus der Kasernen-Kolchose. Das Auge versucht vergeblich, der grellen elektrischen Weisse etwas von der vom ersten Mondlicht eben leicht veränderten Dunkelfarbe der Baumkronen und Strohdächer beizumengen. – Eine unbewachsene lehmige Stelle im Uferrand, viele tiefe Kuhfährten, in denen Wasser steht, dicker Viehgeruch. Viele aus Schilf geflochtene trichterförmige Fischreusen (?) stehen umher. Hier baden unbekümmert drei derbe Bauerweiber unter Assistenz einer Gruppe angelnder Landser. Alle Augenblicke schwingen kleine tanzende Silberfische an den Angelschnüren über den Uferrand in die unsicher greifenden Hände der Landser. Die meisten werden, vom Haken gerissen, wieder ins Wasser geworfen, einzelne verzappeln im Lehm, im angrenzenden Maisfeld. Die sonnverbrannten Gesichter der Mägde sind schon ganz dunkel, aber alle den Männern zugewandt. Nur der grosse braune Blick der Brüste dringt herüber und wird vor dem neu Hinzukommenden einen Augenblick verdeckt. Sie scheuern sich gegenseitig den Rücken und schöpfen sich Wasser, darin Mondlicht schwappt, an die Bäuche. Urplötzlich sperrt eine mit zahllosen Lumpen behängte Alte den Uferpfad, verstrickt sich mit den schwärzlichen Füssen, den weit abstehenden grossen Zehen in eine ausgelegte Angelschnur. – »Biste auch dich angeilen gekommen?« fragt der eine Soldat. Es sind ältere Männer, von einer Bauformation. Der andere ist misstrauisch. »Streife beendet, keine besonderen Vorkommnisse? Graue Kolonne, stimmts?« (Die G. ‌F. ‌P.26 etc. bedient sich anscheinend hier in der Umgegend des Hauptquartiers aller möglichen Verkleidungen.) – Der Uferpfad wird schmaler, feuchter, unbegangener. Man muss mit den Beinen rudern, um sich durch die hohen Disteln, Kletten einen Weg zu bahnen. Der Mond hat jetzt seine volle Kraft gewonnen, steht unerreichbar hoch und fest und scheint doch unaufhaltsam i[m] eigenen Licht zu entschwimmen. Das Maisfeld ist ein Heer von flimmernden Klingen und Schienen. Die grossen Uferbäume riesenhaft gross, abgewandt, übergetreten in einen anderen Sinn. Die Stroh- und Baumdächer sind zu einer unlesbaren entlegenen Masse zusammengerückt, aus der hier und da ein Stück weisse Wand oder Fensterglas den Mondstrahl zurückwirft. – Zerreissendes Wasser, Ufergras: Eine ganz von Wasser und Mondsilber überronnene nackte weibliche Gestalt stürzt ein paar Meter entfernt das Ufer hinauf über den Weg, errafft im Laufen ihre Kleider und verschwindet im Maisfeld. Die stampfende Mühle, an der der Pfad endet. Drinnen wird noch gearbeitet. Das Licht, das durch die Türritzen dringt, scheint dicht, greifbar neben der voll vom Mondlicht getroffenen weissgestrichenen Wand.

Landwirtschaftl. Ausnutzung. Am Rande jedes Dorfes, in Nähe der Hauptstrasse, die sog. Kolchose. Ein weiter Platz mit wandernden Wirbeln von Staub und Spreu, im Viereck, umgeben von langgestreckten, schmalen, einstöckigen Gebäuden, meist Holz-Lehmbau mit Strohdach, seltener Backstein, rotes Ziegeldach. Kleine, oft zerbrochene Fenster. Der lange schwanke Arm eines Ziehbrunnens greift darüber hin, kreuzt sich mit einem dünnen Turmgerüst, daran die Schläuche zum Trocknen aufgehängt werden. Auf der weiten Fläche verloren einige Gestalten, hagere Halbwüchsige: Hochgezogene Schultern, Hände in den Taschen, verwaschene halblange Leinwandhosen, die im Winde flattern. Sie sehen sich häufig um. In der Nähe mit gespreizten Vorderbeinen, grossen Kopf ein Fohlen. In einer Ecke der Anlage der durch den Treibstoffmangel stillgelegte Maschinenpark: Ein oder zwei Traktoren mit blinkendem Spornrad (?), die Zähne, Flügel einer Mähmaschine, ein Haufen ineinandergeschobener Pflüge. Ab und zu fallen dort ein paar helle Hammerschläge, man erkennt, dass dürre kakhifarbene Männer an einem Fahrzeug beschäftigt sind, einer liegt zwischen den Rädern mit angezogenen Knien auf dem Boden. Die hellen Flecken der Gesichter sind alle dem Eingang der Kolchose zugewandt. Dort halten an einem Zaun, zwischen Obstbäumen, zwei Polizisten zu Pferde. Stahlhelm, blaugrüner Mantel, umgehängte Karabiner. Um sie herum ein Haufen Weiber und Kinder. – In der Mitte des Platzes, in Klinkersteinen aufgeführt, das Getreidedepot, ein kleiner, oft fensterloser Würfelbau, davor eine Rampe, Wagenbodenhöhe. Der Vorübergehende erkennt drinnen, im dicken Strohstaub, unter einer einsamen elektrischen Birne, kegelförmige Kornhaufen, halbvolle Säcke, an denen ein paar dralle Bauernmädchen lehnen. Die Kopftücher, das Augenweisse, Glanzlichter auf den blossen Beinen. Eine gähnt, die anderen lachen, laut und zusammenhangslos, zu den Reden eines Halbwüchsigen, der sich vor ihnen aufgepflanzt hat und mit den Zehen im rieselnden Korn schreibt. – Plötzlich erscheinen alte Köpfe im Türrahmen. Ein offenes Auto humpelt, von einer Staubfahne gefolgt, durch die Sandpfützen heran, zerteilt eine Gänseherde. Darin aufrechtstehend, wie ein Offizier im Kübelwagen, etwas Pummeliges in brauner Uniform. Rotes, schweissüberströmtes Gesicht, kein Hals, feister Nacken. Das Auto, mit irgendeiner hemdsärmeligen schwarzbemähnten Burschengestalt am Steuer, hält an der Rampe, der Herr La[ger]-Führer27 nimmt die Treppe, zwei Stufen zugleich; um die Achseln dunkeln handbreite Nässeflecke.

Abb. 8 Führerhauptquartier Winniza, Speisebaracke

Pan Grix28