Aus der Hölle zurück ins Leben - Christian Schlosser - E-Book

Aus der Hölle zurück ins Leben E-Book

Christian Schlosser

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der vorliegende Band 2 aus der Serie "Polyamorie", schließt lückenlos an „Bangkok - zwischen Buddhas, Liebe und Dämonen“ an und ist die Fortsetzung einer aufregenden Erzählreihe mit autobiografischen und erotischen Elementen. Matthias, zurückgekehrt aus Bangkok, seelisch ein Wrack, verliert durch sein erlittenes Trauma und die Provokationen eines Mitarbeiters nach einer Schlägerei im Betrieb seine Arbeit, verfällt dem Alkohol und landet wenig später in der Obdachlosigkeit. Gesundheitlich schwer angeschlagen, dem Tode näher als dem Leben, wird er von einem alten Freund aus dem Sumpf des Elends gezogen, gewinnt allmählich wieder Boden unter den Füßen. Kehrt schon bald durch die Vermittlung des Freundes wieder in seinen ursprünglichen Beruf zurück. Zufällig lernt er während seiner Arbeit eine junge Kundin kennen, eine ehemalige Gastarbeiterin aus Vietnam, erlebt mit ihr Höhen und Tiefen und den Zusammenprall zweier vollkommen gegensätzlicher Kulturen. Will dabei anfangs nicht erkennen, dass diese junge Frau, mit Namen Ha, ihn allmählich vom Trauma Bangkok befreit und den Neustart in ein neues Leben ermöglicht. Streckenweise weist er sogar ihre Liebe zurück, welche ihrerseits allerdings an eine Bedingung geknüpft ist. Belügt sich über Monate hinweg selbst, will seinen geheim gehaltenen Schmerz und die Trauer um den Verlust Siriporns behalten. Verfällt letztendlich doch der jungen und hübschen Frau aus Vietnam. Gnadenlos von seinem Freund Peter aufdeckt, verbirgt und kaschiert Matthias jedoch mit Ha lediglich die einst gestohlene Liebe. Es kommt zum Eklat und seelischen Zusammenbruch, bis er endlich zu sich findet, sich dem Leben und der neuen Situation fügt. Ungeachtet der buddhistischen Eheschließung mit der ehemaligen Kundin, dem Neustart aus der Obdachlosigkeit und ein dem Start einer Zukunft in einer gänzlich anderen Welt, kann er von seiner großen Liebe Siriporn in Bangkok nie gänzlich loskommen. Erst im nächsten Band kommt es zur Auflösung der Geschehnisse in Thailands Hauptstadt und die haben es in sich, bringen Matthias an die Grenze seiner Belastbarkeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Deutschland – Ende November 1991

Provokation mit Folgen

Vergeltungsaktion

Leben auf der Straße

Rettung

Neubeginn

Eine gute Kundin

Erste Fahrt nach Berlin

Lädierte Hände

Verschwunden und gefunden

Zweite Fahrt nach Berlin

Zusammenbruch

Silvester und Neujahr

Letzte Fahrt nach Berlin

Körpererfahrungen

Trennung auf Zeit

Entscheidung

Pagode Viên Giác – Hannover

Defloration

Probleme

Veränderungen

Offenbarungen

Besuch bei Inge und Peter

Überraschung zu Hause

Konfrontation mit der Vergangenheit

Rätselhafte Päckchen

Abschied mit Überraschungen

Letzte Tage

Impressum

Inhalt der Serie „Polyamorie“

Band 1: Bangkok – zwischen Buddhas, Liebe und Dämonen

Band 2: Aus der Hölle zurück ins Leben

Band 3: Bangkok – Erwachen der Vergangenheit

Band 4: Saskia – jung, schön und obdachlos

Band 5: Düsseldorf – Treffen mit Katrin

Band 6: Entscheidungen auf Rügen

Band 7: Der Kreis schließt sich

Sofern ein Titel nicht der Altersklassifizierung FSK 16 entspricht,

finden Sie diesen dann im Bereich FSK 18!

Hinweis

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich, ungeachtet der Beschreibung der Liebesspiele

eines Paares, keinesfalls um eine der typisch pornografischen Geschichten. Genau

genommen beschreibt die Serie handelt die Lebensgeschichte eines Auswanderers, schildert

ein über viele Jahre andauerndes menschliches Drama.

Freunde des pornografischen Genres, welches der Autor keinesfalls bedient, mögen sich

bitte diesbezüglich anderweitig umsehen.

Vorwort

Der vorliegende Band 2, „Aus der Hölle zurück ins Leben“ schließt lückenlos an den ersten Band („Bangkok – zwischen Buddhas, Liebe und Dämonen“) an, und beschreibt, basierend auf tatsächlichen Ereignissen in den 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, versehen mit einigen notwendigen literarischen Ergänzungen, die Rückkehr des Technikers Matthias aus Bangkok und dessen unglaublichen sozialen Absturz, welcher ihm fast das Leben kostete. Nur Dank der Hilfe eines zufällig vorbeikommenden Freundes überlebt er und findet Wochen später wieder ins Leben und die Gemeinschaft zurück, beginnt in seinem alten Beruf wieder zu arbeiten.

Seelisch schwer geschädigt, voller Hass auf Thailand, ist es für ihn fast unmöglich, Asiaten in seiner Heimat auseinanderzuhalten; überhaupt deren Anblick zu ertragen. Ausgerechnet einer kleinen Vietnamesin, einer Kundin, gelingt es, seinen Lebensmut zu wecken und die schwer beschädigte Seele zum großen Teil zu reparieren. Es braucht Zeit, bis er seinen inneren Widerstand überwindet, sich letztendlich sogar in diese Frau verliebt. Vergessen kann er seine verschwundene große Liebe Siriporn jedoch nicht, was die Situation unglaublich verkompliziert. Bangkok hängt wie ein Damoklesschwert über der Beziehung.

Auch dieser Band gewährt dem Leser Einblicke in eine fremde Kultur; beschreibt das Aufkeimen einer großen Liebe mit all den damit verbundenen Schwierigkeiten.

Freunde dieser Art von Literatur und Erotik gleichermaßen, werden also keinesfalls nach dem allmählichen Einstieg in die teilweise dramatischen Vorgänge auf den folgenden Seiten enttäuscht.

Deutschland – Ende November 1991

Wie genau ich vom Airport in meine Wohnung gekommen bin, kann ich nicht mehr sagen. Plötzlich war ich dort. Neben der normalen winterlichen Kälte und den völlig ausgekühlten Zimmern umfing mich die heutzutage ebenso „normale“ menschliche Kälte der Großstadt. „Guten Tag“, mehr gab es nicht an nachbarschaftlichen Beziehungen. Die seit Jahren hier wohnenden Ausländer im 12–Parteien–Haus, mit ihren tobenden und rücksichtslosen Kinderscharen, hielten noch nicht einmal dies für nötig. Gegessen hatte ich seit meiner Ankunft kaum etwas, dafür gekauft und an Alkohol gesoffen, was mir in den Supermärkten vor die Augen kam. Ratschläge dazu lieferten mir meine selbst rekrutierten schwarzen Gesellen mehr als reichlich. Hauptsache betäubt, an nichts anderes mehr denken, als an Siriporn. Asiatische Gesichter in den Straßen ließen mich zusammenzucken und derer hatte es hier mehr als genug. Vorwiegend Japaner, Chinesen, wenige Thais und einige Vietnamesen. Überall wo schwarze Haare auftauchten, sah ich meine geraubte Liebe laufen und das machte mich fertig. Schockmomente durch asiatische Haare hatte es alle paar Minuten in der Fußgängerzone und den Supermärkten. Oft genug passierte es mir, dass ich eine Asiatin von hinten ansprach, welche mit ihrer Haarlänge und Figur Siriporn ähnelte, derer hatte ich nicht wenige, Sekunden später immer ernüchtert und verzweifelt registrierte, dass es sich nicht um die Gesuchte handelte.

Eine Woche zusätzlichen Urlaub hatte mir der Chef gegeben, quasi als Belohnung für den erfolgreichen Geschäftsabschluss. Heute war der 25. November, der erste Arbeitstag. Mehr nur noch eine Hülle meiner selbst schleppte ich mich auf die Arbeit. Jeder Muskel schmerzte. Nichts von dem weihnachtlichen Schmuck auf den Straßen und den übervollen Auslagen in den Kaufhäusern nahm ich wahr. Nicht einmal die ekelhafte feuchte Kälte, welche um die Straßenecken pfiff. Erst in der Firma versuchte mein Denken Tritt zu fassen. Glücklich, ungeachtet des gekünstelt geschmetterten Morgengruß, wirkte ich sicher nicht, als ich das Sekretariat betrat, denn die Chefsekretärin schaute mich entgeistert und besorgt zugleich an; verkniff sich aber Nachfragen. Schlaflosigkeit, Alkohol, neben Unmengen gerauchter Zigaretten, hatten sichtlich deutlich sichtbare Spuren im Gesicht hinterlassen. Entsetzte und mitleidige Blicke trafen mich schon auf den Gängen. Vorweg die der schwatzhaften Bürodamen und es wurde besorgt gefragt, ob ich krank bin, gefragt, ob ich mir in den Tropen gar etwas „Böses abgefangen“ habe.

Gequält verneinte ich die Fragen, führte einen unsinnigen Small Talk nach dem anderen. Schob mein derzeitiges miserables Aussehen auf die klimatische Umstellung. Wortlos, begleitet von prüfenden Blicken, landete Kaffee vor mir. Stark, so wie ich ihn mochte und dieser Kaffee war Legende im ganzen Haus. Kein Wunder, denn ich hatte wenige Tage nach Antritt meiner Arbeit in der Firma dem Vorzimmerlöwen offenbart, wie man in Sachsen Kaffee zuzubereiten pflegt und die Frau hat es übernommen. Serviert wurde mir die Tasse mit dem Ansatz eines Lächelns von der persönlichen Sekretärin des Chefs. Nach dem ersten Schluck hoffte ich nur schnell an meinen Arbeitsplatz kommen zu können.

Zehn Uhr war es geworden, endlich startete das Meeting zur Auswertung von Bangkok. Man zeigte sich zufrieden, auch über meine Demonstration außerhalb der Reihe bei dem Thai–Manager, plante weitere Lieferungen, zusätzlich eine Schulung der Käufer. Diesen Part sollte ich übernehmen, so die laute Überlegung des Chefs, Herr Walter, denn der thailändische Kontaktmann, hatte sich lobend über die halb private Demonstration des Gerätes und meiner technischen Kompetenz geäußert. Zwanzig Geräte wurden nach der Demo zusätzlich geordert. Neidische Blicke trafen mich, wurden wenig später, verpackt in Worthülsen und Phrasen, als akustische Anerkennung meiner Kollegen in den Raum gesendet. Konnten jedoch den Inhalt der Blicke nicht kompensieren.

Mir war alles gleichgültig. Links rasten die Wörter ins Ohr hinein, rechts wieder heraus. Überlegte die ganze Zeit pausenlos, wie ich aus der Situation herauskomme. Thailand wollte und würde ich nie wieder betreten. Ausnahme wäre nur eine plötzliche Hochzeit mit Siriporn. Oder zu deren Trauerfeier, denn diese würde auch zu meiner werden. Derzeit konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als auch im Tode mit ihr vereint zu sein. Asche vermengt mit Asche, obwohl ich Einäscherungen abgrundtief verabscheue. Doch dies wäre in Thailand der einzige Weg, Siriporn auch im Tod wieder nahe zu sein. Meine Gedanken flogen während der Gespräche um den Globus, tasteten wie ein Scanner jedes asiatische Land ab, suchten Siriporn. Stühle rückten, rissen mich aus meinen Gedanken, Hände wurden geschüttelt. Unerwartet klopfte mir der Chef auf die Schulter, lobt mich noch einmal öffentlich. Gequält bedankte ich mich mit schleimigen Floskeln, huschte nach draußen, atmete tief durch. Sitzung überstanden. Endlich.

Provokation mit Folgen

Stühle scharrten, Gespräche sprangen hin und her, die Anspannung war weg, man freute sich, obwohl es nun hieß doppelt in die Hände zu spucken, um diesen großen Auftrag zu bewältigen. Kaum vor der Tür, sprach mich einer der Abteilungsleiter an. Schon seinem Blick war anzusehen, was gleich kommen würde. Bekannt als Fiesling, ließ er kaum eine Gelegenheit aus, um andere Mitarbeiter in den Dreck zu ziehen, zu mobben, wo immer nur möglich. Genau dieser Charakterzug machte ihn untauglich für den Kundenverkehr, hatte ihm auch die Tour nach Bangkok versaut. Neben seiner fachlichen Nichteignung für Menschen und Technik, gleich zwei Gründe, ihn in der Firma zu belassen, statt auf Reisen zu schicken. Normal oblag ihm nur die Steuerung des Teileflusses an die einzelnen Arbeitsplätze. Ihm war mein trübsinniges Gesicht nicht entgangen, witterte ein wehrloses Opfer für einen seiner berüchtigten und gefürchteten Ausfälle. Ausweichen war nicht möglich, er stand direkt zwischen den beiden Sekretärinnen und der Ausgangstür, machte sich bewusst breiter, als er ist, versperrte gekonnt meinen geplanten Fluchtweg.

„Krank?“, hämisch, alles andere als Anteil nehmend oder gar besorgt, klang es.

„Nein“, antwortete ich genervt, schaute auf die Seite, konnte mir denken, was kommt.

„Schaust aus wie ein Schluck schlecht gewordenes Wasser“, stichelte er weiter.

Entschlossen, diese Bemerkung zu ignorieren, drehte ich mich weg. Für ihn kein Grund abzulassen. Umgehend setzte er zum nächsten Anlauf einer Gemeinheit an und mit diesen kannte er sich aus. Zwei Mitarbeiter hatte er bereits derart gemobbt, ohne dass man es ihm nachweisen konnte, dass diese aufgaben, die Arbeitsstelle wechselten. Sprach man ihn offen auf sein mieses und arrogantes Verhalten an, wendete er sich empört und rotzfrech an den Chef. Verdrehte jeden Sachverhalt, spielte das Opfer, wickelte diesen schleimend um den Finger. Zweimal reagierte er mit einer zivilrechtlichen Anzeige gegen die Betroffenen, gewann mangels Beweise immer. Es hagelte Abmahnungen in der Firma.

„Warum schaust du so beschissen aus?“, hakte er nach, grinste überheblich.

„Habe kein anderes Gesicht“, langsam kochte mir die Galle hoch, bitterer Geschmack machte sich im Mund bemerkbar.

„Schaust aus, wie ein Schluck schlecht gewordenes Wasser“, wiederholte er sich. „Ehrlich jetzt, los, schau mich an, wenn ich mit dir rede“, diese Forderung erfolgte in einem geradezu unverschämt scharfen Tonfall, als rede er mit einem ungehorsamen Kind.

Normal würde ich bei Männern auf derartige Provokationen umgehend mit der einzig richtigen Antwort reagieren – ihnen zeigen, wo der Hammer hängt! Notfalls auch mit roher Gewalt wenn sie es anders nicht verstehen.

„Geht mir nicht so gut“, krampfhaft die Wut herunter schluckend, erneut drehte ich mich wieder weg von ihm.

„Kann mir schon denken, was los ist“, behauptete er, schaute triumphierend in die Runde, in welcher betretenes Schweigen herrschte.

Keine der beiden sonst ganze Perücken von Haaren auf den Zähnen tragenden Sekretärinnen, mit denen selten gut Kirschen essen ist, reagierte, lenkte vom Thema ab. Glotzten vielmehr nur fassungslos und entsetzt in die Runde.

„Wirklich? Was denn?“, langsam wallte es in mir hoch, bemüht mich weiterhin Ruhe zu bewahren, mich nicht provozieren zu lassen.

Versuchte, an ihm vorbei zur Tür zu gelangen, was er sofort mit einem Schritt verhinderte.

„Halt, eine Frage habe ich noch. Hast wohl keine Schlitzfotze drüben abbekommen, weil du so ein Gesicht ziehst?“, fragte er höhnisch, laut und deutlich für alle vernehmbar.

Um mich herum fuhr man bei diesem rüden Wort zusammen, schaute entgeistert von ihm zu mir und zurück. Augen weiteten sich, die Luft brannte. Noch riss ich mich zusammen, zuckte nur mit den Schultern, drehte mich zur anderen Seite, ballte eisern schweigend die Faust in der Hosentasche. Doch hatte ich nicht die Rechnung mit meinen schwarzen, gehörnten und geschwänzten Leibwächtern gemacht, welche übelgelaunt auftauchend, zutiefst verärgert auf die Worte reagierten, Rache forderten. Forderten, dass ich dem Kerl zeigen solle, ein richtiger Mann zu sein.

„Hau dem Vogel die Fresse voll! Los, Alter, voll drauf“, johlten sie, zeigten mir Stellen, wo ich besonders heftig zuschlagen sollte, wollten die Bande Blut sehen.

„Weiß nicht, wovon du redest, mein Gesicht ist eben so“, versuchte ich erfolglos der sich anbahnenden Auseinandersetzung auszuweichen, „derartig abfällige Bezeichnungen für Frauen gehören sich nicht in einer Firma, welche sich mit Gesundheit beschäftigt. Oder sehen hier die Frauen das anders?“, fragend blickte ich zu den Sekretärinnen rüber.

Gespannte Stille herrschte im Vorzimmer, eine der Angesprochenen nickte immerhin, die Luft brodelte weiter und er dachte nicht daran aufzuhören. Wähnte mich weich geklopft, legte noch einen oben auf, wollte endgültig mich als Lachnummer der Firma vorzuführen.

„Frauen?“, höhnte er, „Frauen, sagtest du? Allesamt nichts wert, die Schlampen da drüben“, stellte er fest, worauf die Sekretärinnen, mit entsetzten Blicken und deutlich hörbar, tief empört Luft nach Luft schnappten. „Thaiweiber, nichts weiter als der Auswurf der Menschheit, ficken sogar mit Tieren, richtig mit Hunden. Stimmt! Habe ich mal in einer Doku gesehen“, legte er verächtlich nach und dieser Satz, ließ fast die Sicherungen in mir durchbrennen. „Stehst wohl auf solche Drecksweiber. Stehst auf solche Kanaken?“, lautete die nächste Frage. „Würde mich echt nicht wundern, wenn du dir bei denen was abgefangen hast“, bei diesen Worten, grinste er ein letztes Mal an diesem Tag.

„Kollege Bernhard!“, empört mischte sich die Sekretärin des Chefs ein, „eindeutig geht das jetzt zu weit. Ich verbitte mir derartige Ausdrücke in meiner Gegenwart! Was denken sie sich nur dabei? Also ich werde jetzt den Kollegen Walter über ihr Verhalten …“, zu mehr kam sie nicht mehr.

„Halt dich da raus, du Zicke“, zischte der Getadelte.

Diese Worte und das weitere hämische Grinsen des Vogels brachte in mir schlagartig das Fass zum Überlaufen.

„Halt endlich die Fresse, verdammter Drecksack!“, mit dieser wenig schmeichelhaften Bezeichnung, bezog er Sekunden später unter den entsetzten Augen der Bürodamen die Tracht Prügel seines Lebens.

Fast einen Kopf größer als ich, hatte ich nicht vermutet, dass er ein derartiges Weichei und Schlappschwanz ist, erwartete richtigen Widerstand. Griff dementsprechend brutal hart an, setzte meine Kenntnisse aus dem Kampfsport ein.

Kinn, Schläfe, Auge, Niere, Knie hochreißen, Schlag auf die Leber, in die Magengrube, ihn wieder hochreißen, erneute Schläge auf den Kopf. Augenblicklich ging er zu Boden wie ein nasser Sack, schrie wie am Spieß, spuckte nach mir. Schlag mitten ins Gesicht, seine feuchte Attacke endete so plötzlich, wie sie begonnen hatte. Rotze wurde röchelnd durch blutigen Schaum abgelöst. Von allen Seiten eilten Mitarbeiter an den Ort der Auseinandersetzung. Mühsam trennte man mich mit vereinten Kräften von dem hysterisch schreienden Kerl, welcher nicht nur ein zugeschwollenes Auge, sondern auch eine blutende Nase neben zwei Platzwunden im Gesicht aufwies.

Angefangen hatte der Kerl, nur hatte ich überreagiert und das ging überhaupt nicht. Dummerweise bekam der Chef in dem Handgemenge einen Schlag ab, ging zu Boden, war sekundenlang bei den Engelchen und hörte diese singen. Ungeachtet meiner sofortigen Entschuldigung und Rechtfertigung mit „nicht gesehen in dem Durcheinander“, hatte dies Konsequenzen. Überzeugen, sonst meine Stärke in Verhandlungen und Demonstrationen bei Kunden, wurde mir zum Verhängnis, weil ich dem Chef ständig ins Wort fiel, ihn kritisierte, den Vogel nicht schon längst gefeuert, oder in die Schranken gewiesen zu haben. Lob hin, Lob her, gleiches galt für die erworbenen Verdienste in Bangkok, nichts zählte mehr, hatte Gewicht. Bernd Walter, der Inhaber der Firma, ließ gewöhnlich keine andere Meinung als die seine gelten, war nur schwer von Neuigkeiten und Verbesserungen zu überzeugen. Hatte er sich einmal verrannt, es erkannt, schaltete er auf Durchgang, korrigierte sich keinesfalls, gab vielmehr die andere Meinung später dann, ohne dabei rot zu werden, als die seine aus. Frei nach dem Motto: „Hatte ich doch schon immer so gesagt.“ Entschuldigungen kamen ihm niemals über die Lippen, wich Problemen mit Menschen einfach aus. Wurde es ihm zu arg, suchte er Rat bei seinem Winkeladvokaten und Trinkbruder, denn einem „Gläschen in Ehren“, was auch gern ein halbes Fass Bier, oder mehrere Flaschen Rotwein sein konnten, war er nie abgeneigt.

Statt auf seine Leute und die Sekretärinnen zu hören, das eigentliche Problem im Betrieb zu beseitigen, beharrte er auf seiner in der ersten Erregung getanen Äußerung. Noch am selben Tag bekam ich die Papiere, weil ich hartnäckig jede Form von gegenseitiger Entschuldigung mit dem Provokateur ablehnte. Allein die Form, in welcher dies erfolgen sollte, erinnerte mehr an Art Kindergartenspiel und genau da, stocherte der Stänkerer raffiniert und hinterlistig wieder hinein.

Meine Galle schnappte über, wollte nochmals auf ihn losgehen, als er weinerlich tuend darauf bestand, dass ich mich zuerst bei ihm entschuldigen solle, denn immerhin, hätte ich ihm „unberechtigte“ und „unglaubliche“ Schmerzen vor Zeugen zugefügt. Beteuerte fortlaufend, dass schließlich ich angefangen hätte! Selbst die Chefsekretärin versuchte ihren Vorgesetzten umzustimmen, strich immer wieder heraus, dass ich provoziert wurde, selbst sie aufs übelste beleidigt wurde, legte Vorfälle in den Abteilung dar, welche Rolle der Kerl dabei spielte. Kurzes Stutzen, Türe knallte, Chef verschwand in seinem Büro.

Entgeistert musste ich wenig später vernehmen, dass der Firmenchef tatsächlich forderte, dass wir uns wie im Kindergarten voreinander entschuldigen sollten! Drohte gar mit einer Abmahnung im Falle der Weigerung. Eiskalt berechnend, dabei laut jammernd, tat es natürlich der Schleimbeutel. Entschuldigen fiel mir im Traum nicht ein und dass Kollege Stänkerer sich eine Abmahnung wegen der Aussagen der beiden Damen einfing, tröstete mich nicht die Spur. Chef spielte weiter den Beleidigten wegen des Schlages, akzeptierte keine Erklärungen, drohte mir für den Fall der Weigerung mit Entlassung und ich nahm sofort an, packte wütend zusammen. Stänkerer blieb, wenn auch mit gerupften Federn. Höhnisch grinsend nahm ich zur Kenntnis, dass er sich nach dem Mittag in ärztliche Behandlung wegen seiner „erheblichen Verletzung“ begab.

„Schlappschwanz, elendige Schwuchtel, du hinterhältiges, verlogenes Aas“, zischte ich ihm leise zum Abschied zu, als er flennend und hinkend an mir vorbei zur Tür schlich, dabei so tat, als müsse er ohne Notarzt in den nächsten Minuten verenden. „Man trifft sich wieder. Garantiert!“

Einzupacken hatte ich nicht viel, ein kleiner Karton und meine Aktentasche verschwanden im Auto und was ich nicht erwartet hatte, nicht nur die Sekretärinnen, sondern auch unser Hauptprogrammierer und einige Leute der Technik verabschiedeten mich.

Vergeltungsaktion

Sitzen lassen auf mir wollte ich die Sache nicht, dafür saß die Demütigung zu tief. Zeit hatte ich ab jetzt mehr als genug und so kundschaftete ich die Umgebung des Widerlings aus. Registrierte genau die Zeiten, wann er kam, einkaufen ging, ergötzte mich an den Pflastern in seinem Gesicht und dem blauen Auge. Tage später war es endlich so weit, alles passte auf den Punkt. Meinen Wagen hatte ich in weiser Voraussicht weitab vom Ort des geplanten Geschehens entfernt auf einem hoffnungslos überfüllten unbewachten öffentlichen Parkplatz abgestellt. Aufgrund des Sauwetters war kein Mensch auf der Straße. Selbst die Gassigeher, mit ihren „Fuß–Hupen“ von Tölen, blieben lieber in den warmen Wohnungen. Bernhards Einfamilienhaus lag weit ab vom nächsten Nachbarn, was mir gelegen kam. Los ging die Vorstellung. Zeugen, dass ich mich am Haus aufgehalten hatte, konnte es kaum geben. Restrisiko blieb zwar, nur war mir dies egal. Klingeln hieß es, um ihn aus dem Haus zu locken und wie erhofft, klappte es bereits beim dritten Versuch. Wütend suchte er den Übeltäter, dachte an einen Streich dummer Jungs. Früher, als Schuljungs, hatten wir „Klingelrutscher“ dazu gesagt. Sofern ihm kein Zufall zu Hilfe kommen würde, hätte ich jetzt freie Bahn, denn er hatte das schützende Haus verlassen.

Verheiratet war er nicht, vielmehr innerhalb von nur 9 Jahren zweimal geschieden, was genügend über seinen miesen Charakter verriet. Seines Zeichens Single, wie man heute dazu sagt, denn eine Freundin hatte er derzeit ebenfalls nicht. Bei seinem Ruf im Ort war kaum anzunehmen, dass sich ein drittes weibliches Wesen zur Paarung hergegeben hätte. Kaum stand er draußen, keifte in die Dunkelheit, war ich hinter ihm, packte zu, verstopfte ihm mit einem brutalen Griff das Schandmaul, tobte mich aus. Kein Mensch hörte das Geschrei, welches leider nur kurz währte. Erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass er schon nach wenigen Schlägen wie eine Kasperpuppe zu Boden ging, abtrat, die Engel singen hörte. Erwartet hatte ich mehr Spaß. Enttäuschung machte sich in mir breit, regte mich, wegen der Kürze der Aktion, auf. Tagelange Vorbereitung – „Spaß“ keine 2 Minuten. Zu gern hätte ich das Geschrei länger gehört, seine flehenden Blicke, das ängstliche Zusammenzucken beim Heben der Fäuste, genossen. Eifrig befeuerten mich meine Gesellen, den am Boden liegenden zu treten. Nein, sich an Wehrlosen austoben, zeugt nur von einem äußerst miesen Charakter. Ernüchtert, trat ich den Rückzug an. Maulend verzogen sich die Gehörnten in die Untiefen meiner Seele zurück.

Stunden später war die Polizei bei mir, durchwühlte alles ohne richterlichen Beschluss. Keine Zeugen, keine Spuren wegen des Regens. Durch die getragenen Handschuhe gab es auch keine verdächtigen Blessuren an den Händen. Sämtliche Klamotten, nebst der Schuhe, hatte ich unmittelbar nach dem Betreten der Wohnung in den Ofen geworfen, mich umgezogen, eine Flasche Schnaps auf Ex in mich geschüttet. Spielte den aus dem Schlaf gerissenen ahnungslosen und lallenden Suffkopp, welcher sich kaum auf den Beinen halten konnte. Stunden auf der Wache folgten. Atemtest, entsetzte Blicke, dann Blutprobe, Befragungen, Protokolle. Allesamt waren davon überzeugt, dass ein ständig einschlafender und im Wachzustand lustiger Mensch wie ich, mit knapp über drei Promille, keinesfalls einen anderen zusammenschlagen konnte. Keiner kannte meine vom Vater geerbte Trinkfestigkeit und ich genoss die Show. Leider lief alles ohne Bernhards Anwesenheit ab, denn er beglückte zu dieser Zeit mit seinem Gejammer Schwestern und Ärzte im Krankenhaus. Anzeige gegen Unbekannt, hieß es später im Protokoll.

Fester Wohnsitz vorhanden, damit durfte ich nach einer Nacht in der Ausnüchterungszelle nach Hause. Verabschiedete mich am Morgen, beschämt tuend, mit softem Handschlag von den Gesetzeshütern. Kaum war der Groll verraucht, schlugen die Depressionen unter dem Beifall meiner Untermieter im Kopf wegen des Verlustes von Siriporn erneut zu. Täglich wurden diese schlimmer, paarten sich mit Migräneattacken. Beides bekämpfte ich mit reichlich Alkohol, Nikotin und Aspirin. Nachts zog ich durch die Kneipen, ersäufte weiter meinen Kummer, besorgte mir tagsüber aus den Supermärkten Bier und reichlich härtere Drogen, kannte binnen kürzester Zeit jede Sorte Schnaps. Früher wählerisch, war mir jetzt die Sorte gleichgültig.

Angesoffen hatte ich das nächste Problem auf dem Arbeitsamt mit einem Sachbearbeiter, welcher partout meinte, was gut und was schlecht für mich ist. Berufsfremde Angebote lehnte ich kategorisch ab. Umschulung auf angeblich gerade benötigte Tätigkeiten, wie zum Beispiel der Gastronomie, in der Gebäudereinigung und das bei meiner Qualifikation, kam für mich nicht infrage. Stur prallte auf stur, die Situation eskalierte, Beschimpfungen meinerseits folgten, ein Telefon landete an der Wand. Polizei wurde geholt. Zusammen mit der Anzeige des in der Firma verprügelten Abteilungsleiters, nahm das Unheil seinen Lauf. Entschieden wurde der Prozess mit dem Ex–Kollegen wegen der Prügelei an der Haustür mangels Beweise zu meinen Gunsten.

Aussage stand gegen Aussage. Arzt wie Polizei hielten mich für unschuldig, gingen von einer Verwechslung oder einem billigen Racheakt Bernhards aus. Laut Blutalkoholspiegel war ich mehr scheintot als denn ein Schläger. Spuren gab es auch nicht. Bluten musste ich für die Prügelei in der Firma. Meinerseits holte ich zum Gegenschlag aus, zeigte ihn an wegen Verleumdung, verlor er haushoch diesen Prozess und sein Gesicht ging mir runter wie Öl. Tröstete mich nicht, schaffte aber Befriedigung, seine entgeisterte Miene nach dem Urteilsspruch zu sehen. Sämtliches Ersparte ging in den beiden Prozessen für die Anwälte drauf. Meine eigentlich sichere Prämie von der Firma wurde gestrichen. Ich könne ja klagen, teilte mir der Chef höhnisch am Telefon mit. Erfolg haben würde ich damit eher nicht, denn die Firma müsste sich teuer Ersatz für meinen Ausfall besorgen. Kollege Fiesling hatte noch Tricks aus der Kiste parat, zahlte auf Anraten seines Anwaltes nicht. Womit die nicht gerechnet hatten – ich erzwang einen Titel, um den Typen zur Zahlung zu bewegen, welche er stur verweigerte, um dann doch nach der ersten Pfändung im Betrieb einzuknicken. Seitens des Arbeitsamtes wegen der Rangelei einigte man sich auf eine Art Vergleich. Unausweichliche Sanktionen folgten. Einnahmen brachen weg. Beträchtliche Schulden bei Freunden wurden gemacht, das Auto verkauft.

Schuldnerberatung und eine Therapie wegen des Alkoholkonsums wurde mir angeraten. Nichts davon nahm ich an, soff weiter, ließ mich gehen. Finanziell wurde es eng. Einer Eingebung folgend verbrachte ich wichtige Habseligkeiten zu einem Freund nach Düsseldorf, bis eines Tages der Gerichtsvollzieher vor der Tür stand. Dereinst war der Vermieter so etwas wie ein Freund, wir hatten manche Grillabende miteinander verbracht, unzählige Bierflaschen zusammen geköpft. Davon wollte er nichts mehr wissen, klopfte auf die ausstehende Miete. Pfändung folgte und dann stand ich vor der Tür. Zwei Koffer mit Klamotten und Papieren blieben mir.

Leben auf der Straße

Wehrlos landete ich in der Obdachlosigkeit. Schwarzfahren wurde zum „Hobby“, erwischt wurde ich glücklicherweise nie. Landete, Woche für Woche, nach kurzen Gastspielen von einem Bahnhof zum nächsten, mit dem Zug näher an meiner alten Heimat. Nur etwas mehr als hundert Kilometer von meiner Geburtsstadt entfernt, richtete ich mich ein, begann dort im Umkreis eines großen Bahnhofs zu betteln. Nacht für Nacht, sofern ich überhaupt in den Schlaf fand und nicht von Halbstarken belästigt wurde, tötete ich im Traum einen Thai nach dem anderen. Erwürgte genüsslich Siriporns Mutter, ergötzte mich daran, wie sie unter sich machte, ihr die Zunge aus dem Hals hing, sie endlich mit brechenden Augen in der Hölle landete. Dort machten sich dankbar meine ewigen Begleiter im Kopf über sie her; warfen Grills, Kettensägen, Bohrmaschinen und andere Folterinstrumente an. Vergewaltigten sie bestialisch. Nacht für Nacht tötete ich diese Frau, bejubelt und beklatscht von meinen Teufelchen, welche mir nebenher ständig neue Opfer aus Thailand zuführten, wo ich als williges Werkzeug Hand anlegte; für sie die Dreckarbeit machte. Mehr und mehr verschlechterte sich mein Gesundheitszustand, an manchen Tagen konnte ich kaum laufen, fand im Suff nicht einmal den Eingangsbereich des Bahnhofes, blieb einfach liegen und wurde früher oder später immer von der Polizei verjagt. Duschen und Toiletten wurden zu Fremdworten aus vergangenen Zeiten.

Dementsprechend sah ich aus, meine Geruchsnote verschreckte jeden auch noch so willigen Helfer. Klamotten besorgte ich in der Bahnhofsmission, klaute welche aus den Altkleidercontainern, kroch nachts hinter den Supermärkten in deren Abfallboxen herum.

Angelte mir abgelaufene Lebensmittel heraus, um überhaupt etwas zum Essen zu haben. Diebstahl laut Gesetz, obwohl das Zeug ohnehin im Müll landet. Bio–Gas, damals stark im Kommen und augenscheinlich wertvoller als ein Menschenleben. Zu der Zeit gab es noch keine „Tafel“, und so wurde das wertvolle Gas komplett aus den abgelaufenen Waren hergestellt. Hoch gerechnet 5 bis 12 Mark, mehr „verdiente“ ich nicht durch Betteln. Supermärkte sprachen Hausverbote aus, weil ich durch mein Aussehen und Geruch Kunden vergrätzen würde. Damit war das erbetteltes Geld kaum noch etwas wert. Nichts mit wenig kaufen können, ist schon bitter. Notunterkünfte für Obdachlose mied ich nach einigen Übernachtungen und den damit verbundenen üblen Erlebnissen.

Schlägereien plus Pöbeleien waren dort an der Tagesordnung. Musste ich mir nicht antun, wollte wenigstens in der Nacht meine Ruhe. Maria, ebenfalls eine Obdachlose, gerade einmal 60 Jahre alt, versuchte mir zu helfen. Maria war die einzige Person, welche ich überhaupt in meiner Nähe duldete, zu der ich nach einiger Zeit eine Art Beziehung aufbaute. Beide stanken wir, beide sahen wir verdreckt und ungepflegt aus. Während ich für uns Lebensmittel besorgte, schaute sie sich nach passenden Nachtlagern um.

Früher arbeitete Maria als Diplom–Biologin, bevor sie die Scheidung von ihrem Mann nach 30 Jahren Ehe aus der Bahn warf. Unglücklicherweise war dieser Anwalt, kannte jeden Trick, um ihr faktisch alles zu nehmen. Tiefsinne Gespräche über Gott und die Welt führte ich mit dieser Frau. Gemeinsam teilten wir uns in der Kälte die Decken, wärmten uns einander und Maria war die Einzige, welche mich verstand, der ich alles erzählte. Selbst meine Todessehnsucht konnte sie nachvollziehen, hieß sie nur nicht gut. Verwies auf ihr eigenes Schicksal, betonte, dass sie durchhalten wolle, bis es irgendwann besser werden würde. Maria glaubte fest daran. Bei mir hingegen sah es gänzlich anders aus. Möglichst schnell ans Ende dessen zu kommen, was man Leben nennt, wurde mein erklärtes Ziel. Siriporns schwarze, liebevoll leuchtende Augen waren der Wegweiser dorthin. Besungen durch Mönche aus „Wat bowonniwet“, meinem ersten Tempel in Bangkok und diese lieferten auch die frommen und heiligen Sutras, unter denen ich den Kreislauf der Wiedergeburt beginnen wollte, denn etwas anderes kam für mich laut deren Philosophie nicht infrage. Gesündigt hatte ich durch Lügen und Schläge. Gestohlen hatte ich nur, um überleben zu können. Galt sicherlich auch als Sünde?

Folglich wäre mir der sofortige Weg ins geheiligte „Nirwana“, ins erlösende Nichts der Ewigkeit, versperrt. Mir war alles egal, selbst die Wiedergeburt als Hund oder Ratte nahm ich in Kauf, glaubte ohnehin nicht daran. Religiös nach Meinung der Thais betrachtet, würde es von diesem niederen Stadium der Existenz aus, wohl schneller zur nächsten Wiedergeburt kommen. Bräuchte man nicht erst ein langes Menschenleben im Elend bis zur nächsten Wiedergeburt abzuwarten. Zumindest so die Theorie, welcher ich folgen konnte. Keine Ahnung, wie lange mein Leben noch gedauert hätte, denn neben ersten Hautkrankheiten, begann der Kreislauf mehr und mehr zu versagen. Herzprobleme tauchten auf, eine Nierenkolik setzte mich für Tage außer Gefecht.

Krankenhaus. Mehrfach kollabierte ich, wurde als Penner und notorischer Säufer regelmäßig ins Krankenhaus verbracht, aus dem ich, sobald es mir besser ging, nach einigen Tagen das Weite suchte und untertauchte. Selbst die Krankenschwestern zeigten kein Mitleid. Behandelten mich ruppig und unfreundlich. Freundliche Worte und Verständnis für die von der Gesellschaft Verstoßenen und Vergessenen fanden sie nicht. So genoss ich lediglich die warme Dusche und einige Tage Schlaf in Sicherheit in einem warmen Bett mit geregelten Mahlzeiten. Ohne Regen, Schnee, Ungeziefer, Belästigungen, Beschimpfungen und polizeiliche Kontrollen. Meine Eltern wurden, von wem auch immer, informiert, lehnten harsch eine Aufnahme von mir in ihrer heilen Welt ab. Sozialhilfe bekam ich nicht, da weder Konto noch einen Wohnsitz und so fiel ich durch alle Maschen des angeblichen „Sozialsystems“. Verelendete immer mehr.

Zurück vom letzten Aufenthalt aus dem Krankenhaus musste ich erfahren, dass Maria einen Herzinfarkt erlitten und daran verstorben war. Polizei fand sie eines Morgens steif unter einer Brücke liegend. Fremdeinwirkung laut Polizeibericht ausgeschlossen. Neben sich Plastiktüten mit gebrauchter Wäsche und gesammelten Flaschen. Sechzig Jahre sinnlos gelebtes Leben, ohne Nachwuchs, betrogen von ihrem Ehemann wegen einer jüngeren Frau, verreckt unter einer Brücke. Tage später verbrannt und anonym verscharrt auf einem Friedhof. Nicht einmal ein Grab hatte ich, um ihrer zu Gedenken. Blumen für sie hätte ich auf Wiesen gepflückt oder in Vorgärten geklaut; das war sie und ihr erloschenes Leben mir wert. Bitterste Einsamkeit hatte mich mit Marias unerwartetem Tod eingeholt. Keiner unterhielt sich mehr mit mir, keinen hatte ich nachts zum Wärmen neben mir.

Kälte fraß sich in alle Knochen und auch die gemeinsamen Essen mit abgelaufenen und aus Müllcontainern geklauten Lebensmittel fielen aus. Maria würde nie wiederkommen und das tat unendlich weh. Tiefer als auf der Straße, konnte man nur noch im Grab landen und der barbarische und unwürdige Umgang mit Toten in Deutschland, mit seinen teuer bezahlten Gräbern auf Zeit, war mir seit meiner Kindheit wohl bekannt. Verbrannt zu werden, ist für mich der Horror. Mehrfach in Deutschland gesehen wie das läuft, erlebt, wie mit den „Überresten“ von Hilfsempfängern und armen Leuten umgegangen wird, dann meine Erlebnisse in Indien dazu. Weitere Erfahrungen zu diesem Thema musste ich nicht sammeln, die bereits gemachten reichten für mehrere Leben und endlose Alpträume.

Förmlich bettelte ich Gott und das Universum in den einsamen Nachtstunden darum zu sterben. Verhindert, und dies sehr erfolgreich, hat das eine mir unbekannte Macht. So, als wolle sie höhnisch mein vorzeitiges Verlöschen im Dreck der Straßen, einer Verbrennung und dem Verscharren meiner Leiche ohne Trauergäste auf Kosten der Allgemeinheit sabotieren. Mein Leiden genüsslich bis zum „Sankt–Nimmerleinstag“ ausdehnen. Sonntags stand ich oft an einer der zahlreichen Kirchen, lauschte wehmütig dem Klang der Orgel, welche über viele Jahre einen Teil meines Lebens ausmachte. Hätte die ach so christlichen Christen anspucken können, welche nicht einen Pfennig in die Sammelbüchse des Häufchens Elend mit dem Namen Matthias S. warfen, sich vielmehr angewidert wegdrehten, tuschelten, zur Seite gingen, wenn sie meiner ansichtig wurde. Einmal sprach mich der Pfarrer an, staunte, als ich ihm von meiner alten Gemeinde und „meiner“ Orgel erzählte, drückte mir fünf Mark in die Hand. Mich einfach mal zum Duschen einzuladen, gar an seinen reich gedeckten Sonntagstisch mit Sonntagsbraten zu bitten, hat ihm wahrscheinlich sein angeblich ach so „gütiger“ Gott verboten. Einst als Schutz und Hilfe geordert, taten meine selbst rekrutierten Leibwächter, die Gesellen mit den Hörnern, Klumpfüßen und Schwänzen, wirklich alles, um mir jede Minute auf Erden zusätzlich zur Hölle zu machen. Gewissermaßen als Vorgeschmack dessen, was mich dereinst erwarten würde. Ärgerlich wiesen sie mich darauf hin, dass die „Schlampe“ Maria, zu deren größten Bedauern, leider beim Herrgott im Himmel gelandet ist. Jedoch sei mein Platz gesichert.

Wenigstens warm wäre es in der Hölle, frieren bräuchte ich nicht mehr und Weiber mit schwarzen Haaren hätte es auch reichlich, so lockten sie mich tagtäglich. Weder wurde ich die schwarzen Gesellen los, noch schaffte ich es, mich aus dem selbst verursachten Elend zu befreien. Angesichts des Verhaltens des schwarzen Würdenträgers klappten den ebenso schwarzen Gesellen vor Empörung die Kinnlade herunter. Fluchend wünschten sie sich lautstark den Schwarzkittel in ihre Gemächer. Zählten kichernd Namen von Geistlichen auf, welche in ihren Hallen für alle Ewigkeiten zu Gast sind, auf Erden jedoch heute, Dank des Klerus, als „Heilige“ angebetet werden. Half mir alles nichts, wie meine derzeitige Situation, auch ohne Flüche, bewies. Kein Konto, keine Arbeit. Keine Arbeit, keine Sozialversicherung, keine Wohnung und dieser Kreislauf schien durch nichts zu durchbrechen zu sein. Deutsche Ordnung musste schließlich sein.

Menschliche Arschlöcher wiesen mich rotzfrech oftmals darauf hin, dass kein Mensch in Deutschland obdachlos zu sein braucht, die Betroffenen selbst Schuld daran tragen. Ja, diese es so sogar wollen! Zufall und Schicksal, zwei Worte, welche ich zwar kenne, jedoch nicht als scheinbar unabänderliche Tatsachen akzeptiere, traten auf den Plan. Gevatter Zufall hatte mich zu Siriporn geführt, das Schicksal sie mir geraubt. Oder umgedreht? Zufall? Schicksal? Überzeugte mich beides nicht, denn ein einmaliges Zutreffen eines Ereignisses, bestätigte noch lange nicht die tatsächliche Existenz oder gar die Macht der beiden Begriffe.

Einmalige Ereignisse kann man wissenschaftlich nicht verifizieren, Schlussfolgerungen, erst recht keine Algorithmen, daraus ableiten. Siriporn hatte mir so manches über den Buddhismus erzählt, gute Geister erwähnt. Ihrer gütigen Seele und genau diesen Geistern schob ich in meiner Verzweiflung die folgenden Ereignisse zu. Machte für mich viel mehr Sinn, als die zwei für mich imaginären, durch nichts wissenschaftlich und logisch erklärbaren Wörter „Zufall“ und „Schicksal“, in der deutschen Sprache.

Unsichtbar über meinem Kopf fügten sich Dinge zusammen, manifestierten sich zu einem neuen Abschnitt in meinem Leben. Manch einer mag jetzt trotzdem den Begriff Zufall bemühen, andere das Wort Schicksal. Um die folgenden Geschehnisse, inklusive deren Ursache, präzise zu definieren, müsste wahrscheinlich ein neuer Begriff erfunden werden.

Letztendlich würde dieser aber auch nicht daran ändern, dass eine einzige Person mit simpelsten Maßnahmen eine Kette von Ereignissen in Gang setzte, welche nicht zu überschauen waren. Banale Ereignisse innerhalb einer einfach Handlungskette, welche letztendlich mein Leben retteten.

Rettung

Verdreckt, ausgehungert und schwach, dem Tode näher als dem Leben, hockte ich neben einem Kiosk am Bahnhof, vor mir eine leere Konservendose, in welche an diesem Tag bislang kein Pfennig gelandet war. Starr blickten meine entzündeten Augen nach unten auf den Dreck des Bürgersteigs. Nur so konnte ich die Erniedrigung des Bettelns ertragen. Unerwartet rückten in mein Blickfeld zwei sauber geputzte Schuhe. Teure und schwarze Schuhe waren es, welche mit Sicherheit nicht aus einem Sonderangebot stammten. Augenblicke später, nachdem diese Schuhe vor mir gehalten hatten, wurde ich angesprochen. Von einer Stimme, welche ich sehr wohl kannte, mich vor Scham fast in den Boden versinken ließ. Dabei war ein weiteres Versinken meiner einstigen Würde kaum möglich, saß ich doch schon auf einem Stück Karton im Dreck. Nieselregen durchnässte die abgetragene und nicht gewaschene Kleidung, ließ sie zusätzlich stinken.

„Matthias?“, fragte es erst ungläubig, dann wurde die Stimme barsch, „im Namen Gottes, hebe deinen Arsch hoch und komm sofort mit!“, bellte mich der Mann an.

Trotzig die hilfreich angebotene Hand abwehrend, quälte ich mich nach oben. Versuchte es zumindest, sackte kraftlos dann nach unten. Weiß der Teufel woher, stand mein alter Pfarrer vor mir, in dessen Gemeinde ich einige Jahre Orgel gespielt hatte. Undeutlich und wie durch einen dichten Nebel hörte ich Worte, welche mir lang und breit erklärten, bei einem „Amtsbruder“ zu Besuch gewesen zu sein, eigentlich nur noch Zigaretten kaufen wollte. Weitab seiner Heimatgemeinde, „Dank“ seiner Nikotinsucht, kreuzte sein Weg den meinen am Abgrund. Gerade mal 4 Mark für eine Schachtel Zigaretten, änderte mein Leben für alle Zeiten. Wem oder was müsste man nun dankbar sein? Seiner Nikotinsucht, oder dem Konvent, an welchem er teilgenommen hat? Den Planungsverantwortlichen, weil sie diesen Termin an diesen Tag legten? Dem Ekelwetter mit Nieselregen? Wirklich Gott?

Immerhin, das war Fakt, hatte ihn zumindest die Nikotinsucht dazu bewogen seinen Weg zu ändern. Gewöhnlich wäre er 200 Meter weiter um die Ecke in ein Tabakwarengeschäft gegangen, doch der Kiosk, neben dem ich saß, lag näher und ihm war kalt. Rauchen ist schädlich und süchtig machender Genuss zugleich. Sagt man allgemein. Bestätigen kann ich nur den Punkt Genuss.

Rauchen hat in diesem Fall mein Leben gerettet und den Seelen Millionen ausgerotteter Indianer mit ihrem Tabakanbau sei Dank dafür. Wobei man bei denen nicht einmal von einer Sucht reden konnte, denn Rauchen war bei den Indianern eine heilige Zeremonie. Eine Sucht, damit etwas Negatives, machten erst die Europäer daraus. Wie eben jedes Ding seine zwei Seiten hat, man es auf die eine oder andere Art gebraucht oder missbraucht. MacGyver hat es unzählige Male in seiner Serie vorgemacht. Pfarrer Peters Worte klingen mir noch heute in den Ohren.

„Du bist doch Matthias? Hallo! Antworte mir! Kann wohl nicht wahr sein, was ich hier sehe? Gott sage mir, dass ich mich irre! Was treibt dich hierher? Was tust du da?“, Fragen, eine aufgeregter als die andere, prasselten auf mich ein.

Geantwortet habe ich nach dem ersten Zusammensacken wohl mit eher nicht ganz so stubenreinen Begriffen, wollte nur eine Mark und meine Ruhe haben. Glaubte bei den gehörten Worten mehr an eine Wahnvorstellung, glaubte, dass mir meine angeschlagenen und völlig überreizten Nerven einen Streich spielten, statt an die Tatsache, dass der Mann mit seinen gut hundertzwanzig oder knapp darüber liegenden Kilo Lebendgewicht, leibhaftig vor mir stand. Nachts redete ich auch laut mit Siriporn und dem Geist von Maria, ohne dass eine der Personen körperlich anwesend ist. Hundert Kilometer sind nicht weit, aber immerhin weit genug, dass sich mein getrübter Verstand weigerte daran zu glauben, dass es sich um Peter handelte. Nicht einmal hochsehen wollte ich, glaubte verrückt geworden zu sein. Dieser Irrglaube entpuppte sich kurzer Zeit später als ein großer und schmerzhafter Fehler.

„Matthias! Los, steh auf in Gottes Namen. Hoch mit dir!“, wiederholte er sich.

Bevor ich es mich versah, packte er resolut zu. Kraft hatte er für zwei, knallte mir eine. Hände zerrten mich kraftvoll nach oben, brachen den Rest meines ohnehin schwachen Widerstandes und die Todessehnsucht durch weitere Ohrfeigen. Hände schleiften mich wie einen Sack Kartoffeln zu einem Auto, wo das stinkende Bündel Mensch mit dem Namen Matthias auf den Beifahrersitz gedrückt wurde. Schützend, obwohl dazu keinerlei Grund bestand, hielt ich mir die Hände vors Gesicht, um vermeintlich gefährlichen Schlägen zu entgehen. Versuchte dann zu schreien, doch der ausgetrocknete Mund war wie mit Sekundenkleber fixiert.

Geradezu liebevoll strichen mir diese helfenden Pranken wenig später über den Kopf, bis ich mich beruhigt hatte, nur noch hilflos vor Kälte zitterte. Fürsorgliche Hände legten mir den Gurt an, steckten mir eine brennende Zigarette zwischen die kalten Lippen. Reichten mir wenig später einen Becher heißen Kaffee und ein belegtes Brötchen. Geduldig wartete er ab, bis der Kaffee alle war, bevor diese groben und gleichwohl hilfreichen Hände den Motor des Wagens in Richtung neues Leben starteten.

„Gott hat mich vorbeigeschickt“, er hörte nicht auf zu reden während der ganzen Fahrt, erzählte etwas von einem Konvent, seiner Gemeinde, einem fehlendem Organisten und dieser Wortschwall drang wie durch einen dicken Nebel zu mir. Erfasste den Sinn nur Bruchstückhaft, da ich während dessen Pause immer wieder wegdämmerte.

Schlafen, nur noch schlafen, ohne getreten, angespuckt und beschimpft zu werden war mein Ziel. Sein altersschwaches und klapperndes Auto eines japanischen Herstellers erschien mir wie ein Himmelbett. Irgendwann hielt es, Stimmen umfingen mich, helfende Hände, jetzt waren es schon vier, zogen mich aus dem Wagen. Keiner sagte etwas Schlechtes. Unter den Schultern gestützt, wurde ich ins Haus gezogen, Essen aufgetafelt. Heiße Suppe als Auftakt, gefolgt von belegten Broten und Kaffee. Ich stank mit meinen Klamotten die ganze Küche voll. Knapp eine Stunde später saß ich in einer Wanne, wusch mit dem Dreck die Haut der angeblichen Schande von mir ab.

Peter hockte rauchend auf dem Wannenrand, schrubbte mir den Rücken, dass mich seine Frau dabei nackt sah, prallte an mir ab, war mir gleichgültig und sie wusch mir die Haare. Klamotten vom Hilfsdienst wurden hervorgeholt, ich wurde komplett neu eingekleidet. Peters Frau schnitt mir die Haare, föhnte diese. Langsam kehrten die Lebensgeister wieder zurück. Stundenlang saßen wir am Abend zusammen, nebelten die Bude ein. Stockend erzählte ich alles. Meine erste Nacht in dem mir von früher wohlbekannten Pfarrhaus in einem frisch bezogenen duftenden Bett umfing mich wie ein Tuch aus Seide, welche Engel gewebt zu haben schienen.

Befreit aus der Obdachlosigkeit durch meinen Freund Pfarrer Peter, befand ich mich nun bereits seit einigen Tagen in seinem Haus. Energisch hatte er mich aus meiner tristen Welt des unbarmherzigen Abstiegs in Richtung frühzeitiger Tod vom Bahnhof geholt. Bruchstückhaft schwirrten mir Erinnerungen an die Fahrt durch den Kopf.

Bruchstücke, denn so richtig mitbekommen hatte ich eigentlich fast nichts. Speicherte während der Fahrt nicht einmal Peters pausenloses Reden, seine bohrenden Fragen. Ringsum begann sich die Welt dank seiner Hilfe wieder zu normalisieren. Normalisiert hinsichtlich eines sicheren Daches über dem Kopf und regelmäßigen Essens. Dies betraf aber nicht das Zentrum im Kopf, bekannt unter dem Begriff Psyche. Hier beschrieb das Wort „zerstört“ nicht einmal im Ansatz deren Befindlichkeit. Ohnehin wird bei so einer durch den Menschen ausgelösten Entwurzelung mehr die Seele, als der Körper verletzt. Körperliche Schäden sind durch die durch das Leben auf der Straße bedingten Krankheiten das letzte Glied in der Kette des beginnenden Sterbens, können durch Ärzte zumeist repariert werden, nicht selten kann man es sogar selbst. Seelische Schäden, äußerlich nicht sichtbar, ausgelöst durch Worte und bösartige Handlungen von Mitmenschen, schleichen sich anfangs unbemerkt ein, manifestieren sich, bis es zu spät für eine Heilung ist. Psychopharmaka sind niemals eine Lösung auf Dauer, sie verdecken und unterdrücken nur diese Verletzungen. Führen früher oder später sogar zu körperlichen Schäden aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkungen.

Meiner Meinung nach hat die Natur, welche nur auf Fressen und gefressen werden ausgelegt ist, dem ewigen Kreislauf von Leben und Tod, seelische Schäden überhaupt nicht im Programm. Diese sind rein menschlicher Natur. Schwer angeschlagen durch die harten Monate auf der Straße, aber noch reparabel durch das Leben selbst, zumindest für starke Charaktere, stand ich nun wieder an einer einstigen Wirkungsstätte meines jungen Lebens. Kämpfte darum, wieder stark zu werden wie einst, was nicht auf Anhieb gelang, täglich jedoch besser wurde. Vergessen können würde man nie die absichtlich durch andere Menschen zugefügten Verletzungen, nur vergeben mit guten Willen. Ob ich das überhaupt wollte mit dem Vergeben, glaubte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Möglicherweise, so mein Versuch, könnte man die Verletzungen als Unterprogramm der Psyche nutzen, um mit ähnlichen Situationen besser umgehen zu können. Peters und seine Frau Inge steckten meine gelegentlichen Ausraster, derer mindestens einmal täglich, ohne mit der Wimper zu zucken weg. Notfalls, wurden diese gar zu heftig, verließen beide lächelnd das Haus, warteten irgendwo, kamen später wieder zurück. Abgeschlossen mit dem Leben hatte ich ohnehin, denn ein Leben ohne Siriporn ergab für mich keinen Sinn. So der Zustand noch vor wenigen Tagen.

Genauer gesagt, hatte ich mich völlig aufgegeben, wartete, erstarrt in völliger Lethargie, eigentlich nur noch auf das Ende, welches ohnehin so oder so einmal kommt. Angst davor hatte ich nicht, vielmehr herrschte diesbezüglich in mir eine Art fatalistischer Neugier. Neugier darauf, was wohl nach dem Leben kommt. Rückkehr ausgeschlossen, bekanntlich hat noch nie ein Mensch zur Berichterstattung von der anderen Seite heimgefunden und diesen Umstand nahm ich billigend in Kauf. Früher oder später ist ohnehin einmal Schluss mit dem, was wir Menschen mit unserem beschränkten Horizont als Leben bezeichnen, dabei in unserer Arroganz ausblendend, dass es mit Sicherheit irgendwo da draußen Leben existiert, welcher auf einer anderen Basis funktioniert. Ob nun intelligent, wie wir von uns behaupten, oder anders, dies sei dahingestellt. Jetzt war, mit der ersten vernünftigen Nahrung seit Wochen, der Überlebenswille wieder erwacht. Genährt und gestärkt durch das Essen, frei gespült durch die erste warme Dusche im Pfarrhaus. Untrennbar war dieser Wille an den Faktor Rache gekoppelt und in dieser suhlte ich mich mit blutrünstigen Gewaltfantasien. Teilweise fielen diese schlimmer aus als in übelsten Horrorfilmen mit Kettensägen. Filmen, wo zum Beispiel die Opfer langsam ausgeweidet, Körperteile abgeschnitten werden, bevor sie sich vor Eintritt des Todes unter qualvollsten Schmerzen laut schreiend winden. Gedanken dieser Art gaben mir Kraft, bauten mich unglaublich auf und Schuldige zum genüsslichen Martern hatte ich genug.

Verständlicherweise sagte Peter dies nicht zu und seiner menschlich christlichen Art, selbst schlimmsten Dingen noch etwas Positives für sich abzugewinnen, trieb mich zusätzlich auf die Palme. Selbst betrachtete er sich seit jeher als christlicher Philanthrop und machte keinen Hehl daraus. Seinerseits gut gemeint, mich regelmäßig maßlos aufregend, versuchte er mich täglich aufs Neue wieder auf den christlichen Weg zu bringen. Einen Weg, welchen ich vor Jahren wegen der Menschen verlassen hatte. Was soll ich mit einem Glauben, wo mir Menschen diktieren, was und wer nun Gott ist und was nicht? Mir Gottes Willen erklären wollen, ohne je mit diesem persönlich und nachweisbar gesprochen zu haben. Wäre ungefähr so, als stellte ich eine Diagnose bei einem defekten Gerät, ohne dieses je gesehen oder untersucht zu haben. Hängt Gott von den Menschen, oder hängen die Menschen von Gott ab? Christen behaupten von Gott und andere Religionen behaupten das Gleiche von ihren Göttern, gleich wie blutrünstig diese sind. Ganz zu schweigen von der Auslegung einer anderen Religion als die der einzig Wahren, welche zudem noch das Töten Andersgläubiger ausdrücklich fordert.

Wieder einmal mehr hatte dieses Thema über die Existenz oder Nicht–Existenz Gottes zu heftigen Diskussion geführt, welche in Peters Forderung gipfelte, mit der Vergangenheit abzuschließen. Siriporn mit ihrer seltsamen heidnischen Kultur, genauso hatte er es formuliert, zu vergessen und neu zu starten. Gehasst hatte ich ihn dieser Sekunde. Allein schon wegen der abschätzigen Bemerkung zu Siriporns „heidnische Kultur“, welche ich seiner christlichen als zumindest ebenbürtig betrachtete. Bekanntlich haben Buddhisten nie im Namen Buddhas fremde Länder erobert, andere Kulturen ausgerottet. Mit dem Vergessen Siriporns, sollte ich, so stellte er es sich vor, unbedingt einen christlichen Weg einschlagen, denn dieser bestimmte nun einmal sein Leben und damit sei er gut gefahren. Vor wenigen Jahren noch war ich noch fester Bestandteil in Peters Lebens gewesen. Er als studierter „Hirte“ und ich als Musiker seiner ihm anvertrauten „Schafe“. Meinerseits kam eine Rückkehr in seine Welt nicht infrage und um dies zu verdeutlichen, hatte ich vor Sekunden das Wort „Verdammich“ als Einleitung eines Satzes benutzt. Mein Retter aus der Not kniff nur die Augen zusammen statt zu explodieren, mich aus dem Haus zu werfen, zog an der Zigarette, schaute mir, halb belustigt, halb verärgert in die Augen und grinste breit über seine rosa Backen. Er schien zu überlegen, wie er mich wegen des Ausrasters „erziehen“ könnte, ohne dabei Gewalt anzuwenden.

„Kein nettes Wort im Hause eines Pfarrers“, meinte er nach einiger Zeit lakonisch, blies die Rauchwolke in meine Richtung und in ihm arbeitete es sichtlich. „Gott hat dich nicht verdammt, egal, wie du darum gebettelt hast. Warum wohl“, er kniff erneut die Augen unter seinen buschigen Augenbrauen zusammen, sodass sie fast wie Striche in seinem Gesicht wirkten, „hast du mal darüber nachgedacht, du Ochse? Warum wohl, habe ich meine Kippen am Kiosk und nicht um die Ecke herum im Tabakladen gekauft?

---ENDE DER LESEPROBE---