Bangkok - Erwachen der Vergangenheit - Christian Schlosser - E-Book

Bangkok - Erwachen der Vergangenheit E-Book

Christian Schlosser

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Beschreibung

Der vorliegende Band aus der Serie "Polyamorie", mit dem Titel „Bangkok - Erwachen der Vergangenheit", schließt lückenlos an Band 2 ("Aus der Hölle zurück ins Leben") an und ist die Fortsetzung einer aufregenden Erzählreihe mit autobiografischen und erotischen Elementen. Zum Inhalt: Matthias reist mit seiner Frau nach Vietnam, erlebt geradezu unglaubliche Dinge. Baut sich nach diesem Besuch allmählich mit Ha in Deutschland eine neue Existenz auf, überlegt mit seiner Angetrauten, das Geschäft nach Vietnam zu verlagern. Zögert noch mit einem endgültigen Umzug und beginnt zwischen Asien und seiner Heimat zu pendeln. Zeitgleich startet er in Deutschland und Vietnam mit einer naturheilkundlichen Ausbildung. Erlebt in Deutschland die dramatische Geburt der beiden Kinder und die junge Familie schließt Freundschaft mit der Hebamme und deren Lebensgefährten. Letztendlich brechen Matthias und Ha endgültig die Zelte in Deutschland ab, ziehen um in die Heimat seiner Frau. Dort erweitert Matthias die medizinische Ausbildung. Gerät von einer seelischen Krise in die nächste, verfällt erneut dem Alkohol. Ha rettet ihm das Leben und das schweißt das Paar noch mehr zusammen. Trotzdem kommt Matthias nicht von Siriporn los. Depressionen und Wahnvorstellungen nehmen in ihm Überhand, werden zur harten Probe für das Paar und deren Zukunft. Reden über die Vergangenheit kann und will er nicht, fürchtet um seine Ehe. Kaum hat sich das Leben der jungen Familie stabilisiert, überschlagen sich, genau wie einst vorausgesagt, genau 10 Jahre nach der Tragödie in Bangkok die Ereignisse. Matthias bekommt eine geheimnisvolle Nachricht aus Thailands Hauptstadt und reist ohne zu Zögern hin. Was ihn dort erwartet, lässt ihn seelisch, fast zerbrechen und wird zum größten Geheimnis seines Lebens.

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Inhaltsverzeichnis

Inhalt der Serie „Polyamorie“

Hinweis

Vorwort

Ankunft in Vietnam

Erster Tag im Dorf

Gebrochene Macht

Geklärte Fronten

Ausflug in die Hauptstadt

Unverhoffte Freunde

Kontaktaufnahme

Dolmetscher Tuan

Naturheilkunde – erste Eindrücke

Wiederhergestellte Ehre

Bescheidene Erfolge

Notlandung

Operation mit Komplikationen und eine neue Freundschaft

Verloren im Ruhrgebiet

Schwere Geburt

Veränderungen

Stammhalter

Freunde

Gäste

Blick in eine andere Welt

Untersuchung mit Folgen

Überraschung

Misstrauen

Schlaganfall

Auflösung

Geheimnisse

November 2001 – 9 Jahre und 364 Tage nach Bangkok

November 16 – 2001 – 10 Jahre nach Bangkok

November 18 – 2001

Zusammenbruch

Rückblick auf ein Geheimnis

Epilog

Impressum

Inhalt der Serie „Polyamorie“

Band 1: Bangkok – zwischen Buddhas, Liebe und Dämonen

Band 2: Aus der Hölle zurück ins Leben

Band 3: Bangkok – Erwachen der Vergangenheit

Band 4: Saskia – jung, schön und obdachlos

Band 5: Düsseldorf – Treffen mit Katrin

Band 6: Entscheidungen auf Rügen

Band 7: Der Kreis schließt sich

Sofern ein Titel nicht der Altersklassifizierung FSK 16 entspricht, finden Sie

diesen im Bereich FSK 18! Möglicherweise müssen Sie unter Angabe des Buchtitels

bei einem anderen Buchhändler diesbezüglich nachsehen.

Hinweis

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich, ungeachtet der Beschreibung der Liebesspiele

eines Paares, keinesfalls um eine der typisch pornografischen Geschichten. Genau

genommen beschreibt die Serie handelt die Lebensgeschichte eines Auswanderers, schildert

ein über viele Jahre andauerndes menschliches Drama.

Freunde des pornografischen Genres, welches der Autor keinesfalls bedient, mögen sich

bitte diesbezüglich anderweitig umsehen.

Vorwort

Der vorliegende Band 3, „Erwachen der Vergangenheit“ schließt lückenlos an den letzten Band an, beschreibt, basierend auf tatsächlichen Ereignissen der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, versehen mit literarischen Ergänzungen, die erste Reise von Matthias mit seiner Frau in deren Heimat. Zu der Zeit herrschten noch unfassbare Zustände im Land, erlebte er Dinge, welche heute absolut nicht mehr möglich wären.

Nach der Rückkehr baut er sich mit Ha in Deutschland eine neue Existenz auf, überlegt, das Geschäft nach Südost-Asien zu verlagern. Zögert, beginnt zwischen Asien und seiner Heimat zu pendeln, startet zeitgleich in beiden Ländern eine naturheilkundliche Ausbildung. Erlebt im Ruhrgebiet die dramatische Geburt der gemeinsamen Kinder. Letztendlich bricht das Paar endgültig die Zelte in Deutschland ab. Matthias gerät durch widrige Umstände in eine seelische Krise, verfällt erneut dem Alkohol. Ha rettet ihm das Leben. Ungeachtet aller Gemeinsamkeiten und tiefen Liebe zu Ha, kommt Matthias nicht von seiner Liebe in Bangkok los. Reden über die Vergangenheit kann und will er nicht, fürchtet um seine Ehe.

Wie einst vorausgesagt überschlagen sich, genau 10 Jahre nach der Tragödie in Bangkok, die Ereignisse. Eine geheimnisvolle Nachricht aus Thailands Hauptstadt trifft ein und Matthias reist ohne zu Zögern hin. Was ihn dort erwartet, lässt ihn seelisch fast zerbrechen, wird zum größten Geheimnis seines Lebens.

Auch dieser Band gewährt dem Leser Einblicke in eine fremde Kultur; beschreibt das Leben in der Fremde mit den damit verbundenen Schwierigkeiten.

Freunde dieser Art von Literatur und Erotik gleichermaßen, werden also keinesfalls nach dem allmählichen Einstieg in die teilweise dramatischen Vorgänge auf den folgenden Seiten enttäuscht.

Ankunft in Vietnam

Zehn Stunden dauerte der Flug in Ha’s Heimat, welche nicht viel später auch zu meiner Wahlheimat werden sollte, was jedoch zu diesem Zeitpunkt keinem von uns beiden bewusst war; keiner von uns beiden auch nur im Ansatz für möglich hielt.

Maschine war gelandet, hektisch strömten die Passagiere in die Abfertigungshalle. Noi Bai Airport Hanoi – nie zuvor auf der Welt hatte ich einen frostigeren Empfang erlebt als hier. Uniformierte Bulldoggen, Menschen waren es nur dem äußeren Anschein nach, hockten, ohne zu sabbern wie ihr tierisches Pendant, in ihren Kabinen. Behandelten, misstrauisch Gesichter, Passbilder und Eintragungen taxierend, jeden Ankömmling wie einen potenziellen Verbrecher. Kein Wort fiel, vielmehr schien eine diffuse kollektive Angst wie Narkosegas die Abfertigungshalle mit all ihren Passagieren eingehüllt zu haben. Vereinzelt war leises Flüstern zu hören. Vernunftmäßig ist nicht zu erklären, wie ein Glaskäfig, ein paar Absperrungen aus wirkungslosen Seilen, ein gelber Strich auf dem Boden und eine von Amts wegen vorgeschriebene Kleidung, Menschen derart dressieren und einschüchtern kann. Hallen, wie diese, sind keine heiligen Orte, wo man aus Respekt, wovor oder wem auch immer, einen Moment Stille hält. Lebenslang ein Rebell gegen Gewalt, Dummheit und vergängliche Autoritäten gewesen, rief diese mich umgebende Atmosphäre der gemeinschaftlichen Angst, sofort Widerstand in mir wach. Gleich in welchem Land der Welt, maßt sich immer eine Handvoll Verbrecher das Recht an, über andere Menschen, deren Lebensweise und Zukunft zu bestimmen.

Schlimmer noch als das, leisten unzählige Idioten, Schleimlinge und Anhänger, welchen Befehlen und Gesetzen der Oberen, ungeachtet wie unsinnig diese sind, auch noch eifrig Folge. Meinen damit alles „richtig“ zu machen, statt den eigenen Kopf zum Denken zu benutzen. Hier regieren Verfechter, Anhänger und Vasallen der mörderischsten Ideologie der Welt – des Kommunismus. Wenngleich die Bezeichnung „Kommunisten“ für Vertreter dieser Lehre völlig falsch ist. Laut Marx’scher Ideologie, kommt zuerst der Sozialismus, welcher später erst durch den Kommunismus und den darin herrschenden „besseren“ Typ Mensch, dem Kommunisten, abgelöst wird. Erinnerungen an meine Musterung zur Armee schossen mir durch den Kopf. Bis auf den Umstand, dass heute und hier Zähne, Muskeln, Rückgrat und Penis nicht kontrolliert wurden, ähnelte der triste Raum verblüffend dem Musterungsraum in einer Schule von damals.

Fehlten nur die Bilder des damaligen „Staatsratsvorsitzenden“ Honecker und auch die bewaffneten Polizisten am Airport, welche gelangweilt wirkend neben den wartenden Menschenreihen standen, wichen von dem damals Erlebten und dem Musterungsraum ab. Unvermittelt wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

„Liebling, wir sind dran“, meldete sich Ha neben mir, zog mich nach vorn.

Missmutig schaute der Beamte hoch, deutete Ha wortlos mit einem Finger an, dass sie auf die Seite zu gehen habe. Ausländer zuerst schien das zu bedeuten. Stempel klatschten lautstark und unwillig auf freie Stellen der Pässe und ich war froh, als ich das hinter mir hatte. Bei Ha dauerte es einige Minuten länger mit der Kontrolle.

Weiter ging es zum Gepäckband, an dem ein unglaubliches Durcheinander herrschte. Sonst war ich auf meinen Flugreisen immer vom Pech verfolgt, landete heute das Gepäck fast zeitgleich mit unserem Eintreffen auf dem Band. Zugreifen und weg, hieß die Devise. Suchend schaute sich Ha nach einem Gepäckwagen um, fragte einen Mitarbeiter, verschwand kurz aus meinem Blickfeld. Langsam ging ich mit dem Rucksack und dem ersten Koffer Richtung Ausgang. Zöllner wichen zurück, machten den Weg für mich frei in eine unbekannte Welt, vor der ich wegen ihrer Andersartigkeit und Gefahren eindringlich gewarnt wurde.

Hinter mir wurde es laut. Wie es schien, wurde Ha an den Zoll beordert. Drei Männer in dunklen Uniformen versperrten ihr den Weg nach draußen, zerrten rabiat die Koffer vom Gepäckwagen. Zweiter Akt der unfreundlichen Begrüßung. Lange Momente wartete ich, Sekunde um Sekunde nahm meine Unruhe zu. Menschentrauben versperrten mir die Sicht, sogen meine Frau in der Menge abgestempelter und registrierter Menschen in sich auf. Während ich noch überlegte eine zu Rauchen, war plötzlich Ha zu hören und das in einer von ihr bislang nicht gekannten Lautstärke.

Verstanden habe ich natürlich nichts, begriff aber instinktiv, dass die Lage für sie bedrohlich ist. Radikal drängte ich mich gegen den Widerstand zweier Uniformierter zurück, sah, wie der gesamte Inhalt ihrer Koffer als wüster Haufen auf dem Tisch lag, BHs und Slips von Ha lachend in die Höhe gehalten wurden. Worte flogen wie Dartpfeile mit angebrachten Sprengladungen zwischen den Tischen hin und her.

Korrekt, höflich und respektvoll, vor allem einer Frau gegenüber, waren diese sicher nicht und was deren Unterwäsche in der Öffentlichkeit zu suchen hat, erschloss sich mir nicht, war schlichtweg eine Unverschämtheit. Höhnische Gesichter und sich ihrer angeblichen Macht sicherer Beamter sagten mehr als tausend Worte. Frauenverachtend, notgeil und sexistisch, sieht rund um den Globus gleich aus und als Mann erkennt man dies sofort. Ha keifte wie ein Verrückte, wurde an den Armen festgehalten, wurde angeschrien, riss sie sich los, verteilte Ohrfeigen, kratzte, spuckte und kreischte. Grob versuchten zwei Männer, laut und frech lachend, sie zu bändigen. Hände packten sie an jedem erreichbaren Körperteil, auch an ihren Brüsten, erblickte ich fremde Männerhände. Sekunden brauchte mein Verstand, um das Geschehen vor mir komplett zu erfassen. Logikchip sprang an, flutete mit Fakten das Hirn. Ergebnis: Meine Ha wird von fremden Männerhänden betatscht und ihr wird Gewalt angetan. Blitzartig startet der Aggressionschip durch, brüllte ich los, tobte.

Erschrocken wichen die Deppen zurück, hatten nicht damit gerechnet, dass ich eingreife, laut wurde. Mit wenigen Schritten war ich bei Ha, befreite sie aus den respektlosen Griffen der Uniformierten, welche keinerlei Gegenwehr zeigten. Wütend stopfte ich alles, was ich auf dem Tisch greifen konnte, in den erstbesten Koffer. Vorsichtig näherten sich links von der Seite Beamte der Flughafenpolizei. Gebührenden Abstand haltend musterten sie mich, schienen zu überlegen, ob es sich lohnt, sich mit mir anzulegen, oder sie warteten einfach nur auf Befehle. Derzeit warteten sie wohl ab, wie sich die Situation entwickelt, meldeten über „Walkie–Talkie“, was sich vor ihnen abspielte. Lautstark verlangte ich nach dem Chef, klappte dabei den ersten Koffer zu und diese Handlung missfiel den Zöllnern sichtlich.

„Was ist hier los?“, wollte ich von Ha wissen.

„Matthi, die Schweine wollten fünfzig Dollar Bestechung haben, damit sie mich nicht kontrollieren“, antwortete sie erregt, „habe mich geweigert, dann ging das hier los. Guck, was die gemacht haben! Ausgelacht haben sie mich und als Nutte bezeichnet! Nur wegen der hübschen Unterwäsche von dir.“

Wut funkelt in ihren Augen. Zwei der Zöllner traten zurück, ließen endgültig von Ha ab, irritiert darüber, dass sich eine „Langnase“ einmischte. Krebsrot im Gesicht packte Ha weiter ein, fühlte sich sicher durch meine Anwesenheit.

Triumphierend, fertig mit ihrem Koffer, schaute sie in die betretene Runde. Provozierend zog sie mich an sich heran, stelle sich auf die Zehenspitzen, steckte mir die Zunge in den Hals. Macht man nicht im prüden Land der notorischen Fremdgeher. Man verstand ohne Worte. Mann verteidigt Frau, also Ehepaar. Roch nach Ärger für die Uniformträger. Würde ich nur zu gern vertiefen und erweitern. Sportlicher Ausgleich nach 10 Stunden beklemmender Enge des Fliegers in Form einer Prügelei, käme mir gelegen. Konsequenz wäre eine Geldstrafe oder sofortiger Rückflug. Mit beidem könnte ich leben. Seit der Sache mit Hung, juckte es mich bei jedem vietnamesischen Mann, welchen ich zu Gesicht bekam, in den Fingern. Lautstark verlangte ich nach einer Erklärung und dem Chef. Die sich um uns gescharte Menge der Passagiere forderte zumindest Ähnliches. Lautstarke Diskussionen setzten von allen Seiten ein. Deutschsprechende Vietnamesen klopften mir anerkennend auf die Schulter, beschimpften in ihrer Muttersprache die Beamten. Finger stachen vor deren Gesichtern herum und diese Geste gilt als die übelste Form einer Erniedrigung, denn man nimmt damit dem Gegner sein Gesicht. Schlagartig kippte die Stimmung. Rund 170 Passagiere gegen eine Handvoll arroganter und korrupter Selbstdarsteller – der Sieger dürfte vorab feststehen. Gewalt lag in der Luft und diese steigerte sich unaufhörlich. Im Hintergrund ballte sich ein Haufen Uniformierter, wartete sichtlich nervös auf ausbleibende Befehle.

Nochmals forderte ich den Chef zu sprechen. Verstanden wurde meine Forderung mit Sicherheit kaum oder in der Aufregung nur bruchstückhaft. Englisch war zur damaligen Zeit nur rudimentär vorhanden. Bedeutet – jeder lernt es, kaum einer kann es. Unterwegs hatte mir Ha einiges erzählt, wie es auf dem Airport zugeht, hoffte noch, dass es uns nicht betreffen würde. Vergeblich, wie die Situation bewies. Vietnamesen wurden abgezockt, alles durchwühlt, unberechtigte Zölle oder Bestechungen kassiert. Ausländer ließ man einfach durch. Verwicklungen mit den damals unliebsamen Devisenbringern wollte man aus dem Wege gehen. Schließlich brachten die nicht nur Geld, sondern auch Kritik an der Partei und Wissen über deren Machenschaften mit ins Land. Man minimierte einfach Punkte, welche für Reibung sorgen könnten; präsentierte sich unter roten Fahnen mit gelbem Stern im scheinbaren Glanz von Toleranz und Weltoffenheit. Minuten später tauchte ein Uniformierter auf, bat uns, beschwichtigend die Hände hebend, in ein Büro und verschwand wieder. Hier thronte der Chef des Airports oder wer auch immer, und seine Position trug er mit einer geradezu unerträglichen Arroganz zur Schau.

Englisch gewöhnungsbedürftig, schwer verständlich, reichte gerade zur Kommunikation. Missverständnisse waren wegen des geringen Wortschatzes programmiert. Tatsächlich besaß er die Unverfrorenheit, nach der Art des Problems und meiner Beschwerde zu fragen. Tat so, als ob Ha nicht zu verstehen gewesen wäre und diese Stimme zu überhören, erschien mir einfach als ein Ding der Unmöglichkeit. Eiskalt tuend brannte ich mir eine Zigarette an, schließlich rauchte er ebenfalls, legte mit scharfen Worten los. Abwehrend hob er die Hände, sprach von einem Missverständnis, versuchte dann das in ganz Asien verbreitete „Entschuldigungs–Grinsen“. Verschlagen, arrogant und hinterhältig wirkte es. Ha schimpfte erneut los, schien das Problem mit den fünfzig Dollar zur Sprache zu wollen. Zumindest benutzte sie reichlich das Wort „Dollar.“ Korruption in Vietnam hatte ich gesagt? Empörung machte sich in seinem Gesicht breit. Bitte? Unmöglich – alles nur eine Verleumdung der USA und der Feinde Vietnams, tönte es entrüstet zurück!

Genervt unterbrach er Ha mit einer unwilligen Handbewegung, scharfe Worte fielen und das brachte mich abermals auf die Palme. Meine Frau unterbricht man nicht wie ein Schulkind. Seinerseits beschloss er das weibliche Energiebündel neben mir zu ignorieren, stellte in meine Richtung erneut die Frage, warum ich mich aufrege. Mich würde die Sache als Ausländer nichts angehen und mit diesem Irrtum räumte ich sofort auf. Meine Ha wurde tätlich von seinen Männern angegriffen und dafür konnte es nur eine Lösung geben und dies würde ich ihm so oder so begreiflich machen. Meinen Worten glaubte er ebenfalls nicht. Wieder und wieder, begleitet von „no, no, no“, versuchte er die Sache als Fehleinschätzung darzustellen. Meinerseits, es reichte, schloss ich nun jegliches Missverständnis in meiner Antwort aus, betonte, deutlich akzentuiert, jedes Wort.

„Wissen Sie, Zeit habe ich genug“, begann ich, wozu er nur dümmlich lächelte, den Sinn der Einleitung noch nicht verstand, „ich werde gleich morgen in der deutschen Botschaft und im Ministerium vorstellig werden, dort die Sache vorbringen.“

Weiter grinste er, schien den Sinn der Worte nicht verstanden zu haben oder ignorierte sie einfach, um mir keinen Angriffspunkt zu geben, überlegte, was er darauf antworten soll.

„Verstehen Sie nicht? Ihre Beamten haben meine Frau tätlich angegriffen, sexuell kompromittiert und das hat ein Nachspiel. Auch für Sie!“, drohte ich. „Sexuelle Übergriffe und Korruption auf dem Airport unter ihrem Kommando? Unglaublich!“

Theatralisch stutzte er kurz, tat so, als schien er zu überlegen, ob er es wirklich richtig verstanden hatte. Natürlich hatte er, stellte sich nur weiter dümmer, als er es tatsächlich war. Geriet ins Schwitzen, wischte sich auf der Stirn zu sehende Schweißperlen mit dem Ärmel ab, wartete, ahnte, was folgen wird und es kam – Ärger.

„Meinen Sie wirklich? Wo wollen sie sich denn beschweren? Glauben Sie mir. Keiner wird ihnen zuhören, denn Sie benehmen sich wie ein Feind Vietnams“, meinte er irgendwann frech, war sich aber seiner Sache doch nicht so sicher, wie er tat.

„Glauben Sie wirklich?“, giftete ich los, „hören Sie mal zu, Herr Genosse. Fange ich erst einmal an schlechte Laune zu bekommen, gibt es, zumindest auf dem Airport, ein Stück korrupten Sozialismus weniger. Garantiert! Wetten wir? Kommunismus und Korruption? Deutsche Zeitungen werden sich freuen, wenn ich zurückkomme! Oder wollen Sie mich erschießen, wie es Kommunisten mit ihren Kritikern machen? Stellen Sie sich bitte die Schlagzeilen vor: Sexuelle Belästigung von Ehefrauen durch vietnamesische Zöllner! Wirft sicher ein gutes Bild auf die Partei!“, der Zynismus saß.

Entsetzt weiteten sich seine Augen und der anfängliche Schreck, machte umgehend einer unglaublichen Wut Platz. Signal für mich, noch nachzulegen.

„Wissen Sie, was mich heute maßlos ärgert?“, er verstand die Frage nicht, kniff die Augen zusammen, überlegte und schüttelte den Kopf.

Mich beschlich der Verdacht, dass er sich in seiner Arroganz einbildete, das Thema mit seiner unverschämten Antwort entschärft zu haben, meine Worte lediglich als Worthülsen und leere Drohung betrachtete.

„Nein, was denn?“, fragte er unsicher nach einiger Wartezeit, tappte damit voll in die von mir gestellte Falle.

„Dass ich früher den Krieg mit meinen Spenden unterstützt habe“, setzte ich genüsslich fort. „Ärgerlich, sehr ärgerlich, hätte ich früher gewusst, was mich heute hier erwartet, hätte ich eher für die Amis gespendet, damit das hier, erst nicht entsteht“, diese Bemerkung brachte sein Gesicht komplett zum Entgleisen.

„Nachlegen! Weiter, noch eins drauf!“, kreischten die Teufelchen in mir und ich tat es.

„Wenn noch einer versucht meine Frau anzufassen, passiert etwas“, drohend ballte ich die Faust in seine Richtung. „Vietnamesische Männer, welche sich an Frauen vergehen, haben bei mir keinerlei Wert. Hunde sind es, mehr nicht. Hände weg von meiner Frau! Haben wir uns verstanden?“, mit Sicherheit war das auch für den Dümmsten verständlich.

„Drauflegen, Alter, noch eins drauf! Braucht der!“, kreischten die Teufelchen, was ich auch ohne deren Aufforderung getan hätte.

Bei dem Wort „Hund“, ballte der Beamte die Faust. Eine schlimmere Beleidigung als mit dem treuesten Freund des Menschen verglichen zu werden, gibt es nicht in Vietnam. Dabei fressen die ihre vierbeinigen Freunde ebenso wie Katzen.

„Sie gehen jetzt hinaus und bringen die Sache in Ordnung!“, verlangte ich, „Schließlich sind Sie hier der Chef. Dann könnte ich mir eine Beschwerde über Sie vielleicht noch einmal überlegen. Regeln Sie das jetzt bitte?“

Gift und Galle spuckte der Blick, verengten sich seine Augen zu Schlitzen. Beweisen, ob ich seine glorreiche Partei oder ihn beleidigt hatte, konnte er nichts. Weder ein Mikrofon, noch eine Kamera, oder ein menschlicher Zeuge befand sich im Raum. Bewusst seiner derzeitigen Ohnmacht, riss er die Tür auf, brüllte etwas nach draußen. Ha begann wieder zu diskutieren, schimpfte wie ein Rohrspatz. Genervt hielt ich ihr einfach den Mund zu. Hastig ging der Chef vor uns hinaus zu seinen Untergebenen, scharfe Worte fielen, die Angesprochenen verschwanden nach hinten. Andere tauchten aus einer Tür als Ersatz auf. Die verbliebenen bekamen offenbar einen Anschiss erster Klasse. Zufrieden ging ich Hand in Hand mit Ha zu den Tischen mit unseren Koffern zurück. Meckernd packte sie dort den Rest zusammen, strahlte mich an, wollte wissen, was ich gesagt hatte und staunte.

„Wow! Wie ein richtiger Mann“, meinte sie anerkennend und ich konnte diese Worte, wieder einmal mehr, nicht so richtig einordnen.

Witz an der Sache: Sie verstand kein Englisch! Damals wie heute hatte ich jedoch ihre Ehre mit Fäusten und Worten verteidigt. Vor nicht allzu langer Zeit zu ihrer Ehrenrettung den komischen Hung dabei übel zugerichtet und nun das?

Bekanntlich landete der Typ mit schweren Lädierungen im Krankenhaus und jetzt erst stellte sie fest, dass ich „ein richtiger Mann“ bin? Hatte wohl auch meine ramponierte Hand vergessen? Egal, eventuell hatte sie wieder mal etwas nicht richtig in der Aufregung verstanden, fehlten ihr einfach passende Worte, was des Öfteren geschah. Genervt holte ich einen Gepäckwagen, knallte die Koffer darauf und lief Richtung Ausgang.

„Willkommen in Vietnam! Gleich wird’s noch schlimmer“, krähten schadenfroh die Teufelchen, begannen boshaft an den angekratzten Nerven zu ziehen.

Damals konnte ich nicht ahnen, dass dieser Auftritt und die Beschwerden vieler anderer Touristen, einiges bewirkt hatten. Heutzutage geht es gänzlich anders zu. Zustände, wie eben geschildert, sind seit dem Jahr 2000 absolut undenkbar! Vietnam hat gelernt, eine neue Generation zieht an den Fäden der Macht, hat sich die Politik zumindest einigen internationalen Regeln angepasst. Selbst Vietnamesen werden im Gegensatz zu früher einigermaßen respektvoll behandelt. Gemischte Ehepaare lässt man heutzutage in Ruhe, wo zur damaligen Zeit noch jede vietnamesische Ehefrau dem Rang nach einer Hure gleichkam. Ausländerhure. Diese galten noch weniger, als die Huren für den gemeinen Bauern und Parteimitglieder. Standen im Rang mit einem Hund gleich. Tiefer als Hund ging nicht. Bei dieser Wertung spielte der Penisneid wohl eine maßgebliche Rolle.

„Matthi?“, flötete Ha, welche sich gefangen hatte und neben mir trippelte.

Wenn sie in diesem Tonfall anfing, kam meistens die nächste Überraschung und ich sollte Recht behalten.

„Meine Familie holt uns ab, alle übrigens. Ich übersetze für dich und bleibe immer bei dir. Keine Sorgen, mein Liebling“, damit knutschte sie mich erneut in aller Öffentlichkeit ab, bis mir die Luft wegblieb.

Ha war fertig, fauchte noch etwas schnippisch zu den Beamten hin. Blanke Wut funkelte in den Augen der Gemaßregelten, wich dann stufenweise dem „Entschuldigungs–Grinsen“ vietnamesischer Art in meine Richtung, welches sich jedoch drastisch von dem Thailands unterschied. Sicher nichts Nettes oder Unterwürfiges zum Abschied zu den Galgenvögeln von sich gebend, jetzt aber wieder mit ihrer butterweichen Betonung, drehte Ha sich weg.

Artig den Wagen mit den Koffern schiebend, ich buckelte den schweren Rucksack und schleppte noch eine Reisetasche, lief sie mit mir zum Ausgang. Wärme und enorm feuchte Luft schlug uns draußen entgegen. Chaos herrschte, nicht die Spur einer ordnenden Kraft war zu sehen oder zu spüren. Stattdessen gellten schrill überall Trillerpfeifen, nur war keine nennenswerte Reaktion auf die Töne zu erkennen. Laut schreiend bahnte sich eine Menschentraube ihren Weg zu Ha, wogten andere zu anderen Ankömmlingen.

Dutzende Hände grapschten nach mir, rissen mir die Koffer aus der Hand. Regelrecht, dass wir in einen Bus hinein gepresst wurden. Gesichter aller Altersklassen lachten mich an. Fremde Laute prasselten auf mich ein. Getrennt von mir, hockte Ha viel weiter vorn. Fleißig übte ich in der Enge das „Blend–A–med–Grinsen“. Hoffnungslos überfüllt legte die Schrottkiste wild hupen ab. Unglaublich die Fahrweise des Busfahrers, unglaublich der Verkehr, unglaublich der Dreck auf den Straßen, unglaublich die überall zu sehende Armut. Ab ging es quer durch die immergrünen Pampas mit Reisfeldern und Palmen, ich fürchtete um meine Wirbelsäule und Rippen, wurde hin und her geschleudert, von Personen in Kurven fast zerdrückt. Dann ging es in eine Ortschaft, welche wohl ein Dorf sein sollte. Verkehrsschilder oder Ortsschilder habe ich die ganze Fahrt über nicht gesehen. Breite Lehmwege lösten nun den löchrigen Asphalt der Straße ab. Schlaglöcher ungeahnter Tiefe bremsten die Fahrt teilweise auf Schrittgeschwindigkeit, was den Fahrer regelmäßig animierte, nur einen Meter nach diesen rasant zu beschleunigen. Kilometer um Kilometer ging es so weiter und der Lärm der Menschen um mich herum übertönte den des Motors um ein Vielfaches. Penetranter Schweißgeruch lag in der Luft, nahm in Verbindung mit dem Gestank nach Diesel und Motoröl einem den Atem. Ruckartig hielt irgendwann der Bus, alles flog durcheinander. Zischend öffneten sich die Türen. Wir wurden aus dem Bus gezerrt, vorwärts geschoben.

Weiter ging es über einen schmalen Lehmweg zwischen rotbraunen Ziegelmauern und Mauern aus Lehm. Vor uns tauchte ein Torbogen auf. Allenthalben wurde geschoben und gedrängelt. Volksfeststimmung herrschte. Und dann stand ich inmitten einer riesigen Menschentraube vor einer Hütte. Vergleichbar mit der Kate von Leibeigenen aus dem Mittelalter. Ha hatte mich wieder fest an der Hand, zerrte mich vor fremde Gesichter, stellte mich offensichtlich vor. Gefühlt nach dem fünfzigsten Händedruck schwieliger Bauernhände, hatte ich in meinen Fingern kaum noch ein Gefühl.

Grinste, grinste, grinste weiter, wollte eigentlich nur noch weg von hier, zurück in unsere beschauliche Wohnung nach Deutschland. Schön wäre auch ein ruhiges Hotelzimmer, Ha’s geil schwingendes Becken, die totale Entsaftung. Dann eine Stunde Pause mit entspannender Zärtlichkeit. Leider sah die Realität gänzlich anders aus. Der ganze Hof war mit Matten ausgelegt, man nötigte mich nach unten zum Sitzen, Ha hockte neben mir. Zum Übersetzen kam sie nicht in dem Krach, alles laberte, lachte, kicherte und lärmte durcheinander. Kinder kreischten zwischen den Erwachsenen herum, starrten mich neugierig an. Frauen in Festkleidung, ältere dabei deutlich in der Mehrzahl, standen in einer Gruppe, kauten Betel. Entließen den roten Saft aus ebenso gefärbten Mündern auf den Boden, wo er hin tropfte, wo eben gerade Platz war. Ha sprang auf, eilte in die Gruppe der Frauen, umarmte eine von ihnen, kam dann mit strahlendem Gesicht zu mir zurück. Möglicherweise war es ihre Mutter. Endlich trat so eine Art Ruhe ein. Genauer gesagt fiel der Lärmpegel um schätzungsweise zwanzig Prozent. Wahrscheinlich ein höher gestellter Onkel oder weiß der Geier, hielt eine Begrüßungsrede und ich staunte, wie hart und unangenehm die Sprache war. Redete Ha, klang es immer weich, fast wie Musik in meinen Ohren. Wenngleich mir der Klang der thailändischen Sprache ungleich mehr gefiel. Genauer gesagt, einstmals gefallen hatte.

Beifall wurde dem Redner in Intervallen gespendet. Ohne zu wissen warum, klatschte ich eben wie eine Aufziehpuppe mit. Kaum hatte er geendet, wurde ein regelrechtes Fressgelage eröffnet, anders konnte man es nicht nennen. Fleischstücke landeten von allen Seiten in meiner Schale. Stäbchen erst in einem fremden Mund, dann Brocken damit geschnappt und bei mir abgelegt. Grinsen, grinsen, grinsen, höfliches Nicken war angesagt, grinsen. Ich wollte nur noch weg. Blieb doch brav hocken wie ein Schüler in der Schulbank.

„Liebling, liegen lassen, wenn die Schale voll ist, hören die von selbst auf“, hörte ich Ha neben mir durch den Lärm rufen, befolgte sofort den Ratschlag.

Wie prophezeit, setzte der Zustrom angesabberter Fleischstücke in meine Schüssel nach wenigen Minuten aus. Ha kam weiterhin kaum zu Zuge wegen einer Übersetzung. Bei dem Krach war die Verständigung praktisch nur mittels eines Megafons und selbst damit, eigentlich nur aus nächster Nähe möglich.

Ständig sah Ha sich suchend um, gab auf Nachfrage nur kurz an, dass sie nach ihrer Mutter Ausschau hielt. Vermutete, dass sich diese mit den anderen älteren Frauen im Haus aufhielt. Irgendwann, nach rund zwei Stunden, leerte sich allmählich der Hof. Erneut hieß es Hände, diesmal zum Abschied, schütteln, durfte dazu aber sitzen bleiben, erhob mich nach einer Weile trotzdem; drückte stöhnend den Rücken durch. Jeder Knochen tat mir von der ungewohnten Sitzhaltung weh. Leer zeigte sich der Ort, welcher vor einer halben Stunde noch brechend voll mit Menschen gewesen war. Vier Frauen fegten zusammen, räumten weg, begannen am Brunnen Wasser zu schöpfen.

Geschirr wurde gewaschen. Ha zog mich in die Hütte. Kreischend vor Freude fiel sie einer Frau mit tief schwarz gefärbten Zähnen um den Hals, Tränen flossen. Vorhin meine Vermutung war richtig gewesen, es handelte sich tatsächlich ihre Mutter. Aufgeregte Worte flogen durch den kleinen Raum, Ha zerrte mich hinzu. Ha’s Mutter, Schwester und der Bruder mit seiner Frau wurden mir vorgestellt. Vier Kinder folgten, aufgereiht der Größe nach wie lebende Orgelpfeifen. Heulend versteckte sich zwei der Kleinen hinter der Mutter. Namen rauschten als seltsame Töne, mal gehackte, mal weiche, durch meine vom Lärm geschädigten Ohren. Händeschütteln, ausgiebig und lange. Nun klappte es mit den Übersetzungen durch meine Fast–Ehefrau. Misstrauisch sah mich nur Ha’s Schwester an und das aufgesetzt wirkende Lächeln, konnte nicht meine bereits in Deutschland fest zementierte Meinung über sie ändern. Jetzt hatte ich aber das dazu gehörende Gesicht vor Augen und dies war nicht geeignet, meine Meinung aufzuweichen. Man schob mich zu einer harten Holzbank mit schlichten Verzierungen, nötigte mich mit Gesten, Platz zu nehmen. Schmutzige Tässchen mit grünem Tee landete auf dem Tisch, eines vor mir. Tee ließ ich erst einmal stehen, vertrug grünen Tee ohnehin nicht besonders gut ohne Herzrasen zu bekommen, schaute mich unauffällig um.

Riesige Betten, zumindest ließ die Form der Möbelstücke es vermuten, zwei Stück an der Zahl, ohne Matratzen, ein kleiner Schrank in Form einer Kommode mit Glastüren, besagte Bank, ein ähnlich gefertigter Holzstuhl, ein Tischgestell mit Glasplatte, welcher in seiner Winzigkeit gerade einmal vier Personen Platz bieten dürfte. Damit erschöpfte sich die Einrichtung. Wie vorhin bemerkt, wurden diese „Betten“ auch als Sitzmöbel für den Tag und auch als zusätzlicher „Tisch“ genutzt, wenn der kleine Tisch die Anzahl der Besucher nicht mehr fassen konnte. Vorhin hockten dort gut und gern 10 Personen.

Der Boden bestand aus den gleichen erdbraunen und gebrannten Platten wie die im Hof. Wild baumelten Kabel durch den Raum, die meisten wegen Rattenfraß an vielen Stellen mit Isolierband umwickelt, von Strom keine Spur. Handlungsbedarf en masse für einen deutschen Elektriker, stellte ich fest und der Aufwand dürfte finanziell, genau wie zeitlich, beträchtlich sein.

„Heute Abend gibt es Licht“, Ha sah mich verlegen an, „wenn es Strom gibt“, kicherte sie amüsiert und verlegen zugleich.

Fragende Blicke ringsum wegen der fremden Töne aus ihrem Munde, sie übersetzte, man lachte verschämt. Mich interessierte im Moment mehr ein Bett. Außer zwei riesigen flachen Möbelstücken, mehr so eine Art Podeste, belegt mit hauchdünnen Matten, wo gerade noch gegessen wurde, war nichts dergleichen zu entdecken. Ob dies überhaupt Betten waren, bezweifelte ich. Vorhin hockten zahlreiche Gäste darauf und aßen und wer sagt mir, dass es nicht so etwas Ähnliches wie Esstische sind? Jetzt waren die dünnen Matten darauf weggeräumt und andere darauf zu sehen.

„Komm, wir gehen uns waschen, gleich wird es dunkel“, mit diesen Worten zog mich Ha nach draußen, schob mich weiter in den hinteren Teil des Hofes.

Riesiger Bambus stand dort, mindestens fünfzehn Meter hoch, am Boden dick wie ein Oberschenkel, die einzelnen Stämme, knarrten und quietschten geisterhaft im Wind. Blätter rauschten über uns. Flechten und Moose bedeckte die Mauer der Hofbegrenzung, alles war braun und grau; wirkte verwahrlost. Knapp einen Meter über den Erdboden gemauert, erblickte ich einen Brunnen aus Ziegelsteinen, welcher einen ebenso desolaten Eindruck machte, sich außen aber sauber verputzt zeigte.

„Mal sehen, ob ich es noch kann mit dem Wasser“, kicherte Ha, warf einen Eimer nach unten, zog ihn wenig später wieder hoch.

Voll war er nicht, aber sie lachte trotzdem. Unter mir, in mindestens zehn Meter Tiefe, schimmerte dunkles Wasser. Erneut klatschte der Eimer abwärts, kurzes Schlenkern am Seil und dieses Mal war er randvoll, als er auftauchte.

„Probiere du doch mal, Liebling“, grinsend hielt mir Ha den Eimer mit dem Seil hin.

Keine zehn Zentimeter gefüllt zog ich ihn wieder hoch, gab sofort auf. Heute war mir nach keinen weiteren Abenteuern und Versuchen zumute; reichte es für den Tag. Blechschüsseln klapperten, allem Anschein nach aus Aluminium, Wasser plätscherte laut hinein. Eimer für Eimer zog Ha herauf, die Schüsseln füllten sich nacheinander.

„Toilette?“, fragte ich vorsichtig, ahnte, warum auch immer, schon einmal schlimmes.

„Scheißen oder pinkeln?“, setzte es als Gegenfrage.

Mir blieb die Luft weg. Entsetzt sah ich Ha an, schüttelte missbilligend den Kopf.

„Liebe Frau, sag mal, welch Wörter benutzt du nur?“, empörte ich mich, „von wem hast du diese Ausdrucksweise gelernt? Von mir jedenfalls nicht!“

„Wichtig hier“, amüsiert grinste sie, „pinkeln hinter dem Bambus in den Trog. Scheißen dort“, wobei ihre Hand auf ein Häuschen zeigte, dessen Dachhöhe, sofern man überhaupt von einem Dach sprechen konnte, kaum 1,5 Meter betrug.

„Und warum das?“, mir erschloss sie die Trennung der Ausscheidungen nicht sofort.

„Scheiße wird mit Asche aus der Küche gemischt und auf den Feldern als Dünger benutzt. Pisse kommt direkt mit der Schöpfkelle an die Pflanzen“, sie griente verlegen. „Hier wird sofort vor Ort getrennt. Guck schon hin!“, wurde ich kichernd aufgefordert, „ist doch ein tolles Bauwerk, das Scheißhaus, oder?“

Ihr Sarkasmus war wieder einmal kaum zu übertreffen, verzieh’ ich ihr sogar die rüde Bezeichnung für den Abtritt. Entgeistert trat ich näher und der Geruch verschlug mir fast den Atem. Meine Zukunft? Nein, bitte nicht! Angesichts dieses Bauwerks würde meine Zukunft würde bis zum Tod in Deutschland liegen, nicht im Kommunismus vietnamesischer Prägung, oder nach den Systemen von Pol–Pot und Kim–Jong–Il. Stellte mir jetzt vielmehr die Frage, was eine junge Liebe an Entbehrungen und Diktatur aushalten kann? Anmaßend, ein Land und dessen Kultur nach nur einer Übernachtung auf einem Dorf, zu bewerten. Gleich wie mittelalterlich die Zustände auch sind. Eigentlich kenne ich schlimmere Länder. Zumindest im gewissen Sinne. Meine Frau schien die Gedanken und Zweifel ihres Mannes zu spüren, verzog verlegen das Gesicht.

„Matthi? Wird hart werden für dich, aber das ist Vietnam und Vietnam bin ich. Darfst du nicht vergessen“, entwaffnend und bittend zugleich lächelte sie mich an.

Selbst in der beginnenden Dämmerung war deutlich ihre Schamröte zu sehen.

„Liebling, so ist deine Frau aufgewachsen“, erklärte sie entschuldigend. „Fehlen nur noch die Bomber“, ihre Hand deutete ein Flugzeug an, „am Himmel und die Sirenen, welche oftmals heulten. Vor allem dann, wenn es am friedlichsten schien, ging es richtig los. Wir rannten alle nur noch um unser Leben“, fest zog sie mich an sich, legte ihren Kopf an meine Brust. „Vietnam musst du nicht lieben. Nur mich weiter wie bisher. Schaffst du das?“, fragend sah sie mir in die Augen, lächelten mich schwarzen Augen an, welche wieder ein Spur dunkler geworden zu sein schienen.

„Gib mir Zeit mit Vietnam“, wich ich aus, „geht alles ein wenig schnell für mich.“

„Liebst du mich jetzt noch?“, fragte sie leise und sie sah mich nachdenklich an, „jetzt, nachdem du schon einiges gesehen hast?“, fügte sie traurig hinzu.

„Selbst wenn du vom Mond kommen würdest, ja, ich liebe dich“, mit dieser Aussage schien Ha beruhigt und lächelte sofort wieder.

Mich beschlich ein Verdacht, brachte diese sofort zur Sprache.

„Sag mal Ha, die Reaktionen waren teilweise merkwürdig, als die Leute mich zu Gesicht bekamen. Hast du uns angekündigt oder nur dich?“

„Eigentlich, weißt du, es ist schwierig mit der Post und dann hat sich ja schnell …“, sie brach ab, eierte herum, wurde rot, suchte nach einer guten Ausrede.

Sofort wurde mir klar, dass sie auf volles Risiko gespielt hatte. Keiner wusste etwas und so war die Überraschung nicht verwunderlich. Zögernd streifte ich mir das Hemd herunter. Katzenwäsche war angesagt. Mehr wagte ich mir nicht. Suchend schaute ich mich um. Auf die überall herumhängenden zerfetzten grauen Lappen auf rostigen Drähten verspürte ich keine Lust. Weiß der Geier, welche Arschritzen die Fetzen bereits gesäubert hatten. Misstrauisch näherte sich ein Hund, knurrte mich zuerst an, wedelte dann zögernd mit dem Schwanz, kam dann langsam näher.

Ha vermutete wohl, dass ich das Tier schlagen oder treten würde, sprang ihm hilfreich bei, was völlig unnötig war, denn mit Hunden konnte ich gut umgehen, mochte diese.

„Lass den, Matthi. Hau den nicht, der ist wie ein Mensch“, hörte ich sie leise sagen, „der Wuffi war immer wie ein Bruder zu mir. Wirklich ganz lieb.“

Leise rief sie ihn, er kam ohne zu zögern näher, ließ sich kraulen. Verwahrlost wie das bisher gesehene Land sah er aus. Leise flüsterte Ha mit dem Tier, zog den widerstrebenden Hund zu mir hin. Redete auf ihn ein und er begann ihr die Hände zu lecken, schien sie zu verstehen. Misstrauisch beschnupperte er mich, legte sich dann zu meinen Füßen. Leckte mir ebenfalls die hingehaltene Hand und von der Minute an, wich er mir nicht mehr von der Seite, blieb aber immer vor dem Haus. Wäsche beendet, ich fragte nach einem Bett und erntete einen ungläubigen Blick.

„Waren die drinnen nicht groß genug?“, spöttelte sie, „sind doch zwei Stück im Haus.“

Angstschweiß brach mir aus, hatte gehofft, dass es wenigstens ein Feldbett gibt.

„Keine Matratzen?“, fragte ich, immerhin vorsichtig hoffend.

„Matratzen? Nein, dafür hat aber kaum jemand Rückenprobleme“, lachte sie, „los, ich schaue mal, was ich regeln kann“, schon hüpfte mein Flummi vor mir her ins Haus.

Kopfkissen, welche den Namen nicht verdienten, keine zwei Zentimeter dick, fürchterlich nach Schimmel und Moder stinkend, wurden nach einer kurzen Diskussion angeschleppt. Eine Decke mit großen Löchern darin, zweifellos Ratten geschuldet, mit ähnlich penetranter Geruchsnote folgte. Gequält lächelnd nahm ich diese in Empfang, legte sie ab.

„Ficken dürfen wir hier nicht“, bedeutungsvoll verdrehte Ha die Augen, gefolgt von einem um Verständnis heischenden Lächeln, „du schläfst hier, ich bei Mama. Wie immer schon.“

Beschwörend, als ich zum Protest ansetzen wollte, legte sie mir zwei Finger auf die Lippen, versuchte mich zu beruhigen.

„Matthi, bald wird es besser werden, keine Sorge, mein Liebling“, versprach Ha und grinste bedeutungsvoll zu mir auf, „hier geht alles etwas langsamer als in Deutschland.“

Draußen ging die Sonne unter, schnell wurde es stockdunkel. Ärgerlich legte ich mich hin, an Schlaf war nicht zu denken, denn auf blanken Holzbrettern lag als „Matratze“ lediglich eine Matte aus Reisstroh, kaum zwei Millimeter dick, und diese ließ mich alle Knochen spüren. Kopfkissen und Decke verursachte in mir nur Ekel. Unvermittelt ging das Licht an, mehr als 25 Watt hatte keine der Lampen und von 220 Volt, war die Netzspannung weit entfernt. Wenn es überhaupt 150 Volt waren, welche die Glühfäden mehr glimmen, als leuchten ließen. Vor mir unterhielt man sich leise. Lange brannte die Beleuchtung nicht, erlosch kaum eine Stunde später, nachdem sie einige Male, wie als Ankündigung auf den Stromausfall, geflackert hatte. Leise unterhielt sich Ha neben mir mit ihrer Mutter in der Dunkelheit und ich vermeinte, meinen Namen dabei gehört zu haben.

Erschöpft schlief ich irgendwann ein. Bekleidet mit meinen Tagesklamotten, bereits wieder schwitzend und deutlich müffelnd. Willkommen in Vietnam! Willkommen, verfluchtes und von Ha geliebtes Land.

Erster Tag im Dorf

Schrill und völlig übersteuert, kreischten fremde Laute in meinen Ohren, peinigten mit ihrer Lautstärke das empfindliche Musikergehör, brachten die Trommelfelle zum Klirren, mich knapp an den Rand des Wahnsinns. Schweißgebadet schoss ich nach oben, bedeckte schützend die Ohren mit den Händen. Schon jetzt war die Hitze fast unerträglich, kochte die Luft. Hinsichtlich der Temperatur wähnte ich mich eher in der Sahara als in Vietnam. Hervorgebracht wurden diese entsetzlichen Geräusche von einer „Brülltüte“ (Megafon) in 110 Volt Technik, befestigt an einem dicken Bambus vor dem Haus. Luftlinie keine zehn Meter von meiner Schlafstelle entfernt. Präzise auf die vergitterte Fensteröffnung gerichtet, wodurch der Raum unabsichtlich wie eine Resonanzkammer funktionierte. Hacklaute der Sprache von einem Mann waren zu hören, welcher klang wie General, sicher aber nur eine der dörflichen Apparatschiks war. Marschmusik dröhnte über Minuten, bis die Übertragung durch ein lautes Knacken beendet wurde.

Das anschließende Schweigen wurde geradezu unerträglich, denn man wartete förmlich auf die nächste Dezibelattacke. Doch es blieb ruhig und dies gestattete den gestressten Nerven Luft holen, sich zu entspannen. Zikaden begannen zu zirpen.

Hühner gackerten, Schweine quiekten und grunzten, entfernte Stimmen waren zu hören, Rauch lag wie in grauer Nebel in der Luft, zog in den Raum hinein. Sämtliche Knochen taten mir weh, als ich mich erhob. Durchgängig schienen alle Bandscheiben aus Beton zu bestehen. Ächzend stand ich auf, taumelte einen Moment benommen, verfluchte dieses Land erneut in die tiefste Hölle. Scheiß Kommunisten, Scheiß Karl Marx, welcher, seit mehr als hundert Jahren tot, immer noch mit seinen irren und mörderischen Wahnvorstellungen die halbe Welt im Oberstübchen vergiftet und verblödet. Damit erst die Basis legte, für die größten Massenmorde der menschlichen Geschichte.

Ha hatte es mir erzählt mit dem „Wecker“ Punkt fünf Uhr, welcher die Bauern täglich indoktriniert, auf Linie bringt, auf Linie hält. Selbst auf den Feldern die Leute mit verbalem kommunistischem Dreck, Durchhalteparolen und traditionelle Musik berieselte. Soldatenlieder dabei vorweg. Gewöhnlich dauerte dies vier Stunden. Zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am Abend. Wichtige Nachrichten dabei ausgenommen. Diese werden zugeschaltet, wenn es den Parteibonzen einfällt, und das kann länger oder auch kürzer sein, als zwei Stunden. Parteitage werden durchgängig den ganzen Tag lang übertragen. Selbst Trauerfeiern dürfen gegen einen geringen Obolus über das ganze Dorf verbreitet werden, wie mir schon in Deutschland erzählt wurde.

Diesen Teil in Ha’s Erzählungen hatte ich in Deutschland nicht für bare Münze genommen, stellte es mir harmloser vor. Für diese akustische Körperverletzung verlangt man auch noch monatlich Geld. Seltsamerweise zahlte man das freiwillig, regte sich darüber auf, wenn es ausbleibt. Reis und Gemüse sind bekanntlich schweigsam, aber deren Besitzer wollen auf den Feldern unterhalten werden. Tage später musste ich feststellen, dass auch in den Städten die Dinger an allen Ecken stehen. Dreimal täglich den Verkehr und die Leute bebrüllen und bejaulen. Für empfindliche Ohren, so wie die meinen, wurde jeder Halt an einer Kreuzung zur akustischen Tortur. Selbst auf Balkonen stehen nicht selten diese blechernen Monstren. Früh, mittags und abends erzieht man so hier die Leute, verbreitet in Minuten Nachrichten. Keiner kann sich herausreden, eine Zeitung nicht gelesen oder das Radio nicht eingeschaltet zu haben; etwas nicht zu wissen. Die Stimme der Partei ist überall präsent. Maos Spruch: Bestrafe einen, erziehe Tausende, wird hier anders umgesetzt. Indoktriniere so viel als möglich, damit das Volk Abweichler von selbst meldet. Rest erledigt die Partei.

So werden von Staats wegen Lügen so lange wiederholt, bis sie zur scheinbaren Wahrheit werden. Kannte ich schon aus anderen Systemen. Heute in Deutschland nicht viel anders, ohne „Brülltüten“, viel raffinierter, um den Schein angeblicher Demokratie zu wahren.

Vor mir, der Raum war menschenleer. An mir vermeinte ich die Geruchsnote eines Iltisses zu verspüren. Geschlafen hatte ich vollständig bekleidet. Nicht wie zu Hause – nackt und an die Frau gekuschelt. Wochen hatte es gedauert, Ha diese Unsitte, in der Tageskleidung zu schlafen, abzugewöhnen, denn diese Angewohnheit nahmen die Vietnamesen nach Deutschland mit. Möglicherweise ist diese durch den Krieg entstanden, denn wenn die Sirenen für die herannahenden Bomber aufheulten, konnte man sich nicht erst landfein machen. Mein Blick fiel auf eine Hose, Unterwäsche und Hemd. Zweifellos das Werk von Ha, wo sie mir seit Monate, jeden Abend neue Klamotten an das Bett legt. Heute eben in den frühen Morgenstunden zum ersten Hahnenschrei.

Hastig sprang ich in die Hose, warf das Hemd über und flüchtete nach draußen, wo sich der Krach zu meiner Überraschung deutlich geringer ausnahm. Kein Wunder, ein riesiger Bambusstrauch und die ärmliche Behausung wirkten wie ein Schalldämpfer zum Hofbereich. Ha spielte wieder Flummi, hüpfte strahlend auf mich zu.

„Scheiße geschlafen, stimmt’s?“, sie lachte laut auf, „ich bin viel jünger als du und spüre auch jeden Knochen. Total verwöhnt von Deutschland mit seinen weichen Matratzen.“

„Zwei weitere Tage auf dem Folterbett, dann kannst du dich mit einer Möhre selbst ficken“, knurrte ich ungehalten, versuchte den Rücken zu strecken, was schwerfiel.

Baustahl schien die Wirbelsäule über Nacht ersetzt zu haben, ließ mich schmerzhaft jeden Knochen, jeden Wirbel und jede Bandscheibe spüren. Spitzbübisch lachte Ha auf.

„Komm erst mal zum Brunnen, mein lieber Mann. Machen wir uns zusammen hübsch und duftend für den ersten Tag Vietnam“, kichernd über den Witz, schöpfte sie geschickt mit dem Eimer Wasser aus der Tiefe.

Spülmittel aus einer Tropfflasche ersetzte die Seife. Den hingehaltenen verdreckten Lappen lehnte ich ab, nahm nur die Hände.

Allerdings sahen die Handtücher nicht viel besser aus als die „Waschlappen“, was ich gestern Abend in dem Schummerlicht nur nicht bemerkte, ohnehin nur Augen für meine hübsche Frau hatte. Sekündlich stieg meine schlechte Laune, wünschte ich mir die Enge der Toilette im Flugzeug zurück, welche mir als Paradies gegen die hiesigen Zustände erschien. Selbst das Plumpsklo meines Cousins in Mecklenburg, hätte ich sofort der Waschstelle am Brunnen vorgezogen, denn dort befand sich eine Pumpe aus Kriegszeiten. Schwengel drücken, frisches Wasser war da. Mein Schwager erschien, bestaunte meine angeblich schöne weiße Haut, laberte mir die Ohren voll, grinste fortwährend. Ha übersetzte. Nichtigkeiten und Fragen über meine gestörte und durch hartes Holz malträtierte Befindlichkeit waren das Thema. Ha log und redete alles schön.

Befand für mich Vietnam als Traumland und so musste es der Höflichkeit wegen wohl auch sein. Frühstück war angesagt. Dieses bestand aus einer merkwürdig schmeckenden und nicht gerade appetitlich aussehenden Nudelsuppe mit Minzeblättchen und zähen Stückchen Rindfleisch. Bäh! Nichts war mit leckerem Schinken, Wurst und Käse auf knusprigen Brötchen. Gequält würgte ich mir das Zeug rein, bestätigte immer wieder, wie toll doch der Fraß schmeckt, grinste dazu, genau wie von Ha befohlen.

Zurück im Haus begrüßte mich Ha’s Mutter und ich erschauerte. Jetzt erst richtig, denn gestern Abend hatte die trübe Funzel das weitestgehend überspielt, was mir jetzt im hellen Tageslicht förmlich in den Augen juckte. Sicherlich war sie früher einmal eine schöne Frau gewesen, doch die schwarz gefärbten Zähne, glänzend wie Steinkohle, jagten mir Ekel ein. Stellte ich den Anblick eines Menschen, über dessen inneren Wert. Ha hüpfte lachend zu ihr aufs Bett, nahm der Mutter die runde Kopfbedeckung ab. Aus dieser, wie in einen Schlauch eingewickelt, fielen von vereinzelten grauen Strähnen durchzogene schwarze Haare, bis herunter zum Boden. Lang waren diese, um nicht zu sagen enorm lang. Rechnet man die Rundung des Kopfes und die Welle über die Bettkante hinzu, waren diese länger, als die Frau groß war. Mutter war einige Zentimeter kleiner als Ha. Dürfte nicht mehr als 1,45 groß sein, womit sich eine Gesamtlänge der Haare von rund 180 Zentimeter ergab. Sich laut unterhaltend kämmte Ha die mütterliche Haarpracht durch, band sie wieder zusammen und danach verschwanden diese wieder wie von Zauberhand in der seltsamen Kopfbedeckung. Morgentoilette erledigt, so schien es mir jedenfalls.

„Seitdem ich denken kann“, erklärte mir Ha, „mache ich das. Ich liebe meine Mutter. Nur dich liebe ich noch mehr“, weich umspielte ein Lächeln ihre Lippen.

Welch große Bedeutung diese Art von Liebeserklärung und diese Worte hatten, würde sich mir erst später erschließen. Jetzt fand ich es einfach nur rührend.

„Warum sind die Zähne so schwarz?“, selbst konnte ich mir keinen Reim darauf machen und mich auch beim besten Willen nicht daran erinnern, dass mir Ha zu Hause etwas über schwarze Zähne erzählt hatte.

„Tradition hier“, erklärte sie mir, „ist der Mann tot, färben sich die Frauen die Zähne schwarz. Kein Mann würde sie je wieder anfassen, denn das bedeutet, sie will keinen neuen Mann haben. Ursache sind aber eigentlich die Chinesen.“

Hass auf China gehört hier zum „Kulturgut“, was die Vietnamesen nicht daran hindert, intensivste Handelsbeziehungen zum Erzfeind zu pflegen, bei Maidemonstrationen Bilder des größten Massenmörders der Menschheitsgeschichte, Mao Tse–tung, durch die Straßen zu schleppen. Bilder von Stalin, Marx und Lenin, spielten da als Ergänzung keine große Rolle im politischen Verständnis der Dorfbevölkerung. Ohne China würde praktisch die gesamte Wirtschaft zusammenbrechen; die Partei schlagartig ihre Macht verlieren, ein Bürgerkrieg ausbrechen.

„Wieso das?“, gespannt wartete ich auf die Begründung in Form einer Räuberpistole zu den schwarzen Zähnen im Zusammenhang mit den Chinesen.

Ha grinste, kicherte dann frech, blickte mir in die Augen und ich bekam meine Geschichte detailliert geschildert zu hören.

„Früher, als Vietnam von den Chinesen besetzt war, immerhin fast eintausend Jahre, raubten sie junge Mädchen, du kannst dir denken wofür?“

Konnte ich mir, brauchte nicht ausgewalzt zu werden. Ha redete weiter und walzte genau diesen Part eben doch erst genüsslich aus.

„Weißt du, Chinesen haben eine ausgeprägte Schönheitsmacke. Selbst total abstoßend, mit ihren Tablettgesichtern, nahmen die sich keine hässlichen Frauen und so haben sich die jungen Mädchen die Zähne schwarz gefärbt. Ruhe war mit den Entführungen und später machten das eben nur alte Frauen und junge Witwen, um ihren Status anzuzeigen.“

„Tablettgesicht“ war eine von Ha’s ureigensten Wortschöpfungen und wurde fleißig im Zusammenhang mit Chinesen benutzt, welche sie selbst allesamt als hässlich einstufte. Kopfschütteln nahm ich diese für mich höchst makabre Erklärung zur Kenntnis. Niemals würde es ihr einfallen, sich mit Chinesen auch nur zu unterhalten, geschweige denn eine Beziehung zu beginnen. Im Dorf wohnten vor langer Zeit, hatte sie mir in Deutschland einmal erzählt, einige Chinesen. Heute noch macht man es deren Nachkommen schwer. Im Dorf einen Ehepartner zu finden war unmöglich und so verschwanden diese nach und nach aus der Gegend, verheirateten sich weit weg.

„Willst du das etwa auch machen, wenn du alt bist?“, wollte ich wissen.

„Nein, nein!“, empörte sie sich, „sieht eklig aus. Stinkt garstig aus dem Mund und die Betelnüsse wirken wie Drogen. Mache ich bestimmt nicht, denn ich will auch später für dich hübsch bleiben. Willst du doch, oder? Ich hübsch bis 100 und noch scharf?“

Während Ha’s Redeschwall, standen plötzlich knurrend zwei Hunde an der Tür der ärmlichen Behausung, welche ich soeben im Begriff war, mir näher zu betrachten. Aufschreiend sprang Ha aufs Bett, versteckte sich hinter der Mutter. Schwiegermutter in spe fauchte sicherlich nicht nette Worte den Vierbeinern hinüber, was diese nur kurz zum Umdrehen animierte, denn schon standen sie wieder da. Fletschten die Zähne, hörten aber mit dem Bellen auf. Köpfe gesenkt, knurrten sie nur noch. Immer schon hatte ich mit Hunden zu tun gehabt, kenne deren Körpersprache. Diese Tölen waren nicht nur hässlich und ungepflegt, vor allem waren sie feige. Aufstehen und beherzt hingehen. Wie tollwütig rasten diese laut bellend mit eingeklemmten Schwanz davon. Ha starrte mich an, zitterte.

„Matthi, wie machst du das?“, staunte sie ängstlich, „ich habe schon immer Angst vor Hunden gehabt. Scheiße, die zwei Viecher sind neu und kennen mich noch nicht. Beißen tun die jeden, hat mir Long gesagt und ich soll nicht hingehen. Deswegen waren die gestern auch den ganzen Tag irgendwo eingesperrt.“

„Nur gut, dass du keine Angst vor mir hattest“, grinste ich zurück, „manchmal kann ich auch ein verrückter Hund sein. Haben die Viecher sofort bemerkt und lassen mich deshalb in Ruhe.“

„Ehrlich? Verrückter Hund? Stimmt nicht, nein, das kann ich nicht bestätigen. Weißt du übrigens, dass du Grübchen am Arsch hast?“, frech lachte sie mich an, hüpfte vom Bett herunter, zog mich als Schutzschild zu sich hin.

Immer noch hatte sie Angst, dass die Tölen zurückkommen. Verdutzt staunte ich sie an, überlegte, wann sie das gesehen haben wollte.

„Ehrlich gesagt, habe ich mir meinen Arsch noch nie von hinten angesehen. Grübchen? Bist du dir da ganz sicher?“, jetzt ließ ich es auf eine genauere Erklärung ankommen, gierte förmlich auf die Beschreibung.

„Ich dafür ganz genau! Weiß ja, was ich jeden Tag sehe“, blinkerte sie mich frech an.

„Wann hast du die das erste Mal gesehen?“, dies interessiert mich nun doch brennend.

„Als du den Fernseher repariert hast, ist dir die Hose ein Stück weit gerutscht. Deshalb wollte ich dir auch eine nähen!“, schallend lachte sie auf und sprang mir an den Hals.

Sofort ließ sie los, wurde knallrot. Mutter lächelte, schien sich, ohne etwas zu verstehen, ihre Gedanken zu machen und ich dachte mir auch etwas.

„Deshalb die neue Hose und die auch noch so schnell?“, fragte ich spitz.

„Ja, keiner außer mir im Wohnheim, sollte den süßen Arsch sehen“, sie zwinkerte mich schelmisch an, was die Mutter nicht sehen konnte, wurde wieder ernst.

Ha’s Reaktion weckte gewisse Zweifel in mir und ich fragte sofort nach.

„Wissen die hier nicht über uns Bescheid?“, mir schwante etwas, wollte sicher gehen.

Rot werdend wechselte sie sofort das Thema, wich aus und mir wurde einiges klar. Keiner wusste etwas Genaueres. Stunk vom Feinsten lag für meine Begriffe in der Luft und der Wunsch nach einem Hotelzimmer in Hanoi gewann blitzartig die Oberhand in mir.

„Komme mal mit, will mir mal das Moped ansehen, was ich gekauft habe“, sie wirbelte zur Tür hinaus, „komm schon, Liebling! Hier das Ergebnis von Berlin!“

Rot und weiß gehalten, solch einen Typ hatte ich noch nie zuvor zu Gesicht bekommen, zeigte sich das in der deutschen Hauptstadt nach Foto und Werbeprospekt gekaufte Modell.

---ENDE DER LESEPROBE---