Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Von Ausbildungsverbünden profitieren alle: Die Nutzung von Synergien zur Vermittlung beruflicher Praxis ist nicht nur für die Betriebe attraktiv, sondern bringt auch für die Lernenden Vorteile mit sich. Das Buch zeigt auf, wie solche Verbünde in der Schweiz funktionieren, diskutiert Erfolgsmodelle und macht deutlich, welches Potenzial diese Kooperation von Lehrbetrieben in unterschiedlichen Branchen für die Berufsbildung bietet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 104
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Markus Maurer / Lea Zanola / Karin Hauser
Ausbildungsverbünde
Zusammenarbeit im Kontext von Lehrstellen- und Fachkräftemangel
ISBN Print: 978-3-0355-2036-1
ISBN E-Book: 978-3-0355-2037-8
Berufliches Lernen, Band 2
1. Auflage 2024
Alle Rechte vorbehalten
© 2024 hep Verlag AG, Bern
hep-verlag.ch
Dank
1 Weshalb dieser Band – und was haben wir hier vor?
2 Klärung der Grundfragen
2.1 Was sind Ausbildungsverbünde?
2.2 Weshalb gibt es Ausbildungsverbünde?
2.3 Was spricht gegen Ausbildungsverbünde?
2.4 Wie haben sich Ausbildungsverbünde etabliert?
2.5 Welche rechtlichen Bestimmungen sind für Verbünde massgebend?
3 Die Landschaft von Ausbildungsverbünden
3.1 Dienstleistungen von Ausbildungsverbünden
3.2 Typen von Ausbildungsverbünden
4 Entscheidungsfelder der Verbundorganisation
4.1 Grundeinstellungen: Die DNA eines Ausbildungsverbunds
4.2 Rechtliche und finanzielle Aspekte in der Verbundorganisation
4.3 Ausbildungsmodalitäten
5 Porträts von Ausbildungsverbünden
5.1 Forst Wartau (AAV 1)
5.2 The Living Circle (AAV 1 und AAV 3)
5.3 Berufsfeld Landwirtschaft: Varianten Ostschweiz und Zürich
5.4 Berufsfeld Gesundheit
5.5 Lehrbetriebsverbünde im Kanton Zug
5.6 schreinermacher (LBV 2)
5.7 Ausbildungsverbund JOMB (LBV 2)
5.8 Roast & Host (LBV 2)
5.9 Ausbildungszentrum Winterthur AZW (LBV 3)
5.10 login Berufsbildung (LBV 3)
5.11 Zürcher Lehrbetriebsverband ICT ZLI (LBV 3)
5.12 Siemens (LBV 4)
5.13 aprentas (AAV 3)
6 Fazit
6.1 Erkenntnisse zur Landschaft von Ausbildungsverbünden
6.2 Handlungsempfehlungen
Literatur
Die Autorinnen und der Autor
Ein grosser Dank geht an alle Vertreterinnen und Vertreter von Lehrbetriebsverbünden und weiteren Organisationen der Berufsbildung, die sich uns für Gespräche zur Verfügung gestellt haben. Ohne sie hätten wir niemals einen Überblick über diese vielfältige Angebotslandschaft bieten können. Besonders gedankt sei auch Peter Dinkel vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Zürich. Er hat nicht nur die Abfassung dieses Bands angeregt, sondern hat uns auch mehrmals für Gespräche zur Verfügung gestanden und schliesslich auch das Manuskript durchgesehen und kommentiert. Zum Schluss bedanken wir uns auch bei den Kolleginnen und Kollegen des hep Verlags. Wie immer haben sie die Entstehung dieses Bands sorgsam begleitet und in der Produktion ganze Arbeit geleistet. Wir danken ihnen auch für ihre Geduld mit uns Schreibenden – das Manuskript lag erst sehr viel später vor als zunächst gedacht.
Markus Maurer, Lea Zanola, Karin Hauser
Zürich, im Herbst 2024
Die Berufslehre funktioniert in der Schweiz vor allem auch deshalb, weil Betriebe zur Ausbildung von Lernenden bereit sind. Das ist aber bei Weitem nicht die Mehrheit der Betriebe. Viele bilden nicht aus, weil sie dazu nicht in der Lage sind, andere, die es könnten, entscheiden sich dagegen, meist aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen und in der Überzeugung, dass sich ein solches Engagement für sie nicht lohnt oder der administrative Aufwand zu gross ist. Schliesslich gibt es auch jene Unternehmen, die sich mit der Berufsbildung kaum auskennen und sich deshalb nicht in diesem Bereich engagieren.
Vor diesem Hintergrund versucht man in der Schweiz seit vielen Jahren, Kooperationen zwischen Lehrbetrieben zu fördern. Besonders intensiv waren solche Bemühungen in den späten 1990er-Jahren, als händeringend nach Möglichkeiten gesucht wurde, das Lehrstellenangebot zu erhöhen: So begann der Bund zunächst als «Ausbildungsverbünde» bezeichnete Kooperationen zwischen Lehrbetrieben finanziell zu unterstützen (Gertsch, 1999), und das sich in Revision befindende Berufsbildungsgesetz wurde mit einem Artikel ergänzt, der solche Verbünde – nun wurde der Begriff der «Lehrbetriebsverbünde» verwendet (Bundesversammlung, 2002) – explizit erwähnte.
In der Zwischenzeit haben sich Verbünde dieser Art in unterschiedlichen Branchen und Landesteilen etabliert. Auch hat seither das Angebot an Lehrstellen in der Schweiz wieder stark zugenommen, und zweifellos haben die Verbünde dazu einen gewissen Beitrag geleistet. Aktuell aber ist die Schaffung von Lehrstellen wieder wichtiger denn je: Angesichts der wachsenden Zahl junger Menschen in der obligatorischen Schulbildung nimmt auch der Bedarf an Lehrbetrieben weiter zu – und so richtet sich das Interesse einmal mehr auf das Potenzial von Verbundlösungen im Bereich der betrieblichen Bildung.
Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, solchen Verbünden – wir nennen sie Ausbildungsverbünde – einen Band zu widmen, mit dem Ziel, all jenen, die sich in der Schweiz mit der Berufsbildung befassen und sich für sie engagieren, die Welt solcher Kooperationen näher zu bringen. Wir sind nämlich überzeugt davon, dass die Nutzung von Synergien zur Vermittlung beruflicher Praxis im Rahmen von Ausbildungsverbünden nicht nur für die Betriebe attraktiv ist, sondern auch für die Lernenden Vorteile mit sich bringt und letztlich auch aus gesellschaftlicher Sicht wichtig ist. Im Band wird aufgezeigt, wie solche Verbünde in der Schweiz funktionieren, es werden Erfolgsmodelle diskutiert und es wird deutlich gemacht, welche Chancen die Kooperation von Lehrbetrieben in unterschiedlichen Branchen für die Berufsbildung bietet. Den Blick richten wir dabei vor allem auf die berufliche Grundbildung, kommen an einigen Stelle aber zusätzlich auf Beispiele aus der höheren Berufsbildung zu sprechen.
Wenn wir auch den Anspruch haben, einen konzeptionellen Beitrag zur Diskussion über Verbundlösungen in der Berufsbildung zu leisten, handelt es sich bei diesem Band ganz offensichtlich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit im eigentlichen Sinne, welche etwa die Wirkung solcher Verbünde – beispielsweise auf die Entwicklung des Lehrstellenangebots – empirisch untersuchen würde. Dennoch argumentieren wir datenbasiert: Sehr entscheidend für die Abfassung dieses Bands waren nämlich die vielen Gespräche, die Lea Zanola 2023 mit Vertreterinnen und Vertretern von Ausbildungsverbünden führte und in pragmatischer Form auswertete. Sie haben es uns erst erlaubt, diese komplexe und vielfältige Angebotslandschaft in den Blick zu bekommen und die darin bestehenden Herausforderungen und Möglichkeiten zu verstehen. In Ergänzung zu diesen Interviews haben wir die einschlägige Literatur zu Ausbildungsverbünden in der Schweiz und natürlich die amtlichen Bestimmungen und Hinweise zu dieser Thematik (insbesondere auf Ebene von Bund und Kantonen) gesichtet, die wir vor allem in einem nächsten Teil darstellen. Gerne verweisen wir an dieser Stelle auch auf die Ergebnisse der Studien von Regula Leemann und Christian Imdorf, die Ausbildungsverbünde im Rahmen eines umfassenden Forschungsprojekts und auf systematisch ausgewerteter, empirischer Grundlage untersucht haben (Imdorf & Leemann, 2011; Leemann & Imdorf, 2015).
Der Band ist wie folgt aufgebaut: Nach dieser kurzen Einleitung werden im zweiten Kapitel zunächst grundlegende Fragen geklärt. Wir stellen unsere Definition von Ausbildungsverbünden vor, grenzen diesen Begriff von dem der Lehrbetriebsverbünde ab, gehen darauf ein, was für und was gegen solche Verbünde spricht und wie sie entstanden sind. Ausserdem stellen wir die wichtigsten rechtlichen Bestimmungen zu dieser Thematik vor. Das dritte Kapitel befasst sich mit der gesamten Landschaft der Ausbildungsverbünde. In einem ersten Teil wird dort unser Ansatz deutlich: Wir fokussieren nämlich auf unterschiedliche Dienstleistungen, die solche Ausbildungsverbünde anbieten – und führen sie dort Stück für Stück ein. In einem zweiten Teil stellen wir dann unterschiedliche Typen von Ausbildungsverbünden vor. Lehrbetriebsverbünde spielen in dieser Typologie eine wichtige Rolle – doch sie zeigt, dass es auch andere Typen gibt, mit denen sich ähnliche Ziele erreichen lassen. In einem vierten Kapitel diskutieren wir unterschiedliche Entscheidungsfelder der Verbundorganisation. Wir gehen nämlich davon aus, dass beim Design von Ausbildungsverbünden einige zentrale Entscheidungen zu treffen sind, bei denen zwischen unterschiedlichen Optionen ausgewählt werden soll. Wir stellen diese Optionen vor – und sprechen mögliche Vor- und Nachteile an. Im fünften Kapitel porträtieren wir einige ausgewählte Verbünde aus der Deutschschweiz – es handelt sich nicht um eine im sozialwissenschaftlichen Sinne repräsentative Auswahl, doch die Fallbeispiele ermöglichen einen guten Einblick in die Vielfältigkeit solcher Verbünde. Schliesslich fassen wir im sechsten Kapitel unsere Erkenntnisse zusammen – und formulieren einige Handlungsempfehlungen unter anderem für Behörden und Organisationen der Arbeitswelt.
In diesem Kapitel klären wir die wichtigsten Grundfragen. Wir stellen zunächst unsere Definition von Ausbildungsverbünden vor, diskutieren, was für solche Verbünde spricht und welche Vorbehalte es auch gibt, beschreiben die Entstehung solcher Verbünde in den letzten rund dreissig Jahren und verweisen auf die wichtigsten rechtlichen Bestimmungen zum Thema Ausbildungsverbünde.
Die Organisationen, mit denen sich dieser Band befasst, werden unterschiedlich bezeichnet. Im Titel dieses Bands sprechen wir von Ausbildungsverbünden. Damit verwenden wir einen Begriff, der seit Längerem im ganzen deutschsprachigen Raum verbreitet ist, also nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland (Drinkhut & Schlottau, 2003) oder Österreich (Lachmayr, 2009).
In der Schweiz allerdings hat sich insbesondere der Begriff «Lehrbetriebsverbund» durchgesetzt, wird er doch im Berufsbildungsgesetz (Bundesversammlung, 2002) verwendet. Der interessierten Öffentlichkeit ist aber auch der Begriff der «Ausbildungsverbünde» bekannt, und meist werden diese beiden Begriffe, «Ausbildungsverbünde» und «Lehrbetriebsverbünde», in synonymer Weise verwendet. Allerdings nicht immer: Wettstein und Gonon (2009) zum Beispiel grenzen diese beiden Organisationsformen voneinander ab. Aus unserer Perspektive sind Lehrbetriebsverbünde stattdessen eine spezifische Form von Ausbildungsverbünden, und zwar solche, die im Sinne der bundesrechtlichen Bestimmungen zu Lehrbetriebsverbünden ausgestaltet sind (siehe Abschnitt 3.2).
Definition
So definieren wir Ausbildungsverbünde in einem breiten Sinne als Zusammenschlüsse zwischen Anbietern der betrieblichen Bildung zu Ausbildungszwecken.
Den Begriff des Ausbildungsverbunds verwenden wir dabei in offener Form, mit dem Ziel, Kooperationsformen darzustellen, die letztlich ähnliche Ziele verfolgen. Dabei unterscheiden wir, vor allem mit Blick auf die geltende Gesetzgebung in der Schweiz, zwischen zwei Haupttypen von Ausbildungsverbünden, die wir an dieser Stelle gleich mit einem Kürzel versehen (siehe Abbildung 1).
Haupttypen von Ausbildungsverbünden
Innerhalb dieser Haupttypen ist jeweils eine Vielfalt unterschiedlicher Kooperationsformen vorzufinden. Diese Vielfalt präsentieren wir in Abschnitt 3.2 – wobei wir gleichzeitig einen Ordnungsversuch unternehmen und auf dieser Grundlage ausgewählte Ausbildungsverbünde in Kapitel 5 detailliert vorstellen. Für diesen Ordnungsversuch stellen wir die Dienstleistungen solcher Ausbildungsverbünde ins Zentrum, die wir nach und nach in Abschnitt 3.1 vorstellen. Dieser Ansatz unterscheidet sich von früheren Ordnungsversuchen, die den Blick stärker auf Organisationsformen gerichtet hatten (SDBB, 2015; Wettstein & Gonon, 2009) – in der Überzeugung, dass er sich besonders gut für eine Übersicht über diese sehr dynamische Landschaft an Koordinationsformen eignet.
Darstellungen der möglichen Vorteile von Ausbildungs- beziehungsweise Lehrbetriebsverbünden gibt es einige. Wir verfolgen auch hier unseren eigenen Ansatz. Dieser stellt ins Zentrum, dass unterschiedliche Akteure je ihre eigenen Ziele mit solchen Verbünden verbinden. Wenn wir verstehen wollen, wie sich Ausbildungsverbünde entwickeln und weshalb sie erfolgreich sind oder aber auch einmal scheitern, sollten wir diese akteurspezifischen Ziele in den Blick nehmen – wenngleich es zwischen Zielen einzelner Akteure immer auch Überlappungen und Komplementaritäten gibt.
Aus Sicht der öffentlichen Hand (Bund, Kantone und teilweise auch Gemeinden) steht das Ziel der Schaffung zusätzlicher Lehrstellen ganz klar im Zentrum, zur Reduktion von Fachkräftemangel in bestimmten Branchen etwa, oder zur besseren sozialen Integration benachteiligter junger Menschen, die ohne genügend Lehrstellen letztlich weniger gut im Arbeitsmarkt partizipieren können (siehe Abbildung 2).
Ausbildungsverbünde tragen so gesehen zur Schaffung von Lehrstellen zum einen deshalb bei, weil sie die Ausbildungsfähigkeit von Betrieben erhöhen – also, weil sich so auch jene Betriebe an der Ausbildung von Lernenden beteiligen können, die zu klein oder zu spezialisiert sind. Zum anderen erhofft man sich durch Ausbildungsverbünde eine Senkung der Ausbildungskosten[1] für Betriebe, ein Aspekt, auf den wir gleich noch näher eingehen. Zusätzlich sollen Ausbildungsverbünde in Krisenzeiten zur Vermeidung von Lehrvertragsauflösungen beitragen. Diese Annahme bestätigte sich immer wieder: Als während der Corona-Krise die Luftfahrtbranche mit grossen Problemen kämpfte, konnten Swiss, Swissport und Edelweiss viele kaufmännische Lernende nicht mehr regulär einsetzen. Da diese Lernenden ihren Lehrvertrag mit der login Berufsbildung AG, dem Ausbildungsverbund des öffentlichen Verkehrs, abgeschlossen hatten, setzten viele von ihnen ihre Lehre bei der SBB fort.
Erhoffter Wirkungszusammenhang Ausbildungsverbünde
Ausbildungsverbünde sind aus Sicht der Berufsbildungsämter aber deshalb attraktiv, weil sie zu einer Erhöhung behördlicher Effizienz beitragen: Statt vielen Einzelbetrieben eine Bildungsbewilligung auszustellen, braucht es nur eine – und auch die Anzahl der Ansprechpersonen wird reduziert, sodass sich gerade schwierige Fragen leichter angehen lassen. Diese Reduktion der Komplexität zeigt sich insbesondere auch bei interkantonalen Verbünden besonders deutlich.
Betriebe interessieren sich, wenig überraschend, vor allem aus betriebswirtschaftlichen Motiven für Ausbildungsverbünde. Dabei steht zunächst das Ziel der Senkung von Kosten im Zusammenhang mit der beruflichen Grundbildung im Zentrum. Solche Kosten entstehen etwa im Zusammenhang mit der Ausbildung der Lernenden im Betrieb («Bildung in beruflicher Praxis»), aber auch im Zusammenhang mit dem, was wir als «Realisierung von Ausbildungsverhältnissen» bezeichnen, so etwa bei der Zusammenarbeit mit Behörden und Lernenden auf rechtlicher Ebene, beim Lehrstellenmarketing, bei der Rekrutierung usw. (siehe Abbildung 3). In all diesen Bereichen können Ausbildungsverbünde zu höherer Effizienz beitragen.
Motive zur Kooperation in Ausbildungsverbünden aus Sicht der Betriebe