Ausflug zum Bergwerk Finstergrund - Ingeborg Kazek - E-Book

Ausflug zum Bergwerk Finstergrund E-Book

Ingeborg Kazek

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Beschreibung

In meiner Kindheit, in den frühen 60iger Jahren, machten Oma Karoline, Opa Karl und ich einen Ausflug nach Wieden. Dort hatte mein anderer Opa Albert vor langer Zeit im Bergwerk Finstergrund gearbeitet. Wieden ist ein kleines Dorf, ganz oben auf dem Belchen im Hochschwarzwald. Also fuhren wir nach Titisee, auf den Feldberg, hinunter ins schöne Wiesental, über Todtnau und Utzenfeld hinauf nach Wieden. Von dort aus mussten wir zu Fuß den steilen Berghang hinab gehen. Oma wusste zwar, dass es irgendwo im Bergwerk eine Barbara Statue gibt, aber nicht genau wo. Hineingehen durften wir nicht, weil es damals noch kein Besucherbergwerk war.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ingeborg Kazek

Ausflug zum Bergwerk Finstergrund

Diese Geschichte widme ich meinem Opa aus Utzenfeld im Schwarzwald, den ich nie kennengelernt habe und meiner Mutter, die immer von ihm schwärmte. BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorwort

Als ich ein kleines Kind war, fuhren wir oft ins Wiesental zu Oma und Opa nach Utzenfeld. Unser Weg führte über den Feldberg im Hochschwarzwald, wo die "Wiese" entspringt. Die Wiese ist ein Bach, welcher durch die Ortschaften Todtnau, Utzenfeld, Schönau, Zell und Lörrach fließt und in der Nähe von Basel in den Rhein mündet. Unterwegs erzählte unsere Mutter von ihrer Jugend zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg. Sie war in Utzenfeld als 2. von 10 Kindern aufgewachsen. Zuhause hatten sie Kühe, Hühner und Landwirtschaft. Ihre Heuwiesen lagen ein paar Kilometer oberhalb von Utzenfeld in dem kleinen Bergdorf Wieden am Belchen, wo auch im Sommer die Kühe grasten. Mein Opa arbeitete nach dem 1. Weltkrieg, den er in Frankreich an der Front zubrachte, im Bergwerk in Wieden. In alten Schriften findet das Bergwerk als Blei- und Silberbergwerk ab dem 13. Jahrhundert Erwähnung, aber konkret, als im 16. Jahrhundert der Barbarastollen verlängert wurde.

 

Mein Opa Albert aus Utzenfeld starb mit 37 Jahren, als meine Mutter 9 Jahre alt war. Deswegen kannte ich ihn natürlich nicht persönlich. Bei uns zuhause in Neustadt hing im Wohnzimmer ein Foto von ihm und ich konnte immer seine großen, schönen Augen bewundern, weil sich mein Platz an unserem Esstisch genau gegenüber von diesem gerahmten Foto befand. Musik war seine große Leidenschaft. Als die Bergmannskapelle Wieden im Jahr 1924 gegründet wurde, war er der erste dokumentierte Dirigent des Musikvereins. „Als Dirigent stellte sich uns Albert Karle von Utzenfeld zur Verfügung. Für seine Arbeit verlangte er 2M“. Unter seiner Leitung standen wir bis im November 1924.“ (Link 1, unter dem Kapitel Bilder) Ein Jahr später kam meine Mutter auf die Welt und zwei Jahre später wurde das Bergwerk vorübergehend geschlossen. Das war bestimmt Stress für die ganze Familie. Erst 1930 wurde es unter dem neuen Namen Bergwerk Finstergrund wieder eröffnet. Wo mein Opa nach der Schließung gearbeitet hat, weiß ich nicht. Er gehörte zum Musikverein Utzenfeld, gegründet 1913, beherrschte mehrere Musikinstrumente, unterrichtete junge Musikanten und komponierte auch eigene Stücke. Wann er das alle machte, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls fuhr er mit dem Motorrad auf einen Baum und starb 1933 an den Folgen. Meine Mutter sang schon als kleines Mädchen im Kirchenchor und galt als sehr talentiert. Wenn meine Mutter neben unserem Haus in Neustadt die Wäsche aufhängte und „Marina, Marina“ sang, blieben die Leute oft stehen und sangen mit ihr. 

 

Der Abbau von Silber im oberen Wiesental lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurück verfolgen. Die Silbergräberstadt Todtnau war damals das Zentrum des umliegenden, weitverzweigten Bergbaus. Von nah und fern kamen Menschen herbeigeströmt, die von den guten Verdienstmöglichkeiten gehört hatten. Der Silberrausch war längst ausgebrochen und im Laufe der Jahrhunderte wurde ein riesiges Netz von Stollen und Gängen im ganzen Raum Südschwarzwald ausgebaut. Das Bergwerk Finstergrund wechselte mehrmals die Besitzer, wurde mehrmals geschlossen und dann wieder weitergeführt. Zwischendurch gehörte die ganze Region Jahrhunderte lang zu Österreich, deswegen fanden Todtnauer Silbermünzen in ganz Österreich Verwendung mit diversen Prägungen. Todtnau hatte eigenes Geld, die Todtnaumünze mit einem eigeprägten T.

 

 Nach 1920 verlor der Abbau des Silbers an Bedeutung zugunsten von Flussspat für die Stahlherstellung. 1960 übernahm die Firma Bayer Leverkusen das Bergwerk. Steigende Ko­sten und preisgünstigere Einfuhren aus Südamerika führten zur endgültigen Schließung des Bergwerks. Damit war das Ende des traditionsreichen Bergbaus im Wiesental nach 800 Jahren endgültig besiegelt, oder ruht jetzt zumindest. Momentan wird das Bergwerk Finstergund in Wieden als Besucherbergwerk genutzt. In Zeiten des Tourismus werden anstatt Silber oder Erze staunende Besucher mit der Grubenbahn durch den Stollen befördert.

 

 

Ausflug zum Bergwerk Finstergrund

Im Sommer fuhren wir immer nach Wieden und halfen beim „Heuen“. Für uns Kinder war diese Arbeit allerdings noch zu schwer. Während meine Mutter mit ihren Geschwistern schuftete, tobten wir mit unseren Cousins und Cousinen auf der Heuwiese herum und machten Blödsinn. Einmal setzte sich meine älteste Schwester aus Versehen in einen frischen Kuhpflatscher. Meine Mutter war sehr böse, weil das von ihr selbst genähte Sonntagskleid verschmiert war, und wir natürlich kein Ersatzkleid dabei hatten. Alle standen mit den Heugabeln um meine weinende Schwester herum, bogen sich vor Lachen und hielten sich die Nase zu. 

 

Als ich ein paar Jahre älter war, wollte ich unbedingt sehen, wo genau mein Utzenfelder Opa in Wieden gearbeitet hat. Ich fragte mich, warum er ein Musiker und nicht einfach nur ein Bauer war und woher unsere Vorfahren kamen. Vielleicht waren sie abenteuerliche Glücksritter aus fernen Ländern und sind dann in Wieden sesshaft geworden? Inzwischen ging ich schon in der Schule. Nach dem Unterricht mussten wir im Laden von meiner Neustädter Oma helfen, das verdorbene Obst und Gemüse aussortieren und die hässlichen Blätter von den Krautköpfen abschneiden. 

Oma sagte eines Tages: „Morgen ist der Laden geschlossen, es muss alles neu gestrichen werden. Wenn du Lust hast, können wir etwas unternehmen.“

„Ich würde gerne einmal nach Wieden fahren, wo mein anderer Opa im Silberbergwerk Finstergrund vor seinem Tod gearbeitet hat. 

„Gute Idee, in dem Bergwerk Finstergrund gibt es eine Statue der Heiligen Barbara. Ich frage gleich Opa, ob er mit uns kommt. Die Maler können ein paar Stunden alleine bleiben.“

 

Oma rief Opa an und meine Mutter, erzählte von den Plänen, und dass ich die Nacht bei Ihnen verbringen sollte. Das passte mir nicht so recht, aber ich wollte doch unbedingt in dieses Silberbergwerk. Also machte ich mich abends zu Fuß auf den Weg zu meinen Großeltern. Es war nicht weit, nur ein paar Minuten.

 

Nach dem Abendessen gingen wir bald schlafen. Die winzigen Schlafgemächer bei Oma und Opa befanden sich im oberen Stockwerk des Hauses, unten links ging es in den Stall zu den Kühen, Schweinen und Hühnern. Durch diesen Stall musste man gehen, wenn man zur Toilette wollte. Auf der rechten Seite war der Gemüseladen, die Küche und das Wohnzimmer. Meine Neustädter Oma beschäftigte eine Köchin und ein Hausmädchen, weil sie selbst keine Zeit für die Hausarbeit hatte. Sie musste immer ganz früh morgens auf den Gemüsemarkt nach Freiburg fahren, bevor sie ihren Laden aufmachte. Mein Neustädter Opa brachte mit seinem Lastwagen den Neustädtern Kohle für den Winter und mein Vater kutschierte mit unserem Reisebus die Schwarzwaldtouristen in der Gegend herum und beförderte die ersten ausländischen Arbeiter in ihre Heimat und zurück, oder die Nonnen zur heiligen Jungfrau nach Lourdes.

 

  Mein Papa war dauernd unterwegs und Mama musste sich um alles kümmern. Also kurzum: Für uns Kinder war das nicht immer lustig. Manchmal versteckte mich im Wald, unweit von unserem Haus, wo ich in Ruhe ein Buch lesen konnte. Hinter den großen Tannenbäumen konnten mich niemand nicht sehen, die Rufe meiner Mutter verhallten nutzlos zwischen den Zeilen von Ben Hur, wenn doch gerade der römische Tribun Messala seinen Freund Ben Hur auf eine Galere verbannt und befohlen hatte seine ganze Familie zu töten. Die Arbeit lief bei uns zuhause niemals weg.

 

Also, ich lag bei Oma und Opa zuhause im Bett, schlief aber nicht. Es gab so viel Geräusche, alles quietschte und knarzte, als würden Geister eine Party feiern. Mein Opa schnarchte laut hinter der dünnen Wand von meinem Zimmer  und wenn er sich umdrehte, dachte ich, das ganze Haus bricht ein. So ging es die ganze Nacht. Ich hätte gerne das Licht angemacht, traute mich natürlich nicht. Früh morgens rief uns Oma zum Frühstück. Ich hatte fast nicht geschlafen und überhaupt keinen Hunger. Wir stiegen in den Opel und fuhren los in Richtung Feldberg, vorbei am Titisee, die neue Straße gab es damals noch nicht. Oma lenkte den Wagen und ich saß hinten, Opa saß neben Oma auf dem Beifahrersitz. Kaum waren wir losgefahren, da sagte Oma:

 

„Wir beten jetzt alle ein Vaterunser.“ Das sagt sie immer.

Opa guckte mich von der Seite an und zwinkerte mir zu. Er war nämlich nicht katholisch und nahm es mit der Kirche nicht so genau wie meine Oma. Wir fingen alle an laut zu beten:

„Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich....“

 

Oma drückte aufs Gas, fuhr immer schneller den Feldberg hinauf und fetzte um die Kurven herum. Mir wurde Angst und bange. Opa sagte natürlich nichts, er wollte keinen Ärger mit Oma. Obwohl Opa sehr groß und stark war, bestimmte immer Oma, was gemacht wird. Wo immer wir von Neustadt aus hinfahren wollen, wir müssen durch die Berge fahren. Oben auf dem Feldberg angekommen, fährt man eine Weile waagerecht die Straße entlang unterhalb der Stelle, wo der Feldbergturm und der Bismarckturm ist.

 

 Dann geht es in Serpentinen bergab in Richtung Todtnau. Die alte Straße war sehr schmal, die Kurven eng und gefährlich. Meine  Oma kannte weder Furcht noch Gnade, sie nahm in den Kurven kaum den Fuß vom Gaspedal. Nach jeder Kurve sprang sie mit Karacho von der Bremse wieder zurück auf das Gaspedal. Die Pedale waren extra für ihre Beine verlängert worden, weil Oma relativ kein war. Ich starrte auf den Boden, damit ich die vorbei rasenden Felsen und Bäume nicht sehen musste. Obwohl das Gebet längst fertig war, betete ich immer noch:

 

„Lieber Gott, lass uns bitte bald unten sein und sende einen breiten Heuwagen, den Oma nicht überholen kann.“

Gott hörte wie üblich nicht zu und deswegen wurde mir schlecht. Oma musste anhalten, damit ich aussteigen konnte.

 

„Was bist du nur für ein Sensibelchen.“ Oma schüttelte ratlos den Kopf und wir fuhren weiter durch Todtnau nach Utzenfeld, wo wir bei meiner Utzenfelder Oma Anna Elisabeth einkehrten. Die Utzenfelder Oma wollte mir etwas zu essen geben, ich hatte aber immer noch keinen Hunger und brachte nach dem Horrortripp sowieso nichts hinunter. Von Utzenfeld ging die Reise weiter nach Wieden, immer den Belchen hinauf.

  

Beim alten Bergwerk Finstergrund

Wir mussten das Auto auf der halben Strecke stehen lassen und gingen zu Fuß zum Eingang des Bergwerks Finstergrund. Leider durften wir damals in den frühen 60iger Jahren das Bergwerk nicht betreten. Es wurde erst 1982 für Besucher eröffnet. Die Aufbereitung des Erzes erfolgte im Aufbereitungslager, auf dem Gelände der ehemaligen Seidenspinnerei. Von dort kam das Silber oder später das Fluorid (Flussspat) zum Versandbahnhof nach Utzenfeld.

  

Der Abstieg zu dem Aufbereitungslager war steil und ziemlich holprig, damals gab es noch keinen Bergwerk-Tourismus und der Weg war lange Zeit nur von den Kühen genutzt, die sich nach dem Sommer freuten, wenn sie zurück nach Utzenfeld in ihre Ställe durften. Aber im Gegensatz zu uns haben Kühe Hufe und so ein Abstieg macht ihnen gar nichts aus. Wenn die Kühe von den Sommerweiden in Wieden den Berg hinunter kommen, um den Winter im Stall zu verbringen, weiß jede Kuh, wo sie wohnt. Da gibt es kein verzweifeltes Durcheinander. Bei jedem Bauernhof schwenken ein paar Kühe links oder rechts ein und verschwinden artig in ihren Ställen. Die Stalltüren müssen natürlich offen stehen. Wir balancierten also den Vieh-Abtrieb Pfad hinunter, über die unterirdischen Stollen, wo mein Utzenfelder Opa Albert früher geschuftet hat. Oma Karoline biss sich die Zähne zusammen, eigentlich war sie ja nur wegen der Heiligen Barbara gekommen, der Schutzpatronin der Bergleute. Wir fanden sie natürlich nicht, sie war für uns unsichtbar irgendwo in den Gängen tief unter dem Boden und wir konnten nur ein paar Felsöffnungen sehen, die für uns unzugänglich waren. Trotzdem blieben wir stehen und beteten. Opa und ich murmelten leise vor uns hin, weil weder er noch ich den Text kannten. Oma betete:

 

„Sankt Barbara,

Du edle Braut,

mein Leib und Seel’ sei Dir vertraut!

Sowohl im Leben als im Tod

komm’ mir zu Hilf’ in aller Not!

Bitt’, dass auch ich vor meinem End’

empfang’ das heilige Sakrament!

Den bösen Feind von mir vertreib’

und bis zum Ende bei mir bleib’!

Wenn sich mein’ Seel’ vom Leibe trennt,

so nimm sie auf in Deine Händ’,

behüt’ sie vor der Höllenpein und

führ’ sie in den Himmel ein.

Amen.“

 

Während Oma betete, schielte ich mit gesenkten Augenlidern hinter die Felsbrocken, und stellte mir vor, die sieben Zwerge würden dort wohnen und die Hexe würde nachts heimlich im Bergwerk Silber stehlen. Es gibt noch andere Bergmannsgebete, die sind aber alle an den allmächtigen Gott gerichtet. Die Statue von der Heiligen Barbara ist ohnehin das einzige weibliche Wesen in der Grube. Die Bergmänner stellen sich bestimmt gern vor, dass eine Frau auf sie aufpasst. 

 

Oma war inzwischen ganz schön außer Atem. Wir versuchten unbeschadet diesen Vieh-Abtriebpfad hinter uns zu bekommen. Oma biss die Zähne zusammen und Opa passte auf sie auf, damit sie nicht ausrutschte. Ich konnte mich kaum noch konzentrieren, weil ich vor Hunger fast umkippte. Gesagt habe ich natürlich nichts, sonst hätte ich mir die Sprüche von Oma anhören müssen: „Wer nicht will, der hat schon“, oder „Man soll eben essen, wenn das Essen auf dem Tisch steht.“ Ich hätte mir einfach etwas einpacken sollen für unterwegs.