Ausgezeichneter Wohnungsbau 2022 - Cornelia Hellstern - E-Book

Ausgezeichneter Wohnungsbau 2022 E-Book

Cornelia Hellstern

0,0
69,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Award Wohnbauten des Jahres ist die einzige gemeinsame Auszeichnung für Bauherren und Architekten im Bereich Geschosswohnungsbau. Die von einer Fachjury ausgewählten 50 besten Wohnbauten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sind in der Publikation ausführlich mit Fotografien, Plänen und Projektdaten porträtiert. Interviews mit den Architekten und Bauherren geben zudem einen Einblick in deren Arbeits- und Herangehensweise. Unterteilt in 13 Kategorien – von der innovativen Fassade bis zur Quartiersentwicklung – ist dieses Jahrbuch eine unverzichtbare Inspirations- und Informationsquelle für alle Entscheidungsträger und Planer in der Wohnungsbaubranche.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 230

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Vorwort

Cornelia Hellstern

Einleitung

Simon Dietzfelbinger

Die Jury

Die Partner

1. Preis

Kreislauffähig

Massivholzhäuser Neuruppin

Anerkennungen

Wohnen im Dorfkernensemble

Der Neue Derzbachhof

Grüne Raumsequenz

Lichtblick

Versetzte Geometrien

Mehrfamilienhaus M44

Feine Nuancierung

Stadthaus Donaustraße

Austarierte Skalierung

K59 – Dachaufbau in Kupfer

Wertschätzung

Haus Liselotte – Wohnungsbau für Pflegekräfte

Zeichen der Stadt

Wohnen an der Werderstraße

Grauer Kern

Beznerturm

Fotografiepreis

Verortung der Sinne

Ruedi Walti

Ausgezeichnete Projekte

Experimenteller Ansatz

Bauen für die Gemeinschaft

Campo Pallotti

Geförderter Wohnungsbau

„Gemeinschaft leben“

Mitarbeiterwohnen in Rust

Innovative Fassade

Klare Kante

Weiherweg

Betrachter in Bewegung

Mehrfamilienhaus Südstrasse

Ländlicher Raum

Baukultureller Anspruch für Gästewünsche

Tempel 74

Bewegung in alle Himmelsrichtungen

Das EnergieQuartier an der Alexanderheide in Wiefelstede

Tradition und Interpretation

BAUERNHOF 2.0

Mischnutzung

Zwischen alter und neuer Welt

Apartmenthaus Mainzer Landstraße

Gemeinsame Basis

Quartiersbebauung HLC Ludwigsburg

Im Dialog mit der Nachbarschaft

Wohnprojekt Adolfstraße

Nachhaltiges Energiekonzept

Wärme aus Eis

Weltpostpark Bern

Nachverdichtung

Quartier im Quartier

GustavsHof

Markanter Stadtbaustein

Lameygarten

Nachverdichtung im Innenhof

Paul-Ehrlich-Straße 12–18

Wohnhöfe am Moor

Quartier am Moorbekpark

Einschnitte

Häuser am Park

Historisches Gesicht zur Stadt

Warburgstraße Hamburg

Roter Klinker für Heerdt

Altes Rathaus

Partizipative Planung

Lebendige Nachbarschaft

Wildgarten mi(e)tgestalten

Premiumwohnen

Wohnen zwischen Bäumen

Mehrfamilienhaus in Possenhofen

Die Weißen an der Alster

Harvestehuder Weg 38

Inspiration Gartenstadt

WILL N°16

Historischer Kontext

Student Apartments Maxtormauer – Dialog zwischen Alt und Neu

In den Fels gebaut

MFH Räfiserhalde 1–3

Wohnen im Park

Das Levels

Klassisch verdichtet

Wohnanlage Zollgasse

Quartiersentwicklung

Zwischen Gleisen und Klinkern

Baumkirchen Mitte WA 2

Rauer Beton und grüne Gartenstadt

Panzerhalle – Wohnen am Ebenberg

Fließende Geometrien

Green Levels

Rheinkilometer 500

Südmole – Die Schiffshäuser

Farbenfroher Blockrand

Welfengarten

Ein Netz aus Höfen

Wohnen am Holzhofpark

Ausblick garantiert

Bodenweid

Quartierseingang

Johanneshof 02

Bewegte Zwischenräume

Wohnen in den Schillergärten

Stadtkante

Georgenhof 01

Weiterwachsen

Riegerhöfe

Revitalisierung

Goldene Kuben

Hageloft

Einschnitte

Gleisbogenhaus

Zeitsprung

Sonnemannstraße

Wohnhochhaus

Skulpturaler Quartiersauftakt

mirror

Lösungen des Jahres 2022

Sponsoren

Verzeichnis Bauherrschaft und Architekten

Impressum

Lassen Sie sich inspirieren …

Ob Architektur, Fashion, Kochen & Backen, Wohnen oder Reisen:Callwey Bücher entführen Sie immer wieder aufs Neue in andere Welten.

Mit unserem NEWSLETTER tauchen Sie monatlich ein in unserestilvolle Welt:köstliche Rezepte, Dekorations-Ideen und schöne Geschichten.Seien Sie als Erstes informiert über unsere Novitäten und Verlosungen!

https://www.callwey.de/newsletter/

Jetzt abonnieren

Natürlich finden Sie uns auch auf SOCIAL MEDIA.Folgen Sie uns schon?

@ Callwey

https://www.facebook.com/callwey

https://www.instagram.com/callwey

Callwey Bücher machen glücklich.Probieren Sie es doch mal aus.

Vorwort

Cornelia Hellstern

400.000 neue Wohnungen pro Jahr: Das selbsterklärte Ziel des nach 23 Jahren erstmals wieder eigenständigen deutschen Bauministeriums und der Ausgangspunkt zahlreicher Diskussionen – nicht nur, ob das überhaupt erreichbar ist. Bereits zum Antritt der neuen Regierung schien das Ziel schon ambitioniert, war die Zahl der neu gebauten Wohnungen doch 2021 um 4 Prozent auf 293.400 zurückgegangen. Und das noch vor Lieferengpässen, Materialknappheit, Preissteigerungen für Baustoffe und Energie, vor Fachkräftemangel und Stopp relevanter Förderprogramme. Und so wird die Frage nach mehr Wohnraum, die Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, zu Recht für eine der „wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit“ hält, im Jahr 2022 umso schwieriger zu beantworten sein. Wie das Ziel erreicht wird, ist die eine Frage. Aber ist im Kontext der Dekarbonisierung des Bauwesens und der Reduktion des Ressourcenverbrauchs nicht die dringlichere Frage, wie wir bauen wollen? Zukünftig bauen müssen?

Der Blick fällt meist schnell auf die Materialien. Beton hat eine schlechte Klimabilanz und Holz ist die Lösung. Dabei ist dies zu kurz gedacht. Gerade mal 30 Prozent eines Baumes werden verbaut. Der Rest ist Abfall, der teils im Wald verrottend CO2 emittiert, teils unter Einsatz von Energie zu Pellets, Holzwerkstoffen oder Papier weiterverarbeitet wird. Und während wir ältere, CO2-bindende Bäume abholzen, um der steigenden Nachfrage nach diesem Baustoff gerecht zu werden, bräuchten wir eigentlich genau diese Wälder, um das Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden. Holz hat seinen Marktanteil im Geschosswohnungsbau in den letzten 15 Jahren auf 2 Prozent verdoppelt, Zement liegt bei 21 Prozent. Es geht also weniger um einen Vergleich der Materialien für den Wohnungsbau als vielmehr um einen generellen Blick auf den Baustoff Beton. Verbunden mit der Frage, wie schnell eine CO2-neutrale Produktion gelingen kann und wie Beton künftig eingesetzt wird. Erste Lösungen gibt es bereits – aber wann werden einzelne Pilotprojekte und erste Ideen im Kleinen endlich in den großen Maßstab übersetzt? Recyclingbeton: Der ist für die Stadt Zürich beispielsweise längst Standard bei städtischen Bauaufgaben, bedeutet aber für Planer in Deutschland einen hohen Mehraufwand durch die nötigen Sondergenehmigungen. Zement: Klimafreundlichere Ansätze für die Produktion gibt es längst, skaliert wurden sie aber noch nicht. Und nicht zuletzt die Reduktion des Materialeinsatzes: Wie lässt sich beim Bauen mit Beton materialbewusster planen? Bauherren und Planer des „Campo Pallotti“ haben sich diesem Ansatz gewidmet und anstelle von Außenwänden mit WDVS einen selbstdämmenden Leichtbeton eingesetzt – aus dem nächstgelegenen Mischwerk, Verkürzung der Transportwege inklusive.

Allen Baustoffen ist gemeinsam: Solange sie im Verbund zum Einsatz kommen und nicht sortenrein trennbar sind, ist ihre Klimabilanz miserabel. Sie werden als Sondermüll verbrannt – Holz hin, Beton her. Weshalb die Kreislaufwirtschaft – und zwar Upcycling statt Downcycling! – dringend einen wichtigeren Stellenwert bekommen muss. Der „digitale Gebäuderessourcenpass“ ist im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung verankert, die Regierenden „wollen auch im Gebäudebereich zu einer Kreislaufwirtschaft kommen“ – die „Massivholzhäuser in Neuruppin“ machen es bereits ganz unbürokratisch vor: ein für Fassaden ungewöhnliches, aber für die Gegend vertrautes Material, einfach lösbare Konstruktionen, vorgefertigte Elemente. Ergebnis: annähernd 90 Prozent recyclingfähige Bausubstanz. Ebenfalls deutlich reduzierte und trotz sozialverträglichem Wohnungsbau nachhaltige und gut recyclingfähige Bausubstanz findet sich im „GustavsHof“ wieder: Hier wurde ebenfalls auf WDVS verzichtet und dafür monolithisches, hochwärmegedämmtes Ziegelmauerwerk mit mineralischem Dämmputz eingesetzt. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und sozial: Die dünneren Wandstärken ermöglichen, wie auch in Neuruppin, mehr Wohnraum. Zirkulär sind auch die lösbaren Holzkonstruktionen des „Lichtblick“ in Winterthur. Auffällig ist bei beiden Gebäuden aber besonders die kompakte Bauform. Und so führt der Fußabdruck von gerade mal 650 Quadratmetern auf einem rund 2.500 Quadratmeter großen Grundstück zu einer ganz anderen, aber nicht weniger wichtigen Frage, wenn es um lebenswerten, nachhaltigen Wohnraum geht: Was und wo bauen wir nicht?

Aber ist nicht die dringlichere Frage, wie wir bauen wollen? Zukünftig bauen müssen?

Denn klimagerechtes Bauen bedeutet auch Freiraumplanung, gerade im urbanen Raum sollten möglichst wenige Flächen versiegelt und stattdessen Grünflächen angelegt werden: als Versickerungsflächen, als Filter von Luftschadstoffen, zur Kühlung des Quartiers und vor allem zur Stärkung der Biodiversität.

Für die Bewohner von „Baumkirchen Mitte WA 2“ erhöht sich die Lebensqualität durch den unmittelbar angrenzenden und als ökologische Vorrangfläche gesicherten ehemaligen Gleiskörper. Der neu entstandene Landschaftspark schreibt sich in das Quartier fort – gebaut werden durfte nur dort, wo einst bereits Flächen versiegelt waren. Der nachhaltigen, ökologischen wie auch kulturellen Bedeutung von Grünflächen in unseren Städten waren sich auch die Entwickler des „WILL N°16“ bewusst. Mag der Einfluss des städtischen Gestaltungsrechts eine Rolle gespielt haben, so schöpften sie dennoch mit einer Geschossflächenzahl von 0,48 nur knapp die Hälfte dessen aus, was im Rahmen des Baurechts möglich gewesen wäre. Geblieben ist eine Parklandschaft mit historischem Baumbestand.

Der an eine Naturschutzzone angrenzende „Weltpostpark“ in Bern integriert die Idee des Parks in das Gesamtkonzept: Grünraum fließt durch die Bebauung und die verkehrsfreien Höfe. Mit vier Eisspeichern, erstmals in Kombination mit Solar-Luft-Absorbern und Wärmetauschern in einer solchen Größenordnung, geht das Projekt noch einen Schritt weiter hinsichtlich nachhaltiger Energiekonzepte. Denn PV-Anlagen und nachhaltige Systeme zur Energieerzeugung werden immer mehr zur Selbstverständlichkeit, wie der Querschnitt der eingereichten Projekte zeigt.

Die Frage, was wir eigentlich neu bauen – und was nicht – lenkt den Blick auf den Bestand. Müssen wir 400.000 Wohnungen neu bauen? Nein, im Gegenteil: Denn um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns endlich auch intensiver dem Bestand und der in ihm gebundenen grauen Energie widmen: Sanierung, Revitalisierung und Umnutzung anderer Typologien. Die „Panzerhalle“ und das „Gleisbogenhaus“ auf einer Konversionsfläche bilden dabei sicherlich ungewöhnliche Ausnahmen. Aber gerade die gewöhnlichen Bürogebäude aus den Fünfzigerund Sechzigerjahren sind relevant: Mit vorgestellter Fassade erweitert, integriert sich zum Beispiel der „Beznerturm“ ins Mühlenviertel. Und das sanierte und zu Mikroapartments umgebaute ehemalige Verlagshochhaus bleibt dem Quartier „Wohnen am Holzhofpark“ als vertraute Landmark erhalten.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns endlich auch intensiver dem Bestand mit seiner grauen Energie widmen.

Was wir für Neubauten daraus lernen können? Nutzungsneutral planen, Flexibilität ermöglichen, um die Lebensdauer von Gebäuden zu erhöhen, wie auch im „Wildgarten mi(et)gestalten“ – ein Projekt, das zudem durch die Idee der Partizipation im geförderten Mietwohnungsbau überzeugt.

Dass finanzielle Anreize für Abbruch und Neubau höher sind als für Umnutzung und Sanierung, dass Flächennutzungspläne der Kommunen meist noch nicht mit den aus Umnutzung entstehenden gemischten Quartieren einhergehen, wird hoffentlich ebenfalls im Zuge der „klimagerechten Neubauoffensive“ der Regierung Beachtung finden. Der aktuelle Beschluss zum Klima- und Transformationsfonds ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Wille, Wunsch und Ideen sind auf der Seite der Planer und Entwickler da. Dies zeigt nicht nur unser diesjähriges Gewinnerprojekt „Massivholzhäuser Neuruppin“ in eindrücklicher Weise. Sämtliche relevanten Themen und insbesondere die intensive Auseinandersetzung mit dem Prinzip des Cradle-to-Cradle finden sich hier wieder. Denn auch die Projektvielfalt unserer 50 „Wohnbauten des Jahres 2022“ zeigt dies eindrücklich – wenn auch manches Mal erst auf den zweiten Blick. Verstärkt durch die Interviews, in denen die Planer und Entscheider klare Forderungen an die Politik adressieren: Es ist an der Zeit, endlich deutlicher die gesetzlichen Weichen zu stellen und Entscheidungen zu treffen – für ein neues, ein anderes Bauen.

Einleitung

Simon Dietzfelbinger

In den vergangenen Jahren hat sich der Wohnungsbau in Deutschland zu einem der brisantesten unter den politischen Themen entwickelt. Wer Presse und Medien aufmerksam verfolgt, liest von Miet- und Kaufpreisexplosionen, der geplanten Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne, von Spekulationen auf Preissteigerungen beim Wohnraum, von steigenden Nebenkosten und geringem Angebot, von plötzlichen Zinserhöhungen und vielem mehr. Die Herausforderungen, die dabei von den verschiedenen Akteuren der Wohnungswirtschaft gemeistert werden sollen, sind so vielfältig, dass sie kaum zu bewältigen scheinen.

Klar ist: Die Nachfrage nach Wohnraum wächst weiterhin ungebremst – wohingegen Lieferengpässe beim Baumaterial, knappe Ressourcen und der Fachkräftemangel neue Angebote auf dem Wohnungsmarkt erheblich erschweren. Die Kosten je Quadratmeter Wohnfläche sind allein im zurückliegenden Jahr gemäß statistischem Bundesamt um 15 Prozent gestiegen. Hinzu kommen in diesem Jahr gestiegene Finanzierungskosten für Entwickler und Käufer sowie große Unsicherheiten bei den Förderbedingungen. Da sich immer weniger Menschen Wohnraum leisten können, dürften Mieten und Kaufpreise nicht mehr steigen – eine Notwendigkeit, die sich ohne politische Einflussnahme, zum Beispiel durch umfangreiche und für die Privatwirtschaft attraktive Förderprogramme, jedoch kaum erreichen lassen wird.

Da sich immer weniger Menschen Wohnraum leisten können, dürften Mieten und Kaufpreise nicht mehr steigen

Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht, das die Realisierung von Wohnraum aktuell für viele unattraktiv gemacht hat. Dies zeigt sich am Rückgang der Genehmigungen für Wohnungsbau – die entsprechenden Zahlen sind im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Es scheint fast, als warte die Wohnungswirtschaft momentan auf wirtschaftlich bessere Zeiten und auf eine Beruhigung der ökonomischen Rahmenbedingungen.

Gleichzeitig ist es zum Erreichen der Klimaziele unumgänglich, den Wohnraumbestand energetisch zu modernisieren. Denn der Energieverbrauch der Immobilien steht immerhin für knapp 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen. Neben reduzierten CO2-Emissionen motivieren die stark gestiegenen Energiekosten dazu, fossile Energieträger möglichst weniger zu nutzen. Um wirklich nachhaltige Gebäude zu errichten, ist aber nicht nur der Energieverbrauch im Betrieb zu berücksichtigen, sondern auch auf eine ökologische, ressourcenschonende und recycelbare Bauweise während der Ausführung zu achten.

Die Motivation für die Wohnungswirtschaft, in diesem Bereich nachhaltig zu investieren, ist jedoch noch gering. Das hat gute Gründe: Die Energiekosten muss der Mieter tragen, Fördertöpfe zum Unterschreiten der ökologischen Mindestanforderungen sind unsicher und in der Regel schnell aufgebraucht. Prinzipien für eine ökologische Bauweise nach dem Cradle-to-Cradle®-Prinzip werden bisher nur bei Vorzeigeprojekten eingesetzt und sind noch kein Standard – wichtiger scheint es aktuell, überhaupt Wohnraum zu schaffen.

In erster Linie geht es natürlich um die Nutzer und Nutzerinnen – denn Wohnraum soll und muss insbesondere lebenswert sein. Die Grundrisse moderner Wohngebäude sind funktional und effizient, Individualität und Identität gehen hingegen oft verloren. Umso wichtiger ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern Möglichkeiten für Zusammenkünfte, Austausch und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten bereitzustellen. Auch innerhalb der Wohnfläche sollten es eine erhöhte Flexibilität und ein „Customizing“ ermöglichen, die Wohnung über mehrere Lebensphasen hinweg sinnvoll und sicher zu nutzen.

Die Kriterien der Nachhaltigkeit – nämlich Ökologie, Ökonomie und Soziales – sind dabei trotz einer gewissen Begriffsmüdigkeit so aktuell wie noch nie!

Es bietet sich überdies an, nutzergruppenspezifischen Wohnraum zu entwickeln. Bei diesem stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer im Fokus. Dabei geht es um Anforderungen an den Wohnraum und an Gebäude, aber auch an die Nachbarschaft. Innovationen spielen hierbei eine wichtige Rolle – die Digitalisierung beispielsweise bietet zahlreiche Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Zusammenhalt und Austausch zu decken und die Bewohnerinnen und Bewohner zu vernetzen, um so Identität und Gemeinschaft zu fördern.

Wer heutzutage zukunftssicheren Wohnraum errichten möchte, muss somit viele verschiedene Kriterien und Aspekte gleichzeitig im Blick behalten. Die Kriterien der Nachhaltigkeit – nämlich Ökologie, Ökonomie und Soziales – sind dabei trotz einer gewissen Begriffsmüdigkeit so aktuell wie noch nie!

Umso mehr freut es mich, dass trotz der vielfältigen Herausforderungen und einer unsicheren Marktlage auch in diesem Jahr wieder viele erfolgreiche Entwickler und innovative Architekten sich mit den Fragestellungen der heutigen Zeit auseinandergesetzt und spannende Beiträge für „Ausgezeichneten Wohnungsbau“ geliefert haben. Die Vielfalt und die individuelle Ausgestaltung der zahlreichen Beiträge zeigen, dass durch kreative und intelligente Lösungen die Herausforderungen von heute und morgen bewältigt werden können. Und dass auch ohne erhebliche Mehrkosten wertiger und qualitativer Wohnraum entstehen kann. So fiel es der Jury nicht leicht, den Gewinner unter den diesjährigen „Wohnbauten des Jahres“ auszuwählen. Dennoch hat sie sich am Ende für einen klaren und verdienten Sieger entschieden!

Die Jury

Reiner Nagel

Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, Juryvorsitzender

Prof. Markus Binder

Architekt, CAPE - climate_architecture_physics_energy (Sieger 2021)

Simon Dietzfelbinger

Head of Residential Properties Drees & Sommer

Andrea Gebhard

Präsidentin Bundesarchitektenkammer

Annegret Haider

Architektin, einszueins architektur (Sieger 2021)

Cornelia Hellstern

Architekturkommunikation, Dozentin und Autorin

Ulrich Nolting

Geschäftsführer InformationsZentrum Beton

Dr. Fabian Peters

Chefredakteur Architekturmagazin „Baumeister“

Josef Schmid

Mitglied des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr im Bayerischen Landtag

Wir danken unseren

Partnern

Als führendes europäisches Beratungs-, Planungs- und Projektmanagementunternehmen begleitet Drees & Sommer private und öffentliche Bauherren sowie Investoren seit 50 Jahren in allen Fragen rund um Immobilien und Infrastruktur – analog und digital. Durch zukunftsweisende Beratung bietet das Unternehmen Lösungen für erfolgreiche Gebäude, renditestarke Portfolios, leistungsfähige Infrastruktur und lebenswerte Städte an.

Als Plattform der Hersteller und als Impulsgeber der Branche bietet das InformationsZentrum Beton ein Netzwerk für alle Partner am Bau. Zu seinen Kernaufgaben gehören die Markterweiterung, die Marktsicherung und die Imageförderung für zementgebundene Bauweisen.

architektur.aktuell ist Österreichs führendes Architekturmagazin mit Informationen über die innovativsten Bauten national und weltweit, hochwertigem Foto-, Plan- und Datenmaterial und einem Überblick über neue Produkte für Architektur und Bau. Interviews, Ausstellungsbesprechungen, ein Veranstaltungskalender und Media Reviews runden das Informationsangebot ab.

Das Architekturmagazin Baumeister blickt mit breiter Perspektive in die Welt der Architektur und beschäftigt sich nicht nur mit der Ästhetik, sondern auch mit den kulturellen, politischen, sozialen und ökonomischen Aspekten der gebauten Umwelt.

Die Bundesarchitektenkammer e.V. (BAK) ist ein Zusammenschluss der 16 Länderarchitektenkammern in Deutschland. Sie vertritt auf nationaler und internationaler Ebene die Interessen von 135.846 Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Auch wenn Architekten- und Bauordnungsrecht grundsätzlich Ländersache sind, fallen viele Entscheidungen in Berlin oder Brüssel.

espazium – der Verlag für Baukultur ist spezialisiert auf die Themen Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt. Er ist Herausgeber der drei Zeitschriften TEC21 – Schweizerische Bauzeitung, TRACÉS, Archi und des Onlineportals espazium.ch und verlegt zudem Publikationen über Stadtentwicklung, Städtebau und Raumplanung. Dank der interdisziplinären Berichterstattung in drei Sprachen deckt der Verlag die ganze Schweiz ab. Historisch mit dem SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein verbunden, ist espazium ein wichtiger Akteur der Schweizer Baukultur.

Die Expo Real ist die größte Fachmesse für Immobilien und Investitionen in Europa. Sie wird seit 1998 jährlich Anfang Oktober auf dem Gelände der Messe München von der Messe München GmbH veranstaltet. Im Jahr 2017 umfasste die Expo Real eine Ausstellungsfläche von 64.000 Quadratmetern.

Der IVD (Immobilienverband Deutschland IVD Bundesverband der Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen e.V.) ist die Berufsorganisation und Interessensvertretung der Beratungsund Dienstleistungsberufe in der Immobilienwirtschaft. Der IVD betreut 6.000 Mitgliedsunternehmen mit gut 100.000 Beschäftigten. Dazu zählen Wohnungsverwalter, Immobilienmakler, Bauträger, Finanzdienstleister und viele weitere Berufsgruppen der Immobilienwirtschaft.

1. PREIS

ANERKENNUNGEN

FOTOGRAFIEPREIS

Kreislauffähig

1. PREIS

INNOVATIVE FASSADE

Bauherrschaft

Baugruppe Ausbauhaus Neuruppin GbR (Gartenhaus)

Architekturbüro

Praeger Richter Architekten, BDA

Standort

Neuruppin

Massivholzhäuser Neuruppin

Es ist das selbst gesteckte Ziel der rund 60 Kilometer nordwestlich von Berlin gelegenen Fontane-Stadt Neuruppin: CO2-neutral bis 2030 – als erste Stadt in dem seit Jahren stark von Dürre bedrohten Bundesland Brandenburg. Dass gerade im Bauwesen auf dem Weg zur Klimaneutralität neue – andere – Antworten gefunden werden müssen, daran besteht längst kein Zweifel mehr. Aber dass das tatsächlich auch möglich ist, beweisen hier in Brandenburg Praeger Richter Architekten mit ihren beiden Mehrfamilienhäusern am Rande der historischen Altstadt Neuruppins. Vorfertigung, Kosten- und Bauzeitoptimierung, die Möglichkeit zur Teilhabe, adaptive Grundrisse, verbundstofffreies Bauen für eine Recyclingfähigkeit der Bauteile, Müllvermeidung, Lowtech: Die Schwerpunkte ihrer bisherigen Projekte lesen sich wie ein Maßnahmenkatalog zum Erreichen der gesteckten Klimaziele. Das Ensemble der Massivholzhäuser Neuruppin mit seinen 23 kostengünstigen Miet- und Eigentumswohnungen verbindet sämtliche dieser relevanten Aspekte.

Auffällig scheint zunächst die ungewöhnliche Fassadengestaltung mit Biberschwanz-Ziegeln, doch im Kontext der typischen Neuruppiner Stadthäuser mit Putzfassade und Biberschwanz-Ziegeldach erklärt sich der Lokalbezug. Und mit den Vorteilen des Materials – preiswert, schnell montierbar, sortenrein trennbar – dessen Verwendung im Rahmen zirkulärer Strategien.

Entlang der Eisenbahnstraße bildet das Ensemble die Stadtkante zum Bahnhof West. Das von einem Investor errichtete viergeschossige Vorderhaus beherbergt 14 Mietwohnungen im Kostensegment des sozialen Wohnungsbaus mit zwei bis vier Zimmern. Im dreigeschossigen Gartenhaus finden sich die neun Eigentumswohnungen der Baugruppe Ausbauhaus Neuruppin mit drei und vier Zimmern. Der gemeinschaftliche Hof zwischen den Gebäuden und deren vorgelagerten Gärten fasst eingeschossige Nebengebäude, Radstellplätze und die entsprechend der Bauordnung geforderten Parkplätze auf dem insgesamt rund 2.700 Quadratmeter großen Grundstück.

Das Vorderhaus ist als effizienter Vierspänner organisiert, das Gartenhaus als Dreispänner. Von der Betontreppe und dem Aufzugsschacht aus Kalksandstein abgesehen sind alle tragenden Rohbau-Bauteile mit sämtlichen Öffnungen und technischen Installationen als vorgefertigte Massivholzbauteile mit Stärken von 10 bis 24 Zentimetern ausgeführt. Jede Wohnung ist eine selbsttragende Einheit, aus der Konstruktion ergeben sich somit auch die dem Schallschutz gerecht werden doppelt ausgebildeten Wohnungstrennwände. Neben den ökologischen und ökonomischen Vorteilen dieser Bauweise besticht auch ein sozialer: Die 10 Zentimeter schmalen Holzwände ermöglichen pro Haus rund 15 Quadratmeter mehr Wohnfläche als ein herkömmlicher massiver Wandaufbau mit WDVS.

Auf den Einsatz von Verbundwerkstoffen, auf Verkleben und Verspachteln wurde weitestgehend verzichtet, stattdessen kommen ökologische Baustoffe und ökologisch abbaubare Farben und Lasuren zum Einsatz. Rund 90 Prozent der verwendeten Materialien könnten somit demontiert und für ein neues Bauwerk wiederverwendet werden. Nachahmung erwünscht.

Das Vorderhaus bildet entlang der Eisenbahnstraße die Stadtkante zum Bahnhof West.

Traufständig an die Nachbarbebauung anschließend, entwickelt sich das Dach über der westlichen Wohnung in ein Flachdach.

An der Süd- und der Westseite erweitern sich die 60 Zentimeter tiefen Galerien zu großzügigen Balkonen. Durch Auskragungen der Massivholz-Geschossdecken sind sie einfach und kostengünstig hergestellt.

In beiden Gebäuden erlauben die bodentiefen Fenster der 3 Meter hohen Wohnräume einen großzügigen Außenbezug.

Die rohen, weiß lasierten Massivholzwände schaffen eine angenehme Oberfläche und ein wohngesundes Raumklima.

Die Nebengebäude mit begrüntem Dach wurden aus den angefallenen Fensterausschnitten der Massivholzplatten gebaut.

Lediglich weiß lasiert bleiben die Massivholzwände sichtbar, wodurch der Rohbau fast schon ein Ausbau ist.

Naturrote Biberschwanz-Ziegel auf einer Lattung bilden die Fassadenhaut, die Dämmung aus Mineralwolle wurde hinter die Lattung geklemmt.

Ein lokales und stilbildendes Element in der vom Klassizismus geprägten Altstadt verfremdet eingesetzt: monochrome Biberschwanz-Ziegel zur Fassadengestaltung.

Architekturbüro

Wie öffnet sich Ihr Projekt in die Nachbarschaft?

Beide Wohngebäude schließen an die Brandwand der Nachbarn an und bilden den Abschluss der kleinstädtischen Blockstruktur. Sie sind darum als Kopfbauten mit offener Fassade und großzügigen Balkonen ausgebildet. Das Vorderhaus öffnet sich mit Hauseingang und bodentiefen Fenstern zur Eisenbahnstraße. Die großzügige Zuwegung führt über den gemeinsamen Hof zum Eingang des Gartenhauses.

Was sollte sich im Geschosswohnungsbau dringend ändern, um auf die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren?

Die Wegwerfkultur im Bauwesen muss schnell gestoppt werden. Darum sollte die Entsorgung von Baumaterialien, besonders von Bauschutt (Verbundwerkstoffe) teurer werden. Weiterhin müssten Hersteller von Baustoffen verpflichtet werden, gebrauchte Baumaterialien auch nach Jahrzehnten zurückzunehmen. Im Gegenzug müssten recycelte Baumaterialien zügig preiswerter werden.

Was halten Sie für relevante Parameter, mit denen eine CO2-Reduktion in der Baubranche möglich werden kann? Und wie berücksichtigen Sie diese bereits in Ihrer Planung?

Wo es irgend geht, müssen nachwachsende Rohstoffe eingesetzt werden. Die Massivholzhäuser bestehen mit Brettsperrholzwänden und -decken zu sehr hohem Anteil aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Nebengebäude wurden komplett aus Verschnittteilen der Brettsperrholzelemente der Wohngebäude errichtet. Die hinterlüftete Fassade ist verbundstofffrei gefügt, das heißt, die Lattung wurde verschraubt, die Dämmschichten wurden nur eingelegt und die Biberschwanzziegel geschraubt. Viele Oberflächen blieben unbehandelt.

„Die Häuser sind Vorreiter im Sinne der Verbundstofffreiheit, der Wiederverwendung von Baustoffen und setzen Maßstäbe in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie.“

Praeger Richter Architekten

Urteil der Jury

Annegret Haider

Zwei Mehrfamilienhäuser am Rand der historischen Altstadt von Neuruppin springen sofort ins Auge: Ihre Fassaden zieren vollflächig naturrote Biberschwanzziegel, sie nehmen damit Bezug auf die Dächer der umgebenden Häuser.

Diese besondere Fassade ist Teil des sehr durchdachten Materialkonzepts der beiden Gebäude. Hier hat man großen Wert auf Nachhaltigkeit gelegt und sich intensiv mit dem Thema Kreislaufwirtschaft auseinandergesetzt. Die Häuser sind daher zu beeindruckenden 90 Prozent in ihre ökologischen Baustoffe sortenrein trennbar und diese dementsprechend wiederverwendbar. Um dies zu erreichen, wurde weitgehend auf die Verwendung von Verbundwerkstoffen verzichtet, ebenso auf das Verkleben und Verspachteln von Materialschichten. Die Gebäude wurden in Massivholzbauweise errichtet, mit Ausnahme der Treppen und des Aufzugsschachts.

Ebenso konsequent ist der Verzicht auf eine Unterkellerung. Die dadurch fehlenden Kellerabteile und Technikräume finden sich mit den Fahrrad- und Autoabstellplätzen ebenerdig in dem gemeinsamen Hof zwischen den beiden Häusern. Dass für die Nebengebäude die Fensterverschnitte aus den Massivholzplatten der Haupthäuser verwendet wurden, ist ein weiteres schönes Detail.

Die von einem Investor errichteten Mietwohnungen im Vorderhaus und die Eigentumswohnungen einer Baugruppe im Gartenhaus (noch eine Besonderheit!) haben 3 Meter hohe Räume, bodentiefe Fenster und jeweils einen großzügigen privaten Freibereich. Hier lässt es sich wohnen! Und das Ganze auch noch ökologisch und leistbar! Chapeau!

Bauherrschaft

Baugruppe Ausbauhaus Neuruppin GbR (Gartenhaus)

Dorfstraße 19

16818 Neuruppin (D)

Architekturbüro

Von links nach rechts: Fabian Klemp, Paul Zöll, Philipp Dittus, Hannes Friedemann, Tamara Granda, Jana Richter, Henri Praeger, Steffen Janitz, Christin Repp

Praeger Richter Architekten, BDA

Florastraße 86 A

13187 Berlin (D)

praegerrichter.de

Anzahl der Wohneinheiten

23

Anzahl der Bewohner

64

Wohnfläche in m2

1.800

Grundstücksgröße in m22.675

Brutto-Grundfläche (BGF) in m22.400

FertigstellungJuni 2020

BauweiseMassivholz

EnergiestandardKfW 55

Lageplan

MitwirkendeUnternehmen

Projekt-Bau Kluge, Schenkendöbern (D), (Tragwerkplanung)

Ingenieurbüro Lüttgens, Berlin (D), (TGA)

MRP Müller Rose Projektsteuerung, Berlin (D)

Architekturfotografie

Andreas Friedel, Berlin (D)[email protected]

Paul Zöll/Praeger RichterArchitekten, Berlin (D)

Längsschnitt Vorderhaus

Grundriss Regelgeschoss

Grundriss Erdgeschoss

Maßstab M 1:800

Wohnen im Dorfkernensemble

ANERKENNUNG

REVITALISIERUNG

Bauherrschaft

Euroboden GmbH

Architekturbüro

raumstation Architekten GmbH

Standort

Forstenried, München

Der Neue Derzbachhof

Bevor München im 19. Jahrhundert rasant zu wachsen begann, war die Stadt umgeben von ländlichem Raum mit zahlreichen Dörfern, rund 60 wurden im Laufe der Zeit eingemeindet. Dennoch blieb in vielen Gemeinden der dörfliche Ortskern mit seinen kurzen Wegen bis heute das wirtschaftliche Zentrum. Und das identitätsstiftende, historische Erscheinungsbild erzählt neben den Bauformen von der einstigen Arbeits- und Lebenswelt der Bewohner. 18 historische Dorfkernensembles sind bis heute erhalten und in der bayerischen Denkmalliste eingetragen.

Zu einem dieser ensemblegeschützten ehemaligen Dorfkerne zählt die historische Ortsmitte Forstenried. Neben der spätgotischen Heilig-Kreuz-Kirche, dem Forstamt, dem Gasthaus „Alter Wirt“ und der Schule ergänzt das älteste erhaltene Bauernhaus Münchens, der 1751 erbaute Derzbachhof, das Ensemble an der Forstenrieder Allee. Während andere bäuerliche Anwesen des 18. und 19. Jahrhunderts in unmittelbarer Nachbarschaft längst saniert an das einstige Raumbild Forstenrieds erinnerten, war der Derzbachhof nach über 40 Jahren Leerstand und Verfall stark einsturzgefährdet. 2017 kaufte Euroboden das Grundstück und entwickelte zusammen mit Peter Haimerl ein Nutzungsund Sanierungskonzept für den Neuen Derzbachhof, das raumstation Architekten aus Starnberg realisierten: In enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalschutz wurde der historische Hof saniert und mit Gemeinschaftsflächen sowie vier Mietwohnungen revitalisiert.

Ein von der Straße und dem alten Hof nach hinten zurückversetzter Holzhybridbau mit 17 Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen ergänzt das neue Hofensemble nach Osten. An Wirtschaftsgebäude oder Stallungen erinnernd, fügt sich der Neubau in das ländlich anmutende Gesamtbild des Hofes.

Um dabei möglichst viel Grünraum zu erhalten, nimmt der Neubau nur 18 Prozent des Grundstücks ein, in dessen vorderem Bereich ein für die Öffentlichkeit zugänglicher Dorfplatz zum Beleben der historischen Ortsmitte und der Nachbarschaft beitragen soll. Die Idee der Gemeinschaft spielte bei der Entwicklung des Neuen Derzbachhofs eine elementare Rolle, vielfältige Begegnungsflächen sollen zur aktiven Nachbarschaft beitragen. Und so wird der alte Hof zum Treffpunkt der Hofbewohner – und mit ihm die Bauernstube zum Veranstaltungsraum, die ehemalige Speisekammer zur Hofküche. Die „Guade Stube“ im Obergeschoss bietet Co-Working-Bereiche und die ehemalige Schlafkammer Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste. Die Verringerung der Pro-Kopf-Wohnfläche durch gemeinschaftlich genutzte Flächen ist dabei ebenso Teil einer nachhaltigen Planung wie auch der Einsatz nachwachsender Rohstoffe für den Neubau, unter dessen Dachlandschaft sich mit Gartenhäusern, Etagenwohnungen und Dachwohnungen eine heterogene Mischung an Wohnungstypologien findet.

Die vertikale Bretterverkleidung des alten Hofs übersetzt der Neubau in eine zeitgenössische und ökologisch nachhaltige Holzhybridfassade. Weitgehend unbehandeltes Holz prägt die Gestalt der Innenräume.

Die vertikale Bretterverkleidung des alten Hofs übersetzt der Neubau in eine zeitgenössische und ökologisch nachhaltige Holzhybridfassade. Weitgehend unbehandeltes Holz prägt die Gestalt der Innenräume.

Der alte Derzbachhof ist Teil des denkmalgeschützten Ensembles des historischen Dorfkerns von Forstenried.

Fassade, Dach und Innenausstattung des alten Derzbachhofs wurden fachgerecht restauriert und wo nötig mit Elementen aus dem modernen Massivholzbau gesichert.

Holz und Sichtbeton, Naturstein und Keramik: Langlebigkeit und handwerkliche Verarbeitung der historischen Materialien im Altbau bestimmen auch die Materialwahl des Neubaus.

Ein an die historische Streuobstwiese angrenzender großer Gemeinschaftsgarten wird auch als Denkmalschutz im Sinne einer zeitgenössischen Fortschreibung des Hoflebens verstanden.

Architekturbüro und Bauherrschaft

Wie öffnet sich Ihr Projekt in die Nachbarschaft?

Der Gartenzaun wird vom Gehweg abgerückt, sodass ein Vorplatz entsteht. Dessen Mittelpunkt bildet eine Linde, an der eine Baumbank zum Verweilen einlädt. Auch kann man zukünftig an den Derzbachhof herantreten und ihn „begreifen“. Ähnliche Plätze finden sich in unmittelbarer Nähe auch an der Kirche, dem Forsthaus und dem Wirtshaus wieder, die alle den öffentlichen Raum bereichern.

Mit welchem Angebot stärken Sie bei Ihrem Projekt die Gemeinschaftsbildung der Bewohnerschaft?

Die Stube samt Küche, ein Apartment und der Co-Working-Bereich können von allen Bewohnern im alten Wohnteil des Derzbachhofs angemietet werden. Im Garten finden sich unter anderem Hochbeete, Liegen, ein Grillplatz, ein Gartenhaus und Spielgeräte. Freizeitmöglichkeiten, die zur Begegnung einladen oder aber in der Gruppe wahrgenommen werden.

Mit welchen gestalterischen und architektonischen Mitteln reagiert das Projekt auf seine Umgebung?

Die denkmalgerechte Sanierung des alten Derzbachhofs betrachten wir im Sinne des Wechselwirkungsprinzips als Aktion. Womit der Neue Derzbachhof hingegen eine Reaktion ist. Der Neue Derzbachhof imitiert in seiner rein hölzernen Formensprache Scheunen und Nebengebäude auf einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück. Die Materialien im Neubau sind alles Spurenelemente des Altbaus, das verbindet die beiden Gebäude miteinander.