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Der Genetik-Experte Prof. Dr. Rolf Knippers vermittelt in diesem Buch die genetischen Grundlagen des Autismus. Diese wissenschaftliche Arbeit ist bisher die einzige, die auch für Nichtfachleute leicht zugänglich ist. Sie erfahren vieles über die Geschichte der genetisch orientierten Autismusforschung. Dazu ihre wichtigsten Methoden und Ergebnisse sowie eine Darstellung und Beschreibung einiger Risiko-Gene. Auch der psychologische und medizinische Phänotyp des Autismus wird aufgegriffen. Die Entstehung des Autismus erscheint Ihnen nach der spannenden Lektüre in einem neuen Licht.
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Seitenzahl: 275
HINTERGRÜNDE
Autismus, genetisch betrachtet
Veränderungen der Gene als Ursache und Auslöser
Rolf Knippers
Die Menge der Literatur, die es zum Thema Autismus gibt, ist überwältigend. Pubmed, die virtuelle biomedizinische Bibliothek im Internet, enthält eine Liste von fast rund 30000 wissenschaftlichen Publikationen, die das Stichwort Autism im Titel tragen (im August 2015). Nicht mitgerechnet sind hierbei die unzähligen Artikel in Tages- und Wochenzeitungen, ebenso fehlen die vielen Bücher, die im Laufe der Jahre über Autismus veröffentlicht wurden.
Woher kommt dieses große Interesse? Die Gründe sind vielfältig, aber zwei Punkte sind wohl am wichtigsten. Erstens, Autismus ist als psychische Besonderheit oder als psychische Störung weit verbreitet. Nach neueren Ermittlungen gibt es unter hundert Menschen mindestens einen mit autistischen Symptomen. Wir werden später auf die Zahlen genauer eingehen. Auf jeden Fall gibt es viele Eltern und Lehrer, die ihre Mühe und liebe Not mit der Erziehung und Betreuung autistischer Kinder haben.
Zweitens, Autismus betrifft eine höchst bedeutende Besonderheit der menschlichen Psyche und des menschlichen Verhaltens, nämlich das Einfühlungsvermögen und damit verbunden die Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen und zu entwickeln. Es ist keine Frage, dass auch viele nicht-autistische Menschen damit ihre Schwierigkeiten haben. Aber die Probleme sind bei Personen mit Autismus besonders ausgeprägt, sie scheinen gleichsam auf die Spitze getrieben. So könnten Forschungen über Autismus viel zum Verständnis des menschlichen Verhaltens beitragen.
Was das Thema so überaus interessant macht, ist der Einfluss der Genetik. Seit Ende der 1970er-Jahre gibt es Studien über das Vorkommen von Autismus in Familien und besonders bei Zwillingen. Die Ergebnisse lassen keinen Zweifel daran, dass Gene in erheblichem Maße am Autismus beteiligt sind. Die heutige molekulare Humangenetik bestätigt eindrucksvoll diese frühen Schlussfolgerungen. Wo Gene im Spiel sind, gibt es auch deren Produkte – Proteine als Bausteine und Funktionsträger von Zellen. Und so können wir über die Genetik an die Bausteine und Funktionsträger von Gehirnzellen herankommen, und damit an die strukturellen und molekularen Grundlagen für so etwas Menschliches wie das Vermögen, sich in die Befindlichkeit des Gegenübers zu versetzen und darauf aufbauend soziale Beziehungen aufzunehmen.
Dieses Buch ist kein Lehrbuch der Psychiatrie, auch keine Monografie, die sich umfassend mit Autismus beschäftigt. Dafür gibt es viele ausgezeichnete Bücher – vielseitige Werke und schmale Taschenbücher, hauptsächlich auf Englisch, manche aber auch auf Deutsch. Einige dieser Bücher werden im Laufe des Buches erwähnt, andere empfehlenswerte finden sich jeweils am Ende der Kapitel.
Unser Thema sind die genetischen Grundlagen des Autismus. Seit etwa 20 Jahren forschen Hunderte von Wissenschaftlern in Dutzenden von Laboren auf allen Kontinenten über die Genetik des Autismus. Viel Intelligenz, Fleiß und Finanzmittel wurden und werden investiert, und das Forschungsgebiet ist noch längst nicht erschöpft. Ständig werden neue Gene entdeckt, die mehr oder weniger direkt etwas mit Autismus zu tun haben. Doch haben die Forschungen schon jetzt einen Stand erreicht, der einen guten Blick auf das Geschehen erlaubt.
Wir werden der Geschichte der genetisch orientierten Autismus-Forschung nachgehen, die wichtigsten Methoden nennen und ausführlich die Ergebnisse beschreiben. So wird viel Genetisches und, damit zusammenhängend, Neuro- und Zellbiologisches zur Sprache kommen. Aber auf keinen Fall wird das Erscheinungsbild, der psychologische und medizinische Phänotyp des Autismus, vergessen. Dieses Bild ist bunt, vielfältig und nicht selten überaus eindrucksvoll. Freilich ist es gerade erst am Anfang und noch längst nicht fertig.
Dieses Buch gibt einen Überblick über die Literatur zur Genetik des Autismus. Doch längst nicht alles, was zum Thema publiziert worden ist, konnte hier berücksichtigt werden, aber doch vermutlich das Wichtigste. Und dies ergibt ein überraschend vielgestaltetes, komplexes und somit anregendes Szenario.
So wird das Buch für Psychologen, Biologen, Mediziner und für jeden, der eine Einführung in die genetischen Grundlagen einer speziellen Form des menschlichen Verhaltens sucht, von Nutzen sein.
Konstanz, im Sommer 2015
Rolf Knippers
Meine Tübinger Kollegen, die Professoren Johannes Dichgans und Alfred Nordheim, haben eine erste Version des Textes gelesen und viele wichtige und kritische Anmerkungen gemacht. Das war bereichernd und ermutigend. Ich bin beiden zu großem Dank verpflichtet. Aber wie bei diesen Gelegenheiten üblich und richtig, weise ich darauf hin, dass ich allein für den Text verantwortlich bin, wobei ich hoffe, dass ich Fehler vermieden habe. Aber ich nehme in Anspruch, die Akzente hier und da anders zu setzen, als es professionelle Autismus-Experten vielleicht tun würden.
Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeiterinnen des Verlags, Dr. Annegret Boll und Korinna Engeli, für die gute Zusammenarbeit.
Vorwort
Danksagung
1 Die Pioniere
1.1 Leo Kanner
1.1.1 Kanners Erstbeschreibung des kindlichen Autismus
1.2 Hans Asperger
1.3 Literatur
2 Bettelheims Irrtum und wie es dann weiterging
2.1 Bruno Bettelheim
2.2 Die ersten Jahre in Amerika
2.3 Bettelheim und frühkindlicher Autismus
2.4 Und heute?
2.5 Literatur
3 Autismus-Spektrum – Diagnosen, Häufigkeiten, Verläufe
3.1 Sorgfältige Diagnosen
3.2 Formalisierungen
3.3 DSM-IV und DSM-5
3.4 Syndrome
3.5 Das Spektrum
3.6 Häufigkeiten
3.7 Verläufe
3.8 Literatur
4 Erblichkeiten
4.1 Zwillinge
4.2 Konkordanz
4.3 Wie sieht es beim Autismus aus?
4.4 Familiärer Autismus
4.5 Konsequenzen
4.6 Literatur
5 Schädigungen und Risikofaktoren
5.1 Umwelt
5.2 Impfstoff
5.3 Infektionen
5.4 Frühgeburten
5.5 Risikofaktoren
5.6 Ernährung und Stoffwechsel
5.7 Mitochondrien
5.8 Geschlechtsunterschiede
5.9 Literatur
6 Das autistische Gehirn
6.1 Ein Blick ins Innere
6.2 Kopfumfänge
6.3 Und später im Leben?
6.4 Das Kleinhirn
6.5 Connectivity – Verbindungsmuster
6.6 Spiegelneuronen
6.7 Ausblick
6.8 Literatur
7 Frühe Erfolge bei der Suche nach den Genen
7.1 Autismus und molekulare Genetik
7.2 Glückliche Funde
7.3 Andere Synapsenproteine
7.4 Synaptopathie
7.5 Autistische Mäuse
7.6 Weitere Knockouts
7.7 Nützliche Knockouts
7.8 Nicht nur Synapsen-Gene
7.9 Ausblick
7.10 Literatur
8 Rett-Syndrom und Autismus-Spektrum
8.1 Was ist ein Syndrom?
8.2 Der Namensgeber: Andreas Rett
8.3 Verläufe
8.4 Gene auf dem X-Chromosom
8.5 Hintergründe
8.6 Knockouts
8.7 Was macht das Rett-Protein?
8.8 Therapieversuche: induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC)
8.9 Fazit
8.10 Literatur
9 Das zerbrechliche X-Chromosom
9.1 James Martin und Julia Bell
9.2 Phänotyp
9.3 Das Gen
9.4 Modifizierende Gene
9.5 Genotyp FMR1 und Phänotyp FXS
9.6 Das FMR-Protein
9.7 Spezielle mRNA-Arten
9.8 Schlussfolgerungen und Ausblicke
9.9 Literatur
10 Autismus bei tuberöser Sklerose
10.1 Tuberöse Sklerose
10.2 Gene
10.3 Der Zweierkomplex und die Synthese von Proteinen
10.4 Knockout-Mäuse
10.5 Schlussfolgerungen
10.6 Literatur
11 Ubiquitin, Angelman und Autismus-Spektrum
11.1 Optimale Mengen
11.2 Entdeckung und Vorkommen
11.3 Die Funktion des UBE3A-Proteins
11.4 Knockouts
11.5 Fazit
11.6 Literatur
12 Genotyping: DNA-Chips und das Durchsuchen ganzer Genome
12.1 Risikogene
12.2 Genomweite Assoziationen
12.3 Konsortien
12.4 Ein erster Treffer: seltene Varianten eines einzelnen Gens
12.5 Wechselnde Ergebnisse
12.6 Noch mehr GWAS
12.7 Grenzen der Methode
12.8 Copy Number Variations
12.9 Erblichkeit
12.10 Fazit
12.11 Literatur
13 Genom, Exom und Epigenetik
13.1 DNA-Sequenzierung in der Autismus-Forschung
13.2 Familien
13.3 Exom-Sequenzierungen
13.4 Alter des Vaters
13.5 Gene
13.6 Welche Gene?
13.7 Neu versus ererbt
13.8 Promotor
13.9 Epigenetik
13.10 Methylierungen
13.11 Verhaltensformen
13.12 Epigenetik und Autismus-Spektrum
13.13 Geschlechtshormone
13.14 X-gekoppelte Vererbung
13.15 Ausblick: das Sequenzieren ganzer Genome
13.16 Literatur
14 Bestandsaufnahme: molekulare Genetik des Autismus
14.1 Komplexe Wechselwirkungen
14.2 Wie viele Gene sind beteiligt?
14.3 Erbgänge
14.4 Welche Gene?
14.5 Wahrscheinlichkeiten und Plausibilitäten
14.6 Wechselwirkungen
14.7 Expression von Genen im Gehirn
14.8 Diagnostische Hilfen
14.9 Behandlungen und Medikamente
14.10 Zusammenfassung
14.11 Literatur
15 Glossar genetischer Begriffe
16 Weiterführende Literatur
Autorenvorstellung
Anschriften
Impressum
Die Forschungen über Autismus begannen im Jahre 1943 mit einem 34-seitigen Aufsatz in der damals bekannten Fachzeitschrift The Nervous Child. Die Absicht der Zeitschrift geht besser aus dem Untertitel hervor: Quarterly Journal of Psychopathology, Mental Hygiene and Guidance of Child. Sie erschien in den Jahren 1941 bis 1956 in Baltimore. Später wurde sie neu herausgegeben unter dem damals als zeitgemäßer empfundenen Titel: Journal of Autism and Child Schizophrenia. Seit 1978 heißt sie Journal of Autism and Developmental Disorders. Die Wechsel im Titel der Zeitschrift sind erwähnenswert, weil sie den Wandel in der Haltung der Psychiater, Psychologen und Erzieher wiedergeben. Ging es zunächst um das schwererziehbare „nervöse“ Kind, das besonderer Führung und Leitung bedarf (guidance), standen danach die Ursachen für dieses Verhalten im Mittelpunkt: Autismus und Schizophrenie, die als neu erkannte Krankheitsbilder in der Kinderpsychiatrie angesehen wurden. Seit Ende der 1970er-Jahre möchte man Assoziationen mit Krankheiten vermeiden. Man spricht deshalb von Entwicklungsstörungen (developmental disorders). Der Wechsel im Titel lässt den jeweils herrschenden medizinischen und psychologischen Zeitgeist erkennen, aber auch Fortschritte in Wissen und Kenntnissen. Wir werden darauf zurückkommen.
Zurück ins Jahr 1943. Der genannte Aufsatz erschien unter dem Titel „Autistic Disturbances of Affective Contact“ und wurde verfasst von Leo Kanner, Professor der Kinderstation der Psychiatrieklinik des Johns-Hopkins-Hospitals in Baltimore, Maryland. Er gilt als einer der Erstbeschreiber des kindlichen Autismus.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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