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Aus der Reihe »autismus verstehen« beschreibt Band 1 das Bedürfnis autistischer Kinder und Jugendlicher sich mit Themen in einem ganz besonderem Maße zu beschäftigen: Diese Spezial-Interessen dienen nicht allein der Ansammlung von Wissen, sondern stellen einen Ort dar, an dem sich Autistinnen und Autisten auskennen und der ihnen hilft, etwa nach stressbeladenen Schultagen wieder zur Ruhe zu kommen.
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Seitenzahl: 61
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Worum geht es?
Autismus und Spezial-Interesse
I.1 Intro
I.2 Autismus. Autismen. Autismus-Spektrum.
Spezial-Interessen aus pädagogischer Sicht
II.1 Das Spezial-Interesse wahrnehmen
II.2 Spezial-Interessen helfen und sind funktional
II.3 In Kita, Schule und Unterricht
II.4 Vom Nutzen der Arbeit in Gruppen
II.5 Wenn das Spezial-Interesse nervt
II.6 Was Lehrkräfte tun können: Die „3 Bs“
II.7 Geheimhaltung?
II.8 Wenn das Spezial-Interesse unpassend ist
II.9 Und die Berufswahl?
Verwendete Literatur:
Anhang:
Autistische Kinder und Jugendliche zeigen oft Interesse für ein ganz spezielles Sachgebiet oder für bestimmte Phänomene: Sie bringen dann ihre Mitschüler oder Erzieher zum Erstaunen, wenn sie beispielsweise die Spurweiten der verschiedenen Eisenbahnen nennen können oder wissen, warum es "drölfzig" Typen an Batterien gibt und wofür diese eingesetzt werden, auch bei Jahreszahlen, Tierarten und anderen Daten können sie wandelnden Lexika gleichen.
Derartige Spezial-Interessen helfen dem Kind, etwas zu haben, einen Themenbereich, einen Ort, an dem sie sich auskennen und an dem sie sicher sind, mit dem, was sie sich an Wissen über einen Teil der Welt erschlossen haben. Neben diesem funktionalen Aspekt können Spezial-Interessen auch für Erzieher und Lehrkräfte interessant sein: Sie sind eine gute Gelegenheit mit dem autistischen Kind ins Gespräch zu kommen. Auch lassen sich möglicherweise Themen für den Unterricht finden. Mit dieser Handreichung werde ich das Thema Autismus und mögliche Spezial-Interessen und allem voran die damit verbundenen Chancen in Kindergarten und KiTa und insbesondere für Schule und Unterricht bekannter machen. Denn nach wie vor werden etwa die Besonderheiten in der Wahrnehmung und ein gewisser „Tunnelblick“ im sozialen Miteinander oder eben spezielle und intensiv betriebene Interessen defizitorientiert betrachtet.
An dieser Stelle möchte der Verfasser ansetzen:
Wie kann ich im Umgang mit autistischen Kindern unterstützen?
Wie finde ich passende Wege für das Kind und je nach Kontext angemessene Formen des Miteinanders?
Und da es kein „One size fits it all“ gibt in der Begleitung autistischer Kinder: Wie kann ich mein Handeln an den Bedürfnissen und Stärken ausrichten und auf diese Weise begründen, was ich tue, das heißt: wie kann ich souverän handeln?
Und allem voran sollen die aus der Praxis stammenden bzw. im Unterricht beobachteten Ideen und Methoden die Chancen für die Teilhabe autistischer Kinder und Jugendlicher aufzeigen.
So ist dieses Büchlein nicht als Ergänzung oder gar als Ersatz für eine Fortbildung „Autismus und Schule“ anzusehen, es will auch nicht aus Lehrkräften Fachkräfte für Inklusion machen. Es möchte einfach Wege aufzeigen, wie autistische Kinder und Jugendliche in Kita und Schule mit ihren Beeinträchtigungen und Vorlieben angenommen und willkommen
Immerhin verbringen sie hierzulande einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Kita und Schule.
Ein „Danke schön!“ geht
an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an meiner Umfrage zum Thema „Autismus und Schule“
an die Referendarinnen, die Fragen zum Thema Autismus in Schule und Unterricht stellten und mir damit die Idee zu einer Schriftenreihe „einpflanzten“ (Mit diesem Büchlein ist der erste Schritt getan)
an diejenigen Kolleginnen in der Schulbegleitung, die mich dann und wann vom Schreibweg tisch oder aus dem Schulgebäude geholt haben
an alle Unterstützer, die mir im Frühling und Sommer 2021 die Auswertung der genannten Umfrage und die Arbeit an dieser Schrift überhaupt erst möglich gemacht haben.
Allgemein bezeichnet man als Spezial-Interesse eine sehr intensive, in aller Regel auch altersunüblich betriebene Beschäftigung mit einem Thema: das kann ein Sachgebiet, Interesse für bestimmte Gegenstände, aber auch für eine Person und deren Werk und Wirken sein. Autistische Kinder und Jugendliche zeigen oft ein derartiges Interesse für ein ganz spezielles Sachgebiet oder Phänomen: Es darf schon erstaunen, wenn ein Grundschulkind die Spurweiten der verschiedenen Eisenbahnen nennen kann oder welche Batterie-Typen es gibt und warum es überhaupt "drölfzig" verschiedene Typen gibt und wo man sie einsetzt. Auch historische Abläufe, Zahlen, Daten und Fakten können autistische Kinder und Jugendliche "nachhaltig" faszinieren ....
Die Beispiele zeigen, dass sich autistische Kinder mehr als gerne und fast ausschließlich mit einem Thema beschäftigen und dabei fokussiert bei der Sache bleiben können.
Es gibt nicht nur die eben beschriebene Fokussierung auf ein Lieblingsthema, das Spezial-Interesse. Autistische Kinder und Jugendliche können andere Themen, Aufgaben und Projekte, die sie faszinieren, aber auch in der Schule aufgetragen bekommen, rigide, ja „verbissen“ bearbeiten und darüber die übrigen Anforderungen im Schulalltag oder im Familienleben vergessen:
„Wir setzen unsere Prioritäten häufig ganz anders als es von der Schule erwartet wird. Zum einen verfolgen wir […] hartnäckig ein einmal gesetztes Ziel, zum anderen fällt es uns schwer uns mit verschiedenen Dingen zur gleichen Zeit zu beschäftigen. Besonders wenn ein bestimmtes Thema unser Interesse geweckt hat. Wir haben manchmal wenig Einsicht dafür, dass auch andere Sachen erledigt werden müssen als das, was uns gerade wichtig erscheint.“ (Carstensen 2009, 20)
Bisweilen vergessen Autistinnen und Autisten auch im Erwachsenenalter über ihr Lieblingsthema Essenszeiten, Verabredungen, Termine, zu erledigende Aufgaben – oder dass sie sich gerade in einer Gruppe von Menschen befinden, die sie mit ihrem Thema "zutexten"!
„Einige Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung reden
ununterbrochen über ihre Lieblingsthemen.“
(Brita Schirmer, schreibt zum Thema Autismus
und verfasste einen Ratgeber für Eltern und Erzieher)
Das bedeutet: Neben positiven Aspekten, die echte Chancen für die Entwicklung enthalten, finden sich auch störende Aspekte oder „Schattenseiten“. Diese werden nicht verschwiegen, stehen jedoch nicht im Mittelpunkt dieser Abhandlung. (Auf sie wird besonders in den Abschnitten II.5, II.8 und II.9 eingegangen.)
Bevor wir uns jedoch den Facetten des Themas „Spezial-Interesse“ zuwenden, erfolgt eine kurze Einführung zur Frage „Was ist Autismus?“:
Autismus gibt es nur im Plural. Das bedeutet: Es begegnen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Diagnosen. Diese Diagnosen oder unterschiedlichen "Autismen" werden inzwischen zu einem Sammelbegriff – "Autismus-Spektrum" – zusammengefasst.
Viele Menschen können mit dem Begriff Spektrum nur wenig bis gar nichts anfangen. Daher wird an dieser Stelle exemplarisch eine Übersicht über zwei verschiedene "Autismen" geboten. Das soll die Bandbreite der Besonderheiten in der Wahrnehmung und im Verhalten andeuten:
Lange Zeit galt der frühkindliche Autismus als der eigentliche Autismus und das Asperger-Syndrom wurde „als Variante des Autismus verstanden ..., die ähnliche genetische Ursachen und ähnliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Gehirn und Verstand hat, sich aber in anderen Verhaltensweisen äußert. Das nehmen wir zumindest heute an.“ (Frith 2013, 59)
Stellt man die Beeinträchtigungen des Asperger-Syndroms denen des eigentlichen Autismus gegenüber, so treten die unterschiedlichen Bedürfnisse ebenso deutlich hervor wie die Notwendigkeit einer völlig unterschiedlichen Art und Weise der Begleitung etwa in der Kita oder im Rahmen der schulischen Inklusion:
Asperger-Autismus
Kanner-Autismus
auffällige Verhaltensweisen zeigen sich etwa ab dem 3. Lebensjahr, Diagnose oft erst im Grundschulalter
Auffälligkeiten i.d.R. in den ersten Lebensmonaten, Diagnose i.d.R. im Krippen-/Kindergartenalter oder noch später
intellektuell gute bis überdurchschnittl. Entwicklung, häufig Spezial-Interessen, vereinzelt Hochbegabung
häufig lebenslang auf unterstütz. Hilfen angewiesen, i.d.R. Sonderbeschulung
Oft sensorische Über- /Unterempfindsamkeit gegen- über Reizen
Oft sensorische Über-/Unterempfindsamkeit gegenüber Reizen
Soziale Situationen verursachen Schwierigkeiten, von großem Stress bis zu Angst, lassen sich jedoch über die Jahre "meistern"
große Schwierigkeiten in sozialen Situationen (Panik, Rückzug, Abkapselung)
keine bis leichte Verzögerungen der Sprachentwicklung, oft erstaunl. Wortschatz, bisweilen pedantische Redeweise, Missverständnisse angesichts idiomatischer Formulierungen (Redewendungen, Sprichwörter o. ä. )
verzögerte Sprachentwicklung, mitunter tritt Mutismus auf
motorisch ungeschickt oder unbeholfen
keine motorischen Einschränkungen
nicht psychisch bedingt und nicht Folge einer falschen Erziehung!
nicht psychisch bedingt und nicht Folge einer falschen Erziehung!
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