Autogenes Training - Hartmut Kraft - E-Book

Autogenes Training E-Book

Hartmut Kraft

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Beschreibung

Autogenes Training verhilft zu einem tiefgreifenden Verständnis und Erleben der körperlich-seelischen Wechselwirkungen im Alltag, in Stress-Situationen sowie bei psychischen und psychosomatischen Krankheitsbildern. Die 6. Auflage des Standardwerkes vermittelt das gesamte Praxiswissen des Autogenen Trainings: Von der Grundstufe über Kurse für Fortgeschrittene bis hin zur Autogenen Imagination, der sogenannten analytischen Oberstufe des Autogenen Trainings, gibt es Einblick in die psychosomatischen Zusammenhänge, Störungsquellen und liefert eine ausführliche methodisch-didaktische Darstellung der Übungen. Es ist ein bewährter Begleiter beim Erlernen des Autogenen Trainings, indem es eine vertiefende Lektüre zu den Wirkungsweisen eröffnet und detaillierte Möglichkeiten aufzeigt, eventuell auftretende Schwierigkeiten bei einzelnen Übungen zu verstehen und zu beheben. Darüber hinaus erhalten Lehrende umfangreiche Informationen zu psychosomatischen Krankheitsbildern und zu psychodynamischen Aspekten bei der Vermittlung der Methode im Einzel- oder Gruppenunterricht. Neben Hinweisen zu Supervision und Weiterbildung gibt das Buch außerdem Abrechnungstipps für die therapeutische Praxis.

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Seitenzahl: 437

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Hartmut Kraft

Autogenes Training

Grundlagen, Technik, Anwendung

6. Auflage

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Prof. Dr. med. Hartmut Kraft

An der Ronne 196

50859 Köln

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Unterbaumstr. 4

10117 Berlin

www.mwv-berlin.de

ISBN 978-3-95466-891-5 (eBook: PDF)

ISBN 978-3-95466-892-2 (eBook: ePub)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2024

Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

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Die Verfassenden haben große Mühe darauf verwandt, die fachlichen Inhalte auf den Stand der Wissenschaft bei Drucklegung zu bringen. Dennoch sind Irrtümer oder Druckfehler nie auszuschließen. Der Verlag kann insbesondere bei medizinischen Beiträgen keine Gewähr übernehmen für Empfehlungen zum diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen oder für Dosierungsanweisungen, Applikationsformen oder ähnliches. Derartige Angaben müssen vom Leser im Einzelfall anhand der Produktinformation der jeweiligen Hersteller und anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Eventuelle Errata zum Download finden Sie jederzeit aktuell auf der Verlags-Website.

Produkt-/Projektmanagement: Anna-Lena Spies, Berlin

Lektorat: Monika Laut-Zimmermann, Berlin

Layout, Satz und Herstellung: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin

Cover: © Adobe Stock: Robert Kneschke

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Zuschriften und Kritik an:

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]

Vorwort zur 6. Auflage

Nach seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1982 erscheint das vorliegende Buch nun in seiner 6. Auflage. Von Auflage zu Auflage wurde der Text ergänzt und aktualisiert, während das Grundkonzept unverändert beibehalten wurde. Das Buch ist ein Begleiter beim Erlernen des Autogenen Trainings, indem es eine vertiefende Lektüre zu den Wirkungsweisen dieses „Basispsychotherapeutikums“ eröffnet und detaillierte Möglichkeiten aufzeigt, eventuell auftretende Schwierigkeiten bei einzelnen Übungen zu verstehen und zu beheben. Lehrende im Autogenen Training erhalten darüber hinaus u. a. umfangreiche Informationen zu psychosomatischen Krankheitsbildern und zu psychodynamischen Aspekten bei der Vermittlung der Methode im Einzel- oder Gruppenunterricht.

Entsprechend der Entwicklung in den letzten zehn Jahren wurde das 6. Kapitel zu „Fachgesellschaften, Weiterbildungsrichtlinien und Abrechnungsfragen zum Autogenen Training“ überarbeitet und das Literaturverzeichnis aktualisiert. So bleibt dieses Buch auch nach über vier Jahrzehnten weiterhin ein bewährter und aktueller Begleiter und Ratgeber für Lernende und Lehrende im Autogenen Training.

Köln, im März 2024

Prof. Dr. med. Hartmut Kraft

Vorwort zur 5. Auflage

Dieses Buch zum Autogenen Training (A.T.) erschien erstmalig 1982. Seitdem hat es in einem wachsenden Konkurrenzumfeld seinen Weg gemacht, ist immer wieder überarbeitet und neu aufgelegt worden. Mehr als 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung liegt nun die 5., aktualisierte und erweiterte Auflage vor. Diese Publikation ist dem Engagement des Verlegers Dr. Thomas Hopfe von der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft in Berlin zu verdanken. Er hat das Buch ab dieser Auflage in das Programm des Verlages aufgenommen.

Die Grundidee des Buches hat sich über Jahrzehnte als tragfähig erwiesen: Es geht um eine sowohl praxisnahe als auch theoretisch fundierte Einführung in das Autogene Training. Dieses Buch ist ein praxisorientierter Begleiter beim Erlernen wie auch beim Vermitteln des A.T. Die Leser des Buches haben viele unterschiedliche Erwartungen und stellen dementsprechend auch unterschiedliche Anforderungen an ein solches Buch:

Sie wollen sich gezielt über den Ablauf der Grundstufe des A.T. informieren?Dann lesen Sie Kapitel 2 „Grundstufe (Unterstufe)“.

Sie möchten nicht nur das A.T. erlernen, sondern auch die Grundlagen dieser Methode kennenlernen? Dann greifen Sie zurück auf Kapitel 1 „Grundlagen des A.T.“.

Sie möchten wissen, wie Sie mit eventuell auftretenden Schwierigkeiten beim Erlernen des A.T. umgehen sollen? Antworten finden Sie unter den Überschriften „Hilfestellungen“ und „Störungen“ zum Abschluss jeder der Grundstufenübungen in Kapitel 2.

Sie möchten wissen, wie es nach Erlernen der Grundstufe des A.T. weitergehen kann? Antworten finden Sie in Kapitel 3 „Autogenes Training für Fortgeschrittene (Mittelstufe)“ und in Kapitel 4 „Autogene Imagination“.

Sie möchten die Unterschiede zwischen „Oberstufe des A.T.“, „Aktiver Imagination“, „Autogener Imagination“ sowie „Katathym-Imaginativer Psychotherapie“ verstehen? Kurze Charakterisierungen dieser und auch noch anderer Verfahren finden Sie in Kapitel 4 unter den Überschriften „Zum Vergleich: Methodisch-didaktische Darstellungen der Oberstufe des A.T.“ sowie „Verwandte Verfahren“.

Den Antworten auf diese und viele andere Fragen ist dieses Buch gewidmet, das sich in erster Linie an zukünftige und praktizierende Kursleiter wendet. Das A.T. hat seinen festen Platz in der Psychotherapie wie auch in der Gesundheitsvorsorge an Volkshochschulen, in ärztlichen und psychologischen Praxen sowie in Kliniken.

Im Laufe der Jahrzehnte, die dieses Buch auf dem Markt ist, hat sich aber auch herausgestellt, dass viele Laien das Buch als verlässlichen Begleiter beim Erlernen des A.T. zu schätzen wissen, gerade wenn sie sich aus eigenem Interesse tiefer in psychosomatische Zusammenhänge einarbeiten möchten. Die ausführlichen Besprechungen der Übungen der Grundstufe stoßen hier auf großes Interesse.

Neu aufgenommen in diese Auflage wurden „Fragen zum Autogenen Training“. In etwas anderer Form gab es sie auch schon in der 1. Auflage 1982. Inzwischen ist das Beantworten von Fragen zur Selbstkontrolle und zur Weiterbildung fester Bestandteil der Fort- und Weiterbildung für niedergelassene Ärzte und Psychologen. Wer mag, der kann sich von den Fragen zum Ende eines jeden Kapitels anregen lassen, das Gelesene noch einmal zu überdenken. Auf vorformulierte Antworten im Rahmen eines Multiple-choice-Systems wurde allerdings verzichtet.

Als Autor bin ich zuversichtlich, dass auch diese 5. Auflage auf das gleiche große Interesse treffen wird wie die inzwischen längst vergriffenen vorausgegangenen Ausgaben dieses Buches.

Prof. Dr. med. Hartmut Kraft

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

1Grundlagen des Autogenen Trainings

1.1Die Stellung des A.T. in der Therapeut-Patient-Beziehung

1.2Geschichtliche Entwicklung

1.3Wirkungsweise

1.4Indikationen und Kontraindikationen

1.5Die Stellung des A.T. (Grundstufe) in der psychosomatischen Medizin

1.6Möglichkeiten des Missbrauchs

1.7Methodisch-didaktische Aspekte in der strukturierend-stützenden Vermittlung des A.T.

1.8Psychodynamische Aspekte der offenen, analytisch orientierten Vermittlung des A.T.

1.9Wirksamkeitsnachweise

2Grundstufe (Unterstufe)

2.1Die Einführung in das A.T.

2.2Schwereübung

2.3Wärmeübung

2.4Atemübung (das „passive Atemerlebnis“)

2.5Herzübung (das „passive Herzerlebnis“)

2.6Sonnengeflechtsübung

2.7Stirnkühleübung (die „relative Stirnkühle“)

2.8Verwandte Verfahren zur Grundstufe des A.T.

2.9Kombinationsmöglichkeiten der Grundstufe mit anderen Verfahren

3Autogenes Training für Fortgeschrittene (Mittelstufe)

3.1Ziele und Inhalte der Kurse für Fortgeschrittene (Mittelstufe)

3.2Durchführung der Kurse

4Autogene Imagination, die sog. analytische Oberstufe des Autogenen Trainings

4.1Zur Nomenklatur

4.2Voraussetzungen, Indikationen und Kontraindikationen

4.3Physiologische Grundlagen

4.4Theorie und Praxis der Autogenen Imagination

4.5Zum Vergleich: Methodisch-didaktische Darstellungen der Oberstufe des A.T.

4.6Verwandte Verfahren

4.7Transpersonale Aspekte beim A.T.

5Autogenes Training – Supervision

5.1Vermittlungsstil

5.2Lösung spezieller Probleme bei Übenden

5.3A.T. bei psychosomatischen Erkrankungen

5.4Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand

5.5Gruppendynamik

6Fachgesellschaften, Weiterbildungsrichtlinien und Abrechnungsfragen zum Autogenen Training

6.1Fachgesellschaften für A.T. und verwandte Verfahren

6.2Weiterbildung im A.T

6.3Abrechnungsfragen

Literatur

Sachwortverzeichnis

Der Autor

1Grundlagen des Autogenen Trainings

1.1Die Stellung des A.T. in der Therapeut-Patient-Beziehung

Es gibt keine „psychotherapeutischen Methoden an sich“ mit diesen oder jenen Erfolgen und Misserfolgen, sondern immer nur die Anwendung einer bestimmten Methode durch eine bestimmte Person in Absprache mit derjenigen Person, die der Adressat des anzuwendenden Verfahrens ist. Eigentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit und beinahe schon eine Banalität. Und trotzdem: Selbst ein nur oberflächlicher Blick in die medizinische Fachliteratur zeigt, dass der „subjektive Faktor“, der ursprünglich von Freud mit der psychoanalytischen Behandlungstechnik in die Medizin eingeführt wurde [vgl. hierzu auch Weizsäcker, 1947], oft nur ungenügend oder gar nicht berücksichtigt wird.

Auf das Autogene Training (A.T.) bezogen gilt es also – vor einer Anwendung und Vermittlung der Methode – darüber zu reflektieren, welche Stellung dem A.T. in der Beziehung zwischen Therapeut und Patient zukommt. Die Antwort darauf kann nicht einheitlich ausfallen. Ich möchte stattdessen 2 Schwerpunkte in der Art der Vermittlung herausstellen, die sich in dieser Form auch durch das ganze Buch hindurch ziehen und seine Eigenart bestimmen. Die Vermittlung des A.T. beginnt nicht im „Grundstufenkurs für das A.T.“, sondern im ersten Gespräch, das Therapeut und Patient miteinander über das A.T. als Therapieangebot führen.

Je nach Überzeugung, Ausrichtung und Ausbildung des Therapeuten sowie seiner Fähigkeit zur Wahrnehmung der Bedürfnisse der Patienten fällt hier zumeist schon die Entscheidung über eine strukturierend-stützende Vermittlung einerseits oder über eine offene, analytisch orientierte Vermittlung andererseits.

Im konkreten Fall kann z.B. der Therapeut dem Patienten das A.T. als alleiniges Therapieangebot oder auch als Einstieg in eine umfassendere psychotherapeutische Behandlung vorschlagen und ihm vermitteln, dass er dies als Therapeut für die Methode der Wahl halte, gute Erfahrungen in vergleichbaren Fällen gemacht habe, gute Chancen bei diesen Beschwerden sehe, kurzum: Das A.T. sei genau das richtige therapeutische Verfahren und zudem eines, mit dem der Patient seine eigene Sache selbst zu vertreten lerne. Dies entspräche, in pointierter Form dargestellt, dem strukturiert-stützenden Einstieg in die Vermittlung des A.T. Eine derartige Vorgehensweise hat den Vorteil, einem Patienten, der sich stark verunsichert fühlt, einen Halt zu geben, ggf. seinen starken anaklitischen (anklammernden) und depressiven Bedürfnissen zu entsprechen. Das Verhalten des Therapeuten wäre hier also als empathische Reaktion auf die von ihm gespürten oder auch vom Patienten direkt zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse zu verstehen. Der hierbei in Kauf genommene Nachteil besteht darin, dass nach der Entscheidung für diesen Vermittlungsstil das subtile Geschehen von Übertragung und Gegenübertragung in einer spezifischen Weise vorstrukturiert ist.

Durchaus anders gestaltet sich der Einstieg in eine offene, analytisch orientierte Vermittlung des A.T. Der Therapeut wird sich neutraler und zurückhaltender verhalten, sofern er erkennen kann, dass der Patient in konstruktiver Weise mit diesem non-direktiven Angebot umzugehen vermag. Auf diese Weise wird mehr Raum gegeben für die aus unbewussten Ängsten und Beziehungsmustern heraus sich spontan ergebende Art einer Übertragungsbeziehung. Eine solche Übertragungsbeziehung erreicht zwar nicht die Intensität einer Übertragungsneurose wie im klassischen psychoanalytischen Setting, erlaubt aber doch einen sehr weitgehenden Einblick in die unbewussten Konflikte des Patienten. So kann z.B. die Reaktion eines Patienten auf das Angebot des A.T. als eines autosuggestiven Verfahrens bereits sehr aufschlussreich sein. Übergeht der Patient dieses Angebot oder fragt er nach? Ist es ihm wichtig, ob der Therapeut selbst das A.T. vermittelt oder ihn an einen anderen Therapeuten verweist? Ist eher eine Neugier oder eine ängstliche Zurückhaltung gegenüber dem Neuen und Unbekannten zu spüren? Und was sagt das ggf. aus im Hinblick auf die Beschwerden und deren Genese, die den Patienten zum Therapeuten geführt haben? (Vgl. hierzu Kap. 1.8)

Entsprechend der zum großen Teil psychoanalytisch orientierten psychotherapeutischen Weiterbildung in der Bundesrepublik Deutschland kommt der offenen, analytisch orientierten Art der Vermittlung des A.T. eine zunehmend größere Bedeutung zu. Sie hat den Vorteil, die unpassende und doch sich zäh haltende Unterscheidung von „zudeckender“ und „aufdeckender Therapie“ zu überwinden, die sich auch heute noch in der Überzeugung wiederfindet, dass analytisch orientierte Psychotherapie und A.T. unvereinbar seien (vgl. hierzu auch Kap. 2.9). Diese Auffassung trifft allenfalls auf die strukturierend-stützende Vermittlung des A.T. zu, obwohl auch bei Kennzeichnung dieses Schwerpunkts des Vermittlungsstils im weiteren Verlauf noch Übergänge zu einer mehr analytisch orientierten Arbeit möglich sind. Die offene, analytisch orientierte Vermittlung des A.T. führt nicht nur zu einer Integration des A.T. in psychodynamische Betrachtungsweisen, sondern enthält umgekehrt auch die Aufforderung an eine sich oft als „orthodox“ verstehende Psychoanalyse, den „unbeachteten Körper auf der Couch“ [Moser, 1987] wieder in das psychoanalytische Denken und Handeln zu integrieren [vgl. hierzu auch Becker, 1981; Müller-Braunschweig, 1986, 1987; Pesso, 1986]. Auf diesem Gebiet ist inzwischen eine erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen [vgl. z.B. Küchenhoff, 1995; Plassmann, 1993].

1.2Geschichtliche Entwicklung

Der Begründer des A.T., Schultz, wurde am 20. Juni 1884 in Göttingen geboren. Er habilitierte sich 1915 für das Fach Neurologie und Psychiatrie in Jena, wo er einige Jahre später zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt wurde. Nachdem er in verschiedenen Positionen und Institutionen gearbeitet und u.a. 9 Jahre das „Berliner Institut für Psychotherapie“ geleitet hatte, ließ er sich als Nervenarzt in freier Praxis in Berlin nieder. Hier starb er am 19. September 1970.

Im umfangreichen Lebenswerk von Schultz (ca. 400 Publikationen) nimmt das A.T. die herausragende Stellung ein. Zur Entwicklung seiner Vorstellungen, gerade auch in Weiterführung wesentlicher Ansätze von Vogt (1870-1959), schreibt Schultz selber: „Die Konzeption der diesem Verfahren zu Grunde liegenden Anschauungen reicht ziemlich weit zurück; sie wurde in den Jahren 1908-1912 vollzogen, es waren namentlich Arbeiten von Oskar Vogt, die mir damals den Blick für die in Frage stehenden Möglichkeiten öffneten. Vogt hat in seinen grundlegenden hypnotischen Studien darauf hingewiesen, dass es bei gebildeten und kritischen Versuchspersonen angängig sei, die Umschaltung in den hypnotischen Ausnahmezustand der Selbstentscheidung der Versuchspersonen zu unterstellen, und teilte eine Reihe von Beobachtungen mit, nach denen Versuchspersonen der geschilderten Art in der Lage waren, sich selbst durch eine Ganzumschaltung in den hypnotischen Zustand zu versetzen, eine Autohypnose bei sich herbeizuführen. Vogt betonte schon damals (1893-1900) die praktische Bedeutung dieser Befunde und konnte neben Allgemeinwirkungen positiver Art insbesondere auch die erhöhte Fähigkeit seiner Versuchspersonen zu aufklärender psychologischer Selbstbeobachtung dartun“ [Schultz, 1932, 1987].

Schultz ging also, wie die meisten anderen damals psychotherapeutisch tätigen Nervenärzte, von der Hypnose aus. Es war ihm aufgefallen, dass in den Berichten seiner Hypnose-Patienten folgende Angaben häufig wiederkehrten: Schwere- und Wärmeerlebnisse in allen Gliedmaßen, ein Gefühl der Ruhigstellung von Herz und Atmung. Diese körperlichen Empfindungen liefen zu den aus der Hypnose bekannten Empfindungen der Entspannung, der angenehmen Müdigkeit, der Angstfreiheit und Ausgeglichenheit parallel. Während andere Hypnoseärzte die Angaben über körperliche Empfindungen als Nebenerscheinungen der Hypnose abtaten, stellte Schultz sie in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Er gelangte zu der Überzeugung, dass durch ein Herbeiführen dieser „Nebenerscheinungen“ ein der Hypnose vergleichbarer Zustand zu erreichen sei. Erste Ansätze zu dieser Entwicklung von der Hypnose als einem passiv-autohypnoiden Verfahren zum A.T. als einem aktiv-autohypnoiden Verfahren finden sich bereits in seiner 1920 erschienenen Arbeit „Über Schichtenbildung im hypnotischen Selbsterleben“ [Schultz, 1920], auf die er später immer wieder gerne Bezug nahm [s. hierzu auch Langen, 1976]. Am 3. März 1926 berichtete Schultz in einem Vortrag in der Medizinischen Gesellschaft in Berlin erstmalig öffentlich über seine neue Methode, die er damals „Autogene Organübungen“ nannte [Schultz, 1926]. 1927 bezeichnete er sie als „Rationalisiertes autosuggestives Training“ [Schultz, 1927], bis dann im Jahre 1928 erstmalig der Name „Autogenes Training“ verwendet wurde [Schultz, 1928]. Das grundlegende Werk von Schultz „Das Autogene Training – konzentrative Selbstentspannung“ erschien 1932; es liegt, von seinem Verfasser bis zu seinem Tode 1970 mehrfach ergänzt und überarbeitet, jetzt in 18. Auflage vor. Schultz fasst hier seine Entwicklungsschritte von der Hypnose zum A.T. und damit das Grundprinzip des A.T. folgendermaßen zusammen: „Lag es doch bei dieser Auffassung nahe, den bei der Fremdhypnose spontan und nur teilweise kontrolliert ablaufenden Vorgang der Entspannung zum Gegenstand systematischer übender Versuche zu machen. Bestand die Annahme zu Recht, dass in der Entspannungskomponente nicht, wie ältere schematischdualistische psychologische Auffassungen meinten, lediglich eine ‚Begleiterscheinung‘, sondern ein wesentliches Moment zu Tage trat, so musste erwartet werden, dass richtig angesetzte und systematische Entspannungsübungen die gewünschte Umschaltung herbeiführen mussten. Dies ist im eigentlichen Sinne das Prinzip unseres Trainings.“ [Schultz, 1932]

In den 60er- und 70er-Jahren fand das A.T. eine weite Verbreitung, worauf die Vielzahl der erschienenen populär-wissenschaftlichen Bücher ein deutlicher Hinweis ist [Binder, 1964, 1972; Brenner, 1978; Eberlein, 1973; Krapf, 1973; Rosa, 1973; Thomas, 1967].

Neben der psychotherapeutischen Anwendung im engeren Sinne richtete sich das Interesse zunehmend auch auf die der Methode eigenen psychohygienischen Möglichkeiten. Die Vorträge und Kurse an Volkshochschulen und vergleichbaren Institutionen haben viel zur Kenntnis und Anerkenntnis des Verfahrens in breiten Kreisen der Bevölkerung beigetragen. Trotzdem bestehen z.T. noch sehr unklare und falsche Vorstellungen. Sie reichen von magischen Vorstellungen, die das A.T. in die Nachbarschaft des Spiritismus rücken, bis hin zu der Vorstellung, das A.T. sei ein Sport. Vielen ist auch unbekannt, dass das A.T. seit Jahren zu den von den Krankenkassen als psychotherapeutisches Verfahren anerkannten und damit honorierten ärztlichen und psychologischpsychotherapeutischen Leistungen gehört.

Seine Anerkennung und Würdigung als ein zentrales psychotherapeutisches Verfahren erhielt das A.T. schließlich auch noch durch die 1981 verabschiedeten Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern in der Bundesrepublik Deutschland, worin für den Zusatztitel „Psychotherapie“ wie auch „Psychoanalyse“ der Nachweis eigener Kenntnisse und Erfahrungen mit dem A.T. gefordert wird. Die Anzahl der geforderten Doppelstunden variiert bei den einzelnen Ärztekammern (ca. 20 Doppelstunden).

Mitte der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts geriet die Rolle der Psychotherapeuten und Psychoanalytikers während des Nationalsozialismus in die Diskussion. Dabei wurde von einigen Autoren auch das Verhalten von Schultz einer kritischen Betrachtung unterzogen [Cocks, 1985; Lockot, 1985]. Neben den Erinnerungen an einen gelassenen und humorvollen Menschen traten die Beschreibungen eines „cleveren Opportunisten, dessen Patriotismus und fachlicher Ehrgeiz ihn ohne weiteres Lippenbekenntnisse dem Regime gegenüber machen ließ“ [Lockot, 1985, S. 333]. Dies gilt nachlesbar vor allem für seinen „Vorschlag eines Diagnosen-Schemas“ [Schultz, 1940], worin er an die „Vernichtung von lebensunwertem Leben“ erinnert, „und der Hoffnung Ausdruck geben darf, dass die Idiotenanstalten sich bald in diesem Sinne umgestalten und leeren werden“ [Schultz, 1940, S. 112]. Außerdem äußert er sich in dieser Veröffentlichung zu den Erbgesetzen der Nationalsozialisten („... zum Segen unseres Volkes“, S. 123). Allerdings liegen keine Hinweise oder gar Beweise vor für eine Beteiligung von Schultz am Euthanasieprogramm.

Die Bewertung der Persönlichkeit des Begründers des A.T. ist zweifellos zwiespältig. Prägnant hat dies der Psychoanalytiker und bekannte Psychosomatiker Bräutigam [1984, S. 907] beschrieben: „In den Räumen (des ‚Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie‘ in Berlin) residierten meist Sanitätsoffiziere der Luftwaffe, z.B. J.H. Schultz, der als eleganter Oberstabsarzt und stellvertretender Leiter des Instituts die Fäden in der Hand hatte, wie ich später hörte, der auch den Zugang zu den verschlossenen psychoanalytischen Büchern eröffnen konnte. Er erschien mir als souveräne und wendige, für mich aber nicht durchsichtige und wenig hilfreiche Persönlichkeit.“

Zum Zeitpunkt dieser kritischen Stellungnahmen, die einen deutlichen Schatten auf das Bild des 1970 verstorbenen Schultz warfen, war das A.T. bereits ein in der Weiterbildungsordnung und den kassenärztlichen Leistungen fest verankertes und somit von seinem Begründer längst emanzipiertes Verfahren.

Das vorliegende Buch soll zukünftigen Kursleitern eine schnelle Orientierung und Einarbeitung in die Methodik und Didaktik des A.T. ermöglichen und dieses Basis-Psychotherapeutikum in diejenigen psychodynamisch relevanten Zusammenhänge hineinstellen, die zum Verständnis der Methode selbst wie auch ihrer spezifischen Wirkungsweise im Arzt-Patienten-Verhältnis notwendig sind (s. dazu besonders Kap. 1.5, 1.8, 2.9 und 4). Dieses Buch versteht sich nicht nur als ein Begleiter während des Lernens, sondern auch während des Lehrens und der praktischen Anwendung dieser Methode in der Arbeit mit Patienten und interessierten Klienten, die es im Sinne einer Psychohygiene verwenden wollen.

1.3Wirkungsweise

„Das Prinzip der Methode ist darin gegeben, durch bestimmte physiologischrationale Übungen eine allgemeine Umschaltung der Versuchsperson herbeizuführen, die in Analogie zu den älteren fremdhypnotischen Feststellungen alle Leistungen erlaubt, die den echten suggestiven Zuständen eigentümlich sind“ [Schultz, 1932]. Um zu einem besseren Verständnis des A.T. zu gelangen, sollen hier die angesprochenen physiologischen Grundlagen sowie die Grundzüge suggestiver Therapie dargestellt werden.

1.3.1Das Hypnoid und der sog. „Posthypnotische Auftrag“

Auf die enge Beziehung des A.T. zur Hypnose wurde bereits mehrfach verwiesen, Schultz selbst bezeichnete das A.T. als die „legitime Tochter der Hypnose“.

Das Wort „Hypnos“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Schlaf“. Mit Schlaf haben aber die Hypnose wie auch das A.T. nur bedingt zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen davon abgrenzbaren Bewusstseinszustand, der als Bewusstseinseinengung auf eine (zunächst) begrenzte und kontrollierte Anzahl von Vorstellungen, Gefühlen und Gedanken, die mit einer Entspannung und vegetativen Umstimmung des Körpers einher geht, beschrieben werden kann [vgl. dazu Langen, 1974]. Dieser spezifische Zustand der Bewusstseinseinengung wird als Hypnoid bezeichnet; er kann durch eine Hypnose wie auch mit Hilfe des A.T. erreicht werden, wobei der wesentliche Unterschied darin besteht, dass das Hypnoid im A.T. vom Übenden selbst in voller Eigenverantwortlichkeit hervorgerufen wird. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht so grundsätzlich, wie es zunächst erscheinen mag, da längst bekannt ist, dass jede Fremdsuggestion (Hypnose) letztlich erst durch eine Autosuggestion angenommen wird [sog. „Zweite Schule von Nancy“, s. Baudouin, 1972; Coué, 1972]. Diese Feststellung ist u.a. von forensischem Interesse, da sie besagt, dass niemand vollkommen gegen seinen Willen hypnotisiert werden kann, schon gar nicht, wenn der Inhalt der Suggestion sich zudem auch gegen seine ethischen und moralischen Vorstellungen richtet.

Der autohypnoide Zustand wird durch die Selbstbeeinflussung mit Hilfe der Formeln im A.T. erreicht; die körperliche und psychische Entspannung sowie während dieses Zustands sich selbst erteilten Vorsätze (sog. „formelhafte Vorsatzbildungen“, s. Kap. 3) wirken über die reine Übungszeit hinaus weiter fort. Dies ist aus der Hypnose als „Posthypnotischer Auftrag“ bekannt (posthypnotisch bezieht sich darauf, dass der während der Hypnose oder des A.T. gegebene Auftrag nach Beendigung der Übung empfunden bzw. erledigt wird). Es handelt sich hier um das Phänomen, dass Anordnungen über den zeitlich begrenzten Zustand der Hypnose hinaus wirksam bleiben, und zwar in Abhängigkeit vom erreichten Versenkungszustand in der Hypnose über viele Stunden hinaus. Im Hinblick auf das A.T. betrifft dies zunächst die physische und psychische Entspannung im Allgemeinen und spezielle Vorsätze im Besonderen. Hier sind – im Vorgriff auf Kapitel 3 – das Terminerwachen, die Regulierung physiologischer Vorgänge wie z.B. der Verdauung, die Behandlung von Examensängsten usw. zu nennen. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied des A.T. zum Schlaf. Ein etwa 15-minütiger Schlaf ist zweifellos erfrischend und erquickend, er beinhaltet jedoch nicht die Möglichkeit, die eigenen physiologischen Bedürfnisse sowie unsere Einstellungen für die Zeit nach dem Aufwachen in einem gewünschten Sinne positiv zu beeinflussen.

1.3.2Der Mensch als psychophysische Einheit

Es stellt sich die Frage, wie und warum es überhaupt zu dem beschriebenen Bewusstseinszustand des Hypnoids kommen kann. Wir greifen hier zurück auf die bereits zitierten Äußerungen von Schultz, der darauf verwies, dass den seelischen Zuständen in der Hypnose körperliche Empfindungen und Reaktionen entsprechen (vgl. Kap. 1.1). Es ist kennzeichnend für das Werk von Schultz, dass er die psychophysische Einheit des Menschen so sehr betonte. Ihn interessierten die körperlichen Veränderungen, die psychische Veränderungen bedingen (z.B. führt anhaltender körperlicher Schmerz zu Unlust, Griesgrämigkeit) als umgekehrt auch die psychischen Veränderungen, die ihre Korrelate im Körperlichen haben (z.B. führt Freude zu Puls- und Atemfrequenzerhöhung; Angst zu kaltem Schweiß). Körper (Soma) und Psyche wurden von ihm stets und immer als aufeinander bezogen dargestellt, der Mensch somit als eine psychosomatische Ganzheit gesehen.

Dieser Ansatz ermöglichte ihm, die Arbeiten von Vogt fortzuführen, indem er die psychische Entspannung über den bis dahin noch nicht beschrittenen Weg der körperlichen Entspannung zu erreichen suchte. In Verkennung dieser fundamentalen Zusammenhänge erscheint vielen Laien das A.T. als eine „Glaubenssache“ bzw. als „pure Einbildung“. Dabei sind beide Begriffe in einem positiv verstandenen Sinne sogar durchaus zutreffend. Der Lernende muss dem A.T., d.h. aber letztlich sich selber vertrauen, „einwilligen in naturhafte Verläufe gewünschter Richtung, vergleichbar dem Einschlafen“ [Schultz, 1987]. Heyer formulierte dies folgendermaßen „Wer es gelernt hat, im Autogenen Training sich zu lassen, wird ge-lassen“ [zit. nach Schultz, 1987]. Einbildung als „sich ein Bild machen“ ist in einem positiv verstandenen Sinne ebenfalls charakteristisch für das A.T. und führt uns zu den Mechanismen, die als Carpenter-Effekt bzw. Ideoplasie beschrieben sind und der Wirkungsweise des A.T. zu Grunde liegen.

Der Carpenter-Effekt besagt, dass bei der Vorstellung einer Bewegung unwillkürlich Bewegungsimpulse entstehen. Diese können zu sichtbaren Bewegungen führen (man denke nur an Fußballzuschauer), können aber bei bloßer Beobachtung auch unsichtbar bleiben. Die Impulse sind dann jedoch mit Hilfe der Elektromyographie (Ableitung von Muskelströmen) nachweisbar.

Dieser sog. Carpenter-Effekt wurde von Forel zum Gesetz von der Ideoplasie (wörtlich: Formung durch die Idee) erweitert, womit gemeint ist, dass die „Idee“ (allgemeiner: die Vorstellung) nicht nur Bewegungen, sondern auch alle Arten von vegetativen Funktionen auslösen kann. Im A.T. wird also zum Zwecke der zunächst körperlichen Entspannung und Ruhigstellung die Reaktionsmöglichkeit des Körpers auf rein gedankliche Vorstellungen ausgenutzt. Wenn wir nun hinzunehmen, dass Körperliches und Psychisches nicht getrennt voneinander funktionieren können, sondern eine unlösbare Einheit bilden, so ist der Mechanismus und die Wirkung des A.T. hiermit im Wesentlichen bereits dargestellt. Für die Verstärkung und Stabilisierung des A.T. spielen darüber hinaus natürlich die verschiedenen Lerngesetze (z.B. Lernen am Erfolg) sowie auch bedingte Reflexe eine Rolle, worauf noch einzugehen sein wird (vgl. Kap. 1.3.4).

1.3.3Neuroanatomische und neurophysiologische Aspekte

Wenn wir ganz generell von neuroanatomischen Aspekten der Psychotherapie sprechen, können wir pointiert sagen: „An den Amygdala (Mandelkernen) kommt heute kein Psychotherapeut mehr vorbei!“ Anders ausgedrückt: Nach den beeindruckenden Erfolgen der Hirnforscher durch die immer differenzierteren Bild gebenden Verfahren (Computertomographie, Kernspintomographie etc.) ist es unabdingbar, dass Psychotherapeuten einige neuroanatomische Grundlagen ihrer Arbeit in den Grundzügen kennen. Gerade im Zusammenhang mit einer psychophysiologischen Methode wie dem A.T. besteht allerdings von jeher ein Interesse am Verständnis dieser Zusammenhänge. Viele Kursleiter haben deshalb auch neurophysiologische Grundlagen in ihren Kursen vermittelt und manch kritischem Kursteilnehmer so erst einen Zugang zum A.T. eröffnet.

Unsere Empfindungen und emotionalen Bewertungen werden von unserem sog. „limbischen System“, einer komplex zusammengesetzten Struktur unseres Gehirns, gesteuert. Zu seinen wichtigsten Strukturen gehören die oben bereits genannten Mandelkerne (Amygdala) und der Hippocampus (Seepferdchen). Beide Hirnstrukturen verdanken ihre so bildhaften Namen dem anatomischen Erscheinungsbild.. Die Amygdala sind, wie wir heute wissen, für die Bewertung der emotionalen Begleitumstände beim Speichern von Gedächtnisinhalten zuständig. Mit ihrer Hilfe erfolgt die Koppelung zwischen einem realen Geschehen einerseits und der subjektiven Bedeutung andererseits. Bei einer Störung dieser Kerne, z.B. durch einen Tumor, weiß der Erkrankte ggf. noch, dass er etwas fühlen müsste bei diesem oder jenem Ereignis, er nimmt die Ereignisse um sich herum aber emotionslos und ohne vegetative Reaktionen hin. Umgekehrt bedeutet dies, dass die wesentlichen Wirkfaktoren für unser positives Erleben von Entspannung von hier aus gesteuert werden.

Den anatomisch eng benachbarten Hippocampus kann man demgegenüber als Organisator von emotionalem Lernen bzw. Gedächtnis ansehen. Störungen und Läsionen in dieser Region lassen zwar emotionale und vegetative Reaktionen weiterhin entstehen, es fehlt aber die Einordnung, die Erklärungsmöglichkeit, die Erinnerung.

Jenseits der Hirnstrukturen mit ihren jeweils spezifischen Funktionen wächst unser Wissen über die Rolle und Verteilung der Neurotransmitter, also der Botenstoffe im Gehirn. Regulierend auf die Entspannung, z.B. im A.T., wirken insbesondere – verkürzt dargestellt – Noradrenalin (aktivierende Wirkung), Serotonin (dämpfende Wirkung) und Dopamin (das Wohlbefinden steuernde Wirkung). Die hochkomplexen Wechselwirkungen dieser und anderer Neurotransmitter sind noch lange nicht ausreichend erforscht, und Aussagen hierzu sind unter Vorbehalt zu betrachten. Ein erheblicher Forschungsaufwand wird betrieben, da sich Erkenntnisse in diesem Bereich für die medikamentöse Behandlung psychischer Störungen nutzbar machen lassen. Dass es während der Übungen des A.T. zu einer Veränderung der Aussschüttung der Neurotransmitter kommt, ist zu unterstellen. Auszugehen ist von einer Absenkung des Noradrenalinspiegels bei gleichzeitigem Anstieg der Serotonin- und Dopaminkonzentration. Wer sich in diese spannende Materie einarbeiten möchte, sei auf die in zunehmender Zahl erscheinenden, oft durchaus populärwissenschaftlich geschriebenen Bücher zu diesem Thema verwiesen [z.B. Denecke, 2001; Rohen, 2001; Roth, 2001; Vaitl, 2000; Übersicht bei Derra, 2003].

Freud hatte schon zu den Zeiten der frühen Psychoanalyse gemutmaßt, dass es eines Tages möglich sein werde, die hirnphysiologischen Grundlagen der psychischen Vorgänge zu benennen. Dieser Erwartung sind wir inzwischen ein gutes Stück näher gekommen.

Der physiologische Hauptansatzpunkt des A.T. ist zweifellos das vegetative Nervensystem. (Es wird häufig auch als „autonomes Nervensystem“ bezeichnet, da seine Funktionen nicht in gleicher Weise dem Willen unterliegen wie das übrige periphere Nervensystem, jedoch wurde dieser Begriff bereits von Schultz unter Hinweis auf die Ideoplasie kritisiert.) Als vegetatives Nervensystem werden diejenigen Nerven zusammengefasst, die die Drüsen, die glatte Muskulatur und die inneren Organe versorgen. Es enthält motorische Fasern (z.B. für die Darmmotorik), sensible Fasern (z.B. zur Leitung von Schmerzreizen von den inneren Organen) sowie Fasern zur Innervation der Drüsen. Die Nervenfasern des vegetativen Nervensystems verlassen das zentrale Nervensystem zusammen mit den motorischen Wurzeln der Rückenmarks-und Hirnnerven. Von den anderen motorischen und sensiblen Nervenfasern unterscheiden sie sich dadurch, dass sie auf dem Weg zu ihrem Erfolgsorgan noch einmal unterbrochen werden (Umschaltung auf eine weitere Nervenzelle, das sog. zweite Neuron).

Abb. 1 Schema des vegetativen Nervensystems (gepunktet: Parasympathikus; durchgehende Linie: Sympathikus) [modifiziert nach Starck und Frick, 1967, S. 502]

Nach Ursprung und Verlauf wird das vegetative Nervensystem in 2 Untergruppen, Sympathikus und Parasympathikus, unterteilt (s. Abb. 1), sie weisen neurophysiologische (z.B. unterschiedliche Transmittersubstanzen) sowie auch funktionelle Unterschiede auf (s. Tab. 1). Ein wesentlicher funktioneller Unterschied besteht z.B. darin, dass beim Sympathikus eine Neigung zu diffuser Erregungsausbreitung vorliegt, zur Auswirkung als Gesamtsystem, wohingegen beim Parasympathikus die lokalisierte Reaktion überwiegt. Bis zu einem gewissen Grad verhalten sich beide Systeme antagonistisch, letztlich jedoch synergistisch: „Bei erhöhtem Sympathikustonus werden die Bewusstseinshelligkeit erhöht, Herz und Kreislauf aktiviert, Glykogen mobilisiert, dagegen die Aktivität des Verdauungskanals gehemmt, also die Fähigkeit zu Arbeitsleistung, zu Angriff oder Flucht, erhöht (ergotrope Reaktion). Nimmt dagegen der Sympathikustonus ab, überwiegt an mehreren Organen der Parasympathikustonus, so wird die Kreislaufleistung herabgesetzt, das Herz schlägt im ‚Schongang‘; dafür wird auf der anderen Seite die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen und der Darmmuskulatur erhöht. Das sind Vorgänge, die der Restitution, der Erholung dienen (trophotrope Reaktion) . In Bezug auf das Ziel, die Leistungsfähigkeit des Organismus zu erhöhen und zu erhalten, ist die eine Reaktion genauso notwendig wie die andere. Ein einseitiges Überwiegen der einen Reaktion wird auf Dauer die Leistungsfähigkeit des Organismus genauso herabsetzen wie ein Überwiegen der anderen. Auf einer höheren Ebene sind die beiden Systeme nicht mehr Antagonisten, sondern Synergisten“ [Schneider, 1966].

Tab. 1 Wirkungen des Sympathikus und des Parasympathikus

OrganWirkung des SympathikusWirkung des Parasympathikus Tendenz zur Erregungsausbreitung, zur gesamten organismischen Wirkung Tendenz zu umschriebener Wirkung Blutgefäße Im Allgemeinen Tonuserhöhung (also Verengung der Gefäße) Im Allgemeinen Tonusabnahme (also Gefäßerweiterung) Bronchien Erweiterung Zusammenziehung Herz Frequenzerhöhung Frequenzabnahme Herzkranzgefäße Verengung Erweiterung Darm Hemmung der Darmmotilität Anregung der Verdauung der Darmmotilität und Drüsen der Magen- und Darmschleimhaut Förderung der Sekretion Leber Abbau von Glykogen (also Erhöhung des Blutzuckerspiegels) Inseln der Bauchspeicheldrüse Insulinausschüttung (also Erniedrigung des Blutzuckerspiegels)

Hinsichtlich der im A.T. angestrebten trophotropen Reaktionslage ist die Aktivierung des Parasympathikus also weder isoliert zu sehen, noch als max. (und damit – unphysiologisch – überschießend). Stattdessen kommt es zur Regulierung eines zuvor evtl. überschießenden Sympathikustonus und Aktivierung eines zuvor evtl. zu geringen Parasympathikustonus. Eine trophotrope Reaktionslage ist nicht isoliert mit dem Parasympathikus in Verbindung zu bringen (vgl. insbesondere Kap. 2.6.1). Die Umschaltvorgänge sind z.T. gut messbar (vgl. Kap. 2.2 und 2.3) und können im Laufe des A.T. immer schneller beherrscht werden, bis schließlich innerhalb von Sekunden nach Beginn des Trainings eine „organismische Umschaltung“ von einer ergotropen auf eine trophotrope Reaktionslage möglich ist.

Die Untersuchungen zu den peripheren anatomischen Verhältnissen von Sympathikus und Parasympathikus geben aufschlussreiche zusätzliche Hinweise in Bezug auf die Wirkungsweise des A.T. Während Sympathikus und Parasympathikus in der Nähe des Rückenmarks gut von einander zu unterscheiden sind, bilden sie in der Endstrecke, in den Organen, komplizierte und individuell unterschiedliche (!) Schaltkreise [Rohen, 2001]. Besonders viele dieser Verflechtungen gibt es in der Magen-Darm-Wand. Durch unterschiedliche individuelle Ausgestaltungen bieten sie eine Erklärungshypothese für das im A.T. zu beobachtende Phänomen, dass verschiedene Menschen vegetativ unterschiedlich auf die Entspannung, besonders bei der Sonnengeflechtsübung, reagieren können [vgl. Derra, 2003].

1.3.4Lerntheoretische Ansätze

Die auf die Arbeiten von Pawlow (1849-1936) zurückgehenden lerntheoretischen Überlegungen haben durch ihre weitere Ausarbeitung, speziell das „operante Konditionieren“, eine breite theoretische und auch praktische Anwendung (Verhaltenstherapie) gefunden. Da auch das A.T. aus lerntheoretischer Sicht verstanden werden kann, soll hier eine kurze Darstellung erfolgen.

Grundlegende lerntheoretische Prinzipien sind das klassische Konditionieren, das operante Konditionieren sowie das Lernen am Modell.

Klassische Konditionierung

Im Jahre 1897 verlegte der russische Physiologe Pawlow bei einem Hund operativ den Ausführungsgang der Speicheldrüse nach außen und konnte so die Speichelmenge messen, die beim Fressen sezerniert wurde. Dieser Vorgang der Speichelsekretion beim Fressen beruht auf einem angeborenen (unbedingten) Reflex des vegetativen Nervensystems. Wenn man nun bei dieser experimentellen Anordnung gleichzeitig mit dem Fressen z.B. eine Glocke ertönen lässt und dies mehrere Tage wiederholt, so wird bald auch allein schon bei diesem akustischen Signal Speichel abgesondert, obwohl überhaupt kein Futter angeboten wird. Der ursprünglich neutrale Reiz (Glockenton) ist zu einem bedingenden Reiz, einem konditionierten Stimulus, und der unbedingte Reflex zu einem bedingten geworden. Hull [1943] erweiterte diese Theorie durch die Grundannahme, dass ein Individuum besonders diejenigen Aktionen auf Reize erlerne, die zur Reduktion eines Spannungszustandes führen.

Eine Variation des klassischen Konditionierens stellt das semantische Konditionieren dar. Darunter wird die Konditionierung einer Reaktion auf ein Wort oder einen Satz verstanden, sogar unabhängig von dem Buchstaben oder dem Klang des Wortes oder dem speziellen Satzinhalt [vgl. Razran, 1961].

Operantes Konditionieren (Lernen am Erfolg)

Hierbei gibt es – im Gegensatz zum klassischen Konditionieren – keine unkonditionierte (physiologische) Reaktion. Es wird vielmehr ein komplexes Verhalten dadurch erlernt, dass es eine Konsequenz nach sich zieht. Diese kann in Belohnung bestehen (Eintreten von positiven Verstärkern und/oder Wegfall von negativen Verstärkern) oder in Bestrafung (Eintreten von negativen Verstärkern und/oder Wegfall von positiven Verstärkern). Belohnungen haben sich als bessere Verstärker erwiesen als die Bestrafungen.

Lernen am Modell

Das Nachahmungslernen oder Lernen durch Imitation fußt nun bereits auf mehreren, untereinander verschiedenen Ansätzen zu kognitiven Lerntheorien, die die Komplexität menschlichen Verhaltens befriedigender zu klären versuchen, als dies mit den beiden erst genannten lerntheoretischen Konstrukten möglich ist.

Lerntheorien und Autogenes Training

Die Anweisungen für das A.T. ( „set and setting“, s. Kap. 2.1.3) verlangen vom Übenden die Einnahme einer bestimmten (bequemen) Haltung, das Sicherstellen einer Außenreizverarmung und schließlich eine konzentrative Hinwendung auf körperliche Vorgänge. Dies alles führt zu einer affektiven Einstellung der Ruhe und Entspannung, die trophotrope Reaktionen wie Muskel- und Gefäßentspannung ansatzweise bereits bewirkt. Wir können hier von unbedingten Reflexen auf die Außenreizverarmung und die Einnahme der in sich ruhenden Übungshaltungen sprechen.

Durch Hinwendung der Aufmerksamkeit auf diese physiologischen Reaktionen und gleichzeitige Verwendung der Formeln kommt es zu einer Kopplung der physiologischen Reaktion an diese Formeln, zu einer klassischen Konditionierung, wobei die Grundannahme von Hull – besondere Lernfähigkeit für Reize, die eine Reduktion eines Spannungszustandes bewirken – hier ebenfalls als zutreffend erachtet werden kann.

Da der bedingende Reiz ein Wort bzw. Satz ist, kann von einer semantischen Konditionierung gesprochen werden. Allerdings weisen die praktischen Erfahrungen darauf hin, dass der Erfolg nicht etwa unabhängig vom Satzlaut ist und dass eine semantische Konditionierung nicht beliebig durchgeführt werden kann. Im Rahmen der Lerntheorien können wir sagen, dass vorangegangene Konditionierungen stets zu beachten sind. So können einzelne Worte z.B. eine negative Besetzung erfahren haben, bestimmten Begriffen können eindeutige Reaktionen vorstellungsmäßig bereits zugeordnet sein usw. Die einzelnen Übungen können jeweils so verstanden werden, dass eine ansatzweise trophotrope Umschaltung als unbedingter Reiz jeweils gekoppelt wird mit einer speziellen Vorstellung, die dann als bedingender Reiz im Sinne der klassischen Konditionierung wirkt.

Hinzu kommen im weiteren Übungsverlauf die positiven Verstärker (Erfolg, Lob des Kursleiters usw.) sowie der Wegfall negativer Verstärker (z.B. Verminderung einer vegetativen Symptomatik). Es findet also ein operantes Konditionieren, ein Lernen am Erfolg statt. Hierzu bietet eine Gruppe durch den intensiven Austausch untereinander besonders gut Gelegenheit, wobei zusätzlich noch ein Nachahmungslernen durch den Vergleich mit dem Kursleiter und anderen Kursteilnehmern hinzukommt, ein Lernen am Modell also.

1.4Indikationen und Kontraindikationen

Die Indikation für das A.T. kann sehr breit gestellt werden. Absolute Kontraindikation in dem Sinne, dass ein regelrecht vermitteltes und auf die individuellen Bedürfnisse des Lernenden zugeschnittenes A.T. einen Schaden zufügen würde, gibt es überhaupt nicht: „Mit der Erörterung der Indikation ist auch die Frage ihrer Kontraindikation gestellt. Es ist mir bis jetzt nicht gelungen, eine solche zu finden, wenn der Versuchsleiter im Auge behält, dass die Dosierung, besonders für die selbsttätige Verfügung über die Vasomotoren, vorsichtig und individuell erfolgen muss“ [Schultz, 1987]. Anstelle der Frage nach den Kontraindikationen stellt sich die Frage nach den begrenzenden und prognostisch ungünstigen Faktoren.

1.4.1Begrenzende Faktoren für die Vermittlung des A.T.

Hier sind die vom Willen und Engagement des Lernenden unabhängigen, den Erfolg des Lernenden im A.T. jedoch begrenzende Faktoren zu besprechen.

Zunächst ist über eine altersmäßige Begrenzung zu sprechen (A.T. mit Kindern, A.T. mit geriatrischen Patienten). Ein Mindestalter ist schwer zu bestimmen. Kruse [1984] gibt an, dass Kinder ab dem achten Lebensjahr, „aufgeweckte Kinder“ ab dem sechsten Lebensjahr in der Lage seien, das A.T. zu erlernen [vgl. hierzu auch Biermann, 1975; Gerber, 1987]. Für die Vermittlung des A.T. ergeben sich hier natürlich einige Besonderheiten. So ist eine „Schulsituation“ zu vermeiden. Stattdessen kann ggf. reichlich von Phantasiebildern, die der kindlichen Vorstellungswelt entsprechen, Gebrauch gemacht werden [Eberlein, 1976], was von Kruse [1980] allerdings mit dem Hinweis abgelehnt wird, dass Kinder heutzutage naturwissenschaftlich-biologisch interessiert und dass Märchen oder Kinderspiele für eine Selbstzuwendung eher hinderlich seien. Wahrscheinlich ist es für Kindergruppen im A.T. ratsam, die Treffen nicht nur wöchentlich oder gar 2-wöchentlich abzuhalten, sondern 2 Termine pro Woche anzubieten. Auch wird bei sehr jungen Teilnehmern ein anfängliches Vorsprechen wohl nicht zu umgehen sein [Gebhardt, 1973].

Im Allgemeinen kommen Kinder nicht aus eigener Motivation zum A.T., sondern werden geschickt. So muss sich der Therapeut natürlich die Frage stellen, welches Interesse die Eltern haben, ihr Kind das A.T. lernen zu lassen. Oft ist es ja gerade das schwächste Glied in einer Familie mit krank machenden Interaktionsmustern, das zum Symptomträger wird. Sehr aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Mitteilung Binders, dass er die Mütter von 3 Kindern mit Enuresis nocturna in das A.T. einführte, während die Kinder weder psychotherapeutisch noch sonstwie behandelt wurden. Bei allen 3 Kindern verschwand das Symptom [Binder, 1979]!

Die Altersgrenze nach oben ist wohl kaum je scharf zu ziehen. Hier kommt es nicht so sehr auf das reale Alter als auf den Allgemeinzustand an, die noch erhaltene Flexibilität und Möglichkeit, sich Neues anzueignen [vgl. Huppmann, 1977; Steinfeld, 1974]. Barolin und Wöllersdorfer [1987] berichten von der Engagiertheit und der großen Regelmäßigkeit ihrer Alterspatienten beim Besuch der Kurse für A.T., verglichen mit Kursen, an denen Patienten mittleren Lebensalters teilnahmen [vgl. hierzu auch Stucke, 1987]. Außerdem verbindet Barolin seit Jahren mit gutem Erfolg das A.T. mit einer analytisch orientierten Gruppenpsychotherapie. Hoffmann [1977] berichtet u.a. von einer 82-jährigen Patientin, die das A.T. in früheren Jahren einmal gelernt, dann aber nicht mehr weiter geübt hatte und nach einer erneuten kurzen Einführung von nur 2 Stunden mit dem A.T. ihre Einschlafstörungen erfolgreich in den Griff bekam [vgl. auch Hirsch, 1987; Stetter und Stuhlmann, 1987].

Des Weiteren müssen gewisse intellektuelle Voraussetzungen gegeben sein. Das A.T. stellt keine hohen Anforderungen an den Intellekt, jedoch muss der Lernende zumindest in der Lage sein, das A.T. in seinen Grundzügen zu begreifen, sowie auch ein gewisses Maß an (entwicklungsfähigem) Konzentrationsvermögen mitbringen. Ein instruktives Beispiel gibt Trojan: „Das A.T. wurde bei asylierten epileptischen Kindern in Gruppen durchgeführt. Die Kinder waren 7-15 Jahre alt. Alle litten unter schweren Anfällen oder epileptischen Verhaltensstörungen. Wie zu erwarten war, schlug das Verfahren bei den älteren Kindern schneller und besser an. Die stärker Intelligenzgestörten lernten langsamer, verwirklichten aber schließlich die Übungen auch, manchmal durch Nachahmung. Der Durchschnitts-IQ war 62 und entsprach also demjenigen eines normalen 8-jährigen Kindes. Die Anforderungen an die Intelligenz bei der Durchführung des A.T. sind also recht bescheiden“ [zit. nach Hoffmann, 1977]. Angaben zum A.T. bei epileptischen Kindern finden sich bei Barolin und Dongier [1962].

Durch einen Verlust der Selbstverfügbarkeit kann auch unabhängig von angeborenen oder frühkindlich erworbenen Minderbegabungen ein Erlernen des A.T. krankheitsbedingt unmöglich sein. Dies kann der Fall sein bei akuten und chronischen Psychosen organischer (z.B. nach Schädelhirntrauma oder auch bei präseniler Demenz) oder ungeklärter „endogener“ Genese. Diese sog. „endogenen Psychosen“ (Schizophrenie und Zyklothymie) als „körperlich noch nicht begründbare Psychosen“ werden immer wieder als absolute Kontraindikationen angeführt. Akut oder chronisch psychotische Patienten mit schweren Antriebs-, Konzentrations- und Denkstörungen, möglicherweise unter dem Einfluss akustischer Halluzinationen, sind sicher nicht in der Lage, den Anforderungen des A.T. zu „konzentrativer Selbstentspannung“ nachzukommen. Für sie würde das Ansinnen, ihnen das A.T. vermitteln zu wollen, eine Überforderung ihrer Leistungsfähigkeit darstellen. Demgegenüber sind Patienten mit schizophrenen Defektsyndromen, insbesondere sofern es sich um Remissionstypen und nicht um Defizienztypen der Erkrankung handelt, durchaus in der Lage, die Grundstufe des A.T. zu erlernen [s. hierzu Kraft und Schötzau, 1982]. Ob hier für die sog. Oberstufe des A.T. (Autogene Imagination) überhaupt eine Indikation besteht, erscheint fraglich. Was für die Schizophrenie gesagt wurde, gilt in gleicher Weise auch für die Zyklothymie. Außerhalb der akuten Erkrankungsphasen besteht kein hinreichender Grund, den Patienten die Teilnahme am A.T. zu verwehren, vielmehr ist zu erwarten, dass die positiven Wirkungen des A.T. hier genauso wirksam und heilsam sind wie sonst (wenngleich auch sicher nicht behauptet werden soll, etwa eine spezifische Behandlung der Psychose hier vornehmen zu wollen oder zu können) [vgl. hierzu auch Wallnöfer, 1973]. Für reaktive depressive Verstimmungen hingegen ist das A.T. natürlich durchaus auch während des akuten Verstimmungszustandes geeignet [Iversen, 1976].

1.4.2Prognostisch ungünstige Faktoren

Personen mit einer starken Anspruchshaltung, die stets etwas von ihren Bezugspersonen, also auch von Arzt und Kursleiter, erwarten, ohne selber eine Leistung vollbringen zu müssen, sehen im A.T. mit seiner Forderung an die Eigenverantwortlichkeit und das persönliche Engagement einen an sie gerichteten Anspruch, den zu erfüllen sie eher als Zumutung, zumindest aber als übergroße Last empfinden. Derartige Personen sind eher von der Hypnose oder anderen passiv-autohypnoiden Verfahren fasziniert, die ihnen Zuwendung verheißen. Patienten, die im Zusammenhang mit einer in Augenschein genommenen psychotherapeutischen Behandlung mehrmals danach fragten, ob bei ihnen nicht eine Hypnose indiziert sei, habe ich nur äußerst selten erfolgreich das A.T. erlernen sehen.

Erlebnis- und vorstellungsarmen Personen (die in der klassischen Psychiatrie vielleicht am ehesten als „gemütsarme Psychopathen“ einzuordnen wären) dürfte ebenso die Motivation, vielleicht sogar die rechte Möglichkeit fehlen, das A.T. zu erlernen [vgl. Laberke, 1976]. Sollten derartige Personen, z.B. im Rahmen einer stationären Behandlung, doch in einen Kurs für A.T. aufgenommen werden, so kommt es der Erfahrung nach darauf an, die Theorie nur knapp abzuhandeln und stattdessen möglichst instruktive Beispiele zu geben. Auch ist bei diesem Personenkreis zu empfehlen, recht bald und im Verlauf der Gruppensitzung ggf. 2-mal zu üben.

Zwanghaft strukturierte Persönlichkeiten haben oft Schwierigkeiten loszulassen, geschehen zu lassen, einzuwilligen in naturhafte Verläufe gewünschter Richtung [vgl. Langen, 1974; Huppmann, 1977]. Auch hier ist jedoch wieder nicht von einer absoluten Kontraindikation zu sprechen, vielmehr ist es oft erstaunlich, auf welchen Wegen Lernende zum Erfolg gelangen. So zählte z.B. eine zwangsneurotische Patientin in einem Kurs die einzelnen Formeln mit den Fingern mit, da – wie üblich – gesagt worden war, die Formeln seien am besten ungefähr 5-6-mal zu vergegenwärtigen. Diese Patientin erlernte das A.T. zwar langsamer und etwas mühsamer als andere, jedoch durchaus erfolgreich.

Auch darf nicht vergessen werden, dass ein mäßig ausgeprägter zwanghafter Persönlichkeitsanteil sich während des Erlernens sogar recht positiv auf die Übungskonstanz auswirken kann. Erst beim Vorliegen einer manifesten, schweren Zwangsneurose besteht die erhebliche Gefahr, dass aus dem A.T. ein pedantisches Zwangsritual wird. Der Hauptakzent wäre hier auf die entspannende, lösende Wirkung des A.T. zu setzen [vgl. Prokop, 1979].

Personen mit hysterisch-demonstrativen Charakterzügen sind für das A.T. ebenfalls als nicht sehr geeignet zu bezeichnen. Sie haben manchmal – in positiver Übertragung auf den Therapeuten – scheinbar recht erstaunliche Anfangserfolge vorzuweisen, die sich bei bleibender „wohlwollender Neutralität des Therapeuten“ bald als Strohfeuer erweisen können.

Obwohl eine gewisse Leistungsbereitschaft eine unabdingbare Voraussetzung zum Erlernen des A.T. darstellt, stellt ein übersteigertes Leistungsbedürfnis eine ungünstige Voraussetzung dar. Gerade in Gruppenkursen versuchen diese Kursteilnehmer die Besten, Schnellsten, Erfolgreichsten zu sein. Letztlich versuchen sie, die Wirkung des A.T. zu erzwingen. Sollten Anfangserfolge vorhanden sein, verschwinden meist sogar auch diese bei einer derartigen Einstellung. So gelang einem Patienten keine Übung des A.T. mehr, nachdem er in seinem Urlaub seine Übungsfrequenz von 3- auf 6-mal täglich erhöht hatte, um seine die Übungen des A.T. besser und schneller realisierende Ehefrau „einzuholen und zu überholen“. Erst als die Konkurrenzsituation zwischen den Ehepartnern besprochen und – zumindest vorläufig – ausgeräumt worden war, konnte er fortfahren, d.h., wieder ganz am Anfang mit der Schwereübung beginnen [vgl. Laberke, 1976; Stokvis und Wiesenhütter, 1961].

Manche Autoren raten bei einer hypochondrischen, „krankhaften Fixierung der Aufmerksamkeit“ [Stokvis und Wiesenhütter, 1961] von der Anwendung des A.T. ab. Badura [1973] fand bei einigen Patientinnen, die in der Realisierung des A.T. größere Mühe hatten, eine signifikante Erhöhung der Hypochondrie-Skala im MMPI (zugleich mit einer Erhöhung der Hy-D-Skalen, „neurotische Trias“). Schultz [1976] vertritt hier eine andere Position: „Gelegentlich begegnet man bei Kollegen der Besorgnis, es könne die konzentrative Hinwendung auf das Körpererleben zu hypochondrischen Störungen führen. Genau das Gegenteil ist der Fall; die von der Hypochondrie regellos und lebenswidrig in Betrieb gesetzte Funktionserregung der Organe wird im Verlauf des Trainings zu zielbewusst beherrschtem Persönlichkeitseigentum.“ Langen [1965] berichtet über die Verwendung von Indifferenzformeln, wie z.B. „Herz in jeder Situation vollkommen gleichgültig“, die der Erfahrung nach nicht nur bei funktionellen Störungen, sondern auch bei hypochondrischen Ängsten geeignet sind.

Es ist kaum ein Erfolg zu erwarten, wenn ein Symptom einen großen sekundären Krankheitsgewinn beschert, wie es z.B. bei „Rentenneurosen“ so deutlich der Fall ist.

In diese Kategorie gehören auch viele der geschickten Patienten, die bewusst oder unbewusst ihren Angehörigen lediglich beweisen wollen, dass ihnen auch mit dieser Methode nicht zu helfen sei. Bei schweren körperlichen Erkrankungen (z.B. Karzinom im fortgeschrittenen Stadium) wird das A.T. auf Grund der krankheitbedingten Beschwerden (z.B. Schmerzen) kaum zu erlernen sein. Andererseits kann ein bereits früher erlerntes A.T. in solchen schweren Situationen evtl. eine große Hilfe sein.

Große Aufmerksamkeit richtet sich in den letzten Jahren auf die Psychotraumatologie bzw. das posttraumatische Belastungssyndrom [vgl. hierzu z.B. Fischer und Riedesser, 1998]. Bei psychisch traumatisierten Patienten kann es beim Erlernen des A.T. evtl. zu großen Schwierigkeiten kommen, wenn das klinische Bild der Patienten von einer dauerhaft gespannten, erhöhten Aufmerksamkeit geprägt ist; diese kann das Resultat einer oft lange dauernden schweren Verunsicherung sein. Sie hat die Funktion, die Umwelt stets aufmerksam auf potenzielle Gefahren abzutasten, bedrohliche Situationen frühzeitig zu erkennen, um darauf reagieren zu können. Ein Loslassen und Geschehenlassen kann in diesem speziellen Falle als gefährdender Kontrollverlust erlebt werden und zu Anspannung und Verkrampfung führen, sobald Entspannung gesucht wird. Das A.T. muss in solchen Fällen, dies liegt auf der Hand, in ein psychotherapeutisches Gesamtkonzept integriert sein.

1.4.3Indikationen

Nachdem die die Anwendung des A.T. begrenzenden sowie die prognostisch ungünstigen Faktoren besprochen worden sind, soll nun die Indikation des A.T. zusammenfassend dargestellt werden. Dies kann bei den äußerst vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten nur im Sinne eines Überblicks geschehen [vgl. hierzu auch Haring, 1979; Hoffmann, 1977; Prokop, 1979; Schultz, 1987].

Generell ist eine ehrliche Bereitschaft zur Mitarbeit bei gleichzeitigem Wissen um die Anforderungen, die das A.T. an die Lernenden stellt, die Voraussetzung für den Erfolg. Auf die weiterführenden Fragen nach der Motivation wird noch einzugehen sein (s. Kap. 1.5).

Das A.T. wird heute sehr häufig an Volkshochschulen und vergleichbaren Institutionen gelehrt, die das A.T. ausschließlich zur Psychohygiene und Psychoprophylaxe vermitteln. Sicherlich ist das A.T. – in Zeiten des relativen Wohlbefindens gelernt – bei akut auftretenden seelischen (aber auch körperlichen) Belastungen (Examenssituationen usw.) eine große Hilfe.

Auf Grund empirischer Forschungen stellt Mann [1987] fest, dass Patienten mit leichteren psychovegetativen Störungen besonders gut auf das A.T. ansprechen: „Der Anteil dieser Personen an der Gesamtbevölkerung beträgt nach neuesten epidemiologischen Studien zwischen 15 und 25% [Schepank: Mannheimer Kohortenprojekt, 1984]. Sie sind nicht behandlungsbedürftig und haben in der Regel nicht das Gefühl, manifest krank zu sein. Vom A.T. können sie eine Verbesserung der Befindlichkeit mit der Reduktion von Angst und ein positiv verändertes Selbstkonzept erwarten. Hieraus leitet sich die sozialmedizinische Bedeutung des A.T. als Vorbeugemaßnahme ab.“

Die allgemeinen Wirkungen beim sog. gesunden Kursteilnehmer sind Erholung, Entspannung, Erhöhung der Konzentration sowie eine „Resonanzdämpfung der Affekte“. Um Missverständnissen vorzubeugen, soll hier von einer „Resonanzdämpfung überschießender Affekte“ die Rede sein. Manche Kursteilnehmer äußern nämlich die Sorge, durch das A.T. gleichgültig oder gar abgestumpft zu werden (vgl. Kap. 1.4.3). Hier ist vielleicht am ehesten mit einem Zitat von Schultz zu antworten: „Das A.T. macht gelassen, aber nicht gleichgültig.“

Im Zusammenhang dazu steht eine Selbstschau im Sinne der Vertiefung der Selbsterkenntnis. Dies gilt ganz besonders für die Autogene Imagination (Oberstufe des A.T.; s. hierzu auch Kap. 4).

Haring [1979] schreibt hierzu: „Der Übende sollte sich nur einstimmen in die Grundstrebungen seiner Persönlichkeit. Die Übung gelingt am besten, wenn sie mit spielerischer Neugier durchgeführt wird. Vermieden werden sollte, dass man dabei in eine selbstquälerisch-angestrengte Haltung gerät. Man soll nichts verändern wollen. Deshalb auch der Hinweis, dass der Übung keine direkte psychotherapeutische Funktion zukommt. Man soll nicht fragen: ‚Was mache ich falsch?‘, sondern: ‚Wer bin ich?‘ oder: ‚Wo stehe ich?‘ oder (noch stärker eingeschränkt): ‚Was bestimmt mich in diesem Augenblick?‘ Die veränderte Fragestellung macht den Unterschied zwischen Therapie und Selbsterkenntnis deutlich. Zweifellos setzt Psychotherapie immer auch die Bereitschaft zur Selbsterziehung und zum In-Frage-Stellen der eigenen Position voraus. Häufig ist der erste Schritt zur Therapie die Erkenntnis der eigenen Einstellung und Reaktionsbereitschaft. Erst dann kann man fragen, welche Gewohnheiten diese Einstellung stützen und unter welchen Bedingungen diese Gewohnheiten entstanden sind. Wir bewegen uns also mit der Selbstschau im Vorfeld solcher für eine Psychotherapie wichtigen Fragen.“

Mit einer Vertiefung der Selbsterkenntnis ist oft auch bereits ein Ansatz zu einer Beeinflussung störender Gewohnheiten gegeben. Sofern dies nicht schon durch die dem Training eigene „Resonanzdämpfung überschießender Affekte“ geschieht, können sog. „formelhafte Vorsatzbildungen“ (s. Kap. 3) angewandt werden. Auch hier bewegen wir uns noch nicht im Bereich des Krankhaften, zu denken ist vielmehr z.B. an die Gewohnheit, einem Gesprächspartner ins Wort zu fallen.

Emotionale Dauerspannung führt durch ständige – unphysiologische – Aktivierung des vegetativen Nervensystems (vgl. Kap. 1.3.3) zu sog. funktionellen Störungen, die einen chronischen Verlauf nehmen können (dann kann von einer „Organneurose“ gesprochen werden) und evtl. in eine psychosomatische Erkrankung mit Organdefekt einmünden [vgl. Alexander, 1951]. Wenn es zu einer „Selbstbehandlung“ mit Drogen, z.B. Alkohol, kommt, kann das A.T. unter fachkundiger Leitung eine Hilfe sein, sich von dieser Droge zu befreien [Kraft, 2002].

In der Therapie psychosomatischer Erkrankungen ist die Kombination organmedizinischer und psychotherapeutischer Vorgehensweisen zumeist eine zwingende Notwendigkeit [Übersichten z.B. bei Bräutigam und Christian, 1974; von Uexküll, 1986]. Sowohl die rein organmedizinische Behandlung als auch die klassische Psychoanalyse geraten bei psychosomatischen Patienten an Grenzen, die sie allein nur partiell, therapeutisch letztlich nicht befriedigend bewältigen können. Die auf der präverbalen Ebene ansetzenden Therapieverfahren wie die konzentrative Bewegungstherapie [z.B. Becker 1981; Stolze, 1984], Bio-Energetik [z.B. Lowen, 1979] und natürlich auch die Grundstufe des A.T. mit ihrer primären Zentrierung auf körperliches Erleben und körperlich-seelische Zusammenhänge bieten wesentliche Hilfen für die Patienten, deren seelische Entwicklung bereits in der präverbalen Dyade von Mutter und Kind [Spitz, 1980] entgleist ist [vgl. auch Bittner, 1986; Bräutigam, 1987; Kraft, 1987; Moser, 1986; Müller-Braunschweig, 1986, 1987; Pesso, 1986]. Entsprechend der jeweiligen psychosomatischen Störungen werden einzelne Übungen des A.T. besonderes Gewicht bekommen (zu den Einzelheiten s. Kap. 2.2-2.7).

Als weitere – weitgefasste – Indikation gilt das Symptom „Angst“. Angst spielt als „ängstliche Gestimmtheit“ auch außerhalb der Nosologie der Neurosen eine weit verbreitete Rolle. Bei der sog. „Angstneurose“ ist sie das zentrale Symptom. Entspannungsübungen wie die Grundstufe des A.T. können zu Beginn der Therapie einen Einstieg in die analytisch orientierte Arbeit mit diesen Patienten ermöglichen. Entsprechend der „Blässe der Objektimagines“ verlangen diese Patienten zunächst – und oft nachdrücklich – nach Erfahrungen auf der Handlungsebene (z.B. Realpräsenz des Partners oder Fragen wie: „Was soll ich tun?“) und sind für Erfahrungen auf der Bedeutungsebene – z.B. für analytische Deutungen – kaum aufnahmebereit [vgl. hierzu z.B. Mentzos, 1985]. Das A.T. kommt damit zu Beginn der Behandlung der Tendenz des angstneurotischen Patienten entgegen, in emotional angespannten Situationen zunächst (!) auf das Physiologische auszuweichen. Auf dieser körperlichen Ebene fühlt sich der Patient relativ sicher. Diese ist zumeist diejenige Interaktionsebene zwischen Mutter und Kind, die noch ausreichend stabil war, während im Affektbereich keine genügende Interaktion möglich war. Durch die „Resonanzdämpfung überschießender Affekte“ kommt es zumeist zu einer deutlichen Angstverminderung. Im Hinblick auf die bewusste oder auch verleugnete Abhängigkeit von der Realpräsenz anderer Personen (meist Eltern, Ehepartner oder auch Kinder) stellt das A.T. auch insofern eine wertvolle „erste Hilfe“ dar, als der Patient erlebt, alleine etwas für sich tun zu können. Dieser Ansatz steht einer begleitenden oder anschließenden analytisch orientierten oder analytischen Psychotherapie nicht im Wege.

An dieser Stelle sei eingefügt, was Schultz über eine Unterhaltung mit dem Begründer der Psychoanalyse Freud berichtete: ‚Bei unserer ersten Begegnung blickte Freud mich prüfend an und sagte: „Sie glauben doch nicht, dass Sie damit heilen können?‘ Worauf ich erwiderte: ‚Keinesfalls, aber ich meine doch, dass man wie ein Gärtner Hindernisse wegräumen kann, die der echten Eigenentwicklung im Wege stehen!‘ ‚Dann werden wir uns schon verstehen!‘ erwiderte Freud!“ [zit. nach Krapf, 1973].

Auch bei rein organischen Störungen kann das A.T. Verwendung finden. So kann z.B. gegenüber Zahnschmerzen, schmerzenden Wunden usw. durch eine formelhafte Vorsatzbildung eine weitgehende Unempfindlichkeit erreicht werden. Es ist immer zu beachten, dass Schmerz etwas subjektiv Erlebtes ist und dieses Erleben sehr vielfältigen Einflüssen unterliegt. Dies gilt insbesondere auch für chronische Schmerzzustände, z.B. rheumatische Schmerzen. Die Indifferenzformel „Schmerz ganz gleichgültig“ kann zwar nicht den organisch bedingten Schmerz beseitigen, wohl aber die Erlebnisqualität ändern. Langen hat dies auf die treffende kurze Bezeichnung gebracht: „Man hat den Schmerz, aber er tut nicht mehr weh“ [zit. nach Krapf, 1987]. (S. hierzu auch die „formelhaften Vorsatzbildungen“ in Kap. 3)