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Mel und Cem sind das absolute Traumpaar - davon sind die Fans von Cems Youtubekanal überzeugt, auf dem die beiden sich gegenseitig mit versteckter Kamera Streiche spielen. Er, der coole, durchtrainierte Snowboarder- sie, die mollige Studentin, die jede Situation mit einem flotten Spruch zu retten weiß. Tatsächlich schwärmt Mel schon seit ihrer Kindheit für Cem. Es gibt da nur ein Problem: Er ist vergeben, und zwar ausgerechnet an Mels beste Freundin Lara! Bei einem gemeinsamen Skiausflug beschließt Mel, dass es endlich Zeit wird, ihre sinnlose Schwärmerei hinter sich zu lassen und sich einen Mann zu suchen. Doch leider ist Cem nicht der einzige Grund, warum sie bisher keinen festen Freund hatte. Es gibt nämlich etwas in ihrer Vergangenheit, von dem nicht einmal Cem und Lara etwas wissen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Copyright © 2018 by Hannah Siebern
Impressum
Hannah Siebern
Am Vogelbusch 18
48301 Nottuln
Deutsche Erstausgabe 02/2018
ISBN:9783819448980
Lektorat: Sarah Wedler und Nadine d’Arachart
Cover: Casandra Krammer
Coverschrift: Claudia Kolb
All rights reserved.
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Formatiert mit Vellum
Vorwort
I. Barfuß im Schnee (-Regen)
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
II. Barfuß auf Federn
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Danksagung
Über den Autor
Was bisher geschah …
Liebe Leser.
Zu „Barfuß auf Federn“ gibt es eine kleine Vorgeschichte. Man muss sie nicht gelesen haben, um dieses Buch zu verstehen, aber es ist sicherlich ein schönes Extra.
Ich habe die Vorgeschichte „Barfuß im Schnee (-Regen) dem Ebook vorangestellt und hoffe, dass sie euch gefällt.
Wer lieber gleich mit der Geschichte starten will, kann auch im Inhaltsverzeichnis zu Teil 2 springen. Alle anderen blättern einfach weiter.
Liebe Leserinnen und Leser,
dies ist ein in sich abgeschlossenes Spin-off zu „Barfuß im Regen“ und gleichzeitig eine Vorgeschichte zu „Barfuß auf Federn“. Wenn ihr die Geschichte schon kennt, könnt ihr einfach zu „Barfuß auf Federn vorblättern“. Im Inhaltsverzeichnis betitelt mit „Barfuß auf Federn“.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
Mel
„Das ist eine völlig verrückte Idee“, stellte ich fest, als Cem auf dem Flachdach des Gebäudes herumkletterte, in dem heute die Silvesterparty meiner Mutter steigen sollte. „Meine Mutter bringt mich um, wenn sie erfährt, dass ich etwas damit zu tun hatte.“
„Das ist keine verrückte Idee, sondern eine absolut geniale“, widersprach Cem. „Jetzt mal im Ernst. Was soll schon schiefgehen? Es gibt keine anderen Häuser, auf die das alles überspringen könnte und die Bäume stehen weit genug weg. Das wird der Hammer.“
Das sagte er so einfach. Immerhin gehörte das Gebäude meinem Stiefvater und wenn etwas schiefging, würde das komplette Ding in Flammen aufgehen. Normalerweise war ich wirklich nicht feige, was Pranks anging, aber ich hatte Angst, dass Cem es diesmal mit seinen Scherzen übertrieb.
„Warum machst du dir so einen Kopf? Ich bin ja hier und passe schon auf, dass nix schiefgeht“, versprach Cem.
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte und wünschte, Lara wäre hier. Sie war meine beste Freundin und seit Jahren mit Cem zusammen. Doch sie war über Silvester mit ihren Eltern nach London geflogen. Sie wusste mit Pranks überhaupt nichts anzufangen und hätte es bestimmt geschafft, Cem das Ganze auszureden. Warum hatte ich bloß zugestimmt, als er mit dieser hirnrissigen Idee auf mich zugekommen war? Das war doch total wahnsinnig.
„Hilf mir lieber“, forderte Cem und streckte mir die Hand entgegen.
Ich schüttelte den Kopf, ließ mich dann aber von ihm die letzten Stufen der Leiter nach oben ziehen.
Er hievte mich so schnell hoch, dass ich fast gegen seine Brust geknallt wäre und er musste mich halten, damit ich nicht wegrutschte.
„Immer langsam“, sagte er und ich fühlte mein verräterisches Herz deutlich in meiner Brust pochen.
Es war so lächerlich, dass es nach all den Jahren immer noch höherschlug, wenn ich Cem näherkam. Dabei hätte ich mich längst daran gewöhnt haben müssen, dass er für mich absolut unerreichbar war. Er war mit Lara zusammen und das so ungefähr schon immer. Die beiden waren noch so verdammt jung gewesen, als sie ein Paar geworden waren, dass niemand, nicht einmal sie selbst, damit gerechnet hätten, dass es so lange halten würde. Wer war mit Anfang zwanzig schließlich noch mit dem Typen zusammen, der einem mit zwölf ein Zettelchen geschrieben hatte, auf dem stand: „Willst du mit mir gehen? Ja. Nein. Vielleicht.“
Und trotzdem war es so. Cem war seit zehn Jahren mit Lara zusammen und ich war ungefähr genauso lange das fünfte Rad am Wagen, weil sich für meinen Topf einfach kein Deckelchen finden wollte. Das lag allerdings auch daran, dass ich vor einigen Jahren Bekanntschaft mit einem besonders verbeulten Exemplar von einem Deckel gemacht hatte und meine Lust weiterzusuchen seither nicht mehr besonders groß war.
Ich schluckte und machte einen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen Cem und mich zu bringen. Dabei rutschte ich allerdings auf dem schneebedeckten Dach aus und wäre vermutlich gefallen, wenn Cem nicht sofort wieder nach mir gegriffen hätte. Wir gerieten beide ins Schlingern und fielen zum Glück in Richtung Dach und nicht in Richtung Boden.
Ich landete auf Cem, womit ich ihm hörbar die Luft aus der Lunge drückte und ihn im nächsten Moment zum Lachen brachte.
„Elke. Du bist wirklich der größte Tollpatsch aller Zeiten“, sagte er. „Erzählst mir etwas von Gefahren und bringst uns beide fast um, wenn du nur auf ein Dach klettern sollst.“
Ich wurde knallrot und biss mir auf die Unterlippe. Ich hasste es, wenn er mich Elke nannte, weil er den Namen aus dem Lied „Fette Elke“ von den Ärzten hatte. Aber ich wusste, dass er es nicht wirklich als Beleidigung meinte, sondern mich nur damit ärgern wollte. Und je weniger ich darauf einging, desto langweiliger wurde es für ihn. Zumindest redete ich mir das seit zehn Jahren ein. Schnell rollte ich mich von Cem herunter und rappelte mich wieder auf.
„Selber schuld, wenn du mich dazu bringst hier hoch zu klettern“, sagte ich und klopfte mir den Schnee von der Kleidung. Dann sah ich zu Cem, der immer noch grinsend auf dem Flachdach lag.
Wieso sah dieser Kerl eigentlich so unverschämt gut aus? Mit seinen südländischen Wurzeln hatte er eine gewisse Ähnlichkeit zu Elyas M’Barek, der in „Türkisch für Anfänger“ den gleichnamigen Cem gespielt hatte. Für diese Ähnlichkeit wurde er regelmäßig von mir aufgezogen, aber seine Follower bei YouTube und Instagram liebten ihn dafür.
Entschlossen machte ich mich von Cem los und hockte mich dann hin, um ihm beim Verlegen der Schnüre zu helfen. Es brachte nichts, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn. Mit Männern hatte ich schon vor Jahren abgeschlossen und daran würde sich auch so schnell nichts ändern.
„Also gut“, sagte ich. „Dann lass uns mal loslegen. Was soll ich tun?“
„Vor allem sollst du versuchen, dich nicht umzubringen. Von mir mal ganz zu schweigen. Obwohl die Leute es ja lieben, wenn du dich blamierst.“
Ich verdrehte die Augen. „Es wäre nett, wenn du solche Situationen einfach mal rausschneiden könntest aus dem endgültigen Video.“
„Mach ich doch. Die kommen ganz am Ende als Outtakes. Und die Leute lieben Outtakes.“
Da hatte er nicht unrecht.
„Du würdest auch alles tun, um endlich dein Ziel zu erreichen, oder?“
„Klar. Eine Million Abonnenten bei YouTube bekommt man immerhin nicht geschenkt. Es fehlt nicht mehr viel und ich bin fest entschlossen, diese Hürde im nächsten Jahr zu nehmen.“
Ich nickte, weil ich wusste; wie wichtig ihm das war. Cem war zwar schon seit drei Jahren so erfolgreich, dass er von den Partnerverträgen mit YouTube und den Werbeverträgen mit verschiedenen Firmen leben konnte, aber er wollte mehr und war ehrgeizig genug, um es auch zu erreichen.
Mit seinen Pranks und Sportvideos hatte er sich mittlerweile einen Namen gemacht und ich mir unfreiwillig auch. Eigentlich hatte ich ja nie vorgehabt, so im Rampenlicht zu stehen, aber offensichtlich ließ man mir keine Wahl.
„Jetzt hör mal einen Moment auf an deine Abonnenten zu denken und konzentrier dich auf diesen Mist hier. Also. Was muss ich machen?“, fragte ich.
„Verleg die Zündschüre“, bat Cem mich. „Und sorg dafür, dass man sie nicht sofort sieht, wenn wir sie entzünden. Ich will, dass es um Mitternacht wirklich eine Überraschung wird. Die Leute sollen denken, das ganze Gebäude fliegt in die Luft.“
Reizende Vorstellung. Das würde der Party bestimmt neuen Schwung geben. So viel war schon mal klar.
Josh
Empathie war noch nie meine größte Stärke gewesen. Seit ich zurückdenken konnte, war es mir schon schwergefallen, mich in das hineinzudenken, was andere Menschen fühlten. Mir war klar, woran das lag.
Durch meine Wahrnehmungsstörungen empfand ich die meisten Dinge einfach anders. Zumindest auf körperlicher Ebene. Aber wenn es um Janna ging, dann hatte ich manchmal das Gefühl, auch auf psychischer Ebene absolut keine Ahnung zu haben, was sie empfand oder warum. Sie tat so oft Dinge, die ich nicht richtig einordnen konnte und wurde sauer, obwohl es meiner Ansicht nach keinen ersichtlichen Grund dafür gab. Entweder lag es daran, dass sie so ein großes Päckchen zu tragen hatte oder es ging allen Männern mit ihren Frauen so. Ich hoffte, dass Letzteres der Fall war.
„Hallo, Josh“, sagte in diesem Moment jemand und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Was machst du hier draußen?“
Schnell steckte ich das kleine Kästchen weg, das ich in der Hand hielt und sah mich nach Jannas Bruder Max um, der gerade auf den Steg von seinem Haus am See kam und sich neben mich auf die Bank setzte.
„Ich brauchte etwas frische Luft“, erklärte ich. „Der Brunch war ja lecker, aber mir war es wichtig, mal kurz durchatmen zu können.“
„Ja, klar“, sagte Max mit einem Schnauben. „Als ob. Deswegen sitzt du hier draußen auch barfuß im Schnee.“
Ich sah auf meine nackten Füße und mir fiel auf, wie befremdlich das auf Max wirken musste. Andererseits kannte er mich lange genug, um sich über solche Dinge nicht mehr zu wundern.
„Ich friere nicht so schnell“, erklärte ich. „Außerdem soll es doch gesund sein, barfuß durch den Schnee zu laufen.“
„Das schon. Aber wenn du nicht aufpasst, können dir die Zehen abfrieren. Egal, ob du es spürst oder nicht.“
Da musste ich ihm leider recht geben. Also zog ich meine Füße aus dem Schnee und klemmte sie im Schneidersitz unter meinen Hintern, damit sie wieder etwas wärmer wurden. Eine Jacke würde ich mir jetzt trotzdem nicht holen. Dafür war ich gerade viel zu unruhig.
Ich saß nun schon seit zehn Minuten hier draußen und versuchte mich zu sammeln. Ich hatte einen Plan und den wollte ich heute Abend in die Tat umsetzen. Aber ich hatte Schiss und wusste, dass es einen guten Grund dafür gab.
„Was war das gerade für ein Kästchen, das du da in der Hand hattest?“, fragte Max so beiläufig wie möglich. „Du hast doch nicht etwa vor, meiner Schwester einen Antrag zu machen, oder?“
Ertappt sah ich ihn an. Ich hatte es Jannas Vater und ihren Geschwistern nicht erzählen wollen, weil ich Angst davor hatte, dass es mir jemand ausreden würde. Aber jetzt, wo ich hier mit Max saß, kamen mir plötzlich tausende von Zweifeln.
„Hältst du das für keine gute Idee?“, fragte ich.
Max schürzte die Lippen. „Schwer zu sagen. Hätte ich dich gerne als Schwager? Aber klar doch. Sowas von. Passt du gut mit Janna zusammen? Hundertprozentig. Werdet ihr gemeinsam glücklich werden? Davon bin ich überzeugt. Aber wird sie Ja sagen? Ich habe keine Ahnung.“
Das hatte ich befürchtet. Janna war so ein Sturkopf. Das war sie immer gewesen. Schon als Kind, als wir uns kennengelernt hatten. Es hatte ewig gedauert, bis ich es geschafft hatte, sie zu irgendeinem Unsinn zu überreden, aber am Ende hatte sie dann doch barfuß mit mir im Regen getanzt.
Heute, wo sie erwachsen war, war es natürlich noch viel schwieriger geworden, sie von etwas zu überzeugen. Das lag allerdings zu großen Teilen daran, dass sie so viel durchgemacht hatte, bevor wir einander wiedergefunden hatten und ich fragte mich häufig, was wohl passiert wäre, wenn man uns nie voneinander getrennt hätte.
„Heißt das, ich soll sie besser nicht fragen?“, wandte ich mich an Max, aber der hob nur hilflos die Schultern.
„Ich weiß es nicht“, gab er zu. „Hast du sie denn schon mal darauf angesprochen, ob sie heiraten will? Habt ihr nie darüber geredet?“
„Doch, schon …“ Ich verstummte.
„Und?“
Ich seufzte. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie scharf darauf ist, nochmal zu heiraten. Ich glaube, eine Scheidung hat ihr gereicht.“
Max schnaubte. „Ja. Das passt zu Janna. Aber irgendwie kann ich sie auch verstehen. Die Sache mit Rogelio muss echt schlimm gewesen sein.“
Ich nickte. Mir war klar, dass Janna ein gebranntes Kind war. Ihr Exmann war Mexikaner gewesen und hatte sie körperlich sowie psychisch schwer misshandelt. Trotzdem hatte sie ewig gebraucht, sich von ihm zu lösen, weil ihre Gefühle für ihn mit dem ersten Schlag nicht einfach so verschwunden waren. Inzwischen war sie darüber hinweg. Hoffte ich zumindest. Aber man konnte trotzdem nie wissen, wie sie reagieren würde.
„Ist dir das Heiraten denn so wichtig?“, fragte Max und sah mich nachdenklich an. „Ich meine … es geht euch doch gut, oder? Die meisten Männer wären froh, wenn ihre Freundin sie mit dem Thema in Ruhe lassen würde.“
Ich lachte. „Jetzt sag nicht, Jacky fängt auch schon damit an.“
Max zog eine Grimasse. „Blödsinn. Wir sind ja gerade erst ein halbes Jahr zusammen. Ich denke, da kann sie sich gerade noch zurückhalten.“
Ich nickte. Jacky war komplett anders als Janna. Sie lockte Max aus der Reserve, brachte ihn dazu, Neues auszuprobieren und sich mehr unter Menschen zu trauen. Ohne sie wären wir vermutlich heute alle nicht hier und würden nachher auch nicht zu dieser riesigen Silvesterparty von Jannas Freundin Chrissie gehen. Stattdessen hätte Max sich an Silvester vermutlich alleine hier in seiner Hütte verkrochen.
Ich fand, dass diese Party der ideale Ort war, um Janna zu fragen. Immerhin würden ihre Familie sowie einige ihrer besten Freunde da sein und das würde es zu etwas ganz Besonderem machen. Jannas und Chrissies Familien waren inzwischen ohnehin stark miteinander verzweigt.
Jannas Schwester Luisa war mit Chrissies Cousin Alex zusammen und Janna und ich hatten uns auch mit Saskia und ihrem Mann Matze angefreundet. Verrückt eigentlich, wie das Leben so spielte, aber niemand konnte kontrollieren, wo die Liebe hinfiel.
Vielleicht war es wirklich leichtsinnig, Janna zu fragen, obwohl ich mir nicht sicher war, wie die Antwort ausfallen würde. Aber ich hatte immer nach dem Motto gelebt: Feel the fear and do it anyway.
Ja. Ich hatte Angst vor Ablehnung, aber wenn ich sie nicht fragte, dann würde ich nie erfahren, was sie gesagt hätte. Die Frage war nur, ob es wirklich so klug war, das Ganze vor ihrer Familie und ihren Freunden zu machen.
„Vielleicht sollte ich mein Vorhaben lieber verschieben“, sinnierte ich, obwohl ich längst alles mit Chrissie und ihrer Familie abgesprochen hatte. „Vielleicht ist Janna das alles viel zu viel. Ich will sie nicht überfallen damit.“
Max klopfte mir auf den Rücken. „Vor allem solltest du jetzt mal ins Haus kommen. Denn nur, weil du die Kälte kaum spürst, heißt das noch lange nicht, dass du keine Erkältung bekommen kannst.“
Er stand auf und ich folgte seufzend seinem Beispiel. Meine Füße gruben sich tief in den Schnee und ich fühlte die Kälte, die langsam in meine Haut zog. Nicht unangenehm, aber doch wahrnehmbar. Max hatte recht. Ich hätte mir Schuhe anziehen sollen. Immerhin war ich kein kleiner Junge mehr, der nicht wusste, was schlecht für ihn war und einfach in kochend heißes Badewannenwasser hineinsprang, ohne vorher zu kontrollieren, ob es für den Körper zu warm war. Nein. Ich wusste ganz genau, was mir guttat und was nicht. Wenn ich nicht langsam wieder ins Haus kam, würden mir die Zehen abfrieren und ein Aufenthalt im Krankenhaus war wirklich das Letzte, was ich gerade gebrauchen konnte.
Janna
Silvester war für mich der schönste Tag des Jahres. Das war so, seitdem Josh vor einigen Jahren ein paar Tage eher aus Kanada zurückgekommen war, nur um mich zu überraschen. Das hatte mir so viel bedeutet, dass ich mit Silvester seither immer ein sehr angenehmes Gefühl verband.
Ich hatte außerdem den Eindruck, dass es in diesem Jahr etwas ganz Besonderes werden würde. Als Chrissie mich und meine Familie eingeladen hatte, nach München zu kommen, um dort mit ihr zu feiern, war das eine ganz schöne Überraschung für mich gewesen. Mir war klar, dass die Einladung unter anderem an Luisa lag, die ja seit einiger Zeit mit Chrissies Cousin zusammen war, aber ich hätte trotzdem nicht damit gerechnet, dass man auch meinen Vater und meinen Bruder samt seiner Freundin Jacky mit auf die Liste setzen würde.
Es freute mich aber sehr, denn so hatten wir endlich mal wieder die Gelegenheit, einander zu sehen. Seit Weihnachten war meine gesamte Familie in München im Hotel. Wir hatten uns schon so einige Sehenswürdigkeiten angeschaut und gingen jeden Abend meinem Bruder auf die Nerven. Er lebte in der Nähe von München in der Holzhütte, in der wir gerade waren und würde vermutlich drei Kreuze machen, wenn wir endlich alle wieder verschwunden waren. Aber bis morgen musste er uns noch ertragen.
„Alex ist einfach der beste Sänger, den ich kenne“, erzählte Luisa gerade, als die Tür aufging und Josh mit meinem Bruder wieder hereinkam. „Er hat letzte Woche ein großes Konzert gegeben und einige der Mädels wären fast in Ohnmacht gefallen, als er anfing zu singen. Zum Glück bin ich nicht der eifersüchtige Typ. Sonst hätte ich bestimmt eine Prügelei angezettelt.“
„Du und nicht eifersüchtig?“, feixte Alex. „Du hast die Mädels mit deinen Blicken getötet und mich nach dem Konzert vor aller Augen abgeknutscht, um dein Revier zu markieren.“
„Das war nur, um dich vor der Horde Verrückter zu schützen“, beharrte Luisa, aber ich hörte schon gar nicht mehr zu, sondern sah zu meinem Bruder und Josh hinüber.
Mir war gar nicht aufgefallen, dass Josh nach draußen gegangen war und als ich seine bloßen Füße sah, wäre ich am liebsten aufgesprungen, um mit ihm zu schimpfen. Im letzten Moment riss ich mich aber zusammen, weil ich mich nicht so aufführen wollte, als wäre ich seine Mutter. Vor allem nicht vor versammelter Mannschaft. Ich wusste, wie sehr er das hasste. Zum Glück übernahm Jacky für mich.
„Warst du etwa barfuß da draußen im Schnee?“, kiekste sie, als sie seine roten Füße sah.
Josh schnaubte. „Nein. Wie kommst du denn darauf?“, fragte er. „Ich habe unsichtbare Schuhe an.“
Jackys irritierter Gesichtsausdruck brachte uns alle zum Lachen und mein Vater klopfte ihr heftig auf den Rücken.
„Nicht ärgern. Nur staunen“, sagte er. „Wir haben alle längst aufgehört, Josh darauf hinzuweisen, dass es viel zu kalt oder viel zu warm für irgendetwas ist. Immerhin ist er erwachsen und weiß selbst am besten, was er tut.“
Josh zog eine Grimasse und ich wusste genau, woran das lag. Er war manchmal ganz froh, wenn man ihn im Sommer darauf hinwies, dass er doch besser seinen Pullover ausziehen sollte oder sich eincremen musste. Einfach, weil er selber nicht merkte, dass er schwitzte oder gerade einen Sonnenbrand bekam. Ich hatte mir angewöhnt, ihn möglichst dezent auf solche Dinge hinzuweisen, damit es für ihn nicht unangenehm wurde. Dass es für Jacky allerdings befremdlich war, weil sie Josh kaum kannte, konnte ich mir gut vorstellen.
Mein Blick fiel auf meinen Bruder und ich staunte, wie gut er unseren Besuch bisher meisterte. Er wirkte zwar etwas angespannt, als er sich auf seinen Sessel setzte, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er jeden Moment aufspringen und sich in seinem Büro verschanzen würde, wie es noch vor ein paar Monaten der Fall gewesen wäre. Jacky tat ihm gut und das freute mich riesig für ihn.
„Barfuß im Schnee“, schimpfte Jacky leise und setzte sich auf Max’ Schoß. „Sowas Verrücktes hab ich ja auch noch nie gehört.“
Ich lächelte, weil ich wusste, wie wenig Josh so etwas ausmachte. Er war einfach, wie er war und ich liebte ihn für diese Macken. Immerhin hatte ich selbst auch genug, die er ertragen musste.
„War eigentlich einer von euch schon mal in dem Haus, wo wir nachher hingehen?“, fragte Luisa und sah mich erwartungsvoll an.
Ich schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Ich nicht. Es muss irgendwo außerhalb sein. Soweit ich weiß, haben Chrissies Eltern es extra für solche Feiern gekauft.“
„Chrissies Mutter“, korrigierte Alex mich. „Ihr Stiefvater zahlt nur.“
„Sicher“, sagte ich. „Du müsstest sie doch viel besser kennen als sonst jemand hier.“
„Na ja. Mit meiner Tante habe ich zum Glück sonst wenig Kontakt. Da lege ich auch nicht besonders viel Wert drauf. Sie ist eine Hexe, wenn du mich fragst. Ich staune immer wieder, dass die drei Mädels nicht alle in der Psychiatrie gelandet sind. Wobei … bei Chrissie hat sie es sogar geschafft.“
Ich schüttelte den Kopf und funkelte Alex an. „Daran war nicht nur ihre Mutter schuld und das weißt du.“
Chrissie war in ihrer Jugend übel in der Schule gemobbt worden. Aber ich verstand schon, worauf Alex hinauswollte. Wäre ihre Mutter etwas verständnisvoller gewesen, hätte Chrissie es vielleicht geschafft, ein gesünderes Selbstbewusstsein aufzubauen und sich besser zur Wehr setzen können. So war ihr das nicht gelungen und sie wäre beinahe daran zerbrochen.
„Ist schon klar“, sagte Alex. „Sollte nur ein Scherz sein.“
„Darüber scherzt man nicht“, stellte ich klar. „Vor allem du nicht.“
Auch wenn Alex Chrissie nicht direkt gemobbt hatte, war er mehr in die Sache verstrickt gewesen als irgendjemand sonst.
„Jetzt krieg dich mal wieder ein, Janna“, mischte Luisa sich ein. „Alex und Chrissie haben das untereinander geklärt und ich finde nicht, dass du dich da einmischen solltest.“
Ich seufzte. Luisa hatte sicher recht. Ich wusste selbst nicht, warum ich gerade so auf Krawall gebürstet war. Immerhin hatte ich vorhin doch noch so gute Laune gehabt. Silvester war ein schöner Tag. Er läutete ein neues Jahr ein und somit immer wieder eine neue Chance, um Dinge besser zu machen, die man im Vorjahr vielleicht verbockt hatte. Das letzte Jahr war nicht schlecht gewesen. Im Gegenteil. Meine beste Freundin Alexis hatte ihr zweites Kind bekommen, Chrissie hatte geheiratet und mein Dad schien nach dem Tod meiner Mutter endlich wieder nach vorne zu blicken. Trotzdem war ich schon gespannt, was das nächste Jahr wohl bringen mochte und beschloss, mich mehr zusammenzureißen.
Heute war ein guter Tag. Ich musste nur fest genug daran glauben.
Mel
„Diese ganzen Sachen müssen da rüber“, rief meine Mutter aufgeregt. „Und dieser Schmuck muss noch hier aufgehängt werden. Herrgott nochmal. Muss man eigentlich immer alles selber machen?“
Ich versuchte mich kleinzumachen, damit ich nicht auf ihr Radar geriet, aber natürlich gelang mir das nicht.
„Mel! Was suchst du denn hier? Ich dachte, du wärst längst zu Hause, um dich schick zu machen.“
Mist. Ich hätte wissen müssen, dass sie hier sein würde, wenn es auf die Party zuging. Sie war niemand, der sich zurücklehnte und einfach mal die Leute ihre Arbeit machen ließ. Nein. Sie nicht. Sie musste immer jedem sagen, was er zu tun hatte.
Ich biss mir auf die Unterlippe und überlegte. Ich konnte meiner Mutter ja schlecht sagen, dass ich kontrollieren wollte, ob alle Zündschnüre noch vernünftig lagen. Sie würde einen halben Herzinfarkt bekommen, wenn sie erfuhr, was Cem mit ihrer schönen Party vorhatte. Dabei wurde es doch mal Zeit, dass jemand ihre Freunde gehörig aufmischte.
„Ich … wollte nur sehen, ob du noch bei irgendwas Hilfe brauchst“, behauptete ich, weil mir einfach keine andere Ausrede einfiel.
Verdammt. Wenn sie mich jetzt einspannte, dann hatte ich ein Problem. Wer einmal in den Fängen meiner Mutter war, der kam nicht so schnell wieder heraus.
„Du wolltest fragen, ob ich Hilfe brauche?“, fragte auch meine Mutter mehr als skeptisch, da es normalerweise nicht meine Art war, meine Hilfe anzubieten. Oh Mann. Ich war zweiundzwanzig und fühlte mich in ihrer Gegenwart immer noch, als wäre ich zwölf und hätte etwas angestellt. Ganz abgesehen davon, dass ich diesmal wirklich etwas angestellt hatte, beziehungsweise, dass ich vorhatte etwas anzustellen.
Warum nochmal konnten wir diesen Streich nicht Cems Familie spielen? Ach ja, richtig, weil er keine hatte.
Cem war bei Pflegeeltern groß geworden und die lebten inzwischen in Österreich irgendwo in den Bergen. Insofern blieb wohl nur meine Familie übrig, die man auf diese Art pranken konnte. Au Mann. Hoffentlich ging das alles gut.
„Also fein. Wenn du schon mal hier bist, kannst du mir auch eben helfen, drinnen eine Girlande anzubringen. Die Leute schaffen es alle nicht, das so hinzubekommen, wie ich das haben will.“
Ich schluckte und nickte dann. Ich hatte gefragt und nun hatte ich den Salat. Ich hätte mir ja denken können, dass sie mich beim Wort nehmen würde.
„Klar“, sagte ich, nahm die silberne Girlande entgegen und lief ihr hinterher in den großen Saal mit den Tischen. Einige waren schon eingedeckt und alles sah bereits hervorragend aus.
„Wo soll sie hin?“, fragte ich.
„Hier über die Tür“, erklärte meine Mutter und stemmte die Hände in die Hüften. Obwohl sie vorhatte zu arbeiten, trug sie ein schickes Kostüm. Ihr blond gefärbtes Haar hatte sie zu einem strengen Dutt nach hinten gebunden und sie war perfekt geschminkt. Vermutlich hatte sie bis vorhin noch gearbeitet. Früher hatte sie sogar Putzjobs annehmen müssen, um über die Runden zu kommen, aber seit sie meinen Stiefvater kannte, war sie als seine persönliche Sekretärin tätig und fühlte sich wie die Königin von China.
„Klettere auf die Leiter und hau den Nagel in die Wand.“
„Ääääh. Bist du dir sicher, dass das so eine gute Idee ist?“, fragte ich. „Wäre es nicht besser, wenn du mir irgendeine andere Aufgabe geben würdest? Ich könnte zum Beispiel die Toiletten putzen.“
Das wäre mir tatsächlich lieber gewesen, als auf diese drei Meter hohe Leiter zu steigen, die so wacklig aussah, dass mir jetzt schon ganz schwindelig wurde.
„Papperlapapp“, sagte meine Mutter. „Nun mach schon. Du wirst ja wohl noch einen Nagel in die Wand hauen können.“
„Ja. Aber ich bin überzeugt, dass du das viel besser könntest.“
„Schon möglich, aber ich muss hier unten bleiben, um das Ergebnis zu beurteilen.“
Hm. Das klang einleuchtend. Also nahm ich seufzend den Hammer entgegen und kletterte die Leiter hoch, die erstaunlicherweise nicht unter meinem Gewicht zusammenbrach.
Ungeschickt hob ich die Girlande, damit meine Mutter beurteilen konnte, ob ich alles richtig machte.
„Etwas weiter nach links“, befahl sie. „Die Girlande muss straffer sein.“
Ich zog an der Girlande und hielt sie weiter weg.
„Ja. Genau. Perfekt.“
Ich seufzte, nahm den Nagel und positionierte ihn auf der Girlande an der Wand. Dann schlug ich zu. Ich schaffte es, zweimal meinen Daumen zu verfehlen, aber dafür traf ich den Nagel schräg und er knickte ab. Hm. Jetzt war er zumindest halb drin. Nicht schön, aber selten. Außerdem sah das ja hier oben eh niemand.
„Bist du fertig?“, fragte meine Mutter ungeduldig.
„Jap“, sagte ich. „Alles fertig.“
Das würde schon halten. Hoffte ich zumindest. Denn ich würde sicherlich nicht nochmal hier hochsteigen, um einen zweiten Nagel in die Wand zu hauen.
„Gut. Dann komm mit. Es gibt noch mehr zu tun.“
Sie lief aus dem Saal und ich seufzte. Sowas in der Art hatte ich schon befürchtet. Langsam stieg ich wieder von der Leiter, aber kurz bevor ich unten war, kam jemand durch die Tür, der einen großen Tisch vor sich hertrug. Der Tisch war so breit, dass er weder mich noch meine Leiter sah.
„Vorsicht“, rief ich noch, aber das hörte der Mann schon gar nicht mehr. Er stieß mit seinem Tisch gegen meine Leiter und diese geriet ins Rutschen. Ich schaffte es gerade noch, den letzten Meter zu springen, aber die Leiter konnte ich nicht mehr am Fallen hindern. Sie rutschte weiter und knallte mit voller Wucht auf den voll gedeckten Tisch neben mir.
Es gab ein riesiges Geschepper, bei dem allerlei Geschirr zu Bruch ging und ich sah mit offenem Mund dabei zu, wie sich die Scherben auf dem Boden verteilten.
„Mel!“, ertönte sofort der Schrei meiner Mutter, die zurück in den Saal gerannt kam. „Was hast du nur angestellt?“
„Ich … das war ich nicht“, stammelte ich und fand, dass meine Mutter eigentlich hätte froh sein sollen, dass mir nichts passiert war. Immerhin hatte ich gerade noch ganz oben auf dieser Leiter gestanden und hätte nun genauso gut zerbrochen dort liegen können wie das Geschirr.
„Dich kann man keine fünf Minuten aus den Augen lassen“, schimpfte sie stattdessen weiter. „Hattest du etwa einen Anfall?“
„Was? Nein“, stellte ich klar, obwohl es mich nicht gewundert hätte, wenn ich jetzt einen bekommen hätte. Ich litt schon seit Jahren unter Epilepsie, die bei mir durch besondere Stresssituationen ausgelöst werden konnte. Mit meinen Medikamenten hatte ich das ganz gut in den Griff bekommen, aber leider neigte ich dazu, diese Tabletten zu vergessen.
„Mel! Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Matze, der Mann meiner Schwester, der offensichtlich hinter dem Tisch gesteckt hatte. „Das tut mir so leid. Ich hab die Leiter nicht gesehen.“
Ich zitterte am ganzen Körper, nickte aber. „Ist … ist schon gut. Nix passiert.“
„Nix passiert?“, schrie meine Mutter und deutete auf die Scherben. „Das nennst du nix passiert? Weißt du eigentlich, was jeder einzelne dieser Teller kostet? Von den Gläsern mal ganz zu schweigen!“
Das wusste ich nicht, aber ich war hauptsächlich froh, dass mir selber nichts passiert war. Gut, dass mein Schwager das genauso zu sehen schien.
„Es war nicht ihre Schuld“, verteidigte Matze mich. „Mel konnte nichts dafür. Sie hat noch Glück gehabt, dass sie sich nicht den Hals gebrochen hat. Ich bringe sie jetzt lieber nach Hause.“
„Was? Aber … Matthias … du hast doch versprochen, dass du dir die Elektrik nochmal ansiehst.“
„Mel ist gerade wichtiger.“
„Das sehe ich anders. Sie wird gleich wieder. Aber die Party verschiebt sich nicht einfach, nur weil meine Tochter gerade einen Schwächeanfall hat.“
„Also fein. Ich bringe Mel weg und komme danach wieder, okay?“
Meine Mutter wirkte nicht so, als wäre das für sie okay, aber sie musste es hinnehmen. Matze ließ ihr keine andere Wahl.
„Also fein. Dann beeil dich aber. Wir haben noch viel zu tun.“
Matze nickte, legte mir dann einen Arm um die Schulter und führte mich nach draußen.
„Komm schon, Mel“, sagte er. „Bist du mit dem Fahrrad hergekommen?“
Ich schüttelte den Kopf. Ich war mit der Bahn hier, weil ich mir Sorgen gemacht hatte, mit dem Fahrrad nicht durch den vielen Schnee zu kommen. Jetzt war ich ganz froh darüber, weil Matze mich so problemlos mit dem Wagen nach Hause bringen konnte.
„Du zitterst ja immer noch“, stellte er fest, als wir nach draußen kamen.
Er hatte Recht. Ich zitterte und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren, um einen Anfall zu verhindern. Wenn mir das jetzt auch noch passierte, dann war ich für meine Mutter vermutlich endgültig gestorben, weil sie dann gezwungen wäre, mir ihre kostbare Aufmerksamkeit zu schenken. Auf einmal hatte ich gar nicht mehr so viel Mitleid mit ihr wegen dem, was Cem heute Abend vorhatte.
Matze bugsierte mich in sein Auto, lief dann leicht humpelnd zum Fahrersitz und fuhr los.
„Darfst … darfst du eigentlich schon wieder so schwer heben?“, fragte ich, um mich abzulenken. „Ich meine … nach deinem Unfall und allem.“
„Ich darf im Prinzip alles machen, womit ich mich wohlfühle“, erklärte Matze. „Und ein paar Tische zu tragen ist nun wirklich keine große Sache für mich.“
Ich nickte. Matze hatte immer zu den Menschen gehört, die ein ausgeprägtes Helfersyndrom besaßen. Wenn er irgendwo Arbeit sah, dann konnte er unmöglich einfach nur zusehen und meine Mutter nutzte das gnadenlos aus, obwohl sie sonst nie müde wurde zu betonen, dass ihr Schwiegersohn ‚nur’ einen Hauptschulabschluss hatte und insofern überhaupt nicht gut genug für ihre studierte älteste Tochter war. Zum Glück sah Saskia das anders.
„Du musst mich wirklich nicht bringen“, sagte ich halbherzig. „Ich hätte es sicherlich auch so nach Hause geschafft. Meine Mutter braucht dich viel dringender als ich.“
„Unsinn“, beharrte Matze. „Was glaubst du, was Saskia mit mir anstellt, falls sie erfährt, dass ich dich fast umgebracht und mich danach nicht um dich gekümmert habe? Ich wäre ein toter Mann.“
Ich kicherte, weil er damit gar nicht so falsch lag. Saskia hatte einen sehr starken Beschützerinstinkt und wollte immer nur das Beste für mich. Seit sie selber zwei Kinder hatte, war es etwas weniger geworden, aber davor war sie für mich wie ein Mutterersatz gewesen, weil meine eigene Mutter kaum Zeit für mich gehabt hatte.
Matze fuhr bis in die Nähe meiner Wohnung, die ich mit Lara und Cem bewohnte. Mein Zittern hatte sich inzwischen beruhigt und ich lächelte Matze an.
„Danke“, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist ein Schatz.“
„Klar. Du weißt doch: Jeder sollte einen Matze haben.“
Das war ein Spruch, den Saskia gerne brachte, wenn Matze mal wieder die Welt gerettet hatte. Er zwinkerte mir zu und ich stieg lachend aus dem Auto. Ich winkte ihm noch hinterher und ging dann nach oben. Die Tür war nur angelehnt, aber ich wusste, dass das nicht unbedingt auf Einbrecher hindeutete. Viel mehr war zu erwarten, dass Cem mir wieder einmal eine seiner Fallen gestellt hatte und nur darauf wartete, dass ich hineintappte.
Mit ihm zusammenzuwohnen war manchmal verdammt anstrengend. Doch zu meiner Überraschung stand heute kein Eimer Wasser oben auf der Türkante. Ich sah auch sonst keine verräterischen Hinweise und ging vorsichtig auf Laras Zimmer zu.
„Cem!“, rief ich misstrauisch, weil ich der Sache noch nicht traute.
Keine Antwort.
Ich öffnete die Tür und sah im ersten Moment nur etwas hinter dem Bett. Es war pelzig und schien mehrere Beine zu haben. War das … Nein. Unmöglich.
Es war zu dunkel um mehr zu erkennen, also versuchte ich das Licht anzuschalten, aber nichts geschah. Verdammt. Hatte Cem den Strom abgeschaltet?
Ich trat noch einen Schritt näher und schaltete mein Handy an, um wenigstens etwas Licht zu haben. Warum nur wurde es um diese Jahreszeit auch schon um 17 Uhr dunkel?
Ich hielt das Handy in die Ecke und kreischte auf. Vor mir lag ein Mensch in leicht verdrehter Position. Rund um ihn Blut und auf ihm thronte eine riesige Spinne, die sich augenscheinlich gerade über ihn hermachte. Mein erster Instinkt war, einfach wegzulaufen, aber im nächsten Moment wurde mir klar, dass das hier nicht einfach irgendein Zimmer war. Das hier war Cems Zimmer und die Wahrscheinlichkeit, dass das Blut und diese riesige Spinne echt waren, lag so ungefähr bei null. Das Ding war so groß wie eine Katze und so groß war keine Spinne. Absolut unmöglich. Wenn, dann hätte sie genmanipuliert sein müssen.
„Himmel, Cem“, rief ich. „Willst du mich zu Tode erschrecken?“
Ein leises Lachen ertönte von dem Mann auf dem Boden. „Ich nicht, aber vielleicht Spider hier. Fass, Spider. Fass.“
Cem deutete auf mich und die Spinne bewegte sich. Ich hatte ja zuerst gedacht, sie wäre nur aus Plüsch, aber sobald Cem in meine Richtung deutete, sprang sie auf mich zu und versuchte an mir hochzuhüpfen. Ich erschrak so sehr, dass ich zurückschreckte. Dabei stieß ich mir heftig den Kopf am Türrahmen und ging zu Boden. Das ließ sich die Spinne nicht entgehen. Sie hüpfte sofort auf meine Brust und fing an … mich abzulecken?
Cem lachte laut, stand auf und filmte mich mit seinem Handy, währen der kleine Hund im Spinnenkostüm mir übers Gesicht schlabberte.
„Frau Schmiedel von unten hat mich gebeten, eine Stunde auf ihren Hund aufzupassen“, erklärte Cem und schaltete das Licht an, indem er die Glühbirne wieder reindrehte.
Nun sah ich auch das Hundegesicht und erkannte den kleinen Kläffer von unten. Es war ein winziger Mops, dem Cem acht zusätzliche Beine auf dem Rücken befestigt hatte. Es sah wirklich skurril aus und ich schlug mir eine Hand vor das Gesicht.
„Oh Mann. Erst lässt Matze mich fast von einer Leiter stürzen und dann werde ich hier noch von einer Spinne gefressen. Heute ist echt nicht mein Tag.“
„Matze hat was getan?“, fragte Cem mit großen Augen und ich musste lachen, als ich ihn mit dem ganzen roten Zeug auf dem Körper so vor mir stehen sah.
„Was ist das?“, fragte ich. „Kunstblut?“
Er schüttelte den Kopf und steckte sich etwas von dem Zeug in den Mund.
„Ketchup“, erklärte er.
„Oh Mann. Hast du denn wirklich nix Besseres zu tun?“
„Was Besseres, als neue Videos für meinen Kanal zu drehen? Wohl kaum. Immerhin verdiene ich damit mein Geld.“
Ach ja. Das vergaß ich immer mal wieder. „Hast du die Zündschnüre gecheckt?“, fragte Cem.
Ich zog eine Grimasse. „Das wollte ich. Das wollte ich wirklich, aber meine Mutter hat den Plan vereitelt.“
„Deine Mutter war da?“
„Natürlich war sie da. Das hätte ich mir eigentlich denken können.“
„Oh Mann. Deine Mutter hätte zur Armee gehen sollen. Da wäre sie echt besser aufgehoben gewesen. Wozu engagiert man denn bitte schön einen Partyservice, wenn man am Ende doch alles selber macht?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Du kennst doch meine Mutter.“
„Nein. Tue ich nicht, aber vermutlich kennt sie auch sonst niemand. Insofern ist das nicht so dramatisch.“
Das stimmte, also hatte ich dem nichts hinzuzufügen.
„Ich geh mich dann mal umziehen“, verkündete ich. „In zwei Stunden geht die Party los und ich bin wirklich gespannt, wie der größte Prank deiner Karriere bei den Leuten ankommen wird.“
„Ich auch“, sagte Cem lachend. „Das kannst du mir glauben.“
Josh
Ich hasste es, mich schick zu machen, aber heute war es genau das Richtige für meinen Plan. Chrissie hatte uns zwar zugesichert, dass man uns auch in Jeans und Hemd reinlassen würde, aber ich wusste, wie sehr Janna es insgeheim liebte, wenn ich mich in Schale warf. Sie mochte zwar meine verrückten Spruchshirts, aber ich erkannte das Leuchten in ihren Augen, als ich aus dem Bad trat und einen Anzug anhatte, der perfekt saß. Ich fand es genauso toll, dass sie heute Abend so zauberhaft aussah.
Wie ich trug sie im Alltag eher praktische Kleidung, daher machte mein Herz einen Sprung, als ich sie in ihrem glitzernden Abendkleid sah. Es war hellblau und erinnerte mich ein wenig an das Kleid von Elsa aus „Die Eiskönigin“. Es war verrückt, dass ich diesen Film überhaupt kannte, aber Janna hatte darauf bestanden, dass ich sie ins Kino begleitete und ich musste zugeben, dass die Musik richtig gut war und Olaf mich ein paarmal herzhaft zum Lachen gebracht hatte.
Als hätte Janna versucht, Elsa nachzueifern, hatte sie ihr dunkelblondes Haar so hochgesteckt, dass man gar nicht erkannte, dass es sehr viel kürzer war als das der Eiskönigin. Ihr Blick strahlte allerdings so viel Wärme aus, dass er mich jeden Gedanken an Schnee und Eis sogleich vergessen ließ.
„Du siehst toll aus“, sagte sie und ließ ihren Blick über meinen Körper gleiten.
Ich grinste. „Du bist aber auch nicht übel. Wenn du dich noch ein bisschen anstrengst, kannst du vielleicht mit mir mithalten. Aber nur vielleicht, versteht sich.“
„Haha“, sagte sie. „Pass auf, dass du nicht an deinem Eigenlob erstickst.“
Ich lachte. „So schnell geht das nicht. Ich habe da so meine Erfahrung.“
Janna schnaubte und wollte sich schon von mir abwenden, aber ich ergriff ihren Arm und sorgte dafür, dass sie mich wieder ansah.
„Du siehst wunderschön aus“, versicherte ich ihr und strich mit meiner Hand über ihre Wange.
„D-danke“, sagte sie und wich meinem Blick aus.
Auch nach all dieser Zeit fiel es ihr noch schwer, Komplimente anzunehmen. Dabei wusste sie doch ganz genau, wie ernst es mir war.
„Hey. Sieh mich an“, forderte ich und sie gehorchte widerwillig.
Ihre blauen Augen waren dezent geschminkt und sie sah so wunderschön aus, dass ich sie am liebsten hier und jetzt im Hotelzimmer vernascht hätte. Doch das musste warten. Erst einmal war mir wichtig, dass Janna aufhörte, an die Vergangenheit zu denken. Denn dass sie das tat, war offensichtlich.
„Du bist wunderschön“, wiederholte ich. „Ich liebe dich genau so, wie du bist und bin absolut in dich vernarrt. Vergiss das heute Abend nicht, okay?“
Sie lächelte. „Du tust ja so, als wären wir auf einem Staatsbankett.“
„Nein. Das nicht. Aber mir ist trotzdem wichtig, dass du das nicht vergisst.“
Mit diesen Worten beugte ich mich zu ihr herunter und küsste sie. Sie seufzte unter der Berührung meiner Lippen und öffnete leicht den Mund, sodass ich den Kuss intensivieren konnte. Sie schmeckte so unglaublich gut und ich konzentrierte mich ganz auf sie. Mir hätte ein Elefant auf den Fuß treten können und ich hätte es in dieser Situation vermutlich nicht einmal gemerkt, so vertieft war ich, bis Janna sich widerwillig von mir löste.
„Tut mir leid, das beenden zu müssen, aber wir müssen gehen, Josh. Es geht in einer Viertelstunde los und Papa wartet vermutlich schon unten an der Rezeption.“
Ich seufzte. „Du hast recht“, gab ich zu und kontrollierte noch ein letztes Mal, ob ich das Kästchen bei mir hatte.
Es wurde ernst und ich war mir alles andere als sicher, ob ich dafür bereit war.
Janna
Das Gebäude, in dem die Party stattfinden sollte, war kein einfaches Haus, sondern eine halbe Burg. Es erinnerte mich ein bisschen an die Ritterburgen von früher, weil es auf der einen Seite einen Turm hatte. Der Rest des Daches war flach mit einer kleinen Steinmauer drum herum, sodass man nicht drauf gucken konnte.
Nun verstand ich zumindest auch die Kleiderordnung. Wenn Josh hier mit einem seiner typischen Spruchshirts à la „Ich bin kein Dummschwätzer, ich weiß es wirklich besser“ aufgetaucht wäre, dann wäre das einfach fehl am Platz gewesen. Der Weg zu der kleinen Burg war mit Fackeln geschmückt und ich fühlte mich tatsächlich wie ein Burgfräulein auf dem Weg zu einem Ball.
Ich hatte mich bei Josh eingehakt, der heute ein bisschen nervös zu sein schien. Ich hatte keine Ahnung, woran das lag, hoffte aber, dass es sich legen würde, sobald der Abend richtig begonnen hatte. Immerhin waren wir heute hier, um Spaß zu haben und nicht, um uns verrückt zu machen.
„Wow. Geiler Schuppen“, stellte Jacky fest. „Die Mutter von Saskia, Chrissie und Mel lässt sich echt nicht lumpen.“
„Hm. Nach der Hochzeit von Chrissie hätte mich das auch sehr gewundert“, sagte mein Bruder und schluckte.
„Woher hat die Familie eigentlich so viel Geld?“, fragte mein Vater, der als Einziger von uns nicht auf Chrissies Hochzeit gewesen war und noch nicht so viel über die Familie wusste.
„Meine Tante war früher arm wie eine Kirchenmaus“, erklärte Alex. „Vor allem, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Aber sie hat neu geheiratet. Ihr jetziger Mann ist einer der angesehensten Schönheitschirurgen in ganz Deutschland. Seine OPs kosten ein Heidengeld und er ist angeblich ein Genie auf seinem Gebiet.“
„Das heißt, er verdient die Kohle und sie gibt sie wieder aus“, fasste Jacky das Ganze zusammen und grinste. „So hatte ich mir das eigentlich auch immer vorgestellt.“
Max lachte freudlos. „Dann hättest du dir eindeutig einen anderen Mann suchen müssen.“
„Wieso? Wer sagt denn, dass du mit deinen Programmierfähigkeiten nicht irgendwann auch noch reich wirst? Ich muss es nur noch schaffen, dich davon zu überzeugen, dass es gar nicht so schlimm ist, sich in irgendwelche Banken zu hacken.“
Max zog eine Grimasse und rückte seine neue Krawatte zurecht. Für den Anlass heute hatte er sich extra einen eigenen Anzug besorgt. Er stand ihm gut, das musste ich zugeben. Aus meinem Bruder war ein stattlicher junger Mann geworden.
„Nun hört auf, solchen Unsinn zu reden und lasst uns reingehen, Kinder“, befahl mein Vater. „Sonst friere ich hier am Ende noch fest.“
Mein Vater hatte recht. Es war klirrend kalt und der Schnee unter meinen Füßen zog durch meine Pumps. Ich fürchtete jetzt schon, dass ich spätestens in drei Stunden meine Ersatzschuhe würde tragen müssen. Es war allerdings ohnehin gut, dass ich sie eingepackt hatte, weil ich später unmöglich barfuß durch den Schnee laufen konnte, wenn es ans Feuerwerk ging. Josh mochte das ja nichts ausmachen, aber ich war da erheblich empfindlicher.
Wir betraten die kleine Burg und staunten nicht schlecht. Der Saal war wunderbar hergerichtet worden. Überall Fackeln und Kronenleuchter. Alles war voller silberner Girlanden und die langen Tische waren geschmückt wie bei einer Hochzeit. Weiße Decken und hohe Blumenvasen zierten die Tische. Dazu kamen kleine Hufeisen und vierblättrige Kleeblätter, die einem Glück fürs neue Jahr bringen sollten. Daneben lagen auch weiße T-Shirts und Filzmalstifte sowie eine Aufforderung, seine Wünsche fürs neue Jahr aufzuschreiben und die Shirts um Mitternacht zu tragen, damit die Wünsche Wirklichkeit wurden. Die Idee fand ich besonders toll, weil ich wusste, wie sehr Josh es liebte, Spruchshirts zu tragen. Wenn er um Mitternacht so etwas anhatte, würde er sich bestimmt gleich viel wohler in seiner Haut fühlen.
Es würde die ganze Party auch auflockern, denn hier war wirklich jeder gekleidet wie auf einer Hochzeit. Auch Chrissie selber sah zauberhaft aus. Sie entdeckte uns und schwebte in einem traumhaften violetten Kleid auf uns zu wie eine Elfe. Ihr Haar war inzwischen wieder etwas länger geworden und sie hatte es mit einem Haarreif nach hinten geschoben, sodass ihr filigranes Gesicht besser zur Geltung kam.
„Janna!“, rief sie. „Wie schön, dass ihr da seid.“
Sie fiel mir um den Hals und begrüßte danach auch alle anderen aus meiner Familie. Ihr Mann Adam stand ein wenig im Hintergrund, wie er es meistens tat. Er schien noch derselbe Eisklotz zu sein, als den ich ihn kennengelernt hatte. Aber trotzdem war etwas anders, seit er mit Chrissie zusammen war. Er war zwar immer noch sehr wortkarg, aber weniger griesgrämig, denn ab und zu erkannte ich sogar die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen. Das war definitiv ein Fortschritt im Vergleich zu früher.
„Danke für die Einladung“, sagte ich und drückte auch Adam einen Kuss auf die Wange, obwohl der sich gar nicht darüber zu freuen schien.
„Dank nicht mir, sondern meiner Mutter. Sie hat bestimmt, dass wir alle unsere Freunde einladen dürfen und da Adam abgesehen von euch immer noch kaum jemanden kennt, fand ich die Idee schön, euch dabeizuhaben.“
„Wie kommt es überhaupt, dass deine Mutter so eine riesige Party schmeißt? Gibt es dafür einen bestimmten Anlass?“
Chrissie senkte die Stimme und flüsterte mir zu: „Die Praxis meines Stiefvaters brauchte dringend noch ein paar Ausgaben in diesem Jahr, um nicht so hohe Steuern zu zahlen, also hat er nicht nur eine Weihnachtsfeier gegeben, sondern halt auch eine Silvesterfeier. Offiziell seid ihr potenzielle Kunden. Überlegt euch schon mal, was ihr gerne machen lassen würdet.“
Sie zwinkerte mir zu und ich schnaubte. „Du fragst ausgerechnet mich, was ich gerne machen lassen würde?“, fragte ich. „Du weißt doch genau, was ich von Schönheits-OPs halte.“
Ich wusste, dass Chrissie sich die Brüste vergrößern lassen hatte und verstand, dass sie das für ihr Selbstbewusstsein gebraucht hatte. Für mich selbst hielt ich aber überhaupt nichts davon.
„Ich hätte nix gegen eine Brust-OP“, verkündete Luisa frei heraus. „Und meine Ohren stehen auch zu weit ab.“
„So ein Blödsinn. Deine Ohren stehen kein bisschen ab“, protestierte Alex.
„Ach. Aber meine Brüste könnten ruhig größer sein?“, neckte sie ihn.
Er räusperte sich. „Das hast du jetzt gesagt. Ich enthalte mich meiner Stimme.“
„Ist vielleicht auch besser so“, bemerkte ich. „Bei solchen Themen könnt ihr Männer doch nur verlieren.“
Ich wartete darauf, dass Josh einen Kommentar dazu abgab, aber er hielt sich zurück. Ohnehin war er heute recht still und in sich zurückgezogen. So kannte ich ihn sonst gar nicht. Als hätte auch Chrissie das bemerkt, legte sie Josh einen Arm auf die Schulter.
„Hey, Josh. Alles gut bei dir?“, fragte sie.
Er schluckte und rang sich ein Lächeln für sie ab. „Ja, natürlich“, sagte er. „Die Location hier ist wunderbar.“
„Ja, nicht wahr? Ich habe euch nicht zu viel versprochen. Und mach dir keine Sorgen. Der Abend wird richtig toll. Du wirst schon sehen.“
Sie tätschelte seinen Arm und ihn schien das etwas zu beruhigen. Ich hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte, aber ich war sicher, dass Chrissie recht hatte.
Der Abend würde ein voller Erfolg werden und ich freute mich schon darauf.
Josh
Alles war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Chrissies Mutter war ein Organisationstalent. Es gab ein tolles Buffet, gute Musik sowie jede Menge Sekt und andere alkoholische Getränke.
Ich persönlich hielt mich an Mischbier, weil ich es nicht übertreiben wollte. Immerhin hatte ich mir für heute noch einiges vorgenommen.
Janna hingegen schien sich völlig frei zu fühlen, trank jede Menge Sekt und lachte viel mit ihrer Familie. Es war schön, sie so glücklich zu sehen.
„Hey. Und? Wirst du es wirklich durchziehen?“, fragte Alex neben mir, als die anderen gerade in ein Gespräch vertieft waren.
Er war einer der Wenigen, die ich im Voraus eingeweiht hatte, obwohl Max seit ein paar Stunden ja ebenfalls Bescheid wusste.
„So ist der Plan“, sagte ich und versuchte mich an einem Lächeln.
Mist. Warum war ich so nervös? Lag das wirklich nur an meiner Angst vor einer Absage oder war es eine Art Vorahnung?
„Ist bei dir denn alles vorbereitet?“, fragte ich, weil ich mich auf den Ablauf konzentrieren musste. Sonst würde das auf gar keinen Fall etwas werden.
„Klar. Meine Gitarre ist im Auto. Mit dem DJ habe ich auch schon gesprochen. Ich warte also eigentlich nur noch auf dein Kommando.“
Ich nickte gedankenverloren. „Das bekommst du, sobald es so weit ist.“
Alex nickte. „Mann. Du bist wirklich mutig. Ich meine, Luisa ist toll, aber heiraten würde ich jetzt noch nicht. Vielleicht in zehn Jahren oder so.“
Er lachte leise und ich schnaubte. „Warte es nur ab. Irgendwann stehst du genauso da wie ich jetzt, weil sie dir einfach so wichtig geworden ist, dass du sie auf keinen Fall wieder verlieren willst.“
„Das ist bereits jetzt schon so“, stellte Alex klar. „Aber heiraten … Na ja. Es ist dein Untergang … ähm. Leben, meinte ich.“
Ich schnaubte und boxte ihm gegen die Schulter. „Lach du nur. Ich erinnere dich nochmal daran, wenn es bei dir so weit ist.“
Alex grinste und ich sah wieder zu den anderen, die gerade in ein Gespräch über Glück und Schicksal vertieft waren, als Mel an den Tisch trat. Chrissies Schwester hatte sich heute besonders hübsch gemacht. Sie trug ein beiges Cocktailkleid, das um die Oberweite herum sehr eng saß und ihr beachtliches Dekolleté betonte. Mel brauchte definitiv keine Brustvergrößerung. Egal, nach welchen Maßstäben. Sie war erheblich stämmiger gebaut als ihre beiden älteren Schwestern, aber die Kilos standen ihr gut, wie ich fand. Sie ging sehr selbstbewusst damit um und versuchte gar nicht groß, ihre Figur zu verstecken. Stattdessen arbeitete sie mit dem, was sie hatte und das waren nun mal ihre Kurven.
„Hallo, Leute. Toll, dass ihr hier seid.“ Sie strahlte in die Runde. „Ich soll euch von meiner Mutter aus das hier geben.“ Sie hielt uns ein Kit zum Bleigießen entgegen. „Sie möchte, dass am Ende alle aufschreiben, was sie so bekommen haben. Wer weiß. Vielleicht macht sie ja eine Statistik und verklagt euch, wenn ihr nicht dafür sorgt, dass eure Träume wahr werden. Zuzutrauen wäre es ihr.“
Sie lachte und alle schlossen sich ihr an. Es war schwierig, Mel nicht zu mögen. Mit ihrer Natürlichkeit und ihren lockeren Sprüchen war sie ein Mensch, den man einfach gernhaben musste. Ihre gelegentliche Schusseligkeit tat dem keinen Abbruch, sondern machte sie eher noch sympathischer.
„Danke, Mel“, sagte Janna und nahm ihr das Kit ab. „Warum setzt du dich nicht zu uns und machst mit? Oder musst du noch weiter Sachen verteilen?“
„Nein. Ihr seid der letzte Tisch. Habt ihr denn noch Platz für mich?“
„Klar. Setz dich dazu.“
Alle rückten etwas zur Seite, sodass Mel sich einen leeren Stuhl heranziehen konnte, um sich zu uns zu setzen.
„Cool. Ich liebe Bleigießen.“ Jacky packte das Kit aus und verteilte die einzelnen Figuren. Dann legte sie ihre eigene auf den dafür vorgesehenen Löffel und schmolz sie ein.
Das Blei ließ sie in ein Wasserglas plumpsen und fischte das Ergebnis kurz darauf heraus.
„Hm. Sieht aus wie ein Tropfen aus einer Tropfsteinhöhle. Vielleicht machen wir nächstes Jahr eine Reise“, schlug sie vor.
„Zu einer Tropfsteinhöhle?“, fragte Max skeptisch. „Ich hatte eher erwartet, wir würden uns irgendwo an den Strand legen.“
Jacky zuckte mit den Schultern. „Vielleicht steht das Gebilde dann ja für einen Wassertropfen.“
Max wirkte wenig überzeugt.
„Man kann nachlesen, was es bedeutet“, sagte Luisa und holte die Gebrauchsanweisung heraus.
„Und? Was steht da?“, fragte Jacky neugierig. „Hoffentlich steht der Tropfen nicht für eine Träne.“
„Hmmm“, machte Luisa. „Du hast gar nicht mal so unrecht. Der Tropfen bedeutet, dass jemand glaubt, dass etwas mehr als genug ist. Du hingegen findest, dass es gerade mal so ausreicht. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen.“
„Aha“, machte Jacky. „Hm. Jetzt ist mir klar, wofür das steht.“
„Ach ja? Und wofür?“, fragte Janna neugierig.
Sie schüttelte den Kopf. „Das sag ich euch nicht. Immerhin will ich hier keinen Streit vom Zaun brechen.“
Sie lächelte und ich sah, wie Max sie verunsichert anschaute. Sicherlich fühlte er sich dadurch angesprochen. Immerhin war es höchstwahrscheinlich er, der Jacky gerade so reichte. Beziehungsweise das, was er tat. Sie schien so viel vom Leben zu wollen und er kam dabei kaum hinterher. Trotzdem taten die beiden einander gut und ich war davon überzeugt, dass sie es am Ende schaffen würden, einen goldenen Mittelweg für sich zu finden.
„Als Nächstes bin ich dran“, erklärte Janna und nahm den Löffel. Sie schmolz ihre Figur ein und kippte sie dann ebenfalls ins Glas. Was dabei herauskam, erinnerte entfernt an einen Ring, was natürlich auch den anderen sofort auffiel.
„Na, sieh mal einer an“, sagte Alex. „Das ist ja interessant.“
„Wofür steht so ein Ring?“, fragte Janna neugierig und ich sah, wie sie leicht nervös wurde.
Luisa schlug es nach und grinste dann. „Der Ring steht für lustvolles Verlangen.“
Alex lachte. „Oha. Da wirst du dich aber anstrengen müssen, Josh.“
Er schlug mir auf die Schulter und ich erwiderte das Lächeln zaghaft. Er sollte bloß aufpassen, was er da sagte.
„Angeblich geht ein Herzenswunsch von dir in Erfüllung“, las Luisa weiter vor. „Und dieses Glücksgefühl wird noch lange anhalten.“
Ich schluckte, weil ich wollte, dass das Bleigießen recht behielt. Vielleicht war es ja wirklich ein Herzenswunsch von Janna, mich zu heiraten. Ich hoffte es sehr, denn andernfalls würde ich mich heute sehr blamieren.
„Na gut. Dann bin ich jetzt dran“, sagte ich und griff beherzt nach dem Löffel.
Mel
Josh hatte ebenfalls einen Ring, was ich sehr lustig fand, da die beiden Ringe zusammen für eine glückliche Beziehung standen. Was für ein süßer Zufall.
Alex, Luisa, Max und Jannas Vater hatten alle sehr eigenartige Gebilde, aus denen man kaum etwas Richtiges erkennen konnte. Mit viel Fantasie war das eine eine Katze mit gesträubtem Fell und das andere eine Schubkarre. Wir waren uns alle nicht einig und beschlossen daher, dass man auf diese Weise unmöglich die Zukunft vorhersagen konnte. Trotzdem bestanden alle darauf, dass ich es auch noch versuchte. Ich seufzte und nahm den Löffel. Hoffentlich erwischte meine Mutter mich nicht dabei, wie ich mich amüsierte, statt weiter zu helfen. Aber das war mir jetzt gerade egal.
Das Blei schmolz und ich schüttete es genau wie alle anderen in das Glas mit Wasser. Zwei kleine Kugeln perlten ab, aber der Rest schloss sich zu etwas zusammen, das erstaunlich viel Ähnlichkeit hatte mit …
„Oh. Ein Herz“, sagte Luisa ohne jeden Zweifel. „Toll. So eindeutig war es ja bei keinem. Die Ringe hätten immerhin auch Gummibänder oder Reifen sein können.“
Mein eigenes Herz klopfte höher.
„Was bedeutet das?“, fragte ich.
Luisa schlug es nach und lächelte mich dann an. „Du wirst im nächsten Jahr deine große Liebe finden und überglücklich mit ihr sein.“
Ein schöner Gedanke auch wenn ich mir das im Moment noch sehr schwer vorstellen konnte. Ausgerechnet ich sollte mich verlieben? Und das, obwohl ich Männern doch schon vor langer Zeit abgeschworen hatte. Vor einigen Jahren war etwas passiert, das mich nachhaltig beeinflusst hatte und ich wusste wirklich nicht, ob ich je dazu imstande sein würde, mit einem Kerl eine normale Beziehung zu führen.
„Das ist doch toll“, sagte Jacky. „Ich fände es super, wenn du jemanden finden würdest.“
Ich lächelte gequält. „Seid ihr sicher, dass man das Gebilde nicht noch irgendwie anders interpretieren kann? Vielleicht ist es ja ein … ein Spiegelei. Genau. Ein Spiegelei könnte doch genauso aussehen.“
Luisa sah mich mitleidig an. „Das ist definitiv ein Herz“, stellte sie klar. „Aber keine Sorge. Das ist doch nur ein Spiel. Ich würde das an deiner Stelle nicht so ernst nehmen. Auch wenn ich nicht ganz verstehe, warum du dich so dagegen wehrst, den Mann deines Lebens zu finden.“
„Wer hat hier den Mann des Lebens gefunden?“, fragte in diesem Moment Cem hinter mir und ich schrak zusammen.
„Cem. Warum um Himmels willen schleichst du dich so an?“
„Hab ich gar nicht. Ich wollte nur wissen, was es mit diesem Mann fürs Leben auf sich hat.“
„Mel hat ein Herz gegossen“, erklärte Jacky. „Und das bedeutet, sie wird den Mann fürs Leben finden.“
„Elke und der Mann fürs Leben?“, fragte Cem spöttisch. „Dass ich nicht lache.“
„Danke auch“, sagte ich. „Aber mach dir keinen Kopf. Vermutlich ist es sowieso nur ein Spiegelei gewesen und das zermatsche ich gleich an deinem Kopf, wenn du weiter versuchst, mich vor unseren Gästen bloßzustellen.“
„Och. Das schaffst du schon ganz von alleine. Dafür brauchst du mich gar nicht.“
„Wenn ich es alleine mache, ist es aber nur halb so lustig, weil du es dann nicht auf Video festhalten kannst.“
„Auch wieder wahr. Wusstest du eigentlich, dass Sabrina heute hier ist?“
„Was?“ Überrascht drehte ich mich um und versuchte sie in der Menge zu erkennen. Sabrina war damals in der Schule in unserer Klasse gewesen und hatte keine Gelegenheit ausgelassen, um sich Cem an den Hals zu schmeißen. Er hatte sie jedes Mal abblitzen lassen, aber da ich als Laras beste Freundin natürlich automatisch auf ihrer Seite stand, hasste ich Sabrina aus Solidarität einfach mal mit. Ich ließ meinen Blick schweifen, aber konnte sie nicht sofort entdecken.
Cem beugte sich zu mir und deutete dann auf eine blonde Frau am anderen Ende des Saales. „Da hinten ist sie.“
Als hätte sie gespürt, dass wir über sie sprachen, drehte Sabrina sich in genau diesem Moment um und winkte mir zu. Ich winkte widerwillig zurück und wandte mich dann wieder Cem zu.
„Was tut sie hier?“, fragte ich.
„Sieht so aus, als wäre deine Mutter mit ihrem Vater befreundet. Sie ist mit ihren Eltern da.“
„Oh Mann. Hätte sie sich keine andere Silvesterparty suchen können?“
„Wieso? Was passt dir nicht daran, dass sie hier ist?“
„Es gibt keinen Menschen, der es besser schafft mir zu zeigen, wie unattraktiv ich mit meinem Übergewicht bin, als sie.“
„Hm. Tue ich das nicht auch regelmäßig?“
„Ja. Aber dich nehme ich nicht so ernst. Wenn eine Frau so etwas sagt, dann ist das was anderes.“
„Sag mal, stehst du vielleicht heimlich auf Sabrina?“
Ich verdrehte die Augen. „Nein. Ich steh auf deine Freundin und wenn du nicht da bist, machen wir in eurem Bett rum.“
Cems Augen wurden groß und er schluckte. „Okay. Ab morgen stelle ich überall in der Wohnung Kameras auf. Das hast du dir jetzt selbst zuzuschreiben.“
Ich lachte. „Haben wir die nicht sowieso schon wegen deiner Pranks?“
„Sag mal, Cem“, unterbrach Jacky uns. „Wann gibt es eigentlich wieder ein paar neue Jumpvideos von dir? Die waren ziemlich genial.“
„Du hast sie gesehen?“ Er schien sich wirklich zu freuen, denn seine Augen leuchteten auf. „Vermutlich im Februar. Da wollte ich wieder nach Österreich in den Schnee. Ich denke, dass ich dann wieder ein paar coole Videos drehen kann. Mein Agent hat eine Kooperation mit einem neuen Energydrink an Land gezogen und den kann ich natürlich im Schnee am besten präsentieren.“
