Bargeld statt Buchgewinn - Luis Pazos - E-Book

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Luis Pazos

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Beschreibung

Der Aktienmarkt bietet ein viel breiteres Spektrum an, als den meisten Anlegern bewusst ist. Vor allem Anlagemöglichkeiten im englischsprachigen Raum werden oft außer Acht gelassen, doch gibt es gerade hier hervorragende Möglichkeiten, das passive Einkommen durch Dividenden zu erhöhen. Luis Pazos beschreibt untypische Anlagebeispiele wie Income Trusts, Master Limited Partnerships, Convertible Bonds und Real Estate Investment Trusts. Praxisorientierte Ratschläge zu Depotauswahl, Recherchequellen, Titelauswahl sowie Portfoliostrukturierung und wichtige steuerrechtliche Aspekte ergänzen den kompakten Einstieg.

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Luis Pazos

BARGELDSTATT BUCHGEWINN

Mit Hochdividendenwerten zum passiven Monatseinkommen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

5. Auflage 2022

© 2017 by FinanzBuch Verlag,

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers beziehungsweise des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Redaktion: Judith Engst

Lektorat: Leonie Zimmermann

Umschlaggestaltung: Karen Schmidt

Umschlagabbildung: Nokz/shutterstock.com

Satz: Daniel Förster, Belgern

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-036-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-052-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-053-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

1. EINLEITUNG

2. DAS ELEND DER ARBITRAGE

2.1 Das Kursgewinndilemma

2.2 Börsentheorie und Handelsstatistik

2.3 Das Prognoseparadoxon

3. CASH IS KING

3.1 Einkommen versus Gewinn

3.2 Die Cashgenerator-Strategie

3.3 Das Investitionsspektrum

4. BUSINESS DEVELOPMENT COMPANIES

5. MASTER LIMITED PARTNERSHIP

6. INCOME TRUSTS

7. REAL ESTATE INVESTMENT TRUSTS

8. ROYALTY TRUSTS

9. PREFERRED SHARES

10. CONVERTIBLE BONDS

11. SCHIFFFAHRTS GESELLSCHAFTEN

12. YIELDCOS

13. SONSTIGE

13.1 Stapled Securities

13.2 Listed Investment Companies und Listed Investment Trusts

13.3 Split Corporations und Split Trusts

13.4 American Depositary Receipts

14. AKTIEN

15. ANLEIHEN

16. KAPITAL ANLAGE GESELLSCHAFTEN(KAGs)

16.1 Allgemeines

16.2 Börsennotierte Fonds

16.3 Exchange Traded Funds

16.4 Covered-Call-Fonds

17. PRAKTISCHE UMSETZUNG

17.1 Die Depotbank

17.2 Zur Titelauswahl

17.3 Umsetzungsstrategien

17.4 Steuerrechtliche Anmerkungen

18. NÜTZLICHE INTERNETADRESSEN

ANHANG

Abkürzungsverzeichnis

Quellenverzeichnis

Anmerkungen

Haftungsausschluss und potenzielle Interessenkonflikte

Der Handel mit Wertpapieren ist grundsätzlich mit Verlustrisiken verbunden. Diese können selbst einen Totalausfall der Investition nach sich ziehen. Der Herausgeber übernimmt daher keine Haftung für materielle oder ideelle Schäden, die aus der Nutzung oder Nichtnutzung der angebotenen Informationen resultieren. Ferner wird für deren Aktualität, Korrektheit, Qualität oder Vollständigkeit trotz sorgfältiger Zusammenstellung keine Gewähr übernommen. Zudem sind alle getroffenen Aussagen keinesfalls als Anlageempfehlungen im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes, sondern lediglich als persönliche Meinungsäußerung des Autors aufzufassen. Dieser ist selbst als Investor aktiv. Es besteht daher die Möglichkeit, dass Finanzinstrumente und Wertpapiere besprochen werden, mit denen der Autor selbst Handel zu treiben beabsichtigt oder die sich in seinem Besitz befinden. Hieraus resultierende Interessenkonflikte können somit nicht ausgeschlossen werden.

Fragen und Anmerkungen zum vorliegenden Buch nimmt der Autor gerne unter folgender E-Mail-Adresse entgegen: [email protected].

Weitere Informationen zum Thema Hochdividendenwerte, ausschüttungsorientierte Investitionsstrategien und passives Einkommen finden sich auf dem Blog zum Buch: http://nurbaresistwahres.de.

Für Xara, Naim, Hannah und Elia

1. EINLEITUNG

Was treibt den Handel mit Aktien? Die weitaus überwiegende Mehrheit der mit dieser Frage konfrontierten Personen würde wohl antworten: Die Aussicht auf Gewinne! Und was sind Gewinne? Nichts anderes als die positive Differenz zwischen Verkaufspreis und Einkaufspreis. Hierauf weisen schließlich unzählige Börsenweisheiten hin.1

Schon der grundlegenden lexikalischen Definition nach dient die Börse »der zeitlichen und örtlichen Konzentration des Handels von fungiblen Gütern unter beaufsichtigter Preisbildung«. Was liegt demnach näher, als Börsenengagements mit der spekulativen Anlage zum Zweck eines gewinnträchtigen Wiederverkaufs gleichzusetzen? Derart disponierende Anleger setzen sich allerdings fast unabdingbar der stets lauernden Kursgewinnfalle aus. Denn Kursgewinn-Investoren, klassische Spekulanten, die sich dem Wohl und Wehe des Differenzgeschäfts hingeben, stehen gleich vor mehreren Herausforderungen, die langfristig fast immer auf die Performance drücken. Die beiden wesentlichen sind dabei die Wahl des richtigen Kauf- und Verkaufszeitpunktes (Market-Timing) sowie die Titelauswahl (Stock Picking), flankiert von den damit einhergehenden arithmetischen Gesetzmäßigkeiten und emotionalen Fallstricken. Diese lassen sich letztlich kaum umgehen, da eine an Kursgewinnen orientierte Strategie die laufende Reflexion von Ziel- und Stoppmarken beziehungsweise Einstiegs- und Ausstiegssignalen erforderlich macht. Allen kolportierten Börsenweisheiten zum Trotz scheinen die meisten Anleger diesen Schwierigkeiten nicht gewachsen zu sein, wie der Kapitalmarktexperte Claus Vogt nach Sichtung Dutzender Studien zum Thema feststellt: »Was die Finanzmärkte aber von den meisten anderen Lebensbereichen unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Anteil der langfristig erfolglosen Anleger – gerade unter den Privatanlegern – ausgesprochen groß ist. Tatsächlich verlieren die meisten Privatanleger auf Dauer Geld an der Börse.«

Was dem Privatanleger recht ist, ist allerdings auch dem Experten billig. Die Tatsache, dass es eine Mehrheit der Fondsmanager nicht schafft, die ihren Wertpapierportfolios zugrunde liegenden Vergleichsindizes zu schlagen, ist fast schon ein Gemeinplatz. Das heißt, relativ betrachtet verlieren auch die Professionellen der Zunft auf lange Sicht und nach Kosten Geld. Dieser empirisch umfassend belegten und finanzmathematisch unausweichlichen Tatsache zum Trotz dominiert der latente Informationsbedarf potenzieller Kursgewinn-Investoren die Schlagzeilen einschlägiger Medien sowie die Buchtitel gängiger Finanzpublikationen.

Weitaus weniger Aufmerksamkeit wird in dieser Beziehung hingegen investiv orientierten Anlegern zuteil, die heute mehr denn je einer Alternative zu den klassischen Standards passiver Einkommenserzielung bedürfen, also der Möglichkeit, Arbeitszeit und Einkommen zu entkoppeln.

Zahlreiche Geldwerte innerhalb wie außerhalb der Eurozone sind durch den politisch eingeschlagenen Pfad einer (Staats-)Schuldenreduktion mittels finanzrepressiver Maßnahmen zumindest mittelfristig der Realzinssklerose anheimgefallen.2 Dies umfasst aus dem Spektrum der noch als relativ sicher geltenden Anlagen einerseits sämtliche Spareinlagen wie Tages- und Festgeld sowie Sparbücher, die aber ohnehin eher der Reservebildung und Liquiditätshaltung dienen.3 Andererseits sind jedoch auch Investitionszwecken dienende kurz-, mittel- und selbst langfristige Staatsanleihen hochgradig infiziert4, welche direkt und indirekt über Kapitalsammelstellen gehalten werden. Zu Letzteren zählen dabei nicht nur Rentenfonds, sondern aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen de facto auch Kapitallebens- beziehungsweise Rentenversicherungen, Riester- und Rürupverträge, Betriebsrenten respektive sämtliche Durchführungsformen der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) sowie Versorgungswerke, welchen zudem in aller Regel eine unvorteilhafte Kostenstruktur sowie ein Mangel an Transparenz anhaftet. Höhere Anleiherenditen müssen innerhalb der Eurozone mit einem zum Teil auch politisch unkalkulierbaren Emittentenrisiko und außerhalb derselben zudem noch mit einem Fremdwährungsrisiko erkauft werden. Alternative Anlageformen wie etwa das Crowd-Investing oder P2P-Kredite sind relativ junge Erscheinungen, denen es (noch) an einer aussagekräftigen Datenbasis und langfristigen Performance-Historie mangelt.

Selbst auf Kapitalerhalt abzielende Anleger kommen daher um sachwertorientierte Anlageklassen wie Rohstoffe, Aktien und Immobilien kaum herum, wobei vor allem die beiden Letzteren für die Erwirtschaftung akzeptabler Ausschüttungsrenditen prädestiniert sind (wie noch zu zeigen sein wird, ist dies allerdings auch bei Rohstoffen möglich). Allerdings weisen auch hier zahlreiche klassische Investitionsmöglichkeiten ein wenig vorteilhaftes Rendite-Risiko-Profil auf. So ist direktes Immobilieneigentum mit hohen Transaktionskosten beziehungsweise Standortrisiken behaftet und stellt je nach Objekt und Region selbst für relativ wohlhabende Anleger ein Klumpen- und Kostenrisiko dar. Ferner ist die Bereitschaft zur Aufnahme von Fremdkapital meist ebenso unabdingbar wie die Furchtlosigkeit gegenüber den damit einhergehenden großen Zahlen. Dem mit diesem Renditehebel verbundenen Haftungsrisiko mag sich vermutlich nur eine Minderheit aussetzen, gleiches gilt für die Aneignung des recht umfassenden Know-hows. Die in Deutschland jahrzehntelang äußerst beliebten offenen Immobilienfonds durchlebten in jüngerer Zeit die schwerste Krise ihrer Geschichte und bescherten ihren Anteilseignern teils herbe Verluste. Zahlreiche der einst über 30 Fonds mussten seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 mit zum Teil horrenden Einbußen liquidiert werden. Geschlossene Sachwertanlagen wie Immobilien-, Schiffs- oder Flugzeugfonds wiederum operieren meist mit hohem Fremdkapitaleinsatz, sind intransparent und oft hochkomplex, in der Regel nur mit erheblichen Abschlägen vor Laufzeitende veräußerbar und bringen hohe Verwaltungs- und Vertriebskosten in Abzug, welche die Einlage unmittelbar schmälern. Zudem erweist sich die Güte des über die Laufzeit prognostizierten Zahlenwerks immer wieder als problematisch.

Zu guter Letzt sollte bei Beherzigung des kaufmännisch gebotenen Niederstwertprinzips je nach Alter bestenfalls mit Zahlungen in Höhe der Grundsicherung aus dem als Ponzi-Schema konzipierten und nie gegengezeichneten »Generationenvertrag« kalkuliert werden. Neben der Rentenhöhe sind die Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung zudem hinsichtlich sämtlicher bedeutenden Parameter dem politischen Willensbildungsprozess auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Letzteres gilt übrigens auch für alle oben aufgeführten Varianten steuerbegünstigter Spar- und Altersvorsorgeverträge, deren Klauseln unter Missachtung des Bestandsschutzes bereits öfter mit richterlichem Segen rückwirkend modifiziert wurden – vor allem zu Ungunsten der Kunden versteht sich.

Es verbleiben mithin im Wesentlichen Aktienengagements. Tatsächlich greift die Auffassung der (Aktien-)Börse als Plattform für Differenzgeschäft historisch wie auch funktional viel zu kurz. Über die längste Zeit ihrer Existenz wurden Aktien vor allem deshalb gehandelt, um ein laufendes Einkommen zu generieren. Allerdings ist diese Erkenntnis heute weitestgehend verblasst, zumal sich im kollektiven Gedächtnis leider nur die historischen Exzesse, allen voran der niederländische Tulpenwahn (1636/1637), die englische Südseeblase (1720), der französische Mississippi-Schwindel (1719/1720), der Dotcom-Crash (2000 bis 2003) sowie die Weltfinanzkrise (2008 bis 2009), haben festsetzen können. Sie alle stellen jedoch die berüchtigten wie punktuellen Ausnahmen von der historischen Regel dar. Die Tatsache, dass Börsen und Wertpapierhandel über eine lange Zeit und jenseits der augenfälligen Kurskapriolen als Instrument eines regelmäßigen Einkommensbezugs dienten, hatte hingegen ganz handfeste Gründe: Sie stellten schlichtweg eine effiziente und kostengünstige sowie oftmals die einzige Möglichkeit der selbstbestimmten (Alters-)Vorsorge dar. Historisch lassen sich entsprechende (Versorgungs-)Einrichtungen sowohl für die Antike als auch erneut ab dem Frühmittelalter in Europa nachweisen.

Dieses Konzept der Einkommenserzielung rückte mit dem Aufkommen der Sozialversicherung im 19. Jahrhundert – im Deutschen Reich fast parallel zum Gründer- beziehungsweise Börsenkrach von 1873 – erstmals und wohl kaum unbeabsichtigt ein Stück weit in den Hintergrund. Dennoch sollten die durchschnittlichen Dividendenrenditen für weitere gut 100 Jahre regelmäßig über denen entsprechender Anleihen notieren. Ihren Einkommens- respektive Versorgungscharakter verlor das börsennotierte Produktivkapital weitestgehend zu Beginn des letzten großen Boom-Zyklus in den frühen 1980er-Jahren. Er läutete bezeichnenderweise nicht nur den Fall der Dividendenrenditen und die Ära der Konzentration auf Kursgewinne, sondern auch eine Phase ausgeprägter Volatilität ein, also spektakulärer Höhenflüge, gefolgt von ebenso plötzlichen wie dramatischen Abstürzen. Der stille Abschied von der dividendenorientierten Unternehmenspolitik wurde dabei durch ökonomische, steuerrechtliche sowie regulatorische Anreize forciert. An dieser Stelle sei exemplarisch zum einen auf die (empirisch widerlegte) Annahme verwiesen, die Auszahlung von Dividenden könne nur auf Kosten des Unternehmenswachstums erfolgen, zum anderen auf die langjährige Ungleichbehandlung von Dividenden und Kursgewinnen sowie schließlich auf die Deckelung der Managementgehälter in den USA in Verbindung mit Einführung der erfolgsabhängigen Vergütung per (Aktien-)Optionen.

Allen Widrigkeiten zum Trotz widersetzen sich an den internationalen Börsen bis heute zahlreiche Instrumente und Wertpapiere dem Trend der letzten drei Jahrzehnte. Gemein ist ihnen allen, unabhängig von Rechtsform, Branche und Region, die selbst auferlegte Verpflichtung, einen anhaltend hohen Cashflow zu generieren und an ihre Anteilseigner auszuschütten. An diesem Punkt, dem Transfer der alten Börsentradition in die Moderne, will die vorliegende Publikation anknüpfen. Hierzu ist es freilich notwendig, überwiegend fern der heimischen Aktienmärkte und abseits bekannter Finanzpfade alternative, laufend Einkommen erzeugende und uneingeschränkt handelbare Wertpapiere ausfindig zu machen.

Zuvor werden in Kapitel 2 und 3 kurz die Vor- und Nachteile möglicher Kapitalgewinn- und Einkommenserzielungs-Strategien diskutiert. In den Kapiteln 4 bis 16 wird ein breites Instrumentarium börsennotierter und im deutschen Sprachraum zum Teil weitgehend unbekannter »Cashgeneratoren« ausführlich behandelt. Das abschließende Kapitel 17 thematisiert schließlich die für einen praxisorientierten Investmentratgeber unerlässlichen Aspekte der Depotbankauswahl, der Recherchequellen und der Titelauswahl, der Portfoliostrukturierung und Anlagestrategie sowie der wichtigsten steuerrechtlichen Aspekte.

2. DAS ELEND DER ARBITRAGE

2.1 Das Kursgewinndilemma

Was nun kann sich als problematisch erweisen, wenn Privatanleger Differenzgeschäfte mit dem Ziel praktizieren, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen? Sobald sich ein Anleger einmal darauf festgelegt hat, ist er einer permanenten Doppelwahlsituation ausgesetzt. Er muss zum einen beschließen, ob er in den (Aktien-)Markt investiert oder nicht (Metawahl). Möchte er investieren, muss er sich zudem für ein konkretes Wertpapier entscheiden (Objektwahl). Möchte er nicht investieren oder investiert bleiben, muss er weiter Kasse halten beziehungsweise seine bestehenden (Aktien-)Positionen mit Gewinn oder Verlust verkaufen. Hierzu gesellen sich unausweichlich die sogenannten Opportunitätskosten oder Schattenpreise, die Erträge alternativer Anlagemöglichkeiten. Diese umfassen freilich auch jene der Liquiditätshaltung bei steigenden Kursen; eine der emotional schwersten Bürden, die der Finanzmarkt einem Investor auferlegen kann.

Nun kommt aber noch eine Tatsache erschwerend hinzu: Spekulationsgeschäfte benötigen der Spiegelbildlichkeit ihrer Natur wegen immer einen Käufer, dem ein Konterpart gegenübersteht, ein gleichgewichtiger, aber umgekehrt zu agieren gewillter Verkäufer. Beide eint notwendigerweise die deckungsgleiche Vorstellung sowohl hinsichtlich der Menge als auch des Preises eines bestimmten Wertpapiers, sie haben jedoch genau gegensätzliche Vorstellungen bezüglich der Renditeerwartung. Wäre das nicht der Fall, käme keinerlei Wertpapierhandel zustande. Erst wenn also der Wunsch eines Käufers mit dem eines Verkäufers exakt übereinstimmt, ist eine Börse überhaupt liquide und kann ihrer Rolle als Institution gerecht werden, die zu minimalen Transaktionskosten Finanzaktiva vermittelt.5

Genau diese unterschiedlichen Erwartungen von Käufer und Verkäufer sind es jedoch auch, die bei Kursveränderungen nach Abschluss des jeweiligen Handels relativ und gewichtet betrachtet zu jedem Zeitpunkt stets genau einen Gewinner und einen Verlierer ausweisen: Entweder liegt der Käufer mit seiner Prognose steigender Kurse oder aber der Verkäufer mit seiner Prognose fallender Kurse falsch. Einer der beiden Parteien werden also laufend Kosten auferlegt, sei es in Form von Buchverlusten oder in Form von Schattenpreisen, weil diese Partei – in der Rückschau – die falsche Entscheidung getroffen hat.6 Jeder einzelne Handel erhöht damit im Zeitverlauf die Gesamtwahrscheinlichkeit, irgendwann einmal auch Verluste verbuchen zu müssen.

Der unausweichlichen Arithmetik des Börsenhandels sind dabei nicht nur einzelne Handelspartner unterworfen, sondern auch die Gesamtheit der Anleger. Sie alle teilen sich die Gesamtperformance des jeweiligen Aktienmarktes über eine bestimmte Periode, welche die Benchmark, also der entsprechende Aktienindex, reflektiert. Das heißt, jeder investierten Geldeinheit, die sich besser als ein Vergleichsindex entwickelt, entspricht notwendigerweise eine spiegelbildliche Geldeinheit, die in exakt demselben Ausmaß niedriger als dieser rentiert. In der Hälfte aller geldgewichteten Fälle ist damit die Realisierung überdurchschnittlicher (Kurs-)Gewinne allein aus mathematischen Gründen schlichtweg nicht möglich. Zudem ist jede Marktinteraktion mit Kosten belastet. Von der Bruttoperformance sind daher sämtliche Transaktionskosten abzuziehen, was in logischer Konsequenz bedeutet, dass die Indexperformance für jedwede Betrachtungsperiode immer die Nettoperformance der Anlegergesamtheit übersteigen muss.7 Sowohl jeder einzelne Handelsabschluss als auch die relative Performance pro Zeiteinheit ist immer ein Nullsummenspiel und setzt den aktiven Kursgewinn-Investor unausweichlich einem Verlustrisiko von mindestens 50 Prozent aus.8

Gerade bei realisierten wie nicht realisierten Kursverlusten schlägt zudem die asymmetrische Gewinn-Verlust-Arithmetik unbarmherzig zu: Ein prozentualer Verlust kann stets nur mit einem höheren prozentualen Gewinn ausgeglichen werden; mit der Höhe des Verlustes steigt der zum Verlustausgleich notwendige Gewinn exponentiell an.9 Der Kursgewinn-Investor gerät damit automatisch in ein Wechselbad aus Lustgewinn (Gier) und Leidensvermeidung (Angst), was die Erzielung systematischer (Kurs-)Gewinne zusätzlich erschwert. Wie viele Anleger mag es geben, die wiederholt eine Aktie in der Nähe eines zyklischen Hochs verkauft und anschließend, auf dem Liquiditätspolster sitzend, deren Kurs im freien Fall beobachtet haben, um dann im Dunstkreis des zyklischen Tiefs wieder einzusteigen?

Ein weiterer Faktor wurde hierbei noch gar nicht berücksichtigt, nämlich das schlichte Verstreichen von Zeit. Die Knappheit dieser Universalressource gibt in unausweichlicher Härte einen (Performance-)Takt vor, der selbst temporären Kursverlusten innerhalb eines Anlegerlebens enge Toleranzgrenzen setzt. Für Kursgewinn-Investoren ist Zeit allein über den Kurs unmittelbar ans Geld gekoppelt, eine Langfristperspektive daher meist wenig tröstlich. Für sie trifft allemal John Maynard Keynes’ berühmt-berüchtigtes Diktum zu: »In the long run we are all dead.« Dies gilt umso mehr für Spekulationen auf Kredit, bei denen Verluste aufgrund des laufenden Kapitaldienstes kaum dauerhaft ausgesessen werden können.

2.2 Börsentheorie und Handelsstatistik

Aktien zu finden, die sich mittel- bis langfristig besser entwickeln als der Gesamtmarkt beziehungsweise eine durchschnittsbasierte Referenzgröße, was ja noch nicht einmal heißt, dass die Performance positiv sein muss, ist keineswegs so leicht, wie es einschlägige Ratgeber suggerieren. Dies belegt nicht zuletzt eine aufschlussreiche Untersuchung und Analyse der Einzelperformance von über 8054 US-amerikanischen Aktien, welche die Vermögensverwaltungsgesellschaft Blackstar Funds im Jahr 2008 durchgeführt hat. Die Messung erfolgte dabei inklusive reinvestierter Dividenden und umfasste den Zeitraum 1983 bis 2007. Demnach rentierten 39 Prozent der Papiere über diese Periode betrachtet negativ, die Hälfte von ihnen, also knapp 20 Prozent aller Aktien, verlor dabei mindestens 75 Prozent ihres Wertes. Fast zwei Drittel der in die Betrachtung eingeflossenen Aktien schaffte es dabei nicht, den Vergleichsindex, hier den Russell 3000, welcher die 3000 Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung in den USA umfasst, zu schlagen. Lediglich 20 Prozent der Papiere performten über den Gesamtzeitraum betrachtet mit einem Plus von mindestens 300 Prozent signifikant überdurchschnittlich. Genau diese Minderheit, also lediglich eine von fünf Aktien, war damit für den Großteil der Gesamtmarktrendite verantwortlich.10

Dieser Umstand schlägt sich auch in der Performance professioneller Anleger wie Fondsmanager und Aktienexperten nieder. Diese wurde systematisch erstmals durch die Cowles Commission for Research in Economics ab 1932 untersucht. Dem Gremium, benannt nach ihrem Gründer, dem US-amerikanischen Ökonom Alfred Cowles, ging es dabei zunächst vor allem um die Frage, warum so gut wie kein Experte den Crash des US-Aktienmarktes von 1929 prognostiziert hat. Hunderte weitere Studien wurden seither zum Thema verfasst. Ihr Tenor ist eindeutig: Langfristig gelingt es faktisch niemandem, durch überlegenes Stock Picking den Markt systematisch zu schlagen. Der legendäre und im wahrsten Sinne des Wortes unvergleichliche Warren Buffett ist eine berühmte Ausnahme, welche die Regel bestätigt.11 Er und einige wenige mehr teilen sich als relativen Gewinn die entsprechenden Verluste der Masse der aktiven Anleger, wobei die Vertreter beider Gruppen im Zeitverlauf munter das Lager wechseln und sich, wie ebenfalls zahlreiche Studien über unterschiedliche Perioden belegen, einer systematischen Zuordnung entziehen.

Das sollte zu denken geben. Weltweit trachten Fondsmanager, Analysten, Börsenbriefschreiber, Hedgefondsmanager und sonstige Kursgewinn-Investoren rund um die Uhr ausschließlich danach, besser zu sein als der Durchschnitt und den Markt zu schlagen. Dazu werfen sie eine ganze Armada an Ressourcen in die Waagschale. Sie verfügen über Hochleistungsrechner mit Echtzeitzugang zu allen weltweit verfügbaren Marktdaten. Sie können auf gigantische Datenbanken mit historischen, teils über 100 Jahre zurückreichenden Zahlenreihen zurückgreifen. Mit ausgefeilter Individualsoftware spüren sie jeden mutmaßlichen Trend, jede identifizierbare Korrelation auf und versuchen, diese durch automatisierten Handel auszubeuten. Ferner haben sie Zugang zu allen offiziellen und einer Vielzahl inoffizieller Unternehmenspublikationen sowie zu speziellen Programmen zur computergesteuerten Auswertung derselben. Ganze Analystenteams großer Kapitalanleger reisen zudem permanent um die Welt, besuchen avisierte Unternehmen und verschaffen sich gründliche Erkenntnisse über deren Produkte, Management und Belegschaft. Die Arbeitgeber der Analysten wiederum bauen über die Zeit ein engmaschiges Netzwerk zu privaten wie öffentlichen Institutionen auf, sodass sie wichtige Informationen unverzüglich erhalten, die der Privatanleger gewöhnlich erst vorgesetzt bekommt, wenn sie bereits (Börsen-)Geschichte sind. Dennoch schaffen es all diese Leute langfristig und nach Kosten nicht, den Markt zu schlagen.

Das kann aufgrund der oben beschriebenen relativen Handels- und Performance-Arithmetik zwangsläufig auch gar nicht anders sein. Charles D. Ellis stellt hierzu ergänzend fest: »[Ein Index] bildet den Markt nach und der von Profis dominierte Aktienmarkt von heute spiegelt die gebündelte Fachkenntnis all jener fähigen Spezialisten wider, die laufend aktuelle Bewertungen abgeben. Erfahren sie etwas Neues, aktualisieren sie ihr Urteil sofort. Das bedeutet, dass dem sogenannten Indexing [der Orientierung an einem Index] stets die neuesten Konsensschätzungen zugrunde liegen.« Berücksichtigt man zusätzlich die Transaktions- und Verwahrkosten, kann der Großteil der Anleger langfristig eine lediglich unterdurchschnittliche Performance erzielen.

Statistisch gesehen steigen die gängigen Aktienindizes unter Schwankungen im Schnitt real um 7 Prozent pro Jahr.12 Das gilt wohlgemerkt immer nur für den Gesamtmarkt, nie für einzelne Aktien. Daher setzten zahlreiche Investoren dieser historischen Gesetzmäßigkeit folgend auf Märkte statt Einzeltitel, gegebenenfalls ergänzt um ein passendes Timing, welches über die Wahl günstiger Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkte die Performance verbessern soll (hiermit operiert freilich auch der eine oder andere Stockpicker).

Zumindest was das erfolgreiche Timing angeht, hat der im Ruhestand weilende Fondsmanager Peter Lynch so seine Zweifel: »Weit mehr Geld wurde verloren von Anlegern, die sich auf eine Baisse eingestellt haben, als in der Baisse selbst. Sie versuchen Börsentiming. Aber in der von ›Fortune‹ veröffentlichten Hitparade der reichsten Leute der Welt war noch nie ein Börsentiming-Experte vertreten.« Erschwerend kommt beim Timing noch ein Umstand hinzu, der statistisch weitaus schwerer wiegt als die im letzten Abschnitt skizzierte Verteilung der Einzelperformance von Aktien: die Konzentration der »guten« und »schlechten« Tage.

Diese wenig beachtete Relation hat die New York Times ermittelt und in der Ausgabe vom 13. November 1994 veröffentlicht. Hierzu wurde die Wertentwicklung des Standard & Poor’s 500 Index (S&P 500) zwischen 1983 und 1992 betrachtet.13 Dieser Zeitraum mit insgesamt 2526 Handelstagen war durch einen ausgeprägten Bullenmarkt gekennzeichnet; im Schnitt verzeichnete der S&P 500 einen Kurszuwachs von 16,2 Prozent pro Jahr. Frustrierend wird es allerdings für timingfreudige Anleger: Ohne die besten 40 Tage, also jene 40 Tage mit dem höchsten Kurszuwachs, sinkt die Rendite drastisch auf nur noch 3,6 Prozent pro Jahr. Dabei machen 40 Tage, auf die Börsenöffnungszeiten des zehnjährigen Zeitraums bezogen, gerade einmal einen Anteil von 1,6 Prozent aus. Selbst wenn das Betrachtungsintervall gestreckt wird, ändert das nichts am entscheidenden Einfluss relativ weniger und kurzer Phasen haussierender Kurse auf die Gesamtperformance einer Aktienanlage.

Eine monatsbasierte Betrachtung dieser Extremwert- oder Pareto-Verteilung hat der deutsche Fondsmanager Michael Keppler für den US-Aktienmarkt anhand einer sehr anschaulichen Modellrechnung nachgezeichnet. Ein einziger im Jahr 1926 angelegter US-Dollar wäre demnach bis 2011 zu einem Gesamtvermögen von 3045 US-Dollar angewachsen. Bei Auslassung der 40 besten von insgesamt über 1000 Börsenmonaten hätte Letzteres hingegen lediglich 21 US-Dollar betragen. In einem solchen Kontext wird Timing selbstredend zum Renditegrab. Analoge Betrachtungen unterschiedlicher Indizes und Zeiträume kommen auch hier immer wieder zu demselben Ergebnis: Positive wie negative Aktienrenditen unterliegen einer extremen Pareto-Verteilung, das heißt, eine kleine Anzahl hoher Veränderungen trägt den ganz überwiegenden Anteil zur Gesamtperformance bei.14 Erschwerend kommt noch hinzu, dass Tage ausgeprägter Kursanstiege wie auch Kursrückgänge oft dicht beisammen liegen. André Kostolany hat diesen statistischen Umstand in eine wunderbar griffige Formel gekleidet: »Wer die Aktien nicht hat, wenn sie fallen, der hat sie auch nicht, wenn sie steigen.«

Wenn weder Stock Picking noch Market-Timing langfristig zu überdurchschnittlichen Ergebnissen führt, was ist dann mit der guten alten Buy-and-Hold- oder Odysseus-Strategie? Reicht es, wie der deutsche Finanzfachmann Bernd Niquet schreibt, auf die »einzige Gesetzmäßigkeit« zu setzen, die Tatsache, »dass die Aktienkurse im Zeitverlauf stets immer wieder neue historische Höchststände erreichen«, sämtliche Sirenengesänge zu ignorieren und Kostolanys wohl berühmtestem Ratschlag zu folgen? »Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.« Nun, es kommt darauf an. Darauf nämlich, ob erstens die gut 200 Jahre alte Gesetzmäßigkeit der unter Schwankungen stets steigenden Aktienkurse hält, und zweitens, wie ausgeprägt diese Schwankungen sind.15

Der letzte große Bullenmarkt startete im Jahr 1982. Er erlebte einen vorläufigen Höhepunkt, als der Dow Jones Industrial Average im Januar 2000 den bis dato historischen Höchststand von 11.722,98 Punkten markierte. Zwölf Jahre später schwankte der Index erneut um denselben Wert, dazwischen lag ein Tal der Tränen und der Hoffnungen. Indexfixierte Kursgewinn-Investoren ohne Timing-Neurose erlitten aufgrund der Geldentwertung und Opportunitätskosten in diesem Zeitraum einen realen Verlust. Erst seit 2013 erklimmt das weltweit wichtigste Börsenbarometer erneut Rekordmarken.

Ganz im Gegensatz übrigens zu vielen europäischen Indizes, worauf mit Stand Mai 2016 der Geschäftsführer und Mitinhaber der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments, Thomas Grüner, hinweist: »Die vermeintlich ›fetten Jahre‹ der jüngsten Vergangenheit müssen relativiert werden: EuroStoxx 50 und der DAX-Kurs-Index befinden sich heute auf dem Niveau von 1998. Zudem befindet sich der EuroStoxx 50 heute wieder auf dem Niveau vom September 2009. Nur ganze sechs Monate vom Tief der letzten Weltwirtschaftskrise entfernt. Weitere Indizes? Der britische Leitindex FTSE 100 notiert auf demselben Stand wie im März 1998. Auch die Aktienmärkte in Österreich und der Schweiz sehen alles andere als ›fett‹ aus. Der österreichische Leitindex ATX befindet sich heute auf dem Niveau von Juni 2009 und hat ein Chartbild eines ›Emerging Market‹. Der schweizerische Leitindex SMI notiert auf dem Stand vom April 1998. Waren das 18 fette Jahre?« Besagte 18 Jahre untermauern dabei noch einmal die Bedeutung der bei der Berechnung besagter Kursindizes nicht berücksichtigten Ausschüttungen.

Wie geht es weiter? Zwei Großmeister der Zunft geben Auskunft: »Ich denke nie darüber nach, was die Börse machen wird. Ich weiß nicht, wie man die Börse oder die Zinsen oder die Konjunktur vorhersagen kann. Und ich habe keine Ahnung, ob die Börse in zwei Jahren höher oder tiefer stehen wird.« So Warren Buffett, dem Peter Lynch nur beipflichten kann: »Niemand war je in der Lage, die Börse vorherzusagen. Es ist eine totale Zeitverschwendung.« Fazit: Den idealen Ein- und Ausstiegszeitpunkt gibt es nicht!

Tatsächlich sind Schwankungen, konkret die Intensität und Dauer von Kursverlustphasen, die ganz wesentliche Herausforderung, vor der Kursgewinn-Investoren stehen. So wurde allein in der ersten Millenniumsdekade der Dow Jones Industrial Average drei Mal gehörig gerupft: Zwischen Januar 2000 und September 2001 sowie März und Oktober 2002 verlor der Index jeweils um die 30 Prozent, zwischen 2007 und 2009 sogar über 50 Prozent. Gut zwei Generationen zuvor durchleben Investoren eine hinsichtlich Tiefe und Länge noch intensivere Verlustperiode. Es dauerte über 25 Jahre – bis zum November 1954 –, ehe der Dow Jones Industrial Average seinen Höchststand vom September 1929 wieder einstellen und die kumulierten Verluste von knapp 90 Prozent nominal wettmachen konnte.16

An der in der Börsenliteratur oft propagierten, langfristig überlegenen Aktienrendite hat unter anderem der US-amerikanische Unternehmer und Investor Robert D. Arnott in dieser Pauschalität so seine Zweifel, zumindest je nach Definition von Langfristigkeit. Er bezeichnet diese These gar als »the biggest urban legend in finance«, also den »größten modernen Finanzmythos«. Für seine Gegendarstellung hat er die Renditen US-amerikanischer Aktien und Anleihen im Zeitraum von 1802 bis 2010 analysiert. In knapp 20 Prozent aller rollierenden 20-Jahres-Perioden performten Anleihen besser als Aktien bei einer gleichzeitig wesentlich niedrigeren Schwankungsbreite. Wird der Betrachtungszeitraum allerdings auf 1926 bis 2010 verengt, verschwindet dieser Effekt so gut wie ganz, das heißt, die Aktie wird zum eindeutig dominierenden Anlageinstrument. Ein Grund dafür: Zwischen 1803 und 1857 stagnierte der US-amerikanische Aktienmarkt, die Rendite entsprach in dieser Periode lediglich einem Drittel dessen, was Anleger zeitgleich mit Anleihen bei weitaus niedrigerem Risiko erzielen konnten; erst im Jahr 1871, nach einer ausgeprägten Hausse, konnten Aktieninvestoren den Break-even-Punkt erreichen. Nun dürfte ein durchschnittliches Investorenleben – für das exakt nur ein Versuch zur Verfügung steht – kaum weniger als 54 respektive 68 Jahre umfassen. Den unterschiedlichen Rahmenbedingungen zum Trotz verbleibt bei rein finanzhistorischer Betrachtung der Performance, so Arnott, auch für Buy-and-Hold-Anleger ein nicht ganz unbeträchtliches Langfristrisiko.

Doch auch in der Gegenwart mangelt es nicht an einem mahnenden Exempel. Der Leitindex der Tokioter Börse, der Nikkei 225, erreichte sein Allzeithoch mit 38.957,44 Punkten am 29. Dezember 1989. Er fiel im Verlauf der folgenden zwölf Jahre um knapp 80 Prozent und schwankte mehr als zehn Jahre lang zwischen 8000 und 16.000 Punkten; erst im April 2015 notierte der bedeutendste asiatische Aktienindex erstmals wieder seit dem Jahr 2000 vorübergehend oberhalb von 20.000 Punkten. Trotz Nullzinspolitik sowie gigantischen Investitions- oder Verschuldungsprogrammen der öffentlichen Hand verharren die Kurse in einer für die moderne Börsenhistorie der westlichen Welt beispiellosen Rekordbaisse, während die japanische Volkswirtschaft beständig im Zustand des »Nullwachstums« verharrt. Wie geht es weiter? Hier sei wieder auf das Duo Buffett und Lynch verwiesen: Niemand weiß es.

Als wenn die technische Klaviatur des Investierens den potenziellen Anleger nicht schon vor hinreichend Herausforderungen stellen würde, muss dieser sich auch noch vor zahlreichen mentalen Fallstricken hüten. Das gilt natürlich in besonderem Maße für Kursgewinn-Investoren: Wer vermag schon die enge Bindung zwischen Kursverlauf und Selbstwert gänzlich aufzuheben?17 Nicht umsonst gelten Finanzmärkte als teuerster Weg zur Selbsterkenntnis.

Die bisherigen Ausführungen dürften das ewige Dilemma des Handels im oszillierenden Möglichkeitsraum des Börsengeschehens hinreichend plakatiert haben: Wie viel Gewinn und Verlust sind in Höhe und Zeit zu ertragen? Und wie ist die unausweichliche Tatsache zu handhaben, dass aus jedem Handel ein Gewinner und ein Verlierer hervorgeht, mithin in 50 Prozent der geldgewichteten Fälle monetäre und damit immer auch emotionale Verluste produziert werden? Derart hohe Misserfolgsquoten decken sich ja in aller Regel nicht mit den intuitiv gewonnenen Erfahrungen der alltäglichen Lebenswirklichkeit im außerbörslichen Bereich.

Wer möchte schon in der Mehrzahl der Fälle als Verlierer dastehen? Offensichtlich ist selbst das Mittelmaß kaum zu ertragen. Als Selbstüberschätzungs- respektive Overconfidence-Effekt wird die Tendenz bezeichnet, das eigene Wissen und Können zu über- beziehungsweise das anderer zu unterschätzen. Egal ob Autofahrer, Lehrer, Schüler oder Liebhaber – regelmäßig hält sich die Mehrheit einer bestimmten Gruppe für außergewöhnlich gut, der überwiegende Rest zumindest für durchschnittlich, nur vereinzelt werden etwaige Unzulänglichkeiten reflektiert. »Kaum etwas kann man sich so schwer vorstellen wie die Tatsache, dass man nicht klüger ist als der Durchschnitt«, so der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman,18 die aktuell wohl bekannteste Kapazität auf dem Gebiet der heuristischen Urteilsfindung, also der Unausweichlichkeit überschlägiger Denkansätze oder mentaler Faustregeln, um bei unvollständigen Informationen in akzeptabler Zeit zu dann in aller Regel suboptimalen, aber hinreichend zielführenden Entscheidungen zu gelangen.

Dass 80 Prozent der Autofahrer ihr Können für überdurchschnittlich gut halten, ist dabei fast schon ein Gemeinplatz. Nun ist Autofahren aber eine Tätigkeit, deren Ergebnisgüte sich schwer messen lässt beziehungsweise vom Blickwinkel des Betrachters abhängt. Viel erstaunlicher ist, dass ganze 74 Prozent der Fondsmanager, also der nahezu das gesamte Handelsgeschehen dominierenden professionellen Geldverwalter, ihre Leistungen ebenfalls für überdurchschnittlich gut halten. Das ist, siehe oben, mathematisch unmöglich.19 Dies ist umso rätselhafter, als deren Leistung sich auf eine einzige Zahl verdichten lässt. Offensichtlich unterliegen also nicht nur Privatanleger dem gesamten Arsenal kognitiver Verzerrungen, welches die Behavioral Finance oder verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie in den letzten zwei Jahrzehnten zutage gefördert hat. Darauf dürfte auch ein Gutteil der gigantischen Verluste zurückzuführen sein, die zahlreiche Banken einzelnen angestellten Finanzmarktexperten zu verdanken haben.20

Der Overconfidence-Effekt ist dabei nur eine kognitive Verzerrung, die sich unmittelbar aus den Unzulänglichkeiten ergibt, mit denen sich jede Form menschlichen Handelns als permanente Optimierung zu erwartender Kosten-Nutzen-Relationen verfügbarer Entscheidungsalternativen konfrontiert sieht.21

Zahlreiche Finanzmarktexperten und Publizisten raten aus diesem Grund auch dazu, ausschließlich automatisiert zu handeln. Dies aber übersteigt offensichtlich die Selbstdisziplin der meisten Anleger. Zugegebenermaßen übt die scheinbare Gunst des Augenblicks eine betörende Sogwirkung aus, welche geradewegs zur Aufweichung der selbst auferlegten Regeln verführt. Ist das scharfsinnige Ego dem stumpfen Automatismus zumindest in bestimmten (Börsen-)Szenarien nicht doch überlegen? Handeln aber, welches nicht automatisiert erfolgt, ist dann notwendigerweise immer auch intuitiv. Und jede Intuition wird von kognitiven Verzerrungen mitbestimmt.

»Achtzig Prozent der Spekulanten sind nicht wirklich darauf aus, Geld zu verdienen« schrieb der unter dem Pseudonym Adam Smith publizierende US-amerikanische Finanzjournalist George Goodman schon Ende der 1960er-Jahre zur tendenziell geldvernichtenden Rolle des Egos. Charles Schwab, Gründer und Geschäftsführer des gleichnamigen internationalen Finanzmaklers, verortet das Spekulationsmotiv ebenfalls nicht in der ökonomischen Sphäre: »Es macht Spaß herumzuspielen […], es liegt in der Natur des Menschen, zu versuchen, auf das richtige Pferd zu setzen […].« Demnach stellt die Börse für viele Akteure tatsächlich ein Ersatzcasino dar, eine Lotterie, die im Gegensatz zum offensichtlichen Glücksspielcharakter des Originals schon eher suggeriert, die Ermittlung der Gewinnzahlen unterläge prognostizierbaren Gesetzmäßigkeiten.

Der Zusammenhang zwischen Aktienhandel und Lotteriespiel war sogar Gegenstand mehrerer empirischer Untersuchungen. Dabei wurde mehrfach festgestellt, dass in Zeiten, in denen ein ungewöhnlich hoher Jackpot ausgespielt wird, die Anzahl der kleinen, also überwiegend von Privatanlegern in Auftrag gegebenen Aktienorders zurückgeht. Besonders eklatant machte sich dieser Zusammenhang nach der erstmaligen Einführung einer staatlichen Lotterie im Jahr 2002 in Taiwan bemerkbar, worauf die Handelsaktivitäten insgesamt um beachtliche 25 Prozent zurückgingen.

In Summe erklärt dies auch, warum – wie im Eingangskapitel zitiert – »die meisten Privatanleger auf Dauer Geld an der Börse« ebenso wie in der Lotterie zu verlieren bereit sind.22 Dies weiß auch Jürgen Trümper, Geschäftsführer des Arbeitskreises gegen Spielsucht e. V., aus seiner täglichen Beratungspraxis zu bestätigen – vor allem in der Zeit um die letzte Jahrtausendwende: »Wie jedem Spieler geht es auch dem notorischen Spekulanten nicht eigentlich ums Geld, sondern um das Glücksgefühl beim Spielereignis.« Ein Umstand, den auch der deutsche Fondsmanager Markus Elsässer zur Genüge aus eigener Anschauung kennt: »Aus meiner langjährigen Beobachtung ist die Wurzel des schlechten Geldanlegens häufig im beruflichen oder privaten Umfeld zu suchen. Besonders Menschen mit Berufsgattungen, die oft als repetitiv oder langweilig betrachtet werden, sind stark gefährdet. […] Da bietet sich das Geldanlegen, das Spekulieren, sozusagen als Flucht in eine andere Welt an. Der Nervenkitzel eines Finanzabenteuers wird unterbewusst regelrecht gesucht.« Wobei der Übergang zwischen pathologischer und kontrollierter (Kursgewinn-)Spekulation freilich fließend ist.

2.3 Das Prognoseparadoxon

Die uralte Faszination, welche die Börse seit jeher auf zahllose Laien wie Profis ausübt, dürfte sich nicht zuletzt aus dem systembedingten Kontrast zwischen simpler Ordnung und unbeherrschbarem Chaos speisen, was ihr als kybernetischem System geradezu inhärent ist. Relativ wenige Elemente, sprich handelbare Wertpapiere, und einfache Interaktionsregeln, sprich in Menge und Preis fixierte Orders, entfalten ein komplexes Interaktionsgeflecht, welches sich wiederum laufend in einer dynamischen Größe verdichtet: dem Kurs.

Jede Kursentwicklung zeichnet sich dabei durch zwei wesentliche Faktoren aus. Zum einen durch Nichtlinearität, also eine nicht proportionale Änderung im Zeitverlauf, zum anderen durch Rückkopplung, das heißt durch den Einfluss des aktuellen Kurses auf die folgenden Handlungen und damit auch auf die nächste Kursstellung. Nun sind aber rückgekoppelte, nichtlineare Systeme, zu denen jeder hinreichend große Markt zählt, durch prinzipiell nicht vorhersagbare Chaoszustände gekennzeichnet. Kursverläufe sind daher unmöglich zu prognostizieren, völlig unabhängig von der Qualität der zugrunde liegenden Theorie und deren Modellierung sowie den zur Verfügung stehenden Werkzeugen.

Dieses den Wertpapiermärkten innewohnende Theoriedilemma hat das Universalgenie Sir Isaac Newton nach einer kapitalen Fehlspekulation im Rahmen des sogenannten Südseeschwindels von 1720 treffend zusammengefasst: »Ich kann zwar die Bewegungen der Himmelskörper berechnen, aber nicht die Verrücktheit der Menschen.« Der visionäre Engländer erkannte hier sehr richtig, dass es zwischen der Theoriebildung in der naturwissenschaftlichen Sphäre einerseits und der sozialwissenschaftlichen Sphäre andererseits einen fundamentalen Unterschied gibt: Die eine stützt sich auf die Analyse von Objekten, die andere auf die von Subjekten. Letztere, sprich Menschen, sind aber im Gegensatz zu Dingen nicht zur tatenlosen Passivität verdammt, sondern jederzeit in der Lage, endogen, also aus sich selbst heraus, zu handeln, aktiv auf die Umwelt und damit auf andere Subjekte einzuwirken oder zu reagieren. Und das schließt sämtliche sie betreffende Theorien mit ein.

Allein diesbezügliche Kenntnisse versetzen Menschen also in die Lage, durch entsprechendes Verhalten die Theorie zu bestätigen oder zu widerlegen. Bernd Niquet, der dem Themenkomplex ein ganzes Buch gewidmet hat, bezeichnet eine solche Situation als »Reflexivität«, konkret als »›Hineinwirken‹ von Theorien in ihren Gegenstandsbereich«. Reflexivität kann demnach zu sich selbst erfüllenden oder aber sich selbst widerlegenden Prophezeiungen führen – je nach Rezeption und Reaktion der betroffenen Handlungssubjekte.23

Da nun einmal an Vermögensmärkten wie zum Beispiel Wertpapierbörsen nur dann Kurse zustande kommen können, wenn hierüber – wie bereits dargelegt – unterschiedliche Zukunftseinschätzungen aufeinandertreffen, ist es zudem »logisch völlig undenkbar, dass es jemals eine Theorie geben könnte, die den Aktienmarkt anerkanntermaßen zutreffend erklären und prognostizieren könnte«. Jede Börsentheorie, die korrekte Prognosen herleitet, wird durch ihr Bekanntwerden schlagartig inkompatibel zum Funktionsmechanismus von Kapitalmarktransaktionen und sie wird umgehend falsifiziert. Der vermeintliche Erfolg führt also letztlich zu ihrer Selbstzerstörung. Dies bedeutet im Umkehrschluss nichts anderes, als dass Theorievielfalt eine Grundvoraussetzung für das Zustandekommen des Wertpapierhandels darstellt.

Niemand hat die Essenz des Kursgewinndilemmas prägnanter auf den Punkt gebracht als André Kostolany: »Börsenerfolg ist eine Kunst und keine Wissenschaft.« Dies kann nunmehr auch nicht wirklich überraschen, zudem müssten hierzu regelmäßig (Börsen-) Prognosen mit einer Treffsicherheit von mehr als 50 Prozent realisiert werden können, was, wie dargelegt, der Logik beziehungsweise Arithmetik des Börsenhandels widerspricht.

Eine interessante empirische Erhebung zu diesem Punkt hat wiederum Kostolanys langjähriger Geschäftspartner, der Finanz- und Börsenfachmann Gottfried Heller durchgeführt. Zwischen 1986 und 1992 wurden hierzu die Teilnehmer von Börsenseminaren gebeten, die Veränderung des Dow Jones Industrial Average, des US-Dollarkurses, des Goldpreises, der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen und der amerikanischen Anleihen auf Jahressicht anzugeben. Gefordert war dabei lediglich eine Trendprognose, also ob in zwölf Monaten jeweils mit einem höheren, mit einem gleichen oder mit einem niedrigeren Kurs- beziehungsweise Preisniveau zu rechnen sei. Der Durchschnitt der richtigen Antworten auf sämtliche Fragen aus allen Erhebungen lag bei gut 40 Prozent, die Profis unter den Teilnehmern schnitten dabei geringfügig schlechter ab als die Privatanleger. Dies stützt zudem die These, dass ausgewiesene Experten noch stärker am Selbstüberschätzungseffekt leiden als Laien.

Eine ähnliche Befragung führte das Magazin Börse Online durch. Zwischen 1990 und 1995 wurden dazu die Chefvolkswirte von 25 Banken gebeten, jeweils 65 Prognosen auf Sicht von zwölf Monaten abzugeben. Die Ergebnisse entsprachen weitestgehend denen der Erhebung Gottfried Hellers, das gilt auch für ähnliche Umfragen unter US-amerikanischen und Schweizer Profis. Obwohl die Befragten intelligent, professionell, gebildet und ehrgeizig waren, so Heller, verursachen Herdentrieb, die scheinpräzisen und scheinwissenschaftlichen Prognosedaten komplexer Computersimulations-Rechnungen sowie massenpsychologische Phänomene Ergebnisse, die selbst der Zufall zu schlagen in der Lage ist.

Wenn die Börse, wie Kostolany nicht müde wurde zu betonen, das stete Zusammenspiel aus Geld und Psychologie reflektiert, dann ist aktuell nicht nur der zweite, sondern auch der erste Part schlichtweg unkalkulierbar. Seit 1971 experimentiert de facto die gesamte Welt erstmals mit rein stoffwertlosen Währungsordnungen, bei denen Geld noch nicht einmal mehr teilweise durch substanzielle Werte oder zumindest gute Sicherheiten gedeckt ist, sondern zunehmend durch prekäre Zahlungsversprechen, ganz gewöhnliche Schulden. In diesem Zuge sind spätestens seit 2008 fast alle Zentralbanken der Industrienationen zu einer ultralockeren Geldpolitik übergegangen, die eines jeden historischen Vergleichs entbehrt. Selbst der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), der Wirtschaftsprofessor Jürgen Stark, hat im Rahmen einer Konferenz im Mai 2014 unumwunden zugegeben, dass es keinerlei Erfahrungswerte mit einer derart langen Phase tiefer Zinsen und hoher Liquidität gebe und dass der Ausgang dieser »experimentellen Geldpolitik« völlig offen sei.

Hohe Staatsverschuldungen, wachsende Budgetdefizite, strukturelle Probleme monetärer Ordnungen und daraus resultierend der ökonomische Niedergang ganzer Länder und Regionen, aufgeblähte Zentralbankbilanzen und demografische Umbrüche vor allem in der Ersten Welt: Dies bietet in den kommenden Jahrzehnten reichlich Potenzial für Schwarze Schwäne; jene Metapher steht für höchst unwahrscheinliche Umbrüche, die Nassim Nicolas Taleb in seinem gleichnamigen Bestseller weltberühmt gemacht hat. Das gilt, sowohl was die Risiken als auch was die Chancen an den globalen Kapitalmärkten angeht.

Doch wer weiß schon, wann, wie und wo genau sich was manifestieren wird? Es ist schlichtweg nicht möglich, aus diesen zweifelsfrei börsenwirksamen Szenarien Wahrscheinlichkeiten zu extrahieren und in Gewinne umzumünzen.24 Vor diesem Hintergrund lässt sich das Kursgewinndilemma einzig und allein durch eine strikte Buy-and-Hold-Strategie aufheben, sofern der ökonomische Trend seit Beginn der industriellen Revolution auch weiterhin anhalten sollte. Diese konvergiert, wie im nachfolgenden Kapitel noch dargelegt werden wird, langfristig allerdings ohnehin automatisch in Richtung einer (Hoch-)Dividendenstrategie, sodass diese zwecks gezielter Ausnutzung des Effekts auch gleich an den Anfang des Investitionsprozesses gesetzt werden kann. Die Stärke dieses Ansatzes käme besonders dann zum Tragen, wenn besagter Trend über längere Zeit abflachen oder gar in eine Stagnation übergehen sollte, was ebenfalls Gegenstand des nächsten Kapitels sein soll. Hoffnungsfroh sollte indes der Umstand stimmen, dass der an unheilvollen Extremszenarien überreiche Zeitraum zwischen 1800 und 2010 langfristig einer gedeihlichen Entwicklung des Produktivkapitals keinerlei Abbruch getan hat.25

3. CASH IS KING

3.1 Einkommen versus Gewinn

Wenn sich Kursgewinnstrategien aus fundamentaler, technischer, psychologischer, mathematischer und logischer Sicht als derart problematisch erweisen, wenn es jedoch aus vielerlei Hinsicht auch keine Option ist, dem Börsentreiben fernzubleiben, so gilt es, sich einer schlichten Volksweisheit zu besinnen: Nur Bares ist Wahres! Also weg von den Kursgewinnen, hin zu den Einkommen, konkret zu den Barausschüttungen.

Schon die ältesten noch erhaltenen schriftlichen Dokumente des europäischen Mittelalters legen Zeugnis ab von einem äußerst regen finanzwirtschaftlichen Verkehr. Die Finanzzentren jener Epoche waren vor allem Klöster. Dies hatte in erster Linie praktische Gründe. Als Schriftkundige konnten Mönche Verträge aufsetzen und beurkunden sowie in ihren Gemäuern sicher verwahren. Hunderte solcher heute noch erhaltener Urkunden hatten die Bündelung und Abtretung landwirtschaftlich genutzter Liegenschaften zum Gegenstand, oft ließen sich die ohne Erben gebliebenen Veräußerer den Kaufpreis in Form von Leibrenten auszahlen, von denen sie ihren Lebensabend bestritten. Damit war es erstmals nach dem Untergang des Römischen Reichs wieder möglich, »Stamm« und »Früchte« von Vermögenswerten getrennt zu handeln. Hiervon wurde selbst vor der Entfaltung numismatischer Ordnungen rege Gebrauch gemacht, indem die Ausschüttungen in Naturalien erfolgten. Konsequenterweise waren es dann schließlich auch die Betreiber jener Finanzmärkte, unter ihnen vor allem die sogenannten (Spät-)Scholastiker der Schule von Salamanca, die ab dem 16. Jahrhundert das theoretische Fundament der modernen Wirtschaftswissenschaften erarbeiteten.

Nur wenige Jahrzehnte später und bereits gestützt auf zahlreiche edelmetallbasierte Geldwirtschaften wurden in Europa die ersten modernen Börsen gegründet, deren grundlegende Handelstechniken bis heute unverändert fortleben. Nun sind es aber wie erwähnt gerade die historischen Ausnahmesituationen in Form exzessiver Kursgewinnspekulationen, die sich bis heute mannigfaltiger literarischer Rezeption erfreuen. Zugegeben, die Normalität nimmt sich hierzu auch vergleichsweise langweilig aus. Sie manifestierte sich tatsächlich gerade nicht in der Konzentration auf künftige Kursgewinne, sondern auf laufende Einnahmen. Das hatte auch einen ganz einfachen Grund, der in den Wirtschaftswissenschaften als Prinzipal-Agent-Konflikt im Rahmen der gleichnamigen Theorie behandelt wird:26 Wie können Aktionäre sicherstellen, dass das Management ihres Unternehmens weitestgehend in ihrem Interesse handelt?

Ein ganz entscheidender Beitrag hierzu war (und ist) die Ausschüttung von Cash. Fantasien und Versprechen kennen bekanntlich kein Limit. Hingegen ist der Nachweis eines tragfähigen, soliden Geschäftsmodells nur möglich, indem eine regelmäßige, möglichst konstante Dividende ausgezahlt wird. Sie ist bis heute der einzige finale Beweis für die Finanzkraft eines Unternehmens. Ohne Dividendenzahlungen gab es mithin keinen Grund, entsprechende Aktien zu kaufen. Umgekehrt war eine lange, konstante Dividendenhistorie ein verlässlicher Gradmesser bezüglich der Solidität einer Gesellschaft. Diese auf gesundes Misstrauen gestützte Vorsichtsmaßnahme hat bis heute nicht an Aktualität eingebüßt. Die zeitgenössische Aussagekraft von Wirtschaftskennzahlen resümieren die beiden deutschen Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik wie folgt: »Es gibt in der unternehmerischen Rechnungslegung und in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verschiedene Definitionen von Rentabilität. […] Selbst Profis fällt es bisweilen schwer, zu ermitteln, ob Firmen, die sich wie Schlangen jährlich häuten, zwischendurch auch mal echtes Geld verdienen.«

Tatsächlich lag die durchschnittliche Ausschüttungsrendite US- amerikanischer Aktien seit Erhebung belastbarer Daten bei gut 5 Prozent. Sie übertraf dabei in 60 Prozent der Jahre zwischen 1870 und 2014 die Rendite US-amerikanischer Anleihen.

Dieser historische Normalzustand lag darin begründet, dass die Halter der schwankungsanfälligeren Wertpapiergattung selbstverständlich auch höhere Barrenditen als Kompensation für das eingegangene Risiko forderten. Die ausgezahlten Dividenden machten dabei über drei Viertel der Gesamtperformance von Aktien aus. Allerdings setzte, wie eingangs erläutert, vor allem ab Anfang der 1980er-Jahre des letzten Jahrhunderts mit Beginn des bis dato größten Bullenmarktes der Weltgeschichte ein erheblicher Rückgang der Dividendenforderungen und -renditen ein. Wohl kaum zufällig kam in derselben Epoche die Mär von den Dividendenzahlungen auf, die angeblich die Wachstumschancen hemmten. Dieser hemmenden Wirkung könne nur durch Verbleib der Gewinne im Unternehmen entgegengewirkt werden, so hieß es.

Eine solche Auffassung steht im Widerspruch zur finanztheoretischen Ermittlung eines jeden Preises von Kapitalgütern. Dieser entspricht der auf die Gegenwart abgezinsten Summe sämtlicher künftiger Zahlungsströme. Auf Aktien übertragen sind das selbstverständlich die Dividenden als Zweck der Unternehmenstätigkeit, nicht die Gewinne als Mittel hierzu. Dies ist bei anderen gängigen Vermögensgegenständen auch die weitestgehend gelebte Praxis. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen:

Kaum ein Bestandsimmobilien-Investor würde ein Objekt ohne die Aussicht auf laufende Mieterlöse, allein auf einen irgendwann in der Zukunft eventuell realisierbaren Wiederverkaufsgewinn hin erwerben. Letzteres ist gerade ein Kennzeichen heißgelaufener Märkte. Tatsächlich ist die auf dem laufend erzielbaren Ertrag respektive der eingesparten Miete basierende (Bar-)Rendite neben dem Zinsniveau die wesentliche preisbestimmende Schlüsselgröße.

Gleiches gilt beim Erwerb nicht börsennotierter Unternehmen wie beispielsweise einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Mit wenigen Ausnahmen würde sich kein Eigenkapitalgeber mit der Option auf Anteilswertsteigerungen abspeisen lassen. So geht auch die deutsche Rechtsprechung von der Erzielungsabsicht eines laufenden Einkommens aus und setzt aus diesem Grund beispielsweise enge Grenzen hinsichtlich einer finanziellen »Austrocknung von [GmbH-] Gesellschaftern«.

Wenn aber schon der Haupterwerbszweck nicht börsennotierter Unternehmen sowie von Wohn- und Gewerbeimmobilien in der Generierung von Ausschüttungen besteht, ist es wenig plausibel, warum dies beim Erwerb ebensolcher Vermögenswerte über die Börse nicht der Fall sein sollte.