Bedrohliche Verlockung - Jennifer Dellerman - E-Book

Bedrohliche Verlockung E-Book

Jennifer Dellerman

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Beschreibung

Ihr Beschützer ist ein Werwolf - wird sie vor ihm fliehen oder sich in ihn verlieben?

Die Ballerina Willow Yancy entgeht nur knapp dem Tod, als sie zur falschen Zeit am richtigen Ort ist. Mysteriöse Beschützer bringen sie in Sicherheit. Doch selbst, wenn sie sie als Köder für den Feind benutzen - sie braucht jede Hilfe, die sie kriegen kann. Insbesondere, wenn sie von einem Mann kommt, der ihren Körper vor Leidenschaft zum Kochen bringt.

Der charmante Ben Alexander ist Skilehrer in Woodcliff, Colorado - und ein Werwolf. Aufgrund seiner zuvorkommenden Art wird er dazu verdonnert, auf Willow aufzupassen. Sobald er die attraktive Rothaarige erblickt, macht ihm das aber überhaupt nichts mehr aus. Doch der Vollmond naht, und er muss Willow die Wahrheit über sich und die Seinigen erzählen. Eine gefährliche Angelegenheit, denn falls sie flieht, ist alles verloren ...

Alle Romane um das Werwolf-Rudel von Woodcliff: Verhängnisvolles Erwachen - Brennende Versuchung - Dunkle Bestimmung - Bedrohliche Verlockung

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Seitenzahl: 342

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressum12345678910111213141516171819202122EpilogLeseprobe – Rome – Verführerische Fährte

Über dieses Buch

Die Ballerina Willow Yancy entgeht nur knapp dem Tod, als sie zur falschen Zeit am richtigen Ort ist. Mysteriöse Beschützer bringen sie in Sicherheit. Doch selbst, wenn sie sie als Köder für den Feind benutzen – sie braucht jede Hilfe, die sie kriegen kann. Insbesondere, wenn sie von einem Mann kommt, der ihren Körper vor Leidenschaft zum Kochen bringt.

Der charmante Ben Alexander ist Skilehrer in Woodcliff, Colorado – und ein Werwolf. Aufgrund seiner zuvorkommenden Art wird er dazu verdonnert, auf Willow aufzupassen. Sobald er die attraktive Rothaarige erblickt, macht ihm das aber überhaupt nichts mehr aus. Doch der Vollmond naht, und er muss Willow die Wahrheit über sich und die Seinigen erzählen. Eine gefährliche Angelegenheit, denn falls sie flieht, ist alles verloren …

Über die Autorin

Jennifer Dellerman hat bereits viele Bücher veröffentlicht. Am liebsten schreibt sie erotische und spannende Romane mit paranormalem Einschlag. Jennifer Dellerman lebt in den USA.

Jennifer Dellerman

Aus dem amerikanischen Englisch von Ralph Sander

beHEARTBEAT

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Die englischsprachige Originalausgabe erschien unter dem Titel »Seduced by a Shifter« bei Ravenous Romance®

© 2012 by Jennifer Dellerman

Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)

Übertragung ins Deutsche: Ralph Sander

Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von istock-Motiven: istockphoto/Art-Of-Photo, istockphoto/DarioEgidi

E-Book-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-2800-4

Dieses E-Book enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Rome – Verführerische Fährte« von Jennifer Dellerman

Die englischsprachige Originalausgabe erschien unter dem Titel »Hot Licks« bei Ravenous Romance©

© 2012 by Jennifer Dellerman

Für die deutsche Ausgabe

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)

Übertragung ins Deutsche: Yasmin Tesch

Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von thinkstock/Sarah_Cheriton und istockphoto/Art-Of-Photo

E-Book-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

»Das haben Sie alle richtig gut gemacht.«

Willow klatschte in die nassen Hände und lächelte ihrem zweiten Kurs an diesem Tag anerkennend zu. Wassertropfen spritzten in alle Richtungen. Die Teilnehmer, alle schon ältere Leute, sahen sie erleichtert und zufrieden an.

Den weniger Selbstbewussten gab sie noch ein zusätzliches Lob mit auf den Weg. Währenddessen dirigierte sie alle zum flacheren Ende des Schwimmbeckens, wo ihr Partner Tim stand und die Leute genau beobachtete, um einzugreifen, wo Hilfe nötig war. Erst als alle festen Boden unter den Füßen hatten und in Richtung Ausgang strebten, folgte Willow ihnen, nahm ihr riesiges Badetuch vom Haken und wickelte sich darin ein wie eine Mumie.

»Du hast sie heute härter rangenommen als sonst, Mary«, sagte Tim, der seine braunen Augen nicht von ihrem Körper abwenden wollte. Der Name erschreckte sie jedes Mal; daran musste sie unbedingt noch arbeiten. Vor drei Monaten hatte sie den Namen Mary Elizabeth Netts erhalten. Willow Irene Yancy galt als spurlos verschwunden, vermutlich tot.

Vorübergehend, sagte sie sich. Eines Tages würde sie ihren eigenen Namen wieder benutzen. Er fehlte ihr wirklich. Genauso wie die langen Haare. Ein sehnsüchtiges Gefühl überkam sie, als sie mit einer Hand durch ihre kurzen rotblonden Locken fuhr, die so geschnitten waren, dass ihr ein paar seidige Strähnen in die Stirn fielen. Der Stil ließ sie jünger aussehen. Eigentlich war sie vierundzwanzig, aber mit ihrem neuen, vorübergehenden Namen war sie praktisch so unschuldig wie ein Kind.

Oder eine Nonne. Also so, wie sie sich fast ihr Leben lang vorgekommen war. Schon früh hatte sie alles daran gesetzt, als Tänzerin Karriere zu machen. Das bedeutete, sie musste sich streng an einen Ernährungsplan halten und viel Sport treiben, von den Proben ganz zu schweigen, die ihr die letzten Kräfte raubten. Dank eines genau festgelegten Tagesablaufs, über den ihre Mutter gewissenhaft wachte, war für Willow kaum Freizeit geblieben. Jungs waren absolut kein Thema.

Ihre Mutter Heather Yancy hatte ihre Tanzkarriere aufgeben müssen, als sie schwanger wurde. Vor allem, nachdem klar war, dass sie ihr Kind allein großziehen musste, da ihr Freund sie verlassen hatte. Wegen einer anderen Tänzerin, die nicht schwanger war und damit auch nicht aus dem Leim gehen konnte.

Nach vielen Jahren und noch viel mehr Flaschen Scotch war Heather dann Ian begegnet, den sie heiratete und von dem sie ihre zweite Tochter Willow bekam.

Als sich herausstellte, dass die älteste Tochter Maggie keinerlei Anmut und Eleganz besaß, drängte ihre Mutter Willow in die Rolle der Tänzerin. Am Anfang hatte Willow das Tanzen geliebt, die Reaktionen ihres Körpers auf den Rhythmus der Musik, die Freude und die Hitze, die in ihren Adern pulsierte, wenn ihre Muskeln sich anspannten. Doch diese Liebe war unter den unmenschlichen Anforderungen an professionelle Tänzer gestorben. Auch ihre Mutter war gestorben, allerdings an den unzähligen Flaschen mit Scotch und Rum und anderem Hochprozentigen. Willow steckte damit in einer Sackgasse. Das Tanzen hatte seinen Reiz verloren, sie war nie aufs College gegangen und konnte nichts anderes vorweisen als einen Körper, den sie bis zur Perfektion beherrschte. Was sollte sie also sonst machen?

»Ähm … Mary? Stimmt was nicht?«, fragte Tim. Er hatte das Gesicht besorgt in Falten gelegt, was seinen Hundeblick noch mehr betonte.

Mit einem kurzen Blinzeln zwang Willow sich, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Sie war keine Tänzerin mehr, und das war Segen und Fluch zugleich. Segen, weil sie außer sich selbst niemanden mehr zufriedenstellen musste. Fluch, weil die Umstände, die dazu geführt hatten, alles andere als angenehm gewesen waren.

Sie brachte ein flüchtiges Lächeln zustande. »Tut mir leid, ich war in Gedanken. Mir geht es gut, ich will mich nur abtrocknen gehen.« Und ein oder zwei Paracetamol einwerfen, damit die Schmerzen in ihrem Knie nachließen.

»Hmm«, machte Tim und sah intensiv auf ihre Beine. »Dein Knie macht dir wieder zu schaffen.« Es war nicht als Frage formuliert. Sein Kommentar sagte ihr, dass sie nach links geneigt dastand, um das rechte Knie zu entlasten. Das wiederum belastete ihre linke Hüfte, die ebenfalls etwas abgekriegt hatte. Beide Verletzungen wogen schwer genug, um zu verhindern, dass sie je wieder professionell tanzen würde.

Während ihrer Reha-Maßnahme in einer abgeschiedenen Einrichtung war Willow auf eine neue Leidenschaft gestoßen. Lehrerin für Wasser-Aerobic erschien vielleicht nicht jedem als ein erstrebenswerter Beruf, doch für Willow war es ein Wendepunkt in ihrem Leben – eine Gelegenheit, die Liebe zum Tanzen wiederzuentdecken und sie auf eine Weise anzuwenden, mit der anderen geholfen wurde. Manche brauchten sanfte Bewegungsübungen für die Gelenke, für andere – so wie sie selbst – diente es als Therapie nach einer Verletzung.

Dummerweise warf die Kleiderordnung Fragen auf, die sie nicht beantworten wollte, weshalb sie auch das Becken immer erst verließ, wenn alle Teilnehmer gegangen waren. Nur wenige Leute kannten den Grund für ihre Verletzungen. Tim gehörte nicht dazu. Willow wusste sein Sorge zu schätzen, aber seine Neugier, mehr über die Ursachen für ihr Leiden zu erfahren, wurde immer lästige.

Behutsam stellte sie sich wieder gerade hin. »Ein bisschen. Aber mit einer Tablette bin ich gleich wieder fit.«

Tim sah sie enttäuscht an. »Wirst du mir irgendwann mal die ganze Geschichte erzählen? Die wahre Geschichte?«

Wohl kaum. »Es ist nicht wichtig.«

»Das ist es sehr wohl, Mary.« Sie versuchte, bei ihrem falschen Namen nicht zu zucken. Und genauso war sie bemüht, nicht allzu ungeduldig zu reagieren. »Denn es hat psychologische Folgen. Das zertrümmerte Knie an sich ist schon schlimm genug, aber was ich von deiner Hüfte gesehen habe … Ehrlich, für mich sieht das so aus, als hätte sich etwas Scharfes tief ins Fleisch eingeschnitten.«

Eine Kugel, die ein Stück Knochen herausgerissen hatte. Aber das sagte sie ihm nicht.

Willow kämpfte gegen den gallebitteren Geschmack im Mund und gegen die verhasste Erinnerung an den quälenden Schmerz. Sie hoffte, dass ihr dieser innere Kampf nicht anzusehen war, als sie mit ruhiger, sanfter Stimme sagte: »Die Vergangenheit ist vorbei, Tim. Ich möchte darüber weder reden noch nachdenken. Und wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich jetzt gerne abtrocknen und umziehen, bevor ich zu meinem Treffen mit Jade muss.«

Jade Lambert war die Frau im Rathaus, die sich um die Bäder kümmerte, und sie war zugleich Willows Chefin. Sie war eine umgängliche Frau Mitte fünfzig, die bei Krisen die Ruhe bewahrte. Sie war in Erster Hilfe, Herz-Lungen-Wiederbelebung und im Umgang mit dem Defibrillator ausgebildet. Sie war so etwas wie ein Fels in der Brandung; Willow würde dieser Frau ihr Leben anvertrauen. Denn Jade – deren wahren Namen sie nicht kannte – und sie saßen beide im gleichen Boot. Aber während Jades neues Leben unwiderruflich war, hoffte Willow, irgendwann in ihr altes Leben zurückzukehren.

Tim setzte zum Reden an, hielt inne und sagte dann: »Okay, wie du meinst. Aber denk dran, dass du was isst, bevor du die Tablette schluckst.«

Als hätte er sich angesprochen gefühlt, knurrte in dem Moment ihr Magen. »Mein leerer Bauch ist dir schon einen Schritt voraus.« Willow grinste ihn an und versuchte, seinen hitzigen Blick zu ignorieren. Sein unerwünschtes und beharrliches Interesse an ihr machte ihrem Nervenkostüm zu schaffen. Und ihre Nerven waren durch das erzwungene Exil und die schlaflosen Nächte schon mehr als überstrapaziert. »Dann bis später.«

»Ja, bis Freitag«, erwiderte Tim, während sie zügig in Richtung Damenumkleide ging, um sich seinen Blicken zu entziehen.

Willow zog sich in die Umkleide zurück und ging zu ihrem Spind. Alles würde besser sein, wenn sie erst mal mit Jade gesprochen hatte. Vor allem in Verbindung mit dem Burger und den Fritten, die ihr wegen ihrer strikten Diät lange Zeit verwehrt geblieben waren, die jetzt aber im Chili’s ein Stück die Straße hinunter auf sie warteten.

Wie automatisch drehte sie das Zahlenschloss. In Gedanken war sie schon bei der Dusche, um sich das Salz aus dem Pool von der Haut zu spülen. Und dann ein schöner, saftiger Hamburger! So konzentriert war sie auf die kommenden Ereignisse, dass sie ein paar Mal blinzeln musste, ehe sie begriff, was sie da in ihrem Spind sah.

Am obersten Haken hing ein neues Paar hellrosa Spitzenschuhe, wie sie sie seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen hatte, vom Tragen ganz zu schweigen. Als erste Reaktion verkrampften sich ihre Zehen vor Entsetzen über die Erinnerung, längere Zeit en pointe, also auf den Zehenspitzen zu stehen.

Ihre nächste Reaktion war ein ungläubiges Kopfschütteln. Was zum Teufel sollte denn das?

Ein kleiner gelber Zettel war an einem der Schnürriemen befestigt. Darauf stand in gekritzelter Schrift: Fehlen sie dir? Du jedenfalls hast mir gefehlt.

Sie wich einen Schritt zurück und landete unsanft auf der weißen Kunststoffbank, von denen etliche vor den Spinden verteilt standen. Ihre Hüfte protestierte bei dieser heftigen Bewegung. Ihr Herz raste wie wild, während sie sich in dem schmalen, länglichen Raum umsah. Gegenüber den Spinden waren die Toiletten, die Türen der vier leeren Kabinen standen offen. Auch die Plastikvorhänge der beiden Duschkabinen waren aufgezogen. Am anderen Ende hing ein großer Spiegel, davor zwei Waschbecken. Hinter dieser Wand lag der Zugang zum Pausenraum für das Personal, sodass man auch von da aus in die Umkleidekabine gelangen konnte.

Gut möglich, dass sich dort hinter der Ecke jemand versteckt hielt, der sich köstlich über ihre Reaktion auf das »Geschenk« amüsierte. Oder darauf wartete, sich auf sie zu stürzen, sobald sie die Umkleidekabine wieder verließ.

Nervös hielt sie die Luft an und lauschte, ob sie ein Atmen oder ein Rascheln hören konnte. Da alle Wände gekachelt waren, wurde jedes Geräusch gut zurückgeworfen. Aber nachdem sie eine Minute lang nur ihren eigenen rasenden Herzschlag gehört hatte, gab sie auf.

Wenn jemand sie angreifen wollte, hätte derjenige das nicht längst getan? Okay, wenn es nur darum ging, ihr Angst einzujagen, war die Mission ein voller Erfolg gewesen. Doch vielleicht wollte derjenige, der die Schuhe in ihren Spind gehängt hatte, erreichen, dass sie vor Entsetzen wie gelähmt war. Dann musste sie sich in Bewegung setzen.

Allerdings störte sie sich an der Vergangenheitsform in der Nachricht. Wenn es jemandem fehlte, sie tanzen zu sehen, würde derjenige dann nicht Du fehlst mir anstelle von Du hast mir gefehlt schreiben? Die seltsame Formulierung in Verbindung mit den Schuhen bereitete ihr Magenschmerzen. Für sie konnte die Vergangenheitsform nur eins bedeuten: dass die Schuhe von der Person stammten, die an jenem schrecklichen Tag vor vier Monaten auf sie geschossen hatte. An dem Tag, an dem ihr alles entrissen worden war, was sie je gekannt und geliebt hatte. Sie war nur knapp mit dem Leben davongekommen.

Der Blick auf die Schuhe in ihrem Spind machte auch klar, dass das Zeugenschutzprogramm längst nicht so wasserdicht war, wie Rome behauptete. Sie musste sich umziehen und die Umkleidekabine verlassen, bevor derjenige zurückkam, der die Schuhe in ihrem Spind deponiert hatte.

Wahrscheinlich war sie in Lebensgefahr. Willow riss ihre Jeans vom Haken und zog sie über ihren Badeanzug. Da der untere Teil wie ein kurzer Rock geschnitten war, um die Narbe an ihrer Hüfte zu verbergen, konnte sie den Reißverschluss der Jeans nicht hochziehen, aber gut. Sie zog das T-Shirt und die leichte Strickjacke über das Oberteil. Sie nahm ihre Handtasche und die Sneakers aus dem Spind, wobei sie darauf achtete, bloß nicht die rosa Schuhe anzufassen. Ohne Strümpfe anzuziehen, stieg sie in ihre Sneakers. Das war zwar nicht allzu bequem, aber von Bequemlichkeit konnte angesichts des nassen Badeanzugs ohnehin nicht die Rede sein.

Slip und BH steckte sie in ihre Handtasche. Dabei kam ihr die Idee, ihr Handy herauszuholen und schnell ein paar Fotos vom Inneren ihres Spinds zu schießen. Sie würde erst wieder herkommen, wenn sie von einer Armee begleitet wurde. Aber sie hatte nicht die Geduld, darauf zu warten, dass der Kongress dem Einsatz von Truppen zustimmte. Auch wenn keiner von den Leuten, die sie kannte, ihr eine hyperaktive Phantasie oder Verfolgungswahn unterstellen würde: Sie wollte ein Beweisfoto präsentieren können, wenn sie völlig aufgelöst und nass in Jades Büro stürmte.

Nachdem sie ihre sehr spitze Nagelfeile zur Hand genommen hatte, wurde ihr klar, dass sie sich entscheiden musste: Entweder sie ging um die von hier aus nicht einsehbare Ecke und durch den Pausenraum nach draußen, oder sie nahm den Weg am Becken entlang, wo sie vielleicht wieder auf Tim treffen würde. Der ja wohl auf keinen Fall etwas damit zu tun haben konnte.

Oder doch? Immerhin hatte sie eben noch darüber nachgedacht, wie er fast schon rücksichtslos darauf bestand, etwas über ihre Verletzungen zu erfahren.

Irritiert sah sie zwischen beiden Ausgängen hin und her. Sicher, sie konnte um Hilfe rufen. Und es würde Hilfe kommen. Aber wie dumm würde sie dastehen? Sie hielt sich doch völlig allein hier auf! Und wenn sie nicht allein war, dann würde noch längeres Trödeln jedem, der sich mit mörderischen Absichten trug, erst recht Zeit für eine Attacke geben. Nicht zu vergessen, was Jade zustoßen konnte, wenn sie hier reingeplatzt kam, während irgendjemand Willow langsam erwürgte oder auf sie einstach. Oder während eine mutierte Superspinne damit beschäftigt war, ihr das Gehirn aus dem Kopf zu saugen.

Okay, das mit der lebhaften Phantasie mochte ja stimmen, aber diese verdammten Schuhe bildete sie sich nicht bloß ein. »Himmel, Will, jetzt reiß dich mal zusammen!«, fauchte sie sich selbst an. »Geh gefälligst!«

Die Nagelfeile wie einen Dolch in der Hand, rannte sie zum zweiten Ausgang, während ihr Herz vor Adrenalin überschäumte. Sie schoss um die Ecke und stoppte so abrupt, dass sie ein Stück weit über den gefliesten Boden rutschte. Ihrem Knie tat das gar nicht gut.

Aber da war niemand. Kein Mensch hielt sich hinter der Ecke versteckt, um ihr die Kehle aufzuschlitzen.

Sie kam sich wie eine Idiotin vor. Aber das war sie nicht! Die Schuhe und die Nachricht waren der Beweis dafür. Sie hatte bloß ziemlich heftig darauf reagiert.

Ein Kratzen an der Tür, die zum Becken führte, ließ sie den Kopf herumreißen. Vielleicht war es doch keine Überreaktion gewesen? Ohne auch nur eine Sekunde zu vergeuden, rannte Willow weiter durch den leeren Pausenraum und in den Flur. Sie wurde etwas langsamer, als zwei ihrer Kolleginnen um eine Ecke kamen. Willow lächelte sie freundlich an und eilte weiter, bevor die beiden verdutzten Frauen etwas zu ihrem gehetzten Erscheinungsbild oder ihrer offen stehenden Jeans anmerken konnten. Eine Minute später stürmte sie in Jades Büro, warf die Tür hinter sich zu und verriegelte sie.

Gott sei Dank begnügte Jade sich damit, eine dunkle Augenbraue hochzuziehen. »Probleme?«

Die nasse Jeans saß unangenehm eng, wie Willow jetzt bemerkte, als sie zu Jade ging und ihr das Handy reichte, auf dem sie eines der Fotos von ihrem Spind aufgerufen hatte.

Ihre Chefin kniff die Lippen jedes Mal noch ein bisschen fester zusammen, wenn sie zum nächsten Bild wechselte. Bedächtig legte sie das Handy dann auf den Schreibtisch und griff nach der dünnen Stahlkette, die sie um den Hals trug. An dieser Kette hing ein Schlüssel, mit dem sie die oberste Schublade ihres Schreibtischs aufschloss. Daraus holte sie ein anderes Handy, drückte eine Taste und sagte Sekunden später: »Wir haben ein Sicherheitsleck.«

Willow sah Jade mit großen Augen an, als die ihr das Telefon gab. Ihre Finger zitterten. Beiläufig nahm sie wahr, wie die ältere Frau aufstand und die Jalousie an dem kleinen Fenster hinter ihrem Platz schloss. Dann schlenderte Jade zu einem der metallenen Aktenschränke.

»Hallo?«, fragte Willow, die keine Ahnung hatte, wer da in der Leitung war.

»Verdammt, ich hatte befürchtet, dass so was passiert. Alles in Ordnung mit dir?«, fragte eine tiefe Männerstimme, die ihr vertraut war, die sie aber schon seit Wochen nicht mehr gehört hatte.

»Rome?«

»Ja. Hör zu, Willow. Bleib bei Jade, bis ich komme. Du weichst nicht von ihrer Seite. Hast du verstanden?«

Willow sah zu Jade und riss ungläubig die Augen auf, als ihre Chefin aus dem Aktenschrank ein Handtuch, diverse Kleidungsstücke und ein große, glänzende Pistole hervorholte. »Äh … ja, okay.«

»Ich mache mich sofort auf den Weg. In fünfundvierzig Minuten müsste ich da sein.«

Wie bitte? Von New York nach Arizona in fünfundvierzig Minuten?

»Die Anhörung wurde um eine Woche vorverlegt.« Rome fluchte und machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung. »Der verdammte Richter meinte, die Beweise würden für eine Anklage nicht ausreichen. Valen ist auf freiem Fuß, Willow. Gleich nachdem mir das bekannt geworden war, habe ich Vorbereitungen getroffen, um dich da rauszuholen.«

Willow brachte nur ein leises »Oh« über die Lippen und ließ sich in einen der abgewetzten Ledersessel sinken, die vor Jades Schreibtisch standen. Sie sprang aber gleich wieder auf, weil das Sitzen in ihrer durchnässten Kleidung noch unangenehmer war. »Und jetzt?«

Ein schwerer Seufzer. »Ich fahre dich dahin, wo ich dich schon von Anfang an hätte unterbringen sollen.«

Willow zog die Augenbrauen hoch, als sie sah, wie Jade die Pistole überprüfte und das Magazin wieder reinschob. »Da du die einzige lebende Zeugin bist«, fuhr Rome fort, »will Valen dich genauso verzweifelt finden, wie wir dich verstecken wollen.«

»Aber wenn sie mich hier aufgespürt hat, warum soll sie mich da nicht auch finden?«

Sie hätte schwören können, dass Rome »Darauf hoffe ich ja« vor sich hin grummelte. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, um das restliche Salzwasser aus den Ohren zu bekommen. »Wie?«, fragte sie.

»Mach dich auf Kälte und Schnee gefasst. Ach ja, und Will …« Eine lange Pause folgte. »Du hast doch keine Angst vor Wölfen, oder?«

Als sie sich diesmal in den Sessel sinken ließ, stand sie nicht wieder auf. »Wölfe?«

Ben Anderson klopfte einmal an, dann drehte er den Knauf und öffnete die massive Haustür. Da sich auf dem kurzen Weg bis zur Tür bereits wieder Dreck unter seinen Sohlen angesammelt hatte, blieb er stehen, zog die Schnürsenkel auf und streifte die Schuhe ab. Selbst wenn er nicht von sich aus so rücksichtsvoll gewesen wäre, hätte ihn spätestens der Anblick von elf Paar Stiefeln an der Wand im Foyer auf diesen Gedanken gebracht.

Er musste wohl als Letzter eingetroffen sein. Das war zwar nichts Ungewöhnliches, aber es erinnerte ihn daran, wieso er so spät dran war. Er und ein Freund hatten mit einer Gruppe Touristen einen nächtlichen Skiausflug unternehmen wollen. Zu der Gruppe gehörten zwei scharfe Frauen, die keinen Hehl daraus machten, dass sie nicht nur am Skifahren interessiert waren.

Doch dann hatte Dean Kinigos ein Notfalltreffen der Anführer seiner Woodcliff-Rotte einberufen, und dem hatte sich Ben nicht entziehen können. Nicht nur, weil Dean der Alpha der Rotte war, sondern weil Ben einer der insgesamt acht Anführer war und die Rotte Vorrang vor allem anderen hatte. Auch vor der Aussicht auf Sex.

Genauer gesagt vor fast allem. Die Rotte war nicht wichtiger als die eigene Gefährtin. Das war zwar nur ein ungeschriebenes Gesetz, aber jeder wusste, dass er sich daran zu halten hatte. Allerdings hatte Ben keine Gefährtin, also konnte er sich nicht vor dem Treffen drücken. Der Begriff Notfalltreffen besagte schon alles. Außerdem kam so etwas selten vor, und er war viel zu neugierig darauf, den Anlass zu erfahren. Dass er die Gelegenheit versäumt hatte, mit einer hübschen Blondine – oder einer Brünetten, so festgelegt war er nun auch wieder nicht – ins Bett zu gehen, machte ihm da gar nicht so viel aus.

Und wenn das Treffen nicht zu lange dauerte, würde er es vielleicht schaffen, noch rechtzeitig zu Pete und seinen zahlenden Kunden zurückzukehren. Vor allem zu der reizenden Linda. Oder hieß sie Lisa?

Leise lachend schüttelte er den Kopf. Es war nicht seine Art, Namen und Gesichter zu vergessen. Schließlich hatte Dean ihm nicht zuletzt wegen seines guten Gedächtnisses den derzeitigen Posten gegeben. Dass er sich jetzt nicht an die Namen von zwei Frauen erinnern konnte, überraschte ihn ein wenig. Allerdings hatte er schon den ganzen Tag über das Gefühl, ein wenig neben der Spur zu sein. So als würde jeden Moment etwas Folgenschweres geschehen und er bekäme einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Daher rührte auch seine Neugier, was das überraschende Treffen zu bedeuten hatte.

Grinsend ging er durch den langen Flur und fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkelblondes Haar, um die Locken zu glätten. Er musste unbedingt zum Friseur, wenn er nicht riskieren wollte, dass ihm jemand den Spitznamen »Goldlöckchen« anhängte. Aber jetzt war dafür keine Zeit. Er betrat das Wohnzimmer.

»Wurde auch Zeit«, meinte Zan Sutton, der sich lässig an die gegenüberliegende Wand gelehnt hatte. Als Wandler besaß Ben scharfe Sinne und hatte gewusst, dass Zan anwesend sein würde. Er hatte Zans Wagen vor dem Haus entdeckt, aber er war sich nicht sicher, was der Kerl hier verloren hatte. Er war kein Anführer, aber er war Deans Bruder, ebenfalls ein Wandler und einer von drei Cops, die sich im Wohnzimmer aufhielten. Die beiden anderen waren Brandon Dermot und Caleb Bennett, wobei Letzterer auch der Sheriff der Stadt war.

»Und du musst wieder die Wand festhalten, wie ich sehe«, gab Ben zurück und betrachtete Zan amüsiert. Der Wandler war noch kein Jahr bei der Rotte. Als Kind waren er und sein Bruder getrennt worden. Beide hatten geglaubt, der jeweils andere sei bei einem brutalen Angriff ums Leben gekommen, der ihre gesamte Rotte ausgelöscht hatte. Ein zufällig aufgenommenes Foto hatte sie wieder zusammengeführt. Zugleich hatte Zan in Bens Freundin, der Ärztin und Wandlerin Jacklyn Chavez, seine Gefährtin gefunden.

Ben fand, dass die Wandlerinnen eindeutig schlechter gestellt waren als ihre männlichen Pendants. Sie waren zwar ebenfalls stärker und besaßen schärfere Sinnesorgane als gewöhnliche Menschen, aber sie reichten nicht an die Fähigkeiten der Männer heran. Und sie konnten sich auch nicht wandeln, nicht mal in einer abgeschwächten Form.

Die meisten männlichen Wandler hingegen nahmen bei Vollmond Wolfsgestalt an, eine instinktive Reaktion, die es der Bestie in ihnen erlaubte, sich auszutoben und ihren Spaß zu haben. Manche Männer allerdings – Ben zählte zu ihnen – besaßen nicht nur so viel Kontrolle über ihr Tier, dass sie der Wandlung bei Mondschein widerstehen konnten, sondern sie waren auch in der Lage, unabhängig vom Mond die Gestalt zu verändern.

Das Haken war nur, dass die Kreatur bei ihnen dicht unter der Haut lauerte. Diese Männer waren gefährlicher, energischer – und extrem heftig in ihrer Reaktion, wenn es um den Schutz derjenigen ging, die ihnen wichtig waren.

Und die meisten Männer von diesem Schlag hielten sich momentan hier im Zimmer auf.

In einem üppig gepolsterten Sessel saß sein Alpha Dean Kinigos so, dass er den ganzen Raum überblicken konnte. Das Haus, in dem sie sich aufhielten, gehörte ihm. Jack Hodgins, dem das Eisenwarengeschäft im Ort gehörte, saß auf dem braunen Sofa, das im rechten Winkel zum wuchtigen Kamin ausgerichtet war und in dem ein einladendes Feuer die Scheite knistern und knacken ließ.

Jack hatte noch dichtes, volles Haar, aber allmählich wurde es silbergrau. Neben ihm saß Josh Renner, dessen schlaksige Statur und jugendliches Aussehen über seine Schlagkraft und seinen scharfen Verstand hinwegtäuschten. Josh war Lehrer an der örtlichen Schule, im Herbst wurde er dann auch noch als Trainer für die Football-Mannschaft der Schule aktiv. Diese strategische Position machte es ihm möglich, jugendliche Wandler im Auge und unter Kontrolle zu behalten. So verrückt sich das auch anhörte, es schien Josh zu gefallen.

Eddie Toler machte den Eindruck, als fühlte er sich in seinem ölverschmierten Overall etwas unbehaglich. Zweifellos hatte ihn der Anruf während der Arbeit erreicht, und er war nicht erst nach Hause gefahren, um sich umzuziehen. Womöglich fürchtete er, sein Erscheinungsbild könnte mangelnden Respekt gegenüber seinem Alpha vermitteln, doch für Ben hieß es nur, dass Eddie ein guter, hart arbeitender Mann war, der alles andere sofort zurückstellte, wenn sein Alpha ihn rief.

Mack Valenzuela kam mit etwas Quadratischem, Weißem in den Händen aus der Küche. Der Feuerwehrmann war von so massiger Statur, dass er wie ein Lastwagen der Marke wirkte, der er seinen Vornamen verdankte. Als er an Ben vorbeiging, nickte er ihm knapp zu. Seine dunklen Augen funkelten gereizt. Mit einer schnippenden Geste faltete er das Quadrat in seiner Hand zu einem Laken auseinander, das er über das zweisitzige Sofa legte. »Würdest du dich jetzt endlich hinsetzen, Eddie? Du willst doch bestimmt nicht Kaylies Gefühle verletzen, oder?«

Eddie sah in Richtung Durchgang zur Küche, als würde eben jene Kaylie da stehen, finstere Blicke ins Wohnzimmer schicken und genau nachhalten, wer dort was machte. Seit sie Dean geheiratet und damit zur Lupa der Rotte geworden war, machten sich viele Wandler einen Spaß daraus, anderen zu drohen, sie könnten die Gefühle der Lupa verletzen. In diesem Fall war Eddies Unbehagen ein fast schon greifbares Empfinden, das auf die anderen abstrahlte, bis sie sich selbst unbehaglich zu fühlen begannen. Mit einem unüberhörbaren Seufzer setzte sich Eddie hin. Mack nahm neben ihm Platz.

Der Letzte der acht Anführer, Vince DeNoza, kam ebenfalls mit vollen Händen aus der Küche, nur trug er ein großes Tablett mit dick belegten Sandwiches. Der Duft von heißem Roastbeef mit Käse und einem Schuss grünem Chili ließ Ben das Wasser im Mund zusammenlaufen. Als Vince an ihm vorbeikam, nahm er sich eins der Sandwiches, da er nur zu gut wusste, wie gierig Wandler sein konnten, wenn es ums Essen ging.

»Das ist das Beste, was wir in der kurzen Zeit auf die Beine stellen konnten«, sagte Kaylie mit leichtem Tadel in der Stimme, während sie dem italienischen Restaurantbesitzer hinterherschaute, der das Tablett auf den Tisch stellte. Es war nicht nur Kaylies Anblick, der jeden im Raum in ihre Richtung sehen ließ, es war auch das schlafende Baby, das sie in ihren Armen hielt. Mit seinen gerade drei Wochen scharte der kleine Lukas Kinigos Bewunderer um sich, wo immer er auftauchte. Ob Männer oder Frauen, ob Wandler oder Menschen, jeder war sofort von dem Kleinen angetan. Als einziger Sohn und Erstgeborener ihres Alphas war Lukas so etwas wie der Kronprinz der ganzen Welt. Dieser Junge mit dem schwarzen Haarschopf und den tiefgrünen Augen seines Vaters war für die Rotte ein kostbarer Schatz.

Ben schluckte und biss wieder von seinem Sandwich ab. Fasziniert sah er zu, wie Deans Augen sich mit Liebe füllten, als er seine Frau betrachtete, die seinen Sohn im Arm hielt. Deans Selbstbeherrschung war immer ein heikles Thema gewesen, da seine Bestie viel zu dicht unter der Oberfläche lauerte. Bis er Kaylie begegnet war. Jetzt blieb zwar seine Miene wie versteinert, aber seine Augen verrieten den Schalk in seinen Worten, als er mit dem Daumen auf Zan zeigte. »Gib nicht mir die Schuld.«

»Hey!«, brauste Zan auf und straffte die Schultern angesichts dieses Vorwurfs. »Ich war das nicht, der erst fünftausend Überprüfungen durchführen musste, ehe er bereit war zu helfen.« Seine Augen, so grün wie die seines Bruders, erfassten Caleb.

Unbeeindruckt von den gegenseitigen Schuldzuweisungen nahm sich Caleb ein Sandwich vom Tablett, neben dem ein weiteres mit Wasser- und Limoflaschen stand.

»Ich werde nicht meine Leute auf eine heikle Situation loslassen, solange ich nicht alle Details kenne. Und das heißt auch, dass alle Beteiligten überprüft werden.« Caleb sprach mit leiser, fester Stimme, nicht nur aus Rücksicht auf das schlafende Kind, sondern weil es seinem Wesen entsprach. Er war stark und zuverlässig, und er stand immer schützend vor seine Rotte. Ohne Weiteres hätte er der Alpha einer eigenen Rotte sein oder Dean den Platz in Woodcliff streitig machen können, doch Ben wusste, dass der Sheriff dafür – so wie alle anderen – zu großen Respekt vor Dean hatte. Außerdem war er freundschaftlich eng mit dem Alpha verbunden. Und schließlich gab es niemanden, der diese Art von Verantwortung übernehmen wollte.

Caleb war zufrieden damit, Deans Stellvertreter zu sein, da sein Job als Sheriff die Instinkte seiner Bestie mehr als befriedigte. Denn seine Bestie wollte vor allem dominieren und beschützen. Nächste Woche würden sie sogar auch noch verschwägert sein, wenn Caleb Kaylies Schwester Tess heiratete.

Ben versuchte weder an die Hochzeit noch an die Tatsache zu denken, dass drei seiner Freunde innerhalb eines Jahres ihre Gefährtinnen gefunden und für sich beansprucht hatten. So viel Glück machte die Bestie in ihm unruhig und den Mann in ihm neidisch.

»Schmeckt großartig«, sagte er jetzt mit vollem Mund zu Kaylie, und das nicht nur, um sich von diesem Gefühl plötzlicher Trostlosigkeit loszureißen, die seine gute Laune zu ruinieren drohte. Das Essen war wirklich köstlich, nicht zuletzt wegen der wunderbaren Gewürze.

»Du kannst dich bei Vince bedanken, er hat das alles zubereitet.« Kaylie ging zu Dean und stützte sich an der Armlehne seines Sessels ab. Dean begann sofort, sanft über den Kopf seines Jungen zu streicheln. »Ich war damit beschäftigt, Lukas zu stillen.«

Dean stutzte. »Du hast ihn gestillt, während Vince und Mack bei dir waren?«

Angesichts seiner Frage konnte sie nur die Augen verdrehen. »Natürlich, Dean, ich habe einfach vor jedem hier meine Brüste raushängen lassen!«

»Bitte nicht, Kaylie«, wimmerte Vince. »Sonst bringt er mich noch um! Oder verstößt mich aus der Rotte, was noch schlimmer wäre!«

Ben machte es sich neben Jack auf dem dicken Teppich gemütlich, um das Schauspiel zu genießen, wie sich die Mitglieder seiner Rotte gegenseitig hochnahmen. Er steckte das letzte Stück Sandwich in den Mund und kaute gedankenverloren darauf herum. Diese Leute waren seine Freunde, seine Familie. Ihre Beziehungen untereinander veränderten sich nicht, trotzdem fühlten sie sich lebendig und herzlich an, was die Bindung nur noch stärker machte. Durch die Gegend zu ziehen, so wie es manche seiner Art machten, um anderswo nach einer Gefährtin zu suchen, kam für Ben nicht infrage. Ihm würde seine Rotte so schnell und so sehr fehlen, dass er anderswo einfach nicht glücklich sein konnte.

Erst als Kaylie seinen Namen sagte, löste er sich aus den Gedanken. Was sie aber über ihn zu sagen hatte, das verschlug ihm die Sprache.

»Ausgenommen Ben. Ihn habe ich nackt gesehen.«

Ben schnappte nach Luft, da er mit einem Mal im Mittelpunkt des Interesses stand und von allen neugierig angesehen wurde – außer von Dean, der kurz davor zu stehen schien, ihm die Kehle aufzuschlitzen. »Lieber Himmel, Frau! Ich war gerade mal elf und steckte mitten in einer Wandlung. Außerdem hättest du überhaupt nicht da sein sollen.«

Jack musste lachen und klopfte Ben väterlich auf die Schulter. »Daran kann ich mich erinnern. Kaylie übernachtete bei meiner Joanie, und Ben lebte gleich nebenan. Als Grace Anderson mich ganz aufgeregt zu sich rief, sprang ich mit einem Satz über den Zaun. Ich fand den armen Jungen vor, wie er splitternackt mitten in der Wandlung feststeckte, während sein Vater im Gras lag und friedlich schnarchte. Als ich Ben endlich beruhigt hatte, drehte ich mich um und entdeckte die beiden Mädchen, die durch den Zaun rüberschauten und den Mund nicht mehr zukriegten.«

Unbeeindruckt zuckte Kaylie mit den Schultern. »Wir waren nur neugierig.«

»Neugier kann tödlich enden«, sagte Dean und sah mit zusammengekniffenen Augen Kaylie an, doch das Leuchten darin war nicht zu übersehen.

»Sie kann auch lehrreich sein«, konterte sie. »Wie oft müssen wir diese Diskussion eigentlich noch führen?«

»Bis sie was bewirkt.« Dean legte eine Hand auf ihren Oberschenkel.

Sie beugte sich vor und gab ihrem Mann einen Kuss auf die Stirn. »Nachdem ich erfolgreich Unruhe gestiftet habe«, sagte sie dann, »bringe ich jetzt unseren Sohn ins Bett, damit ihr euch eurem Treffen widmen könnt.«

Von Gute-Nacht-Rufen begleitet ging Kaylie an Ben vorbei, ignorierte seinen rachsüchtigen Blick und flüsterte fast unhörbar: »Viel Glück.« Anstatt darüber nachzudenken, wo er wohl ein paar Baby-Nacktfotos von Kaylie finden konnte, um sie überall in der Stadt zu verteilen, begann er sich zu fragen, was unmittelbar vor seinem Eintreffen besprochen worden war.

»Wie üblich danke ich euch allen für euer Erscheinen. Ich weiß, das war jetzt sehr kurzfristig, daher will ich mich auch kurz fassen, weil ich weiß, dass ihr alle noch was anderes zu tun habt.« Dean sah jeden der Anführer an, während er redete, und machte damit mühelos klar, dass der Spaß ein Ende hatte. »Dieses Treffen wurde auf Bitten von Zan einberufen, deshalb wird er alles erklären.«

Interessiert nahm sich Ben ein weiteres Sandwich und eine Flasche Limo, während er den Wandler ansah, der bis vor Kurzem noch geheime Militäroperationen durchgeführt hatte.

Zan ließ sie nicht unnötig warten. »Ein Bekannter von mir hat mich um Hilfe gebeten. Genauer gesagt, er hat um unsere Hilfe gebeten, also um die Hilfe der Rotte.«

»Ein Bekannter?«, wiederholte Ben und zog eine Augenbraue hoch. Mit Blick auf Zans Vorgeschichte konnte das alles und jeden bedeuten – und nicht zwangsläufig etwas Gutes.

Zan richtete den Blick auf Ben. »Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass wir in der Vergangenheit zur beiderseitigen Zufriedenheit zusammengearbeitet haben.«

Jetzt zog Ben auch noch die andere Braue hoch. »Und du glaubst, dass ich davon zu Tränen gerührt bin?«

»Aufhören.« Dean hob mahnend die Hand. »Zan, hör auf, das Ganze so dramatisch aufzuziehen. Und Ben«, fügte er an und ließ Ben das triumphierende Lächeln auf seinen Lippen gefrieren, »du hältst den Mund und lässt Zan reden.«

Nach einem halbherzigen Grinsen fing Zan von vorn an. »Also gut, es geht um Folgendes: Rome Felix ist ein Regierungsagent, der in einer Ermittlung steckt. Es geht um Waffenhandel. Seine einzige Zeugin hält sich bis zum Prozess versteckt. Allerdings hat die Waffenhändlerin einen Richter zugewiesen bekommen, der wegen unzureichender Beweislage die Klage abgewiesen hat. Die Zeugin ist nun von der Beschuldigten ausfindig gemacht worden, und deshalb bittet Rome um Erlaubnis, seine Zeugin hier zu verstecken, bis sein Ermittlerteam den Fall neu geordnet hat.«

»Und …?«, hakte Caleb nach.

Zan lächelte humorlos. »Rome will seine Zeugin als Köder benutzen, um diese Valen – so heißt die Beschuldigte – herzulocken. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die niemals eine Zelle von innen zu sehen bekommt, solange sie nicht ein schweres Verbrechen begeht, das zweifelsfrei ihr zugeordnet werden kann. Zum Beispiel einen Mordversuch.«

»Und was sollen wir dabei tun?«, wollte Eddie wissen und trank einen Schluck Wasser. »Ich meine, wir sind ja keine Leibwächter.«

»Wir sind eigentlich noch bessere Leibwächter als jeder andere«, sagte Zan und sah einen nach dem anderen an. »Wir sind stärker und schneller, unsere Sinne arbeiten besser als die von jedem x-beliebigen Menschen. Wir leben in einer Kleinstadt, wir bemerken jeden, der nicht von hier ist. Wir besitzen die Fähigkeiten und das Wissen, um Romes Zeugin zu beschützen, ganz einfach weil wir wissen, wie wir unsere eigenen Leute beschützen müssen. Ich werde zwei Mitglieder meiner früheren Crew dazuholen, die sich in erster Linie um die Zeugin kümmern werden. Aber ihr alle müsst Augen und Ohren offen halten, ob euch irgendetwas merkwürdig vorkommt, also ob zum Beispiel ein Fremder in die Stadt kommt und auffällig viele Fragen stellt. Und vielleicht können ein paar von euch hin und wieder beim Personenschutz einspringen.«

»Ich gehe davon aus, dass dieser Rome ein Wandler ist, wenn er um die Hilfe der Rotte bittet«, warf Josh ein. »Hat er keine eigene Rotte, die sich um die Zeugin kümmern kann?«

»Doch ja, schon«, murmelte Zan. »Aber seine Rotte befindet sich nicht in den Staaten.«

»Zan …«, ging Dean in warnendem Tonfall dazwischen.

Der schürzte die Lippen. Bens Wolf ging argwöhnisch in Lauerstellung. »Rome ist ein Katzenwandler. Jaguar. Aus Peru.« Als die anderen zu murren und zu knurren begannen, wurde er lauter. »Wie ihr wisst, haben Katzenwandler keine Rotte. Sie sind üblicherweise Einzelgänger, aber Romes Familie ist beisammen geblieben. Sie führen ein Schutzgebiet für Wildtiere im Nordwesten von Peru. Und im Übrigen finde ich, ihr solltet nicht so voreingenommen gegenüber Leuten reagieren, denen ihr noch nie begegnet seid.«

Schließlich waren auch Männer, die sich in einen Wolf verwandeln konnten, keine schlechten Menschen. Sie waren nur anders.

Jack meldete sich zu Wort. »Unabhängig von der Herkunft dieses Mannes finde ich es bedenkenswert, dass jemand unseren Schutz braucht. Trotzdem würde ich gern etwas mehr über diese Zeugin erfahren. Gehört sie zum Beispiel zu einer … sagen wir, kriminellen Gruppe?«

Caleb ergriff das Wort: »Ganz im Gegenteil. Willow Yancy ist eine junge Frau, sie ist ein Mensch und weiß nichts von unserer Art. Sie war Balletttänzerin und hatte eine tolle Karriere vor sich, als sie in diese Sache hineingeriet. Tess hat sie vor einigen Jahren mal in einer kleinen Produktion gesehen und in guter Erinnerung behalten. Sie sagt, diese Frau hatte die unschuldigsten Augen, die ihr je untergekommen waren.«

»Und was ist passiert?«, erkundigte Vince. Seine eigene Tochter hatte sich als kleines Mädchen mal für Tanz interessiert, und als liebevoller und verständnisvoller Vater hatte er ihr völlig freie Hand gelassen.

»Es wurde zweimal auf sie geschossen. Die eine Kugel zertrümmerte ihr das Knie, die zweite zerschoss ihr ein Stück vom Hüftknochen. Sie wird nie wieder tanzen.« Zan zog eine wütende Grimasse. »Was würdet ihr tun, wenn jemand hingeht und so rücksichtslos den Traum eurer Tochter, eurer Schwester oder einer anderen Frau aus unserer Rotte zerstört, dass sie dabei fast ihr Leben verliert?«

»Den Scheißkerl umbringen«, murmelte Mack mit rauer Stimme. Vince und mehrere andere pflichteten ihm bei. Für sie alle waren Frauen etwas ungeheuer Kostbares. Egal wie groß oder klein, wie dick oder dünn, welche Hautfarbe oder Herkunft – eine Frau sorgte dafür, dass ein Mann nicht abhob und die Ruhe bewahrte. Ohne Frauen konnten Männer nur allzu leicht die Kontrolle über ihre Bestie verlieren. Und das war ein erschreckender Gedanke, da sie dann gefährliche wilde Tiere mit der Intelligenz von Menschen waren, die Amok liefen – und zwar zu Tausenden.

»Wo werden deine Leute und die Frau einquartiert?«, wollte Ben wissen, der im Geiste bereits durchging, wie alles ablaufen würde. Auch wenn er Mitleid mit der jungen Frau hatte und klaglos tun würde, was man von ihm erwartete, gefiel ihm die Aussicht nicht, Babysitter zu spielen. Wenn er an Kaylies zugeflüsterte Bemerkung dachte, musste er bereits für diesen Part nominiert worden sein. Auf unbestimmte Zeit rund um die Uhr Personenschutz zu leisten bedeutete für ihn, dass er sich von dem Gedanken verabschieden konnte, mit ein paar Schneehäschen seinen Spaß zu haben.

»Einquartiert werden sie in einer der neuen Hütten«, sagte Dean und bezog sich damit auf die Neubauten beim Skihotel. »Zans Leute bekommen die zweite Hütte, die dritte wird einfach zur Verfügung gestellt, damit wir sie so benutzen können, wie wir sie brauchen. Ben, du bist mein Verbindungsmann zu diesem Rome, was bedeutet, dass du auch die erste Schicht übernimmst. Die nächsten vier Stunden wird Mack erledigen, gefolgt von Vince, Jack, Eddie und dann Josh. Wenn Scott und Joe eingetroffen sind, müssen wir nicht mehr vor Ort sein. Aber ich will, dass wir alle ständig Augen und Ohren offen halten, und zwar so lange, wie es nötig ist.«

Noch bevor Ben fragen konnte, wieso Brandon und Caleb nicht auch jeder eine Schicht übernahmen, redete Dean weiter: »Brandon, Zan und die anderen Cops werden mit den Skitouristen alle Hände voll zu tun haben. Und sie müssen auch noch der wachsenden Aggressivität der Wandler kurz vor dem nächsten Vollmond entgegenwirken. Caleb ist durch die Planungen für die Hochzeit und die Flitterwochen zu sehr abgelenkt.«

»Ich bin überhaupt nicht abgelenkt!«, protestierte Caleb.

»Ach, komm schon. Bis diese Frau dir ihr Jawort gibt, bist du ein einziges Nervenbündel. Ich weiß das, ich habe es selbst durchgemacht. Und Tess ist auch noch Kaylies Schwester, was bedeutet, dass beide für unseren Geschmack viel zu eigenständig sind.« Der Rest war hingemurmelt.

Ben konnte das Gerede nicht verstehen. Wenn – nicht falls! – er seiner Gefährtin begegnete, konnte er nur hoffen, dass sie so selbstständig war wie möglich. In den neunundzwanzig Jahren seines Lebens hatte er über die ideale Gefährtin intensiv nachgedacht. Sie war keine Frau, die ihn bedrängte, und sie fragte ihn auch nicht nach seinen verrückten Jobs, die von der Jahreszeit ebenso abhängig waren wie von Deans Aufträgen. Sie machte ihm keine Vorwürfe, wenn er mit seinen Freunden unterwegs war. Solange sie ihm treu blieb, konnte sie tun, was sie glücklich machte. Sofern dieses Glück nicht von ihm abhängig war.

Ben war mit Eltern aufgewachsen, die völlig voneinander abhängig und maßlos besitzergreifend gewesen waren. Ihre Bäckerei in der Stadt war verkauft worden, nachdem ihr krankhaftes Verlangen, für den anderen das einzig Interessante auf der Welt zu sein, ein tödliches Ende genommen hatte. Ben konnte sich noch sehr genau an den Winter erinnern, als er vierzehn geworden war. Die gegenseitigen Anschuldigungen und Unterstellungen waren so außer Kontrolle geraten, dass sein Vater aus dem Haus gestürmt war und gedroht hatte, sie alle umzubringen. Zwei Stunden später war er tot aufgefunden worden. Offenbar war er auf einer vereisten Gebirgsstraße zu schnell unterwegs gewesen, hatte die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war beim Aufprall auf ein Hindernis durch die Windschutzscheibe geschleudert worden. Auf den Betonplatten, aus denen der Highway bestand, hatte er sich dann das Genick gebrochen.

Im Wagen hatte man auch eine leere Whiskeyflasche gefunden.

Während sich seine Mutter nach dem Tod ihres Ehemanns mehr und mehr in sich selbst zurückgezogen hatte, war Ben in die Welt hinausgegangen. Wölfe waren gesellige Wesen, sie brauchten die Berührungen durch die anderen Mitglieder der Rotte, um Bindungen zu stärken und die innere Bestie zu besänftigen. Seine Eltern hatten seine animalischen Bedürfnisse ebenso unterdrückt wie ihre eigenen, indem sie diese krankhafte gegenseitige Abhängigkeit betrieben hatten.

Er verdrängte diese Erinnerung und wischte sich ungeduldig die Hände an einer Serviette ab. Dann setzte er sich so hin, dass er sich gegen die Couch lehnen konnte. »Und wann werden sie hier eintreffen?« Die Nacht war noch jung, und dieses Treffen würde jeden Moment zu Ende sein.